gem_id
stringlengths
16
21
gem_parent_id
stringlengths
16
21
text
stringlengths
276
36k
topic
stringclasses
21 values
url
stringlengths
36
209
title
stringlengths
4
133
date
stringlengths
10
10
target
stringlengths
47
1.39k
references
list
mlsum_de-train-220600
mlsum_de-train-220600
Bundesweit gibt es eine Vielzahl von Initiativen, die Kindern und Jugendlichen aus "Risikolagen" bessere Bildungschancen verschaffen möchten. Zu Risikolagen rechnet der Bericht "Bildung in Deutschland 2018": ein bildungsfernes Elternhaus, eine soziale Risikolage, das heißt, kein Elternteil ist erwerbstätig, sowie eine finanzielle: Das Familieneinkommen beträgt weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens. Etwa drei Prozent aller Kinder wachsen in allen drei Risikolagen auf. Im Folgenden eine Auswahl von Initiativen: Bei der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2014 ins Leben gerufenen "Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement" kooperieren neun Transferagenturen in einem bundesweiten Netzwerk. Sie unterstützen kreisfreie Städte und Landkreise beim Aufbau verbesserter Bildungsmanagementstrukturen. Sie orientieren sich an regionalen Aspekten und verfolgen zugleich thematische Schwerpunkte, darunter "Diversität und soziale Lage": Näheres unter www.transferinitiative.de. Die Bund-Länder-Initiative "Bildung durch Sprache und Schrift" ist ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm. Sie überprüft die in den Ländern eingeführten Angebote zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung für Kinder und Jugendliche auf ihre Wirksamkeit und entwickelt sie weiter. Dafür arbeiten Verbünde aus Kindertageseinrichtungen und Schulen eng zusammen, setzen Maßnahmen der Sprachbildung und Sprachförderung um und tauschen ihre Erfahrungen darüber aus: Kontakt: www.biss-sprachbildung.de. Die gemeinnützige Stiftung "Haus der kleinen Forscher" engagiert sich für die Bildung von Kindern des Kita- und Grundschulalters in den Bereichen Naturwissenschaften, Mathematik und Technik. Als bundesweit größte Frühbildungsinitiative lebt das "Haus der kleinen Forscher" vom Engagement am jeweiligen Ort: Mehr als 220 lokale Netzwerke arbeiten eng mit der Stiftung zusammen; Informationen unter www.haus-der-kleinen-forscher.de. Das Programm "Kultur macht stark" unterstützt außerschulische Projekte der kulturellen Bildung. Die freiwillige Beschäftigung mit Kultur eröffnet nach Ansicht der Initiatoren gerade benachteiligten Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen drei und 18 Jahren neue Zugänge zur Bildung. Die Projekte bauen eine Brücke zu öffentlichen Lernwelten wie Museen, Theatern, Bibliotheken. 33 Partner setzen das Programm bundesweit um; Kontakt: www.buendnisse-fuer-bildung.de. Die Koordinierungsstelle Ausbildung und Migration (KAUSA) fördert die duale Ausbildung in Unternehmen von Migranten. Ziel ist, mit bundesweiten Partnern mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund für eine duale Ausbildung zu gewinnen. Zudem will man bei Unternehmern die Bereitschaft zur Integration der Jugendlichen steigern. Laut BMBF scheitert das Schaffen von Ausbildungsplätzen häufig an mangelnden Informationen, bürokratischen Hürden sowie an fehlenden Erfahrungen mit dem dualen System der Berufsbildung. Während durchschnittlich jeder vierte Betrieb in Deutschland ausbildet, beschäftigt Schätzungen zufolge nur jeder siebte Selbständige mit Migrationshintergrund Auszubildende. Detaillierte Informationen unter dem folgenden Link: www.bmbf.de/de/kausa-migranten-bilden-aus-1093.html
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/bundesweite-netzwerke-bildungshelfer-1.4238468
Bundesweite Netzwerke - Bildungshelfer
00/12/2018
Viele Programme unterstützen benachteiligte junge Menschen in ganz Deutschland. Manche Angebote fokussieren auf bestimmte Fächer. Die Möglichkeiten zur Lernförderung beginnen schon im Kita-Alter.
[]
mlsum_de-train-220601
mlsum_de-train-220601
Abfall gibt es nicht, so gut wie alles lässt sich verwerten: Auch das lernt man in Studiengängen des Bereichs Umweltschutz und Recycling. Die Berufsaussichten in dieser Branche sind sehr gut. Die Bilder von Meerestieren, die sich in Plastikmüll verheddern und elend zugrunde gehen, oder von Stränden mit Bergen ausgedienter Verpackungen, die mit der Brandung angeschwemmt wurden, lassen kaum jemanden kalt. Nach Berechnung einer Studie der Ellen MacArthur Foundation verschmutzen etwa 150 Millionen Tonnen Plastik die Weltmeere. Und es wird noch schlimmer: Landen aktuell pro Jahr ungefähr acht Millionen Tonnen Plastik in den Meeren, könnten es bis 2030 doppelt so viel sein, prognostizieren Forscher. Der junge Niederländer Boyan Slat und sein Team gehören zu den Menschen, die etwas dagegen tun wollen. Mit seinem Unternehmen The Ocean Cleanup mit Sitz im niederländischen Rotterdam will der 24 Jahre alte Slat die Weltmeere aufräumen. Seit Oktober fischt einer seiner riesigen "Meeresstaubsauger" im Nordpazifik Müll aus dem laut Scientific Report etwa 1,6 Millionen Quadratkilometer großen Müllstrudel, dem sogenannten Great Pacific Garbage Patch. Sein Plan ist, dass der eingesammelte Plastikmüll an Land recycelt und gewinnbringend verkauft werden soll. Für das Recycling werden dann Ingenieure wie Leanne Brits zuständig sein. Die Südafrikanerin hat in Stellenbosch ihren Master in Chemical Engineering abgeschlossen und bis Anfang dieses Jahres als Recycling-Ingenieurin im Team von The Ocean Cleanup gearbeitet; sie testete unterschiedliche Recycling-Verfahren für den aus dem Meer gezogenen Plastikmüll. Inzwischen ist sie wieder nach Südafrika zurückgekehrt und promoviert an der Universität Stellenbosch. Spezialisten kümmern sich darum, dass Recycling- oder Sortieranlagen besser arbeiten Wie gut Slats Säuberungsprojekt funktioniert, muss sich erst noch zeigen. Falls es erfolgreich ist, sollen zahlreiche weitere "Müllstaubsauger" installiert werden. Wie man der Müllmassen Herr wird - egal ob an Land oder im Wasser - ist und bleibt ein Riesenthema. "Die Karrierechancen sind groß, gerade für Ingenieure", sagt Bernhard Schodrowski, Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE). "Das schließt Recycling mit ein, umfasst aber deutlich mehr." Ingenieure würden bei Anlagen- und Maschinenbaufirmen, die Recyclingtechnik herstellen und entwickeln, oder direkt als Fachleute in den Recycling- und Entsorgungsanlagen gebraucht. "Die Anlagen müssen ja betrieben, weiterentwickelt und gewartet werden. Das sind circa 15 000 in Deutschland", sagt Schodrowski. Jose Forero ist Maschinenbauingenieur und bewertet für das privatwirtschaftliche Entsorgungsunternehmen Suez mehrere Verwertungsanlagen, etwa eine Anlage für Ersatzbrennstoffaufbereitung in Bruchsal (Baden-Württemberg). Er analysiert die Wirtschaftlichkeit der Anlage, überwacht die Betriebsausgaben und legt diese Daten dem Vorstand vor. "Da wir unsere Anlagen immer auf dem neuesten Stand halten und optimieren wollen, bin ich vor Ort und bespreche Details mit den Anlagenleitern. Das geht nur, weil ich als Ingenieur Kenntnisse in der Verfahrenstechnik habe. Ich verstehe die Prozesse und kann die richtigen Fragen stellen", erläutert er. Christina Schulz hat sich ebenfalls für eine Karriere im Umweltbereich entschieden. Nach einem Bauingenieurstudium spezialisierte sie sich mit der Vertiefungsrichtung Wasser- und Abfallwirtschaft an der FH Aachen. "Ich bin in den Achtzigerjahren aufgewachsen. Saurer Regen, Mülltrennung, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl - diese Themen haben mein Umweltbewusstsein geweckt", beschreibt sie ihre Motivation. Heute ist die 47-Jährige beim Recycling- und Rücknahmespezialisten Grüner Punkt im Bereich Business Development und Managementsysteme tätig. "Mein Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich", sagt sie. Vergangenes Jahr hat sie einen Nachhaltigkeitsbericht mitbetreut und die Prüfung nach internationalen Standards begleitet. Außerdem berät sie Kunden, etwa Hersteller von Verpackungen, wie sie ihre Produkte so gestalten können, dass sie sich besser recyceln lassen. Schulz prüft auch neue Methoden, nach denen Sortier- und Verwertungsanlagen effizienter arbeiten können. Sie hat bereits Sortieranlagen betreut, das hilft ihr ebenso weiter wie ihre Kenntnisse als Ingenieurin. "Ich kann erklären, was mit den Flakes, also den zerschredderten Plastikteilen, im Extruder passiert und wie Kunststoff beschaffen sein muss, damit er gut recycelt werden kann", sagt sie. Ein Extruder ist eine Maschine, die aus thermoplastischem Material, zum Beispiel Kautschuk oder Kunststoff, Formstücke herstellt. Recycling sei und bleibe ein Riesenthema: "Die Arbeit geht nicht aus, das Verpackungsmaterial wird nicht weniger, nicht zuletzt durch den Zuwachs an Singlehaushalten und den Internethandel." Ein Verfahren zielt darauf ab, aus dem Meer gefischten Müll schon an Bord in Öl zu verwandeln Recycling Engineering kann man in Deutschland an der Hochschule Nordhausen in Thüringen studieren. Dort ist Uta Breuer Studiendekanin. Die Biotechnikerin spricht von "wunderbaren Berufsaussichten" für ihre Studierenden: Die Absolventen arbeiten im öffentlichen Dienst, bei kleinen Firmen, als Sachverständige, bei klassischen Recyclern wie etwa Remondis und Alba Group, oder sie leiten Biogasanlagen. "Das volle Programm", sagt Breuer. Für wen eignen sich Studium und Beruf? "Mitbringen sollte man naturwissenschaftliche Grundlagen in Mathe, Physik und Chemie, ein Grundverständnis für technische Abläufe und die Lust, etwas für die Natur zu tun", sagt die Professorin. Und man sollte sich darauf einstellen, dass man auf der Deponie zu tun hat und auch mal den Inhalt Gelber Säcke auseinandernehmen muss. "Aber ab dem Rechenhaus in der Kläranlage riecht es anders", fügt sie hinzu, um etwaigen Bedenken gleich etwas entgegenzusetzen. Das Wort "Abfall" hört sie nicht gerne. "Ein schlimmer Begriff", sagt die Studiendekanin. "Abfall gibt es eigentlich nicht. Das könnte man alles weiterverwerten." Erich Groever hat schon sein ganzes Berufsleben über mit Abfällen und dem Sammeln und Recyceln von ihnen zu tun: Der 63 Jahre alte Verfahrenstechniker hat sich mit seinem Ingenieurbüro auf Umweltthemen spezialisiert. Zunächst, in den Neunzigerjahren, auf den Bau von Anlagen, dann, als der Markt in Deutschland gesättigt war, auf Beratung, Umbau und Ausbau bereits bestehender Anlagen. Heute engagiert er sich für den Verein "One Earth - One Ocean", ein Projekt, das auf etwas ganz Ähnliches zielt wie The Ocean Cleanup: Gewässer von Plastik befreien. Die Idee: Schiffe unterschiedlicher Größe sammeln Müll auf Gewässern ein. Das größte, der "Seeelefant" soll nicht nur Müll aus dem Wasser fischen können, sondern ihn mit einer Verölungsanlage an Bord auch sofort verwerten. "Quasi eine schwimmende Tankstelle", sagt Groever, der Vereinsgründer Günther Bonin zu dem Vorhaben berät. Der Katamaran "Seehamster" fischt seit einigen Jahren regelmäßig Algendreck aus dem Germeringer und Olchinger See bei München. Bis Ende August war der "Seehamster" zu Demonstrationszwecken auf dem Mekong in Kambodscha unterwegs. Noch ein Produkt aus dem Hause Groever machte in Asien die Gewässer sauberer - die etwas größere "Seekuh" spielte den Sommer über im Hafen von Hongkong Müllabfuhr. Momentan ist der "Seehamster" in Deutschland im Einsatz: In Kiel testen Ingenieure ein neues Netz und Fangsystem. Bundesweit bieten in Deutschland mehr als 80 Hochschulen Studiengänge im Bereich Umwelttechnik an. Ein spezielles Recycling-Ingenieurstudium gibt es in Deutschland in Nordhausen und Magdeburg: Umwelt- und Recyclingtechnik (Bachelor), www.hs-nordhausen.de; Recycling und Entsorgungsmanagement, www.hs-magdeburg.de. Weiterbildungen für Ingenieure zum Thema Recycling bietet der Verein Deutscher Ingenieure (VDI): https://www.vdi-wissensforum.de/weiterbildung-umwelttechnik/recycling
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/recycling-experten-technik-trifft-nachhaltigkeit-1.4238474
Recycling-Experten - Technik trifft Nachhaltigkeit
00/12/2018
Abfall gibt es nicht, so gut wie alles lässt sich verwerten: Auch das lernt man in Studiengängen des Bereichs Umweltschutz und Recycling. Die Berufsaussichten in dieser Branche sind sehr gut.
[]
mlsum_de-train-220602
mlsum_de-train-220602
Immer mehr Jobsuchende bewerben sich per Smartphone bei Unternehmen - das gilt vor allem für techniknahe Branchen. Durch Mobile Recruiting verändert sich der Auswahlprozess für Firmen wie für Bewerber. Die Deutsche Bahn tut es, McDonald's und das Beratungsunternehmen Accenture auch: Sie gehen neue Wege bei der Anwerbung und Einstellung von Mitarbeitern. "Ein-Klick"- oder "One-Minute"-Bewerbung heißt das Verfahren. Immer weniger Jobsuchende verschicken eine Bewerbungsmappe per Post, immer mehr versenden sie als PDF per E-Mail oder bewerben sich gar per "Mobile Recruiting" über das Smartphone. Gerade technikaffine Jobsuchende und Absolventen eines IT-Studiums wollen sich auf diese Weise bewerben; einige potenzielle Arbeitgeber erwarten es auch, dass man sich auf diese moderne Art bei ihnen bemerkbar macht. "Letztlich ist es das altbekannte E-Recruiting unter Verwendung moderner Technologie", sagt Professor Wolfgang Jäger, der an der Hochschule Rhein-Main zu dem Thema forscht und zahlreiche Praxiseinführungen begleitet hat. Potenzielle Bewerber mögen die Methode auch deshalb, weil sie unterwegs, zum Beispiel im Zug oder während sie im Stau stehen, nach Stellenangeboten suchen und in den mobil gestützten Bewerbungsprozess einsteigen können. "So wurde aus dem E-Recruiting das M-Recruiting", fügt Jäger hinzu. "Wir wissen, dass etwa die Hälfte der Studenten, Absolventen und Young Professionals mit dem Smartphone unterwegs oder mit dem Tablet abends auf der Couch nach Jobs suchen", sagt James Barker, Senior Account Manager bei der Jobbörse Absolventa, die ihre Kunden regelmäßig zu dem Thema befragt. "Es werden nicht nur Stellenanzeigen und Karriereportale für die Nutzung mit mobilen Geräten optimiert", sagt er. Immer mehr Firmen ermöglichten es Bewerbern auch, sich per Handy oder Tablet zu bewerben. Hierbei verzichten Arbeitgeber häufig im ersten Schritt auf Motivationsschreiben und Zeugnisse." Stattdessen müssen Interessenten ihre Kontaktdaten angeben - und den Link zu ihrem Profil auf Xing oder Linked-In. "Das Bewerbungsschreiben stirbt langsam aus", sagt Professor Jäger. Im Moment wollen zwar noch ungefähr 85 Prozent der Unternehmen zu irgendeinem Zeitpunkt des Prozesses möglichst aussagekräftige und hübsch formatierte Anschreiben und Lebensläufe. "Doch die große Fachkräftenot zieht nach sich, dass man auf viele Formalien verzichtet." Indes braucht es etwas anderes: nämlich gut gepflegte Profile in den einschlägigen Netzwerken in den sozialen Medien. Und ein bisschen Vorsicht, was das Posten privater Inhalte bei Facebook und Co. angeht. Denn auch da werden Personaler und Chefs irgendwann landen, wenn sie sich ihre Kandidaten anschauen. Im besten Fall dauert eine mobile Bewerbung nur noch ein paar Minuten. Meist funktioniere das Verfahren so, dass Kandidaten ihren vollen Namen, eine E-Mail-Adresse und Telefonnummer sowie den Link zur ihrem Profil eingeben, erläutert Barker. "Manchmal kann aus der Cloud oder der Dropbox auch noch ein Lebenslauf angehängt werden", führt er aus. Dann schaut sich ein Recruiter im Unternehmen den Lebenslauf des Bewerbers an. "Wenn die Eckdaten stimmen, und das Profil interessant wirkt, wird in der Regel ein erstes Telefoninterview vereinbart." Laut Barker ergänzt man im späteren Verlauf der Bewerbung weitere persönliche Daten. Wer via Smartphone Personal gewinnen will, braucht Websites, die dafür optimiert sind Die klassische Bewerbung wird von den Generationen Y und Z kaum noch favorisiert. Sie gelten als "Digital Natives", kennen also kein Leben ohne Computer. Der Begriff Generation Y bezieht sich auf die circa 1980 bis 2000 Geborenen, Generation Z auf die circa 1995 bis 2010 Geborenen. "Bei aufwändigen Bewerbungsprozessen, die vom Kandidaten umfassend persönliche Daten sowie Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse und mehr abfragen, verzeichnen Unternehmen hohe Abbruchquoten", sagt Barker. Sie könnten leicht 70 Prozent und mehr betragen. "So viele interessierte Kandidaten im Bewerbungsprozess zu verlieren, können sich Unternehmen bei der aktuellen Arbeitsmarktsituation nicht leisten." Dabei bezieht er sich auf Branchen mit großem Bedarf an neuem Personal wie Technik und Informatik. Da der Trend künftig noch viel mehr zu diesem mobilen Verfahren gehen wird, muss man den sogenannten "mobile fit" weiter verbessern. Dazu brauchen die Firmen eine Strategie und ein geeignetes System dahinter, mit dem sie die Bewerbungen sichten und verarbeiten. Denn die mobile Bewerbung darf vor allem eines nicht sein: kompliziert. Bei der Gestaltung ist wichtig, die Seiten für die mobile Nutzung zu optimieren und die Fakten klar darzustellen, betont Jäger: Wie ist der Jobtitel? Wo ist das Unternehmen? Nach welchen Qualifikationen wird gesucht? "Viele wollen dann mehr über die Firma wissen, darum sind die Unternehmen, die sich mit kurzen Videos vorstellen, sehr erfolgreich." Firmen können laut Jäger auch damit punkten, dass sie Jobsuchende über den Status der Bewerbung immer auf dem Laufenden halten "und so das Versprechen eines kurzen und einfachen Ablaufs bei der mobilen Bewerbung wirklich einlösen". Die Bewerbung am Rechner, die zum sogenannten E-Recruiting gehört, ist freilich noch nicht ausgestorben. "Viele recherchieren unterwegs per Smartphone nach interessanten Stellenanzeigen und speichern sich diese ab", sagt Barker. Sobald sie Zeit hätten, würden sie die Ausschreibungen noch mal sichten und eine Online-Bewerbung erstellen. "Mobile Recruiting hingegen spricht eher die spontane Seite der Bewerber an."
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/mobile-recruiting-per-wisch-zum-job-1.4238472
Mobile Recruiting - Per Wisch zum Job
00/12/2018
Immer mehr Jobsuchende bewerben sich per Smartphone bei Unternehmen - das gilt vor allem für techniknahe Branchen. Durch Mobile Recruiting verändert sich der Auswahlprozess für Firmen wie für Bewerber.
[]
mlsum_de-train-220603
mlsum_de-train-220603
Bergbauingenieure sind gefragt. Sie befassen sich nicht nur mit Kohle, sondern auch mit Baustoffen wie Kalkstein und Ton oder mit Metallen. Der technologische Fortschritt verringert mit diesem Beruf verbundene Strapazen und Gefahren. Als Elisabeth Clausen ihr Studium als Bergbau-Ingenieurin vor circa 15 Jahren begann, da waren Frauen in dieser Ausbildung noch die Ausnahme. Die heute 35-Jährige war aber so interessiert an Bergbau-Technologien, dass es sie nicht abschreckte, einen Männerberuf zu erlernen. Sie begann da, wo viele Bergbau-Fachleute anfangen: unter Tage. Ein Praktikum musste sein, sie fuhr im Saarland in den Berg ein und lernte, was die Kumpel unter der Erde machen. Clausen stammt von der norddeutschen Küste - mit dem Bergbau hatte sie dort nie etwas zu tun. Dennoch oder gerade deshalb faszinierte sie das vielseitige Studium, das zu großen Teilen aus Natur- und Ingenieurwissenschaften besteht, aber auch Umwelt- und Wirtschaftswissenschaften sowie rechtliche Aspekte beinhaltet. "Und über Geologie und den Aufbau der Erde lernt man auch noch eine ganze Menge", sagt sie. Auch im Job fasziniert sie die Vielfalt: "Es ist sehr komplex unter Tage, das sind ja kleine Städte unter der Erde." Jedes Bergwerk sei anders, man müsse sich immer wieder auf neue Bedingungen und Situationen einstellen. "Und genau das macht die Arbeit so spannend." Die generalistische Ausbildung liegt auch Carsten Drebenstedt am Herzen. Er hat an der TU Bergakademie in Freiberg die Professur für Bergbau-Tagebau seit fast 20 Jahren inne. "Der Bergbau-Ingenieur benötigt die Fähigkeit, kreativ zu sein, denn Ingenieure schaffen Lösungen, und es ist zunächst alles möglich, was man sich vorstellen kann", sagt er. Um das Machbare zu realisieren, seien breite Kenntnisse gefragt. "Jede Lagerstätte ist einzigartig und erfordert für den Abbau eine spezifische Lösung." Darum müssen Fachleute für den Bergbau das Wissen aus verschiedensten Disziplinen haben. Die sächsische Hochschule, die TU Clausthal und die RWTH Aachen sind die einzigen Universitäten, an denen man sich in Deutschland heute noch zum Bergbau-Ingenieur ausbilden lassen kann. Nur in Freiberg, der ältesten montanwissenschaftlichen Hochschule der Welt, gibt es noch den Diplom-Ingenieur, die beiden anderen Hochschulen haben auf Bachelor und Master umgestellt. Fünf Jahre muss man jeweils studieren, um entweder den Ingenieurstitel oder den Master zu haben. "Die vermittelten Kompetenzen sind weitestgehend identisch", sagt Drebenstedt. In Clausthal hat Elisabeth Clausen geforscht und gelehrt. Dort heißt der Master-Studiengang inzwischen "Mining Engineering" und wird komplett auf Englisch gelehrt. "Dadurch hat die Hochschule viele internationale Studierende gewinnen können", sagt sie. Clausen selbst ist noch zur Diplom-Ingenieurin ausgebildet worden. Sie hat in verschiedenen Bereichen des Bergbaus gearbeitet - in der Stein- und Braunkohle, im Salz. Und ging ein halbes Jahr in die Schweiz, um beim Bau des Gotthardtunnels mitzuarbeiten. Anstatt im Anschluss an das Studium in die Industrie zu gehen, entschied sie sich für einen ganz anderen Werdegang: Direkt nach dem Diplom schloss sie eine Promotion in Clausthal an. Nun ist sie als Professorin an der RWTH in Aachen gelandet, wo sie das Fach "Advanced Mining Technologies" in Forschung und Lehre vertritt. Dort ist sie auch Inhaberin des gleichnamigen Lehrstuhls. Sie und ihr Team entwickeln robuste, vernetzte und autonome Maschinen und Prozesse für das Gewinnen von Rohstoffen. Sie erforscht, wie man mittels Sensortechnik auf Informationen zur Prozess-, Umfeld- und Maschinenüberwachung zugreifen und von ihnen profitieren kann. "Das ist Bergbau 4.0", sagt sie. Durch die Vielseitigkeit des Studiums stehen den Absolventen sehr viele Berufswege offen, sowohl in Deutschland als auch im Ausland. "Bergbau-Ingenieure haben keine Probleme, einen adäquaten Arbeitsplatz zu bekommen", sagt Professor Drebenstedt. "Es gibt eine Vielzahl von Unternehmen, die mehr als 2000 Abbaustellen für Rohstoffe in Deutschland betreiben." Dazu gehören neben Kohle Baurohstoffe wie Kalkstein, Gips, Ton, Kiessand sowie Industrieminerale wie Kali und Steinsalz oder Flussspat. "Im sächsischen Erzgebirge wurden zudem Erkundungs- und Abbaulizenzen für wertvolle Metalle wie Zinn, Wolfram oder Lithium vergeben; in der Lausitz lagert Kupfer, bei Leipzig lagern Seltene Erden." Neben dem Einsatz im sogenannten Gewinnungsbergbau gibt es weitere Arbeitsfelder, zum Beispiel den Entsorgungsbergbau, etwa für die notwendigen Endlager für nukleare Rückstände. Clausen berichtet, dass ein Großteil der Studierenden bereits mindestens ein Jobangebot in der Tasche hat, während sie noch an der Abschlussarbeit schreiben. Arbeitsfelder gibt es dabei neben dem Bereich der eigentlichen Rohstoffgewinnung und der zugehörigen Zulieferindustrie viele: in der Finanzbranche, in Beratungsunternehmen, Versicherungen, im Maschinenbau. Auch in Bergbehörden, Ministerien, Hochschulen, Banken oder im Bauwesen, etwa im Tunnelbau, können Bergbau-Ingenieure nach Drebenstedts Auskunft ihre Expertise einbringen. Drebenstedt betont, dass der Bergbau ein Teil der Daseinsvorsorge ist. Täglich induziere jeder Deutsche einen Rohstoffeinsatz von etwa 40 Kilogramm. "Diese Menge, vor allem Energie- und Baurohstoffe, aber auch seltene 'Tuning-Minerale', benötigen wir für unseren gewohnten Alltag und für das Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft." So werden etwa für die Fertigung eines Autos Stahl, Kupfer, Zink, Blei und andere Rohstoffe benötigt, für einen Computer 60 chemische Elemente, die bereitgestellt werden müssen. Der Job des Bergbau-Ingenieurs hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht grundlegend geändert, sagt Drebenstedt. "Die Aufgaben sind geblieben: Ein Bergwerk planen, errichten und betreiben." Doch die Arbeit der Bergleute am jeweiligen Ort verändere sich immer mehr durch Digitalisierung, Automation und Robotik. Dadurch würden Gefahren für die Bergleute und schwere körperliche Arbeit deutlich reduziert. Spannend sei der Beruf, modern und innovativ - da sind sich die Experten einig. Und darin, dass er mehr Frauen vertragen könnte. Während im Bachelor-Studiengang in Clausthal der Anteil bei 20 bis 30 Prozent liegt, sind es in Freiberg zehn bis 15 Prozent. "Das moderne Berufsbild ist offen für Frauen", sagt Drebenstedt. "Allerdings gibt noch immer viele Klischees und Vorurteile."
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/fachwissen-ueber-rohstoffe-digitale-schatzsuche-1.4238476
Fachwissen über Rohstoffe - Digitale Schatzsuche
00/12/2018
Bergbauingenieure sind gefragt. Sie befassen sich nicht nur mit Kohle, sondern auch mit Baustoffen wie Kalkstein und Ton oder mit Metallen. Der technologische Fortschritt verringert mit diesem Beruf verbundene Strapazen und Gefahren.
[]
mlsum_de-train-220604
mlsum_de-train-220604
Ein Faux Pas: Sektgläser werden nicht am Kelch, sondern am Stiel gehalten - es sei denn, man braucht gerade eine freie Hand, sagt die Knigge-Expertin. In vielen Betrieben steht in diesen Tagen die Weihnachtsfeier an. Und Vorbereitung kann sich lohnen, denn Weihnachtsfeiern sind eine Chance zum Netzwerken. Sie können aber auch leicht zur Stilfalle werden, sagt die Modedesignerin und Knigge-Ratsfrau Katharina Starlay. Im Interview am Morgen gibt Sie Tipps für einen gelungenen Abend. SZ: Was ziehe ich zur Weihnachtsfeier an, Frau Starlay? Katharina Starlay: Solche Veranstaltungen kommen oft privat daher, nach dem Motto: Heute wollen wir mal ganz entspannt miteinander sein. Aber letztlich ist auch das Geschäft. Die Menschen sind Kollegen und Chefs. Ein gewisses professionelles Verhalten wird erwartet. Wenn kein Dresscode in der Einladung steht, würde ich den Gastgeber danach fragen. In der Regel ist Business Casual bis Smart Casual angemessen. Mit diesen Dresscodes kennt sich nicht jeder aus. Was heißt das? Interview am Morgen Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier. Business Casual bedeutet, man ist ein bisschen lässiger unterwegs, trägt aber nach Möglichkeit noch ein Teil des Businessoutfits, so dass es geschäftlich aussieht. Smart Casual ist ein privater Dresscode, bei dem man sich schick macht. Dabei trägt man glänzende Materialien und festlichere Kleidung, ein bisschen mehr Schmuck. Da dürfen Sie sich also ein bisschen schön machen. Aber Achtung: Man kann auch overdressed sein. Gerade für neue Mitarbeiter oder in großen Unternehmen ist es manchmal ein bisschen unangenehm, zur Firmenfeier zu gehen. Man irrt herum, kommt sich hilflos vor und weiß nicht, wo man sich anhängen darf. Wer sich nicht so wohlfühlt, sollte sich mit einem Kollegen verabreden. Dann kommt man nicht in so eine Menge rein, in der man sich finden muss, sondern kann zu zweit das erste Getränk nehmen und sich orientieren. Für Netzwerker bieten Betriebsfeiern die Chance, endlich mit dem Leiter der Abteilung ins Gespräch zu kommen, in die sie gerne wechseln würden. Im entscheidenden Moment sind dann meist allerdings die Hände voll Sekt und Häppchen, und schon ist er vorbeigelaufen. Lässt sich diese Situation stilvoll lösen? Ja, die Kunst ist, die rechte Hand für einen Begrüßungshandschlag frei zu haben. Und das geht auch. Bei einem Stehempfang bekommt man in der Regel als erstes ein langstieliges Glas mit Sekt in die Hand. Dieses Glas hängt man sich in die geöffnete linke Hand zwischen Zeige- und Mittelfinger. Mit dem Daumen kann man das Glas stabilisieren. So bleiben Mittelfinger, Ringfinger und kleiner Finger frei. Legt man sich dort eine gefaltete Serviette hinein, haben kleinere Häppchen Platz - und mit der freien Hand können Sie abwechselnd Hände schütteln und trinken. Detailansicht öffnen Katharina Starlay ist Modedesignerin, Imageberaterin und Stilbuchautorin. Seit 2014 ist sie Mitglied im Knigge-Rat. (Foto: Stephanie Schweigert) Das klingt nach einer wackeligen Angelegenheit. Üben Sie vor der Weihnachtsfeier mit Schokostücken. Ich verwende in Seminaren immer diese eingepackten Miniriegel. Wenn die herunterfallen, bleibt der Fußboden trotzdem sauber. Apropos sauber. Es ist peinlich, wenn bei so einer betrieblichen Feier Rotwein über Hemd oder Bluse verschüttet wird. Ist der Abend dann noch zu retten? Generell würde ich raten, bei Veranstaltungen im Winter immer einen Schal dabei zu haben. Gerade eine Seidenbluse wärmt nicht. Ein schönes Tuch ist die Rettung - sowohl wenn es zieht, als auch bei Rotweinpannen. Ansonsten hilft nur die Charmeoffensive. Lächeln Sie und überlegen Sie sich einen guten Spruch, um das Malheur zu überspielen: Leider passt die Farbe nicht ganz in mein sonstiges Farbkonzept heute Abend. Das kann immer passieren, gerade wenn es voll ist. Auch ein Graus: Wenn sich der Chef etwas Lustiges überlegt hat und rote Mützen verteilt. Die schöne Frisur! Muss ich bei jedem Gag mitmachen? Ich fürchte, ja. Sie werden sonst zum Spielverderber. Da würde ich drüber stehen, lächeln und hoffen, dass kein Fotoapparat in der Nähe ist. Aber in der Regel kommen Sie auch um den Schnappschuss nicht herum. Die #metoo-Debatte hat in diesem Jahr darauf aufmerksam gemacht, dass sich vor allem viele Frauen von Kollegen und Vorgesetzten sexuell belästigt fühlten. Das hat Menschen auch verunsichert. Darf man noch Komplimente machen? Absolut, aber sie verlangen mehr denn je Feinfühligkeit. Zum einen kommt es auf die Formulierung an. Man muss ja nicht sagen, du bist schick oder gar sexy, aber man kann sagen: Der Blazer hat einen schicken Schnitt; Ich finde dieses Kleid besonders schön an dir; Du hast eine tolle Ausstrahlung heute. Wichtig ist auch, dass man Komplimente unter vier Augen verteilt und nicht einfach im Vorbeigehen. Warten Sie einen Moment ab, in dem Sie in der Menge für einen Moment unter sich sind.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/weihnachtsfeier-dresscode-peinlichkeiten-1.4233232
Weihnachtsfeier - Wie Sie Peinlichkeiten vorbeugen
00/12/2018
Knigge-Expertin Katharina Starlay erklärt, wie Sie stilvoll die Betriebsfeier meistern und Peinlichkeiten vorbeugen.
[]
mlsum_de-train-220605
mlsum_de-train-220605
Er ist einer von 18 Millionen Pendlern - doch nach zehn Jahren und vielen tausend Stunden auf der Autobahn hat unser Autor nun endgültig die Nase voll. Eine persönliche Abrechnung. Morgens um 6.20 Uhr gilt der erste müde Blick der Navigationsapp. 27 Minuten mit dem Auto ins Büro. Ist doch okay. Leider betrüge ich mich mit diesem Blick selbst. Natürlich kriege ich Frau und die beiden kleinen Söhne um 6.20 Uhr nicht ins Auto. Natürlich macht die Kita erst um halb acht auf.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/pendeln-autobahn-abrechnung-1.4230392
Essay über das Pendeln: Fahrt zur Hölle
00/12/2018
Er ist einer von 18 Millionen Pendlern - doch nach zehn Jahren und vielen tausend Stunden auf der Autobahn hat unser Autor nun endgültig die Nase voll. Eine persönliche Abrechnung.
[]
mlsum_de-train-220606
mlsum_de-train-220606
Der neue Arbeitgeber von Frank T. will schon vor dem dritten Fehltag ein Attest sehen. Der Arbeitnehmer bittet den Jobcoach um Rat. SZ-Leser Frank T. fragt: In den meisten Firmen ist es üblich, dass man spätestens am dritten Krankheitstag ein ärztliches Attest schicken muss. An meinem neuen Arbeitsplatz soll man es jedoch schon am ersten Tag besorgen. Wie soll das gehen? Die wenigsten Mediziner machen Hausbesuche. Soll man sich also tatsächlich als Kranker völlig geschwächt mit Grippe, Lungenentzündung oder Magen-Darm-Infekt zum Arzt schleppen und dort ins Wartezimmer setzen? Oder klaffen hier Anspruch und Realität weit auseinander? Ina Reinsch antwortet: Lieber Herr T., der Mensch neigt schnell dazu, das Schlimmste zu befürchten. Daher ist es gut, dass Sie nachfragen, denn so schlimm ist es gar nicht. Das Entgeltfortzahlungsgesetz sieht vor, dass Arbeitnehmer bei einer Krankheit von mehr als drei Tagen eine ärztliche Bescheinigung vorlegen müssen. Gleichzeitig räumt das Gesetz dem Arbeitgeber das Recht ein, eine Krankschreibung schon früher zu verlangen, auch schon vom ersten Tag an. Er muss dazu nicht einmal besondere Gründe ins Feld führen, wie etwa den Verdacht, dass der Mitarbeiter blaumacht. Das hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2012 entschieden. Auch eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag ist dafür nicht erforderlich. Es genügt, dass der Arbeitgeber es per Weisungsrecht verlangt. Das bedeutet nicht, dass Sie sich sterbenskrank zum Arzt schleppen müssen. Wir alle wissen: Es gibt Situationen, da kommt man einfach nicht aus dem Bett: hohes Fieber, Kreislaufschwäche, ein Magen-Darm-Virus, die echte Grippe. Daher machen Ärzte Hausbesuche. Hausärzte, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, also Mediziner mit Kassenzulassung, sind dazu nach dem "Bundesmantelvertrag Ärzte" bei ihren Patienten sogar verpflichtet. Daran sollte man den einen oder anderen Mediziner vielleicht bisweilen erinnern - oder sich einen anderen, engagierten Hausarzt suchen. Doch es gibt noch eine andere Lösung: Es genügt nämlich, wenn Sie am Tag Ihrer Krankheit in der Praxis Ihres behandelnden Arztes anrufen und schildern, dass Sie nicht in der Lage sind, zu ihm zu kommen. Sie können dann um einen Termin am darauffolgenden Tag bitten - an dem es Ihnen hoffentlich schon etwas besser geht. Ihr Arzt kann Ihnen dann ausnahmsweise rückwirkend eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag ausstellen. Das regelt die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie. Damit allerdings nicht jeder kommt und behauptet, er sei gestern krank gewesen, müssen einige Rahmenbedingungen erfüllt sein. Der Arzt darf den gelben Schein höchstens für drei Tage rückwirkend ausstellen. Bis 2016 waren es lediglich zwei Tage. Und die Krankheit, die der Patient schildert, muss für den Mediziner nachvollziehbar sein. Bei einem fiesen Magen-Darm-Infekt dürfte das kein Problem darstellen. Hier werden die Symptome - wenn auch abgeschwächt - noch am nächsten Tag vorhanden sein. Auch bei einem fiebrigen Infekt sollte das unproblematisch sein. Bei starken Kopfschmerzen kann das hingegen anders aussehen: Hier könnte ein Arzt, der den Patienten nicht kennt, ein rückwirkendes Attest möglicherweise ablehnen. Für den behandelnden Hausarzt, bei dem der Patient seit Jahren wegen Migräne in Behandlung ist, wird die Erkrankung dagegen nachvollziehbar sein. Ihren Arbeitgeber müssen Sie selbstverständlich am ersten Tag Ihrer Krankheit informieren. Am besten gleich am Morgen durch einen Anruf. Das Attest sollten Sie dann schnellstmöglich hinterherschicken. Es muss dem Chef aber nicht am ersten Krankheitstag bereits im Original vorliegen. Die Regelung Ihres Arbeitgebers meint nur, dass Sie Ihre Krankheit durch ein Attest ab dem ersten Tag beweisen können müssen. Ina Reinsch ist Rechtsanwältin, Autorin, und Referentin in München. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Arbeitsrecht.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/frage-an-den-sz-jobcoach-muss-ich-am-ersten-krankheitstag-ein-attest-einreichen-1.4230872
Muss ich am ersten Krankheitstag ein Attest einreichen?
00/12/2018
Der neue Arbeitgeber von Frank T. will schon vor dem dritten Fehltag ein Attest sehen. Der Arbeitnehmer bittet den Jobcoach um Rat.
[]
mlsum_de-train-220607
mlsum_de-train-220607
Kinder durch den Zoo führen, Wanderwege in Stand halten, im Sportverein mitarbeiten, Seevögel beobachten und zählen, in der Suppenküche helfen oder im Schulhort bei der Nachmittagsbetreuung - Zehntausende Jugendliche engagieren sich hierzulande jedes Jahr im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahres oder im Bundesfreiwilligendienst; hinzu kommen noch die Freiwilligen, die ihren Dienst im Ausland machen. Geht es nach Bundesjugendministerin Franziska Giffey (SPD), soll es künftig noch attraktiver werden, sich zu engagieren. Es gehe um bessere Rahmenbedingungen, um mehr Geld und "um schlichte Dinge wie Fahrkarten", sagte Giffey am Montag in Berlin, wo sie ihr Konzept eines "Jugendfreiwilligenjahres" vorstellte. Die Ministerin will zwar die bestehenden Programme beibehalten. Es soll aber ein einheitlicher Rahmen geschaffen werden, mit festen Standards und einem Bundeszertifikat für alle Absolventen, "mit Adler drauf", wie Giffey es nannte. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht ein höheres Taschengeld für die Freiwilligen. "Die Jugendlichen sollen wollen dürfen", sagte Giffey und verwies darauf, dass viele es sich heute schlicht nicht leisten könnten, sich ein Jahr lang nur für ein niedriges Taschengeld zu engagieren. Das gehe oft nur, wenn die Eltern sie unterstützten. Aktuell dürfen die Einsatzstellen ihren Freiwilligen bis zu 391 Euro im Monat zahlen; oft zahlen sie aber weniger. Auch weil der Bund nur bis zu 250 Euro im Monat erstattet - und auch das nur beim Bundesfreiwilligendienst. Geht es nach Giffey, soll der Bund in Zukunft 402 Euro für alle Formen des Freiwilligendienstes übernehmen, plus Sozialversicherungsbeiträge. Zudem sollen die Jugendlichen einen pauschalen Zuschuss von 25 Euro zur Monatskarte für Bus und Bahn bekommen. Bei denen, die es betrifft, kommen solche Ideen gut an. Niemand mache ein freiwilliges Jahr, um reich zu werden, sagte etwa Laura Rupenow, 23, die selbst ein Freiwilliges Ökologisches Jahr gemacht hat und am Montag zusammen mit anderen Freiwilligen ins Ministerium eingeladen war, um von ihren Erfahrungen zu berichten. "Es geht darum zu reifen, den Horizont zu erweitern, herauszufinden, was man später machen will." Wenn man dann aber aus Kostengründen "bei Mama und Papa" wohnen bleiben müsse, sei das "nicht so optimal". Franz Kloth, der ebenfalls ein ökologisches Jahr gemacht hat, berichtete von einem Freund, dem der Bundesfreiwilligendienst zwar gefallen hätte - der aber stattdessen zur Bundeswehr ging, weil er sich die Alternative nicht leisten konnte. Insgesamt rechnet das Ministerium mit Kosten von einer Milliarde Euro im Jahr für das neue Konzept, auch weil es davon ausgeht, dass bei besseren Rahmenbedingungen bis zu 120 000 statt wie heute gut 80 000 Jugendliche Interesse haben könnten. Neben der besseren finanziellen Ausstattung will Giffey einen Rechtsanspruch für alle unter 27-Jährigen auf einen Platz in einem der Programme durchsetzen. Allerdings nicht auf den Wunschplatz in der Traum-Einsatzstelle. Das sei unrealistisch, sagte die Ministerin. Derzeit könne die Nachfrage der Jugendlichen insgesamt "ganz gut" bedient werden. Für bestimmte Stellen aber gebe es Wartelisten. "Die Robbenauffangstation ist sehr beliebt." Der Name "Jugendfreiwilligenjahr" kommt dabei nicht von ungefähr. Giffey setzt auch für die Zukunft auf Freiwilligkeit, nicht auf Pflicht. In der Union dagegen gibt es seit geraumer Zeit Stimmen, die nach dem Ende der Wehrpflicht eine neue Dienstpflicht fordern. Den Anfang machte im Sommer CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die an diesem Wochenende zur Parteivorsitzenden gewählt werden will. Auch die Junge Union schlug ein "verpflichtendes Gesellschaftsjahr" vor. Von einer Verpflichtung hält Giffey nichts Giffey dagegen hält nichts von solchen Ideen. "Das können Sie als Gegenentwurf zum Pflichtjahr betrachten", sagte sie am Montag über ihr Konzept. "Wir wollen ein Model, das davon lebt, dass Menschen etwas aus Überzeugung tun." Sie wies zudem darauf hin, dass ein Pflichtjahr nach Berechnungen ihres Hauses fünf bis zwölf Milliarden Euro im Jahr kosten würde, schon alleine wegen des dann viel größeren Teilnehmerkreises von rund 800 000 Schulabgängern im Jahr. Hinzu komme, dass es bei einem Pflichtjahr um Arbeitsverhältnisse gehen müsste - und nicht mehr um soziales Engagement. Entsprechend höher müsste Giffey zufolge die Entlohnung sein. Tammo Kratzin, einer der Freiwilligen, ist ebenfalls skeptisch, was ein Pflichtjahr angeht: "Ich kann niemanden zu Engagement zwingen." Pflichtstellen zu schaffen, koste zudem viel Geld, "aber es bringt den Einsatzstellen nichts, wenn da welche sitzen, die keine Lust haben". Mit ihrem eigenen Konzept steht Giffey noch ganz am Anfang. Sie will nun Jugendforen veranstalten, mit Trägern, Jugendverbänden und Einsatzstellen sprechen - und mit der Union. Bei Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat sie nach eigenem Bekunden schon vorgefühlt und sei "auf grundlegendes Verständnis" gestoßen. Was das in Euro bedeuten könnte, ist allerdings noch lange nicht ausgemacht. Nächstes Jahr werden die Freiwilligendienste auch ohne Komplettreform finanziell schon etwas besser ausgestattet. Der Bundeshaushalt sieht 327 Millionen Euro vor, 65 Millionen Euro mehr als aktuell. Von dem Plus sollen rund 6000 zusätzliche Plätze finanziert werden und eine bessere pädagogische Betreuung der Freiwilligen. Zudem wird der Bundesfreiwilligendienst für Flüchtlinge in den regulären Dienst überführt. "Integration durch Normalität", nennt es Giffey. Ebenfalls in Arbeit ist bereits eine Gesetzesänderung, um Jugendlichen mit Behinderung besser als bisher ein Freiwilligenjahr zu ermöglichen.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/freiwilligenjahr-jugend-giffey-1.4237299
Freiwilligendienst - Giffey stellt neues Konzept vor
00/12/2018
Bundesjugendministerin Giffey will ein "Jugendfreiwilligenjahr" etablieren. Das neue Konzept sieht dafür mehr Geld, einen Fahrkartenzuschuss und ein Zertifikat vor.
[]
mlsum_de-train-220608
mlsum_de-train-220608
Die Freie Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart. 100 Jahre nach Gründung der ersten Einrichtung verzeichnen die Waldorfschulen großen Zulauf. Foto: Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Über Waldorfschulen gibt es viele Vorurteile. Der Erziehungswissenschaftler Heiner Ullrich erklärt, warum Eltern ihr Kind dort anmelden. SZ: Die Waldorfschule wirkt auf manche wie die Abkehr von der harten, bösen Welt da draußen. Ist das so? Heiner Ullrich: Ich sehe sie eher als eine Art pädagogischer Provinz, die in manchem anders ist. Zum Beispiel grenzt sie sich von den digitalen Medien ab, die Schüler sollen erst sehr spät damit lernen. Stattdessen ist sie hochkulturell geprägt, Parzival, Goethe, die Klassiker der Literatur und der anderen Künste sind in der Waldorfschule zu Hause. Aber deswegen sind Waldorfschüler nicht weltfremd, ihre Sozialisation findet ja auch an anderen Orten statt. Warum entscheiden Eltern, dass ihr Kind an eine Waldorfschule soll? Diese Eltern suchen für ihr Kind eine entwicklungsgemäße Pädagogik. Sie wollen, dass es seine Interessen entfalten kann. Das klappt auch ganz gut, weil die Waldorfschule viele praktische und künstlerische Lernformen anbietet, die in den staatlichen Schulen kaum Gewicht haben. Die Schule wurde für Arbeiterkinder eingeführt. Davon ist sie heute weit entfernt. Ja, die Waldorfeltern sind heute überdurchschnittlich oft akademisch gebildet. Da verwundert es nicht, dass Waldorfschüler häufiger Abitur machen als etwa Gesamtschüler. Dennoch ist in der Sekundarstufe ungefähr jeder zweite Schüler ein Quereinsteiger, der zuvor an der staatlichen Schule keine guten Erfahrungen gemacht hat. Detailansicht öffnen Heiner Ullrich ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Mainz. Der Experte für Reformpädagogik hat mehrere Bücher über die Waldorfpädagogik und ihren Begründer Rudolf Steiner geschrieben. (Foto: oh) Die Beziehung zum Klassenlehrer ist eng und hält lange an, berichtet unsere Kollegin. Ist das immer gut? Das kann produktiv sein oder riskant. Produktiv, weil der Schüler dadurch in der Schule eine Heimat findet. Riskant, wenn der Lehrer den Schüler verkennt und er sich nicht entfalten kann. Manche sind froh, wenn sie nach acht Jahren ihren Klassenlehrer los sind, andere hängen an ihm. Wie beurteilen Sie die Lehrerausbildung? Die meisten Waldorfschullehrer erlernen ihren Beruf an kleinen, anthroposophisch geprägten Instituten. An der staatlichen Lehrerausbildung, die immer wieder optimiert wird, führt dieser Sonderweg vorbei. Nach meiner Ansicht sollten die angehenden Lehrer an öffentlichen Universitäten studieren, so ähnlich wie die Schulmediziner, die später in eine anthroposophische Praxis gehen. Hat die Waldorfschule staatliche Schulen inspiriert, sie gar verändert? Nein, von vereinzelten Schulprojekten abgesehen, hat sie das nicht. Jahrgangsübergreifender Unterricht, Projektunterricht, Gruppenarbeit - all diese Innovationen kommen nicht aus der Waldorfschule. Dennoch ist sie sehr erfolgreich, die Nachfrage ist groß. Die Schulen können sich ihre Schüler aussuchen. In Berlin hat kürzlich eine Waldorfschule das Kind eines AfD-Abgeordneten abgelehnt. Die Schulen führen ein Aufnahmeverfahren durch, auch die Familie wird geprüft: Passt sie zu uns, will sie sich engagieren? So wie katholische Schulen keine muslimischen Kinder aufnehmen müssen, können Waldorfschulen einer Familie absagen, die nach ihrer Ansicht nicht zu ihrer Pädagogik passt. Und die Waldorfschule ist nun mal eine stark weltanschaulich geprägte Einrichtung. Eine solche Auswahl zu treffen, ist das Privileg der privaten Schulen.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/waldorfschule-steiner-paedagogik-1.4262639
"Pädagogik - ""Waldorfschüler sind nicht weltfremd"""
00/12/2018
Über Waldorfschulen gibt es viele Vorurteile. Der Erziehungswissenschaftler Heiner Ullrich erklärt, warum Eltern ihr Kind dort anmelden.
[]
mlsum_de-train-220609
mlsum_de-train-220609
Sie wachsen in zwei Welten mit eigenen Kulturen auf, doch an der Hand-in-Hand-Schule in Israel sollen die Kinder ein Leben ohne Stereotype lernen. An den Hand-in-Hand-Schulen in Israel sitzen jüdische und muslimische Kinder in einer Klasse. Dieses Miteinander, so die Hoffnung, sollen sie eines Tages in die Gesellschaft tragen. Vor der Tür stehen jede Menge kleiner Gummistiefel, aus dem Inneren des Bungalows ist ein Lied zu hören, zuerst in hebräischer Sprache, dann auf Arabisch. 19 Kinder sitzen auf grünen Plastikstühlen im Kreis, dazwischen die beiden Lehrerinnen Adi Angert und Shehanaz Nasser. Die eine ist Jüdin, die andere Muslimin, sie trägt ein Kopftuch. Jede der Lehrerinnen benutzt ihre Sprache, die Kinder sprechen sowohl Arabisch als auch Hebräisch. Das ist eine Besonderheit, denn in ganz Israel gibt nur acht bilinguale Schulen - obwohl zwanzig Prozent der Bevölkerung arabische Israelis sind. Vor zwanzig Jahren haben sich jüdische und arabische Eltern und Pädagogen zusammengetan und die Organisation Hand in Hand gegründet, das Zentrum für jüdisch-arabische bilinguale Bildung in Israel. 1998 wurden die ersten Schulen in Jerusalem und Galiläa eröffnet, inzwischen gibt es sechs Hand-in-Hand-Einrichtungen mit insgesamt 1850 Schülern. Jene in Beit Berl, rund 25 Kilometer von Tel Aviv entfernt, mit einem Kindergarten und einer ersten Klasse ist die jüngste Einrichtung, sie wurde 2015 eröffnet. Gegenwart und Zukunft gemeinsam gestalten Insgesamt vierzig Kinder spielen und lernen in diesem Haus, das von einem großen Spielplatz mit Sandkisten und Klettergerüsten umgeben ist. Es gibt keine in Reihen aufgestellten Schulbänke, sondern größere Tische, um die sich die Kinder in kleineren Gruppen versammeln. An den Wänden hängen selbstgebastelte Plakate, darauf sind der Davidstern, aber auch der Halbmond, ein Emblem des Islam, zu sehen. Es wird sowohl das hebräische als auch das arabische Alphabet gelehrt, alle Beschriftungen sind zweisprachig. Aber hier geht es nicht nur um das Lernen von Zahlen und Zeichen, sondern um viel mehr: Um "ein Leben ohne Stereotype", wie es Shada Mansour bezeichnet. Oder darum, den Namen der Organisation in die Wirklichkeit zu übersetzen: dass Juden und Muslime in Israel einander die Hand reichen und gemeinsam Gegenwart und Zukunft gestalten. Mansours sechsjährige Tochter Nai sitzt im Sesselkreis, neben ihr die gleichaltrige Maayan. Sie sind mit unterschiedlichen Sprachen und kultureller Prägung aufgewachsen, in ihren Familien werden andere Feiertage eingehalten und unterschiedliche Geschichten erzählt. Die palästinensische Sichtweise unterscheidet sich von der israelischen in vielem: wenn es um Geschehnisse in der Vergangenheit geht, aber auch um Ereignisse in der Gegenwart und um Perspektiven für die Zukunft. Aber all das spielt für die beiden Mädchen keine Rolle, sie sind Freundinnen und nutzen ganz selbstverständlich die Worte in der anderen Sprache. Das verblüfft auch die Mutter. "Als ich in Nais Alter war, da wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte, wenn mich jemand auf Hebräisch ansprach. Aber in dieser Umgebung lernt man ganz natürlich die andere Seite kennen. Ich war ein sehr schüchternes Kind und ich will, dass meine Tochter eine selbstbewusste Frau wird." Nicht nur die Töchter sind Freundinnen, ihre Mütter treffen sich ebenfalls außerhalb der Schule. Es ist zwar nicht vorgeschrieben, aber erwünscht, dass zwischen den Eltern, die ihre Kinder in eine Hand-in-Hand-Einrichtung schicken, Kontakte entstehen. Mansour ist die sogenannte Community-Managerin in Beit Berl, das Verbindungsglied zwischen Schule, Eltern und generell der Welt außerhalb. Die Kinder kommen aus den umliegenden Orten wie Kfar Saba, Taybeh und wie Mansour aus Tira. In den Hand-in-Hand-Schulen gehören regelmäßige Treffen und Veranstaltungen zum Alltag. "Wir verstehen uns als Netzwerk", betont Gaby Goldman, die für die Kommunikation der Organisation zuständig ist. "Was wir machen, ist ziemlich einzigartig, dabei sollte es weit verbreitet und Alltag in diesem Land sein." Denn das hochgesteckte Ziel ist, das Miteinander aus den Klassenzimmern in die Gesellschaft zu tragen, um vorherrschende Barrieren im Land abzubauen und ein Klima der Verständigung zu ermöglichen. "Wir können die Welt außerhalb nicht ausblenden" Manchmal wird bei den Veranstaltungen auch nur diskutiert über das, was gerade passiert, etwa die Spannungen an der Grenze zum Gazastreifen, wo es seit Ende März zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und Israelis kommt. Das beschäftigt die Kinder genauso wie die Erwachsenen, die dann im Sesselkreis sitzen und debattieren. "Wir können die Welt draußen nicht ausblenden. Es ist wichtig, dass wir darüber reden und unsere unterschiedlichen Sichtweisen austauschen", sagt Mansour. Trotz eines israelischen Passes komme sie sich als Bürgerin zweiter Klasse vor. "Das ist die Realität in Israel, es gibt auch viele Vorurteile, die man im Alltag merkt und auch im Beruf. So entstehen Feindbilder und Stereotype. Eigentlich soll es um ein Miteinander gehen." Das Nationalstaatsgesetz, das im vergangenen Juli beschlossen wurde, bezeichnet sie als "harten Schlag". Denn darin wird Israel als jüdischer Staat beschrieben, und der bisherige Status von Arabisch als Amtssprache wurde gestrichen. In den Hand-in-Hand-Schulen werden aber weiter beide Sprachen verwendet. An Protesten gegen das Gesetz nahmen Tausende teil, die Hand-in-Hand-Organisation hielt öffentliche Arabisch-Kurse auf Plätzen ab. Für die Israelin Yael Witkon ist wichtig, dass ihre Tochter Maayan auch die muslimischen Festtage kennt. Das gemeinsame Begehen von Feiertagen ist ein wichtiger Bestandteil in Hand-in-Hand-Einrichtungen, auf diese Weise lernen Kinder viel über die jeweils andere Kultur und Religion. So wird das jüdische Purim-Fest mit Kostümen, Tänzen und Geschenken genauso begangen wie das Zuckerfest, mit dem Muslime das Ende des Fastenmonats Ramadan feiern. Etwa zwanzig Tage machen die Ferien rund um religiöse Feiertage in Beit Berl aus. Etwa die Hälfte davon richtet sich nach dem in Israel verwendeten jüdischen Kalender, der Rest nach den muslimischen Gebräuchen. An diesen Tagen müssen alle anderen der rund 7000 Schüler auf dem weitläufigen Campus von Beit Berl in den Unterricht. Diese relativ freie Einteilung ist nur möglich, weil die Hand-in-Hand-Schule in Beit Berl keine vom Staat voll anerkannte Bildungseinrichtung ist, wie die anderen Einrichtungen der Organisation. Seit dem Start kämpfen die Eltern darum. Im israelischen Bildungssystem hat der Schulstandort über die Anerkennung zu entscheiden, die Stadt Kfar Saba hat bisher kein grünes Licht gegeben. Bei anerkannten Schulen übernimmt der Staat 40 Prozent der Kosten, 40 Prozent müssen aus Spenden finanziert werden, der Rest wird durch Schulgeld eingenommen, das sind pro Jahr und Schüler umgerechnet 1200 Euro. In Beit Berl ist notgedrungen der Spendenanteil größer. Die eine Hälfte der Kinder hat einen jüdischen, die andere einen arabischen Hintergrund. Es gibt kein Aufnahmeverfahren, aber Wartelisten, was die Community-Managerin als gutes Zeichen wertet. "Was hier entsteht, gibt uns allen Hoffnung", meint Mansour mit einem Blick auf die miteinander singenden Kinder.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/israel-schule-juden-muslime-1.4262627
Israel - Schule mit jüdischen und muslimischen Kindern
00/12/2018
An den Hand-in-Hand-Schulen in Israel sitzen jüdische und muslimische Kinder in einer Klasse. Dieses Miteinander, so die Hoffnung, sollen sie eines Tages in die Gesellschaft tragen.
[]
mlsum_de-train-220610
mlsum_de-train-220610
SZ: Herr Helbig, in der DDR gab es keine Privatschulen, heute gehen im Osten Deutschlands mehr Kinder auf eine Privatschule als im Westen. Warum sind sie gerade dort so erfolgreich? Marcel Helbig: Dieser Zuwachs vollzieht sich vor allem in den Städten, und in den ostdeutschen Städten ist die soziale Spaltung in den letzten Jahren deutlich stärker gewachsen als in den westdeutschen: Arme und reiche Menschen leben zunehmend voneinander getrennt. Die Privatschulen befördern das, aber in erster Linie sind sie ein Symptom dieser Entwicklung: In Rostock zum Beispiel befinden sich alle privaten Grundschulen im reicheren Süden. Im Norden, wo die Plattenbauten sind, gibt es keine einzige. Das deutsche Schulsystem gilt doch ohnehin schon als vergleichsweise selektiv. Reicht das nicht, um sich abzugrenzen? Man muss genau hinschauen, wo die sozialen Unterschiede sind: nicht an den Gymnasien, da unterscheiden sich öffentliche und private kaum voneinander. Der Boom der Privatschulen und die soziale Selektivität finden an den Grundschulen statt - jenen Schulen also, die eigentlich für alle sein sollen. Das Grundgesetz ist deshalb bei privaten Grundschulen besonders streng, doch die Regel ist vielfach ignoriert worden. Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern hat man jedes Augenmaß verloren, die Zahl der privaten Grundschulen ist explodiert. Können Sie das genauer erklären? Die meisten privaten Grundschulen wurden im Kontext einer Schulstrukturreform 2006/07 gegründet. Alle Kinder, das war die Idee, sollen zwei Jahre länger gemeinsam lernen, ehe sie aufs Gymnasium wechseln können. Daraufhin haben sich private Schulen gegründet, die nicht nur Grundschulen sind, sondern auch eine gymnasiale Oberstufe haben. Es wurde ein Parallelsystem geschaffen und die Reform systematisch unterlaufen. Das Schulministerium hätte das nie zulassen dürfen. Detailansicht öffnen Marcel Helbig, Professor für "Bildung und soziale Ungleichheit", forscht für die Universität Erfurt und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. (Foto: Bernhard Ludewig) Was heißt das in Zahlen? Drei der vier Städte mit dem höchsten Anteil privater Grundschulen sind Schwerin, Rostock und Greifswald. 25 bis 40 Prozent der Grundschulen sind hier in privater Hand. Auf Platz drei: Potsdam. Die erste Stadt im Westen kommt erst danach - obwohl das System dort nicht 25, sondern 60 Jahre Zeit hatte, sich zu entwickeln. Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat ermittelt, dass gerade auf Privatschulen im Osten auch das Einkommen der Eltern immer wichtiger wird. Das überrascht mich nicht. Wir haben es mit einer Absetzbewegung der Mittelschicht von den unteren Schichten zu tun. Die soziale Schere geht im Osten besonders weit auf, weil es vor allem dort an einer Kontrolle der Privatschulen fehlt. Andernorts, in Schleswig-Holstein etwa, wird das Privatschulsystem stärker begrenzt. Viele Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, sagen, dass es ihnen nicht um Abgrenzung geht, sondern um pädagogische Angebote, die das staatliche System nicht bietet. Diese Eltern haben einen verzerrten Blick auf das Schulsystem. Viele öffentliche Schulen haben alternative und moderne Pädagogik längst übernommen. Wenn Privatschulen besseren Unterricht machen können, ist das eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Auf der Schule sind mehr Kinder aus höheren Schichten, die seltener Sprach- oder Verhaltensprobleme mitbringen - also habe ich auch bessere Lernvoraussetzungen. Die Privatschule ist nicht besser, weil sie bessere Pädagogik macht, sondern weil sie die besseren Schüler hat. Was Recht ist Das Grundgesetz erlaubt Privatschulen ausdrücklich. Das Recht zu ihrer Errichtung werde gewährleistet, heißt es in Artikel 7, Absatz 4. Allerdings formuliert die Verfassung auch eine Bedingung, die gemeinhin als "Sonderungsverbot" bezeichnet wird: Die Genehmigung einer Privatschule wird daran geknüpft, "dass eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird". Gilt diese Bedingung für alle Privatschulen, werden für private Grundschulen in Artikel 7, Absatz 6 noch darüber hinausgehende Anforderungen gestellt. Sie seien "nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt". SZ Die Eltern wollen eben das Beste für ihr Kind. Kann man ihnen das vorwerfen? Nein. Man darf das weder den Eltern vorwerfen noch den privaten Schulen. Beide verhalten sich rational. Das Problem ist: Was die Eltern für das Beste für ihr Kind halten, kann Gift für die Gesellschaft sein. Wer etwas tun muss, ist die Politik. Sie sollte das Schulgeld begrenzen? Das Problem ist, dass wir häufig gar nicht wissen, was die Privatschulen kosten. In Hessen ist das anders, da hat die Landesregierung 2015 alle Privatschulen gefragt. Das Ergebnis: 18 Prozent nehmen gar kein Schulgeld, etwa die Hälfte nimmt mehr als 200 Euro im Monat, knapp fünf Prozent verlangen über 1000 Euro, Ermäßigungen gibt es meistens nicht. Das ist mit dem Grundgesetz eigentlich nicht vereinbar. Um solche Exzesse in den Griff zu kriegen, sollte man das Schulgeld für die ärmeren Familien begrenzen. Aber das reicht nicht. Warum nicht? Nimmt eine Privatschule ein ärmeres Kind an, das vom Schulgeld befreit ist, verliert sie Geld. Warum sollte sie das tun? Berlin will nun nicht nur eine Begrenzung des Schulgelds einführen, sondern auch eine Förderung für Privatschulen, die Kinder aus unteren Schichten aufnehmen. Das wäre endlich ein Mechanismus, der funktionieren könnte. Aber andererseits dürfen wir den Einfluss des Schulgelds auch nicht überschätzen. In Rheinland-Pfalz ist Schulgeld verboten - und trotzdem sehen wir eine ähnlich starke Spaltung an den Grundschulen in Mainz oder Koblenz wie in Berlin, wo wir zum Teil exorbitant hohe Schulgelder haben. Private Schulen werden also auch unabhängig vom Schulgeld zur Flucht aus dem öffentlichen System genutzt. Was kann die Politik dann überhaupt tun? Sie muss eigentlich nur das Grundgesetz durchsetzen, vor allem bei den Grundschulen. Das heißt: Nicht jede Gründung einfach durchwinken. Sondern prüfen, ob es diese private Grundschule wirklich braucht. Da sollten sich die Landesregierungen durchaus auch einmal auf einen Rechtsstreit einlassen.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schulen-absetzbewegung-der-mittelschicht-1.4262629
"Schulen - ""Absetzbewegung der Mittelschicht"""
00/12/2018
Warum boomen Privatschulen gerade im Osten? Ein Gespräch mit dem Bildungsforscher Marcel Helbig.
[]
mlsum_de-train-220611
mlsum_de-train-220611
An der Uni Marburg experimentiert der Anglist Jürgen Handke mit Robotern in der Lehre. Der Gipfel der Digitalisierung - doch Handke und sein Team besteigen ihn allein. "Solutions!" ... "Solutions!!" Zum siebten, achten Mal ruft Jürgen Handke das schon. Ein bisschen laut ist er geworden und er hat die Knie gebeugt, um den Befehl direkt auf Peppers blanke, weiße Glatze zu richten. Dort sitzen die Mikrofone, mit denen der Roboter hört. Doch der Ruf, den Handke mit dem gleichen Elan ausstößt wie Harry Potter ein Zauberwort, bleibt folgenlos. Die 1,20 Meter kleine Maschine mit den menschenähnlichen Formen blickt stumm auf die Bankreihen voller Studenten. Erst als Handke das Tablet auf Peppers Brust bedient, klappt es: "Okay, we will go to the solutions", sagt der Roboter mit metallischer Kinderstimme und gestikuliert mit seinen gelenkigen Armen. Dann verrät er die Lösungen der Aufgaben, die er den Teilnehmern in Handkes Kurs "History of English" zuvor gestellt hat - und erklärt sie sogar. Es sind diese kleinen Pannen, die das Projekt des Professors voranbringen. Fehleranalyse, Korrektur in der Programmierung der Roboter-App, weiter geht's. Handke, 64, ist Anglist an der Philipps-Universität Marburg und hat sich auf Computerlinguistik und Webtechnologie spezialisiert. Er will herausfinden, inwieweit man Roboter als Assistenten in der Hochschullehre einsetzen kann. H.E.A.R.T heißt sein Projekt, das seit Mai 2017 vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Das Akronym steht für "Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching". Es sei "einmalig, dass Roboter an einer deutschen Uni mehr machen, als im Hörsaal zu winken", sagt Handke über seine Arbeit. Was er und sein Team mit den vier humanoiden Robotern in Marburg zuwege bringen, interessiert deshalb weit über Hessen hinaus. Handke tritt im Fernsehen auf, führt die Roboter auf Wissenschaftskonferenzen und Messen vor. "Er ist ein Vorreiter, ich kenne im gesamten deutschsprachigen Raum sonst niemanden, der aktiv mit Robotern in der Lehre experimentiert", sagt Martin Ebner, Bildungsinformatiker an der TU Graz. Diesen Mut zur Praxis braucht es aus seiner Sicht, denn die Potenziale intelligenter Technik entwickelten sich erst mit ihrem Einsatz. "Nur wenn der Forscher sieht, was gut oder nicht so gut läuft, kann er die Entwicklung entsprechend vorantreiben", sagt der Experte für Lehr- und Lerntechnologien. Wie weit es Jürgen Handke mit seiner Feldforschung gebracht hat, zeigt ein Besuch im Erdgeschoss des Anglistik-Instituts. Raum 012, auf dem Türschild steht "Yuki", daneben ist ein Roboter mit einem Herz auf der Brust abgebildet. Yuki, baugleich mit Pepper, aber eine Generation jünger, bietet hier Sprechstunden für Studenten an. Acht Tage dauert das Ende November begonnene Experiment, das laut Handke "wahrscheinlich eine Weltpremiere" ist. Es ist der erste große Praxistest für Yukis Student-Advisor-App, an der sie im Institut monatelang getüftelt haben. Yuki soll einfache Auskünfte geben: Kursdaten, Klausur- und Sprechstundentermine - lauter Informationen, die Handke sonst ungezählte Male selbst runterbeten muss. Aber Yuki nimmt seinem Boss auch komplexere Aufgaben ab: Er kann eine halbe Minute lang referieren, wovon Handkes Kurs handelt, auf Wunsch spielt er noch ein Erklärvideo ab. Und er kann den Studierenden sagen, wo sie Lücken haben. "Hello Louisa", sagt der Roboter Die nächste Verabredung hat Yuki mit Louisa Oesterle. Die 20-jährige Studentin hat einen QR-Code auf ihr Smartphone geladen, den sie Yuki jetzt vor die Kameraaugen hält, damit er sie identifizieren kann. "Hello Louisa", sagt der Roboter in freudigem Ton, dann bittet er die ihm gegenübersitzende Studentin um einen Moment Geduld. Er will prüfen, was Oesterle in Handkes Kurs "History of English" bereits geleistet hat. Die dafür benötigten Daten bezieht er von der digitalen Lernplattform, die alle Kursteilnehmer benutzen. Könnte Yuki die Stirn runzeln, er würde es nun tun: Oesterle hat in zwei Lerneinheiten ihre Arbeitsblätter nicht erledigt. "I'm concerned about this situation", sagt Yuki und klingt ehrlich besorgt. Oesterle muss grinsen. Die Arbeitsblätter würden ihr helfen, das Gelernte besser zu verstehen, betont Yuki, woran es denn gelegen habe? Als Oesterle technische Probleme anführt, erklärt er ihr die Hilfefunktionen der Lernplattform und empfiehlt, auf einen Computer der Uni umzusteigen, falls ihr eigener streikt.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/studium-der-professor-und-sein-robo-assistent-1.4254015
Studium: Der Professor und sein Robo-Assistent
00/12/2018
An der Uni Marburg experimentiert der Anglist Jürgen Handke mit Robotern in der Lehre. Der Gipfel der Digitalisierung - doch Handke und sein Team besteigen ihn allein.
[]
mlsum_de-train-220612
mlsum_de-train-220612
Über deutsche Promotionsordnungen hat sich bisher niemand beschwert. Schließlich sind sie in der allerbesten Bürokratensprache formuliert und lassen keinen Raum für Missverständnisse. Nur haben die Universitäten vor lauter Paragrafen auf einen Warnhinweis verzichtet: Wer promoviert, schadet der eigenen Gesundheit. Es häufen sich die Berichte, wonach eine Promotion nicht nur einen Titel bringt, sondern in vielen Fällen auch krank macht. Eine Harvard-Studie stellte erst kürzlich fest, dass 18 Prozent der untersuchten Elitestudenten an einer psychischen Störung leiden. Das deckt sich mit anderen Untersuchungen. Wer einen Doktortitel anstrebt, hat demnach ein sechsmal höheres Risiko depressiv zu werden als Menschen ohne akademischen Titel. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Es kann extrem frustrierend sein, jahrelang an einem Nischenthema zu forschen, das vermutlich nicht einmal den eigenen Doktorvater groß juckt und das schon gar nicht in den einschlägigen Journals zitiert wird. Nur ein Viertel der Promovierenden hat überhaupt das Gefühl, an einer für die Gesellschaft nützlichen Sache zu arbeiten. Verglichen mit der übrigen Bevölkerung ist das eine katastrophal kleine Zahl. Wenn dann noch ins Bewusstsein sickert, dass angehende Wissenschaftler trotz der ganzen Anstrengung bestenfalls mit einer prekär bezahlten und befristeten Anstellung rechnen dürfen, ist das Elend komplett. Da hilft es auch nicht, mit der Freiheit zu argumentieren, die auf die Doktoranden angeblich wartet. Die Studenten sollten sich lieber fragen, ob sie sich auf so ein fragwürdiges System einlassen wollen. Und die Universitäten müssen sich fragen, ob sie ungeeignete Akademiker weiter mit falschen Versprechen anlocken wollen. Bei inzwischen 30 000 jährlich in Deutschland vergebenen Doktortiteln ist jedenfalls ausgeschlossen, dass alle Studenten angemessen betreut werden. Das sogenannte Betreuungsverhältnis findet in vielen Fällen nur auf dem Papier statt. Außer man versteht darunter ein jährliches Treffen in der Kneipe, wie es manchem Professor nachgesagt wird. Ehrlicher wäre es, die Promotion all jenen zu ersparen, die keine Chance oder keine Ambitionen auf eine akademische Karriere haben. Das würde viel Leid verringern. Mag sein, dass so manches Forschungsprojekt gefährdet wäre. Wenn die Zahl der Doktoranden sinkt, fehlen billige Arbeitskräfte im Labor. Schwer vorstellbar, dass Forschungseinrichtungen darauf verzichten wollen. Zumindest sollten sie aber die Promotionsordnung erweitern - und auf Risiken und Nebenwirkungen hinweisen, wie bei einem Beipackzettel für Medikamente.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/promotion-armer-kranker-doktor-1.4261459
Promotion - Armer, kranker Doktor
00/12/2018
Wer einen Doktortitel anstrebt, leidet häufiger unter psychischen Störungen. Da hilft nur eins: den Allermeisten die Promotion zu verbieten.
[]
mlsum_de-train-220613
mlsum_de-train-220613
Deutsche Universitäten verfügen über zu wenig Geld und Personal, um international glänzen zu können. Kein Wunder, dass sie in Ranglisten schlecht abschneiden. In internationalen Ranglisten schneiden deutsche Universitäten nur mittelmäßig ab. Die Enttäuschung ist dann jedes Mal groß, denn diese Listen werden für Studierende wie für Lehrende immer wichtiger als Maß für Exzellenz und für die Auswahl von Universität, Studienland und akademischen Kooperationspartnern. Aber werden sie der Arbeit, die an deutschen Hochschulen geleistet wird, gerecht? Das muss man stark bezweifeln. Denn deutsche Universitäten haben einen erheblichen Wettbewerbsnachteil: Sie verfügen über weniger Geld und weniger Personal. International gelten die Times Higher Education World Universities Rankings (THEWUR) und das Shanghai Ranking Academic Excellence Survey (SAES) als wichtigste Gradmesser für Exzellenz. Die THEWUR bewerten vor allem Zahlen zu Lehre, Forschung und Zitierhäufigkeit; das SAES wertet die Antworten von etwa 3500 renommierten Professoren aus. Beide setzen ihre Daten jedoch nicht ins Verhältnis zur finanziellen und personellen Ausstattung der Universitäten oder zur Lehrbelastung ihrer Professuren. Gut ausgestattete Universitäten mit geringer Lehrbelastung ihrer Professoren liegen daher notwendigerweise immer vorne. Über den Autor Christoph Clauser, 64, leitete bis Oktober 2018 den Lehrstuhl für Angewandte Geophysik und Geothermische Energie an der RWTH Aachen. Die THEWUR 2019 zählen nur acht deutsche zu den Top-100-Universitäten, das SAES 2018 nur vier; keine rangiert unter den Top 30. Für dieses Abschneiden gibt es viele Gründe. Der wichtigste ist aber eindeutig die ungleiche finanzielle und personelle Ausstattung. Dies erschloss sich mir im Rahmen meiner Mitwirkung im englischsprachigen "Joint Master Program in Applied Geophysics" von drei Hochschulen: der Schweizer ETH Zürich, der niederländischen TU Delft und der RWTH Aachen. Alle drei gehören der IDEA League an, einem Zusammenschluss führender europäischer technischer Hochschulen, und belegten in der neuen THEWUR-Rangliste die Plätze 11, 58 und 87. Ein Vergleich von Haushaltsmitteln, Studierendenzahl, Professuren und ihrer Lehrbelastung zeigt, dass die TU Delft um rund das Fünfeinhalbfache und die ETH Zürich sogar 15-mal bessergestellt ist als die RWTH Aachen. Natürlich erhebt dieser Vergleich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, doch offensichtlich repräsentieren die Ranglistenplätze nicht die Leistung, verstanden als das Verhältnis der geleisteten Arbeit zu den verfügbaren Ressourcen. Setzt man diese Daten ins Verhältnis, wird deutlich: Deutsche Universitäten, hier repräsentiert durch die RWTH Aachen, leisten tatsächlich Beachtliches und sind deutlich besser, als die Ranglisten nahelegen. Diese Schlussfolgerung ist jedoch keine Bestätigung der deutschen Hochschulpolitik, im Gegenteil. Diese hat innerhalb meiner 45 Lebensjahre zwischen Studienbeginn und Emeritierung die Lehrbelastung deutscher Professoren um die Hälfte erhöht und gleichzeitig das Personal im wissenschaftlichen Mittelbau sowie im technischen Bereich der Universitäten drastisch reduziert. Begründet wird dies stets mit der Kapazitätsverordnung. Dieses detaillierte Regelwerk vergleicht Lehrangebot und Lehrnachfrage, bietet aber viele Stellschrauben: So wurde etwa an meiner eigenen Universität im Rahmen der Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem die Doktorandenbetreuung zu einer nicht mehr anrechenbaren Lehrleistung erklärt und somit vollständig zur Privatsache der Professuren.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/studium-universitaet-hochschule-lehre-1.4259475
Studium: Wo die Schwächsten ausgebeutet werden
00/12/2018
Deutsche Universitäten verfügen über zu wenig Geld und Personal, um international glänzen zu können. Kein Wunder, dass sie in Ranglisten schlecht abschneiden.
[]
mlsum_de-train-220614
mlsum_de-train-220614
Zwei Kinder auf dem Weg zur Schule in den 1950er-Jahren: Damals waren die Tornister noch einheitlich aus Leder, nicht so bunt wie heute. Muss ein Firmengründer Ahnung von der Sache haben? Nicht unbedingt, er kann auch ohne Fachkenntnis sehr erfolgreich werden. So jedenfalls erzählt Sven-Oliver Pink die Geschichte seines Unternehmens. Im Jahr 2010 gründete er mit zwei Freunden den Schulrucksack-Hersteller Ergobag. Nicht etwa, weil die Jungs besonders viel über Schulrucksäcke gewusst hätten. Die drei Betriebswirte wollten einfach gerne gründen. Und ergonomische Tornister für Grundschüler hatten sie als Marktlücke ausgemacht. "Den Prototypen haben wir in vier Tagen zusammenbaut", sagt Pink. Vieles sei sicher nicht optimal gewesen. Doch die Motivation war größer als etwaige fachliche Bedenken. "Wir haben die Rucksäcke mit Leidenschaft vertrieben", sagt Pink. Acht Jahre später muss der 39-Jährige ein paar Mal grinsen, wenn er die Geschichte erzählt. Schließlich ist alles gut gegangen, und das ist noch eine Untertreibung. Mit 6000 Taschen fing es in der ersten Fertigung an. Danach haben die Gründer von Köln aus die Grundschulen des Landes erobert. Und sie wollen mehr. Neben Ergobag versuchen Pink und seine Partner mittlerweile, sechs weitere Marken zu etablieren. Rucksäcke für alle Generationen sind im Programm, dazu Bekleidung, alles läuft unter Dachmarke "Fond of". Martin Voegels war einer der ersten Händler, die Ergobags ins Sortiment nahmen. Mit Taschen kennt er sich aus, schließlich betreibt seine Familie seit mehr als 90 Jahren ein Fachgeschäft in der Kölner Innenstadt. Als die Gründer ihn zum ersten Mal besuchten, sei er skeptisch gewesen, sagt Voegels. Ein neuer Anbieter war kaum vorstellbar: "Die Eltern haben für Grundschüler entweder Scout, McNeill oder Step by Step gekauft." Doch der neue Ansatz interessierte Voegels. Das Tragesystem von Ergobag ist Modellen für Bergsteiger nachempfunden. Beckenflossen verlagern einen Teil des Gewichts von den Schultern auf die Hüfte. Durch ein verstellbares Rückenstück wächst der Rucksack mit dem Schüler. So soll sich die Tasche optimal an die Wirbelsäule anpassen. Der Schutz vor Haltungsschäden habe die Eltern überzeugt, sagt Voegels: "Mittlerweile haben alle Konkurrenten mit vergleichbaren Angeboten nachgezogen." Über Jahre sei der Markt zuvor recht konservativ gewesen. Veränderungen gab es nicht. Viele von Voegels Kollegen waren Neulingen gegenüber nicht aufgeschlossen. Es lief ja - Scout für die Kinder, 4You in der weiterführenden Schule. Das Mantra hatte lange Bestand. Zunächst versuchten die Großen daher, Ergobag zu ignorieren. Doch die jungen Kölner erzwangen den Neustart einer lahmen Branche. Nicht nur mit dem Tragesystem setzten sie die Etablierten unter Druck, auch beim Design. Viele Kinder finden den teuren Tornister alter Art rasch doof. Zur Einschulung sind die Einhörner noch das Coolste, zwei Jahre später gibt es nichts Schlimmeres. Ergobag bietet wechselnde Motive zum Ankletten. Auch diese Idee hat die Marke nicht mehr exklusiv.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schulranzen-schule-schueler-ergonomie-1.4255295
Schule - Revolution beim Schulranzen
00/12/2018
Drei Kölner Firmengründer haben den Markt für Schulrucksäcke aufgemischt. Sie setzen auf Ergonomie und wechselndes Design. Inzwischen werden sie sogar nachgeahmt.
[]
mlsum_de-train-220615
mlsum_de-train-220615
In den USA werden etwa 60 Prozent aller Onlineeinkäufe zwischen 9 und 17 Uhr erledigt. Sollten auch Sie sich während der Arbeitszeit mit bürofremden Dingen befassen oder ein paar Minuten Ablenkung von Kollegen, Kantine und E-Mails suchen, haben wir einen Vorschlag: Nutzen Sie die Zeit und trainieren Ihr Gehirn - mit dem wöchentlichen Rätsel auf SZ.de. Finden Sie die Lösung? Das Rätsel der Woche Ein Händler kann entweder acht große oder zehn kleine Kartons in einer Versandbox verstauen. Bei einer Lieferung verschickt er 96 Kartons. Wenn die Lieferung 16 große Kartons mehr als kleine beinhaltet, wie viele Versandboxen versendet der Händler dann insgesamt? Detailansicht öffnen Knobelei der Woche (Foto: Illustration Jessy Asmus) Die Lösung Liebe Leser, vom vielen Päckchenpacken während der Weihnachtszeit waren Sie thematisch offenbar sehr gut vorbereitet auf diese Knobelei. Die Lösung präsentiert Mitspieler Martin K.: "Bei 16 großen Kartons mehr als kleine sind das (96 - 16) : 2 = 40 kleine Kartons -> 40 + 16 = 56 große Kartons 40 : 10 = 4 Versandboxen für kleine Kartons 56 : 8 = 7 Versandboxen für große Kartons 4 + 7 = 11 Versandboxen" Die Lösung lautet also: Der Händler braucht elf Versandboxen. Natürlich könnte die Sache aber auch so laufen, wie Gerhard R. vermutet: "Der Händler verschickt keinen einzigen Karton! Er eröffnet ein Verkäuferkonto bei Amazon und lässt die Kartons von dort aus liefern. Amazon wiederum beauftragt Hermes, 11 Kartons zu versenden." Wir wünschen Ihnen im Voraus frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Die Knobelei macht eine kleine Pause, die nächste Ausgabe gibt es am 9. Januar.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/raetsel-der-woche-knobelei-1.4258276
Rätsel der Woche - Wie verteilen Sie die Kartons?
00/12/2018
Ein kleines Rätsel zur Auflockerung des Büroalltags gefällig? Diesmal müssen Versandboxen befüllt werden.
[]
mlsum_de-train-220616
mlsum_de-train-220616
Manuela Schwesig musste sich rechtfertigen. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern - eine sozialdemokratische Politikerin - schickt ihr Kind nicht auf eine öffentliche Schule. Ihre Beteuerung, die Privatschule sei eben die nächstgelegene, half Schwesig nur bedingt gegen die Welle aus Empörung und Häme, die vor einem Jahr über sie hereinbrach. Denn kaum ein bildungspolitisches Thema erregt die Deutschen so sehr wie Privatschulen. Die Debatte ist emotional, auch weil immer mehr Schüler eine Privatschule besuchen. Heute ist es fast jeder zehnte - das sind doppelt so viele wie Anfang der Neunzigerjahre. Die einen sehen darin einen Zuwachs an Vielfalt, die anderen eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, die der Süddeutschen Zeitung exklusiv vorliegt, dürfte die Debatte anheizen. Privatschulen werden demnach nicht nur immer beliebter, sie werden auch elitärer: Der Anteil von Akademikerkindern in Schulen in freier Trägerschaft hat seit Mitte der Neunzigerjahre deutlich zugenommen. Das gilt besonders für Ostdeutschland, wo sich ein weiterer Trend zeigt: Gerade zwischen Dresden und Rostock werden diese Privatschulen zunehmend zu Bildungsstätten für Besserverdiener. "Die soziale Segregation zwischen den privaten und öffentlichen Schulen wird immer größer", fassen die Autoren der Studie zusammen. Für die Privatschulen ist das ein heikler Befund. Das Grundgesetz billigt ihre Existenz zwar ausdrücklich, doch es verpflichtet sie auch darauf, dass "eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird". Zudem werden auch Privatschulen ihrem Namen zum Trotz zum Großteil aus öffentlichen Mitteln finanziert. Die Forscher um C. Katharina Spieß, Leiterin der Abteilung Bildung und Familie am DIW, stützen ihre Analyse auf Daten des sogenannten Sozio-oekonomischen Panels. Diese Umfrage erhebt seit mehr als 30 Jahren Informationen zum Leben Tausender Menschen in Deutschland, um langfristige gesellschaftliche Trends sichtbar zu machen. So liefern die Daten auch detaillierte Ergebnisse über Privatschüler. Sie kommen im Schnitt aus gebildeteren und wohlhabenderen Elternhäusern als Kinder an öffentlichen Schülern. Und sie haben seltener einen Migrationshintergrund. Im Osten zeigen sich diese Unterschiede deutlich stärker als im Westen. Beispiel Bildungshintergrund: 12 Prozent der Kinder an einer öffentlichen Schule kommen aus einem Akademikerhaushalt - an einer Privatschule sind es im Westen 21, im Osten sogar 35 Prozent. Beispiel Einkommen: Etwa eins von fünf Kindern an einer öffentlichen Schule kommt aus einer Familie, die dem Einkommen nach zum obersten Fünftel der Bevölkerung gehört; an einer Privatschule trifft das im Westen auf jeden dritten Schüler zu (33 Prozent), im Osten sogar auf nahezu jeden zweiten (49 Prozent).
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-privatschule-schueler-1.4258364
Schule: Privatschulen werden beliebter - und elitärer
00/12/2018
Schüler der nichtöffentlichen Lehranstalten kommen zunehmend aus besser verdienenden und gebildeten Familien. Für die Privatschulen ist diese Entwicklung heikel.
[]
mlsum_de-train-220617
mlsum_de-train-220617
Waldorfschulen verfolgen ehrgeizige Ziele: Sie wollen Schulen sein "ohne Auslese" und Diskriminierung. So steht es in der Stuttgarter Erklärung, einer Art Waldorf-Grundgesetz. Alle Schüler und Menschen werden als gleich angesehen - unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion und "politischer oder sonstiger Überzeugung". So sollte es sein. Doch was tun, wenn plötzlich Kinder von Eltern angemeldet werden, die diese Offenheit nicht teilen? Am vergangenen Freitag berichtete die Berliner Zeitung, dass eine Berliner Waldorfschule ein Kind abgelehnt hat, weil dessen Vater für die AfD im Abgeordnetenhaus sitzt. Deshalb hätten einige Eltern befürchtet, dass der Politiker den Schulalltag beeinflussen und Unruhe stiften könnte. "Angesichts dieses Konfliktes sieht die Schule keine Möglichkeit, das Kind mit der nötigen Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit aufzunehmen", sagte der Geschäftsführer des Trägervereins. Um die Rechte des Kindes zu schützen, nennt die Berliner Zeitung weder den Namen des Abgeordneten noch der Schule. Man habe sich aber "wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Auseinandersetzung" für eine Berichterstattung entschieden. Und inzwischen hat sich an dem Einzelfall eine grundsätzliche Debatte entsponnen. Im Kern geht es um die Frage: Darf ein Kind bestraft werden für die politische Überzeugung seines Vaters? Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) teilte mit, sie sehe es "äußerst kritisch", sollte eine Schule bei der Auswahl ihrer Schüler nach der politischen Gesinnung der Eltern entscheiden. Die Berliner Senatsschulverwaltung will noch am Montag eine Stellungnahme des Schulträgers fordern. Und Henning Kullak-Ublick, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Freien Waldorfschulen, betonte gegenüber der SZ, dass es sich um eine "Einzelentscheidung der Schule" handeln würde, die "nicht die Haltung der Waldorfschulen ausdrückt". Den Berliner Fall wollte er zwar nicht kommentieren, verwies aber auf die Stuttgarter Erklärung. Kullak-Ublick sagte: "Wir stehen für alle Kinder offen." Das stimmt allerdings nur bedingt. Waldorfschulen müssen schon aus dem Grund auswählen, weil sich oft mehr Kinder anmelden als freie Plätze vorhanden sind. Für die 30 Plätze an jener Berliner Schule gab es 140 Bewerber. Bei der Auswahl sind Privatschulen zwar an das Schulgesetz gebunden, haben aber auch Spielraum. Oft würden weiche Kriterien entscheiden, sagt Kullak-Ublick. Zum Beispiel, dass ein ausgewogenes Verhältnis von Jungen und Mädchen entsteht. Wer zum Beispiel schon Geschwister an der Schule hat, wird bevorzugt. An der Berliner Waldorfschule war die Entscheidung besonders kompliziert. Auch weil das Kind bereits die Waldorf-Kita besucht hatte - eigentlich ein Argument für eine Aufnahme. Es gab intensive Debatten und eine Elternversammlung. Im November befragten Lehrer den AfD-Abgeordneten und dessen Ehefrau. Der Vater betonte nun, er habe Politisches und Privates trennen wollen. Doch das überzeugte das Aufnahmegremium offenbar nicht. "Eine Schule ist wie das Brennglas der Gesellschaft", sagte der Geschäftsführer des Trägervereins der Berliner Zeitung. Offenbar war die Schule in der Frage gespalten. Während die einen argumentierten, dass ein Kind nicht für seine Eltern bestraft werden dürfe, warnten andere, das Schulklima könnte leiden. Eine Befürchtung, für die es durchaus Gründe gibt. Die AfD richtet im ganzen Land Online-Plattformen ein, auf denen sich Schüler und Eltern beschweren können, wenn Lehrer aus ihrer Sicht gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Die Berliner Waldorfschule hat für sich beschlossen, den Grundkonflikt nicht lösen zu können. "Der Fall wird in den eigenen Reihen kritisch diskutiert", sagt Kullak-Ublick. Er will ihn auch zum Anlass nehmen, "um sich grundsätzlich Gedanken über unsere Aufnahmepolitik zu machen".
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/waldorfschule-afd-berlin-1.4257213
Waldorfschule lehnt Kind ab, weil Vater in der AfD ist
00/12/2018
Der Mann sitzt für die Partei im Berliner Abgeordnetenhaus. Selbst Bildungssenatorin Scheeres sieht die Abweisung kritisch.
[]
mlsum_de-train-220618
mlsum_de-train-220618
An deutschen Schulen kommt die ökonomische Bildung zu kurz. Das ist von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen immer wieder zu hören. Und viele Menschen teilen diese Ansicht: Schließlich wissen nur wenige Schüler am Ende der Schulzeit, wo sie einmal arbeiten wollen und wie sie dann für das Alter vorsorgen sollen. Die Landesregierung von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen hat nun Fakten geschaffen: Vom Schuljahr 2020/21 an soll an allen allgemeinbildenden Schulen im Land das Pflichtfach Wirtschaft unterrichtet werden. Der Unternehmerverband gratulierte prompt. Aber ist das wirklich nötig? Reinhold Hedtke, Sozialwissenschaftler an der Uni Bielefeld, beobachtet die Debatte seit Jahren mit Skepsis. "Von dem einen Lager wird mehr Wirtschaft gefordert, von dem anderen mehr politische Bildung, aber niemand weiß genau, wie die Lage an den Schulen wirklich ist", sagt er. Zusammen mit seinem Kollegen Mahir Gökbudak hat er sich deshalb Lehrpläne und Stundentafeln vorgenommen und durchgerechnet, wie sich die gesamte Lernzeit für Wirtschaft, Politik und Sozialkunde an allgemeinbildenden Schulen von Klasse fünf bis zehn verteilt - ein kompliziertes Unterfangen, weil Fragen etwa zum politischen System der Europäischen Union oder zum Freihandel oft in einem Fach besprochen werden. Das überraschende Ergebnis liegt der Süddeutschen Zeitung exklusiv vor: Schon jetzt ist für Schüler in NRW viel mehr Zeit für ökonomische als für politische und gesellschaftliche Themen vorgesehen. Die Schlussfolgerung ist für Hedtke klar: "Bildungspolitiker lassen sich durch gefühlte Fakten leiten." Je nach Schulform machen wirtschaftliche Inhalte an NRW-Schulen 56 bis 69 Prozent der Inhalte in diesem Fachbereich aus, die Politik 20 bis 28 Prozent. Sämtliche soziale Themen werden in elf bis 18 Prozent der Lernzeit durchgenommen. Am größten ist der Wirtschaftsanteil an den Gesamtschulen. In anderen Bundesländern, vermuten die Wissenschaftler, könnte die Tendenz sogar noch deutlicher ausfallen. Verlässliche Zahlen liegen noch nicht vor. Hedtke widerspricht daher auch SPD und Grünen in NRW, die der Regierung eine für Union und FDP typische Klientelpolitik vorwerfen. "Wenn Interessensvertretungen jahrelang den Mangel an ökonomischer Bildung beklagen, setzt sich in den Köpfen fest, dass da ein Handlungsbedarf besteht - und zwar bei Bildungspolitikern aller Couleur", sagt er. Ins Gewicht fällt bei der Berechnung, dass Hedtke und Gökbudak auch außerunterrichtliche und außerschulische Bildung einbezogen haben, die für Schüler in NRW verpflichtend ist. Im Bereich Wirtschaft sind da aufzuzählen: die Berufsorientierung bei der Bundesagentur für Arbeit; eine "Potenzialanalyse" für Achtklässler, die von privatwirtschaftlichen Anbietern durchgeführt wird; "Berufsfelderkundungen" wie ein mindestens zweiwöchiges Betriebspraktikum. Ähnliche Maßnahmen gibt es in den Bereichen Politik und Soziales nicht: kein verpflichtendes Sozialpraktikum, kein Politikpraktikum, in dem Schüler lernen würden, in politischen Zusammenhängen aktiv zu werden. Zwar könnten engagierte Lehrer diese Lücke schließen, aber das überlasse die Bildungspolitik dem Zufall, sagt Hedtke: "Angesichts dessen, dass immer mehr Menschen sich von der Demokratie distanzieren, dass die soziale Ausgrenzung und der Fremdenhass zunimmt, finde ich das bedenklich. Wenn man etwas über Gesellschaft und Politik lernen will, muss man aus der Schule rausgehen." Untersuchungen zum Thema fehlen Betrachtet man den Anteil von Wirtschaftsunterricht im Kontext aller Fächer, schwindet der scheinbare Eindruck der Dominanz allerdings. 62 Minuten Unterrichtszeit pro Woche werden an Gesamtschulen im Schnitt für Ökonomie genutzt, am Gymnasium sind es 48 Minuten. Und am Ende sind es doch oft die Schüler selbst, die klagen, dass sie nicht wissen, welcher Weg der richtige für sie ist. Brauchen sie dabei nicht doch mehr Hilfe? "Ich bin überhaupt nicht optimistisch, dass man das mit Maßnahmen der Berufsorientierung in den Griff bekommen kann", sagt Hedtke. "Wenn ich mir allein die Zahl der Ausbildungsberufe und Studiengänge anschaue, ist eine rationale Entscheidung gar nicht möglich. Die Schüler brauchen Abstand und dann treffen sie eine Entscheidung." Tatsächlich fehlen bisher Untersuchungen dazu, wie effizient verschiedene Maßnahmen der Berufsorientierung sind. Diese sollte man aber anstellen, bevor man mehr davon fordert, sagt Reinhold Hedtke: "Wenn man bildungspolitisch etwas ändern will, dann bitte auf wissenschaftlicher Grundlage."
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-wirtschaft-politik-lehrer-nrw-1.4254017
Schule - Brauchen wir mehr ökonomische Bildung?
00/12/2018
Nordrhein-Westfalen führt das Schulfach Wirtschaft ein, um das Ökonomie-Defizit zu lindern. Doch das gibt es gar nicht, zeigt eine Studie - im Gegenteil.
[]
mlsum_de-train-220619
mlsum_de-train-220619
Fast jeder zweite Hauptschüler in Deutschland fühlt sich von ungewissen Zukunftsaussichten verunsichert - deutlich mehr als noch vor fünfzehn Jahren. Der Grund: Sie profitieren kaum von der guten wirtschaftlichen Gesamtlage. Fast jeder zweite Hauptschüler in Deutschland fühlt sich von ungewissen Zukunftsaussichten verunsichert - deutlich mehr als noch vor fünfzehn Jahren. Das geht aus einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) hervor, für die bundesweit knapp 1200 Schüler kurz vor dem Hauptschulabschluss befragt wurden. Die Untersuchung liegt der Süddeutschen Zeitung exklusiv vor. Keine Frage treibt die befragten Jugendlichen demnach mehr um. Nicht zu wissen, was einmal aus ihnen wird, empfinden 46 Prozent von ihnen als Belastung. Das Thema rangiert damit weit vor gesundheitlichen Problemen (37 Prozent) sowie Ärger mit den Eltern (27 Prozent) oder mit Gleichaltrigen (20 Prozent). Bei der letzten Befragung 2004 hatten nur 37 Prozent von Zukunftssorgen berichtet. Jeder vierte Jugendliche verlässt die Schule maximal mit einem Hauptschulabschluss. Die Zahlen spiegeln laut DJI wider, dass Hauptschüler kaum von der guten wirtschaftlichen Gesamtlage profitieren. So habe sich zwar der Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt, dennoch erhalte nur jeder zweite Schulabgänger mit Hauptschulabschluss eine vollwertige Ausbildungsstelle. "Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass sich trotz der steigenden Zahl an unbesetzten Lehrstellen bei Jugendlichen mit Hauptschulabschluss große Unsicherheiten zeigen", sagt Studienleiterin Birgit Reißig. In der Befragung gaben mehr Männer als Frauen an, sich unsicher zu fühlen (54 gegenüber 40 Prozent). Unter den angestrebten Berufen findet sich Einzelhandelskauffrau bzw. -mann bei Hauptschülerinnen auf dem ersten, bei Hauptschülern auf dem zweiten Platz. Dies deute, so die Studie, "auf die vorgezeichnete Ausübung von Dienstleistungsberufen im Niedriglohnsektor hin"; geringe Bildungsvoraussetzungen drohten sich so "in prekär entlohnte Beschäftigungsverhältnisse zu verfestigen". Darüber hinaus deuteten die Berufswünsche auf das Fortwirken überkommener Geschlechterklischees hin. Viele Schülerinnen wollen Erzieherin oder Arzthelferin werden, Schüler zieht es vor allem in männlich konnotierte Handwerksberufe wie Kfz-Mechatroniker, Tischler oder Schreiner.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/hauptschule-ungewisse-aussichten-1.4254019
Ungewisse Aussichten
00/12/2018
Fast jeder zweite Hauptschüler in Deutschland fühlt sich von ungewissen Zukunftsaussichten verunsichert - deutlich mehr als noch vor fünfzehn Jahren. Der Grund: Sie profitieren kaum von der guten wirtschaftlichen Gesamtlage.
[]
mlsum_de-train-220620
mlsum_de-train-220620
Wer sich ausgerechnet im Internet kundig machen möchte, warum es sinnvoll ist, Bücher zu lesen, richtige Bücher mit Seiten aus Papier und gedruckten Buchstaben darauf, der wird reichlich mit gutem Rat versorgt. Er stößt auf Einträge volksbildnerischer Institutionen und Persönlichkeiten, die uns die "10 Gründe, warum lesen wichtig ist" verraten oder "9 gute Gründe, die für das Buch sprechen" oder auch "Die 7 nützlichen Vorteile guter Lektüre". Bei letzterer Empfehlung habe ich Vorbehalte. Wer gute Lektüre bloß für einen Vorteil hält, noch dazu für einen nützlichen, der ist vielleicht doch nicht beim wahren Glück des Lesens angekommen. Denn er verharrt noch in einem Denken, in dem alles seinen Nutzen haben muss, und zwar einen vorteilhaften, also bei einer Sicht auf die Welt, die die Literatur gerade erschüttern möchte, indem sie uns an die Notwendigkeit des Überflüssigen, vermeintlich Nutzlosen erinnert. Aber ich mag nicht über andere lästern, die aus anderen Gründen als ich zum Lesen von Büchern auffordern. An zwei Gründe ist gerade in der Vorweihnachtszeit zu erinnern: Erstens sind Bücher vorzügliche Geschenke, sie kosten nicht allzu viel, sind leicht zu transportieren, und wer in eine Buchhandlung geht, kann dort stöbern, um das zu finden, was ihm fehlte, ohne dass er es wusste; und er trifft auf Buchhändlerinnen, die ihn beraten, was das Richtige für ihn oder für ein Geschenk sein könnte, das er jemand ganz Besonderem machen möchte. Wer Bücher kauft, sichert zudem den Buchhandlungen, diesen Nahversorgern mit Überlebensmitteln, die Existenz, und das ist eine wichtige Sache für unsere Zivilisation, nicht nur, weil es von deren traurigem Verfall zeugen würde, wenn wir beim Erwerb von Büchern auf Amazon angewiesen wären. Wer möchte sich bei Menschen, die er schätzt, schon mit einem Geschenk einstellen, das von schlecht bezahlten, permanent überwachten Arbeitssklaven bereitgestellt und angeliefert wird, deren Dienstherr sein weltweites Imperium darauf gründet, immer neue Tricks zu finden, wie er straflos gegen Arbeitsgesetze verstoßen kann und Steuern, die fällig wären, nicht entrichten muss? Ja, wer möchte das schon? Offenbar viele, unglaublich viele. Wer den Siegeszug von Amazon und anderen Konzernen der digitalen Ära betrachtet, muss darüber ins Zweifeln kommen, ob der Mensch als Konsument dazu befähigt ist, Mitgefühl zu empfinden oder gar Solidarität zu üben; denn sobald seine Bequemlichkeit oder sein noch so geringer finanzieller Vorteil auf dem Spiel stehen, ist es mit dem einen wie der anderen nicht weit her. Wie es in den Lagerhallen von Amazon zugeht oder was Airbnb auf dem Wohnungsmarkt anrichtet, das ist ja kein Geheimnis, wir alle wissen es; aber Millionen, die über den unerträglichen Druck klagen, dem sie selbst an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt sind, oder über die horrenden Summen, die sie für ihre Wohnungen aufzuwenden haben, bestellen doch alle Tage bei Amazon und mieten sich in den Ferien über Airbnb ein. Bücher haben es heute schwer Ehe ich mich in einem völlig nutzlosen Lamento verliere, zurück zu den Büchern. Die haben es heute tatsächlich schwer. Auf einer literarischen Tagung traf ich kürzlich einen Literaturprofessor aus Skandinavien, und weil er mir mit seinem klugen Referat aufgefallen war, fragte ich ihn, ob ich seinem Institut ein Gratisabonnement der von mir herausgegebenen Literaturzeitschrift stiften solle. Da machte der beredte Mann, ein Mensch der Bücher von seiner Profession und aus alter Leidenschaft, verzweifelte Miene und klärte mich auf, welcher Fortschritt über die schwedischen Universitäten verhängt worden sei. Seit zwei Jahren, erfuhr ich, dürfen die Bibliotheken der philosophischen Fakultäten keine Bücher mehr erwerben, weil sie dazu verpflichtet wurden, die bereits vorhandenen zu digitalisieren und neue nur in dieser Form zu erstehen. Bücher sind also gerade dabei, aus dem Sichtbereich der Studierenden und Forschenden zu verschwinden, werden die Lesesäle doch von ihnen wie von Zeugnissen einer düsteren Ära leer geräumt, dafür aber digital hochgerüstet. Haben Bibliothekare früher geklagt, zu wenig Geld zu haben, um all die Bücher zu bestellen, die sie für wichtig halten, müssen sie sich heute damit abfinden, dass es ihnen nicht einmal mehr gestattet ist, Büchergeschenke anzunehmen. Wenn in Bibliotheken Bücher wie staubiger Müll behandelt werden, den es zu beseitigen gilt, lobe ich mir den Müllmann José Alberto Gutiérrez, der die Bücher aus dem Müll holt und mit ihnen seine eigenen Bibliotheken schafft. Gutiérrez hat kein Studium der Literatur absolviert, dafür aber 20 Jahre bei der Müllabfuhr der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá gearbeitet, einer Universität des Lebens, die ihn den Wert des Buches lehrte. Rund 50 000 Bücher hat er über die Jahre im Abfall entdeckt und gerettet. Irgendwann kam ihm die Idee, dass gerade Bücher die richtige Sache für die Leute in den Armenvierteln wären. Mittlerweile hat er rund hundert vorstädtische Bibliotheken gegründet und mit einer kleinen Anzahl von Büchern für Kinder und Erwachsene ausgestattet. Seine Kollegen, die seine Leidenschaft anfangs belächelten, sind längst dazu übergegangen, ihm von ihren Touren Bücher mitzubringen, auf dass er sie der Hauptbibliothek in seinem eigenen Häuschen eingliedere oder in eine von deren Filialen bringe. Zur Weihnachtszeit werde ich manchmal gefragt, welche Bücher ich als Geschenk empfehle. Ob es ein umfangreicher Roman, eine schmale Sammlung stillschöner Gedichte oder ein wohlrecherchiertes Sachbuch ist - gleichviel. Man kann es mit dem, welches Buch es sein soll, auch übertreiben. So wie die beiden russischen Literaturfreunde aus der Stadt Irbit im Ural, die darüber in Streit gerieten, wem die höhere Ehre gebühre, der Prosa oder der Lyrik. Den beiden Betrunkenen war die Frage so wichtig, dass sie erregter und erregter argumentierten, bis der eine das Messer zog und am Ende der Freund der Prosa verblutete, der Verehrer der Lyrik hingegen zum Mörder geworden war. Bücher sind aber dazu da, dass wir besser leben, nicht dass wir zu töten lernen. Darauf möchte ich nicht nur zur Weihnachtszeit bestehen.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/buecher-das-wahre-glueck-des-lesens-1.4253428
Kolumne von Karl-Markus Gauß: Lesen
00/12/2018
Viele greifen bloß zu Büchern, die nützlich sind. Dabei liegt das Besondere beim Lesen im vermeintlich Überflüssigen.
[]
mlsum_de-train-220621
mlsum_de-train-220621
Fünf Milliarden Euro will Berlin für die Digitalisierung der Schulen zahlen. Doch die dafür vorgesehene Verfassungsänderung lehnen die Länder ab. Die Länder haben die vom Bund angestrebte Grundgesetzänderung für Finanzhilfen zur Schul-Digitalisierung vorerst gestoppt. Der Bundesrat beschloss einstimmig, den gemeinsamen Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag für eine "grundlegende Überarbeitung" anzurufen. In der Sitzung der Länderkammer machten mehrere Ministerpräsidenten über Parteigrenzen hinweg grundlegende Vorbehalte gegen die Pläne des Bundes deutlich. Dies sei ein "Frontalangriff auf unsere föderale Ordnung", sagte der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne). "Wir wollen keine Verzwergung der Länder." Bei der digitalen Ausstattung der Schulen gelte es, richtig Gas zu geben. Mit der geplanten Grundgesetzänderung hätten Bundesregierung und Bundestag aber einen falschen Weg eingeschlagen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zeigte sich verärgert, "wie durch die Hintertür das Selbstbestimmungsrecht der Länder beschnitten werden soll". Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) mahnte: "Das Grundgesetz ist viel zu wichtig, als dass man in einem Schnelldurchlauf jetzt wesentliche Änderungen dort trifft." Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) warnte vor einer dauerhaften Zerstörung des Föderalismus. "Das ist ein vergiftetes Geschenk der schlimmsten Art." Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, mit der Bildung als Urkompetenz der Länder werde "der föderale Nerv getroffen". Der Bundestag hatte die umstrittenen Pläne Ende November beschlossen, nachdem sich die große Koalition mit FDP und Grünen geeinigt hatte. Demnach soll das Grundgesetz geändert werden, so dass der Bund die geplante Digitalisierung der Schulen fördern kann, obwohl nicht er für die Schulen zuständig ist, sondern die Länder. Der Bund will den Ländern dafür in den kommenden fünf Jahren fünf Milliarden Euro überweisen. Er will aber auch ein Mitspracherecht bei Qualität und Personal der Schulen haben. Das wollen viele Länder allerdings nicht. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte bereits vor der Bundesratssitzung der Rheinischen Post, sie hoffe auf eine vernünftige und zügige Einigung im Vermittlungsausschuss. Auch die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, rief zu einem raschen Ende des Streits auf. "Es ist wichtig, dass der Vermittlungsausschuss sich rasch zusammensetzt und ein gemeinsames Ergebnis findet", sagte sie. "Der Digitalpakt und wichtige Investitionen in Bildung dürfen nicht politisch verstolpert werden."
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-schule-bundesrat-1.4253469
Digitalpakt - Länder rufen Vermittlungsausschuss an
00/12/2018
Damit kann auch der Digitalpakt zur finanziellen Unterstützung der Schulen durch den Bund vorerst nicht in Kraft treten.
[]
mlsum_de-train-220622
mlsum_de-train-220622
Forscher behaupten immer wieder das Gegenteil. Richtig aber ist: Die Gene haben kaum einen Effekt - es kommt auf die Förderung an. Manchmal ergibt ein einziges Wort einen großen Unterschied. Carol Dweck, eine der weltweit führenden Forscherinnen auf dem Gebiet der Lernmotivation, erzählt dazu in Vorträgen gerne von einer Schule in Chicago, auf der Schüler nach einer schlechten Leistung anstatt der Note "nicht bestanden" die Note "noch nicht bestanden" bekommen. Ein minimaler Unterschied, mit großer Wirkung. Das "noch" transportiert nämlich etwas, das sich in zahlreichen Studien mit Hunderttausenden Schülern als einer der zentralen Motoren für Lernen und Leistung erwiesen hat: die Überzeugung, dass jeder prinzipiell zu guten Leistungen fähig ist, weil Intelligenz nichts Angeborenes oder Festes ist, sondern vielmehr erst durch bestimmte Lernerfahrungen entsteht. Und diese kann man durch bessere Lernstrategien, mehr Anstrengung oder besseren Unterricht erreichen. Schlägt man aktuell eine Zeitung auf, findet man immer wieder Beiträge von Wissenschaftlern, in denen die gegenteilige Überzeugung verbreitet wird - dass Intelligenz hochgradig vererbt sei. Aus diesem angeblichen Einfluss der Gene werden bildungsbezogene Schlüsse gezogen: "Das Verständnis, dass die DNA den wichtigsten Einfluss auf den Bildungserfolg hat, kann Eltern helfen, die Schwierigkeiten ihres Kindes zu akzeptieren", schrieb der Genforscher Robert Plomin Anfang Oktober in der Zeit. 2015 behauptete er dort sogar: "zehn Prozent sind das, was Lehrer aus einem Kind herausholen können". Und die Intelligenzforscherin Elsbeth Stern schrieb unlängst in der Zeitschrift Forschung und Lehre: "Ich halte sehr viele Vorträge vor Lehrern und Lehrerinnen, und die akzeptieren inzwischen, dass angeborene Intelligenzunterschiede existieren". Solche Sätze haben eine fatale Wirkung auf Schüler, Eltern und Lehrkräfte. Demnach wären schlechte Leistungen naturgegeben und müssten hingenommen werden. Anstatt zu versuchen, etwas zu lernen, sollten die betroffenen Kinder dann besser lernen, mit ihrer Dummheit gut zu leben. In den entsprechenden Beiträgen wird auf umfangreiche Studien verwiesen, die scheinbar zeigen, dass die Intelligenz zu mindestens 50 Prozent und im Erwachsenenalter sogar bis zu 70 Prozent oder mehr vererbt sei. Ein genauerer Blick hinter diese Studien eröffnet allerdings eine Welt, in der nichts so ist, wie es zunächst erscheint, und in der sich offenbar selbst Fachexperten verirren. Der Begriff der "Erblichkeit" ist in dieser Welt sehr eigentümlich definiert, ohne dass dies bei der Interpretation der Ergebnisse beachtet und in der Kommunikation nach außen kenntlich gemacht wird. Um es vorwegzunehmen: Der Blick hinter diese Studien zeigt genau das Gegenteil - dass Gene in Wirklichkeit bei der Intelligenz kaum eine Rolle spielen. Diese sogenannten populationsgenetischen Studien halten diverse Überraschungen bereit. Die wohl größte ist: Die Studien untersuchen gar nicht, ob bestimmte Gene die Intelligenz verringern oder erhöhen. Das wird erst in jüngerer Zeit erforscht - mit ganz anderen Ergebnissen, wie wir noch sehen werden. Stattdessen ermitteln die Studien, wie stark in einer Gruppe die IQ-Werte von Individuen um den Mittelwert der Gruppe streuen - egal, wo dieser Mittelwert liegt. Die Annahme ist, dass die Streuung durch genetische Unterschiede und unterschiedliche Umwelteinflüsse erzeugt wird. Je unterschiedlicher die Gene und die jeweilige Umwelt sind, umso breiter die Streuung. Ein logischer Fehlschluss Durch den Vergleich bestimmter Personengruppen versucht man dann, darauf zu schließen, welchen Anteil die Gene an der Streuung haben. Etwa bei gemeinsam aufgewachsenen Zwillingen: Streuen die IQ-Werte der Eineiigen weniger als die der Zweieiigen, schließt man, das beruhe auf den Genen, weil die Umwelt pro Zwillingspaar ja gleich war. Fällt die Streuung zum Beispiel um 25 Prozent geringer aus, wird daraus errechnet, dass 50 Prozent der Streuung genetisch bedingt sind. (Da sich zweieiige Zwillinge die Hälfte ihres Genmaterials teilen, wird zur Abschätzung der Geneffekte der Wert verdoppelt.) Worauf also fußt eine solche angebliche "Erblichkeit" von 50 Prozent? Sie stützt sich auf nichts weiter als auf die Streuung von Intelligenzwerten in Gruppen. Schlussfolgerungen über den Einfluss von Genen auf die Intelligenz von Individuen, beispielsweise von Schülern, oder auf die durchschnittliche Intelligenz einer Gruppe, lassen sich daraus grundsätzlich nicht ziehen. Eben das ist aber der Aspekt, der Eltern, Lehrer oder Bildungsforscher interessiert. Daher ist die Aussage, "zehn Prozent sind das, was Lehrer aus einem Kind herausholen können", auch so gefährlich. Sie ist ein klassischer logischer Fehlschluss.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/paedagogik-intelligenz-ist-nicht-angeboren-1.4245200
Pädagogik - Intelligenz ist nicht angeboren
00/12/2018
Forscher behaupten immer wieder das Gegenteil. Richtig aber ist: Die Gene haben kaum einen Effekt - es kommt auf die Förderung an.
[]
mlsum_de-train-220623
mlsum_de-train-220623
Digitaler Unterricht an einer Grundschule in München. Im Bild spielen Schüler das Märchen vom Froschkönig auf einem Tablet nach. Im Streit um mehr Geld für Digitalisierung an Schulen fühlen sich die Länder vom Bund gegängelt. Zu Unrecht, findet FDP-Politiker Marco Buschmann. Fünf Milliarden Euro stecken im Digitalpakt - Geld für Schulcomputer und Internet. Gegen eine von Union, SPD, Grünen und FDP zu diesem Zweck beschlossene Änderung des Grundgesetzes aber laufen die Länder Sturm. An diesem Freitag werden sie den Vermittlungsausschuss anrufen. In der Sache will Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, dort hart bleiben. SZ: Herr Buschmann, glaubt die FDP an die Allheilkraft des Zentralstaates? Marco Buschmann: Die Liberalen glauben daran, dass es anspruchsvolle Leistungsstandards geben muss, aber auch die nötige Freiheit, sie zu erreichen. Es wäre gut, wenn wir bundesweit mehr Ehrgeiz entwickeln würden im Bildungssystem. Am besten wäre es, wenn wir den Schulen dabei mehr Freiraum einräumen würden. Von den Ländern sprechen Sie gar nicht. Geht es darum, die Bildung als letzte Bastionen des Föderalismus zu schleifen, wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann vermutet? Vom Schleifen des Föderalismus kann überhaupt keine Rede sein. Erstens gibt es andere wichtige Bereiche, in denen die Länder Verantwortung tragen, etwa die Kriminalitätsbekämpfung. Auch bei der Bildung greift niemand in den Föderalismus ein. In der Vergangenheit hatte der Bund sogar eine Rahmengesetzgebungskompetenz für Bildung. Die war fast 40 Jahre unproblematisch und kein Untergang des föderalen Prinzips. Heute setzen wir uns lediglich dafür ein, dass im Grundgesetz das Ziel steht, bundesweit Leistung und Qualität in der Bildung zu steigern. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Den meisten Protest dagegen halte ich für Theaterdonner. Immerhin haben Sie 16 Länder gegen sich. Glauben Sie, ohne Änderung des Grundgesetzes zum Ziel zu kommen? Wir wollen, dass sich die Finanzierungsbasis der Bildung verbessert. Das ist zwingend nötig, denn Bildung ist in Deutschland strukturell unterfinanziert. Die Länder sagen: Gebt uns mehr Geld. Und wir sagen: Wir geben gerne mehr Geld. Es muss aber durch eine Zweckbindung sichergestellt sein, dass das Geld wirklich vollständig in die Bildung fließt. Da geht es gar nicht nur um den Digitalpakt. Die Verfassungsänderung würde auch andere Projekte ermöglichen. Geld, das der Bund zusätzlich für Bildung gibt, muss aber auch zu hundert Prozent zusätzlich in die Bildung fließen. Verstehen Sie, dass das für manche nach Erpressung klingt? Nein, die Länder wollen einfach so viel Spielraum bei der Verwendung der Mittel wie möglich. Das verstehe ich aus deren Perspektive. Das gehört zum politischen Spiel. So erklärt sich die fundamentale Kritik. Herr Kretschmann sieht das vielleicht wirklich so ideologisch, aber die allermeisten Ministerpräsidenten sind pragmatische Leute. Sie werden im Vermittlungsausschuss einfach versuchen, möglichst viel an Flexibilität in den Verhandlungen rauszuholen. Sie werden den Schülern, Lehrern und Eltern in ihren Bundesländern aber nicht erklären wollen, dass sie aus grundsätzlichen Überlegungen auf Geld verzichten, mit dem sie die Qualität der Bildung zuhause verbessern könnten.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-niemand-in-berlin-wird-lehrplaene-umschreiben-koennen-1.4248738
"Digitalpakt - ""Niemand in Berlin wird Lehrpläne umschreiben können"""
00/12/2018
Im Streit um mehr Geld für Digitalisierung an Schulen fühlen sich die Länder vom Bund gegängelt. Zu Unrecht, findet FDP-Politiker Marco Buschmann.
[]
mlsum_de-train-220624
mlsum_de-train-220624
In den USA werden etwa 60 Prozent aller Onlineeinkäufe zwischen 9 und 17 Uhr erledigt. Sollten auch Sie sich während der Arbeitszeit mit bürofremden Dingen befassen oder ein paar Minuten Ablenkung von Kollegen, Kantine und E-Mails suchen, haben wir einen Vorschlag: Nutzen Sie die Zeit und trainieren Ihr Gehirn - mit dem wöchentlichen Rätsel auf SZ.de. Finden Sie die Lösung? Das Rätsel der Woche Sie haben Gäste zu Kaffee und Kuchen eingeladen. In wie viele Stücke können Sie den Kuchen maximal teilen, wenn Sie dafür nur drei Schnitte setzen dürfen? Detailansicht öffnen Knobelei der Woche (Foto: Illustration Jessy Asmus) Die Lösung Liebe Leser, mit Kuchen kennen Sie sich offensichtlich aus. Jedenfalls haben uns zahlreiche korrekte Antworten erreicht. Eins vorweg: Manche Mitknobler haben angemerkt, dass man die Menge an Kuchenstücken fast unendlich steigern kann, wenn man die drei Schnitte in Kurven setzen darf. Wir wissen natürlich nicht, wie es bei Ihnen ist - aber unsere Oma wäre ganz schön beleidigt gewesen, wenn wir den Kuchen kurvig geschnitten hätten. Also drei gerade Schnitte. Um möglichst viele Stücke zu erhalten, müssen Sie dabei nur einmal die Schnittebene wechseln. Zuerst vierteln Sie den Kuchen, damit sind zwei Schnitte verbraucht. Dann wechseln Sie von der Vertikalen in die Horizontale und schneiden den Kuchen einmal komplett durch. So entstehen insgesamt acht Stücke. Guten Appetit! Wir wünschen Ihnen noch eine schöne Restwoche und freuen uns auf die nächste Knobelei!
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/raetsel-der-woche-knobelei-1.4247948
Rätsel der Woche - Knacken Sie das Kuchenrätsel?
00/12/2018
Ein kleines Rätsel zur Auflockerung des Büroalltags gefällig? Diesmal muss ein Kuchen zerteilt werden.
[]
mlsum_de-train-220625
mlsum_de-train-220625
In Hamburg arbeitet eine Expertenkommission daran, den Mathematikunterricht zu verbessern. Sie wünscht sich unter anderem mehr und besser ausgebildete Lehrer sowie mehr Praxisbezug im Unterricht. Hätte sie ihre Arbeit etwas früher aufgenommen, wären womöglich zahllosen Schülern teils traumatische Erlebnisse erspart geblieben. Hier erzählen SZ-Mitarbeiter von lustigen, niederschmetternden und, ja, auch triumphalen Episoden aus ihrer Schulzeit. Der eingebildete Kranke Drei Dinge müssen zusammenkommen, wenn man sich als Achtklässler erfolgreich einer Mathearbeit entziehen möchte. Erstens: die richtige Witterung; zweitens: nicht zu wenig kriminelle Energie; drittens: ein Glaube an das Gute im Menschen. Es war insofern glückliche Fügung, dass auf vielen Straßen Glatteisgefahr herrschte, als für meine 8b in der ersten Stunde an jenem Dienstagmorgen eine schriftliche Überprüfung unseres Geometrie-Wissens anstand. Ich für meinen Teil wäre verloren gewesen. Strahlensätze oder wie man die Breite eines Sees berechnet - mir egal, völlig egal. Eine Lösung des Problems musste her. Schwänzen kam nicht in Frage als Lehrerkind, vielleicht können das andere nachvollziehen. Ein Fehlen bei einer Klassenarbeit macht im Lehrerzimmer schnell die Runde. Die Lösung, dachte ich: ein Fahrradunfall. Kein echter natürlich, ich wollte doch am Nachmittag zu meiner ersten festen Freundin, Pubertät und so. Nein, ein vorgetäuschter. Ich ließ mir also Zeit, kam noch später als für gewöhnlich, klopfte an die Klassentür, zaghaft, wie es Schwerverletzte nun mal zu tun pflegen. Ich bat die eifrige wie ungewöhnlich lebenserfahrene Referendarin, die gerade dabei war, die Aufgabenblätter zu verteilen, vor die Tür. Ich sei verunfallt, log ich, auf dem Weg zur Schule, Glatteis und so. Ich hielt mir den Ellenbogen der rechten Schreibhand, natürlich. Ihren Blick werde ich genauso wenig vergessen wie den Satz des Pythagoras. "Ausrede!", schrie er. Ihr Mund hingegen sprach: "Wenn das so ist, dann musst du wohl ins Krankenhaus." ( a + b )² = a² + 2ab + b² Denken Sie auch mit besonderem Grausen - oder Freude - an Ihren Matheunterricht zurück? Dann schreiben Sie uns an karriere-online@sz.de! Die besten Einsendungen veröffentlichen wir auf SZ.de. Im Krankenhaus, das praktischerweise wenige Hundert Meter vom Schulgebäude entfernt lag, zeigte ich meine Privatversichertenkarte (Lehrerkind) und schilderte, was mir vorgeblich widerfahren war. Wieder skeptische Blicke, diesmal eine Krankenschwester. Meine Rettung: der Oberarzt. Nach Ansicht des Röntgenbildes meines rechten Ellenbogens, das er zusammen mit meiner inzwischen hinzugeeilten Lehrer-Mutter in Augenschein nahm, glaubte er an meine Geschichte und in dem durchleuchteten Knochen etwas erkennen zu können, das gut und gerne auch ein Haarriss hätte sein können. "Man weiß ja nie bei Heranwachsenden", sagte er. Meine Rückkehr in die nächste Mathestunde mit Gipsverband war ein Triumph. Das Ergebnis der zwei Wochen darauf nachgeschriebenen Geometriearbeit war keiner. Philipp von Nathusius Von Rauten und Spinnen Stochastik, Diagramme, Kurvendiskussionen - als es ernst wurde mit der Mathematik, bekamen wir Herrn K. als Mathelehrer. Er erfüllte viele Mathelehrer-Klischees, die wir damals noch gar nicht als solche benennen konnten. Er hatte schütteres Haar, war blass und trug Rautenpullover. Erklären konnte Herr K. ziemlich gut. Und oft ging ein Lächeln über sein Gesicht, wenn sich eine Gleichung an der Tafel in eine kurze, übersichtliche Zeile aufräumte, fast wie von selbst. Die unvergesslichste Stunde war aber jene kurz vor den Ferien. Man hatte immer schon raunen gehört, dass Herr K. eine nicht eben kleine Sammlung an Vogelspinnen besaß, und an diesem Tag brachte er eine - ungefährliche - mit in den Unterricht. Wer wollte, konnte sie über seine Hand krabbeln lassen. Es muss die rationale Atmosphäre in seinem Klassenzimmer gewesen sein, die mich, trotz Phobie, dazu brachte, mich zu melden. Spinnenfüße, das weiß ich seit jener Mathestunde, fühlen sich an, als würden Schulbleistifte mit dem kleinen Radiergummi am Ende über den Handrücken wandern. Kathleen Hildebrand
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-mathematik-lehrer-1.4244634
Schule - Episoden aus dem Matheunterricht
00/12/2018
Von traumatisch bis triumphal - SZ-Mitarbeiter schildern Erlebnisse aus ihrem Mathematikunterricht.
[]
mlsum_de-train-220626
mlsum_de-train-220626
Die Kultusminister der Länder haben sich ein neues Verfahren ausgedacht, nach dem die Studienplätze in Humanmedizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie künftig vergeben werden. Über Details wird noch in den Bundesländern zu beraten sein. Schon jetzt steht aber fest: Ratifizieren die Landesparlamente den Vorschlag, werden viele Kandidaten über Jahre hinweg vergebens auf einen Medizinstudienplatz gewartet und auf ein Versprechen vertraut haben: dass sie unabhängig von ihrer Abiturnote irgendwann zugelassen werden - angehende Humanmediziner zuletzt spätestens nach 15 Semestern. Das sei zu lang, urteilte im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht, das das Zulassungsverfahren in den zentral vergebenen Studienfächern in Teilen für verfassungswidrig erklärte. Die Kultusminister haben sich nun entschlossen, die Wartezeitquote ganz zu streichen. Von der Studienplatzgarantie übrig geblieben ist in dem neuen Verfahren das Recht auf eine Chance, auch ohne sehr gutes Abitur einen Medizinstudienplatz zu bekommen. Sie wird in der "zusätzlichen Eignungsquote" gewahrt. Bei der Vergabe von einem kleinen Teil der Studienplätze kann künftig alles berücksichtigt werden, was Kandidaten für einen medizinischen Beruf qualifiziert - alles außer der Note. Über die genauen Kriterien dürfen die Bundesländer bestimmen oder sie überlassen den Hochschulen diese Entscheidung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sie bei der Auswahl der Human- und Zahnmediziner großen Wert auf ein gutes Abschneiden in dem Studierfähigkeitstest TMS legen. Er prüft etwa, ob Teilnehmer komplexe Informationen erfassen und interpretieren können, wie viel sie sich merken können und wie gut ihr räumliches Vorstellungsvermögen ist. Auch Vorerfahrungen in einem medizinischen Beruf wie der Pflege kommen in Betracht. Das alte Wartezeitversprechen haben die Kultusminister nicht vergessen. Ihre Lösung für die Frage der Langzeitwartenden dürfte viele dieser Bewerber dennoch frustrieren: Für eine Übergangszeit von zwei Jahren soll die Wartezeit in der Eignungsquote berücksichtigt werden. Konkret heißt das für das Sommersemester 2020 und das Wintersemester 2020/2021: Jeder Bewerber kann im Verfahren für die zusätzliche Eignungsquote maximal 100 Punkte bekommen, von denen maximal 45 durch Wartezeit zu erreichen sind. Für jedes Halbjahr gibt es drei Punkte. Die volle Punktzahl können somit nur Bewerber erzielen, die 15 Semester und mehr gewartet haben. Im darauffolgenden Jahr werden pro Semester nur noch zwei Punkte angerechnet. Das bedeutet: Besonders eng wird es für diejenigen, die jetzt sieben oder acht Semester warten. Der Weg ist frei für die Landarztquote Wie viele Bewerber um diese Studienplätze konkurrieren werden, ist offen - genau wie die Anzahl der dann zur Verfügung stehenden Plätze. Erstens, weil in dem neuen Verfahren vorab bis zu zwei Zehntel der Studienplätze unter anderem an Bewerber vergeben werden könnten, die sich zu einer Tätigkeit als Landarzt verpflichten. Lediglich die dann verbliebenen Plätze werden über weitere Quoten verteilt: zu 30 Prozent an die Abiturbesten, zu 60 Prozent an die Besten der hochschuleigenen Verfahren, in denen Abinoten ebenfalls eine Rolle spielen, und zu zehn Prozent eben an all diejenigen, die dabei nicht zum Zug kommen. Zweitens ist unklar, wie viele zu Letzteren zählen könnten. Zum aktuellen Wintersemester konnten 9232 Menschen bundesweit das Studium aufnehmen. Bei den 40 000 Bewerbern dürfte es sich jedoch nicht um alle Studienwilligen handeln: Wer keinen Einserabschluss und eine Wartezeit von weniger als 13 Semestern hatte, wusste um seine Chancenlosigkeit. Das ist künftig anders. Die Zusatzquote wird für sie alle zum Schlupfloch ins Medizinstudium. Wird die Anzahl der Plätze nicht erhöht, passen nur ein paar Hundert hindurch. Wer auf einen der wenigen Studienplätze zum Sommersemester 2020 spekuliert, sollten sich jetzt zum Studierfähigkeitstest anmelden. Die Frist endet Mitte Januar 2019.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/medizinstudium-studium-universitaet-wartezeit-1.4246133
Medizinstudium: So funktioniert die Eignungsquote
00/12/2018
Wer darf künftig Arzt werden? Vor allem Spitzenschüler. Viele Studienanwärter, die seit Jahren auf einen Platz warten, werden bei dem neuen Vergabeverfahren leer ausgehen.
[]
mlsum_de-train-220627
mlsum_de-train-220627
Im Streit um den "Digitalpakt Schule" zweifelt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Kompetenz des Bundes in der Schulpolitik grundsätzlich an. "Wieso sollte der Bund für Bildungsaufgaben kompetenter sein?", sagte Kretschmann der Süddeutschen Zeitung. Die Länder seien "die Experten für Schulpolitik". Der Bund dagegen habe mit Schulen gar keine Erfahrung und auch keine Behörden für diesen Bereich. Warum sollte er, sagte Kretschmann, "besser Bescheid wissen als wir, wie man Schulen digitalisiert?" Selbst da, wo der Bund tatsächlich zuständig sei, überzeuge er oft nicht. "Ich sage nur: Bamf, Kraftfahrzeugbundesamt, Eisenbahnbundesamt, Bundeswehr", so Kretschmann. Die von der Bundesregierung als Voraussetzung für den Digitalpakt geforderte und vom Bundestag bereits beschlossene Grundgesetzänderung lehnt Kretschmann ab. Sie sei "ein grundsätzlicher Eingriff in die Selbständigkeit der Länder. Das geht nicht." Die Grundgesetzänderung hätte den Bund legitimiert, künftig flächendeckend Milliardensummen in Schulen investieren zu können, genauso wie in den sozialen Wohnungsbau und die Verkehrsinfrastruktur. Die 16 Bundesländer wollen die Grundgesetzänderung an diesem Freitag im Bundesrat scheitern lassen und den Vermittlungsausschuss anrufen. Baden-Württemberg sowie die vier unionsgeführten Länder Bayern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen werten die Gesetzesänderung vor allem als Angriff auf die föderale Grundstruktur. Kretschmann führt den Widerstand an - und verärgert damit auch Politiker aus der eigenen Partei Sie warnen davor, dass der Bund Einfluss auf die Schulbildung nehmen könnte. Die übrigen Länder stoßen sich eher daran, dass sie bei Bund-Länder-Kooperationen in der Bildung ab 2020 zu jedem Euro vom Bund einen Euro aus eigenen Mitteln beisteuern sollen. Mit dieser 50-50-Regelung sei den ärmeren Bundesländern nicht geholfen, so die Kritik. Kretschmann steht an der Spitze des Widerstands der Länder - und positioniert sich damit zugleich gegen grüne Parteikollegen in der Bundestagsfraktion. Neben den Regierungsparteien hatten auch Grüne und FDP die Grundgesetzänderung mit ausgehandelt und im Bundestag verabschiedet. Die innerparteiliche Abstimmung sei "in keiner Partei gelungen", sagte der baden-württembergische Landeschef. "Hier stoßen die Interessen von Bund und Ländern hart aufeinander." Die Bundespolitiker hätten gemerkt, dass die Bildung in den vergangenen Jahrzehnten ein Top-Thema geworden sei. "Jedenfalls wollen sie mitmischen", sagte Kretschmann. Dennoch glaubt Kretschmann, dass der "Digitalpakt Schule" noch zu retten ist - auch ohne Grundgesetzänderung. Der Bund könne den Ländern die fünf Milliarden Euro "ohne weiteres über die Umsatzsteuer geben", so Kretschmann. "Dann geht der Digitalpakt blitzschnell über die Bühne." Zugleich dämpfte er aber die Erwartungen an das Programm, dessen Mittel in die digitale Ausstattung der Schulen fließen sollen, in WLAN, Computer, interaktive Tafeln, Schulserver und anderes. "Mit diesen fünf Milliarden können Sie umgerechnet auf alle Schulen mal gerade zwei Tablets je Klasse finanzieren. Wer glaubt, der Digitalpakt sei ein Riesending, irrt", so Kretschmann.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-digitalpakt-winfried-kretschmann-1.4246541
Digitalpakt - Kretschmann attackiert Bundesregierung
00/12/2018
Der Bund will das Grundgesetz ändern, um flächendeckend und direkt in Schulen investieren zu können. Baden-Württembergs Ministerpräsident leistet Widerstand - und zweifelt die Kompetenz des Bundes an.
[]
mlsum_de-train-220628
mlsum_de-train-220628
Detailansicht öffnen Der Digitalpakt soll Schüler mit Tablets versorgen - ein juristisch heikles Unterfangen. (Foto: imago/photothek) Es würde wohl kaum jemand bestreiten, dass ein hoch entwickelter Industriestaat ein intelligentes Bildungssystem benötigt. Das Schicksal des "Digitalpakts Schule", dessen Start im Januar, nach zwei Jahren des Wartens, soeben geplatzt ist, zeigt aber: Das Selbstverständliche ist nicht so selbstverständlich, wie es erscheint. Damit der Bund in schnelles Internet, Tablets und digitale Tafeln für Deutschlands Schulen investieren darf, für die bekanntermaßen die Länder zuständig sind, muss eine juristische Basis gefunden werden. Um zu verstehen, warum das so schwierig ist, hilft ein Blick in die Geschichte der Verfassung. Ende der 1960er-Jahre wurde eine Formel gefunden, die den damaligen Wildwuchs diverser Bund-Länder-Programme in ein einheitliches Konzept überführen sollte: der kooperative Föderalismus. Die Verfassungsreform von 1969 nahm dieses Konzept auf und regelte im Grundgesetz in den Artikeln 91a, 91b und 104a Abs. 4 das Zusammenwirken zwischen dem Bund und einzelnen oder mehreren Ländern. Diese Erlaubnis zur Kooperation stand jedoch auf der "Kürzungsliste" der Föderalismuskommission, was dazu führte, dass die Artikel merklich verändert wurden. Besonders deutlich wird das bei Artikel 104b, zu dem der "alte" Artikel 104a hin verändert wurde. Der Unterschied zwischen beiden Bestimmungen ist, dass der Bund nur in den Bereichen, für die er selbst eine Gesetzgebungskompetenz hat, den Ländern Finanzhilfen gewähren kann - und zwar für besonders bedeutsame Investitionen der Länder selbst oder der Kommunen. Das hätte zunächst fast das Aus für die meisten Bildungs- und Wissenschaftsprogramme unter Bundesbeteiligung bedeutet, hätte es nicht Artikel 91b gegeben. Er erlaubt eine solche Zusammenarbeit bei der Wissenschaft in einem gewissen Rahmen. Allerdings war dieser Rahmen viel zu eng gesetzt. Das zeigte sich nicht zuletzt daran, dass Artikel 104b verändert wurde. Von 2009 an gestattete er auch Finanzhilfen des Bundes jenseits seiner Gesetzgebungskompetenz: Nämlich dann, wenn die Abwehr von Notsituationen wie Naturkatastrophen die Bundeshilfe erforderte. 2014 wurde auch Artikel 91b verändert, seitdem kann der Bund langfristige Kooperationen zwischen Forschungsinstituten und Hochschulen finanzieren. Zum Glück, denn ein hoch entwickelter Industriestaat braucht auch ein intelligentes Forschungssystem. Bei den Schulen aber blieben Kooperationen schwierig, wie jetzt der Digitalpakt zeigt. Um ihn verfassungsrechtlich abzusichern, liegen drei Vorschläge auf dem Tisch: Die frühere Forschungsministerin Johanna Wanka brachte 2016 den Artikel 91c des Grundgesetzes ins Spiel. Er regelt die Kooperation von Bund und Ländern bei informationstechnischen Systemen. Allerdings ist die Regelung so speziell, dass sie eine haushaltstechnisch hoch anspruchsvolle Gestaltung des "Digitalpakts Schule" nach sich ziehen würde. Aus diesem Grund vereinbarten CDU, CSU und SPD im vergangenen März in ihrem Koalitionsvertrag einen anderen Weg: den Artikel 104c zu ändern (oder einen neuen Artikel 104d hinzuzufügen). Die dritte Möglichkeit bringt der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann immer wieder ins Gespräch: eine Neuverteilung der Umsatzsteuereinnahmen nach Artikel 106 Abs. 4. Laut Kretschmann könnten Finanzbedarfe der Länder dadurch so abdeckt werden, dass sich Bundeshilfen erübrigen. Dieser Idee scheinen sich jetzt mehrere Bundesländer angeschlossen zu haben. Über alle drei Möglichkeiten lässt sich diskutieren. Hier soll jedoch noch eine vierte ins Spiel gebracht werden: Warum ändert man nicht Artikel 91b des Grundgesetzes dahingehend, dass er auch den Schulbereich (oder zumindest dessen digitale Ausstattung) erfasst? Artikel 91b Abs. 2 betrifft ohnehin schon eine Frage des Bildungswesens, nämlich die "Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich" (Stichwort: Pisa). Wenn ohnehin das Grundgesetz geändert werden soll, so fragt sich, warum man nicht an der Stelle ansetzt, die eine längerfristige Kooperation zwischen Bund und Ländern erlaubt. Und bei der der Bund in einzelnen Programmen durchaus 100 Prozent der Kosten tragen kann - so wurde es 2006 bei der damaligen Neufassung von Artikel 91b Abs. 3 nämlich verabredet. Wieso ergänzt man nicht den Artikel 91b um einen Absatz 2a, der dieses erlaubt? Wenn jeder Vertragspartner seine Gelder und seine Kompetenz einbringt, so bedarf es nicht des kleinteiligen Systems der Hin- und Rückausnahmen, wie sie derzeit für Artikel 104b und 104c diskutiert werden - so ist zumindest zu hoffen. Man sollte einfach einmal darüber nachdenken. Margrit Seckelmann, 46, ist Expertin für Wissenschaftsrecht, Geschäftsführerin des Forschungszentrums für öffentliche Verwaltung in Speyer und Vertreterin eines Lehrstuhls an der dortigen Universität für Verwaltungswissenschaften.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-versus-verfassung-in-der-zwickmuehle-des-gesetzes-1.4245202
Digitalpakt versus Verfassung - In der Zwickmühle des Gesetzes
00/12/2018
Warum es so schwer ist, den "Digitalpakt Schule" rechtlich abzusichern - und wie es funktionieren könnte.
[]
mlsum_de-train-220629
mlsum_de-train-220629
"Die Schule soll weniger bei den Eltern abladen" Für viele Schüler immer wieder ein Frust: der Mathematikunterricht. Experten versuchen, den Matheunterricht in Hamburg zu verbessern. Mathematik-Professor Janko Latschev hat ihren Bericht gelesen. Mit Spannung verfolgen Lehrer und Didaktiker, wie Hamburg versucht, die relativ schwachen Leistungen seiner Schüler in Mathematik zu verbessern. Kann der Stadtstaat einen besseren Matheunterricht entwerfen? Eine Expertenkommission unter Leitung des Kieler Professors Olaf Köller und des früheren Staatssekretärs Burkhard Jungkamp ist der Frage im Auftrag des Schulsenators Ties Rabe (SPD) nachgegangen. Der Mathematik-Professor Janko Latschev hat ihren Bericht gelesen. SZ: Herr Professor Latschev, wie finden Sie die Empfehlungen der Kommission? Janko Latschev: Die Kommission will mehr Fachlichkeit, in der Lehrerausbildung und in der Schule. Das begrüßen wir. ( a + b )² = a² + 2ab + b² Denken Sie auch mit besonderem Grausen - oder Freude - an Ihren Matheunterricht zurück? Dann schreiben Sie uns an karriere-online@sz.de! Die besten Einsendungen veröffentlichen wir auf SZ.de. Auf der Liste stehen mehr Unterrichtszeit, mehr Klassenarbeiten, mehr Lehrerfortbildungen. Begabte und schwächere Schüler sollen zudem mehr gefördert werden. Sind das nicht Standardlösungen? Ich sehe darin die Forderung nach mehr Verbindlichkeit: Die Schule soll mehr von dem leisten, was ihre Aufgabe ist, und weniger bei den Eltern abladen. Das beugt auch sozialer Ungerechtigkeit vor. Hätte die Kommission nicht auch inhaltliche Empfehlungen geben müssen? Mag sein, aber sie hatte nur ein Jahr Zeit. Außerdem hat die Kultusministerkonferenz sehr detailliert festgelegt, was im Schulunterricht vorkommen soll. Warum mehr Klassenarbeiten? Schriftliche Prüfungen bringen klarere Ergebnisse und sind vergleichbarer als mündliche. Bisher gab es zum Teil nur eine Klausur pro Semester, neben anderen Prüfungsformen, die oft besser ausfielen. Hamburg klagt schon lange über schlechte Matheleistungen. Sagt das mehr über den Unterricht oder über die Schüler? Großstädte haben eine komplexere soziale Zusammensetzung, das schafft spezielle Herausforderungen. Trotzdem kann guter Unterricht die Leistungen verbessern. Und wenn Sie die Mathematikkompetenz stärken, stärken Sie auch andere Kompetenzen. Ein Beispiel: Vor Kurzem las ich einen Artikel über eine Säuberungsaktion im Ozean. Dort kamen auch Zahlen vor, wie viel Plastik pro Jahr neu dazukommt, wie viel mit der Aktion eingesammelt werden soll. Wer da mitrechnet, stellt fest: Bestenfalls wird 1/600 des Plastikmülls entfernt, der in der gleichen Zeit dazukommt. Das hilft dann, die Sache einzuordnen. Aber der Matheunterricht stellt den Bezug zur Wirklichkeit nicht gut dar. Das Konzept der Modellierung sollte in Hamburg Abhilfe schaffen. Modellierung heißt: Ich habe ein Problem aus der Wirklichkeit und versuche, es in ein Stück Mathematik zu übersetzen. Aber modellieren kann man nur, wenn man die Methoden dazu beherrscht, und die sind bei realistischen Beispielen verdammt schwierig. Muss der Unterricht anschaulicher sein? Wir müssen es zunächst einmal hinkriegen, dass die Mathematik allen Beteiligten mehr Freude macht. Zum Beispiel sind viele Lehrerinnen und Lehrer wirklich an neuen Entwicklungen im Fach interessiert. Für sie ist es schade, dass sie nach der Ausbildung von der Wissenschaft weg sind. Sie sollten in Kontakt mit der Uni bleiben können. Janko Latschev, 48, ist Professor für Mathematik an der Universität Hamburg und forscht über symplektische Geometrie. Zudem betreut er an seinem Fachbereich die Reform der Lehramtsstudiengänge, insbesondere für Grundschullehrer.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-mathematik-lehrer-1.4245204
"Mathematik: ""Schule soll weniger bei Eltern abladen"""
00/12/2018
Experten versuchen, den Matheunterricht in Hamburg zu verbessern. Mathematik-Professor Janko Latschev hat ihren Bericht gelesen.
[]
mlsum_de-train-220630
mlsum_de-train-220630
Bund und Länder sind sich ja einig, eigentlich: Der Digitalpakt Schule, in dem der Bund den Ländern und Kommunen über einen Zeitraum von fünf Jahren gut fünf Milliarden Euro zur Verfügung stellt, um Tablets et cetera zu kaufen, ist eine tolle Sache. Wie und wann er kommt, ist trotzdem unklar. Der Bundesrat will in seiner Sitzung am 14. Dezember den Vermittlungsausschuss anrufen, um über eine vom Bundestag bereits beschlossene Grundgesetzänderung zu diskutieren. Sie soll das Kooperationsverbot in der Bildung lockern, findet in den Ländern aber keine Zustimmung. Aber wie sieht es eigentlich an den Schulen derzeit in puncto Digitalisierung aus? Dazu kann Robert Plötz eine Menge erzählen. Er unterrichtet seit 2000 an einem Münchner Gymnasium Mathematik, Physik und Informatik. In einem Youtube-Video erklärt er seinen Kollegen, wie das mit dem digitalgestützten Unterricht in Zukunft laufen könnte. SZ: Herr Plötz, Sie nutzen viele digitale Hilfsmittel im Unterricht. Haben Sie Ihre Kollegen schon anstecken können? Robert Plötz: Es gibt es verschiedene Lager im Kollegium, die meisten aber sagen, sie würden gerne mehr digital machen. Unsere neueste Beamergeneration bietet Lehrkräften zum Beispiel die Möglichkeit, das private Tablet per App mit dem Beamer zu verbinden. Das finden viele Kollegen toll, weil sie direkt mit dem Tablet unterrichten können, das sie von zuhause gewöhnt sind und mit dem sie souverän umgehen können. Trotzdem sind wir in puncto Ausstattung noch nicht da, wo wir in meinen Augen sein sollten. Haben Sie ein konkretes Beispiel? Ich habe mir 2017 privat einen Beamer gekauft und den von Klassenzimmer zu Klassenzimmer geschleppt, weil wir in der Schule einfach nicht genug davon hatten. Der Mangel an Hardware fördert bei ohnehin skeptischen Kollegen nicht gerade die Lust am digitalen Unterrichten. Wo liegen neben dem Mangel an Hardware die größten Probleme? Frustrierend wird es immer, wenn die Technik schlicht nicht funktioniert. Man liest ja ständig, die Lehrkräfte wären in Sachen Digitalisierung noch nicht so weit. Aber eigentlich stimmt das nicht, es fehlen einfach moderne Geräte in ausreichender Zahl, pädagogisch vernünftige Softwarekonzepte - und vor allem schnelles Wlan. Wenn ich in der Klasse noch nicht mal ein Youtube-Video laden kann, bringen mir die tollsten Tablets nichts. Bevor der Bund in den Ländern auch in Fortbildungen für die Lehrkräfte investiert, braucht es also erst mal eine bessere technische Ausstattung? Absolut. Natürlich ist es auch wichtig, die Lehrkräfte bei der Digitalisierung pädagogisch zu unterstützen. Aber nochmal: So doof und hinter dem technischen Fortschritt zurückgeblieben, wie das oft dargestellt wird, sind die allermeisten Lehrkräfte nicht. Wenn ich mir die Smartphoneschwemme im Lehrerzimmer anschaue, die längst auch etwa die älteren Kollegen aus den Geisteswissenschaften ergriffen hat, mache ich mir wirklich keine Sorgen. In Ihrem Erklärvideo auf Youtube betonen Sie, dass die Software bei der Diskussion um digitalen Unterricht oft vergessen wird. Was stellen Sie sich vor? Selbst wenn die Schulen mit Hardware gut ausgestattet wären, sehe ich die Gefahr, dass die Geräte ohne ordentliche Lernsoftware kaum zu Einsatz kommen. Mit dem Tablet kann man mal einen Film machen oder etwas aufschreiben, das war es dann aber auch. Wir brauchen gute Softwarekonzepte, die die Schüler begeistern und motivieren. Und die Entwicklung dieser Konzepte ist keine Aufgabe der Länder und auch nicht vom Bund, es ist eine europäische Aufgabe. Das müssen Sie erklären. Im Moment überlassen wir das den Lehrbuchverlagen, aber die sind dafür eindeutig zu klein. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass das Englischbuch in zehn Jahren per Spracherkennung mit dem Schüler reden kann. Es hat aber kein Verlag die Kapazität, eine eigene Spracherkennung zu programmieren - und wir können schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht die Programme von Google oder Apple nehmen. Warum also sollte nicht Experten aus ganz Europa die notwendige Software gemeinsam konzipieren, die in allen Ländern Europas zum Einsatz kommen kann? Wenn der Schüler nur ein PDF zu lesen bekommt, ist das doch mager und auch kein Lernanreiz. Die Technik kann so viel mehr, das müssen wir für die Schule nutzen.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-digitalisierung-lehrer-schule-1.4242364
"Schule: ""Doof sind die allermeisten Lehrkräfte nicht"""
00/12/2018
Lehrer Robert Plötz unterrichtet seit Jahren mit digitalen Hilfsmitteln. Ein Gespräch über fortschrittliche Pädagogen und langsames Internet.
[]
mlsum_de-train-220631
mlsum_de-train-220631
Warum gerade sie? Warum bekommen 1,0-Abiturienten leichter einen Medizinstudienplatz als andere? Sie sitzen immerzu am Schreibtisch, sind sozial inkompetent - das sind Argumente, die Gegner des Numerus clausus gern anführen. Dabei vergessen sie: Wer eine Matheklausur genauso meistert wie ein Gruppenprojekt, muss feinfühlig sein und teamfähig. Deshalb ist es richtig, dass die Kultusminister nun bei der Vergabe der Studienplätze die Abiturnote stärken. Über Wartesemester soll niemand mehr ins Medizinstudium kommen. Genauso wichtig aber ist es, dass künftig auch die Eignung eine größere Rolle spielt. Wer etwa nach dem Abitur eine Ausbildung oder ein Praktikum in der Pflege absolviert hat, könnte bei der Vergabe nach oben rücken. Wer kranke Menschen betreut hat, wer im Rettungsdienst Schwerverletzte beruhigen musste, weiß, worauf er sich einlässt. Von solchen Bewerbern können die Hochschulen - und später die Patienten - nur profitieren. Nebenbei könnte noch etwas anderes passieren. Wer als Pfleger im Nachtdienst 30 Patienten versorgen musste und dafür nur mäßig bezahlt wurde, wird wohl später als Arzt mehr Respekt vor der Arbeit anderer haben. Das könnte die oft beklagte Kluft zwischen Medizinern und Pflegern ein wenig auflösen und die Pflegeberufe stärken.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/medizinstudium-pfleger-werden-aerzte-1.4242049
Medizinstudium - Pfleger werden Ärzte
00/12/2018
Wer berufliche Erfahrung mit Kranken hat, sollte leichter Medizin studieren können.
[]
mlsum_de-train-220632
mlsum_de-train-220632
Bewerber ohne hervorragende Abiturnote haben künftig bessere Chancen, schnell einen Studienplatz in Medizin und anderen begehrten Fächern zu bekommen. Die Möglichkeit, einen Platz über Wartesemester zu bekommen, soll dagegen entfallen. Das geht aus dem Entwurf für einen Staatsvertrag über die Hochschulzulassung hervor, der auf der Kultusministerkonferenz am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Jeder zehnte Platz in den zentral verwalteten Studiengängen Medizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie soll demnach künftig anhand von Kriterien vergeben werden, die von der schulischen Leistung unabhängig sind - etwa berufliche Vorerfahrung. Im Gegenzug wird die Bedeutung der Abschlussnote an anderer Stelle gestärkt: Künftig sollen 30 statt wie bisher 20 Prozent der Plätze an die Besten eines Abiturjahrgangs gehen. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte die Neuregelung nötig gemacht. Im Dezember 2017 hatten die Karlsruher Richter das bisherige Vergabeverfahren für teilweise verfassungswidrig erklärt. Es sieht vor, dass je 20 Prozent der bundesweit etwa 11 000 Studienplätze an die Abiturbesten und über die Wartezeitquote vergeben werden sowie 60 Prozent von den Hochschulen selbst. Die Richter monierten unter anderem, eine Wartezeit von 15 Semestern sei zu lang. Zudem bemängelten sie, die Hochschulen berücksichtigten in ihrem Verfahren zu häufig nur die Abiturnote. Dafür aber seien die Leistungsanforderungen von Bundesland zu Bundesland zu unterschiedlich. Künftig sollen die Hochschulen weiterhin 60 Prozent der Studienplätze vergeben, allerdings nicht mehr allein auf Basis der Note eines Bewerbers. Stattdessen müssen sie in Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie je ein schulnotenunabhängiges Kriterium berücksichtigen, in Humanmedizin sogar zwei. Neben beruflichen Erfahrungen kann dies etwa ein Eignungstest wie der Medizinertest sein. Die Hochschulen berücksichtigen bei der Bewertung eines Bewerbers nicht, in welchem Bundesland dieser sein Abitur erworben hat. Bei der Abiturbestenquote ist das anders, diese bezieht sich jeweils auf ein Bundesland. Vom Verfassungsgericht war sie daher auch nicht bemängelt worden. Dass sie nun angehoben werden soll, begründete die Kultusministerkonferenz mit der hohen "Prognosekraft" der Abiturdurchschnittsnote für den Studienerfolg. Man trage damit "vielfachen wissenschaftlichen Erkenntnissen" Rechnung. Über die Reform müssen noch die Finanzminister- sowie die Ministerpräsidentenkonferenz beraten, anschließend muss der Staatsvertrag in den Landesparlamenten ratifiziert werden. Die Neuerungen sollen frühestens zum Sommersemester 2020 in Kraft treten. Eine Übergangsregelung soll für Bewerber gelten, die bereits seit langer Zeit auf einen Studienplatz warten. Ihre Wartesemester sollen nicht mit Inkrafttreten der Reform verfallen, vielmehr können sie ein Faktor sein in dem neuen, notenunabhängigen Bewerbungsverfahren für zehn Prozent der Studienplätze.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/medizinstudium-zulassung-wartezeit-1.4241861
Medizinstudium - Kultusminister schaffen Wartezeit ab
00/12/2018
Bei der Vergabe von Studienplätzen sollen außerdem künftig auch andere Kriterien als die Abiturnote berücksichtigt werden.
[]
mlsum_de-train-220633
mlsum_de-train-220633
Der Bund will den Schulen für die Digitalisierung fünf Milliarden Euro schenken. Aber alle 16 Bundesländer sind dagegen. Wieso der Digitalpakt plötzlich auf der Kippe steht, erklärt SZ-Bildungsredakterin Susanne Klein. Der Bund will den Schulen für Computer, Notebooks und Tablets fünf Milliarden Euro schenken. Aber Bildung ist Ländersache, also muss man das Grundgesetz ändern. Der Bundestag stimmt mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu. Aber alle 16 Bundesländer sind dagegen. Was die Länder an dem sogenannten Digitalpakt stört, erklärt SZ-Bildungsredakteurin Susanne Klein. So können Sie unseren Nachrichtenpodcast abonnieren "Auf den Punkt" ist der Nachrichtenpodcast der SZ mit den wichtigsten Themen des Tages. Der Podcast erscheint von Montag bis Freitag immer um 17 Uhr. Sie finden alle Folgen auf sz.de/nachrichtenpodcast. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: iTunes Spotify Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns: podcast@sz.de.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/podcast-nachrichten-1.4241833
"SZ-Podcast ""Auf den Punkt"" - Nachrichten vom xx.xx.xxxx"
00/12/2018
Der Bund will den Schulen für die Digitalisierung fünf Milliarden Euro schenken. Aber alle 16 Bundesländer sind dagegen. Wieso der Digitalpakt plötzlich auf der Kippe steht, erklärt SZ-Bildungsredakterin Susanne Klein.
[]
mlsum_de-train-220634
mlsum_de-train-220634
Geht es nach dem Kultusministern, bekommen die Ländern so bald wie möglich Geld vom Bund, um die Digitalisierung der Schulen voranzutreiben. Die Länder beschlossen bei einer Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) eine entsprechende Erklärung. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sprach sich ebenfalls dafür aus, dass der Digitalpakt Schule "schnell" auf den Weg kommt. Als Folge der Vereinbarung sollen die etwa 40 000 Schulen in Deutschland mit digitaler Technik wie WLAN ausgestattet werden. Schulen sollen mit einem Teil von vorgesehenen fünf Milliarden Euro vom Bund auch Tablets oder Laptops für ihre Schüler beschaffen können. Grundsätzlich sollen die Schüler die Geräte aber selbst mitbringen. Uneins sind sich die Länder darüber, ob der Digitalpakt wie von Bund und Bundestag vorgesehen im Zusammenhang mit einer Grundgesetzänderung beschlossen werden soll. Zu einem bereits vom Bundestag beschlossenen Gesetz für so eine Grundgesetzänderung wollen die Länder am 14. Dezember im Bundesrat den Vermittlungsausschuss beider Kammern anrufen. Der Sprecher der SPD-geführten Länder, Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, warb dafür, den eingeschlagenen Weg über die Grundgesetzänderung zu gehen und erst im Fall eines Scheiterns neu nachzudenken. Seine baden-württembergische Kollegin Susanne Eisenmann (CDU) hielt dem für die unionsgeführten Länder entgegen, dass der Digitalpakt ohne Grundgesetzänderung kommen solle. Rabe sagte, seine Erwartung sei es, "dass wir im kommenden halben Jahr den Digitalpakt Schule auf jeden Fall haben können". Bundesministerin Karliczek meinte: "Zügig ist das Zauberwort." Eisenmann betonte, wenn der Pakt im Sommer 2019 komme, werden seit der ersten Ankündigung durch die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) drei Jahre vergangen sein. Fraglich sei, "ob das wirklich zügig in der Definition von zügig ist". Karliczek hatte entgegen ursprünglichen Plänen am Mittag doch kurzfristig an einer Pressekonferenz der KMK zum Thema teilgenommen.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-digitalpakt-schule-soll-zuegig-in-kraft-treten-1.4242745
"Schule: Digitalpakt Schule soll ""zügig"" in Kraft treten"
00/12/2018
Das beschlossen die Länder bei einer Sitzung der Kultusminister. Wie es nun weitergeht, bleibt aber unklar.
[]
mlsum_de-train-220635
mlsum_de-train-220635
In den USA werden etwa 60 Prozent aller Onlineeinkäufe zwischen 9 und 17 Uhr erledigt. Sollten auch Sie sich während der Arbeitszeit mit bürofremden Dingen befassen oder ein paar Minuten Ablenkung von Kollegen, Kantine und E-Mails suchen, haben wir einen Vorschlag: Nutzen Sie die Zeit und trainieren Ihr Gehirn - mit dem wöchentlichen Rätsel auf SZ.de. Finden Sie die Lösung? Das Rätsel der Woche Gegeben sind vier kleine Quadrate, durch Verschieben von genau drei Zündhölzern sollen daraus drei Quadrate gleicher Größe entstehen. Es darf kein Hölzchen zerbrochen oder komplett entfernt werden, außerdem müssen alle Hölzchen verwendet werden. Detailansicht öffnen Knobelei der Woche (Foto: Illustration Jessy Asmus) Die Lösung Liebe Leser, als souveräne Zündholverschieber haben Sie auch diesmal wieder wenig Schwierigkeiten mit der Aufgabe gehabt. Oder um den Hinweis unter der korrekt eingesandten Lösung eines Mitspielers zu zitieren: "Im Konferenzraum zwischen zwei Meetings ..." Daher wollen wir auch nicht lange um das heiße Rätsel herum reden. Hier eine Lösungsmöglichkeit - je nachdem, an welcher Stelle man verschiebt, kann die gebildete Figur aber auch anders ausgerichtet sein: Detailansicht öffnen Knobelei der Woche (Foto: Illustration Jessy Asmus) Wir wünschen Ihnen noch eine schöne Restwoche und freuen uns auf die nächste Knobelei!
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/raetsel-der-woche-streichholzraetsel-knobelei-1.4239007
Rätsel der Woche - Knacken Sie das Streichholzrätsel?
00/12/2018
Ein kleines Rätsel zur Auflockerung des Büroalltags gefällig? Diesmal müssen Zündhölzer verschoben werden.
[]
mlsum_de-train-220636
mlsum_de-train-220636
Trotz der einhelligen Ablehnung einer Grundgesetzänderung durch die 16 Ministerpräsidenten der Länder drängt SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles auf eine schnelle Einigung über den Digitalpakt. "Die offenen Fragen zwischen Bund und Ländern müssen nun zügig im Vermittlungsausschuss geklärt werden", sagte Nahles der Süddeutschen Zeitung. Obwohl auch alle sozialdemokratischen Ministerpräsidenten gegen den Beschluss des Bundestages votierten, sagte Nahles: "Die SPD setzt sich geschlossen dafür ein, dass das Gesetzgebungsverfahren zu den Grundgesetzänderungen schnellstmöglich zu einem erfolgreichen Abschluss geführt wird". Wichtigstes Ziel bleibe "die Abschaffung des strikten Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik". Nur mit den Grundgesetzänderungen würden auch "die dringend nötigen Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und den öffentlichen Personennahverkehr möglich". Nahles erinnerte daran, dass alle diese Vorhaben auch im Koalitionsvertrag verabredet worden seien. An dessen Entstehen waren auch zahlreiche Ministerpräsidenten beteiligt.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/nahles-digitalpakt-bundeslaender-1.4241145
Nahles fordert schnelle Einigung über Digitalpakt
00/12/2018
Nach der Ablehnung der Grundgesetzänderung durch die Ministerpräsidenten mahnt die SPD-Chefin zur Einhaltung des Koalitionsvertrages.
[]
mlsum_de-train-220637
mlsum_de-train-220637
Der Schritt hatte sich abgezeichnet. Noch vor dem Kultusministertreffen am Donnerstag, bei dem es um die Grundgesetzänderung für den Digitalpakt gehen sollte, haben die Ministerpräsidenten entschieden: Das Grundgesetz wird vorerst nicht geändert, obwohl sich der Bundestag mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen hatte. Die Grundgesetzänderung sollte das bisherige Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung lockern und es so dem Bund ermöglichen, den Ländern trotz deren Zuständigkeit für den Bildungsbereich Mittel für eine bessere IT-Ausstattung von Schulen zur Verfügung zu stellen. Gleiches soll dann auch für den öffentlichen Nahverkehr und den sozialen Wohnungsbau gelten. Bei den geplanten Investitionen in die Bildung stören sich viele Länder vor allem an einem Zusatz, der erst kurz vor der Abstimmung im Bundestag aufgenommen wurde. Demnach sollen die Länder ab 2020 die Hälfte der Kosten tragen, wenn der Bund sie hinsichtlich der Schulen finanziell unterstützt. Laut Linken-Politiker Helmut Holter, zuständiger Minister Thüringens und Präsident der Kultusministerkonferenz, war dies nicht abgesprochen. "Das geht so nicht. Das ist einfach ungeschickt und frech gegenüber den Ländern", sagte Holter. Wie es aus Koalitionskreisen hieß, hatten die Haushälter von Union und SPD den Passus eingearbeitet, um zu verhindern, dass die Länder sich bei der Finanzierung bestimmter Projekte einen "schlanken Fuß" machen können und vor allem der Bund zahlt. Beim fünf Milliarden schweren und weiterhin unumstrittenen Digitalpakt dagegen soll die Kostenaufteilung 90 zu 10 sein. Baden-Würtembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Kritiker der Grundgesetzänderung, hatte bereits am Mittwochmorgen dem Bund die Zuständigkeit für Bildungsfragen erneut abgesprochen. "Der Bund hat gar keine Kompetenz. Aber er hat auch gar keine Ahnung davon", sagte Kretschmann im ZDF-Morgenmagazin. Es geht um die "Zukunft des Föderalismus" Am 14. Dezember hätte der Bundesrat der Grundgesetzänderung mit Zweidrittelmehrheit zustimmen müssen. Nach Kritik aus den Ländern zeichnete sich aber seit einigen Tagen ab, dass eine entsprechende Mehrheit nicht zustandekommen würde. Die Länder streben nun ein Vermittlungsverfahren an, alle 16 Bundesländer stimmten dafür. Ziel sei es, den Entwurf des Bundestages grundlegend zu überarbeiten. Saarlands Regierungschef Tobias Hans (CDU), Sprecher der unionsgeführten Länder, sagte, es gehe um die "Zukunft des Föderalismus". In Regierungskreisen hieß es, der Digitalpakt und andere Projekte könnten sich um einige Monate verschieben und erst bis Ostern kommen.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-grundgesetzaenderung-laender-1.4240665
Digitalpakt: Länder stoppen Grundgesetzänderung vorerst
00/12/2018
Damit wird der Bund wohl auch nicht von Januar 2019 an in die Digitalisierung der Schulen investieren können. Nun soll ein Vermittlungsausschuss helfen.
[]
mlsum_de-train-220638
mlsum_de-train-220638
Deutschland braucht keine Einheitsschule von Kiel bis Konstanz, sondern einen Wettbewerb der Ideen. Die Länder sollten sich im Ringen um den Digitalpakt vom Bund keine Kompetenzen abkaufen lassen. In Deutschland gibt es einen eigentümlichen Glauben an die Überlegenheit zentralstaatlicher Entscheidungen. Der Glaube wird umso fester, je unzufriedener man mit der Politik der Bundesländer ist. Man ruft nach Hilfe aus Berlin, wenn die Regierung in Stuttgart oder Erfurt nicht liefert. Die Bildungspolitik ist dafür ein wunderbares Beispiel. Ja, es gibt ausreichend Anlass, sich darüber zu ärgern, man denke nur an den Wechsel von G 9 zu G 8 und wieder zurück. Aber wer deshalb den Bildungsföderalismus abschaffen will, der gibt sich der Vermutung hin, der Bund könne das besser. Dass zentralistisch gesteuerte Bildungssysteme im internationalen Vergleich vorne liegen - dieser Beweis müsste erst noch erbracht werden. Zwar winkt der Bund nun mit Milliarden für den Digitalpakt - Geld, das bitter nötig ist und das die Länder nicht haben. Aber dass die große Koalition damit den Ländern Zuständigkeiten abkaufen und selbst in die Bildungspolitik hineinregieren will, ist ein grotesker Irrweg, der tief ins demokratische Nebelreich führt. Wer eine informierte Entscheidung an der Wahlurne treffen soll, muss wissen, wer für den Zustand an den Schulen, für Lehrermangel und Stundenausfall verantwortlich ist. Je stärker Bundes- und Länderkompetenzen aber verflochten werden, desto diffuser ist die Schuldfrage. Klare Zuständigkeiten sind im Bundesstaat kein Formalismus, sondern eine demokratische Mindestbedingung. Sicher, den Ländern neues Geld ohne Zweckbindung zuzugestehen, birgt das Risiko, dass es doch nicht in die Bildung fließt. Aber dann müssten die Landespolitiker damit rechnen, dass die Demokratie am Wahltag zurückschlägt. Bildung ist das letzte wirklich wichtige Politikfeld, über das die Länder zu entscheiden haben. Deshalb sollten sie sich trauen, beim Digitalpakt die Konfrontation mit dem Bund zu suchen. Bildung lässt sich im Land sehr viel zündender zum Wahlkampfthema machen als auf Bundesebene, wo sie sich irgendwo zwischen den Ressorts für Soziales, Wirtschaft und Verteidigung einreiht. Es läge ein echter demokratischer Mehrwert darin, die Verantwortlichkeit der Länder für Bildung klarer zu konturieren, statt sie durch einen Zuständigkeitsmix zu verwischen. Schüler, Lehrer, Eltern, Großeltern: Sie alle verfolgen wachsam, was an den Schulen geschieht. Versäumnisse der Politik können sie am Wahltag ahnden. Die Chance liegt also in einer Stärkung des Föderalismus, nicht in seiner Abschaffung. Ehrlicherweise muss man hinzufügen: Die Deutschen lieben ihre föderale Vielfalt nur, solange sie weder Brüche noch Ungleichheiten verursacht. Niemand will, dass die Kinder beim Umzug in ein anderes Schulsystem mit Aufholstress oder Langeweile gestraft werden. Genau besehen ist dies aber ein Argument für die Reform des Bildungsföderalismus. Um Gräben zwischen den Ländern zu verhindern, müssen Grundbedingungen vereinheitlicht werden - Dauer der Bildungsgänge, Standards der Abiturprüfung, solche Dinge. Dafür gibt es Staatsverträge und eine Kultusministerkonferenz. Die große Einheitsschule von Kiel bis Konstanz würde den Wettbewerb zwischen den Ländern um die besten Ideen unterbinden. Dabei ist es das, was Deutschland am meisten braucht, um international bestehen zu können: gute Ideen für die Bildung.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-foederalismus-digitalpakt-1.4238644
Pro: Bildungsföderalismus - Traut euch, Länder!
00/12/2018
Deutschland braucht keine Einheitsschule von Kiel bis Konstanz, sondern einen Wettbewerb der Ideen. Die Länder sollten sich im Ringen um den Digitalpakt vom Bund keine Kompetenzen abkaufen lassen.
[]
mlsum_de-train-220639
mlsum_de-train-220639
Der schulpolitische Flickenteppich ist eine Qual für Lehrer, Eltern und Schüler. Das Lamento der Ministerpräsidenten über den Digitalpakt ist ein Lamento über ihre eigenen Defizite. Es ist bezeichnend, dass über den Föderalismus nur noch dann geredet wird, wenn es ums Geld geht. Dann wachen die Länder auf, dann fällt ihnen ein, dass die Schule und die Bildung ihre Sache ist, um die sie sich kümmern wollen und sollen. Dann raunen sie mit Ehrfurcht und mit Stolz in der Stimme vom Bildungsföderalismus und von der ureigenen Sache der Länder. Sie sollten sich genieren. Die Länder haben die Bildung verkommen lassen, die deutsche Bildungslandschaft ist keine Landschaft, sondern nur noch ein einziger Verhau. Bildung und Schule sind, so steht es im Grundgesetz, Ländersache. Die Länder pochen auf ihr Recht, aber aus dieser Pocherei besteht der Großteil ihrer Tätigkeit. Für große inhaltliche Debatten reicht die Kraft nicht mehr, für die Harmonisierung der 16 Bildungspolitiken der 16 Bundesländer auch nicht. Aus der ureigenen Sache ist so ein ureigenes Chaos geworden: Tausende Lehrpläne und Lernkonzepte unterschiedlichster Art, Tausende Fußangeln, Tausende Inkompatibilitäten. Die Fußnoten sind in diesem Bildungssystem wichtiger als die Noten. Der Umzug mit schulpflichtigen Kindern von Bremen nach Stuttgart ist ein hochriskantes Abenteuer. Die Anforderungen an den Gymnasien weichen so voneinander ab, dass Jugendliche besser in Köln bleiben, wenn die Eltern beruflich nach München wechseln. Und ein Juniorprofessor wechselt lieber von Berlin nach Bologna als nach Potsdam; das ist einfacher. Der real existierende Bildungsföderalismus in Deutschland ist ein fortgesetzter Missbrauch des Föderalismus. Er ist verkommen - er ist eine Qual für Lehrer, Eltern und Schüler. Der Föderalismus sollte praktizierte Bürgernähe sein, er soll das Leben leichter, nicht schwerer machen. Im Bereich von Schule und Bildung ist er praktizierter Sadismus. Es ist bitter, dass man das als ein Anhänger des Föderalismus konstatieren muss: An diesem real existierenden Bildungsföderalismus ist nicht mehr viel verteidigenswert. Die Länder wollen nun den Digitalpakt mit dem Bund scheitern lassen, weil sie die Gefahr sehen, dass der Bund mit seinem Geld zu viel in die Bildungspolitik hineinredet. Dabei wäre es schon einmal gut, wenn überhaupt miteinander geredet und nicht nebeneinander herumgewurstelt würde. Also: Wie soll denn eine Digitalstrategie an den Schulen ausschauen? Sie kann ja nicht schon darin bestehen, dass man in einen einzigen Satz möglichst oft das Wort "digital" hineinpackt. Und es ist auch noch keine Strategie, ein paar Hunderttausend Tablets mit Bundes- und Landesmitteln zu kaufen und dann in gewaltigen Paketen in den Lehrerzimmern abzuwerfen. Es geht im Kern um die ganz große Frage: Wie lernen Kinder künftig? Und welche Rolle spielen in diesem Lernen Kunst, Literatur und Musik? Darüber sollten die Ministerpräsidenten streiten, darüber sollte die Kultusministerkonferenz verhandeln. Diese KMK ist ein Bürokratiemoloch; sie sollte aber ein kluges Steuerungselement des Föderalismus sein. Von beruflicher Mobilität ist unendlich viel die Rede. Der Bildungsföderalismus steht ihr im Weg. Der reale Bildungsföderalismus ist ein törichter und enger Föderalismus. In seiner jetzigen Form ist er antiquiert. Das Lamento der Bildungsföderalisten über den Digitalpakt ist ein Lamento über ihre eigenen Defizite.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-foederalismus-digitalpakt-1.4238646
Contra: Bildungsföderalismus - Schämt euch, Länder!
00/12/2018
Der schulpolitische Flickenteppich ist eine Qual für Lehrer, Eltern und Schüler. Das Lamento der Ministerpräsidenten über den Digitalpakt ist ein Lamento über ihre eigenen Defizite.
[]
mlsum_de-train-220640
mlsum_de-train-220640
"Heute ist ein guter Tag für Schüler, Eltern und Lehrer in Deutschland", verkündete Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am vorvergangenen Freitag. Endlich sei der Weg frei für den Digitalpakt, ein Fünf-Milliarden-Programm für die digitale Aufrüstung der Schulen. Union, SPD, Grüne und FDP hatten sich zuvor darauf verständigt, dem Bund durch eine Grundgesetzänderung mehr Spielraum bei der Finanzierung von Bildungsprojekten zu gewähren. Mittlerweile ist klar: Dieser Kompromiss hat keineswegs den Weg frei gemacht. Er ist Anlass für massiven Widerstand auf Seiten der Länder - und der Grund, warum der Digitalpakt endgültig zum politischen Desaster zu werden droht. Die wichtigsten Fragen und Antworten. Was sieht die Verfassungsänderung vor? Das Grundgesetz setzt dem Bund bislang enge Grenzen, wenn er sich an den Kosten für Bildung beteiligen will. Artikel 104c erlaubt Finanzhilfen aus Berlin bislang nur "für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden". Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, das Wort "finanzschwache" zu streichen und das sogenannte Kooperationsverbot so aufzuweichen. Der nun mit Grünen und FDP erzielte Kompromiss geht darüber deutlich hinaus. Er gäbe dem Bund erstens die Möglichkeit, die Länder auch "zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens" finanziell zu unterstützen sowie Hilfe für "damit verbundene besondere unmittelbare Kosten" zu gewähren. Zweitens soll ein "Zusätzlichkeitskriterium" sicherstellen, dass die Länder die Finanzhilfen des Bundes in "mindestens gleicher Höhe" ergänzen: Für jeden Euro aus Berlin steuern auch die Länder einen Euro bei. Diese Bestimmung soll von 2020 an gelten, also noch nicht für den Digitalpakt. Am Donnerstag stimmte der Bundestag der Grundgesetzänderung zu. Wie kam es dazu? Um das Grundgesetz zu ändern, ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig. Im Parlament waren Grüne und FDP bereit, Union und SPD zu unterstützen, allerdings stellten sie Bedingungen: Der Bund solle nicht nur in die Bildungsinfrastruktur investieren dürfen, in Beton und Steine, sondern auch in Köpfe: in Lehrer und deren Ausbildung. Die Einigung, wenngleich schwammig formuliert, sahen beide Parteien als Erfolg. Dass die Länder Bundesmittel künftig aufwiegen sollen, geht dagegen dem Vernehmen nach auf eine Initiative der Union zurück, der sich die SPD anschloss. Diese Regelung ist es, die nun den meisten Ärger verursacht - und zwar besonders bei Ministerpräsidenten, die selbst der Union angehören.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-kooperationsverbot-fragen-antworten-1.4237896
Digitalpakt - Warum streiten Bund und Länder?
00/12/2018
Wer darf künftig für Bildung zahlen? Darüber streiten Bund und Länder. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Digitalpakt.
[]
mlsum_de-train-220641
mlsum_de-train-220641
Die berufliche Bildung sei so viel wert wie die akademische, betont die Politik. Doch zunehmend fehlen Lehrkräfte - die wahre Lehrernot werde klein gerechnet, kritisieren Experten. Eigentlich kann das nicht so kompliziert sein. In der Werkstatt hantieren sie auch ständig mit Autobatterien. Doch als Christian Göbel einen Schaltkreis an die Tafel zeichnet, sitzen die elf Jungs reglos da. Verziehen keine Miene, als ihr Lehrer erklärt, dass sie gleich mit dem Multimeter die Spannung messen. Und den Innenwiderstand. Was war noch mal der Innenwiderstand? Zehn Jungs mit Kapuzenpulli, einer mit Basecap, kein Mädchen: die Klasse 117.14B des Oberstufenzentrums Kraftfahrzeugtechnik (OSZ KFZ) in Berlin-Charlottenburg . Also die eine Hälfte, denn heute ist Laborunterricht. Die elf wollen KFZ-Mechatroniker werden. Das heißt: Zwei Wochen arbeiten sie im Betrieb, lernen Reifen wechseln, Diagnosegeräte bedienen, Ersatzteile einbauen. Es folgt eine Woche Berufsschule, dann notieren sie Formeln, lösen Arbeitsblätter. Sie melden sich, damit der Lehrer sie dran nimmt. Oder ducken sich, damit genau das nicht passiert. Es ist ein ständiges Wandern zwischen den Welten auf dem Weg in den Beruf, und dieses Wandern hat einen Namen, der - so behaupten zumindest die Politiker - international einen hervorragenden Klang hat: duale Ausbildung. Eine ziemlich einzigartige Verknüpfung von Theorie und Praxis, die am Ende hoch qualifizierte Facharbeiter hervorbringen soll. Kaum irgendwo ist die Jugendarbeitslosigkeit so niedrig wie in Deutschland. Das ist die eine Hälfte der Geschichte. Die andere fand sich zuletzt häufiger in den Nachrichten. Die Berufsausbildung hat ein Imageproblem. Mehr als 50 Prozent eines Altersjahrgangs drängt an die Hochschulen, Firmen finden keine Azubis mehr. "Nach dem Pisa-Schock haben wir den Jugendlichen 20 Jahre lang erzählt, dass der wahre Mensch mit dem Abitur beginnt", sagt Petra Jendrich, die den Ausschuss für Berufliche Bildung der Kultusministerkonferenz leitet. Das sei in Unkenntnis der Kompetenzen, die eine duale Ausbildung vermittle, geschehen. Inzwischen habe ein Umdenken eingesetzt, lobt Jendrich, doch das dauere. Gleichzeitig bekommen viele Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz. Mangels Qualifikation, oder weil die Betriebe zu wählerisch sind. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) nutzt jede Gelegenheit, die "Gleichwertigkeit" von akademischer und beruflicher Bildung zu betonen. Zuletzt plädierte sie dafür, es solle bei den Ausbildungsabschlüssen einen "Berufsbachelor" und "Berufsmaster" geben. Die Hochschulen protestieren: Identische Bezeichnungen für unterschiedliche Kompetenzen führten zu Intransparenz. Auch in den Berufsschulen regt sich Widerstand. "Mehr Anerkennung schaffe ich nicht durch Titel, sondern indem Berufsschulen die politische Unterstützung bekommen, die sie brauchen", sagt Ronald Rahmig. Er ist Vorsitzender von "Berufliche Bildung Berlin", einer Vereinigung von Leitern berufsbildender Schulen. Aber im Hauptberuf leitet Rahmig das OSZ KFZ, an dem Christian Göbel unterrichtet. Studien zeigen, dass das Imageproblem der Berufsschulen auch den Lehrermangel verschärft: Bis 2030 könnten 26 500 voll ausgebildete Pädagogen fehlen (siehe Kasten). Schon heute sind in Berlin 20 Prozent der neuen Berufsschullehrer Quereinsteiger ohne reguläres Lehramtsstudium. Noch höher liegt ihr Anteil an Schulen, die auf technische Berufe vorbereiten.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/berufsschule-lehrermangel-schule-1.4236486
Quereinsteiger sollen Berufsschulen retten
00/12/2018
Die berufliche Bildung sei so viel wert wie die akademische, betont die Politik. Doch zunehmend fehlen Lehrkräfte - die wahre Lehrernot werde klein gerechnet, kritisieren Experten.
[]
mlsum_de-train-220642
mlsum_de-train-220642
Die bereits vom Bundestag beschlossene Grundgesetzänderung für die Digitalisierung der Schulen droht im Bundesrat zu scheitern. Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen machten in einem gemeinsamen Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ihre Ablehnung deutlich. Aus ihrer Sicht greift die Änderung zu sehr in die Länderhoheit ein. "Die Länder wollen einen Digitalpakt ermöglichen. Wir möchten allerdings einen besseren Weg zu seiner Umsetzung finden", schreiben die Länderchefs Winfried Kretschmann (Grüne), Volker Bouffier, Armin Laschet, Michael Kretschmer (alle CDU) und Markus Söder (CSU). "Eine Änderung des Grundgesetzes brauchen wir dafür eigentlich nicht." Die fünf Ministerpräsidenten plädieren für eine Lösung des Konflikts im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag. "Diese Chance sollten wir nutzen." Die Grundgesetzänderung soll die Mitfinanzierung der Schulen durch den Bund ermöglichen. Damit könnte der Bund ab 2019 fünf Milliarden Euro in die Digitaltechnik an Schulen fließen lassen. Ohne die Zustimmung der fünf Länder im Bundesrat wird der Plan jedoch an der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit scheitern. Die Länderchefs sehen in dem Beitrag "zentrale Grundsätze des deutschen Föderalismus" gefährdet. Die Gesetzänderung gehe in mehreren Punkten über das hinaus, "was zur Umsetzung eines Digitalpakts erforderlich wäre".
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/grundgesetz-showdown-um-digitalpakt-1.4236488
Showdown um Digitalpakt
00/12/2018
Fünf Bundesländer haben angekündigt, eine Änderung des Grundgesetzes zu blockieren. Artikel 104 soll dem Bund erlauben, die Schulen mitzufinanzieren.
[]
mlsum_de-train-220643
mlsum_de-train-220643
Mittlerweile ist nicht nur Gras über die Sache gewachsen, sondern auch große Bäume und viele dichte Büsche, die sich an diesem Herbsttag wehmütig im Wind biegen. Still ist es hier, erstaunlich still, denn an Plätzen wie diesem war doch immer das geschäftige, das einst pulsierende Ruhrgebiet, die Herzkammer der deutschen Schwerindustrie. Aber auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Eintracht Tiefbau kündet nichts mehr davon, dass hier mal mehr als 2000 Menschen gearbeitet haben, etliche davon unter Tage, wie es fachmännisch heißt. Also unter der Fläche, auf die das Tageslicht fällt. Der Kohleabbau im Ruhrgebiet, war eine Angelegenheit für lichtscheue Gestalten, die mit weißer Bergmannsjacke, aber auch weißen Gesichtern und weißen Händen in die Grube fuhren und von oben bis unten am ganzen Köper schwarz eingestäubt wieder nach oben kamen. Nur der graue Kokskohlenturm und einer paar rote Ziegelmauern erinnern noch an die Zeche Eintracht Tiefbau, wo der Großvater des Autors in den Berg eingefahren ist. Die Zeche lag in Freisenbruch, einem Stadtteil am Rand von Essen, einen Kilometer weiter beginnt Bochum. Die Szene auf dem menschenleeren Gelände ist eine Erinnerung, so wie das ganze Zechenruhrgebiet längst zu einer Erinnerung geworden ist, eine Museumsangelegenheit fürs Weltkulturerbe - so wie die nahe Zeche Zollverein samt Kokerei. Ausstellungsorte, Eventschauplätze, Hallen mit Bildern an den Wänden. Und oft mit einer bunten Schautafel wie in Freisenbruch. Die Zeche Eintracht Tiefbau steht auch dafür, dass das Kommen und Gehen von Bergwerken in früheren Zeiten eine alltägliche Angelegenheit gewesen ist. Und dass, wenn eine Zeche schloss, weil die Flöze erschöpft waren und die nutzlos gewordenen Schächte verfüllt wurden, das nicht das Ende des Bergbaus war, sondern durchaus auch irgendwo anders der Anfang einer neuen Förderanlage. Der Pott und die industriell geförderte Steinkohle, das war für 200 Jahre nicht zu trennen. Irgendwie ging es immer weiter, bis eben zum 21. Dezember 2018, dem Tag, an dem mit der Zeche Prosper Haniel in Bottrop das letzte Steinkohlebergwerk des Ruhrgebiets und Deutschlands geschlossen wurde. In einer großen Feierstunde, die eigentlich eine Trauerfeier war, hielt Frank-Walter Steinmeier die Abschiedsrede. Auch der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war Zeuge, als Steinermeier den letzten Brocken aus der Zeche überreicht bekam. Ein Sieben-Kilo-Stück, das im Berliner Präsidialbüro einen Ehrenplatz bekommen soll. Das war der offizielle, durchaus bewegende Teil des Abschieds. Die letzten Bergleute waren bereits am 14. September zum letzten Mal in den 1200 Meter tiefen Schacht 10 hinabgefahren. Wie es wohl in 100 Jahren in Bottrop aussehen wird? Bestimmt nicht wie bei der kleineren Eintracht Tiefbau. Der Autor wollte an diesem vergessenen Ort seinem unbekannten Großvater näherkommen, den er nur aus Erzählungen kannte. Der Großvater hatte hier als junger Mann gearbeitet, bis die Zeche 1925 geschlossen wurde. Das Grubenfeld wurde von einer anderen Zeche übernommen. Die oberirdischen Schachtanlagen verschwanden, sie trugen Namen wie Heintzmann oder Justus. Von dem Großvater gibt es nur ein einziges Familienfoto, denn Fotos waren teuer. Es zeigt einen schmalen blassen Mann, mit 29 musste er in Frührente. Zu schmal und blass war er für die Strapazen der Arbeit in der heißen, feuchten, stickigen Luft Hunderte Meter unter der Erde. Mit 32 starb er an der Staublunge. Er war weg vom Fenster, wie man im Ruhrgebiet sagte, wenn wieder einer seinen Platz mit Blick auf die Straße der Zechensiedlung mit dem Aussichtspunkt oben im Himmel vertauscht hatte. Die beispiellose Erfolgsgeschichte des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet hatte ihren hohen Preis, den die Steiger und Hauer mit ihrer Gesundheit, die Familien mit verrußten Häuserfronten, schmutzigen Fensterscheiben und dem allgegenwärtigen Gestank der Kokereien und Hochöfen bezahlen mussten. Daran mag in diesen Tagen niemand mehr denken, wenn nun die ultramoderne Prosper Haniel mit ihren unterirdischen Hallen und mehr als 100 Kilometer langen Gängen schließt. Schließlich ist die Luft des Ruhrgebiets und die Wäsche auf den Leinen zwischen den Bergmannsiedlungen längst sauberer geworden. Die Eckkneipen für das schnelle Pils nach der Schicht sind fast alle verschwunden. Schon 2005 gab es in ganz Deutschland nur noch neun Zechen. 1957 waren es 153. Die Geschichte des Kohlebergbaus mit seinen ikonografischen Bildern von Fördertürmen und qualmenden Kokereien besteht auch aus unzähligen Geschichten von schuftenden Kumpeln, und sie handelt immer auch von dem Stolz und dem Humor, mit dem sie ihre Arbeit versahen und den Strapazen, denen ihr Körper und ihre Seele ausgesetzt waren. Wie der Pott in den glorreichen Fünfzigern ausgesehen hat, damals, als die höchsten Produktionszahlen erreicht wurden und mehr als 384 000 Menschen im Ruhrgebiet (und im Saarland) unter Tage arbeiteten, das hat kaum jemand so eindrucksvoll wie schonungslos dokumentiert wie Karl Heinz Hargesheimer, der sich Chargesheimer nannte. Detailansicht öffnen Kumpels nach der Schicht, vor 1958. (Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln) Gerade als der wirtschaftliche Erfolg der jungen Bundesrepublik sich nirgendwo so symbolisch manifestierte wie in seiner produktivsten Industrieregion, als die Hochöfen der Stahlwerke glühten und die Kokereien riesige Rauchsäulen in den Himmel schickten, die allzu gern als Zeichen des Aufstiegs gelesen wurden, fotografierte der Kölner den Pott in körnigen, düsteren Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Er zeigte die Kehrseite des kargen Schuftens und der rasch hochgezogenen Wohnsiedlungen. Die wie schwarze Gebirge aufragenden Halden kündeten von einer gemarterten und wenig menschenfreundlichen Arbeitslandschaft, in welcher der Mensch mehr schlecht als recht seinen Platz behaupten musste. Sicher, der Pott konnte mancherorts mindestens so grün wie das Sauerland sein und so idyllisch wie am Baldeneysee, so windsorhaft protzig wie die Villa Hügel der Krupp-Dynastie, aber er war eben auch schwarz, staubig und trist, die Häuser eingekesselt von Fertigungshallen. Chargesheimers legendäres Buch "Im Ruhrgebiet", das mit einem langen sozialkritischen Text von Heinrich Böll versehen ist, löste 1958 beim Erscheinen im Pott vielerorts Empörung und ungezügelte Wut aus. Der Essener Bürgermeister Wilhelm Nieswandt ließ in einem offenen Brief seiner Entrüstung freien Lauf: "Die Ruhrgebietsstädte sind es gründlich leid, von Außenseitern in einer Weise dargestellt zu werden, die nicht einmal mit der Realität der Gründerjahre übereinstimmt, geschweige denn mit der Gegenwart." Die Wirtschaft boomte, die Menschen hatten Arbeit, mochte sie auch schwer sein und der Gesundheit abträglich. Und dann schreibt im Text zu Chargesheimers Bildern einfach ein gewisser Heinrich Böll, gut, ein Katholik, aber ausgerechnet aus dem unseriösen Köln: "Das Wort Fortschritt bleibt bittere Ironie, solange dem Menschen die Elemente: Erde, Luft und Wasser entzogen oder vergiftet werden." Doch es herrschte Vollbeschäftigung. Wer einmal nachts am Fenster eines Mietshauses in Dortmund-Hörde gestanden hatte und auf die glühenden Stahlströme der mitten durch den Stadtteil führenden Walzstraßen hinabschaute, der brachte es kaum fertig, sich gegenüber dieser dunklen Faszination zu verschließen: Das war die Magie, die vom ruhelosen, wie eine einzige große Maschine rumorendem Ruhrpott ausging. Böll aber schrieb: "Unter Tage hat die Zukunft keine Chance." Und: "Zwischen Dortmund und Duisburg ist Weiß nur ein Traum." Sein Text hatte gleichwohl eine zweite Ebene, nämlich die Hochachtung für die Bewohner dieser Gegend: "Aber es riecht vor allem nach Menschen, nach Jugend, Barbarei und Unverdorbenheit." Nirgendwo seien die Menschen "unpathetischer, einfacher und herzlicher". Bölls Lobpreisung und Chargersheimers Fotos adelten den rauen Pott - wegen des Menschenschlags, den er hervorgebracht hatte. Es kommt einem bitteren, kohleschwarz schimmernden Witz der Geschichte gleich, dass zeitgleich mit dem Erscheinen des Buchs eine das ganze Ruhrgebiet erfassende Krankheit namens Zechensterben ausbrach. Erdöl und Gas waren deutlich günstiger; der ohne die Steinkohle nicht mögliche, gewaltige industrielle Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg konnte ohne die teure Steinkohle weiter befeuert werden. Die deutschen Bergwerke hatten auf dem Weltmarkt ohnehin immer einen schweren Stand gehabt, Weltmarktführer in der Produktion waren andere Länder, wo die Steinkohlefelder leichter zugänglich sind. Wo die Schächte nicht so tief sein mussten und die Sicherheits- und Sozialstandards nicht so hoch. Ende der 50er-Jahre führten die ersten Schließungen zu einer Welle des Protests. 60 000 Kumpel demonstrierten 1959 in Bonn gegen die drohende Schließung weiterer Zechen. Der CDU-Politiker Rainer Barzel scheute keine pathetischen Vergleiche, als er feststellte: "Wenn es an der Ruhr brennt, gibt es im Rhein bei Bonn nicht genug Wasser, das Feuer zu löschen." Was folgte, ist hinlänglich bekannt: Die Politik wälzte staatliche Subventionen in Höhe von geschätzt insgesamt 200 Milliarden Euro in den nicht konkurrenzfähigen Steinkohlebergbau, um das Schlimmste zu verhindern, sprich so viele Arbeitsplätze wie möglich und um die hoch entwickelte deutsche Bergwerkstechnik zu erhalten. So wertvoll wie die Technik, die sie hervorbrachte, war über Jahrhunderte auch die Steinkohle des Ruhrgebiets gewesen, der hohe Brennwert der Fettkohle oder der noch hochwertigeren Anthrazitkohle, die bis zum 17. August diesen Jahres in Ibbenbüren abgebaut worden ist, hatte sie so wertvoll für die Stahlindustrie gemacht. Das "Schwarze Gold" bestand zu 70 Prozent aus Kohlenstoff (Anthrazit zu mehr als 90 Prozent). Mit dieser dichten, brennbaren Masse konnten die riesigen Feuer entfacht werden, die nötig waren, um Eisenerz zum Schmelzen zu bringen und die Eisenströme der Walzwerke zum Fließen. Die im Tagebau vergleichsweise kinderleicht, eben wie mit einer großen Schaufel abzubauende Braunkohle, die an der Oberfläche weggebaggert werden kann (allerdings mit unbändiger Zerstörungskraft, was den natürlichen Lebensraum betrifft), erreicht nur etwas mehr als die Hälfte der Brennkraft von Steinkohlekoks. Es gab übrigens einmal eine Zeit, da war die Steinkohle genauso leicht zu haben wie die Braunkohle. So hatte schließlich alles angefangen. Schon in der Antike hatten die Menschen Kohle genutzt, um kräftige Feuer zu entfachen, die man für Schmiedearbeiten brauchte. Sie hatten nur nicht danach graben müssen, schon gar nicht in jenen unbegreiflichen Tiefen, in welche die Schächte des Ruhrgebiets am Ende getrieben worden sind. Immer im Wissen um die Gefahren, die von eindringendem Wasser ausgehen können und verpuffenden Gasen, die sich beim Abbau bilden. Detailansicht öffnen Eine Welt, die niemals mehr wiederkommt: Bergbau-Stadt, 1958 für das Buch „Im Ruhrgebiet“ von Karl-Heinz Chargesheimer fotografiert. Wohl um den allgemeingültigen Charakter der Fotos zu betonen, sind die Legenden der Bilder denkbar allgemein gehalten, in den allermeisten Fällen fehlt jede Andeutung, die auf den Ort schließen lassen könnte. Hier ein Fußballplatz. (Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln) Auch im späteren Ruhrgebiet lag die Steinkohle anfangs vereinzelt gewissermaßen auf der Straße oder besser gesagt auf dem Feld oder im Waldesgrund, auf jeden Fall: an der Erdoberfläche. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts ist dort der Abbau schriftlich belegt. Abbau ist allerdings ein großes Wort, gemessen an den Fördertechniken, die am Ende des Mittelalters zum Einsatz kamen. Zu jener Zeit ging der Bauer mit einem Behälter zum Flöz und sammelte so viel Brennmaterial er eben gerade brauchte. Vorzugsweise im Winter taten die Bauern das, weil es da sowieso nicht viel zu arbeiten gab, und da konnten sie ja ebenso gut dieses schwarze Zeug aus der Erde kratzen, das fürs Feuer nützlich war. Mehr lässiger Zeitvertreib als Gewerbe war damals der Bergbau. Bis das Abholzen der Bäume dazu führte, dass der am leichtesten verfügbare Brennstoff knapp zu werden begann. Und die Steinkohle interessant wurde. Die Crux bestand aber darin, dass die offen zutage liegenden Felder bald abgetragen waren. Und auch der Abbau in Gräben und Löchern, die Pingen genannt wurden, keine befriedigenden Ergebnisse mehr hervorbrachte. Vom 16. Jahrhundert an musste die Suche nach der Kohle aufwendiger betrieben werden. Die Flöze, die ein paar Meter unter der Erdoberfläche verliefen, erreichten die Männer noch in Stollen, die sie in Flusstälern anlegten. Noch war das Steinkohleschürfen eine Arbeit, die nur in der Waagerechten ausgeführt werden konnte. Als die Wiege des Ruhrbergbaus gilt das Muttental bei Witten, wo seit 1578 Kohle in Stollen abgebaut wurde. Die große Zeit begann im 19. Jahrhunderts, als die Industrielle Revolution Deutschland erreichte. Die Hochöfen für die Eisenverarbeitung wurden immer leistungsfähiger, und sie brauchten gewaltige Mengen an Koks. Die hochwertige Steinkohle des Ruhrgebiets war der ideale Ausgangsstoff für die Veredelung des Brennstoffs in Kokereien, großen Öfen, in denen der Kohle bei mehr als 1000 Grad Wasser, Teer und Schwefel entzogen wurden. Das Ergebnis waren kleine Klumpen, die weniger Rauch und Gas abgaben. Genau das Richtige für Dampfmaschinen und Hochöfen. Der Stoff, den auch die von Friedrich Krupp 1811 gegründete Gussstahlfabrik für ihr Schmelzhaus brauchte, aber lag hier tief und immer noch tiefer in der Erde verborgen. 1832 wurde der erste Tiefbauschacht angelegt. Die noch immer weitgehend landwirtschaftlich geprägte Gegend wurde durch die Allianz von Schwerindustrie und Zechen zum "Pott". Hansestädte waren Dortmund, Bochum, Essen und Duisburg vorher gewesen, verbunden durch den Westfälischen Hellweg. Der wurde zur Bundesstraße 1, der Lebensader eines der größten Industriestandorte der Welt. Bölls wehmütige Anklage der Lebensbedingungen dort beginnt mit der Rückkehr eines jungen Paares auf einer Straße unweit des Hellwegs. Sie waren mit ihrem kleinen Wagen zum Zelten an der Côte d'Azur. Die beiden sind noch regelrecht benommen von der luziden Schönheit der vergangenen Wochen. Auf einer Brücke, die über die Ruhr führt, möchte die Frau, "etwa 30, modisch gekleidet, schlank, blond", kurz aussteigen. Und was tut sie? Sie schnuppert. Als sie zum Auto zurückkommt, fragt der Mann, was los war. Sie sagt: "Nichts war los. Ich wollte nur sehen, wollte riechen, ob wir wirklich zu Hause sind." "Warum gerade hier?" fragt er. "Weil es hier anfängt", sagt die junge Frau. "Hier fängt der Lichtwechsel an, hier schmeckt die Luft bitter, werden die Häuser dunkel, und hier sprechen die Leute, wie ich spreche." Und dann eröffnet sie ihm, dass sie die Berge, die Seen, diese sauberen Dörfchen keine zwei Tage mehr ausgehalten hätte. Dass sie sich aufs Kintopp an der Ecke der Bochumer Straße freut, auf Bierchen und Schnaps, auf den Fußballplatz, und auf den Schrebergarten vom Großvater hinter der Kokerei. Auf "das ganze Geklatsche und Geklöne". Die Sonnenbrille für Südfrankreich hatte sie schon vorher mit "nüchterner Endgültigkeit" weggeräumt. Harald Hordych Der Bildband Sechs Monate lang hatten der Fotograf Chargesheimer (bürgerlicher Name: Karl Heinz Hargesheimer) und der Schriftsteller Heinrich Böll die Region für den 1958 erschienenen Fotoband "Im Ruhrgebiet" bereist. Das Ruhrmuseum Essen widmete 2014 den 157 Fotos und bisher unveröffentlichtem Material eine Ausstellung. Der 1972 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Böll (1917 - 1985) hatte zu dieser Zeit bereits "Haus ohne Hüter" und "Das Brot der frühen Jahre" veröffentlicht. Aber der Erfolg von "Billard um halb zehn" und "Ansichten eines Clowns" stand noch aus. Chargesheimer (1924 - 1971) war ein Chronist deutschen Alltagslebens. Bekannt wurde er durch das legendäre Porträt von Bundeskanzler Konrad Adenauer, das der Spiegel kurz vor der Bundestagswahl 1957 als Titel zeigte. "Im Ruhrgebiet" (Kiepenheuer & Witsch) ist nur antiquarisch erhältlich. Wie aus einer anderen Zeit: Bilder aus den Bergbau-Städten, 1958 für das Buch "Im Ruhrgebiet" von Karl Heinz Chargesheimer fotografiert. Wohl um den allgemeingültigen Charakter der Fotos zu betonen, sind im Buch die Informationen zu den Bildern ganz kurz und lakonisch. In den meisten Fällen fehlt jede Andeutung, die auf den Ort schließen lassen könnte. Links: "Fußballplatz", rechts oben "Kumpels nach der Schicht", rechts unten: "Nachmittag". Fotos: Rheinisches Bildarchiv Köln
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/steinkohle-in-grauer-vorzeit-1.4270207
In grauer Vorzeit
00/12/2018
Kurz vor Weihnachten schließt das letzte deutsche Steinkohle-Bergwerk. Mit ihm verschwindet auch die Welt der Kumpel aus dem Ruhrgebiet.
[]
mlsum_de-train-220644
mlsum_de-train-220644
Ein Champagner muss seinen individuellen Geschmack haben: So sehen das zumindest die Winzer der neuen Generation, die ihre Schaumweine selbst keltern und nicht an die großen Marken abliefern. Es ist nur eine winzige Gasse, die neben dem Eingang zu Champagne Leclerc Briant den Hang hinaufführt. Doch wer ihr folgt, auch dann noch, wenn sie zu einem schmalen Feldweg zwischen grünen Hecken wird, der entdeckt einen Schatz: Einen kleinen Weinberg, wo Vögel zwitschern und die Betriebsamkeit des Champagnerstädtchens Épernay gleich vergessen ist. Im Sommer wachsen hier zwischen den Rebstöcken Klee und Rauke, Löwenzahn und Ringelblume, Schmetterlinge flattern umher. Auf diese kaum 0,6 Hektar ist Hervé Jestin, Kellermeister von Leclerc Briant, so stolz wie auf keine andere seiner Rebflächen. "In diesem Weinberg ist Leben", sagt er zufrieden. "La Croisette", so der Name des kleinen Paradieses, ist für ihn das, was für Harry Potter der Bahnsteig 9 3/4 in King's Cross Station ist: das Tor zu einer anderen Welt, der Welt der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. "Der Boden von La Croisette hat noch nie Chemie erlebt", sagt Jestin, "und das ist in der Champagne wie in jeder anderen Weinbauregion weltweit heute eine große Seltenheit." Schon in den Sechzigerjahren, als die Segnungen der chemischen Industrie in den Weinbergen rund um Épernay Einzug hielten, entschied sich die Familie Leclerc so weiterzumachen wie ihre Vorväter und setzte auf biologischen Anbau, seit 1990 sogar auf biodynamischen. Damals war das exotisch, heute gilt das kleine, feine Champagnerhaus als Vorreiter einer Bewegung, der sich immer mehr Winzer in der Region anschließen. Die Champagne, jenes grüne, sanft gewellte Hügelland südlich von Reims, ist in den vergangenen Jahren gründlich in Bewegung geraten. Engagiert und persönlich geführte Betriebe wie Leclerc Briant setzen den Markenprodukten der großen Häuser ein neues Weinprofil entgegen: Champagner mit Persönlichkeit wie der facettenreiche La Croisette, von dem es nur 3000 Flaschen pro Jahr gibt. Immer mehr Weinbauern entschieden sich in den vergangenen Jahren, ihre wertvollen Trauben nicht mehr an die großen Häuser wie etwa Moët & Chandon (60 Millionen Flaschen im Jahr) abzugeben, sondern eigenen Wein auszubauen. "Champagne de Vigneron", Winzerchampagner, liegt im Trend. Von den 15 000 Weinbauern in der Region setzt inzwischen ein Drittel auf das Wagnis der eigenen Produktion, investiert in Kellertechnik und vertraut auf die Stärken einzelner Lagen. Rund um das Weinbaustädtchen Épernay, wo seit Jahrhunderten jeder nur mögliche Quadratmeter für die Reben genutzt wird, tragen die Dörfer Namen, die Champagnerfreunden in den Ohren klingen, weil sie wertvolle Grand Cru-Lagen besitzen: Ambonnay und Avize, Bouzy und Cramant, Mesnil-sur-Oger und Verzy. Heute gilt: Einige der besten Tropfen finden sich nicht in schmucken Châteaux hinter schmiedeeisernen Toren, sondern oft an den unscheinbarsten Adressen. Das Schlagwort vom "Garagenwinzer" fällt einem ein, wenn man das Auto im 1000-Seelen-Weindorf Verzenay vor einem schlichten Wohnhaus parkt. Hier produziert David Pehu auf sechs Hektar, fast ausschließlich prestigeträchtige Grand-Cru-Lagen, einen Champagner, der Stefan Weiß, Chefeinkäufer im Münchner Feinkosthaus Dallmayr, bei einer Verkostung so faszinierte, dass er sich aus dem Stand die exklusive Vertretung für Deutschland sicherte. Pehu, ein bodenständiger Mann in Jeans und kariertem Hemd, ist kein Mann des Marketings, er hat nicht mal eine eigene Website. "Meine Weinberge sollen für sich sprechen", sagt er. Deshalb baut er jede Parzelle im Keller einzeln aus, um ihre Charakteristik bestmöglich zum Ausdruck zu bringen. Für den Aufbruchsgeist in der Region stehen nicht nur hemdsärmelige Winzer, dafür steht auch ein neues Hotel, das im Sommer an einem geschichtsträchtigen Ort eröffnet hat: das "Royal Champagne Hotel & Spa". Schon Napoleon soll gerne auf dem Hügel oberhalb von Épernay übernachtet haben, wo sich damals eine Poststation befand. Mit dem jetzigen Neubau, des Ausblicks wegen wie ein Amphitheater gestaltet, zog der Geist des 21. Jahrhunderts ein, mit Spa und Gourmetrestaurant. Von der Panoramaterrasse schaut man auf das nahegelegene Dörfchen Hautvillers, einen echten Kultort der Champagne. Dem Mönch Dom Pérignon glückte die Gärung perlenden Weins - der Legende nach Der Legende nach entwickelte dort in der ehemaligen Benediktinerabtei der Mönch Dom Pérignon im 17. Jahrhundert die berühmten Bläschen: "Ich sehe Sterne", soll er ausgerufen haben, als ihm die Flaschengärung glückte und er das erste Glas des perlenden Weins probierte. An den Sonnenkönig Louis XIV. schrieb er: "Sire, ich schicke Euch hier einige Flaschen des besten Weins der Welt" - es war der Beginn des Mythos Champagner. Auch wenn man heute weiß, dass neben dem Mönch noch ein paar andere ihre Finger im Spiel hatten - ein Abstecher zur Abteikirche von Hautvillers, wo Dom Pérignons Grabstein steht, gehört zu einem Besuch.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/frankreich-champagne-champagner-winzer-1.4261894
Frankreich: Eine Reise zu den Winzern in der Champagne
00/12/2018
So feierte zumindest der Erfinder des Champagners das prickelnde Getränk. Winzer besinnen sich nun auf alte Traditionen und wollen weg vom Einheitsgeschmack.
[]
mlsum_de-train-220645
mlsum_de-train-220645
Was macht der Tourismus mit dieser Kleinstadt, die sich als Märchen aus dem Mittelalter verkauft? Besuch in einem Ort, der von Urlaubern lebt - aber mehr sein möchte als nur Kulisse. "Wie bei Cinderella daheim." "Gleich kommt eine Fee um die Ecke." "Fabelhaft." Wenn Besucher Rothenburg ob der Tauber beschreiben, mit seinem Fachwerk und den bunten Bürgerhäusern, von einer Stadtmauer und Türmen schützend umringt, fallen vielen nur noch Märchenfloskeln ein. Die fränkische Kleinstadt im Dreieck zwischen Heilbronn, Würzburg und Nürnberg wirkt wie aus dem Mittelalter in die Moderne gezaubert. Dass dieses historische Original fast zur Hälfte nach einem Bombenangriff 1945 wieder aufgebaut werden musste, sieht und weiß fast keiner. Das soll so sein, schließlich ist der pittoreske Anblick die wichtigste Zutat, um weiter Urlauber aus Asien, den USA, Europa und auch Deutschland anzulocken. Doch wie lebt es sich in einer Stadt, die für Touristen die ideale Selfie-Kulisse ist? Gut, sagt Walter Hartl. Das muss er, er ist seit 2006 Oberbürgermeister von Rothenburg. Allerdings ist Hartl inzwischen selbst in ein Haus mitten in der Herrngasse gezogen. Von hier aus hat er das Rathaus und den Marktplatz im Blick und die Hauptroute der Urlauber, die weiter zum Burggarten wollen, vor der Tür. Doch Hartl genießt es, mit einem Schritt "im Leben" zu stehen und auf der Rückseite des Hauses seine Ruhe zu haben. Eigentlich sei das in der ganzen Altstadt so: In einigen Gassen - alle Straßen innerhalb der Stadtmauer heißen Gassen, egal wie eng oder breit sie sind - prägt ein ständiges Kommen und Gehen und Fotografieren das Bild. Detailansicht öffnen Oberbürgermeister Walter Hartl (Foto: Antonia Küpferling) "Aber ein paar Meter weiter ist man ganz allein", betont Hartl. Es ist ihm wichtig, diese unbekannte Seite zu zeigen, die auf und vor der Stadtmauer zu finden ist, aber auch in kleinen Nebenstraßen. Denn Rothenburg ist zum geflügelten Wort für Overtourism geworden, noch bevor dieser Begriff modern wurde, der Touristenmassen beschreibt, die den Einheimischen zur Last werden. Der Ort wurde als Negativbeispiel bei der Talkshow "Hart aber fair" genannt und bei einer Tagung andere Stadtherren wurden diese vor einer "Rothenburgisierung" gewarnt. Das alles ärgert Hartl: Es treffe einfach nicht zu. Früher vielleicht, vor seiner Amtszeit: Da durften Gastronomen noch keine Tische auf die Plätze stellen. Die Touristen wurden durchgeschleust und verweilten nicht, obwohl es doch so schön war. Und Rothenburger, die außerhalb der historischen Stadtmauer lebten, hatten keinen Grund, in die Altstadt zu kommen. So waren die Gassen voll, aber dennoch ohne Leben. Heute, wenn Oberbürgermeister Hartl an lauen Abenden sein geräumiges Büro im zweiten Stock des Rothenburger Rathauses verlässt, die enge Wendeltreppe hinabsteigt und vor das Tor tritt, muss er sich manchmal seinen Weg zum Marktplatz, an dessen Rändern Cafés und Restaurants ihre Gäste draußen bewirten, mit vorsichtigen Schritten bahnen: "Abends sitzen die Menschen auf den Rathaustreppen, das freut mich." Doch die Freude ist nicht ungetrübt, selbst bei Hartl nicht: Zu viele lassen ihren Müll liegen - irgendjemand wird in dem malerischen Rothenburg schon dafür bezahlt werden, hinter den Besuchern herzukehren. Die Welt ist zu Gast, jeden Tag "Was soll da ein Gast aus Japan sagen?", fragt sich der Bürgermeister. Er hat selbst gesehen, dass es in Tokio nicht nur sauber ist, sondern rein. Dagegen könnte sein durchaus aufgeräumtes Städtchen beinahe verlottert wirken. Bis der Straßenkehrer kommt. In Rothenburg sieht man die Stadt auch mit den Augen der anderen, schließlich ist die Welt zu Gast, jeden Tag. Und: Sie ist im Gegensatz zu Dubrovnik oder Barcelona noch immer willkommen. Meistens jedenfalls. 11 000 Einwohner leben in der Kleinstadt, davon 2500 in der Altstadt, die jedes Jahr Ziel von 340 000 Urlaubern ist, die über Nacht bleiben. Die etwa 1,7 Millionen Tagesgäste, die auf eigene Faust oder mit Bussen anreisen, sind da noch nicht mitgezählt. Weil von Januar bis März weniger los ist, bleiben neun Monate, in denen am Tag auf einen Altstadtbewohner drei Touristen kommen. Sie alle haben das gleiche Ziel und viele nehmen denselben Weg: gegenüber von den Busparkplätzen durch die wehrhafte Spitalbastei, die heute allen und sogar Autos offensteht, hinauf zum "Plönlein", um gleich eines der meistfotografierten Gebäude-Ensembles in Rothenburg abzuhaken, und weiter hoch die Schmiedgasse bis zum Marktplatz am Rathaus. Detailansicht öffnen Das "Plönlein" - also kleiner Platz - mit dem Siebersturm links, dem Kobolzeller Tor rechts und adrett dazwischen ein schmales Fachwerkhaus mit einem Brunnen davor (Foto: Antonia Küpferling) In kleinen Prozessionen spazieren Gruppen gemächlich den hochgereckten bunten Schildern ihrer Führer nach, womit sie als Ausflugsgruppe einer Flusskreuzfahrt erkennbar sind. Auf der Tauber selbst ist diese Schifffahrt nicht möglich, aber im nahen Würzburg wird angelegt. Die wenigen Einheimischen, die an einem Werktag in der Altstadt zwischen Spaniern, Amerikanern, Russen und Schwaben unterwegs sind, erkennt man an ihrer doppelt so schnellen Gehgeschwindigkeit. Daran, dass sie ein Ziel haben und keine Souvenirtüte in der Hand. Oder daran, dass sie ihren Hund ausführen wie Andreas Baatz. Zu Hause macht sich der sportliche Mann mit den kurzgeschorenen Haaren ein Spiel daraus, bei geöffnetem Fenster zu erraten, in welcher Sprache sich die Menschen darunter unterhalten. "Neugier ist doch normal" Das stört ihn nicht, auch wenn an der Nachtwächter-Führung schon mal 300 Leute teilnehmen. Aber Rothenburg sei ja kein Ziel von lautstarken Partytouristen. Dass Besucher neugierig in den Hof schauen, "ist doch normal, das kann ich ihnen nicht vorwerfen". Und schließlich profitierten auch Einwohner wie er davon, dass die Stadt einen guten Eindruck machen will, "das fängt schon bei den Blumen im Burggarten an". Und davon, dass Konkurrenz das Geschäft belebt: Bei dieser Restaurantdichte seien die Preise unschlagbar, der Umgang mit Gästen professionell. Baatz hat auch deshalb einen anderen Blick auf Rothenburg, weil er selbst im Tourismus arbeitet und Kanutouren anbietet. "Wenn wir da am Unstrut-Radweg in Gaststätten einkehren, merkt man: Die braten vielleicht zweimal am Tag ein Schnitzel." Diese seien dann zwar gut, aber für die Gastronomen sei der Aufwand für so wenige Gäste außerordentlich hoch. Detailansicht öffnen Andreas Baatz mit Hündin Ronja (Foto: Antonia Küpferling) So positiv wie Andreas Baatz sieht nicht jeder Rothenburg: Sein Zwischenmieter wollte nach kurzer Zeit nichts wie weg aus dieser Altstadt. Nur im Advent wird es selbst Baatz fast zu viel. Dann ist Reiterlesmarkt, der "komplette Wahnsinn". Dabei ist in Rothenburg eigentlich immer Weihnachten. Eine Frau mit dunkel gefärbten Haaren, die eine Tüte mit aufgedrucktem Christbaum trägt, stöhnt laut auf: "Ich hab jetzt genug von Weihnachten." Der gebrechliche Mann neben ihr stützt sich schwer auf seinen Rollator: "Ja, das war jetzt die volle Dosis." Die bekommt man in "Käthe Wohlfahrts Weihnachtsdorf". Vor der Tür steht ein riesiger Nussknacker, in der Herrngasse parkt ein - natürlich disneymärchenhafter - schwarz-roter Oldtimer-Bus mit bunten Geschenken auf dem Dach. Er ist nach dem Plönlein wohl das meistfotografierte Motiv in der Stadt. Detailansicht öffnen Ja, es ist Weihnachten. Immer noch. (Foto: Antonia Küpferling) Auch im Laden herrscht akuter Kitsch-Alarm, es blinken Lichterketten an Christbäumen, Stofftiere von Steiff animieren winkend zum Kauf, es gibt Glaskugeln, Krippen und hölzerne Adventskalender, die eine mittelalte Kundin aus den USA verzücken: "Adorable! If we had this when the kids were young ..." Einen Gang weiter prallt der kommerzialisierte Zauber der Weihnacht an einer Frau ab, deren Kindheitserinnerung an das Glück der Bescherung ebenfalls schon Jahrzehnte alt ist: "Den ganzen Kram hat meine Mutter gerade weggeworfen, das war viel zu viel." Offenbar eine nüchterne Ausnahme: Vor der Kasse bildet sich eine Schlange, dahinter rotieren vier Verkäuferinnen. Wer nun noch sehen möchte, wie Heiligabend früher war, geht hinauf in den ersten Stock ins Weihnachtsmuseum. Wer eher wieder zur Besinnung kommen will, lässt das Christmaswonderland hinter sich und biegt nach Norden in die Kirchgasse ein. Der wahre Schatz ist hölzern Nach wenigen Metern steht man vor der Jakobskirche mit ihren zwei unterschiedlich hohen Türmen. Im Inneren der gotischen Kirche, die evangelisch ist, aber nicht so aussieht, befindet sich ein Meisterwerk. Prunkvoll leuchtet der goldverzierte Zwölfboten-Altar an der Stirnseite der Kirche. Doch nicht seinetwegen kommen die Besucher, sondern wegen des hölzernen Heiligblutaltars auf der Empore. Der berühmte Bildschnitzer Tilman Riemenschneider hat den filigranen Flügelaltar gefertigt: ein versöhnliches Bild vom Abendmahl, in dem Judas im Mittelpunkt steht und nicht Jesus. So ganz genau weiß mancher Besucher allerdings nicht, was ihn in der Kirche erwartet: "Es wurde schon nach dem Romy-Schneider-Altar gefragt", erzählt Oliver Gußmann, der hier als Pilger- und Touristenpfarrer wirkt. Detailansicht öffnen Am Heiligblutaltar steht Judas im Zentrum - und kann herausgenommen werden. (Foto: Antonia Küpferling) Währenddessen bemüht sich ein Paar redlich, umsonst Einlass zu erhalten: "Wir zahlen Kirchensteuer, allerdings an die Katholiken ... das zählt wohl nicht?" Zumindest nicht hier, denn für den Erhalt des Gotteshauses und der kunstvollen Altäre kommt kein Steuergeld an, so dass von Erwachsenen 2,50 Euro Eintritt verlangt wird, außer zu Gottesdiensten. "Das Eintrittsgeld ist schwierig, wenn Leute nur in die Kirche wollen, um zu beten", findet Gußmann. Nur: Allein könnte die Gemeinde das Gotteshaus nicht finanzieren. Doch die halbe Stunde Orgelmusik am späten Mittwochnachmittag ist frei, dann sitzt eine internationale Zuhörerschaft auf den Bänken. "Meist ist es so, dass unter der Woche Kirchenmuseums-Besucher kommen und die Einheimischen am Sonntag zum Gottesdienst", meint Gußmann - ohne die Touristen wären die Gänge und Bänke an Wochentagen leer. Dann lieber Besucher, denen Kirchenführer die christlichen Geschichten über die Heiligen näherbringen. Tatsächlich wäre es schwierig, die Kirche offen zu halten, wenn weniger Menschen in die Jakobskirche kämen, noch weniger: Vor zehn Jahren waren es ohne Gruppen noch knapp 100 000 Besucher, nun sind es nicht mal 70 000 Menschen. Der Pfarrer arbeitet seit dem Jahr 2000 in der Stadt, damals sah er manche mit bedruckten T-Shirts herumlaufen: Ich bin kein Tourist, ich wohne hier. Heute höre er nur noch vereinzelt Stimmen, die sich über nächtlichen Lärm auf dem Marktplatz und in der Herrngasse beklagen. Detailansicht öffnen Touristen- und Pilgerpfarrer Oliver Gußmann (Foto: Antonia Küpferling) Direkt vor der Jakobskirche steht ein Modell von Rothenburg, so ist die Stadt für Blinde ertastbar und für diejenigen überschaubar, die nicht über die steile Wendeltreppe auf den Rathausturm steigen wollen. Hier sieht man, wie die kleine Stadt im Mittelalter wuchs, ein zweiter Mauerring wurde notwendig. Bezahlt haben ihn im 14. Jahrhundert vor allem die Juden der Stadt mit einer Sondersteuer, die eigentlich ein Schutzgeld war, damit sie unbehelligt in Rothenburg leben konnten. Doch ihren Frieden konnten sie nicht erkaufen, die jüdische Geschichte in Rothenburg ist immer wieder eine Geschichte der Vertreibung.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/jahresrueckblick-tourismus-in-rothenburg-ob-der-tauber-overtourism-1.4146087
Rothenburg ob der Tauber: Eine Stadt, die schön scheint
00/12/2018
Was macht der Tourismus mit dieser Kleinstadt, die sich als Märchen aus dem Mittelalter verkauft? Besuch in einem Ort, der von Urlaubern lebt - aber mehr sein möchte als nur Kulisse.
[]
mlsum_de-train-220646
mlsum_de-train-220646
Seefeld putzt sich heraus. Wenn die Nordischen Skiweltmeisterschaften im Februar 2019 beginnen, wird alles fertig sein: Das Skistadion, die Straßen, die Schanzen für die Skispringer stehen bereit. Die neue Skirollerstrecke, die im Sommer den Athleten zum Training dient, zählt zu den modernsten in den Alpen und ist vor wenigen Tagen dank kühler Temperaturen und einer leistungsfähigen Beschneiungsanlage in eine schöne Loipe verwandelt worden. Teams aus ganz Österreich und aus Deutschland nutzen diese weit und breit einzige Möglichkeit, endlich auf Schnee zu trainieren, während an den angrenzenden Gebäuden noch gehämmert und gebohrt wird. Der Bahnhof ist mit Zuschüssen neu gebaut worden, künftig kann man per Zug von Hamburg oder Düsseldorf direkt anreisen. "Das alles hätten wir allein nie finanzieren können. Aber ich habe jetzt trotzdem eine Baggerphobie", sagt Bürgermeister Werner Frießer. Die Sache mit den Baggern hat ihr Gutes: Seefeld hat mit der baulichen Frischzellenkur auch sein Image aufpoliert. Bei Langläufern und Freunden des Wanderns, des Fischens und Eisstockschießens hatten Seefeld und die umliegenden Gemeinden Leutasch, Reith, Scharnitz und Mösern-Buchen - die sich gemeinsam als Olympiaregion Seefeld vermarkten - ohnehin schon einen guten Ruf. Ein ausgedehntes Wegenetz steht im Sommer wie im Winter zur Verfügung. Die Höhenlage auf 1200 Metern auf einem sonnigen Plateau über dem Inntal verspricht Schneesicherheit. Und falls bis November kein Schnee kommt, greifen die Seefelder auf ihr Schneedepot aus der vergangenen Saison zurück. Damit haben sie schon am 9. November eine Loipe am schattigen Rand von Leutasch aufgeschüttet, im Stadion ist auch seit ein paar Tagen gespurt. Das ist nur der Anfang des 260 Kilometer langen Loipennetzes. Dagegen nehmen sich die Skigebiete Rosshütte und Gschwandtkopf mit ihren 20 und fünf Pistenkilometern bescheiden aus. Erweiterungspläne des Skigebiets hinüber zur Zugspitze haben die Seefelder nicht realisiert, auch aus finanziellen Gründen. Dass Seefeld keine Zukunft als alpiner Skiort haben sollte, hat Walter Frenes früh erkannt. Der 82-Jährige war von 1955 bis 1997 Tourismusdirektor. "Im Alpinen waren wir nicht so stark, und ich habe gedacht, das Langlaufen wäre etwas für uns." Den Startschuss dafür gaben die Olympischen Spiele 1964 in Innsbruck, die Nordischen Wettbewerbe fanden in Seefeld statt. Nur das Spuren der Loipen, bei Olympia vom Militär übernommen, hat nach den Spielen nicht mehr so gut geklappt, erinnert sich Frenes. "Wir haben mit einem Skidoo aus Kanada experimentiert." Erst als gute Spurgeräte auf den Markt kamen und die Langlaufanzüge schicker wurden, wurde der Sport populärer. Der Ort selbst wurde wesentlich schneller populär als das Langlaufen. Seefeld konnte sich in den 60er- und 70er-Jahren kaum retten vor Gästen. Eine Million Übernachtungen zählte man in den 60er-Jahren. Es wurde gefeiert, kleine und große Stars kamen, schon am Nachmittag konnte man Getränke nur noch flaschenweise bestellen. Ein Casino wurde gegen den Widerstand des Innsbrucker Bischofs etabliert, ein 18-Loch-Golfplatz, der zweite Österreichs, wurde angelegt. Seefeld hatte alles, was ein Monaco der Alpen brauchte. "Wir waren ein Hotspot der Unterhaltung, es gab 14 Livebands", erzählt Frenes und lächelt bei der Erinnerung an diese Zeiten. Keine Freunde machte er sich aber, als er vor den Olympischen Spielen 1976, bei denen wiederum die Nordischen Wettkämpfe in Seefeld ausgetragen wurden, die Fußgängerzone durchsetzte. Grundstücke mussten enteignet werden. Der Ärger war aber bald vergessen, mit den Weltmeisterschaften 1985 folgte das nächste Großereignis. Sieben Fünf-Sterne-Hotels gab es. Es schien, als könne Seefeld nichts aus der Erfolgsspur werfen. Ein Trugschluss. "Die Zeit ist in den 90er-Jahren an uns vorbeigaloppiert", sagt Alois Seyrling, Obmann des Tourismusverbands und Besitzer des Hotels Klosterbräu. Der 38-Jährige hat das nur als Kind erlebt. Mit 22 Jahren übernahm er das Hotel, als Seefeld nur noch ein Schatten des mondänen Orts war. Die Zahl der Übernachtungen war gesunken, viele Häuser waren zu altmodischen Schuppen verkommen, die Architektur der 70er-Jahre ist bis heute sichtbar. Auch dauerte es Jahre, bis die Loipen an die neue Skatingtechnik angepasst wurden - Seefeld hatte eine weitere Neuerung verschlafen. Das 1999 eröffnete Play Castle, das nach wie vor ungenutzt am nördlichen Ortseingang steht, erwies sich als gigantische Fehlinvestition. Die Geldgeber, viele aus der Region, versenkten 200 Millionen Schilling, etwa 14,5 Millionen Euro, in der schlossartigen Eventlocation, die nur ein Jahr lang geöffnet war. Dieses Geld fehlte für Investitionen. Es wäre wieder ein Wunder nötig gewesen, wie einst das mittelalterliche Hostienwunder von Seefeld, das um 1500 bereits so viele Pilger anlockte, dass man im Ort ein Kloster für deren Beherbergung baute. "Aber es tut sich was, wenn der Leidensdruck groß genug ist", sagt Seyrling, dessen Klosterbräu sich in den historischen Klostergebäuden befindet. "Vor zehn Jahren hat mir vieles nicht gefallen, es gab nur noch zwei Fünf-Sterne-Hotels, viele Souvenirläden und Ramsch."
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/seefeld-tirol-langlauf-nordische-ski-wm-1.4228090
Seefeld in Tirol - Wieder in der Spur
00/12/2018
Nach langem Stillstand geht es in Seefeld voran. Auch dank der Nordischen Ski-WM, die nächstes Jahr dort stattfindet.
[]
mlsum_de-train-220647
mlsum_de-train-220647
Die Anstrengung der Reederei Aida, ein Kreuzfahrtschiff bauen zu lassen, das statt mit Schweröl oder Diesel mit Flüssiggas (LNG) betrieben wird, muss man loben. Doch der Großteil der Branche verfeuert weiterhin giftigste Billig-Treibstoffe. Tue Gutes und rede darüber! Diese Maxime wird nicht nur von Stiftungen und Vereinen, sondern mit Nachdruck auch von Konzernen verfolgt. Das ist grundsätzlich ok. Man sollte allerdings genau hinsehen. Die Anstrengung der Reederei Aida, ein riesiges Kreuzfahrtschiff bauen zu lassen, das statt mit Schweröl oder Diesel hauptsächlich mit Flüssiggas (LNG) betrieben wird, muss man zunächst einmal loben. Das Flüssiggas verursacht keine oder kaum Abgase wie etwa das giftige Schwefeloxid, Stickoxid, Ruß und Feinstaub, für deren massiven Ausstoß die Kreuzfahrtbranche zurecht an den Pranger gestellt wird. Aber ist es deshalb gleich ein "Öko-Schiff", wie manche Medien schreiben? Natürlich nicht. Ein schwimmendes Hochhaus für 6000 Passagiere kann nicht nachhaltig oder gar ökologisch verträglich sein. Zum einen, weil auch die Verbrennung von Flüssiggas nicht viel weniger CO₂ und damit das schlimmste Treibhausgas verursacht, als andere Brennstoffe. Noch dazu, wo das LNG mit großem Energieaufwand erst einmal auf minus 162 Grad heruntergekühlt werden muss, damit es sich verflüssigt und die Schiffe damit betankt werden können. Da es noch fast keine Hafentankstellen gibt, muss der große Pott begleitet werden von einem anderen großen Pott, einem Flüssiggas-Tankschiff. Man muss da unweigerlich an die Diskussion mit den Elektroautos denken: Die Produktion der Akkus verschlingt ebenfalls Unmengen von Energie, noch bevor das Auto einen Kilometer gefahren ist. Trotzdem ist es für die Menschen in den Großstädten und die Bewohner von Küsten und Hafenstädten viel besser, wenn saubere Autos, respektive Schiffe unterwegs sind. Die Deutschen lieben nun mal Kreuzfahrten, in zehn Jahren hat sich die Zahl der Passagiere verdreifacht, auf heute 2,5 Millionen jährlich. Es wäre deshalb gut, wenn mehr schadstoffarme Schiffe gebaut würden. Das ist nur teilweise der Fall: Aida hat zwei weitere LNG-Schiffe bestellt, Tui Cruises stattet seine Neubauten mit sogenannten Scrubbern und SCR-Katalysatoren aus, die Schwefel- und Stickoxid reduzieren. Hurtigruten fährt in den empfindlichen arktischen Gebieten nur mit Marinediesel und setzt auf Hybridantriebe. Doch die Branche insgesamt fährt nach wie vor großteils mit giftigem Schweröl, auch die Mehrheit der neuen Schiffe. Und nach wie vor werden kaum effiziente Katalysatoren und Partikelfilter eingesetzt. So gesehen muss man sagen: Die Anstrengungen sind gute erste Schritte, aber es muss sich noch viel mehr tun.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/kommentar-ein-erster-schritt-1.4262390
Kommentar - Ein erster Schritt
00/12/2018
Die Anstrengung der Reederei Aida, ein Kreuzfahrtschiff bauen zu lassen, das statt mit Schweröl oder Diesel mit Flüssiggas (LNG) betrieben wird, muss man loben. Doch der Großteil der Branche verfeuert weiterhin giftigste Billig-Treibstoffe.
[]
mlsum_de-train-220648
mlsum_de-train-220648
Die Deutschen fliegen, als gäbe es kein Morgen. Weder der bekannte, starke Beitrag, den der Flugverkehr zum CO₂-Ausstoß und damit zum Klimawandel leistet, noch die vielen Verspätungen und Flugausfälle in diesem Jahr halten die Menschen vom Fliegen ab. 136 Millionen Fluggäste zählte das Statistische Bundesamt 2004, 2018 waren es bereits 213 Millionen, also fast doppelt so viele. Und der Flugverkehr nimmt weiter zu, was auch daran liegt, dass die Tickets wegen des steuerfreien Flugbenzins und des Preiskampfes unter den Fluggesellschaften immer noch ziemlich günstig sind. Allerdings führt dies dazu, das Airlines, Flughäfen und Flugsicherung immer öfter überlastet sind.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/passagierrechte-flug-gestrichen-und-nun-1.4262378
Fluggastrechte - Flug annulliert, und nun?
00/12/2018
Nach einem Jahr mit besonders vielen Verspätungen und Flugausfällen stellt sich die Frage: Wie kommen Passagiere an ihre Entschädigung? Ein Überblick.
[]
mlsum_de-train-220649
mlsum_de-train-220649
Keine Lust auf volle Pisten und lange Schlangen am Lift? Es geht auch anders: Drei Orte für entspannte Ferien im Schnee. Stil und Stille in Tschlin im Engadin Pssst! Man darf das nicht zu laut sagen, dass es sich bei Tschlin um das stillste Dorf der Schweiz handelt. Sonst läutet wieder pausenlos das Telefon am Dorfplatz neben dem alten steinernen Brunnen. Georg Janett, der Wirt des Hotels Macun, kann sich gut erinnern, wie er und die anderen Bewohner des auf 1550 Meter gelegenen Unterengadiner Dorfes im Sommer vor einem Jahr bis zu 700 Mal pro Tag den Hörer des Fernsprechers abgenommen haben. "Das war verrückt. Leute aus der ganzen Welt haben angerufen", so der 63-jährige gebürtige Tschliner. Das Ganze war eine sehr erfolgreiche virale Marketingaktion von Graubünden Tourismus. Seitdem ist längst wieder Ruhe eingekehrt, und das ist gut so, findet Janett. Besonders jetzt im Winter ist das 150-Einwohner-Dorf mit seinen ehrwürdigen, mit feinen Sgraffiti verzierten Bündner Häusern ein wunderbarer Ort für sanften Tourismus. Für Skitourengeher ist es ideal. Sie können ihre Latten am Dorfrand anschnallen und zu einer Reihe von lohnenden Bergen aufsteigen: zum Eingehen auf die Fuorcla Salet, dann auf den Piz Arina oder gar auf den Muttler, eine der schönsten Skitouren im Engadin. Zurzeit liegen 60 Zentimeter Schnee. Rodler können in die Nachbarorte Strada oder Martina hinuntersausen. Und auch das Dorf selbst ist so still nicht: Es gibt eine Käserei, in der 16 Sorten vor allem von Ziegen- und Schafskäse hergestellt und verkauft werden. Am oberen Dorfrand hat sich die neue Bierbrauerei Girun in einer alten Schreinerei einquartiert, und einmal im Monat gibt es in einem dafür adaptierten Stall eine Kinovorführung. Wer in Georg Janetts gemütlicher Pension übernachtet, deren Preise das Vorurteil von der teuren Schweiz widerlegen, bekommt beste Bündner Küche vorgesetzt, mit Wild und Lamm von hier. Wenn der Wirt Zeit hat, führt er Gäste in das Haus des Künstlers Not Vital, wo es eine interessante Mischung aus altem Bauernhaus und moderner Kunst zu sehen gibt. (www.buntschlin.ch) Hans Gasser
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/alpen-winterurlaub-tipps-1.4262560
Alpen: Winterurlaub für Genießer
00/12/2018
Keine Lust auf volle Pisten und lange Schlangen am Lift? Es geht auch anders: Drei Orte für entspannte Ferien im Schnee.
[]
mlsum_de-train-220650
mlsum_de-train-220650
Freiwillig auf Ferienzeit verzichten - das macht doch niemand? Von wegen. Statt auch An- und Abreise zu genießen, warten die meisten schlecht gelaunt, bis sie endlich am Ziel sind. Und vergeuden so kostbare Lebenszeit. Früher war nicht alles besser, aber schicker. Wer verreiste, tat dies mit Stil und einer kleinen Auswahl von drei bis zehn Schrankkoffern. Damen im Reifrock und Herren mit Zylinder ließen die Blicke schweifen über die Reling des Dampfers oder aus dem Fenster im Orient Express und waren dabei selbst eine sehenswerte Erscheinung. Und heute? Unterscheiden sich Frauen und Männer vielleicht noch in der Farbe der gemütlichen Hose, gerne Jogging, und ihr Rollköfferchen wuchten sie selbst ins Handgepäckfach. Das Reisen hat den Zauber des Exklusiven verloren, was gut ist, denn damit verschwand auch das Elitäre: Früher sahen nur Betuchte ferne Länder, heute reist das Volk. Leider versäumt es dabei, den ganzen Urlaub zu genießen. Wie bitte, das machen wir doch, rufen nun entrüstet die Viel- und Weniger-oft-Reisenden. Aber auch Anfang und Ende? Neben dem Wegfall des Elitären ist dies der zweite große Unterschied, und darum ist es nun wirklich schade: Einst gehörte der Weg eindeutig zum Ziel, Anreise und Abfahrt wurden zelebriert. Heute fiebern alle dem Ankommen entgegen, davor ist ödes Warten: Dass die Autofahrt von A nach B möglichst staufrei zu Ende geht. Dass das Flugzeug endlich abhebt. Dass es wieder landet. Dass der Zug einfährt. Viele sind genervt, gereizt, gelangweilt - wären sie nur schon da! Doch was sie als vergeudete Lebenszeit empfinden, sind eigentlich verschenkte Ferienstunden. Öde warten oder lieber Spaß haben Würde man sie auffordern, zwei Tage ihres Jahresurlaubs ohne Gegenleistung abzutreten, die Empörung wäre groß. Dabei machen das die meisten freiwillig. Für sie beginnt Urlaub erst am Ziel. Doch mit einer Prise Gelassenheit und einer großen Portion Humor fängt der Urlaub an der Haustür an - und endet erst dort wieder. Wir wissen ja in etwa, was auf uns zukommt; also machen wir etwas draus, möglichst das Beste. Das funktioniert wie im Job: Angestellte, die nichts selbst entscheiden dürfen, fühlen sich äußeren Zwängen - manche nennen sie "Chef" - ausgeliefert und machen wenn überhaupt Dienst nach Vorschrift. Diejenigen aber, die möglichst viel Verantwortung übernehmen und entscheiden dürfen, sind zufriedener. Also lassen wir uns auch auf Reisen nicht von äußeren Umständen die gute Laune verderben. Schließlich singen wir alle das tägliche Klagelied, wie wenig Zeit für uns selbst bleibt. Statt also zu jammern, nur weil wir noch nicht am Ziel sind, gönnen wir uns doch lieber selbst die Wahl: Soll mir der Masseur während der Wartezeit am Airport schon mal die verspannten Schultern lockern? Fange ich endlich mit den ersten Lektionen in meiner Lieblings-Fremdsprache an? Vertiefe ich mich in Reisetipps und erhöhe so die Vorfreude? Und einen Stau oder eine allzu lange Fahrt verkürzen Hörbücher und Entdeckerfreude: Wer sagt denn (außer Österreicher), dass man auf der Autobahn ausharren muss, solange es keine Vollsperre ist - unterwegs kann man Sehenswürdigkeiten am Rande mitnehmen und so die Fahrt mit Etappenzielen verschönern. Genauso wenig ist es verboten (außer vielleicht in Österreich), sich in der Pause von der Hauptroute zu entfernen: Ein schönes Spiel mit Raum für Entdeckungen ist es, von der Autobahn abzufahren, wenn ein Ort ausgeschildert ist, dessen Name gefällt. Hat dieser zu viel versprochen, bekommt das nächste Dorf eine Chance. Zeit für Entdecker Nur so stießen wir einmal auf der Fahrt Richtung Alpen nahe der A8 auf ein Naturschauspiel in Blaubeuren mit dem märchenhaft-prosaischen Namen "Blautopf": Ein kreisrunder Tümpel in Türkis, das an Karibik denken lässt mitten in der Schwäbischen Alb. Gespeist wird die Karstquelle durch Wasser, das durch ein enormes Höhlensystem rinnt und in der Steinzeit Schutz bot: Schon vor 40 000 Jahren schnitzten hier Menschen Figuren aus Mammutelfenbein - heute die ältesten bekannten Kunstwerke. Seit dem Sommer 2017 gehört das Höhlensystem zum Welterbe der Unesco, was wohl nicht kausal mit unserem Besuch zusammenhängt, aber doch eine schöne Bestätigung ist. Wären wir auf der Autobahn geblieben, die Tank&Rast-Gaststätte hätte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es lohnt also, den Entdecker in sich nicht erst am Ziel rauszulassen. Und irgendwann muss man die mühsam erlernte Achtsamkeit ja anwenden. Wir haben keine Zeit zu verschenken, also zelebrieren wir sie! Vielleicht ziehen wir dabei sogar etwas Schönes an.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/ferien-urlaub-anreise-abreise-1.3665112
Freiwillig auf Urlaubstage verzichten
00/12/2018
Freiwillig auf Ferienzeit verzichten - das macht doch niemand? Von wegen. Statt auch An- und Abreise zu genießen, warten die meisten schlecht gelaunt, bis sie endlich am Ziel sind. Und vergeuden so kostbare Lebenszeit.
[]
mlsum_de-train-220651
mlsum_de-train-220651
Wer würde schon viel Geld zahlen, um seinen Urlaub auf einer vielbefahrenen Straßenkreuzung mitten in der Großstadt zu verbringen? Und dann auch noch genüsslich durchatmen: So gut, die Luft! Schiffspassagiere machen dies, wenngleich sie ihren Liegestuhl an Deck und nicht am Gehweg zurechtrutschen. Dort weht nur vermeintlich eine frische Meeresbrise, vor allem wenn man seinen Platz hinter dem Schornstein gewählt hat: Messungen haben ergeben, dass die Feinstaubbelastung auf einem Kreuzfahrtschiff vier Mal so hoch ist wie an einer vielbefahrenen Straßenkreuzung. Da ist es doch eine gute Nachricht, dass nun die Aida Nova - unter anderem wegen eines Brandes etwas verspätet - ihren Dienst auf See antritt und erst einmal ihre Runden um die Kanaren und nach Madeira dreht: Als bislang einziges Kreuzfahrtschiff fährt sie mit schadstoffarmem Flüssigerdgas (LNG) und hat Marinediesel nur zum Starten der Maschinen und für den Notfall dabei. Also können sich nun Schiffstouristen mit reinem Gewissen übers Meer kutschieren lassen? Ja und nein. Der LNG-Antrieb ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Er ist erfolgt, weil sich die Einstellung der Urlauber mit der wachsenden öffentlichen Kritik an den schwimmenden Dreckschleudern geändert hat. Sauber wird von den Kunden nachgefragt, ganz sauber läuft die Sache dennoch nicht. "Wenn man schon eine Kreuzfahrt machen möchte, dann ist das aktuell mit der Aida Nova am umweltschonendsten. Allerdings: Die Aida Nova ist das graue unter den schwarzen Schafen", sagt Dietmar Oeliger, Verkehrsexperte beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Der Verband bringt jährlich ein Umweltranking für Kreuzfahrtschiffe heraus, in dem die deutschen Reeder zwar ganz oben stehen - aber nur mit ihren neuesten Schiffen. Und bis auf die Aida Nova halten alle an Schweröl als Treibstoff fest, die meisten ohne Stickoxid-Katalysatoren oder Rußfilter. Da ist es also wirklich eine gute Nachricht, dass laut Reederei der Flüssiggas-Antrieb der Aida Nova den Ausstoß von Stickoxiden um bis zu 80 Prozent, die CO₂-Emissionen um 20 Prozent verringert. Allerdings könnten die entsprechenden Motoren noch besser werden, oft entweicht bei der Verbrennung zu viel Methan - ebenso wie schon bei der Lieferkette vom Bohrloch bis aufs Schiff, was wieder der Klimabilanz schadet: Wird zu viel Methan freigesetzt, schwindet der Vorteil gegenüber Marine-Diesel drastisch. Dieser ist schadstoffärmer als Schweröl, aber teurer und wird daher weniger eingesetzt. Flüssiggas bleibt ein fossiler Brennstoff Und es gibt noch einen Haken beim Flüssiggas: Es bleibt ein fossiler Brennstoff. Wird es gar in den USA mit umstrittenen Fracking-Methoden gewonnen, fällt die Umweltbilanz weitaus negativer aus. Daher fordert der Nabu, in Zukunft auch im Schiffsverkehr auf regenerative Energien zu setzen, sei es auf Kreuzfahrten oder Frachttransporten - Flüssiggas sei zwar löblich, aber nur eine Zwischenlösung. Wie wirklich umweltverträgliche Lösungen aussehen könnten, bleibt die große Frage - vor allem wenn Reedereien nicht gezwungen sind, sie überhaupt ernsthaft zu stellen. Vielleicht wird man irgendwann doch wieder die Segel setzen.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/kreuzfahrt-aida-nova-fluessiggas-lng-1.4260547
"Schadstoffarme ""Aida Nova"" - Das Kreuzfahrt-Problem"
00/12/2018
Die "Aida Nova", weltweit erstes Kreuzfahrtschiff mit Flüssiggas-Antrieb, ist von Teneriffa zur Premierenfahrt aufgebrochen. Können Passagiere nun mit ruhigem Gewissen ihre Schiffsreise genießen? Nicht ganz.
[]
mlsum_de-train-220652
mlsum_de-train-220652
Dubrovnik ist ein beliebtes Ziel für Kreuzfahrten. Doch die Altstadt ist viel zu klein für die vielen Besucher. Kreuzfahrt-Tourismus presst Tausende Urlauber für kürzeste Zeit in Städte und erstickt dort das Alltagsleben. Das darf Veranstaltern nicht mehr egal sein. Die neue Aida Nova sticht in See, und das so schadstoffarm wie kein anderes Kreuzfahrtschiff - wobei auch der Antrieb mit Flüssiggas den ein oder anderen Haken hat. Trotzdem: Eigentlich könnten sich die etwa 6000 Urlauber auf der Aida Nova nun mit gutem Gewissen zurücklehnen, oder? Leider nicht, denn das Grundproblem der Kreuzfahrten löst auch der umweltfreundlichste Antrieb nicht: Sobald die Schiffe anlegen, werden sie zu einem Problem. Dann verlässt nicht nur ein Urlauber seinen Liegestuhl und möchte vor allem Stadt und weniger Land und Leute kennenlernen, denn das ist in der Kürze der Zeit gar nicht möglich. Mit ihm gehen im schlimmsten Fall 5999 andere Touristen von Bord. Sie überschwemmen die Innenstadt, haben Zeit für ein paar Selfies und vielleicht einige Souvenirs made in Asia, dann müssen sie wieder zurück. Wofür sie keine Zeit haben: Wirklich den Ort zu entdecken, an dem das Schiff vor Anker gegangen ist, und dabei Geld in Geschäften und in der Gastronomie zu lassen. Nicht nur geschlafen wird an Bord, sondern auch all-inclusive gegessen. Hohe See statt Städte anschauen? Das treibt inzwischen nicht mehr nur die Bewohner von Venedig oder Dubrovnik zur Verzweiflung, die sich mit Verboten wehren. Auch Bürger von Orten, die von Flusskreuzfahrern heimgesucht werden, beschweren sich sowohl über die dicke Luft als auch über einen Verlust an Lebensqualität. Doch wäre es eine Lösung, mit abgasarmen Schiffen nur noch über das Meer zu schippern und gar nicht mehr anzulegen? Einige Kreuzfahrten laufen ja genauso schon ab. An Bord der Schiffe wird so viel Unterhaltungsprogramm geboten, dass es den Passagieren nicht langweilig wird. Außer sie wussten vorher nicht, dass Club-Urlaub auf See bei ihnen einen verschärften Lagerkoller auslöst. Doch die meisten erfreuen sich an Pools, Kletterwänden, Rutschen, Bars, Joggingstrecken (rings um den Schornstein) und Gokart-Bahnen. Doch die meisten Kreuzfahrten lassen sich nur über die Städte verkaufen, die angesteuert werden: Hier ist der Vorteil nicht (nur) das Bordprogramm, sondern dass man spannende Ziele entspannt erreicht, ohne ständig seine Koffer packen zu müssen. Doch damit diese Bequemlichkeit nicht auf Kosten der besuchten Städte geht, müssten nicht allein dort Strategien gegen Overtourismus entwickelt werden, sondern auch in den Chefetagen der Reedereien. Die Schiffe dürften nicht nur dorthin fahren, wo alle anderen auch schon sind, sondern müssten unbekanntere Orte ins Programm aufnehmen - die dann bei längeren Liegezeiten entdeckt werden können, auch im Hinterland. Überhaupt sollte das Ausflugsprogramm entzerrt werden, weg von den Must-see-Sehenswürdigkeiten hin zu alternativen Touren etwa durch Künstlerviertel. Museen könnten mit eigens für die Schiffspassagiere angebotenen Führungen unterstützt werden und Essen-Coupons der Touristen dürften lokale Gastronomen bei den Reedereien einreichen. Nur wenn Veranstalter bei kreativen Lösungen für Overtourismus eng mit den Verantwortlichen in den Städten zusammenarbeiten, würden alle von den Kreuzfahrten profitieren - auch Urlauber, die wirklich etwas sehen möchten von Zielen, die weitaus mehr verdient haben als nur ein schnelles Konsumieren. Passagiere, denen das zu anstrengend ist, bleiben eben auf dem Schiff. In der Stadt wird sie niemand vermissen.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/kreuzfahrt-overtourismus-staedtereise-1.4260657
Kreuzfahrt: Reeder müssen etwas gegen Overtourismus tun
00/12/2018
Kreuzfahrt-Tourismus presst Tausende Urlauber für kürzeste Zeit in Städte und erstickt dort das Alltagsleben. Das darf Veranstaltern nicht mehr egal sein.
[]
mlsum_de-train-220653
mlsum_de-train-220653
Die Ankunftstafel am Flughafen Gatwick zeigt am Mittwoch verspätete und umgeleitete Füge an. Nach dem Drohnen-Chaos der vergangenen zwei Tage hat der Londoner Flughafen Gatwick den Flugverkehr wiederaufgenommen. Die Start- und Landebahn ist derzeit geöffnet. Eine begrenzte Zahl von Flügen sind für Abflug und Landung eingeplant, teilte der Airport am Freitagmorgen auf seiner Webseite mit. Dennoch sollten Passagiere den Status ihres Fluges prüfen, bevor sie sich auf den Weg zum Flughafen machten, hieß es dort weiter. Es werde weiterhin zu Verspätungen und Ausfällen von Flügen kommen. Am Donnerstag waren 115 000 Reisende betroffen, am Freitag werden eigentlich weitere 126 000 Menschen in Gatwick erwartet. Weil eine, zeitweilig sogar zwei Drohnen stundenlang über dem Sicherheitszaun und einer Landebahn gesichtet wurden, hatten sich die Behörden aus Sicherheitsgründen entschlossen, den Flugverkehr einzustellen. Mehr als 800 Flüge wurden bislang gestrichen. Seit Mittwochabend war in Gatwick - abgesehen von einer dreiviertelstündigen Unterbrechung - kein einziges Flugzeug mehr gelandet oder gestartet. Ankommende Maschinen mussten umgeleitet werden und teils Hunderte Kilometer entfernte Airports wie Amsterdam und Paris ansteuern. Das Unternehmen Ryanair kündigte an, soweit möglich auf dem Flughafen London-Stansted auszuweichen. Bei den mindestens zwei Drohnen handelt es sich nach Einschätzung der Polizei nicht um Hobby-Fluggeräte. Sie seien vielmehr für den professionellen Einsatz bestimmt. "Das ist eine präzise geplante Aktivität, die darauf ausgelegt wurde, den Flughafen lahmzulegen und maximale Behinderungen in der Vorweihnachtszeit zu bringen", teilte Gatwick-Geschäftsführer Stewart Wingate mit. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gab es laut Behörden zunächst nicht. In den ersten 24 Stunden nach Einstellung des Flugbetriebs zählte die Polizei mehr als 50 Drohnen-Sichtungen.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/gatwick-flugverkehr-drohne-1.4262290
Flugverkehr: Flughafen Gatwick wieder geöffnet
00/12/2018
Der zweitgrößte Flughafen des Landes war seit Mittwochabend im Ausnahmezustand. Wegen Drohnen über dem Rollfeld war der Flugverkehr eingestellt.
[]
mlsum_de-train-220654
mlsum_de-train-220654
Unter Reisenden, die von London-Gatwick aus in die Weihnachtsfeiertage fliegen wollen, macht sich derzeit Panik breit. Der zweitgrößte Flughafen des Landes, eine halbe Stunde südlich der Hauptstadt gelegen, ist seit Mittwochabend, neun Uhr Ortszeit, im Ausnahmezustand. Und es ist bislang nicht klar, wann dieser Ausnahmezustand enden wird. Weil eine, zeitweilig sogar zwei Drohnen stundenlang über dem Sicherheitszaun und einer Landebahn gesichtet wurden, entschlossen sich die Behörden aus Sicherheitsgründen, den Flugverkehr einzustellen. Mehr als 800 Flüge wurden bislang gestrichen. Im schlimmsten Fall, so meldeten einige Medien, könne der Flughafen "tagelang" geschlossen bleiben. Der Flughafenleitung zufolge müssen sich Passagiere darauf einstellen, dass es in jedem Fall am Freitag bei der Schließung bleibt. Denn die Drohnen, die mit startenden und landenden Flugzeugen kollidieren könnten, wurden immer wieder über dem Flugfeld gesichtet. Der Billigflieger Ryanair lässt wegen der Schließung Gatwicks seine Jets am Freitag auf einen anderen Londoner Airport ausweichen. Das gab Ryanair am Donnerstagabend bekannt. Die Flüge starten und landen vorerst in Stansted nordöstlich von der britischen Hauptstadt. Alle Flüge der anderen Londoner Flughäfen sind ausverkauft Eine Drohne sei "aufgetaucht und verschwunden, aufgetaucht und verschwunden", sagte Flughafenchef Chris Woodroofe dem Sender Sky News. "Während ich hier stehe und wir sprechen, ist wieder eine Drohne über meinem Flugfeld." Er forderte Passagiere auf, in den kommenden Tagen nur anzureisen, nachdem sie sich informiert hätten, ob ihr Flug stattfinde. Wer umbuchen wollte, um Weihnachten zu Hause zu sein, wurde schwer enttäuscht: Praktisch alle Flüge von allen Londoner Flughäfen sind ausverkauft; auf den Webseiten der Fluglinien erschien der rot unterlegte Hinweis: "Flights to and from London Gatwick airport suspended due to drone activity" - alle Flüge von und nach Gatwick seien wegen Drohnenaktivitäten abgesagt. Mittlerweile sind Polizei und Politik involviert, sogar das Militär wurde alarmiert. Einen terroristischen Akt halten die Ermittler für unwahrscheinlich. Polizeieinheiten durchkämmten die Region auf der Suche nach den Personen, die die Drohnen einsetzen. Die Armee schickte Spezialisten, die helfen sollen, den Funkkontakt zur Basisstation zu stören, oder Kontrolle über die Drohnen zu übernehmen und sie zu landen. Das Verkehrsministerium sieht sich wachsender Kritik ausgesetzt, weil es "zu langsam auf die Bedrohung reagiert" habe. Man arbeite mit der Industrie zusammen, um Drohnen künftig besser abfangen zu können, hieß es aus dem Ministerium. Aktuell hilft das den Passagieren wenig. Hunderttausend waren am ersten Tag des Stillstands in Gatwick betroffen, und es werden stündlich mehr. Ankommende Flüge wurden innerhalb Englands, aber auch auf den Kontinent umgeleitet, Passagiere landeten in Birmingham, Amsterdam oder Bordeaux und waren dann auf sich gestellt. Diejenigen, die von Gatwick abfliegen wollten, saßen bis zu sechs Stunden auf dem Rollfeld in ihren Fliegern fest, ohne jede Information. Tausende weitere schliefen in der Nacht auf dem Fußboden. Riskante Sicherheitslage Sollten die Drohnenpiloten weiterhin nicht gefunden werden, droht sich das Chaos in das passagierreichste Wochenende des Jahres hinein fortzusetzen. Der Flughafen hätte kurz vor Weihnachten ohnehin mit Problemen zu kämpfen gehabt, weil der Zug zum Airport wegen Gleisarbeiten nicht fährt. Die Stilllegung durch die Drohnen sah da fast wie Ironie des Schicksal aus, aber die aktuelle Lage ist mehr als eine Unbill, sie ist für viele eine Katastrophe. Und sie zeigt, wie riskant die Sicherheitslage auf Flughäfen mittlerweile ist. Die Zahl der Drohnen, die den Flugverkehr gefährden, ist rasant angestiegen, auch in Deutschland. Allein in diesem Jahr, so die Deutsche Flugsicherung (DFS), seien hierzulande 152 Behinderungen durch Fluggeräte gemeldet worden. In Gatwick hat die Polizei bisher aus Sorge vor Querschlägern darauf verzichtet, die Fluggeräte abzuschießen. Mittlerweile sollen nach Medienangaben aber Scharfschützen am Flughafen angekommen sein. Erst im Juni war ein Gesetz erlassen worden, das es verbietet, Drohnen innerhalb eines Radius von einem Kilometer rund um Flughäfen einzusetzen. Den Drohnen-Piloten in Gatwick drohen nun bis zu fünf Jahre Haft.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/flughafen-london-gatwick-sperrung-drohnen-1.4261898
London-Gatwick: Sperre nach Drohnen-Alarm dauert an
00/12/2018
Drohnen legen den Flughafen London-Gatwick lahm, Tausende Passagiere sind gestrandet, die Regierung hat das Militär um Hilfe gebeten - und niemand weiß, wann wieder Flugzeuge starten dürfen.
[]
mlsum_de-train-220655
mlsum_de-train-220655
Drohnen werden in diesem Jahr unter vielen Christbäumen liegen. In London allerdings haben die kleinen Fluggeräte vielen Weihnachtsurlaubern den Start in die Ferien gründlich verdorben. Der Flugbetrieb am Airport Gatwick, dem siebtgrößten Flughafen in Europa, wurde komplett eingestellt, weil Drohnen über das Rollfeld flogen. Mehrere Zehntausend Passagiere sind davon betroffen. Die Sperrung begann am Mittwochabend, viele Passagiere saßen stundenlang in ihren startklaren Flugzeugen fest. In in der Nacht gab es zunächst Entwarnung, wenig später wurde der Flughafen jedoch wieder geschlossen, nachdem erneut Drohnen gesichtet worden waren. "Wir entschuldigen uns bei allen betroffenen Passagieren für die Unannehmlichkeiten, aber die Sicherheit unserer Passagiere und Mitarbeiter hat oberste Priorität", hieß es auf der Webseite des Flughafens. Gemeinsame Untersuchungen mit der Polizei seien angelaufen. In den sozialen Netzwerken machten derweil Reisende ihrem Ärger Luft. Passagiere beschwerten sich, dass ihre Flüge im Londoner Flughafen Heathrow, in Manchester, Birmingham und anderen britischen Städten gelandet seien. Andere fanden sich in Frankreich oder den Niederlanden wieder. Die Polizei in der Grafschaft Sussex bezeichnete die Störungen als "absichtliche Handlung", die sie mit allen verfügbaren Mitteln unterbinden werde. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gebe es keine. Auf Twitter rief sie dazu auf, bei der Identifizierung der Drohnenpiloten zu helfen. #GatwickDrones | We are appealing for information to help us identify the operators of the #Gatwick #drones. If you know who's responsible or have any information please call 999 and quote ref 1350-19/12. Please RT pic.twitter.com/jkcakBohMr — Sussex Police (@sussex_police) 20. Dezember 2018 Reisenden und Abholenden wird geraten, auch im weiteren Tagesverlauf vorsichtshalber mit der jeweiligen Fluglinie den Flugstatus abzuklären. Das wiederum dürfte viele betreffen: Mit mehr als 45 Millionen beförderten Passagieren im vergangenen Jahr ist Gatwick der siebtgrößte Flughafen in der EU - und im Königreich die Nummer zwei hinter Europas größtem Airport London-Heathrow. Ende Juli waren in Großbritannien neue Regeln für Drohnenbesitzer in Kraft getreten. Sie machen sich strafbar, sobald sich ihre unbemannten Fluggeräte einem Flughafengelände auf weniger als einen Kilometer nähern. Wird ein Flugzeug durch die Drohne gefährdet, riskiert der Besitzer eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren. Behinderungen durch Drohnen gibt es immer wieder auch an deutschen Flughäfen. Der Deutschen Flugsicherung (DFS) zufolge wurden in diesem Jahr bis einschließlich November 152 Behinderungen gemeldet. Im bisherigen Rekordjahr 2017 waren es nur 88 Fälle.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/flughafen-gatwick-sperrung-drohnen-1.4261214
Drohnen legen Londoner Flughafen Gatwick lahm
00/12/2018
Am siebtgrößten europäischen Airport kann seit Stunden kein Flugzeug mehr starten und landen. Aktuell sind alle Flüge ausgesetzt - und Zehntausende Passagiere gestrandet.
[]
mlsum_de-train-220656
mlsum_de-train-220656
Immer komfortabler, immer spektakulärer: Auf das Klein Matterhorn bei Zermatt fahren jetzt Gondeln mit Glasboden - und die Schweiz diskutiert über Grenzen des Bergtourismus. Es ist noch gar nicht lange her, da wäre der Vorsatz, das Matterhorn zu erklimmen, eine Art Abschied von der modernen Welt gewesen. Wer den mehr als 4400 Meter hohen Felsenberg bezwingen wollte, brauchte nicht nur eine gute Ausrüstung, sondern auch ein Testament. Dass Menschen auf dem Weg nach oben starben, kam nicht nur zu Zeiten der spektakulären Erstbesteigungen im 19. Jahrhundert vor, sondern auch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Wer heute dagegen nach Bildern aus der einst abgelegenen Welt sucht, stößt auf Videos, die eher nach Freizeitpark denn nach Abenteuer aussehen. Eine mit Swarovski-Kristallen geschmückte Kabine schwebt das ebenfalls fast 4000 Meter hohe Klein Matterhorn hinauf, irgendwo über dem Gletscher öffnet sich der Boden, zumindest sieht es so aus. Die Passagiere, nun nur durch eine Glasscheibe von der spektakulären Bergwelt getrennt, beginnen zu jubeln. Eine Stimme aus dem Off vergleicht die Seilbahnfahrt mit einem Helikopterflug und freut sich: "so bequem" habe man die Alpen noch nie erobern können. Der neue Glacier Ride der Zermatter Bergbahnen, der parallel zur bestehenden alten Seilbahn errichtet wurde, steht für einen aktuellen Trend im Bergtourismus: Immer spektakulärer und komfortabler muss es sein, damit auch der unsportlichste Tourist für einen halben Tag das Hochgebirge erleben kann. Seit November bringen die hochmodernen Kabinen, von denen vier den Glasboden mit angepriesener "3-D-Aussicht" haben, bis zu 2000 Passagiere in der Stunde auf das 3883 Meter hohe Klein Matterhorn. Für Skifahrer ist das Gebiet wegen seiner Schneesicherheit ohnehin attraktiv. Doch auch Ausflügler zieht es nun vermehrt hinauf. Wenn Landschaftsschützer Raimund Rodewald über die gläserne Bahn spricht, klingt es weniger euphorisch. Mit Gram in der Stimme erinnert der Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz an die Bergwelt, wie sie ursprünglich war: karg, felsig, unwirtlich. Und: einsam. Wer auf dem Berg stand, der genoss nicht nur die Aussicht und das Gefühl, etwas Großes bezwungen zu haben, sondern auch eine märchenhafte Stille. Was für den Landschaftsschützer eine Art traumhaften Urzustand darstellt, ist für die Bergbahnen eine ungemütliche Geräuschkulisse. Seit vielen Jahren sind die Betreiber der einst lukrativen Schweizer Seilbahnen in der Krise. Für Touristen aus Europa, die jahrzehntelang zum Wandern und Skifahren in die Schweizer Alpen kamen, ist das Land inzwischen so teuer geworden, dass sie oft lieber in die Nachbarländer ausweichen. Die Schweizer versuchten zwar, mit Sonderangeboten attraktiv zu bleiben und zumindest die inländischen Gäste zu halten, doch diese Strategie geht nur bedingt auf. Immer offensiver setzen die Touristiker daher auf "neue Märkte". Reisende aus China, Russland oder der arabischen Welt sollen die Lücke füllen, die Deutsche und Österreicher hinterlassen haben. Naturschützer Raimund Rodewald weiß, wie seine Kritik an diesem neuen Tourismus verstanden werden kann. "Es geht uns überhaupt nicht um die Nationalität der Gäste. Bei uns ist jeder herzlich willkommen", versichert er. Doch je stärker man das Angebot in der Schweiz auf Touristen ausrichte, die im Schnelldurchlauf durch Europa jetten, desto stärker werde sich das Gesicht der Berge verändern. Und das nicht zu deren Gunsten.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/schweiz-zermatt-alpen-bergbahn-1.4249779
Schweiz: Neue Bergbahn in Zermatt
00/12/2018
Immer komfortabler, immer spektakulärer: Auf das Klein Matterhorn bei Zermatt fahren jetzt Gondeln mit Glasboden - und die Schweiz diskutiert über Grenzen des Bergtourismus.
[]
mlsum_de-train-220657
mlsum_de-train-220657
Renommierte Architekten entwerfen neue Bergstationen. Das sieht gut aus. Aber wären die Berge allein nicht schon sehenswert genug? In jedem James-Bond-Film gibt es eine essenzielle und seit 1962 ("Dr. No") für Fans auch existenzielle Bar-Szene. Fast immer, wenn Bond einen Wodka Martini bestellt, muss dieser Running Gag bemüht werden: geschüttelt, nicht gerührt. Insofern macht der jüngste Bond ("Spectre", mit Daniel Craig) keine Ausnahme. Als Bond an der Bar des auf 3048 Metern am Gaislachkogl in Sölden, Tirol, gelegenen Restaurants Ice Q seinen Drink mit dem bewährten Gag bestellt, lautet die Antwort erstaunlicherweise aber so: "Wir servieren keinen Alkohol." Klar, denn im 007-Thriller ist der aufsehenerregende und viereinhalb Millionen Euro teure Bau nach einem Entwurf des Innsbrucker Architekten Johann Obermoser ja auch kein mondäner Restaurantkomplex aus gläsern übereinander gestapelten Kuben, sondern eine Bergklinik. Aber auch die ist Eisblöcken nachempfunden. Bond beantwortet die Abfuhr an der Bar schließlich auf eine so trockene Weise, wie er sich auch seine Drinks wünscht: "Ich merke schon, das wird mein Lieblingsort." Der Lacher im Kino ist Kalkül. Ein zweiter Lacher erfolgt gleich danach. Dann nämlich, wenn an der hochalpinen Bar, die in Wirklichkeit zu einer aus Stahl, Glas und einem faszinierenden Blick auf die umliegenden Berggipfel gefügten Gourmet-Arena gehört, Bonds Quartiermeister "Q" auftaucht. Im Ice Q lässt der namentlich hervorragend in die Szenerie passende Q den Barkeeper wissen: Er, also Bond, "nimmt einen Verdauungsenzym-Shake". Wenig später wird Bond den insofern trostbedürftigen Barmann darum bitten, den Drink im Klo runterzuspülen. Das ist dann der dritte Lacher. Detailansicht öffnen Eisblock-Architektur: Das Restaurant Ice Q in Sölden, Drehort für den James-Bond-Film Spectre. (Foto: Rudi Wyhlidal; Rudi Wyhlidal / Bergbahnen Sölden) Im Grunde ist es ja erstaunlich, dass ein Bond-Setting, das im Film als Versteck "am Ende der Welt" dient, das genussfeindlich und voller Verdauungsenzyme die Gletschereinöde fiktionalisiert, dennoch als Ort der Sinnes- und Leibeslust überzeugt. Mit dem Werbespruch "Ein Ja-Wort über den Wolken in Sölden" wird die "außergewöhnliche Hochzeits-Location" des Ice Q sogar als "Versprechen an die Liebe" gefeiert - "mit unzähligen Dreitausendern als zuverlässigen Trauzeugen". Ein Bond-Museum gibt es neben dem Restaurant seit den Dreharbeiten auch. Der Ort ist etwas Besonderes. Das hat nicht nur mit der Macht des Kinos etwas zu tun, sondern mit einem anderen Lieferanten suggestiver Bildkunst: mit einer hochambitionierten Architektur, die nicht nur der Baukultur, sondern auch der Schaukultur verbunden ist. Überhaupt ist es verblüffend, an welch entlegenen Stätten man seit einigen Jahren nicht nur der Spitzengastronomie oder dem Eventgedöns, sondern auch der dazugehörigen Sternearchitektur begegnet. Ein etwa 100 Millionen Euro teures Projekt soll in den nächsten Jahren auf dem Titlis entstehen. Auf dem 3238 Meter hohen Berg, der in der Zentralschweiz ein beliebtes Skigebiet überstrahlt, wird nach Plänen der Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron eine neue Bergstation samt Restaurant realisiert, wodurch auch der 50 Meter hohen Sendeturm zugänglich wird. Die Rede ist von einem "Leuchtturmprojekt". Als die Pläne kürzlich öffentlich vorgestellt wurden, sagte Pierre de Meuron: "Wir mussten nicht lange überlegen, ob wir das Projekt angehen sollen." Bergstationen seien zwar meist Zweckbauten, aber "wir haben den Anspruch, auf dem Gipfel des Titlis Zweck und Ästhetik zu vereinen". Die alte Bergstation, erbaut 1967, kann nach Angaben der Betreiber die zukünftigen Anforderungen nicht mehr erfüllen. Inzwischen besuchen über eine Million Gäste jährlich den Berg, in Spitzenzeiten sind bis zu 2000 Menschen gleichzeitig auf dem Gipfel.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/alpen-architektur-neubau-bergstationen-1.4249776
Alpen: Architektur auf dem Berg
00/12/2018
Renommierte Architekten entwerfen neue Bergstationen. Das sieht gut aus. Aber wären die Berge allein nicht schon sehenswert genug?
[]
mlsum_de-train-220658
mlsum_de-train-220658
Mitten in ... Epterode Man hat Weihnachtskekse gebacken im nordhessischen Epterode. Die Küche duftet, Kleckse, Krümel und andere Schweinereien sind beseitigt, das polierte schwarze Backblech steht glänzend an der weißen Wand. Es läutet, Besuch, eine junge Mutter mitsamt fünfjährigem Sohn. Passt, es gibt frisches Gebäck. Das Kind, ein Energiemonster, das eigentlich nur im Schlaf die kleine Klappe hält, lässt Kekse Kekse sein und steht schweigend und äußerst nachdenklich vor dem blitzsauberen Backblech. Man wundert sich, das kennt man von ihm sonst gar nicht. Seine Finger zucken, erst leicht, dann konvulsivisch. In die Verwunderung mischt sich Sorge. Was ist bloß mit dem Jungen los? Irgendein Anfall womöglich? I wo. Das Kind des 21. Jahrhunderts hat lediglich eine Frage auf dem Herzen: "Wo ist denn die Fernbedienung für den Fernseher hier neben der Spüle?" Susanne Höll SZ vom 14. Dezember 2018
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/kolumne-kurioses-sz-autoren-unterwegs-1.4241830
Kurioses aus aller Welt
00/12/2018
Im hessischen Epterode geschieht in der Adventszeit Unglaubliches: Ein Fünfjähriger verschmäht frischgebackene Plätzchen. Und in Boulder haben Haustiere Vorfahrt - oder doch nicht?
[]
mlsum_de-train-220659
mlsum_de-train-220659
Geschlossene Hütten und Liftbügel in Warteposition: Wenn die Saison vorbei ist, verharren viele Orte in den Alpen zwischen "nicht mehr" und "noch nicht". Der Schweizer Simon Walther hat diesen Schwebezustand fotografiert. Die Natur kennt keine Saison, nur die Jahreszeiten. Die Saison hat sich der Mensch einfallen lassen. Und ist dabei sehr auf die Natur angewiesen - mehr als ihm oft lieb ist. Weshalb er sich von ihr zu emanzipieren versucht, speziell winters in den Alpen. Indem er Berge künstlich beschneit, wenn kein Schnee fallen mag. Aber selbst dafür war es bislang zu warm, jedenfalls in den tiefer gelegenen Skigebieten. Der Beginn des Winters und der Wintersaison sind zweierlei. In den Alpen gibt es im Wesentlichen eine Sommer- und eine Wintersaison. Die Übergänge mögen mancherorts als Vor-, Nach-, Neben- oder Zwischensaison bezeichnet und vermarktet werden. Im Prinzip aber sind sie eine Unsaison. "Man müsste diese Tage überspringen oder zumindest abkürzen können", schreibt Markus Maeder in seinem Vorwort zu Simon Walthers Band "Zwischensaison" aus Perspektive der Hoteliers und Gastwirte, der Seilbahnbetreiber und anderweitig am Tourismus Verdienender: "Dieser Schwebezustand zwischen nicht mehr und noch nicht erwischt uns immer wieder auf dem falschen Fuß." Der Fotograf Simon Walther hat sich just in diesen Phasen aufgemacht in die schweizerischen Alpen, mit einem allradgetriebenen Camper, um die Zwischensaison zu dokumentieren. Wenn noch nicht oder nicht mehr genügend Schnee liegt für den Wintersport. Wenn noch oder schon zu viel Schnee liegt zum Wandern und Klettern. Wenn die Hotels und Gastwirtschaften geschlossen haben, die Lifte nicht fahren. Wenn die Hinterlassenschaften der vergangenen Saison noch nicht weggeräumt sind und die der anstehenden noch verstaut. Detailansicht öffnen Der Spielzeug-Rasenmäher eines Kindes harrt im Dorf Maloja auf den nächsten Sommer. (Foto: Simon Walther) Vieles steht dann wie entblößt da - Schilder, die augenblicklich niemandem nutzen, Motorschlitten auf einem Untergrund aus Kies, Matten, die Stürze von Skifahrern abmildern sollen. Doch auf den winzigen Schneeresten fährt niemand mehr. Lange rote Holzpflöcke, mit denen winters Straßenverläufe markiert werden, liegen aufgestapelt in einem Verschlag, Schleppliftbügel baumeln über braungrünen Hängen, Liegestühle behaupten eine andere Jahreszeit. In mancherlei Hinsicht ist die Zwischensaison jedoch auch eine sehr betriebsame Zeit. Wenn keine Gäste da sind, kann an- und umgebaut, kann die Infrastruktur erneuert werden. Simon Walther zeigt auf seinen Fotografien in diesem Bildband konsequent keine Menschen. Aber er dokumentiert zum Beispiel Baufahrzeuge oder einen mit alten, kaputten Stühlen übervollen Müllcontainer. Eine Schneelanze sprüht Kunstschnee auf die Riffelalp bei Zermatt - Walther hat diese Szene aus einem Blickwinkel aufgenommen, aus dem es so aussieht, als bekäme am Horizont der Gipfel des Matterhorns eine Sahnehaube verpasst. Detailansicht öffnen Wo ein Motorschlitten und Toilettenhäuschen stehen, war ein Zieleinlauf der Ski-WM 2017 in St. Moritz. (Foto: Simon Walther) Kuriositäten wie diese gibt es eine Menge: Sie resultieren oft aus dem Umstand, dass die Dinge in den Alpen eben nur eine saisonale Funktion haben. Manchmal sind die Dinge auch an sich merkwürdig: ein Transparent mit der Aufschrift "Ankommen und Genießen" zum Beispiel, angebracht an einem recht heruntergekommenen Haus. Ein geschlossener Imbissstand auf dem Gotthardpass neben einer steinernen Marienfigur. Das Restaurant Furkablick, an dessen Fassade sich nur die Buchstaben "Rest" erhalten haben. "Zwischensaison" gleicht dem Blick in einen Hinterhof. Wo sich Dinge stapeln, die man gewiss oder wenigstens vielleicht noch einmal braucht, und andere, die man wegzuwerfen sich bislang nicht die Mühe gemacht hat. Simon Walther streut in die Fotoserie aber auch immer wieder Motive ein, wo er nach der Schönheit der Zwischensaison sucht, nach besonderen Lichtstimmungen, wie sie nur der späte Herbst und der frühe Frühling hervorbringen. Es sind rare Momente, die der Trostlosigkeit trotzen. Hier zeigt sich der Unterschied zwischen Saison und Jahreszeit. Simon Walther: Zwischensaison. AS Verlag, Zürich 2018. 144 Seiten, 39,50 Euro.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/alpen-fotos-saison-1.4249787
Alpen: Fotos aus der Zwischensaison
00/12/2018
Geschlossene Hütten und Liftbügel in Warteposition: Wenn die Saison vorbei ist, verharren viele Orte in den Alpen zwischen "nicht mehr" und "noch nicht". Der Schweizer Simon Walther hat diesen Schwebezustand fotografiert.
[]
mlsum_de-train-220660
mlsum_de-train-220660
Mit dem Winter verhält es sich ungefähr so wie mit den Zügen der Deutschen Bahn: Jeder Mensch ahnt, dass er irgendwann kommen muss, nur keiner weiß, wann genau. Die Verspätung des Winters hat sich zur Normalität entwickelt. Wie soll das weitergehen? Mit dem Winter verhält es sich ungefähr so wie mit den Zügen der Deutschen Bahn: Jeder Mensch ahnt, dass er irgendwann kommen muss, nur keiner weiß, wann genau. Die Verspätung des Winters hat sich sogar derart zur Normalität entwickelt, dass selbst die im Grunde winterfesten Münchner teilweise bis kurz vor Weihnachten in ihren Cabriolets durch die Straßen heizen konnten, während die zwischen Winterreifen deponierten Skier bis weit in den Januar Rost ansetzten. Manch bayerischer Skeptiker warnt daher schon vor Zuständen wie in anderen deutschen Millionenstädten, wo heute eine Flocke als Naturwunder gilt, drei Zentimenter Schnee zum Verkehrschaos führen und der gelernte Skifahrer kurz vorm Aussterben steht. Und auch, wenn der Winter heuer erstaunlicherweise früh oder vielleicht einfach nur pünktlich Einzug hielt, drohen auch manchen Skigebieten der Alpen geradezu Berliner Verhältnisse. Denn die Verschiebung des Winters hat ja nicht nur eine zeitliche, sondern letztlich auch eine räumliche Komponente. Glaubt man beispielsweise einer Studie der äußerst glaubwürdigen Forscher vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos, werden sich die Klimazonen bis 2035 um 200 bis 500 Meter, bis 2085 gar um 700 bis 1000 Meter nach oben verschieben. Der Winter flüchtet mit der Zeit also gewissermaßen aus den Tälern in die höheren Lagen. Für die Seilbahnindustrie ist das zumindest mittelfristig noch nicht bedrohlich, weil im Notfall einfach schnell ein paar Gondeln gebaut werden, die mindestens so hoch führen wie der neue Glacier Ride am Klein Matterhorn. Wirklich geschäftsschädigend wäre freilich, wenn sich der Winter noch etwas genauer bei der Bahn umschaut und die Skiindustrie dazu zwingt, die gläsernen Liftstationen und Gondeln als Treibhäuser für Zitrusfrüchte zu verwenden: mit einem groß angelegten, flächendeckenden Streik.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/ende-der-reise-gondelnde-treibhaeuser-1.4249789
Ende der Reise - Gondelnde Treibhäuser
00/12/2018
Mit dem Winter verhält es sich ungefähr so wie mit den Zügen der Deutschen Bahn: Jeder Mensch ahnt, dass er irgendwann kommen muss, nur keiner weiß, wann genau. Die Verspätung des Winters hat sich zur Normalität entwickelt. Wie soll das weitergehen?
[]
mlsum_de-train-220661
mlsum_de-train-220661
Die Fusionierung von Skigebieten schreitet weiter voran. Viele Betreiber versuchen auf diese Art, mehr Gäste anzulocken und so im Wettbewerb um die verbliebenen Besucher zu bestehen. Schneebedeckte Pisten und gut gefüllte Lifte mit Skifahrern, bei denen das Geld locker sitzt - das ist eine Wintersaison, wie sie sich Pistenbetreiber wünschen. Doch mit jedem neuen Winter rückt die Erfüllung dieses Wunsches weiter in die Ferne. Die Bahnbetreiber sehen sich einem zunehmenden wirtschaftlichen Druck ausgesetzt: Einerseits werden die Skigäste nicht mehr, ihre Zahl stagniert seit Jahren. Andererseits fällt der Schnee oft nur noch in höheren Lagen, der Klimawandel macht den Skigebieten zu schaffen. Also müssen sie höher hinauf und versuchen, sich zu großen Skischaukeln zusammenzuschließen, um attraktiver zu werden und im Wettbewerb um die verbleibenden Gäste zu bestehen. In Tirol beispielsweise könnte bald das größte Gletscherskigebiet Europas entstehen - sofern die Gutachten zur Umweltverträglichkeit grünes Licht geben. Eine riesige Skischaukel soll das Tiroler Pitztal in mehr als 3000 Metern Höhe mit dem benachbarten Sölden im Ötztal verbinden. 180 Pistenkilometer und absolute Schneesicherheit dank hoch gelegener Pisten - damit könnte das neue Skigebiet künftig werben. 120 Millionen Euro sind für das Projekt veranschlagt, das drei neue Seilbahnen und neue Pisten auf einer Fläche von 64 Hektar vorsieht. Zu den jüngsten Fusionen zählt außerdem die Skiarena Andermatt-Sedrun in der Schweiz, deren Gebiete mit insgesamt 120 Pistenkilometern über Lifte miteinander verbunden sind. Im Land Salzburg ist eine Liftverbindung zwischen dem Skigebiet Maiskogel bei Kaprun und den Gletscherbahnen am Kitzsteinhorn geplant; Im selben Bundesland soll eine Gondelbahn die Orte Wagrain und Kleinarl so verknüpfen, dass Skifahrer von Zauchensee über Flachauwinkl bis nach St. Johann fahren könnten. Schon in der Saison 2014 / 2015 fusionierten Warth-Schröcken und Lech-Zürs in Vorarlberg über den Auenfeldjet zu einem Areal. Zwei Jahre später legte man das Gebiet über eine weitere Seilbahn mit St. Anton zusammen - das daraus entstandene "Ski Arlberg" umfasst mehr als 300 Pistenkilometer. Es ist das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs. Detailansicht öffnen Après-Ski in St. Anton. Der Ort ist Teil von "Ski Arlberg", dem größten zusammenhängenden Skigebiet Österreichs. (Foto: Werner Dieterich / Mauritius) Kritik an den umfangreichen Expansionen kommt nicht nur von Naturschutzverbänden, sondern auch vom Deutschen Alpenverein (DAV). "Die PS beim Skifahren heißen PK - Pistenkilometer", sagt Rudolf Erlacher, Vizepräsident des DAV. Wer nur mit genügend Superlativen werben könne, der "imaginiert schon den Skirausch". Im Skitourismus herrsche ein "Kampf um die Poleposition", sagt der Vizepräsident, bei dem die Alpen zum "Experimentierraum" dafür würden, wie man den Tourismus über den gefährdeten Winter retten kann. "Die meinen, man könnte den Klimawandel einfach aussitzen", so Erlacher über die Skigebietsbetreiber. Nicht nur der DAV sieht die Entwicklungen im alpinen Raum kritisch, auch die Vereinskollegen aus Österreich und Südtirol schlagen Alarm. Mit einer internationalen Kampagne unter dem Motto #unserealpen wollen der DAV, der Alpenverein Südtirol und der Österreichische Alpenverein darauf aufmerksam machen, "wie einzigartig, vielfältig und wertvoll" die Alpen seien - aber auch, wie bedroht: "Der Ausbau der Skigebiete gefährdet den Lebensraum von Tier- und Pflanzenarten", sagt Steffen Reich, Ressortleiter für Natur- und Umweltschutz beim DAV. Skipisten veränderten Biotope; Flutlicht, Beschneiung und Lärm verscheuchten sensible Wildtiere - ganz zu schweigen vom Landschaftsbild: "Waren Sie mal im August in Ischgl? Im Sommer sieht es dort potthässlich aus", findet Reich. Die große Kampagne der Alpenvereine ist auf zwei Jahre angelegt und soll auf analogen und digitalen Kanälen laufen. Dafür wurde eine Kampagnenzeitung publiziert, wurden Postkarten gedruckt und eine eigene Website erstellt. Außerdem verstärken die Vereine in den kommenden Wochen ihre Präsenz in den sozialen Medien. Die Botschaft lautet: Die Alpen gehören allen. Deswegen liegt es auch in der Verantwortung aller, sie zu schützen. Man stelle sich nicht komplett gegen das Skifahren, betont der DAV. Es gehe vielmehr um die zahlreichen Erweiterungen, deren Konsequenzen in der Summe groß seien: "Hier ein bisschen erweitert, da ein bisschen ausgebaut - und am Ende bleibt nichts von unserem grünen Herz übrig", sagt Pressesprecher Thomas Bucher. In Wien hat gerade ein Gericht den Bau einer weiteren Skischaukel verhindert Naturschützer Steffen Reich meint, schon jetzt ein zaghaftes Umdenken erkennen zu können: "Die Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den Touristen schwindet" - zumindest, wenn man mehr als die zwei Gemeinden befrage, die vom Ausbau profitierten. Reich stützt sich auf Zahlen: In einer repräsentativen Umfrage von 2017 sprachen sich 91 Prozent der bayerischen Bevölkerung für den Erhalt des Alpenplans in seiner bisherigen Form aus - und lehnten damit weitere Neuerschließungen ab. Auch die Tiroler stimmten in einer Umfrage einer lokalen Zeitung mit großer Mehrheit gegen einen Ausbau von Skigebieten. "Ein Weiter-so ist nicht gewünscht", resümiert Reich. Hinweis der Redaktion Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen. Rückenwind bekommen Alpenvereine und Naturschutzverbände jüngst auch von Seiten der Justiz und der Politik: Ende November hat das Bundesverwaltungsgericht in Wien in zweiter Instanz die geplante Skischaukel zwischen Kappl im Paznauntal und St. Anton im Skigebiet Arlberg gekippt. Dazwischen liegt das bisher unberührte Malfontal. Bei einer Fusion wäre das Hochtal für Skifahrer erschlossen worden. Das touristische Interesse rechtfertige keine so schwerwiegenden Eingriffe in die Natur, so begründete das Gericht die Entscheidung, die Genehmigung von 2015 wieder aufzuheben. Die bayerische Staatsregierung begrub im April dieses Jahres die Pläne für die lange und intensiv diskutierte Skischaukel am Riedberger Horn. Und auch der Neuentwurf des Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramms (TSSP), der nun beschlossen wurde, hält an den bisher geltenden Grundpfeilern fest: Keine Neuerschließungen; Zusammenschlüsse und Zubringer sollen nur dort möglich sein, "wo sie sinnvoll und ökologisch verträglich sind". Die Alpenvereine wollen sich auf den Teilerfolgen nicht ausruhen, denn: "Je schneller sich das Ganze entwickelt, desto kurzsichtiger werden die Reaktionen der Liftbetreiber", warnt DAV-Vizepräsident Rudolf Erlacher. "Das kann nicht gutgehen."
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bergtourismus-im-rausch-der-superlative-1.4249785
Im Rausch der Superlative
00/12/2018
Die Fusionierung von Skigebieten schreitet weiter voran. Viele Betreiber versuchen auf diese Art, mehr Gäste anzulocken und so im Wettbewerb um die verbliebenen Besucher zu bestehen.
[]
mlsum_de-train-220662
mlsum_de-train-220662
Der bei Touristen beliebte Weihnachtsmarkt von Straßburg war stark gesichert, aber das konnte den Täter nicht abhalten. ‹ › Straßburg, Dienstagabend: Sicherheitskräfte bringen eine Frau nach den Schüssen in der Nähe des Weihnachtsmarkts zum Rettungswagen. Bild: Abdesslam Mirdass/AFP ‹ › Nach der Tat patroulliert ein Polizist in der Nähe des Anschlagortes. Bild: Abdesslam Mirdass/AFP ‹ › Frankreichs Präsident Emmanuel Macron reagierte bestürzt: "Die terroristische Bedrohung ist immer noch im Herzen des Lebens unserer Nation", sagte er. Bild: Etienne Laurent/AFP ‹ › Präsident Macron berief im Innenministerium eine Krisensitzung ein. Bild: Etienne Laurent/AFP ‹ › Eine Stadt in Angst: Viele Menschen in Straßburg warteten nach der Tat zunächst auf Entwarnung. Im Bild Besucher eines Basketballspiels. Bild: Jean-Francois Badias/AP ‹ › An der deutsch-französischen Grenze wie hier in Kehl führte die Polizei Kontrollen durch. Bild: Christoph Schmidt/AFP ‹ › Der Tag danach: Zahlreiche Einsatzkräfte in Straßburg fahndeten nach dem Täter. Bild: Thomas Lohnes/Getty Images ‹ › Viele Menschen gedachten der Opfer, legten Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Bild: Thomas Lohnes/Getty Images Wird geladen ... Die kleine rote Lok steht da, als streikten in Frankreich die Maroni-Lokführer: Kein Verkäufer, keine Kunden, keine Glut. Ein paar Meter weiter steht neben einem Mülleimer ein Plastiksack voll mit geschälten Kartoffeln, die heute niemand mehr zu Reibekuchen verarbeiten wird. Der Weihnachtsmarkt in der Straßburger Innenstadt blieb an diesem Mittwoch geschlossen. Am 11. Dezember, einem Dienstagabend, hatte Chérif C. am Rande des Weihnachtsmarktes das Feuer eröffnet, er tötete insgesamt fünf Menschen. Ein Dutzend weiterer Menschen wurde verletzt, manche von ihnen schwer. Mittwochabend befand sich der Täter immer noch auf der Flucht, die Polizei gab einen Fahndungsaufruf mit einem Foto heraus, in dem sie die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach dem 29-Jährigen bat. "Erneut hat der Terrorismus auf unserem Boden zugeschlagen", sagte der Pariser Antiterror-Staatsanwalt Rémy Heitz am Mittwoch in Straßburg. "Das macht uns auf dramatische Weise klar, dass die Bedrohung immer noch sehr reell ist." Die Terrormiliz IS, welche im Irak und in Syrien militärisch fast geschlagen ist, reklamiert die Morde eilends für sich und ernennt C. posthum zum "Soldaten". Vielleicht nicht ganz zu Unrecht: Auf einem USB-Stick des mutmaßlichen Attentäters finden die Ermittler später, kurz vor Weihnachten, dann ein Video mit einem Treueeid für den Islamischen Staat. Der Täter kommt der Täter aus Straßburg, war der Polizei wegen diverser Diebstähle und Gewaltdelikte "sehr bekannt" und hat schon mehrere Haftstrafen verbüßt. Erst am Morgen der Tat hatten Ermittler die Wohnung von C. wegen eines anderen Verfahrens durchsucht, es ging um den Vorwurf eines versuchten Tötungsdelikts. Dabei habe die Polizei eine Granate, ein Gewehr und vier Messer gefunden, sagte Heitz. Chérif C. selbst habe man jedoch nicht angetroffen. Seit Dienstagabend sucht die Polizei nun mit einem Großaufgebot nach dem mutmaßlichen Attentäter, auch Hubschrauber sind im Einsatz. In der Altstadt von Straßburg merkte man am Mittwochmittag allerdings kaum etwas davon. Nach der Tat war die Insel, auf der die mittelalterliche Altstadt liegt, bis in den frühen Morgen abgeriegelt. Aus Sicherheitsgründen blieb auch das Gebäude des Europäischen Parlaments geschlossen, in dem in dieser Woche die Abgeordneten tagen. Am Mittag ist jedoch nur noch die unmittelbare Umgebung des Tatorts gesperrt, ein Abschnitt der Rue des Orfèvres, eigentlich eher ein Gässchen, zu schmal für Autos. Schwer bewaffnete Polizisten bewachen den Zugang. Dort, wo eines der Opfer zu Boden ging, liegen Decken, mit denen Mitarbeiter umliegender Geschäfte zu helfen versuchten. Ein paar Meter weiter liegen Einweghandschuhe und ein leerer Infusionsbeutel. Erst zwei Tage nach den Morden stellen Spezialkräfte endlich den Gesuchten im Straßburger Stadtteil Neudorf und erschießen ihn auf offener Straße, als er sich nicht ergibt; so teilt es die Polizei mit. Der Weihnachtsmarkt von Straßburg ist einer der beliebtesten Europas, die Stadt wirbt mit dem Slogan, sie sei die "Hauptstadt von Weihnachten". Der Straßburger Markt ist nicht auf einen großen Platz konzentriert, sondern eher eine Ansammlung von kleineren Märkten, die sich über die Altstadt verteilen. In der Rue des Orfèvres selbst stehen keine Buden. Trotzdem ist die Gasse beliebt bei den Besuchern, weil die Geschäfte dort aufwendig geschmückt sind. Eine Patisserie zum Beispiel hat eine ganze Parade von Plüschtieren auf ihrem Sims untergebracht: Füchse, Hasen, Murmeltiere. Vor allem am Abend, wenn die Stadt weihnachtlich beleuchtet ist, bleiben viele Touristen dort stehen, um ein Foto zu machen. Genau an dieser Stelle begann Chérif C. seinen mörderischen Streifzug durch die Innenstadt, kurz bevor der Weihnachtsmarkt um 20 Uhr schließen sollte. Staatsanwalt Heitz zufolge schoss er mit einer Handfeuerwaffe um sich, aber auch mit einem Messer verletzte er Menschen. Bei einem Schusswechsel mit der Polizei sei C. am Arm verwundet worden. Nach der Tat habe C. ein Taxi gekapert, das ihn in den südlich der Altstadt gelegenen Stadtteil Neudorf brachte. Der Straßburger Weihnachtsmarkt galt schon vor Dienstag als potenzielles Ziel für Terroristen. Im Jahr 2000 wurde ein Anschlag dort nur knapp verhindert. Darum durften während der Öffnungszeiten des Marktes Autos nur mit Sondergenehmigung auf die Insel. An allen Brücken waren auch am Mittwoch Checkpoints eingerichtet, bei denen Passanten ihre Taschen öffnen mussten; Touristen auch ihre Koffer. Außer der Polizei patrouillierten Soldaten der Antiterroreinheit "Operation Sentinelle", die seit 2015 besonders gefährdete Orte schützen soll. Auch die Rue des Orfèvres liegt innerhalb dieses Sicherheitsbereichs. Der Anschlag trifft Frankreich in einer äußerst angespannten Situation. Seit vier Wochen kommt es durch Proteste der Bewegung der sogenannten Gelbwesten zu Ausschreitungen im ganzen Land. Die Möglichkeit eines Terrorangriffs war durch diese Ereignisse zwar in den Hintergrund getreten, doch erst am 5. November hatte Innenminister Christophe Castaner betont, dass die "terroristische Bedrohung immer noch extrem präsent" sei. Noch am Dienstagabend machte sich Castaner auf den Weg nach Straßburg, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. 2018 wurde Frankreich bereits von zwei größeren Angriffen erschüttert. Im März tötete ein 25-Jähriger bei einem Autodiebstahl und einer anschließenden Geiselnahme in einem Supermarkt in den südfranzösischen Städten Carcassonne und Trèbes vier Menschen. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) reklamierte die Tat für sich. Auch einen Messerangriff in Paris im Mai, bei dem ein Mann erstochen wurde und vier Menschen verletzt wurden, reklamierte der IS für sich. Das Motiv des mutmaßlichen Täters von Straßburg blieb zunächst unklar. Er soll sich in Haft radikalisiert haben, sagte Heitz, und werde vom Inlandsgeheimdienst als Gefährder geführt. Er zitierte auch Zeugen der Tat, denen zufolge C. "Allahu Akbar" gerufen habe, Gott ist am größten. Es gibt auch Vermutungen, wonach es sich beim Anschlag um eine Verzweiflungstat nach der Wohnungsdurchsuchung am Morgen gehandelt haben könnte. Wie sich aus deutschen Polizeiakten ergibt, ist Chérif C. französischer Staatsbürger mit algerischen Wurzeln. Er hat eine schwierige Biografie, wie sie häufig vorkommt in ärmeren Vororten Straßburgs. C., 1989 geboren, ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen, die Schule hat er besucht, bis er 16 Jahre alt war. Dann folgte die Arbeitslosigkeit. Mit 19 Jahren wurde er in Frankreich wegen mehrerer Einbruchsdiebstähle zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Er verließ seine Heimat Richtung Deutschland, trieb sich in der Bodensee-Region herum. Im Februar 2012 brach er einem Urteil des Amtsgerichts Singen zufolge nachts in eine Zahnarztpraxis ein, erbeutete Geld, Briefmarken, Zahngold im Wert von 8200 Euro. 2013 wurde er im nahe gelegenen Basel bei einem Einbruch erwischt und zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt. Zuletzt brach er im Januar 2016 im badischen Städtchen Engen in eine Apotheke ein, wieder brachte ihn das ins Gefängnis. Beute: 315 Euro. 2017 wurde er nach Frankreich abgeschoben. Mit einem solchen Lebensweg fällt Chérif C. genau in die Zielgruppe, aus der Islamisten gern Attentäter rekrutieren. Anhaltspunkte dafür, dass er tatsächlich mit Islamisten verkehrte, hatten aber zumindest die deutschen Sicherheitsbehörden über all diese Jahre nicht. Aus ihrer Sicht war er stets nur ein einfacher Einbrecher. Karoline Meta Beisel, Nadia Pantel und Ronen Steinke; Mitarbeit: Joachim Käppner
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/terror-mord-vor-altstadt-idylle-1.4269839
Terror - Mord vor Altstadt-Idylle
00/12/2018
Der bei Touristen beliebte Weihnachtsmarkt von Straßburg war stark gesichert, aber das konnte den Täter nicht abhalten.
[]
mlsum_de-train-220663
mlsum_de-train-220663
Gudrun Weikert führt Kunden aus der ganzen Welt in die Berge. Hier ist sie auf der anspruchsvollen Haute Route unterwegs, im Hintergrund das Matterhorn. Eben war sie noch in Nepal, jetzt sitzt sie mit einer Tasse Filterkaffee in einem Restaurant in München. Mit einer Freundin wollte Gudrun Weikert, 59, auf die 6814 Meter hohe Ama Dablam. Doch sie musste früher zurückkehren als geplant. Die Höhe und ein Infekt machten ihre Pläne zunichte.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bergfuehrerin-weikert-alpen-1.4249774
"Bergführerin Weikert:""Männer überschätzen sich eher"""
00/12/2018
Gudrun Weikert ist seit 30 Jahren Bergführerin. Ein Gespräch über gefährliche Routen, Frauen am Berg und wann sie Gäste vorzeitig nach Hause schickt.
[]
mlsum_de-train-220664
mlsum_de-train-220664
Die schönsten Aufnahmen sind solche, bei denen der Fotograf das Unwesentliche weglässt. Kein Strommast ragt ins Bild, die Fluchtlinien lenken den Blick dank der richtigen Perspektive. Könner nehmen auf diese Weise sogar Reihenhausvorgärten so auf, dass sie wie wilde Dschungel oder weite Parklandschaften wirken. Bei berühmten Sehenswürdigkeiten konzentrieren sich Fotografen besonders aufs Wesentliche. Wer nicht selbst dort war, bekommt den Eindruck von Größe, Weite und einer einzigartigen, mitunter einsamen Lage. Fast immer trügt der Schein. Wir zeigen Sehenswürdigkeiten in all ihrer Pracht - und dann die ganze Wahrheit: Wie eine Fata Morgana tauchen die Pyramiden von Gizeh aus dem Wüstensand Ägyptens auf. Ringsum, so scheint es auf den meisten Fotos, erheben sich höchstens einige Dünen. Ein Irrtum.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/sehenswuerdigkeiten-die-ganze-wahrheit-ueber-wahrzeichen-1.2554126
Sehenswürdigkeiten und Umgebung: Die ganze Wahrheit
00/12/2018
Auf Fotos wirken berühmte Sehenswürdigkeiten meist wie ein singuläres Juwel. Der Schein trügt.
[]
mlsum_de-train-220665
mlsum_de-train-220665
Die Unterwasserwelt der Riffe ist bedroht. Warum Korallen bleichen und Fische verschwinden und was das alles mit dem Tourismus zu tun hat, erläutert Meeresforscher Gert Wörheide. Bei der Klimakonferenz in Katowice ringt die Welt gerade darum, wie sich die globale Erwärmung begrenzen lässt - und wer dafür zu welchen Zugeständnissen bereit ist. Gleichzeitig steht der Höhepunkt der Fernreisesaison an: In den Weihnachtsferien raus aus dem nasskalten deutschen Winter und per Direktflug an den Sandstrand - doch dabei wird nicht nur die Anreise zum Umweltproblem. Gert Wörheide erforscht seit mehr als 30 Jahren Korallenriffe. Der Inhaber des Lehrstuhls für Paläontologie und Geobiologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ist in der Karibik, im Indischen Ozean, im Roten Meer und in der Südsee getaucht - und nach wie vor fasziniert von der Vielfalt und Komplexität der Unterwasserwelt. Doch die ist in Gefahr. SZ: Herr Wörheide, viele Menschen werden in den kommenden Wochen ihre Koffer packen und in den Schnorchel- oder Tauchurlaub in tropische Länder fliegen. Der Pazifikstaat Palau will von 2020 an bestimmte Sonnenschutzmittel verbieten, um seine Korallenriffe zu schützen. Müssen die Urlauber jetzt ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie sich eincremen? Gert Wörheide: Grundsätzlich ist alles zu begrüßen, was den Schadstoffeintrag in die Meere minimiert. Viele Sonnenschutzmittel enthalten chemische Wirkstoffe wie Oxybenzon, die biologisch nicht abbaubar sind. Studien deuten darauf hin, dass sie die Korallenbleiche fördern. Es gibt Alternativprodukte, die als korallenunschädlich gekennzeichnet sind und die man beim Tauchen und Schnorcheln dann auch verwenden sollte. Aber ein Sonnenmilchverbot wird die Korallenriffe nicht retten. Es gibt da weitaus wichtigere und größere Probleme. Detailansicht öffnen Gert Wörheide, Direktor des Paläntologischen Museum (Foto: Florian Peljak) Wovon geht denn die größte Gefahr für die Korallenriffe aus? Die Zukunftsprognosen sind ja tatsächlich sehr düster. Global ist eines der größten Probleme derzeit der Anstieg der Meerestemperatur. Wenn das Oberflächenwasser nur ein, zwei Grad Celsius wärmer ist als der durchschnittliche Höchstwert in der Region, dann geraten die Algen, die in den Korallen die Photosynthese betreiben, unter Stress. Sie sondern freie Radikale ab und werden von der Koralle praktisch abgestoßen. Passiert das nur kurzfristig, dann können sich die Korallen davon wieder erholen. Halten die hohen Temperaturen mehrere Wochen an, dann gelingt das nicht mehr. Die Korallen sterben ab und bleichen, zum Teil sehr großflächig wie beispielsweise 2016 und 2017 am Great Barrier Reef in Australien. Ein weiteres Problem ist die Überfischung, verbunden mit dem Eintrag von Nährstoffen ins Wasser, vor allem von Dünger. Stellen Sie sich ein Riff vor, das schon geschädigt ist, zum Beispiel durch Korallenbleiche, in das Nährstoffe eingetragen werden und in dem es keine oder nur noch wenige pflanzenfressende Fische gibt. Innerhalb weniger Wochen ist das ganze Riff mit Algen überwachsen. Dann haben die Korallenlarven keine Chance mehr, sich anzusiedeln. Ich habe das selber auf den Malediven erlebt. Wir wollten mit Studenten zum Schorcheln gehen und alle Korallen in den flachen Bereichen des Riffs waren tot. Das bricht einem das Herz. Sind diese Schäden irreversibel? Nicht unbedingt. Studien haben gezeigt, dass ein Korallenriff nach einer Massenbleiche mindestens zehn bis 15 Jahre braucht, um sich vollständig zu regenerieren. Es gab zum Beispiel auf den Malediven 1998 eine sehr große Korallenbleiche, und die Riffe haben sich danach wieder erholt. Das Problem ist, dass die Frequenz der Warmwasser-Anomalien zunimmt. Wir beobachten sie mittlerweile alle sechs bis acht Jahre, mit fallender Tendenz. Dadurch fehlt den Korallen die Zeit, sich zu erholen. Viele Riffe liegen in beliebten Urlaubsregionen. Inwiefern stellt der Tourismus eine Belastung für dieses fragile Ökosystem dar? Lokal kann das ziemlich dramatische Auswirkungen haben. Ich kenne ein früher wunderschönes Riffdach im Roten Meer, das durch die Touristen, die darüber zum Schnorcheln und Tauchen ins Wasser gingen, innerhalb von fünf Jahren abgestorben ist. Wenn man mit Flossen über Korallen läuft, brechen sie ab. Und wenn das am Tag 20 Mal passiert, hat das langfristig natürlich negative Auswirkungen. Sollte man Strände beziehungsweise Riffe schließen, damit sich geschädigte Korallen erholen können? Das könnte eine Maßnahme sein und wird beispielsweise am Great Barrier Reef auch gemacht. Es gibt dort einzelne Riffe, die für jegliche Nutzung geschlossen sind, da darf man auch als Wissenschaftler nicht rein. Wir müssen noch funktionierende Korallenriffe unter besonderen Schutz stellen. An Stränden mit Hotels ist das allerdings schwierig: Wird das Hausriff geschlossen, bleiben die Gäste weg. Auf den Malediven oder am Roten Meer ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle für die lokale Bevölkerung. Den Zauber der Korallenwelt selbst erlebt zu haben, kann ja durchaus das Bewusstsein für dessen Schutzwürdigkeit schärfen. Aber können Touristen überhaupt einen sinnvollen Beitrag leisten? Ja, sie können sogar einiges tun. Beispielsweise sich vorab darüber informieren, ob das Hotel oder Resort einen ökologischen Ansatz verfolgt. Was passiert mit den Abwässern? Werden sie direkt ins Riff geleitet? Was passiert mit den Abfällen? Werden sie einfach ins Wasser geworfen, was an vielen Orten leider immer noch passiert? Wird auf Einweg-Plastik verzichtet? Urlauber können dann auf Basis dieser Informationen auch nach ökologischen Aspekten entscheiden, was gebucht wird. Einige Resorts beteiligen sich auch an Riffschutzmaßnahmen, an denen auch die Urlauber teilnehmen können, wie beispielsweise Reef Check. Solche Aktionen sind ebenfalls äußerst sinnvoll. Weltweit, auch in beliebten Tauchregionen wie Südostasien und in Ägypten, ist Plastik ein riesiges Problem. Ich kann auf den Plastikstrohhalm im Cocktail verzichten und Wasser aus einer eigenen Wasserflasche trinken, statt Einweg-Plastikflaschen zu kaufen; das ist ein Beitrag, den jeder leisten kann. Sich darauf herauszureden, dass es nur globale Lösungen gibt, ist zu einfach. Inwiefern bedroht der Plastikmüll in den Meeren denn die Riffe? Wenn sich eine Plastiktüte um eine Koralle wickelt, funktioniert die Photosynthese der Algen nicht mehr richtig und sie kann absterben, das ist einleuchtend. Welche Auswirkungen allerdings Mikroplastik hat, also Partikel, die kleiner sind als fünf Millimeter, wissen wir noch nicht in vollem Umfang, da beginnen die Forschungen erst. Aber wir beobachten schon jetzt, dass Seevögel verhungern, weil sie den Magen voller Plastik haben, das sie nicht verdauen können. Sonderlich gut klingt das alles nicht. Wagen Sie eine Zukunftsprognose? Fakt ist: Wir sind mitten in einem Aussterbeereignis, dem sechsten großen globalen Aussterbeereignis in der Erdgeschichte. Das betrifft nicht nur Riffe, sondern auch andere Organismen, man denke zum Beispiel an das Insektensterben. Solche Entwicklungen hat es in der Erdgeschichte immer schon gegeben: Beispielsweise verschwanden Riffe und entwickelten sich in anderer Form, angepasst an die veränderten Bedingungen, neu - aber das wird ein paar Millionen Jahre dauern. Unser Planet wird davon nicht zugrunde gehen, aber die sozioökonomischen Folgen werden gigantisch sein, insbesondere in Südostasien und im Pazifik. Ohne Riffe wären die Küstenregionen Wellen und Stürmen schutzlos ausgeliefert. Und von den Ressourcen dort aus den Riffen sind Hunderte Millionen Menschen wirtschaftlich abhängig.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/meere-korallen-tauchen-tourismus-1.4225652
Schutz von Korallenriffen: Was Urlauber tun können
00/12/2018
Die Unterwasserwelt der Riffe ist bedroht. Warum Korallen bleichen und Fische verschwinden und was das alles mit dem Tourismus zu tun hat, erläutert Meeresforscher Gert Wörheide.
[]
mlsum_de-train-220666
mlsum_de-train-220666
Wenn sich die Tür zu seinem Restaurant Candlenut öffnet und eine winzige alte Frau ganz in Schwarz den Raum betritt, dann steht Malcolm Lee jedes Mal für einen kurzen Moment das Herz still vor Schreck. "Es gibt einen Menschen, den ich mehr fürchte als alle Restaurantkritiker zusammen", sagt er. "Meine Großmutter." Und obwohl er seit 2016 mit einem Michelinstern ausgezeichnet ist, bleibt die über 80-Jährige für ihn die höchste kulinarische Instanz überhaupt. Denn sie ist, wie in jeder Peranakan-Familie in Singapur, die Hüterin des Heiligen Grals der Familienrezepte. Die Großmutter merkt sofort, wenn der Enkel die Gewürzpaste anders dosiert Sie merkt sofort, wenn ihr Enkel auch nur eine der vielen Zutaten für die traditionelle malaysische Würzpaste mal anders dosiert hat: Rempah heißt die und basiert auf rotem Chili, Kurkuma, Galgant, Zitronengras und einem Dutzend weiterer Gewürze. Lee erinnert sich noch im Detail an die köstlichen Rempahs und Currys, die seine Mutter und Großmutter zubereitet haben, als er noch ein Kind war: "Der Duft zog mir beim Heimkommen schon in die Nase, sobald sich die Aufzugstüre in unserem Stockwerk öffnete." Es sind die Aromen seiner Kindheit, die er heute in seinem Restaurant heraufbeschwört. Zum Beispiel in "Mum's Chicken Curry", das immer auf der Karte steht: gebratenes Huhn in einer scharfen, mit Kartoffeln gebundenen Currysauce, hauchdünn geschnittene Streifen der Blätter von Kaffir-Limetten sorgen für Zitrusfrische. Detailansicht öffnen Speisen im Restaurants Candlenut. (Foto: Candlenut) "Wir sind das einzige Peranakan-Restaurant überhaupt, das mit einem Michelinstern ausgezeichnet ist", darauf ist der junge Küchenchef stolz. Was natürlich auch daran liegt, dass die Peranakan-Küche nur in Singapur existiert und erst in den vergangenen Jahren ein Revival erfuhr. "Peranakan" heißt "Mischling" auf Malaiisch, so bezeichnete man die Nachkommen jener chinesischen Einwanderer, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts als Händler in den geschäftigen Häfen von Singapur, Malakka und Penang angesiedelt und malaiische Frauen geheiratet hatten. Ihre Kultur, Sprache und Küche war und ist eine faszinierende Mischung aus chinesischen und malaysischen, bisweilen auch indischen oder europäischen Einflüssen. Singapur mit seinen heute 5,6 Millionen Einwohnern, seinem globalisierten Lebensstil und dem von Wolkenkratzern aus Stahl und Glas geprägten Stadtbild haftet von jeher das Klischee des "Melting Pot" an. Auf der Suche nach einer eigenen Identität entdeckte man jüngst die Peranakan wieder, die heute als eine Art Urzelle für die Vielvölkerstadt gelten. "Die Menschen möchten verstehen, wo sie herkommen", sagt Damien D'Silva. "Vor allem in einer so jungen Stadt wie Singapur. Wir sind hier alle Immigranten. Die Peranakan-Küche schenkt uns kulinarische Wurzeln." Auch D'Silva hat sich als Koch auf die traditionellen Rezepte seiner Familie spezialisiert, zurzeit tut er dies als Küchenchef in einem Hotelrestaurant namens Folklore. Wir treffen ihn aber in Katong, einem von Touristen weniger besuchten Viertel im Osten Singapurs. Hier, an der Joo Chiat Road, wuchs er auf, hier lernte er die Küchengeheimnisse seiner Peranakan-Großmutter kennen, wenn er im traditionellen Granitmörser die Chilis zerkleinern durfte, die sie für ihre Belacan, eine fermentierte Krabbenpaste, verwendete. Die Joo Chiat Road ist bis heute das Herz des Viertels, das für die wiedererstarkende Peranakan-Kultur steht. Hier haben viele der typischen "Shophouses" überdauert, deren Bewohner im Erdgeschoss einen Laden betrieben und im ersten Stock lebten. Als Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die koloniale Wirtschaft Singapurs zu boomen begann, machten viele der geschäftstüchtigen Peranakan-Familien ein kleines Vermögen. Sie erbauten die schmalen, zweistöckigen Häuschen, deren Fassaden oft mit üppigem Stuck und bunten Kacheln verziert sind und in Pastelltönen von rosa über gelb bis mintgrün gestrichen wurden; in den Vorgärten blühen weiße Frangipanibäume. "Die Häuser sehen von außen klein aus", sagt D'Silva, "aber sie sind sehr tief. Und ganz hinten war immer die Küche, das Herz jedes Peranakan-Haushalts." Früher war die Straße voller Garküchen, heute findet man diese mit Glück in Markthallen Ein beißend-würziger Duft steigt in die Nase, als D'Silva die Tür einer winzigen Garküche öffnet, über Holzkohle grillt ein alter Mann hier Otah-Otah, ein beliebtes Streetfood. Fisch oder Garnelen werden fein gehackt und mit Chili, Knoblauch, Zitronengras, Mehl, Ei und Kokosnusscreme zu einer Paste gerührt, die in ein Bananenblatt gefüllt und gegrillt wird, ein köstlicher Snack für umgerechnet 70 Cent. "Als ich in den Sechzigerjahren hier aufwuchs, war die Joo Chiat Road noch voller Straßenhändler, die rund um die Uhr Nudeln und Dumplings verkauften", sagt D'Silva. Die Singapurer Regierung verbannte die fliegenden Händler mit ihren Delikatessen aus Hygienegründen längst in sogenannte Hawker Centres. In solchen überdachten Markthallen findet man mit etwas Glück bis heute noch echte Peranakan-Küche, vor allem die farbenfrohen Desserts wie Tapioka-Küchlein mit Kokosnuss oder blau gefärbte Reisküchlein, wie sie bei Peranakan-Hochzeiten serviert wurden. Detailansicht öffnen Die Joo Chiat Road in Singapurs Katong-Viertel ist das Zentrum der Peranakan-Küche. (Foto: Mauritius Images/Josie Elias/Alamy) Auch hier in Katong wird die alte Kunst noch aufrechterhalten, zum Beispiel im Guan Hoe Soon, das damit wirbt, das älteste Peranakan-Restaurant der Stadt zu sein, gegründet 1953. Durch das Schaufenster kann man zusehen, wie alte Frauen mit flinken Fingern aus Klebreis kleine Klöße formen, die anschließend bunt gefärbt werden. "Früher nahm man für Grün Pandanblätter, für Blau getrocknete Bunga-Telang-Blüten und für Gelb Kurkuma", sagt D'Silva. "Heute wird viel mit Lebensmittelfarbe gearbeitet." Nicht so im Guan Hoe Soon, das garantiert der Duft von Reis und Pandanblättern, der bis auf die Straße dringt. Heute ist man in Singapur stolz auf das Peranakan-Erbe, doch bis vor zehn Jahren konnten die wenigsten Einwohner mit dem Begriff etwas anfangen. Die alte Kultur verdankt ihre Wiederentdeckung nicht zuletzt der beliebten TV-Soap "The Little Nyonya", die von 2008 bis 2012 ausgestrahlt wurde. Nyonya ist ein altes malaiisches Wort für eine Lady, eine Frau von gewissem sozialem Status, deshalb wird die Küche der Peranakan auch oft als Nyonya Cuisine bezeichnet. Über das Leben der Nyonyas können sich Besucher heute im Peranakan-Museum informieren. Das weiße Gebäude im neoklassizistischen Stil wurde 1912 als chinesische Schule erbaut, heute erwachen hier in Multimedia-Inszenierungen die alten Geschichten zum Leben. Zu den schönsten Exponaten zählen die Kamcheng, bunt bemalte Porzellanschüsseln mit Deckel, in denen die Nyonyas ihre kunstvollen Gerichte servierten. Direkt neben dem Museum liegt das True Blue Restaurant, dessen Eingang wie ein typisches Peranakan-Haus mit vielen Pflanzen und bunten Lampions geschmückt ist. Auch drinnen, im mit originalem Mobiliar ausgestatteten Gastraum, fühlt man sich wie auf einer Zeitreise. Auf den Tisch kommen hier Klassiker der Nyonya-Küche: Chab Chye, ein Gemüsegericht mit Kohl, Shiitake-Pilzen, Tofu und feinen Vermicelli in einer duftenden Brühe; oder Ayam Buah Keluak, mit Zitronengras und Kurkurma gedämpftes Huhn in einer Sauce aus schwarzen Buah-Keluak-Nüssen, die nur in der Peranakan-Küche verwendet werden. Dass hier alles nach den traditionellen Vorgaben auf den Tisch kommt, dafür sorgt in der Küche die Mutter des Besitzers - wer sonst. Die Köche veredeln das kulturelle Erbe mit delikaten Zutaten "Peranakan-Köche in Singapur haben ein großes Problem", sagt KF Seetoh, Street-Food-Experte und Gründer des beliebten Makansutra Food Guides: "Jeder Gast, der kommt, erzählt ihnen, dass das Beef Rendang oder Coconut Prawn Curry seiner Mutter, Großmutter oder Tante viel besser geschmeckt habe als das im Restaurant. Der Kampf gegen die Kindheitserinnerungen der Gäste ist nicht zu gewinnen." Deshalb versucht Malcolm Lee das auch gar nicht erst. Sein Weg im Candlenut ist ein anderer. Er will seinen Gästen zeigen, wie man die Aromen der Kindheit in einer zeitgemäßen Küche ganz neu entdecken kann. Seine Suppen und Currys serviert er in zeitgemäßer Keramik, seine Soßen sind nicht ganz so dick wie in den traditionellen Varianten, die Zutaten viel hochwertiger als in den Garküchen. Für sein Beef Rendang mit geraspelter Kokosnuss und Kurkumablättern verwendet er edles Wagyu Beef aus australischer Zucht. Und für das Yellow Coconut Crab Curry mit Ananas nimmt er statt der Garnelen der klassischen Version lieber delikateres Krabbenfleisch. Aber es ist ein Dessert aus den für die Peranakan-Küche so typischen Buah- Keluak-Nüssen, das seinen Küchenstil vielleicht am besten verkörpert: Die fein gehackten rohen Nüsse versetzt er mit edler französischer Bitterschokolade und bereitet daraus ein Eis zu mit einer unvergleichlich erdig-bitter-säuerlichen Aromatik, die entfernt an Kaffeebohnen erinnert. Serviert mit leicht salziger Karamellsauce, Schokoladencrumble und Chiliflocken ist es ein Hochgenuss, angesiedelt irgendwo zwischen überlieferter Nyonya-Küchenmagie und globalen Fine-Dining-Trends. "Malcoms Küche ist sehr progressiv", sagt KF Seetoh. "Aber das ist der richtige Weg. Du musst dein kulturelles Erbe nehmen und es weiterbringen - sonst wird die Peranakan-Küche aussterben." Reiseinformationen Anreise: Singapore Airlines fliegt täglich von München nach Singapur ab 596 Euro in der Economy Class, www.singaporeair.com Übernachten: Z.B. Goodwood Park Hotel, erbaut um 1900, großer Garten, www.goodwoodparkhotel.com Peranakan-Küche: Candlenut, zeitgemäß-kreative Peranakan-Küche mit Michelinstern im Trendviertel Dempsey Hill, www.comodempsey.sg; True Blue, traditionelle Peranakan-Küche in historischem Dekor, www.truebluecuisine.com; Blue Ginger, authentische Peranakan-Küche, unbedingt Sambal Terong Goreng probieren, www.theblueginger.com Peranakan-Kultur: www.peranakanmuseum.org.sg Weitere Informationen: www.visitsingapore.com
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/singapur-essen-restaurants-1.4239922
Singapur und die Restaurants der Peranakan
00/12/2018
Junge Köche in Singapur besinnen sich auf die kulinarischen Traditionen der Stadt. Sie haben allerdings scharfe Kritiker.
[]
mlsum_de-train-220667
mlsum_de-train-220667
"Ja, es dauert noch. Nein, ich weiß nicht wie lange ..." Ein Bahnstreik macht einen Montagmorgen nicht angenehmer, hier in Hanau. Erst wegen der Bahn den Job verloren, jetzt die Verlobung verpasst - zum Glück berichten nicht alle Leser von solch dramatischen Streikfolgen. Eine Auswahl. Mit der Bahn zu fahren, kann so schön sein - wenn sie fährt. Mal ist es zu kalt für sie, mal zu heiß, mal zu stürmisch. Und egal, ob das Wetter mitspielt oder nicht, wollen die Beschäftigten mehr Geld und nutzen ihr Streikrecht, das ihnen natürlich zusteht. Allerdings finden Pendler und punktuell Zugreisende, dass auch sie ein Recht haben, in die Arbeit oder ans Reiseziel zu kommen. Wie SZ-Leser und andere Bahnfahrer auf den Ausstand am Montag reagieren, sehen Sie in dieser Auswahl. Die gute Nachricht vorweg: Der Humor ist nicht (immer) auf der Strecke geblieben. Wobei das nicht allen leicht gefallen sein dürfte, etwa dieser Frau. Sie hatte den ZDF-Moderator Mitri Sirin um Hilfe gebeten, um einen Zug zu erreichen, der längst gestrichen war: Ihr hatte eine missglückte Bahnreise bereits einmal das Leben durcheinandergewürfelt. Das wird diesmal hoffentlich nicht der Fall sein - doch zur eigenen Hochzeit wird sie wohl nicht mehr mit der Bahn fahren. Frankfurt Airport Bahnsteig. Frau außer Atem, schweres Gepäck:”mein Zug nach Köln geht in 1er Min, können Sie bitte helfen ?”Ich: heute geht kein Zug nach Köln. Bahn streikt. Sie: oh nein. Beim letzten Streik wurde ich gekündigt, heute verpasse ich meine Verlobung! #BahnStreik — Mitri Sirin (@MitriSirin) 10. Dezember 2018 Wenn bei der Bahn nichts mehr geht, fragen Sie Ihre Freunde und Verwandten. SZ-Leser Tobias L. half sein Bruder großzügig in der Not: "Als ich heute morgen auf dem Weg zu meinem Kunden war, habe ich zunächst in der App überprüft, ob mein Zug fährt. Die zeigte an, dass in 20 Minuten eine Alternative fahren würde. Die Ernüchterung am Bahnhof: Auch dieser Zug fiel aus. Gott sei dank habe ich einen Bruder, der mir sein Auto (Euro 4 Diesel) auslieh für die rund 100 Kilometer bis zu meinem Kunden. An meine persönlichen Umweltschutzgesetze konnte ich mich so heute aber nicht halten." Besonders bitter wird der Zusammenbruch des Zugverkehrs, wenn man schon mehr als einen Tag Reisen hinter sich hat und sich kurz vorm Ziel wähnte. Dann hilft nur noch Schokolade - hofft jedenfalls die Deutsche Bahn. Eine Mitreisende erzählt, dass sie gerade aus den USA kommt und seit 30 Stunden unterwegs ist. Das Bordpersonal verweist auf das Fahrgastrechteformular und überreicht ein Stück Schokolade: „Lieblingsgast“. Das Schicksal ist eben manchmal bittersüss. #Bahn #Warnstreik pic.twitter.com/IbN0KmMhFj — Stefan Krabbes (@StefanKrabbes) 10. Dezember 2018 Allerdings gibt es auch Reisende wie SZ-Leser Werner H., die alles tun würden, um nicht in einen Bahnstreik zu geraten - sogar früher fahren als gedacht: "Da ich am Samstagabend mitbekommen habe, dass für heute ein Warnstreik der EVG vorgesehen ist, habe ich meine Fahrt von Ismaning nach Potsdam von Montagvormittag auf Sonntagnachmittag vorgezogen und sitze jetzt gemütlich in Potsdam. Offenbar haben auch andere ihre Fahrt vorgezogen, wie sich aus Gesprächen im ICE ergab. Eine Reisende zum Beispiel, die gestern eigentlich nur von München bis Nürnberg und heute früh von dort nach Rostock fahren wollte, ist gestern direkt nach Rostock gereist. Mir jedenfalls war nach meinen Erfahrungen bei den letzten Streiks klar, dass ich an so einem Tag nicht mit der Bahn fahren würde." Dass sie überhaupt nicht die Chance bekommen würde, irgendeinen Zug zu nehmen, damit hatte Leserin Karin N. nicht gerechnet: "Ich musste heute früh zum Flughafen, mit der S8 ab Hohenbrunn, und hatte mich auf die doppelte Fahrtzeit eingestellt. Aber dass gar keine S-Bahn zum Flughafen fahren sollte, finde ich doch sehr befremdlich, eigentlich unverschämt! Ich habe meinen Flug deshalb stornieren müssen. Die Taxikosten wären unverhältnismäßig gewesen (über 100 Euro) und das Staurisiko zu hoch. Da der reine Flugpreis nur 10,50 Euro beträgt - der Rest sind Steuern und Gebühren - ist der finanzielle Verlust zu verschmerzen. Der Ärger jedoch nicht." Pech im Unglück hatte SZ-Leser Günter M., der eigentlich noch vor Streikbeginn um fünf Uhr morgens unterwegs war. Trotzdem wurde er ausgebremst: "Wir wollten zu einer Trauerfeier nach Achim bei Bremen, die geplante Zugabfahrt war um 4.13 Uhr. Weil ja nachts zwischen 2 und 4.30 Uhr keine S-Bahn fährt, nahmen wir das Taxi zum Hauptbahnhof. Als wir unsere bezahlten Sitzplätze im ICE 888 eingenommen hatten, kam fünf Minuten vor der Abfahrt plötzlich die Durchsage: Dieser Zug fällt wegen des Streiks aus. Nachfragen nach der Rückerstattung des Tickets bei dem herumstehenden Zugpersonal war nicht möglich, weil diese nur unhöflich raunzten: Wären Sie gestern gefahren. Auch der Informationsschalter war schon um 4.20 Uhr wegen des Streiks nicht mehr besetzt. Verärgert haben wir die Heimreise angetreten. Offenbar müssen Bahnfahrer zur Sicherheit immer als Alternativen ein Auto oder ein Flugzeug bereithalten. Dieser Tag hat nur unnötige Kosten verursacht." Doch selbst wer es in einen der wenigen Züge geschafft hatte, konnte sich nicht recht freuen. Das schlimmste am #Bahnstreik heute morgen ist ja, dass in den übervollen Zügen jetzt jeder lauthals mit dem Büro telefoniert, um Zwischenstände durchzugeben... #PendlerrantTM — Tom Klein (@tmsklein) 10. Dezember 2018 Andere wiederum, wie Leser Mike G., warteten erst frierend, aber geduldig, dann ungeduldig und schließlich wütend auf versprochene Züge, die niemals eintrafen: "Ich pendle tagtäglich von Wuppertal nach Düsseldorf mit der Regionalbahn und habe heute von 7 bis 9.30 Uhr am Gleis gestanden. Das war selbstverständlich nicht gerade warm. Was ich nicht verstehe: Es wurde durchgesagt, dass es zu Ausfällen komme, aber vereinzelt Züge fahren würden - doch dem war nicht so. Was die Bahn mit den Reisenden gemacht hat, war unterste Schublade! Um 7.49 Uhr wurde noch verkündet, dass der RE 4 in Richtung Aachen heute in Düsseldorf endet, doch der Zug kam bis jetzt noch nicht. Es wurde sogar auf den Anzeigetafeln aufgelistet, welcher Zug kommen sollte und welcher nicht - dabei fuhr gar keiner. Heute hat man gesehen, dass die Bahn zu nichts in der Lage ist, wenn es Knall auf Knall kommt. Auch nicht dazu, die Reisenden zu informieren. Traurig aber wahr: Die Bahn kommt nicht zum Bahnhof!" Da bleibt genug Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie es eigentlich zu diesem Streik kam: #DeutscheBahn Wir erhöhen die Preise! Kunden: Warum?#Bahn: Treibstoffkosten und Löhne sind gestiegen. Mitarbeiter der #Bahn: Die Löhne sind nicht gestiegen! Aber wir können das ändern!#bahnstreik #EinFallfürPofalla — digitaler Gutmensch™ (@Tigerelch) 9. Dezember 2018 Nicht überall sind die Bahnfahrer, die doch noch ans Ziel kommen wollen, willkommen: Bester Kommentar von einem Kollegen zum #Bahnstreik: "Wieso müssen die ganzen Bahnfahrer jetzt mit dem Auto fahren? Ich fahr doch auch nicht mit der Bahn nur weil Stau ist." 😂👍 — WORDMAN! (Nänänänä) (@Ro_Post) 10. Dezember 2018 Und dann gibt es zu guter Letzt noch diejenigen, die als treue Kunden das Bahnfahren als Trainingscamp für Optimismus in beinahe jeder Lebenslage anerkennen: Man muss das auch mal positiv sehen: der Bahnstreik ist das erste seit Monaten, das bei der deutschen Bahn planmäßig verlaufen ist. Und sogar pünktlich!#DeutscheBahn #BahnStreik — Micky Beisenherz (@MickyBeisenherz) 10. Dezember 2018 Mit der richtigen Einstellung kann der Streik sogar für schöne Überraschungen gut sein: Meine Bahn sonst IMMER zu spät, so dass ich den Anschluss nicht kriege und immer 30 Minuten früher fahren muss, Streiktag des Jahres fährt sie perfekt, checkt auch keiner. — dickkopfsaurier (@pachycephalos) 10. Dezember 2018 Das kann Leser Thomas F. nur bestätigen: "Mein ICE von München nach Ingolstadt um 10.21 Uhr fiel (leider) aus, aber ich habe davor noch den ICE um 9.54 Uhr erwischt - und war damit am 'Chaos-Streiktag' eher in Ingolstadt als geplant. So kann's auch gehen."
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bahn-streik-1.4246647
"Bahn-Warnstreik: ""Wenigstens beim Streik pünktlich"""
00/12/2018
Erst wegen der Bahn den Job verloren, jetzt die Verlobung verpasst - zum Glück berichten nicht alle Leser von solch dramatischen Streikfolgen. Eine Auswahl.
[]
mlsum_de-train-220668
mlsum_de-train-220668
Der Museumplein ist ein riesiger, etwas öder Platz in Amsterdam. Es gibt eine Wasserfläche, die im Winter zur Eisbahn mutiert, mehr nicht. Als Tourist freute man sich daher über den rot-weißen Schriftzug vor dem Rijksmuseum am Rande des Platzes. "I amsterdam" stand dort, mehr als zwei Meter hoch und 23 Meter breit, die perfekte Kulisse für ein Selfie vor historischem Hintergrund. Tausende Besucher setzten sich hier täglich in Szene, am beliebtesten war das "d". Man kam zum Posen und Lachen, das Ensemble war eine Ikone, beinahe wie der Eiffelturm oder Trevi-Brunnen. Aber es war auch ein Symbol des Massentourismus, der Amsterdam so zu schaffen macht. Deshalb musste es weg. Diese Woche ließ die Stadt die Buchstaben entfernen, auf Antrag der grün-linken Fraktion im Gemeinderat, die eine Mehrheit überzeugen konnte. "I amsterdam steht für Individualismus, während wir in dieser Stadt Solidarität und Vielfalt zeigen wollen", sagte Fraktionschefin Femke Roosma. "Außerdem reduziert dieser Slogan die Stadt auf eine Marketing-Geschichte." "I amsterdam" ist eine extrem erfolgreiche Kampagne, später kopiert von Städten wie Moskau ("Wow Moscow") oder Lyon ("Only Lyon"). Die Werbeagentur Kessels Kramer erfand sie 2004, mitsamt den großen Buchstaben. Damals machte sich die Stadt Sorgen um ihr Image, ihr verstaubter Spruch "Amsterdam hat's" lockte kaum noch jemanden an die Grachten. Umso besser funktionierte der neue: Die Touristen strömten herbei, auch wegen des Aufschwungs in Asien, und mehrten den Reichtum der Stadt. 2014 wurden die ersten Bedenken in den Medien geäußert. Die Kalverstraat in den Wallen hatte wegen Überfüllung gesperrt werden müssen, von "drukte", Gedränge, rund um die Grachten und Brücken war nun allenthalben die Rede. Dichtestress. 14 Millionen Besucher pro Jahr zählte man damals, und es tauchte die Frage auf, die sich auch Städte wie Venedig oder Barcelona stellten: Gibt es ein Zuviel an Popularität? 2016 gab Bürgermeister Eberhard van der Laan die offizielle Antwort: Ja, wir haben ein Problem mit dem Tourismus. Die Innenstadt hatte sich deutlich verändert, sie sah aus wie ein Festivalgelände. Ganze Häuser verwandelten sich in Airbnb-Unterkünfte, interessante Geschäfte in quietschbunte Nutella-, Waffel oder Goudashops. Anwohner fühlten sich belästigt durch saufende, grölende Horden. Der "kotzende Brite" auf Junggesellentour wurde zur Hassfigur. Und besonders erschreckend: Das war erst der Anfang. Amsterdam nähert sich der 20-Millionen-Besucher-Marke; für 2030 werden, wenn es so weitergeht, 30 Millionen prognostiziert. Die Stadt reagierte. Sie legte Airbnb immer härtere Beschränkungen auf, sie stoppte das berüchtigte Bierfietsen, bei dem Saufkumpane gemeinsam durch die Gassen radeln, sie verbannte Kreuzfahrtschiffe und Touri-Busse aus der Innenstadt, verbot den Bau neuer Hotels, schloss illegale Pensionen. Und manches mehr. Viel besser ist es seither nicht geworden mit dem Gedränge. Die neue Leerstelle vor dem Rijksmuseum wird daran wenig ändern. Die Aktion sei nur "ohnmächtige Symbolpolitik", schimpfte ein Kritiker. Andere fragten, ob es nicht dringendere Probleme gebe: die Kriminalität, die Wohnungsnot, die steigenden Lebenshaltungskosten, die viele zum Wegziehen zwingen. Doch Grünen-Politikerin Roosma geht es um Grundsätzliches. Man müsse sich lösen vom Image als "Stad waar alles kan", der Stadt, in der alles möglich (und erlaubt) ist. Toleranz und Liberalität seien zwar wichtig für Amsterdam, das schon im 17. Jahrhundert Menschen aus ganz Europa Zuflucht bot, die wegen ihres Glaubens oder ihrer Ansichten verfolgt wurden. Aber: "Freiheit kennt Grenzen. Die Freiheit des einen endet dort, wie die Freiheit des anderen beginnt", sagte Roosma jüngst in einer Diskussionsrunde. Man müsse über jene reden, die sich "zu viel Freiheit nehmen". Der ehemalige Stadtrat Frits Huffnagel schlägt vor, ein halbes Jahr lang konsequent alle Regelverstöße zu ahnden, etwa die Missachtung des in der Innenstadt eigentlich geltenden Alkoholverbots. Das werde sich schnell herumsprechen. Seine frühere Kollegin Carolien Gehrels denkt noch weiter. Man solle das Verhalten der Besucher über Preise steuern, etwa mittels einer schlauen Chipkarte: Wer ins Rotlichtviertel wolle, erhielte 25 Euro abgebucht, dafür gäbe es Nachlass für den Besuch im Stedelijk-Museum. Und die schönen Buchstaben? Fans werden Ersatz finden. Sie stehen auch am Flughafen Schiphol und anderen Stellen Amsterdams. Selbst das Ensemble vor dem Rijksmuseum wird nicht verschrottet, sondern geht nach einer Renovierung auf Tour durch die Stadt. Erste Station ist ein Studentenhotel. Am Ende war der groß angekündigte Abbau des Slogans vor allem wieder: Marketing.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/amsterdam-tourismus-staedtereisen-1.4240602
Amsterdam baut beliebtes Fotomotiv ab
00/12/2018
Unzählige Fotos sind mit den "I amsterdam"-Buchstaben gemacht worden. Jetzt wurden sie abgebaut - als Maßnahme gegen den Massentourismus.
[]
mlsum_de-train-220669
mlsum_de-train-220669
Welche Rechte haben Bahnreisende? Welche Entschädigungen stehen ihnen beim Streik zu? Antworten auf die wichtigsten Fragen. Was tun, wenn der Zug nicht fährt? Fällt ein Zug wegen des Streiks aus oder verpasst der Reisende seinen Anschluss, kann er ohne Aufpreis auf einen beliebigen anderen Zug ausweichen - wenn wieder einer fährt. Bei Angeboten wie einem Sparpreis-Ticket wird die Zugbindung aufgehoben. Auf einen anderen Zug dürfen Bahnreisende auch umsteigen, wenn sie damit rechnen müssen, dass ihr Zug sein Ziel mit einer Verspätung von mehr als 20 Minuten erreichen wird. Nimmt der Fahrgast dann stattdessen einen teureren Zug, also zum Beispiel einen ICE anstelle eines Nahverkehrszugs, muss er zwar zunächst den Aufpreis entrichten, kann sich das Geld anschließend aber in einem DB-Reisezentrum erstatten lassen. Länder-Tickets, das Schöne-Wochenende-Ticket und das Quer-durchs-Land-Ticket sind davon ausgenommen. Und wenn ich gar nicht mehr reisen will? Wer vom Streik betroffen ist, kann sich sein Zugticket samt Sitzplatz-Reservierung in einem DB-Reisezentrum oder einem Reisebüro mit DB-Lizenz kostenlos erstatten lassen. Für Online-Tickets gibt es auf der Webseite der Bahn ein Antragsformular. Zahlt die Bahn eine Entschädigung für Verspätungen? Bei Verspätungen besteht ein rechtlicher Anspruch auf Entschädigung, unabhängig von der Ursache. Auch im Falle eines Streiks ist die Bahn dazu verpflichtet - im Gegensatz zu Airlines, die sich auf höhere Gewalt berufen können. Kommt ein Fahrgast mindestens eine Stunde zu spät am Ziel an, muss die Bahn ihm 25 Prozent des Fahrpreises erstatten. Bei zwei Stunden Verspätung sind es 50 Prozent. Der Aufpreis für den ICE-Sprinter wird schon ab 30 Minuten Verspätung zurückgezahlt. Wie entschädigt die Bahn Pendler mit Zeitkarten? Ab einer Verspätung von 60 Minuten bekommen Fahrgäste mit Zeitkarte eine pauschale Entschädigung pro Fahrt. Für Zeitkarten der zweiten Klasse im Fernverkehr gibt es fünf Euro, in der ersten Klasse 7,50 Euro. BahnCard-100-Besitzer bekommen in der zweiten Klasse zehn und in der ersten Klasse 15 Euro. Häufig sind bei Streiks auch die von der Deutschen Bahn betriebenen S-Bahnen betroffen. Doch im Nahverkehr können Bahnfahrer nicht mit nennenswerten Entschädigungen rechnen. Ab 60 Minuten Verspätung gibt es in der zweiten Klasse pauschal 1,50 Euro, in der ersten 2,25 Euro. Allerdings werden erst Beträge ab vier Euro ausgezahlt. Nahverkehrskunden erhalten also erst ab der zweiten beziehungsweise dritten Verspätung innerhalb der Gültigkeitsdauer des Zeit-Tickets Geld. Wie mache ich meine Entschädigung geltend? Mit dem Fahrgastrechte-Formular. Dieses Beschwerdeformular wird im Verspätungsfall häufig bereits vom Zugpersonal ausgeteilt. Es ist aber auch in den Servicezentren der Deutschen Bahn oder online erhältlich. In das Formular werden geplanter und tatsächlicher Reiseverlauf eingetragen. Originalfahrkarten, Kopien von Zeitkarten und andere Originalbelege müssen beigelegt werden. Wer sich durch die Formalien gekämpft hat, kann direkt am Bahnhof im Reisezentrum oder in der DB-Agentur seine Entschädigung bekommen. Andernfalls ist eine Entschädigung nur möglich, wenn Formular, Fahrkarte oder Kopie der Fahrkarte an das Servicecenter Fahrgastrechte in 60647 Frankfurt/Main geschickt werden. Entschädigungen muss die Bahn auf Wunsch bar auszahlen, ansonsten erfolgen diese als Gutschein oder per Überweisung. Ich habe nur ein Handy-Ticket - was muss ich tun? In diesem Fall muss der Reisende die Buchungsbestätigung, die er per E-Mail erhalten hat, ausdrucken und mit dem Fahrgastrechte-Formular nach Frankfurt schicken. Zahlt die Bahn ein Taxi oder ein Hotelzimmer? Zunächst einmal müssen Reisende schauen, ob die Bahn eine alternative Verbindung anbietet, zum Beispiel einen Schienenersatzverkehr. Ist dies der Fall, hat das Angebot der Bahn immer Vorrang. Gibt es keine von der Bahn organisierte Alternative, liegt die planmäßige Ankunftszeit zwischen 0 und 5 Uhr und hat der Zug mindestens eine Stunde Verspätung, dann erstattet die Bahn Kosten für ein anderes Verkehrsmittel bis maximal 80 Euro. Dies gilt auch, wenn die letzte planmäßig Verbindung des Tages ausfällt und bis Mitternacht der Zielbahnhof anders nicht mehr erreicht werden kann. Wird eine Übernachtung nötig, muss die Bahn die Kosten für ein Hotelzimmer tragen. Diese Sonderkosten kann man sich nur beim Servicecenter Fahrgastrechte (siehe "Wie mache ich meine Entschädigung geltend?") erstatten lassen. Hierfür müssen neben Fahrkarte oder Kopie der Fahrkarte die Originalbelege für die entstandenen Kosten eingesendet werden. Doch auch wer außerhalb der genannten Zeit ein Taxi nutzt, kann versuchen, sich die Kosten erstatten zu lassen. In Einzelfällen zeigt sich das Servicecenter möglicherweise kulant. Und wenn ich wegen des Bahnstreiks meinen Flug verpasst habe? Wer keine Pauschalreise gebucht hatte oder wenigstens ein Rail&Fly-Ticket, bleibt wohl auf den Kosten sitzen. Denn die Bahn muss nur für das ausgefallene Zugticket entschädigen und nicht für den Flug. Bleibt den Passagieren nur, auf die Kulanz der Airlines beim Umbuchen zu hoffen.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bahn-streik-rechte-entschaedigung-1.4246211
Bahn-Streik: Welche Rechte haben Reisende?
00/12/2018
Was Bahnkunden jetzt wissen müssen: die wichtigsten Fragen und Antworten.
[]
mlsum_de-train-220670
mlsum_de-train-220670
Jahrzehntelang wurde Moonshine-Whiskey heimlich produziert. Das beschert den Nachfahren der Schwarzbrenner auch heute noch ein einträgliches Geschäft - und den Kunden einen Schnaps mit Apfelkuchen-Aroma. Ein Ort ist Pigeon Forge nicht. Eher ein sechsspuriger Highway, der sich durch ein breites Tal in den Appalachen wälzt. Zu beiden Seiten der Straße: Hotels, Vergnügungsparks, Souvenirläden, oder besser: Andenken-Supermärkte. Eine Nebenstraße führt über den Little Pigeon Forge River. Dahinter ein Einkaufszentrum mit Boutiquen, Spielzeugläden, noch ein paar Souvenirshops. Und der Schnapsladen der Brennerei Ole Smoky Moonshine. Schnapsläden in den USA sind gewöhnlich abschreckend: düster, vergittert, von außen nicht einsehbar - im Umgang mit Alkohol spiegelt sich die Prüderie des Landes. Aber dieser hier ist anders: Die Türen sind sperrangelweit geöffnet, die Fenster geben den Blick frei auf Regale gefüllt mit Hochprozentigem. Da steht der Klare neben hellblauem Blue Flame, der Kirschbrand neben einem blassroten Schnaps, der nach Apfelkuchen schmeckt. Nicht in Flaschen, sondern in versiegelten Einmachgläsern. So wurde während der Prohibition zwischen 1920 und 1933 Moonshine verkauft, schwarz gebrannter Whiskey. "Ihn reifen zu lassen, war zu gefährlich", sagt Will Perkins, "als illegales Produkt wollte man ihn so schnell wie möglich loswerden." Will Perkins ist Geschäftsführer von Ole Smoky Moonshine. Wie ein Geschäftsmann sieht er nicht aus in seinen speckigen Jeans und dem Holzfällerhemd, mit den schwarzen ungekämmten Haaren und dem Zehntagebart. Eigentlich ist Will Perkins Jurist. Vor ein paar Jahren hat ihn ein ehemaliger Studienkamerad gefragt, ob er nicht ins Whiskey-Geschäft einsteigen wolle. "Das war Joe Baker, der Gründer der Firma. Er kommt aus einer Familie von Schwarzbrennern und hatte dafür gekämpft, das Familiengeschäft zu legalisieren. Dafür mussten Gesetze geändert werden, denn die Vorschriften in Tennessee waren echt antiquiert." Der Hersteller findet: "Schnaps brennen ist ein gottgegebenes Recht." Und kompliziert. Die Gesetze des Staates stammten aus der Prohibition, als Herstellung und Vertrieb von Alkoholika verboten waren. Dabei blieb es in Tennessee, mit Ausnahmen für Jack Daniels und zwei weitere Whiskey-Hersteller. Erst seit einer Gesetzesnovelle 2009 ist es Gemeinden erlaubt, in ihrem Herrschaftsgebiet Brennereien anzusiedeln. Fünf Jahre später wurde beschlossen, dass einer Brennerei die Betriebsgenehmigung nur noch verweigert werden darf, wenn die Gemeinde "trocken" ist, Alkohol also gänzlich verbietet. Seitdem ist die Anzahl der Brennereien in Tennessee von drei auf 45 gestiegen. Ole Smoky ist eine Erfolgsgeschichte. Mit mehr als 40 Schnäpsen auf dem Markt, die unter dem Label Moonshine laufen. Und mit weltweitem Vertrieb. "Hat uns selbst überrascht", sagt Will Perkins. "Aber dass es einen Markt gibt, war uns klar. Besucher haben oft gefragt: Wo gibt's hier Moonshine?" Will gießt einen Klaren ein. Klassischer Moonshine: kräftig, man schmeckt den Mais. Dann die aromatisierten Whiskeys: Margarita, Arme Ritter, Apfelkuchen, nur 20 Prozent Alkohol und höllisch süß. Will Perkins grinst: "Nichts für kultivierte Scotch-Trinker." Gatlinburg gilt als Tor zu den Smoky Mountains. Und die Smoky Mountains sind mit elf Millionen Besuchern im Jahr der populärste Nationalpark der USA - weit vor Yellowstone und Grand Canyon. Dass in Gatlinburg Touristenmassen bespaßt werden, das sieht und hört man. Entlang der Hauptstraße reiht sich Kneipe an Kneipe. Dazwischen: natürlich Andenkenläden. Aus allen dröhnt laute Musik. Gatlinburg ist die Heimat von Sugarlands, wie Ole Smoky gegründet von ehemaligen Schwarzbrennern. Die Firma betreibt einen Laden, den Holler. Auf der Bühne davor spielt eine Band Bluegrass, die Musik der Appalachen. Holler heißt auf Deutsch Senke, so werden die für die Appalachen typischen engen Täler bezeichnet. Im Holler findet eine Whiskey-Probe statt. Für zehn Dollar gibt es zehn Schnäpse, für 15 die doppelte Menge. Nur in Stamperln zwar, trotzdem haben die Tester schon glasige Augen.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/usa-whiskey-tennessee-schwarzbrennerei-1.4239916
USA: In den Whiskey-Brennereien von Tennessee
00/12/2018
Jahrzehntelang wurde Moonshine-Whiskey heimlich produziert. Das beschert den Nachfahren der Schwarzbrenner auch heute noch ein einträgliches Geschäft - und den Kunden einen Schnaps mit Apfelkuchen-Aroma.
[]
mlsum_de-train-220671
mlsum_de-train-220671
Es wird teilweise teurer und teilweise schneller: Mit dem jährlichen Fahrplanwechsel stehen bei der Deutschen Bahn am 9. Dezember Veränderungen an. Ein Überblick. Was ist neu im Angebot? Mehr Sprinter zwischen München und Berlin Der Plan, Passagiere vom Flugzeug in den Zug zu bewegen, ging auf: Zum Fahrplanwechsel vor einem Jahr wurde die neue Schnellstrecke zwischen Berlin und München eröffnet, seitdem hat sich die Zahl der Passagiere auf dieser Strecke mehr als verdoppelt. 4,4 Millionen Fahrten wurden gezählt, viele Züge sind ausgebucht. Deshalb gibt es künftig fünf Sprinterzüge pro Tag und Richtung, zwei mehr als bisher. Die 623 Kilometer lange Strecke legen sie laut Plan in weniger als vier Stunden zurück, gehalten wird in Nürnberg, Erfurt und Halle (Saale). Die übrigen Direktverbindungen mit mehr Zwischenstopps brauchen, wenn sie pünktlich sind, rund viereinhalb Stunden. Von Sonntag an fährt zwischen München und Berlin dann auch der ICE 4, die neueste ICE-Generation. 3000 zusätzliche Sitzplätze pro Tag soll es dadurch auf der beliebten Strecke geben. Mehr ICE-4-Züge Nicht nur zwischen München und Berlin ist künftig das neueste ICE-Modell aus dem Fuhrpark der Deutschen Bahn unterwegs. Auch zwischen Hamburg, München und Stuttgart sowie auf den Strecken ins Ruhrgebiet sollen die neuen Züge fahren. Der ICE 4 bietet mehr Raum für Passagiere und Gepäck, auch Fahrräder können mitgenommen werden - allerdings nicht mehr als acht pro Zug. Mehr Direktverbindungen Wer nicht umsteigen muss, verpasst bei einer Verspätung immerhin keinen Anschluss. Mit dem Fahrplanwechsel werden einige Direktverbindungen neu eingerichtet, andere ausgebaut. So fahren zwischen Düsseldorf und Stuttgart künftig drei Direktzüge mehr, Gera wird IC-Bahnhof und bekommt eine direkte Verbindung nach Kassel und von Saarbrücken nach Berlin ist die künftige Direktverbindung 20 Minuten schneller. Neue Auslandsverbindungen Ein ICE verbindet Berlin und Wien jetzt direkt. Um 10.05 Uhr ist Abfahrt am Berliner Hauptbahnhof, um 17.45 Uhr ist der Zug in Wien. Bislang mussten Fahrgäste auf dieser Strecke mindestens einmal umsteigen. Auch einen Nachtzug gibt es ab Sonntag zwischen beiden Städten, allerdings nicht von der Deutschen Bahn, sondern von der österreichischen ÖBB. Neu im Fahrplan ist außerdem ein Eurocity von Berlin über Breslau nach Krakau. Zwischen Frankfurt/Main und Brüssel fahren die Züge nun im Zweistunden-Takt. Was ändert sich noch in den einzelnen Regionen und Bundesländern? Fahrgäste aus Niederbayern und der Oberpfalz haben es künftig einfacher, wenn sie mit der Bahn zum Münchner Flughafen wollen: Von Regensburg geht es über Landshut direkt in den Terminal-Bahnhof. Erstmals ist der Flughafen damit nicht nur mit der S-Bahn, sondern auch mit Regionalzügen erreichbar. Möglich macht es die neu gebaute Neufahrner Kurve. Das Projekt trägt den klingenden Namen Üfex, abgekürzt für Überregionaler Flughafen Express. An den bestehenden Verbindungen aus Ostbayern zum Münchner Hauptbahnhof ändert sich nichts, die Flughafen-Züge ergänzen den Fahrplan. Regionale Übersichten zu größeren Veränderungen bietet die Deutsche Bahn hier für Bayern, hier für den Norden (Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen), hier für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, hier für Hessen, das Saarland und Rheinland-Pfalz, hier für Baden-Württemberg, hier für Nordrhein-Westfalen, hier für Mitteldeutschland (Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt). Wird das Bahnfahren teurer? Einen Aufschlag von durchschnittlich 1,9 Prozent gibt es bei den Flexpreistickets, der teuersten Ticketkategorie ohne Zugbindung. Zeitkarten werden 2,9 Prozent teurer, ebenso die Bahncard 100, die künftig 4395 Euro in der zweiten und 7439 Euro in der ersten Klasse kostet. Fahrgäste, die ihr Ticket erst im Zug kaufen, zahlen künftig deutlich mehr, nämlich 19 Euro Aufschlag auf den Fahrpreis statt bislang 12,50 Euro. Bei den an bestimmte Züge gebundenen Billig-Tickets, Sparpreis und Super-Sparpreis genannt, ändert sich nichts, ebenso bei Reservierungen sowie bei der Bahncard 25 und der Bahncard 50. Wie viel genau für eine Strecke zu zahlen ist, macht die Bahn nach wie vor von der Auslastung der Züge abhängig. An einem Freitagnachmittag kann die Reise deutlich teurer sein als an einem Dienstagmittag. Und: Auf einigen Strecken fahren künftig nicht mehr ICs, sondern ICEs. Auch das hebt den Ticketpreis. Wie sieht es mit der Pünktlichkeit aus? Die selbstgesteckten Pünktlichkeitsvorgaben für 2018 wird die Deutsche Bahn weit verfehlen. 82 Prozent der Fernzüge wollte sie pünktlich ans Ziel bringen - genauer gesagt: mit weniger als sechs Minuten Verspätung. Im November allerdings war das nur bei 70 Prozent der Züge der Fall. Neben Problemen mit der Technik sorgte die Sperrung der wichtigen Schnellstrecke zwischen Frankfurt/Main und Köln nach einem Zugbrand für zusätzliche Verzögerungen. 2019 sollen unter anderem schnellere ICE-T-Züge einige alte ICs ersetzen und für mehr Pünktlichkeit sorgen, mittelfristig sind Milliarden-Investitionen geplant. Von Juni nächsten Jahres an gibt es allerdings umfangreiche Sanierungsarbeiten, die Schnellstrecke zwischen Hannover und Göttingen wird monatelang gesperrt - mit längeren Fahrtzeiten muss gerechnet werden.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/deutsche-bahn-fahrplanwechsel-aenderungen-1.4240743
Bahn: Was sich mit dem Fahrplanwechsel ändert
00/12/2018
Es wird teilweise teurer und teilweise schneller: Mit dem jährlichen Fahrplanwechsel stehen bei der Deutschen Bahn am 9. Dezember Veränderungen an. Ein Überblick.
[]
mlsum_de-train-220672
mlsum_de-train-220672
In den Zwanzigerjahren war Alkohol in den USA verboten. Heute wird die Zeit der Prohibition romantisch verklärt - in neu eingerichteten Speakeasy Bars. Als ein "großes soziales und wirtschaftliches Experiment, aus noblen Motiven unternommen", hat der US-Präsident Herbert Hoover die Prohibition bezeichnet. Dieses Verbot, Alkohol zu produzieren, zu transportieren und zu verkaufen, wurde unter seinem Vorvorvorgänger Woodrow Wilson trotz dessen Vetos 1920 wirksam, wieder abgeschafft hat es Hoovers Nachfolger Franklin D. Roosevelt 1933. Es hat 13 Jahre lang gedauert, bis nicht mehr zu verkennen war, dass dieses Experiment weitgehend gescheitert war. Denn Alkohol wurde in den USA weiterhin in riesigen Mengen produziert, transportiert, verkauft - und also auch getrunken. Die Qualität war aber oft minderwertig, Studien gehen von 20 000 Lähmungserkrankungen aus, weil dem Schnaps mitunter Trikresylphosphat beigemischt wurde - ein Zusatz für Hydraulikflüssigkeiten und Schmierstoffe. Die Kneipen, die von der Legalität in die Illegalität wechselten oder neu eröffneten, hießen bald Speakeasy Bars, Flüsterkneipen, weil sie tunlichst nicht auffallen sollten. Die Prohibition ist Geschichte - eine, die bis heute leidenschaftlich weitergeflüstert wird. Im Nachhinein habe die Prohibition eine "romantische Aura" angenommen, schreibt Maurizio Maestrelli in dem Buch "Streng geheim", in dem er gemeinsam mit Samuele Ambrosi die seiner Meinung nach besten Speakeasy Bars der Gegenwart vorstellt. Auffallend ist, dass es aktuell eine regelrechte Renaissance dieser Bars gibt: Viele der in dem Buch vorgestellten Etablissements haben im aktuellen Jahrzehnt eröffnet. Das Geheimnis, das sie um ihre Existenz machen, ist natürlich keine Notwendigkeit mehr, sondern ein Spiel. Dieser Spiel- und Stilwille drückt sich oft schon im Namen aus: In San Diego gibt es in Anspielung auf Hoovers Aussage eben "The Noble Experiment", der "Rains Law Room" in New York bezieht sich auf ein Anti-Alkohol-Gesetz, und "PDT", ebenfalls in New York, ist die Abkürzung für "Please don't tell" - verrat's nicht weiter. Es geht um Exklusivität, um Nostalgie und darum, die hektische Gegenwart auszublenden in einem stilvollen Ambiente bei ausgezeichneten Cocktails. Wenn es um die Qualität der Getränke und das Können der Barkeeper geht, fallen den beiden Autoren zwar immer nur die stets gleichen schwärmerischen Adjektive ein. Dennoch gelingt es dem Buch, einen neugierig zu machen auf diese charmanten Möglichkeiten des gepflegten Trinkens. Hinein kommt man in die meisten dieser Bars offenbar, wenn man es nur möchte - es handelt sich nicht um Clubs. Aber sie sind nicht einfach zu entdecken, manchmal benötigt man einen Code, einige der Speakeasy Bars sind getarnt, zum Beispiel als Buchhandlung. Zieht man dann im "Williams & Graham" in Denver das "Savoy Cocktail Book" ein wenig aus dem Regal, öffnet sich die Pforte ins eigentliche Lokal. Auch als Gast braucht man einen gewissen Spleen, um an den modernen Speakeasy Bars seinen Gefallen zu finden. Aber genau um diese Kundschaft geht es den Betreibern, die auch in ihrer Getränkeauswahl nach Extravaganz streben. Maurizio Maestrelli, Samuele Ambrosi: Streng geheim. Die coolsten Speakeasy Bars der Welt. Aus dem Italienischen von Michael Auwers und Anke Wagner-Wolff. Kunth Verlag, München 2018. 208 Seiten, 20 Euro.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/reisebuch-mit-code-zum-cocktail-1.4239924
Reisebuch - Mit Code zum Cocktail
00/12/2018
In den Zwanzigerjahren war Alkohol in den USA verboten. Heute wird die Zeit der Prohibition romantisch verklärt - in neu eingerichteten Speakeasy Bars.
[]
mlsum_de-train-220673
mlsum_de-train-220673
Eine Anbieterin von Streetfood-Touren in Bangkok will Urlauber und Einheimische beim Essen zusammenbringen. Garküchen gehören für sie zur Kultur der Stadt. Achiraya Thamparipattra leitet gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Mint das Unternehmen Hivesters. Der Reiseveranstalter aus Bangkok bringt Urlauber und Einheimische zusammen - zum Beispiel zum Blätter-Flechten mit "Tante Mali" oder zum Pad-Thai-Kochen mit Frau Orapun, einer Straßenköchin im Viertel Nang Loeng, wo es den ältesten Essensmarkt Bangkoks gibt. Streetfood gehöre untrennbar zu Thailands Metropole, sagt Geschäftsführerin Achi - und sorgt sich um die Leute, die davon leben müssen. SZ: Wie viele Ihrer Gäste wollen Streetfood-Touren mitmachen? Thamparipattra: Etwa 60 Prozent der Leute, die bei uns anfragen, wollen in Bangkok irgendetwas mit Essen erleben. Selber kochen, sich führen lassen, Lokale entdecken. Also ist Essen nicht nur für die Thailänder eine wichtige Sache, sondern auch für die Besucher des Landes? Definitiv, Essen ist ein großer Teil unserer thailändischen Kultur. Es vermittelt unsere Lebensweise und wie wir aufwachsen. Abgesehen von der Küche meiner Mutter und Großmutter ist Streetfood das Beste für mich, sehr authentisch und lecker, und du kannst es rund um die Uhr hier in Bangkok finden. Man hat nie Hunger, wenn man in Thailand ist. Die Originalküche ist überraschend vielfältig. Aber oft auch sehr scharf. Du bekommst eben hier alle Zutaten frisch. Das kann man wirklich nicht vergleichen. Wie haben Ihre Gäste reagiert auf die Ankündigung der Stadtverwaltung, weniger Essensstände auf Bangkoks Straßen zu dulden? Alle haben uns danach gefragt! Das Thema berührt die Herzen der Menschen, weil es einen Teil unserer Kultur ausmacht. Und wir Reiseveranstalter sprechen auch darüber. Was passiert, wenn es verschwindet? Ohne Streetfood wäre Bangkok nicht denkbar. Wie ist die aktuelle Situation? Es gibt einige Gegenden, in denen die Straßenverkäufer nicht mehr verkaufen dürfen. Sie mussten in andere Bereiche wechseln, die möglicherweise nicht genauso viele Kunden anziehen, und dadurch verdienen sie weniger. Aber die Straßenstände kommen teilweise wieder zurück aufgrund des internationalen Aufschreis in den Medien. Sie sprechen von Supinya Junsuta , der Streetfood-Köchin, die einen Michelinstern bekommen hat. Ja, wir sind alle begeistert, und es ist ein großes Thema in Bangkok. Ihr Essen ist sehr gut. Streetfood hat ja nicht nur für Touristen eine Bedeutung. Viele Thailänder, die im teuren Bangkok leben, haben keine eigene Küche in ihrem Mini-Apartment. Ja, es bedeutet uns sehr viel. Viele von uns leben in einer Einzimmerwohnung. Einige haben keine eingebaute Küche. Wenn man da kocht, riecht alles nach Essen. Viele von uns können es sich nicht leisten, jeden Tag im Restaurant zu essen. Wenn du 300 Baht am Tag verdienst, und ein Gericht im Ausgehviertel Sukhumvit kostet 80, 100 Baht im Restaurant, kann das ein großes Problem sein. Ein erschwingliches und leckeres Straßenessen, das 30 bis 50 Baht pro Gericht kostet, hält uns am Leben. Die Köche trifft eine Vertreibung aber trotzdem noch mal härter als die Kunden. Die meisten Straßenverkäufer sind selbständig. Sie haben kein gesichertes Einkommen jeden Monat, also verlassen sie sich darauf, dass sie jeden Tag verkaufen können. Eine große Zahl sind Frauen, die für ihre Familien, Kinder und Großeltern sorgen müssen. Es ist schwer für sie, sich die Miete des Raumes für die Eröffnung eines Restaurants leisten zu können, da die Mieten in Bangkok sehr hoch sind. Die Stadtverwaltung hat das Zurückdrängen der Essensstände ja damit begründet, dass die Fußgängerwege vielerorts zu schmal seien. Und die Plastikabfälle die Kanalisation verstopfen. Haben Sie Verständnis für diese Argumente? Zum Teil. Mancherorts sind die Durchgänge wirklich sehr eng. Aber der Verkehr nimmt nun mal generell in der Stadt immer mehr zu. Wenn sie nicht verkaufen können, könnten viele Verkäufer arbeitslos werden. Das wäre nicht gut für das Land. Ich denke, wenn wir in der Lage sind, die Regeln für die Straßenverkäufer bezüglich Hygiene und Reinigung der Flächen festzulegen, würde das die Probleme lösen.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bangkok-man-hat-nie-hunger-in-thailand-1.4239920
"""Man hat nie Hunger in Thailand"""
00/12/2018
Eine Anbieterin von Streetfood-Touren in Bangkok will Urlauber und Einheimische beim Essen zusammenbringen. Garküchen gehören für sie zur Kultur der Stadt.
[]
mlsum_de-train-220674
mlsum_de-train-220674
Der Mensch ist ein widersprüchliches Wesen. Einerseits isst er gern, andererseits hassen es die meisten zu kochen. Was sie aber nicht davon abhält, Kochsendungen im Fernsehen anzuschauen. Gerne reisen die Fernsehköche um die Welt und zeigen uns, wie die Japaner ihre traditionellen Shoyus herstellen oder die Marokkaner ihre Tajine. Und auch für gewöhnliche Urlauber spielt das Essen auf Reisen eine immer größere Rolle. Allerdings scheint es dabei weniger um den Geschmack oder die Zubereitung zu gehen, sondern einzig ums Aussehen. Selfie war gestern, heute ist Foodstagram: Statt in Ruhe zu essen, wird das bestellte Gericht erst einmal so lange fotografiert und auf Instagram hochgeladen, bis es kalt ist. Unter Hashtags wie #foodporn oder #yummy sind jeweils mehr als 100 Millionen Essensbilder zu finden. Die Bandbreite reicht von der schnöden Pizza bis zu perfekt angerichteten Tellern aus teuren Restaurants. Während Kellner und Wirte bis vor Kurzem noch die Nase rümpften, wenn ihre Gäste ihr Essen knipsten, haben viele von ihnen erkannt, wie gut sich diese Fotosucht zu Werbezwecken nutzen lässt. Und so stehen in manchen Restaurants bestimmte Gerichte nur deshalb auf der Speisekarte, weil sie ein besonders gutes Bild ergeben. Dazu zählen "fliegende Nudeln" bei einem Berliner Vietnamesen, der ein unsichtbares Gestell hinter die schwebenden Teigwaren montiert hat. Doch es geht noch besser. Manche Restaurants bieten ihren Gästen sogar Instagram-Sets mit LED-Leuchte und kontraststeigernden Aufstecklinsen für die Handykamera an, damit sie den Burger geschäftsfördernd ins Internet stellen. Noch weiter geht ein Lokal in Israel. Zwei Gerichte haben spezielle Halterungen fürs Handy am Teller und ein Fotograf gibt Tipps. Man sollte allerdings schon gegessen haben, bevor man in solche Lokale geht.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/ende-der-reise-knipsen-ist-das-neue-essen-1.4239926
Ende der Reise - Knipsen ist das neue Essen
00/12/2018
Mit Genuss hat das nichts zu tun: Heute wird in Restaurants mehr fotografiert als gegessen. Bei Instagram werden Millionen Fotos von Gerichten hochgeladen. Die Wirte nutzen das für ihre Zwecke.
[]
mlsum_de-train-220675
mlsum_de-train-220675
Wer nach dem berühmtesten Restaurant Bangkoks sucht, sollte sich von der langen Warteschlange nicht täuschen lassen. In der kriecht man nach links zu einem anderen Lokal, dem Thip Samai. Jeden Abend stellen sich hier Dutzende Thailänder für ein Pad Thai an, ihre Leibspeise aus Bandnudeln, Eiern und Fischsoße mit Tofu oder Garnelen. "Unsere Nachbarn sind sehr bekannt", sagt Yuwadee Junsuta, ein paar Meter vom Ende der Schlange entfernt. Die junge Frau kichert höflich, weil sie weiß, dass es kein berühmteres Restaurant in Thailand gibt als ihres: das Jay Fai, in dem sie Managerin ist.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bangkok-streetfood-jay-fai-1.4239918
Streetfood in Bangkok: Michelin im Wok
00/12/2018
Das "Jay Fai" in Bangkok ist das Straßenkind in der Feinschmeckerfamilie. Seit einem halben Jahrhundert kocht in der Garküche allein die 72-jährige Chefin ihr prämiertes Streetfood.
[]
mlsum_de-train-220676
mlsum_de-train-220676
Bei Umwelt und Wintertourismus denken die meisten an Schneekanonen und Pistenschneisen im Bergwald - aber nicht an das, was sie selbst leicht ändern könnten. "Größer, steiler, länger": Das Zillertal wirbt gerne mit Rekorden um Wintertouristen. Im "größten Skital der Welt" gibt es die "längste Talabfahrt Österreichs" - zehn Kilometer und 1930 Höhenmeter vom Übergangsjoch nach Zell am Ziller. Außerdem die "steilste Piste Österreichs" am "Actionberg" Penken mit 78 Prozent Gefälle. Auch im Angebot: "die modernste Seilbahn der Welt", 180 Lifte und 530 Pistenkilometer. Vom nervigsten Stau Österreichs, der sich an schönen Wintertagen vor dem Brettfalltunnel am Taleingang bildet, liest man in der Superlativ-Sammlung auf zillertal.at aber nichts. Ein weiteres Weltrekord-Projekt ist im Zillertal bereits in Planung: Eine "Peak-to-Peak-Bahn" soll ab der Saison 2020 mit dem "weltweit größten Bodenabstand von über 1000 Meter" vom Onkeljoch zur Wetterkreuzspitze führen. Die Seilbahn wird die Skigebiete Hochzillertal und Spieljoch verbinden. Weitere Zusammenschlüsse sind in Zell am See und Saalbach-Hinterglemm, am Arlberg und in Andermatt/Sedrun geplant, dabei entstehen Mega-Skigebiete mit vielen Hundert Pistenkilometern. Überall wird modernisiert, ausgebaut und in Schneekanonen investiert. Die Wintersportindustrie rüstet auf, dem Klimawandel zum Trotz. Kann man angesichts dieser Entwicklungen überhaupt noch guten Gewissens einen Skiurlaub in den Alpen planen? "Wenn man das gute Gewissen beim Skifahren damit definiert, dass man Naturschneepisten benutzt, dann kann man heute eigentlich nirgends mehr in den Alpen Skifahren", sagt Werner Bätzing, ehemaliger Professor für Kulturgeografie in Erlangen und einer der renommiertesten Alpenforscher. Denn fast alle Skigebiete produzieren Kunstschnee und haben große Speicherseen gebaut, um die Pisten sicherheitshalber künstlich zu beschneien, sobald es kalt genug dafür ist. Der größte CO₂-Verursacher im Wintertourismus? Das Auto. Dazu kommt noch die Anreise mit dem Auto in die Skigebiete - das verschlechtert die Klimabilanz deutlich. Etwa 85 Prozent des CO₂-Ausstoßes im Wintertourismus ist auf die Anreise zurückzuführen. Ralf Roth, Leiter des Instituts für Natursport und Ökologie an der Deutschen Sporthochschule Köln, hat sich mit den Umweltfolgen des Wintersports eingehend beschäftigt und kommt zu einem differenzierten Bild. An einzelnen Brennpunkten wie dem Zillertal werde zwar massiv ausgebaut, aber seinen Angaben zufolge verbrauchen die Wintersportgebiete insgesamt mit ihren gesicherten Pistenräumen weniger als ein Prozent der Alpenfläche. Alpenforscher Bätzing hat den Flächenverbrauch durch Skigebiete analysiert und dabei herausgefunden, dass die Zahl der Skigebiete sinkt. Nach seinen Recherchen haben in den vergangenen 15 Jahren etwa 50 bis 60 kleine Skigebiete den Betrieb eingestellt, gleichzeitig bauen die großen Skigebiete ihre Position immer mehr aus, so Bätzing, "weil sie mit ihren permanenten Innovationen Trends setzen, die die Skifahrer dann schnell als selbstverständlich voraussetzen". Eine Gondel ohne Wlan und Popoheizung wirkt heutzutage schnell veraltet. Insgesamt stagniert die Zahl der Wintersportler - auf hohem Niveau: In Europa gibt es über 40 Millionen aktive Skifahrerinnen und Skifahrer, in Deutschland sind es etwa sieben Millionen. Dabei werden die Wintersportgäste "polysportiver", wie Sport-Professor Roth erläutert: "Kernsportart bleibt Ski alpin, positive Entwicklungen verzeichnen wir bei den nordischen Bewegungsformen: Skilanglauf, Tourengehen und Winterwandern." Und diese Sportarten lassen sich auch auf einigermaßen naturverträgliche Weise ausüben. Es liege eben auch in der Verantwortung der Destinationen und Bergbahnen, eine nachhaltige Entwicklung weiter voranzutreiben. Wo "nachhaltig" und "Wintersport" tatsächlich zusammenpasst Es gibt solche Orte, in denen nachhaltiger Wintersport möglich ist, aber es sind nicht unbedingt diejenigen, die "modernste Seilbahnen" und "steilste Pisten" anpreisen. Pfelders im Passeiertal zum Beispiel liegt abseits der größten Wintersportzentren, das Dorf ist autofrei und betreibt seine Lifte komplett mit Strom aus regenerativen Energiequellen, so wie mittlerweile 98 Prozent aller Skigebiete in Südtirol. Der Energiebedarf eines Wintersportlers im Skigebiet sei sowieso vergleichsweise gering, er liege bei 17 Kilowattstunden am Tag, rechnet Roth vor. Pfelders gehört zu den "Alpine Pearls", einem Zusammenschluss von 25 Orten, die sich zu umweltfreundlichem Wintertourismus verpflichtet haben. Sie bieten eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, nutzen regenerative Energien und lassen nur eine bestimmte Menge Skifahrer auf den Berg. In Wintersportindustriegebieten wie Ischgl oder Zermatt ist der wirtschaftliche Konkurrenzdruck so hoch, dass die Förderleistung der Bahnen immer weiter erhöht wird - die Giggijochbahn in Sölden etwa kann 4500 Menschen pro Stunde auf die Pisten transportieren. Kleine Skigebiete können und wollen da längst nicht mehr mithalten. Im Tiroler Dorf Mieming etwa hat man sich schon vor Jahren gegen den alpinen Skisport entschieden. Die Erneuerung der veralteten Skilifte auf dem Mieminger Plateau hätte Millionen gekostet. Also entschloss man sich, die Anlagen abzubauen - und auf alternativen Wintersport zu setzen. Die Sorgen der Hoteliers, dass dadurch der Wintertourismus zugrunde gehen könnte, haben sich nicht bestätigt. Längst kommen wieder mindestens genauso viele Besucher wie zu Zeiten des Skibetriebs. Es geht auch ohne "Actionberg".
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/winter-ski-skifahren-umwelt-1.4234560
Wintersport: Mit gutem Gewissen Ski fahren - geht das?
00/12/2018
Bei Umwelt und Wintertourismus denken die meisten an Schneekanonen und Pistenschneisen im Bergwald - aber nicht an das, was sie selbst leicht ändern könnten.
[]
mlsum_de-train-220677
mlsum_de-train-220677
Stau auf der Autobahn verdirbt den Spaß und die Luft? So kommen Sie mit dem Zug in Skigebiete in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Für manche ist die Anreise mit der Bahn ins Skigebiet die entspannteste Art, ausgeruht auf die Piste zu kommen. Sie vermeiden die gefürchtete Autobahn-Verstopfung an Skiwochenenden und haben auch kein Promille-Problem nach dem Après-Ski. Ist die Anreise zum Berg mit der Bahn nun besonders komfortabel oder doch eher umständlich? Das hängt von Start und Ziel sowie der Notwendigkeit ab, unterwegs mit der gesamten Skiausrüstung umzusteigen. Und davon, wie der Transport am Ziel hin zu den Skigebieten organisiert ist: Wie häufig verkehren Skibusse? Und kosten sie zusätzlich? Ganz sicher ist aber: Die Bahnfahrt zum Wintersportort schont das Klima und die Nerven derjeniger, die nicht nach langen Stunden im Stau - sei es im Auto oder Fernbus - freizeitgestresst sein wollen. Nach Österreich Dabei könnten Skifahrer im Nachtzug tanzen (oder schlafen), sofern sie im Norden Deutschlands oder im Ruhrgebiet wohnen: Hier fährt der sogenannte Schnee-Express. Dieser ist zwar nicht günstiger als die Deutsche Bahn - je nördlicher der Einstiegsbahnhof, desto teurer, das kann sich mit allen Aufschlägen auf über 200 Euro summieren. Aber der Express fährt über Nacht mit eigenem Skiabteil am Freitagabend direkt zu 17 Bahnhöfen in Tirol sowie ins Salzburger Land, der Zug wird in Kufstein geteilt. Samstagnacht geht es wieder retour. Im Schnee-Express gibt es Sitz- und Liegewagen - und einen Après-Ski-Waggon. Bei der Deutschen Bahn müsste man zu diesen Abfahrtszeiten zum Beispiel von Hamburg nach Saalfelden mindestens einmal samt Skiern und Gepäck umsteigen - im schlechtesten Fall sogar bis zu sechs Mal. Eine weitere Alternative zum Durchfahren ist der Nachtreisezug ÖBB Nightjet, etwa von Hamburg über Hannover und München nach Innsbruck. Auf einigen Verbindungen kann man auch sein Auto oder Motorrad mitnehmen. Wer doch lieber tagsüber mit der Deutschen Bahn fährt, zahlt für die Reise nach Innsbruck mit dem Sparpreis Europa ab 39 Euro - Kinder unter 15 Jahren fahren kostenlos bei den Eltern oder Großeltern mit, sofern ihre Namen beim Kauf auf dem Ticket vermerkt wurden. Kürzere Verbindungen etwa von München nach St. Anton in Österreich sind noch günstiger ab 19 Euro buchbar. Sieben Mal am Tag fährt ein Eurocity von München nach Tirol. Im Zeitraum vom 29. Dezember 2018 bis zum 27. April 2019 wird jeden Samstag eine zusätzliche ÖBB-Railjet-Verbindung vom Münchner Hauptbahnhof bis an den Arlberg angeboten - zu Konditionen der Deutschen Bahn ab 19,90 Euro. Nicht nur Innsbruck, etwa auch Imst-Pitztal, das Ötztal oder Seefeld sind direkt mit Euro- und Intercity-Zügen zu erreichen. Wer länger als einen Tag im Skigebiet bleiben will und mit Koffer samt Skiausrüstung leicht überfordert ist, kann den Gepäckservice der Deutschen Bahn buchen - dann holt ein Kurier alles bequem zuhause ab. Nach Österreich kostet das knapp 30 Euro extra, nach Italien oder in die Schweiz 50 Euro; allerdings pro Gepäckstück und Richtung. Wer seine Skier also nicht selbst wieder heimschleppen will, muss nochmal so viel bezahlen. An einigen Tiroler Skigebieten wie St. Anton am Arlberg, Kitzbühel oder Wilder Kaiser-Brixental liegt der Bahnhof nah am Einstieg zu den Pisten. In Innsbruck gibt es einen kostenfreien Ski- und Langlaufbus vom Hauptbahnhof aus in die umliegenden Gebiete, zum Beispiel ins Axamer-Lizum. Auch die Pisten im Salzburger Land und in der Steiermark mit dem Verbund Ski amadé sind von München aus gut erreichbar: Wer etwa mit dem Railjet am Samstagmorgen um 6.24 Uhr am Hauptbahnhof startet, kommt dreieinhalb Stunden später in Schladming an. Hat man sich mit den Ski-Schaukeln zu weit entfernt, kommt man mit den Post-Skibussen am Nachmittag wieder zurück zum Bahnhof - mit gültigem Skipass ist die Mitfahrt kostenlos.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bahn-zug-skifahren-ski-skigebiet-1.3357072
Zug ins Skigebiet - Mit der Bahn zum Skifahren
00/12/2018
Stau auf der Autobahn verdirbt den Spaß und die Luft? So kommen Sie mit dem Zug in Skigebiete in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
[]
mlsum_de-train-220678
mlsum_de-train-220678
Der Winter schien noch in weiter Ferne zu sein, da warf er seine Schatten bereits voraus. Und wie! Bei mehr als 20 Grad Celsius eröffneten die Bergbahnen Kitzbühel am 13. Oktober dieses Jahres die Skisaison mit zwei Abfahrtspisten an der nicht einmal bis auf 1900 Meter reichenden Resterhöhe. Die weißen Schneisen waren mithilfe von Altschnee aus dem Vorwinter, der den Sommer über zu diesem Zweck in riesigen Depots konserviert worden war, in die sonst braungrüne Landschaft planiert worden. Umweltschützer reagierten entsetzt, in den sozialen Medien debattierten die Follower und Fans und die Feinde des Skizirkus hitzig über den auf 1,6 Kilometer ausgewalzten Schnee von gestern, während Marketingexperten wahrscheinlich heute noch damit beschäftigt sind, den Werbewert der eher grotesk anmutenden Aktion zu berechnen. Dabei hatten die Kitzbüheler Wintermacher im Grunde nur eine Entwicklung auf die Spitze getrieben, die in Österreich - und hier vor allem in Tirol - seit Jahren im Gange ist. Diese Entwicklung hat etwas damit zu tun, dass den Skigebieten langsam die Gäste ausgehen. Mehrere Studien wie die jährlichen Erhebungen des Unternehmensberaters Laurent Vanat stellen längst einen Rückgang oder wenigstens eine Stagnation der Skifahrerzahlen in Mitteleuropa fest. Umso härter wird der Konkurrenzkampf um den Restbestand an gondelnden Gästen geführt. Modernisierung und Skigebietserweiterungen sind da eine Möglichkeit, um noch mehr Reize zu setzen. Nur sind den Schneisenschlägern und Pistenwalzern der Skiindustrie durch Raumordnungsprogramme und Umweltprüfungsverfahren Grenzen gesetzt; wenngleich diese oft nur widerwillig akzeptiert werden und stets vom Aufweichen bedroht sind. Zum Glück gibt es weitere Tricks, den Skibetrieb auch ohne Genehmigungen und Baumaßnahmen auszuweiten, räumlich und zeitlich, in alle Richtungen. Freeriden bedeutet de facto eine Ausweitung des Skigebietes Die räumliche Ausdehnung läuft im Jargon des Wintersports unter dem Begriff "Freeriden". Darunter wird im weiteren Sinne das Skifahren im nicht präparierten Gelände jenseits der Pistenbegrenzung verstanden. Das gab es früher schon, ist heute durch besseres Material und den größeren Ehrgeiz vieler Skifahrer jedoch besonders gefragt. Für alle, die mit dem Skifahren Geld verdienen wollen, ist dies eine sehr angenehme und daher auch durchaus aktiv vorangetriebene Entwicklung. Anders als beispielsweise der klassische Skitourengeher löst der Freerider nämlich ein Liftticket. Gleichzeitig braucht er außer teuren Sportgeräten eine noch teurere Sicherheitsausrüstung, um sich beim Ausritt ins möglicherweise lawinengefährdete Gelände der Verantwortung der Pistenbetreiber entziehen zu können. Im Grunde handelt es sich hierbei also gewissermaßen um eine informelle Skigebietserweiterung. Aufwendiger und herausfordernder ist die zeitliche Ausdehnung. Schon beim Ablauf eines Skitages gibt es kaum mehr Grenzen. Jedenfalls reicht der übliche Pistenbetrieb zwischen halb neun und halb fünf offenbar längst nicht mehr aus. Morgens lockt vor dem offiziellen Liftstart - natürlich gegen einen deftigen Aufpreis für sogenannte VIP-Gäste - ein Frühaufsteher-Paket namens "Early Bird", "Ski 'n' Brunch" oder "Skikeriki". Und wer nach Betriebsschluss immer noch nicht genug hat, darf sich am Ende des Skitages beim Vollmondskifahren, Flutlichtwedeln oder auch dem Fackellanglauf abarbeiten. Das oft naserümpfend beschriebene Après-Ski ist da nur noch ein kleiner Baustein im Sortiment der Skigebiete. Wirklich ans Eingemachte geht es beim Verlängern der Saison. Denn mittlerweile werden die Saisonzeiten trotz Schneemangels so stark ausgereizt, dass nur noch Insider wissen, wo und wann Anfang und Ende sind. Der Start wird - siehe Resterhöhe - auch dann nach vorne gelegt, wenn sich der Sommer noch längst nicht verabschiedet hat, und gerne trotz eines frühen Frühlings um jeden Preis in die Länge gezogen. Die Alpen werden nicht nur inszeniert, sondern optimiert, als ginge es darum, den letzten Cent aus ihnen herauszupressen. Jede Menge Attraktionen zum Einstand und Ausklang Dabei braucht es gerade zum Einstand und Ausklang des Winters vielerorts jede Menge Geschmacksverstärker, um den Appetit der Gäste aufs Skifahren anzuregen. So trat kürzlich beispielsweise Jason Derulo zum mittlerweile obligatorischen Saisoneröffnungskonzert auf der Idalp in Ischgl auf. Jason Derulo hat mit den Alpen zwar ungefähr so viel zu tun wie ein Alligator aus den Everglades, aber irgendwie ist das wieder ehrlich, weil das auch für die meisten Skifahrer in Ischgl gilt. Außerdem darf Ischgl beinahe so etwas wie ein Urheberrecht auf jene Konzertkultur beanspruchen, die sich in den Skigebieten jenseits der Stoßzeiten geradezu flächendeckend breitmacht: Wanda kommt am Samstag nach Obertauern, Saalbach verspricht nur eine Woche darauf ein Bergfestival mit Feine Sahne Fischfilet und Seiler und Speer, während der Hochzeiger mit Revolverheld lockt. Wer wie Galtür nicht ganz so viel Geld investiert, hat womöglich nur Radio Ramasuri im Programm. Der Liveact ist freilich nur ein Lockmittel. Es gibt Oktoberfeste und Sportartikel-Testtage zum Auftakt oder Full-Metal- und Electric-Mountain-Festivals zum Ausklang der Saison. In Mayrhofen verkürzt eine Sportveranstaltung namens "Rise and Fall" das Warten auf eine ohnehin Gewinn versprechende Weihnachtszeit, wogegen Saisonabschlussrennen wie der "Weiße Rausch" in St. Anton oder der "Weiße Ring" in Lech fast schon Nostalgiecharakter besitzen. Und wer einem Tanz der Pistenraupen zusehen möchte, kann im April in Sölden das Gletscherschauspiel namens Hannibal auf 3000 Metern besuchen. Was Kitzbühel betrifft, hat die Geschichte mit den Pisten im Grünen womöglich ein Nachspiel. Den Bergbahnen droht eine Strafe von maximal 14 600 Euro, weil die naturschutzrechtliche Bewilligung für das Schneedepot fehlte. Dafür wurden an der Resterhöhe 90 000 Fahrten innerhalb der ersten sechs Wochen gezählt.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/ski-freeride-kitzbuehel-ischgl-1.4228066
Ski - Wie Wintersportorte um ihr Publikum kämpfen
00/12/2018
Freeride-Zonen, Popstars und sogar ein Pistenraupen-Ballet: Angesichts sinkender Gästezahlen kämpfen Wintersportorte hart um ihr Publikum.
[]
mlsum_de-train-220679
mlsum_de-train-220679
Gleich nach der Sintflut soll in der fruchtbaren Ebene zu Füßen des Ararat der Weinanbau in Armenien begonnen haben. Doch jetzt drohen andere Pflanzen die Reben zu verdrängen. Der Laster ruckelt aus den Weinbergen hinab Richtung Dorf, den sandigen Weg entlang. Aus der Ferne kann Norik Makerjan nicht erkennen, wer im Wagen sitzt, die Laster sehen hier ja aus wie geklont. Hellblaues Fahrerhaus, weiße Schnauze. Die Armenier verdanken den unverwüstlichen "Gaz 53" den Sowjets, wie so vieles andere. Makerjan bedeutet dem Fahrer zu halten und, ach wie gut: Es ist einer der Nachbarn, die ihren Weinberg pflegen und gute, herzeigbare Trauben haben. Ein ganzer Schwung Frauen hat bei der Ernte geholfen, zwei sitzen mit im Fahrerhaus, zwei weitere auf der Ladefläche vor den getrockneten Trieben, die im Winter verfeuert werden und so dem Schaschlik einen besonderen Duft verleihen. Die Trauben sind fast alle dunkel. Areni-Trauben. Eine Rebsorte, so uralt wie die Besiedlung im Tal. In den Hochlagen kann es im Winter eisig werden. Die alten Rebstöcke halten das aus Schon vor rund 6000 Jahren, so schätzen Archäologen, wurde hier in der südarmenischen Provinz Wajoz Dsor Wein gekeltert. In einer Karsthöhle über dem Fluss Arpa, "Areni 1" oder "Vogelhöhle" genannt, fanden armenische und amerikanische Wissenschaftler im Zug der 2007 begonnenen, systematischen Erforschung der Höhle nicht nur den ältesten Lederschuh der Menschheit (zu sehen im Historischen Museum in Jerewan), sondern auch Tongefäße, in denen Wein aufbewahrt wurde. Die Radiocarbonmethode datiert die Amphoren auf einen Zeitraum zwischen 4100 und 4000 vor Christus. Neben Vorratsgefäßen wurden auch Reste einer Presse, Trinkbecher und eine Wanne zur Fermentierung entdeckt - der älteste bislang gefundene Weinkelter der Welt. Und offenbar auch ein Ritualplatz; in der Nähe der Weingefäße fanden sich zahlreiche Begräbnisstätten. Der Wächter, der auf Russisch und Armenisch durch die Höhle führt, spricht von Menschenopfern. Norik Makerjan wohnt rund 15 Kilometer entfernt im Dorf Gladzor. Sein Weinberg liegt etwas außerhalb, der Vater hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion 2000 Quadratmeter Grund bekommen, der Sohn baut dort heute zwei alte, autochthone Sorten an: Areni eben, jene Trauben, von denen auch in der Höhle Reste gefunden wurden. Und eine, die sie hier im Dorf Kharji nennen. Voskehat ist der gängigere Name. Deren helle, fast marmorfarbene Trauben verarbeitet der 51-Jährige zu Cognac. Aus den Areni-Trauben macht er Wein. Die jungen Triebe stützt er auf Zweige, die alten, armdicken Äste wachsen fast waagerecht dicht über der Erde. Eine Überlebensstrategie in den Hochlagen, wo es im Winter bis zu 25 Grad minus hat. "Der Schnee legt sich darüber, das schützt die Reben", sagt Makerjan. Viermal pro Jahr lässt er Wasser durch die Kanäle zwischen den Rebstöcken laufen, im Frühling wird zurückgeschnitten, einmal im Jahr spritzt er eine Kupferkalkbrühe gegen Pilzbefall. Pestizide braucht es nicht. Und als Dünger reicht der Mist seiner zwei Kühe. Bei der Ernte gehört Makerjan zu den Wagemutigeren im Dorf; Mitte Oktober, vor dem ersten Frost, holt er die Trauben. "Ich warte, so lange es geht." Noch die letzte Herbstsonne soll den Wein verfeinern, der perfekt ist, wenn er, wie Norik Makerjan sagt, "die Farbe von Blut" angenommen hat. Drei Tage kommt der Traubensaft in Plastikfässer, dann wird er filtriert und umgefüllt in eine Amphore - Karas heißt die in Armenien. Sie ähnelt den Quevris in Georgien. Man befüllt sie bis unter den hölzernen Deckel, damit keine Luft an die Flüssigkeit dringt. Deckel und Tongefäß werden mit Teig verbunden, dann verkorkt. Im November probiert Norik Makerjan zum ersten Mal den frischen, süßen Wein, "Madschar" nennt ihn der Weinbauer, der in seinem Garten Gäste zu Verkostungen empfängt. Neugierige Enten schauen vorbei, hinter ihm hängt ein altes Butterfass, es sieht aus wie eine langgestreckte Amphore, nur aus Holz. Als Junge hat Makerjan selbst noch gebuttert, aber jetzt sind andere Zeiten. In der Hauptstadt Jerewan hat sich eine neue Mittelschicht etabliert. Bauspekulanten reißen gerade - gegen den Widerstand vieler Einwohner - die alten Bürgerhäuser ab, alles soll glänzen und modern aussehen, und doch stehen die Hochhäuser im Zentrum fast alle leer. Nur die Stühle vor den neuen Restaurants und Cafés sind an den warmen Herbstabenden gut besetzt. Zwischen den beiden großen Brandy-Fabriken in Jerewan liegt die schwankende Brücke In Gladzor, Makerjans Dorf, hat noch kein Wohlstand Einzug gehalten. Fast jeder hier fährt noch einen alten Lada, und die selbstgebaute Weinpresse reicht man zur Erntezeit von Haus zu Haus. Dennoch ist das Leben einfacher geworden, auch dank der Touristen, die kommen, um sich im ältesten christlichen Staat der Welt die Klöster anzusehen, die überall im Land an den malerischsten Orten stehen: Chor Virap mit Blick auf den Ararat, Sewanawank über dem Sewansee, Norawank am Ende der Amaghu-Schlucht, nahe der Areni-Höhle. Die Gäste reisen von Kreuzstein zu Kreuzstein, zu Vulkankratern - und wollen armenische Speisen mit hausgemachtem Wein probieren. Oder Cognac. Zwei große Fabriken stehen in Jerewan - Ararat und Noy. Die Brücke, die sie verbindet, nennen die Einheimischen die schwankende. Wobei die Armenier ihren Cognac international als "Brandy" verkaufen müssen - die Franzosen haben das Recht am Namen. Die Führungen bei "Ararat" sind professioneller, die bei "Noy" interessanter, weil man in die Keller der alten Stadtfestung kommt, wo die Fässer lagern und es entsprechend duftet. Önologin Lusine Shakinyan hat gerade eine Runde russischer Militärangehöriger zu Gast in ihrem Kellerbereich. Sie lässt eine Flasche entkorken, der Wein, der hier auch hergestellt wird, ist eingedickt und süß - Jahrgang 1913, Vor-Weltkriegs-Wein.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/armenien-reise-wein-1.4230114
Zur Weinprobe nach Armenien
00/12/2018
Gleich nach der Sintflut soll in der fruchtbaren Ebene zu Füßen des Ararat der Weinanbau in Armenien begonnen haben. Doch jetzt drohen andere Pflanzen die Reben zu verdrängen.
[]
mlsum_de-train-220680
mlsum_de-train-220680
Bis weit ins nächste Jahr hinein ist die Wuppertaler Schwebebahn außer Betrieb. Enttäuscht darüber sind nicht nur viele Einwohner der Stadt. Es heißt: Wer ihren Fußballverein, den Wuppertaler SV, nicht kennt, dem verzeihen die Wuppertaler. Wer aber noch nie etwas von der Schwebebahn gehört hat, der erntet böse Blicke. Die Wuppertaler Schwebebahn ist älter als die Stadt selbst, sie ist ein Wahrzeichen im Bergischen Land, sie ist kurzgesagt: deutlich mehr als ein Verkehrsmittel. Und steht voraussichtlich noch bis zur Jahresmitte 2019 still. Grund dafür ist ein Zwischenfall Ende November, bei dem eine 350 Meter lange Stromschiene in die Tiefe stürzte und einen Cabrio-Fahrer nur knapp verfehlte. Zwei Züge wurden dabei beschädigt. Seitdem dauert die Ursachensuche durch Sachverständige an, weiterhin wird durch die Staatsanwaltschaft nur vermeldet: Der Zwischenbericht des Gutachters habe keine erkennbare Unfallursache ergeben, es gehe nun an die Feinuntersuchungen. In den vergangenen fünf Jahren handelt es sich bereits um den zweiten größeren Zwischenfall: Im Oktober 2013 war ebenfalls eine Stromschiene abgefallen und auf die Fahrbahn, auf Autos und in die Wupper gestürzt. Damals ruhte der Betrieb bis Ende November. Und auch mit Blick auf die gesamte Betriebszeit der Schwebebahn häufen sich die größeren Unfälle in der bislang zweiten Lebenshälfte der Schwebebahn: Im April 1999 ereignete sich bei dem Absturz eines Triebwagens der einzige Unfall mit Todesopfern, im Juni fuhr die Schwebebahn wieder. Und nun muss Stadtwerke-Sprecher Holger Stephan vermelden: "Die Arbeiten des Gutachters dauern an. Weil wir im Anschluss umfangreiche Sicherungsmaßnahmen wie etwa eine erneuerte Aufhängung planen, werden sich die Bauarbeiten bis in die Jahresmitte 2019 ziehen." Damit sei die Schwebebahn in ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte noch nie so lange ausgefallen, selbst geplante Maßnahmen zur Erneuerung der Gerüste legten den Betrieb höchstens sechs Wochen lang lahm. "Zum dritten Mal in ihrer Geschichte ist für mehrere Monate Stillstand", sagt Stephan. Normalerweise sind es bis zu 80 000 Fahrgäste pro Tag Dabei wurden über die vergangenen 20 Jahre hinweg bereits 500 Millionen Euro in die Erneuerung gesteckt. "Die ersten Bauteile sind mittlerweile auch eben 20 Jahre alt und damit nicht mehr neu", erklärt Stephan. In den Köpfen der Wuppertaler "fährt die Schwebebahn immer", sie interessieren sich wenig für die genauen Daten der bisherigen Stillstände. Der Faszination Schwebebahn kommt man nämlich ebenso mit schieren Zahlen nur ein stückweit näher: im Jahr 1901 eröffnet, 13,3 Kilometer lang, insgesamt 20 Stationen, täglich etwa 80 000 Passagiere. Vielmehr sind es die nostalgischen Erinnerungen, die den Mythos erhalten. Der Grundschulausflug vor 25 Jahren, die Fahrt zum Zoo oder Fußballspiel und natürlich Elefant Tuffi, der 1950 bei einer Werbe-Aktion aus der Schwebebahn in die Wupper stürzte. Martin Bang, Geschäftsführer der Wuppertal Marketing GmbH, spricht vom "Rückgrat der 350 000-Einwohner-Stadt", nicht nur im Nahverkehr, sondern auch im Tourismus. Der Stillstand treffe die Reisebranche in Wuppertal schwer, seit dem Zwischenfall in November bis Ende des Jahres habe man etwa 2000 Touristen für die Fahrt im historischen Kaiserwagen absagen müssen. Allein damit absolvieren jährlich 15 000 Gäste eine Tour, die Gesamtzahl der Schwebebahn-Touristen ist zwischen normalen Nahverkehrsnutzern schwer zu ermitteln. Enttäuschte Touristen trotz Ersatzverkehr "Die Gäste kommen aus ganz Deutschland und Holland", sagt Tourismus-Werber Bang. Er hat nun mit enttäuschten Gesichtern zu tun, wenn den Touristen im Info-Shop beigebracht werden muss, dass ihr Stadtbesuch ohne die eigentlich obligatorische Schwebebahnfahrt auskommen muss. Dass der Ersatzverkehr mit Bussen einigermaßen funktioniert, interessiert die Besucher ebenfalls weniger. Insgesamt sei die Kommunikation des Stillstandes schwierig: "Wenn ich nach Berlin fahre, erkundige ich mich vorher auch nicht, ob die Doppeldecker fahren", sagt Bang. Trotz abgefallener Stromschiene muss der Wuppertal-Besuch mit Schwebebahn nicht gänzlich ins Wasser fallen: Wer will, kann sich im Touristenshop eindecken und sich seinen eigenen Schwebebahn-Kosmos bauen. Dort gibt es im Schwebebahn-Design Frühstücksbrettchen, Autoaufkleber, Stifte und Magneten. Schwebebahn-Weihnachtsservietten und ein Holzbausatz sind ebenfalls zu haben. Nur eben die Fahrt mit der Bahn - die muss bis auf Weiteres ausfallen.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/nahverkehr-ein-mythos-steht-still-1.4265653
Wuppertaler Schwebebahn steht still
00/12/2018
Bis weit ins nächste Jahr hinein ist die Wuppertaler Schwebebahn außer Betrieb. Enttäuscht darüber sind nicht nur viele Einwohner der Stadt.
[]
mlsum_de-train-220681
mlsum_de-train-220681
Nur wenn sich an der Verkehrspolitik radikal etwas ändert, werden auch die Staus wie hier auf dem mittleren Ring in München seltener werden. Autofahrer im Stau entnervt, Bahnfahrer von Verspätungen zermürbt - die Bürger in Deutschland sind zu Recht über die Verkehrspolitik erbost. Die Lage ist so verfahren, dass jetzt radikale Lösungen notwendig sind. In vielen Neujahrsansprachen wird nun wieder zu hören sein, die Deutschen sollten ihren Hang zur Nörgelei bändigen und sich auf das Wesentliche besinnen. Deutschland sei eines der wohlhabendsten Länder der Welt, nirgendwo funktioniere das Gemeinwesen besser. Man solle, bei aller Kritik, froh sein, in diesem Land leben zu können. Solche Appelle wirken nachvollziehbar in Zeiten, in denen die Populisten Ängste schüren. Jedoch hat sich gerade im Umgang mit der Migration gezeigt, dass es nichts bringt, Probleme, die der Staat seit Jahren nicht in den Griff bekommt, in wohlfeile Worte zu hüllen. Weniger Wut, Bürger, mehr Maß und Mitte bitte: Auf deutschen Bahnsteigen und Straßen jedenfalls wird die Durchsage eher das Gegenteil bewirken. Wenn in der Mangelwirtschaft der Bundeswehr kaum noch Flugzeuge fliegen und Panzer rollen, ist das ein bedenkliches Zeichen für das Gemeinwesen, betrifft aber nicht den Alltag der Menschen. Den maroden Zustand vieler Schulen, den Mangel an Ärztinnen, Pflegern, Lehrern mag man mit Fatalismus hinnehmen. Die jahrelangen Versäumnisse der Verkehrspolitik aber treiben mittlerweile Millionen Menschen jeden Tag buchstäblich an den Rand der Verzweiflung. Die Deutsche Bahn ist im Nah- wie im Fernverkehr wegen ihrer Pannen und Verspätungen oft nur noch mit Sarkasmus zu ertragen. Immer mehr Fahrgäste werden, wie Statistiken zeigen, handgreiflich gegen das Personal. Die Staus auf den Straßen werden immer länger, doch viele Berufspendler ziehen den Stress im Stau immer noch dem S-Bahn-Chaos vor. Und nun bricht das Jahr der Dieselfahrverbote an, eine historische Zäsur: Die Politik verliert die Kontrolle über die Straßen. Beginnend am 1. Januar in Stuttgart, werden nach und nach in deutschen Städten Dieselautos ausgesperrt. Die Gerichte geben den Takt der Verbote vor, weil die Regierungen jahrelang die Luftverschmutzung durch Dieselautos ignoriert haben, aus Rücksicht auf Autoindustrie und Autofahrer. Wann welcher Diesel wo noch fahren darf und wo nicht mehr, weiß niemand so genau, ebenso wenig, wie die Verbote zu kontrollieren wären. Regierung und Industrie wollen die Verbote ohnehin auf die Schnelle überflüssig machen, und manchmal hat man den Eindruck: Sie wollen sie unterlaufen. Niemandem wehtun löst keine Probleme Im Jahr 2018 wurde ausgiebig darüber debattiert, warum die Volksparteien so massiv an Zustimmung verlieren. Jenseits der Flüchtlingsfrage finden sich exemplarische Antworten auch in einer Verkehrspolitik, die niemandem wehtun will, kein Problem löst, damit die Zukunftsfähigkeit des Landes gefährdet und die Bürger frustriert. Weder nimmt der Staat die Autokonzerne konsequent in Haftung für die Dieseldreckschleudern, die sie unters Volk gebracht haben, noch nimmt er den Anspruch der Stadtbewohner auf saubere Luft ernst. So untergräbt die Politik das Vertrauen in den Rechtsstaat. Es sei Zeit für "radikale Antworten" auf die Probleme in Deutschland, sagt Grünen-Chef Robert Habeck immer wieder. Er scheint damit einen Nerv zu treffen, seine Partei liegt in den Umfragen bei 20 Prozent. In der Verkehrspolitik trifft seine Analyse zweifellos zu. Es geht um die Lebensqualität in den Städten, den Schutz des Klimas, um Zehntausende Arbeitsplätze und auch um den Zusammenhalt in Deutschland. Der Streit um den Diesel spaltet die Gesellschaft. Die Kluft verläuft zwischen Arm und Reich, denn nur Menschen mit hohem Einkommen können sich nun einen sauberen Diesel leisten. Und sie verläuft zwischen Stadt und Land. Multimobile Städter mögen sich lustig machen über die Liebe vermeintlicher Provinzler zu ihrer Blechbüchse. Aber auf dem Land bedeutet das Auto immer noch Freiheit, und die individuelle Mobilität trägt viel bei zum Wohlstand in Deutschland. Fast eine Million Menschen sind direkt in der Branche beschäftigt. Umso wichtiger ist es, einen Konsens herzustellen über die Mobilität der Zukunft. Keine alternativen Antriebe, sondern weniger Autos Wenn nun manche Städte, um Fahrverbote zu vermeiden, schnell E-Autos anschaffen, dafür aber keine geeigneten deutschen Modelle finden - dann fasst das zusammen, was schiefgelaufen ist in den vergangenen Jahren. Auf Zukunftskongressen reden Automanager gern von vernetzter E-Mobilität, vor den eigenen Aktionären rühmen sie nach wie vor die SUVs, der Rendite wegen. Die Politik darf ihnen das nicht mehr durchgehen lassen. Und von einigen Lebenslügen der Verkehrspolitik sollte man sich schleunigst verabschieden. Zum Beispiel von dem Glauben, der Diesel könne wegen seines geringeren Verbrauchs das Klima retten. Dem Klima helfen nur elektrisch betriebene Fahrzeuge. Den Verkehrskollaps in den Städten wiederum werden auch E-Autos nicht lösen, ebenso wenig Carsharing, autonomes Fahren oder intelligente Verkehrsleitsysteme. In den Ballungsräumen sind schlicht zu viele Autos unterwegs. Deshalb muss die Politik mehr Menschen dazu bewegen, von der Straße auf die Schiene umzusteigen. Die aktuelle Krise der Deutschen Bahn mag deshalb sogar hilfreich sein, denn offensichtlich wird: Das Unternehmen braucht angesichts seiner veralteten Infrastruktur ein Investitionsprogramm historischen Ausmaßes. Um den Ausbau von U- und S-Bahn zu finanzieren, hat Stuttgarts grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn gerade wieder eine Nahverkehrsabgabe ins Gespräch gebracht: Wer in den Kessel fährt, soll zwangsweise ein Ticket für den ÖPNV erwerben. Wie zu erwarten, schlägt Kuhn ein Sturm der Entrüstung entgegen. Aber wer möchte darauf wetten, dass die Abgabe nicht doch irgendwann kommt? In Stuttgart, dem Geburtsort des Automobils, nach dem Krieg autogerecht gebaut wie keine andere deutsche Stadt, hat sich lange Zeit auch niemand vorstellen können, dass ausgerechnet dort die ersten großflächigen Dieselfahrverbote in Kraft treten könnten.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/verkehrspolitik-stau-fahrverbote-1.4267980
Verkehrspolitik - Mobil machen
00/12/2018
Autofahrer im Stau entnervt, Bahnfahrer von Verspätungen zermürbt - die Bürger in Deutschland sind zu Recht über die Verkehrspolitik erbost. Die Lage ist so verfahren, dass jetzt radikale Lösungen notwendig sind.
[]
mlsum_de-train-220682
mlsum_de-train-220682
Woran es liegt, dass bislang nur so wenige Elektroautos auf deutschen Straßen fahren? Die Autobranche findet eine klare Antwort: "Innovative Produkte allein genügen nicht, auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen", sagte Autoverbandspräsident Bernhard Mattes noch Anfang Dezember in Berlin. Vor allem die Ladeinfrastruktur müsse stärker ausgebaut werden. Die Autobranche, so schwang mit, baue ja schon neue Modelle. Nur könnten die eben zu selten geladen werden. Die Strombranche will solche Schuldzuweisungen nun nicht länger stehen lassen. Neue Zahlen des Branchenverbands BDEW, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, machen klar: E-Auto-Besitzer können in vielen Teilen Deutschlands immer mehr Ladestationen ansteuern. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft gibt es bundesweit inzwischen mehr als 16 100 öffentliche und teilöffentliche Ladepunkte, die im Ladesäulenregister des Verbands erfasst sind. Davon sind zwölf Prozent Schnellladestationen. Rein rechnerisch kommen bei den 160 000 Elektro- und Hybridautos zehn Autos auf jede Station. Damit ist die Quote sogar besser, als es deutsche E-Auto-Experten empfehlen. Die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE), ein unabhängiges Expertengremium, empfiehlt etwa 12,5 Autos je Station, die EU-Kommission eine Quote von zehn zu eins. Dabei registriert die Strombranche ein schnelleres Wachstum. Denn Ende Juli lag die Statistik des Verbandes noch bei 13 500 Ladepunkten. Seither sind 2600 dazu gekommen - innerhalb von fünf Monaten also 20 Prozent. Erfasst werden in der Statistik Energieunternehmen, Parkhaus- und Parkplatzbetreiber, Supermärkte und Hotels. Nicht erfasst sind private Lademöglichkeiten. Angesichts solcher Zahlen wollen die Betreiber der Stationen wie Energieunternehmen oder Stadtwerke nicht länger den Kopf für die zögerliche Verbreitung hinhalten. "Die Energieunternehmen drücken beim Ausbau der Ladeinfrastruktur weiter aufs Tempo", sagt Stefan Kapferer, Vorsitzender der BDEW-Hauptgeschäftsführung. "Und das obwohl bisher kaum E-Autos auf den Straßen rollen, sich der Betrieb der Ladesäulen bisher also kaum rentiert." In Thüringen, Hamburg und Berlin komme gerade einmal eine Handvoll E-Autos auf einen Ladepunkt. Den Schwarzen Peter reicht Kapferer weiter: "Die Verbreitung von E-Autos muss schneller vorangehen - sonst wird der Verkehrssektor die Klimaschutzziele 2030 um Lichtjahre verfehlen. Es fehlen nach wie vor Modelle, die in Preis und Leistung mit Verbrennern konkurrieren können."
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/elektroauto-ladestationen-deutschland-1.4268353
Immer mehr Ladestationen für Elektroautos
00/12/2018
E-Auto-Besitzer können in vielen Teilen Deutschlands immer mehr Orte ansteuern, um die Akkus ihrer Fahrzeuge aufzuladen. Die Quote ist besser, als Experten es empfehlen.
[]
mlsum_de-train-220683
mlsum_de-train-220683
Während die Konkurrenz noch tüftelt, hat BMW ein ausgereiftes E-Auto für die Stadt im Angebot. Doch in der Praxis zeigt sich: Beim Laden muss sich noch einiges tun. Gut möglich, dass sich die Konkurrenz lächelnd zurückgelehnt hat, als BMW im Jahr 2013 das erste kompakte Elektroauto, den i 3, auf den Markt gebracht hat. Die Reichweite war eher bescheiden, die Ladeinfrastruktur miserabel, die Dieselkrise noch weit entfernt. Heute lacht vermutlich keiner mehr. Denn während vor allem die deutsche Konkurrenz noch tüftelt und ihre neuen Elektroautos erst 2019 oder noch später auf den Markt bringt, hat BMW das, was andere gerne hätten: ein agiles, kompaktes E-Auto für die urbane Mobilität der Zukunft. Und die Münchner haben die Zeit genutzt, um das Auto konsequent weiterzuentwickeln. Das gilt weniger für die Optik. Das Design hat von Anfang an polarisiert, entweder man mag es oder man findet das Auto hässlich. Vor allem die Türlösung ist gewöhnungsbedürftig. Die hintere Tür klappt gegen die Fahrtrichtung auf, aber nur, wenn die vordere Tür bereits geöffnet ist, denn der Gurt für die Passagiere vorne sitzt im Rahmen der hinteren Tür. Ob der Verzicht auf eine B-Säule nun dazu diente, Gewicht zu sparen oder eine Spielerei der Designer war, sei dahingestellt. Die Alltagstauglichkeit wird damit eingeschränkt, denn die Passagiere im Fond können nur ein- oder aussteigen, wenn die Vordertüren geöffnet sind. Die meisten Käufer stört das offenbar nicht. "Der überwiegende Teil der Kunden will zeigen, dass man ein etwas anderes Auto fährt", sagt Robert Irlinger, der Leiter der Produktlinie BMW i. Beim Fahren macht das Auto richtig Spaß. Beim Laden eher weniger Doch wichtiger als die Optik ist, was die Ingenieure beim Herzstück jeden E-Autos geleistet haben: der Batterie. Ihre Kapazität wurde zuletzt deutlich erhöht. Der i 3 hat jetzt einen 42,2 Kilowattstunden (kWh) starken Akku an Bord, die Reichweite hat sich dadurch laut Irlinger um 35 Prozent erhöht. BMW verspricht jetzt eine alltagstaugliche Reichweite von etwa 260 Kilometern. Die hängt natürlich, wie bei jedem E-Auto, vom Fahrstil und von stromfressenden Nebenverbrauchern wie Heizung oder Klimaanlage ab. Zwar zeigt der Bordcomputer an, wie viel zusätzliches Potenzial zur Verfügung steht, wenn die Nebenverbraucher abgeschaltet werden. Die Reichweite springt dann kräftig nach oben. Aber im Winter die Heizung abzuschalten, um Kilometer zu schinden, ist vermutlich nur für hart gesottene Fahrer eine Option. Der SZ-Testwagen zeigte im winterlichen Fahrbetrieb mit 20 Grad Celsius im Innenraum eine maximale Reichweite von etwa 225 Kilometern an, bei moderater Fahrweise. Auch das reicht aber bei einem Auto, das nicht für Langstreckenfahrten auf der Autobahn, sondern für den urbanen Verkehr konzipiert ist, locker aus. Damit ist beim neuen i 3, zumindest für den städtischen Bereich, eines der drei zentralen Probleme gelöst, das Autofahrer davon abhält, auf ein E-Auto umzusteigen: die mangelhafte Reichweite. Das gilt aber nur, wenn auch das zweite Problem gelöst wird: die Ladeinfrastruktur. Ein mehrtägiger Selbstversuch in München und Umgebung mit dem i 3 fiel zwiespältig aus. Zwar ist hier die Zahl der Ladesäulen stark gewachsen, weil vor allem die Stadtwerke aufgerüstet haben. Das Navigationssystem des i 3 zeigt die Ladepunkte im Stadtgebiet zuverlässig an, die freien sind mit einem grünen Punkt markiert. Und selten sind es mehr als zwei, drei Kilometer bis zum nächsten grünen Punkt. Doch was nützt der grüne Punkt, wenn die Ladesäule dann entweder zugeparkt ist oder irgendeinen technischen Defekt hat? Mal wird die Ladekarte nicht erkannt, mal der Ladevorgang ständig wieder abgebrochen, mal ist der Steckeranschluss kaputt. Und mal liegt die Säule in einer öffentlichen Parkgarage, wo zusätzlich noch Parkgebühren anfallen. Den Vogel auf der Ladesäulen-Rallye schoss dabei BMW selber ab: Das Navi zeigte einen grünen Punkt auf dem Gelände einer großen BMW-Niederlassung im Münchener Norden an. Ein konkretes Hinweisschild gab es nicht, aber der Pförtner wies freundlicherweise den Weg. Und tatsächlich, irgendwo versteckt im Innenhof stand die Säule, und es war sogar eine 50-kW-Schnellladesäule, mit der sich der Akku in etwa 40 Minuten von null auf etwa 80 Prozent aufladen lässt. Leider war sie zugeparkt, aber das Ladekabel reichte glücklicherweise zwischen den Autos hindurch bis in die zweite Reihe. Doch die BMW-Ladesäule akzeptierte die BMW-Ladekarte nicht. Während man die Karte wiederholt mit sinkendem Optimismus vor den Scanner hielt, sinnierte man darüber, warum es die Politik bisher nicht geschafft hat, ein europaweit einheitliches, simples Bezahlsystem für Ladesäulen zu schaffen. So wie bei den Geldautomaten: Man führt seine Karte ein, tippt die Pin-Nummer ein, und wenn die Ladeverbindung wieder getrennt wird, zeigt die Säule den Betrag an, und die Summe wird vom Konto abgebucht. Könnte so einfach sein. Gerade im Stop-and-Go-Verkehr in der Stadt spielt der Kleinwagen seine Stärken aus Bleibt als drittes K.o.-Kriterium der Preis. Solange Elektroautos deutlich teurer sind als vergleichbare Verbrenner, sind sie für die meisten Kunden keine Alternative. Der i 3 kostet in der Standardversion 38 000 Euro, die Sportversion i 3s beginnt bei 41 600 Euro. Beim SZ-Testwagen summierten sich die diversen Extras auf einen Endpreis von 50 100 Euro. Das ist happig, allerdings lässt sich BMW seinen Premium-Anspruch auch bei allen anderen Modellen entsprechend bezahlen. Und der Preis relativiert sich wieder etwas, wenn man die Konkurrenz anschaut. Denn die günstigeren E-Autos die es auf dem Markt schon gibt, haben meist nur eine mickrige Reichweite. Und mit der Reichweite steigt dann auch sofort der Preis. Der neue elektrische Kia e-Niro, ein Crossover, der im Frühjahr auf den Markt kommt, kostet mit dem stärkeren 64-kWh-Akku ab 38 000 Euro, verspricht aber auch mehr als 400 Kilometer Reichweite. Der etwas kleinere neue e-Kona der Schwestermarke Hyundai beginnt bei 34 600 Euro. Der Opel e-Ampera, den man lange Zeit überhaupt nicht bestellen konnte und den man auf der Straße praktisch nicht sieht, beginnt bei 42 990 Euro. Und auch der VW ID Neo, der erst 2020 an den Start geht, wird mit Preisen jenseits der 30 000 Euro starten. Dabei zeigt der agile, wendige i 3, dass der Elektroantrieb gerade im Stadtverkehr mit den vielen Stop-and-go-Situationen ideal ist. Kein Turboloch, keine Gedenksekunde des Automatikgetriebes, kein hektisches Rauf- und Runterschalten bei Handschaltung. Sondern die volle Schubkraft vom ersten Moment an. Und wer vorausschauend fährt, kann auf das Bremspedal oft verzichten, er lässt den Elektromotor bremsen und gewinnt dabei Energie zurück. Der i 3 macht Spaß, man fährt flott und ist zugleich entspannt. Mehr Auto braucht im urbanen Umfeld eigentlich niemand. Eine zuverlässigere und transparentere Ladeinfrastruktur hingegen schon.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/bmw-i3-test-elektroauto-1.4265656
BMW i3 im Alltagstest
00/12/2018
Während die Konkurrenz noch tüftelt, hat BMW ein ausgereiftes E-Auto für die Stadt im Angebot. Doch in der Praxis zeigt sich: Beim Laden muss sich noch einiges tun.
[]
mlsum_de-train-220684
mlsum_de-train-220684
Für die Wettbewerber ist Sportlichkeit zumeist eine Frage des Entweder-oder. Audi zieht erst bei den S- und RS-Modellen sämtliche fahrdynamischen Register, bei Mercedes steht der AMG-Schriftzug für Ware mit deutlich mehr Leistung unter der Haube. BMW praktiziert eine ähnliche Zweiteilung mit den vergleichsweise mild gewürzten M-Performance-Fahrzeugen und der kompromisslos auf Fahrspaß getrimmten M-Palette. Doch während anderswo die Basismodelle eher komfortbetont abgestimmt sind, spiegelt sich die an Agilität und Spritzigkeit orientierte Markenphilosophie der Münchner im gesamten Programm wider. Diese sorgsam gepflegte Sportlichkeit hat BMW auch dem neuen 3er in die Wiege gelegt. Die äußere Form mag brav und konservativ wirken, aber das Fahrerlebnis überzeugt. Einen Vergleich mit dem Audi A 4 und der C-Klasse von Mercedes kann man sich sparen, denn auch dieser 3er bereitet deutlich mehr Fahrspaß als der Rest der Mittelklasse-Meute. Schon die Limousine, die an Länge und Radstand zugelegt hat, erfüllt die nahezu komplette Bandbreite der Erwartungen. Der Viertürer ist bereits mit dem Standardfahrwerk ohne Dämpferverstellung und M-Paket ausreichend komfortabel und erstaunlich fahraktiv - und das, obwohl die Ingenieure der simplen Federbeinvorderachse die Treue hielten. An die leichtere und steifere Karosserie ist ein Fahrwerk angebunden, das selbst dort noch die Contenance bewahrt, wo andere Autos aufsetzen oder krachend bis zum Anschlag einfedern. Zu den wichtigsten vertrauensbildenden Maßnahmen gehören die akkurate und rückmeldungsfreudige Lenkung, das vorausschauend mitdenkende Automatik-Getriebe und die konditionsstarke Sportbremse. Die Motoren sind allesamt nach Euro6 d-Temp zertifiziert. Die Angst vor der Diesel-Keule ist damit weitgehend unbegründet, an den klaren Vorteilen des Ölbrenners in Bezug auf Drehmoment und Verbrauch kann ohnehin kein Gesetzgeber rütteln. Allerdings zahlt man für den 330d mit 265 PS inzwischen fast 5000 Euro mehr als für den 44 750 Euro teuren 330i, der mit seinem 258 PS starken Vierzylinder kaum schlechter geht und nach WLTP nur 5,8 Liter verbraucht. 2019 wird die Palette um drei spannende Varianten erweitert. Der 330e, ein Plug-in-Hybrid (PHEV) kann 50 Kilometer weit elektrisch fahren, der M 340i xDrive ist mit seinem 374 PS starken Sechszylinder ein rundum souveräner BMW der alten Schule, der nächste M3 soll auf 460 bis 550 PS hochgerüstet werden. Detailansicht öffnen Kaum Innovationen: Für das 8er Coupé wird es schwer, sich in der sportlichen Oberklasse gegen die Konkurrenz zu behaupten. (Foto: Daniel Kraus, BMW) In der sportlichen Oberklasse tut sich die Marke zumindest in Europa nach wie vor schwer, und daran dürfte auch der neue 8er nicht viel ändern. Ein echter Sportwagen auf dem Niveau des Porsche 911 war angekündigt; einen schweren Gran Turismo mit viel Leistung, extrovertiertem Blechkleid mit viel Bling und wenig Platz im Fond konnte man bei der Präsentation erleben. Obwohl schon der 6er hinter den Erwartungen zurückblieb, tritt auch der 8er wieder in einem Segment an, das längst zur Nische geschrumpft ist. Der 840 d kostet fast 20 000 Euro mehr als der alte 640 d, womit er preislich auf dem Niveau des 7er liegt - zwar mit Luftfederung und Allradlenkung, aber zum Start nicht einmal teilelektrifiziert und damit ohne Innovationsbonus. In diesen ohnehin engen Markt drängen 2019 nacheinander das 8er Cabrio, der etwa 650 PS starke M 8 und das Gran Coupé. Wenigstens darf man mittelfristig auf die PHEV-Technik des facegelifteten 745 e hoffen, der endlich den standesgemäßen Sechszylinder-Benziner aktiviert und mit einem Akku mit 20 Kilowattstunden samt 125 kW starker E-Maschine zusammenspannt. Der neue 8er ist kein Freund schmaler Landstraßen Voll ausgestattet wiegt der M 850i xDrive rund zwei Tonnen und kostet mindestens 125 700 Euro. Die Fahrleistungen sind beeindruckend (in 3,7 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer), aber der schwere Wagen ist kein Freund von schmalen Landstraßen, dem raschen Wechselspiel von Senken und Kuppen, engen Kurven und unebenem Geläuf mit brüchigen Banketten, Spurrinnen und plötzlich einseitig wegsackendem Belag. Auf der Autobahn ist der 530 PS starke BMW dagegen in seinem Element, er beschleunigt selbst jenseits von 160 Kilometer pro Stunde mit Nachdruck, das Fahrwerk läuft auf gut ausgebauten Passagen und in langen Kurven zur Höchstform auf, die Lenkung reagiert ebenso unaufgeregt wie präzise, und auf die Bremse ist in jeder Situation Verlass. Detailansicht öffnen Der neue Z4 kehrt vom Blechdach zurück zur Stoffmütze. Eine geschlossene Variante ist aktuell nicht geplant. (Foto: Bernhard Limberger, BMW) Und der neue Z 4? Obwohl BMW das Auto zusammen mit dem Hybrid-Spezialisten Toyota realisiert hat, fehlt auch dem neuen Roadster das grüne Etwas. Die dritte Auflage des Einstiegs-Sportlers kehrt reumütig zum Stoffverdeck zurück, das mehr Emotionen freisetzt, den Schwerpunkt absenkt und Gewicht sparen sollte, in diesem Fall aber minimal zulegt. Der Grund: der Wagen ist länger und breiter geworden, die erweiterte Komfort- und Sicherheitsausstattung schlägt ins Kontor, auch die größeren Räder und Bremsen hinterlassen auf der Waage ihre Spuren. Trotzdem ist man im Z 4 30 i (2,0 Liter, 258 PS) und vor allem im M 40 i (3,0 Liter, 340 PS) ausgesprochen flott unterwegs. Mit 4,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h verliert das ab 60 950 Euro verfügbare Topmodell nur zwei Zehntel auf den über 20 000 Euro teureren Porsche Boxster GTS, der sich schwer tut, dem Rivalen davonzuziehen. Der Z 4 mag es, mit unaufgeregten Lenkwinkeln auf Zug gefahren zu werden, ohne den Gang zu wechseln sauber im Fluss zu bleiben, schon ab 1600 Touren der maximalen Schubkraft von 500 Nm freien Lauf zu lassen. Mit Adaptivfahrwerk, Sportbremse und Sperrdifferenzial ist der M 40 i bestens gerüstet für schlechtes Wetter und anspruchsvolle Strecken. Bei Sonne und offenem Dach schlüpft der langnasige Roadster gerne in die Rolle des lässigen Gleiters, doch sobald es Ernst wird und der Fahrer alle Luken dicht macht, vermittelt der Z 4 sogar mehr Sportwagen-Feeling als der kräftigste 8er. Trotz leicht frontlastiger Gewichtsverteilung und noch längst nicht ausgereizter Motorleistung, kombiniert der Wagen kurvengieriges Handling mit erstaunlich viel Grip. Die Straßenlage hält bis ans Limit, was der erste Eindruck verspricht, die flinke Lenkung spielt dem Fahrer die Fahrbahn in die Hände, Schaltpaddel und Bremse entfalten auf kurvigen Straßen im Zusammenspiel eine imposante Fahrdynamik. Die artverwandten Bedienkonzepte der drei Neuankömmlinge erlebt der Kunde als ebenso facettenreiche wie unfertige Wanderbaustelle. Eine positive Überraschung ist die sprachgesteuerte Dialogfähigkeit von 3er und 8er. Eingaben wie "mir ist kalt", "wie weit noch zum Ziel?", "zeig mir den Durchschnittsverbrauch" oder "wo finde ich einen wirklich guten Italiener?" werden ohne Hänger beantwortet. Selbst in regionale Sprachfärbungen kann sich der Computer nach kurzer Anlernzeit hineindenken. Weil die Sprachbedienung so gut funktioniert, bewirkt die Redundanz der Displays, des iDrive Controllers und des Multifunktionslenkrads schon nach wenigen Kilometern einen Overkill-Effekt. Die Gestensteuerung ist ohnehin schon wieder passé, der Dreh-Drück-Steller ist dem mit fettigen Fehlversuchen übersäten Touchscreen überlegen, die Feinjustierung funktioniert mit den zwei Lenkradtasten am besten. Der 3er Gran Turismo wird den Modellwechsel nicht überleben, das nächste 4er Cabrio verabschiedet sich vom versenkbaren Hardtop, vom 4er Gran Coupé soll es künftig auch eine M-Variante geben. Ein 3er mit Dreizylinder ist dagegen nicht mehr geplant, denn die strengeren Abgasnormen bevorteilen größere Hubräume. Ein Z 4 als Coupé wäre eine feine Sache, aber BMW muss sparen, und eine zusätzliche Karosserievariante verdoppelt nicht automatisch das Volumen. Ob der 8er mehr sein wird als eine Eintagsfliege hängt auch vom künftig neu positionierten 7er ab, dessen vollelektrische Ausführung als i 7 eine ganz andere Marschrichtung einschlägt als das Grundmodell. Denkbar ist auch, dass BMW die i-Familie der Oberklasse mit dem angeblich bereits beschlossenen X 8 (Coupé) und einem möglichen X 9 (Luxus-SUV nur für China und Amerika) komplett neu erfindet.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/bmw-modelle-neuwagen-1.4256687
Neue BMW-Modelle - Nicht alles Kurvenwedler
00/12/2018
Ehe im Jahr 2021 die große Elektro-Offensive startet, setzt BMW bei seinen neuen Modellen auf die klassischen Tugenden der Marke: Agilität, Sportlichkeit, Fahrdynamik - mit unterschiedlichem Erfolg.
[]
mlsum_de-train-220685
mlsum_de-train-220685
Drei neue Elektroauto-Modelle, die in ihrer Klasse bald zu den beliebtesten Fahrzeugen gehören dürften: der VW ID, der Honda Urban EV und der Porsche Taycan (im Uhrzeigersinn). Die Spannung steigt: Allein in den nächsten zwei Jahren kommen zahlreiche neue Elektroauto-Modelle auf den Markt, vom wendigen Kleinwagen bis hin zum SUV-Ungetüm, von asiatischen Herstellern für preisbewusste Käufer bis hin zu den deutschen Premium-Marken. Über mangelndes Angebot soll sich spätestens 2020 niemand mehr beschweren können. Allenfalls der Preis könnte ein Kaufhindernis bleiben. Wenn Volkswagen allerdings ab 2020 seinen ID für unter 30.000 Euro anbietet - was heute ein gut ausgestatteter VW Golf Diesel kostet -, könnte das die elektromobile Autowelt gehörig durcheinanderwirbeln und andere Hersteller bei der Preisgestaltung unter Druck setzen. Wenn sich dann bei den Käufern auch noch die Erkenntnis durchsetzt, dass manche Elektroautos aufgrund der deutlich geringeren Kosten für Treibstoff, Reparaturen und Wartung über ihre Lebensdauer hinweg günstiger sein können als Verbrenner, dann dürfte die seit Jahren erwartete Elektro-Revolution tatsächlich in die Gänge kommen. "Die Elektromobilität nimmt in vielen Ländern bereits erheblich an Fahrt auf. Dabei wird die Dynamik vor allem von regulatorischen Rahmenbedingungen und attraktiven Modellangeboten einiger Hersteller getrieben", sagt Stefan Bratzel von Center of Automotive Management (CAM). Jedoch sei erst im Jahr 2020 von einer höheren Dynamik auszugehen. "Ausschlaggebend sind die massiven Produktanstrengungen vieler Hersteller und das zu erwartende regulatorische Umfeld in zentralen Autoländern", so Bratzel. Für Deutschland und die EU erwartet der Autoexperte 2020 einen "exponentiellen Anstieg" des E-Auto-Absatzes, da die Hersteller die dann geltenden CO2-Limits erreichen müssen und Strafzahlungen verhindern wollen. Die EU hat festgelegt, dass Personenwagen im Flottendurchschnitt 2021 nicht mehr als 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen dürfen. Zwischen 2021 und 2030 soll der Kohlendioxid-Ausstoß im Flottendurchschnitt der Hersteller um 37,5 Prozent sinken. Mit folgenden Fahrzeugen gehen die Autohersteller die Herausforderung an. Gedränge in der Kleinwagen-Klasse Wer weniger als 20.000 Euro für ein Elektroauto ausgeben will, muss sich mit einem Kleinwagen zufrieden geben - und noch etwas Geduld mitbringen. Volkswagen hatte ein erschwingliches Modell im vergangenen November angekündigt und damit für viel Wirbel in der E-Auto-Szene gesorgt, vermuteten viele doch einen weiteren Stromer der kommenden ID-Familie. Gemeint war, wie sich einige Tage später herausstellte, jedoch lediglich die Neuauflage des E-Up, die 2020 mit größerer Batterie auf die Straße kommen soll. Seit einer Preissenkung vor wenigen Wochen kostet auch der aktuelle Elektro-Up weniger als 20.000 Euro. Allerdings erst nach Abzug des Umweltbonus' in Höhe von 4000 Euro, der im Juni 2019 auslaufen soll. Gleiches gilt für die Elektro-Version des Smart, die ohne die Förderprämie für 22.000 Euro zu haben ist. Dank ihrer Zugehörigkeit zum VW-Konzern können auch Skoda und Seat bald Elektroautos mit E-Up-Technologie verkaufen. Den Citigo E soll es Ende 2019 mit 300 Kilometern Reichweite geben. Auf der gleichen Plattform wird der Seat eMii erwartet. Er wird in Spanien bereits in einem Carsharing-Projekt getestet und könnte bald bei den hiesigen Händlern stehen. Im Standard-Design seines Verbrenner-Bruders soll der Peugeot 208 im kommenden Jahr elektrifiziert werden. ‹ › Im Retro-Look in die Zukunft: der Honda Urban EV (Bild zeigt eine Konzeptstudie). Bild: Honda ‹ › Der VW E-Up soll demnächst ein Reichweiten-Update bekommen und weniger als 20.000 Euro kosten. Bild: Volkswagen ‹ › Den eMii von Seat könnten wir bald auch in Deutschland sehen. Bild: Volkswagen Wird geladen ... 2020 wird das Angebot in der Kleinwagen-Klasse noch größer. Dann wollen Opel mit dem Corsa E und Honda mit dem EV im Retro-Look des ersten Civic ebenfalls am wachsenden Markt teilhaben - im Schnitt hat sich die Zahl der weltweiten E-Auto-Verkäufe seit 2010 von Jahr zu Jahr annähernd verdoppelt. Für die Platzhirschen in dieser Klasse, den Smart von Daimler und den Renault Zoe, dürfte es mit der steigenden Konkurrenz schwierig werden, ihre Stellung zu halten. Wird der VW ID das Maß der Dinge? Die Kompakt- und Mittelklasse beherrschen momentan BMW i3, Hyundai Ioniq, Nissan Leaf und VW e-Golf. In diesem Segment zwischen 30.000 und 40.000 Euro dürfte sich in den kommenden zwei Jahren einiges ändern. Denn der ID von Volkswagen, den die Wolfsburger 2020 zum Kampfpreis von unter 30.000 Euro und mit bis zu 600 Kilometern Reichweite anbieten wollen, hat das Zeug dazu, es dem Käfer und dem Golf gleichzutun und eine neue Ära einzuleiten. ‹ › Mit dem ID (abgebildet ist eine Konzeptstudie) will Volkswagen eine neue Ära einleiten - wie einst mit dem Käfer oder dem Golf. Bild: Volkswagen ‹ › Fast eine halbe Million Interessenten weltweit haben ein Model 3 reserviert. Im Frühjahr 2019 wird es auch in Europa ausgeliefert. Bild: Tesla ‹ › Mit dem EQA will Mercedes-Benz ab 2020 in der Kompaktklasse punkten. Bild: Daimler Wird geladen ... Dann könnte es für das ebenfalls stark gehypte Tesla Model 3, den Massenstromer des Elektroauto-Pioniers aus den USA, schwierig werden, neue Kunden zu gewinnen. Nach Anlaufschwierigkeiten in der Produktion sollen die ersten Kunden in Deutschland zwar Februar 2019 ihr vorbestelltes Model 3 bekommen, allerdings werden die in Europa angebotenen Konfigurationen zunächst bei knapp 58.000 Euro starten. Das ist gut doppelt so teuer wie der neue VW, für den die Wolfsburger den Innenraum-Komfort eines Passat versprechen. 2019 nimmt Volkswagen Vorbestellungen für den ID entgegen. 2020 wollen weitere Hersteller in dieser Klasse punkten. BMW hat einen rein elektrischen Mini angekündigt, Mercedes arbeitet am EQA, Citroën will den C4 elektrifizieren. Limousinen lassen auf sich warten Seit 2012 ist das Tesla Model S die einzige rein elektrische Limousine im Segment der gehobenen Mittel- und Oberklasse. Und verkauft sich in den USA schon seit Jahren besser als die herkömmlich angetriebene deutsche Konkurrenz um Mercedes S-Klasse, Audi A8 und BMW 7er. Einen der oft beschworenen "Tesla-Killer" muss das Model S in seinem Revier der Premium-Limousinen auch in den nächsten Jahren nicht fürchten. Denn das Gran Coupé BMW i4, ein Mercedes EQS als möglicher Elektro-Ableger der S-Klasse oder der VW Vizzion, ein Elektroauto in Tradition des Phaeton, werden frühestens 2020 debütieren.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/mobilitaet-das-sind-die-neuen-elektroautos-1.4253585
Neue Elektroautos bis 2020 - Das Angebot wächst
00/12/2018
In den kommenden zwei Jahren gibt es gut drei Dutzend neue Modelle. Bringen sie der Elektromobilität den Durchbruch?
[]
mlsum_de-train-220686
mlsum_de-train-220686
Bei einer Verkehrsschau prüfen die Behörden die Verkehrssituation vor Ort. Dabei wird mitunter auch heftig diskutiert - etwa dann, wenn es um Tempo-30-Abschnitte geht. Feuerwehrkommandant Christoph Gasteiger hat Recht: Ein Blick in die Finkenstraße genügt und es ist sofort klar, wo das Problem liegt. Gasteiger erläutert es dennoch: "Mit unseren Einsatzfahrzeugen kommen wir hier nicht durch." In der engen Wohnstraße parken selbst am frühen Vormittag noch viele Autos, in den Abendstunden, sagt Gasteiger, sei es noch voller. "Das kann so auf keinen Fall bleiben." Das finden auch die anderen Teilnehmer der Verkehrsschau an diesem Donnerstag im 4000-Einwohner-Örtchen Moorenweis, knapp 40 Kilometer westlich von München. "Sicherheit hat Vorrang", sagt etwa Karl Stecher, der Vertreter des Straßenverkehrsamts des Landkreises Fürstenfeldbruck. Und auch Oliver Erhardt von der örtlichen Polizeiinspektion nickt. Hier muss ein Parkverbot her, zumindest auf einer Straßenseite. Sollte das die Situation nicht entspannen, müsse man über ein beidseitiges Verbot nachdenken. Das Problem ist nur: "Dann haben Sie die Autos in den anderen Straßen ringsum", gibt Bernd Emmrich vom ADAC Südbayern zu bedenken. Und in denen geht es ähnlich eng zu wie in der Finkenstraße. Auch Vertreter der Verkehrsteilnehmer dürfen mitreden Bei einer Verkehrsschau prüfen Vertreter der Straßenverkehrsbehörden, der Polizei, von Straßenmeisterei und Bauamt regelmäßig die Verkehrssituation. Mit dabei sind auch Vertreter der Verkehrsteilnehmer, also von Automobilklubs oder vom Radfahrerverband ADFC. Alle vier Jahre, auf Hauptverkehrsstraßen sogar alle zwei Jahre, fahren sie die Straßen ab. In kleinen Gemeinden ist der Turnus oft länger. Dabei haben solche Verkehrsschauen eine wichtige Funktion. Schließlich geht es bei jedem einzelnen Verkehrsschild, bei jedem Umbau einer Straße oder einer Kreuzung um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer. Und all das muss von den zuständigen Straßenverkehrsbehörden per "verkehrsrechtlicher Anordnung" festgelegt werden. Welche Anordnungen konkret getroffen werden - all das wird bei der Verkehrsschau besprochen. So auch in Moorenweis. An der Hauptdurchgangsstraße haben Anwohner eine Unterschriftenliste gesammelt. Sie fordern eine "Querungshilfe", wie das im Amtsdeutsch heißt, also einen Zebrastreifen oder eine Fußgängerampel, um die Geschäfte entlang der Straße besser erreichen zu können. Zuständig dafür ist der Landkreis. Dessen Vertreter macht gleich mal klar: "Wir brauchen keine Unterschriftenliste; uns genügt ein einzelner Antrag." Dann werde die Sache geprüft, eine Verkehrszählung angeordnet. Und bei entsprechend hohem Fußgängeraufkommen, werde dann eine Ampel angeordnet. "Von Zebrastreifen halten wir wenig", sagt der Mann vom Landratsamt, Karl Stecher. Der böte meist nur eine "scheinbare Sicherheit", Ampeln seien besser. Besonders bei Tempo-30-Zonen gibt es Konflikte Immer wieder wird bei solchen Verkehrsschauen auch intensiver diskutiert. So wünscht sich mancher Bürgermeister oder Gemeinderat einen Tempo-30-Abschnitt auf einer Hauptverkehrsstraße, um Belastungen der Anwohner zu mindern. Doch das ist gar nicht so einfach. Denn nicht selten steht dem der Wunsch der Behörden nach einem flüssigen Verkehr entgegen. Nur an Altenheimen, Schulen oder Kindergärten zum Beispiel kann das Tempo ohne größere Diskussionen reduziert werden. Der ADAC vertritt zudem die Position, dass "häufige Wechsel der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für die Verkehrsteilnehmer verwirrend sind und die Akzeptanz reduzieren". In Moorenweis indes sind sich alle recht schnell einig. Die Fußgängerampel wird geprüft, eine Bushaltestelle ein paar Meter versetzt und eine scharfe Kurve mit Warnzeichen versehen. Nur ein Ziel wird an diesem Donnerstag nicht erreicht, das Bürgermeister Joseph Schäffler zu Beginn bereits ausgegeben hatte. "Vielleicht lassen sich ja für jedes Schild, das wir neu aufstellen, zwei alte entfernen", hatte er vorgeschlagen. Und dabei breit gegrinst. Da wusste er bereits, dass das wohl nicht zu erreichen sein wird.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/verkehr-adac-tempo-30-1.4256691
Verkehrsschau Ortstermin
00/12/2018
Bei einer Verkehrsschau prüfen die Behörden die Verkehrssituation vor Ort. Dabei wird mitunter auch heftig diskutiert - etwa dann, wenn es um Tempo-30-Abschnitte geht.
[]
mlsum_de-train-220687
mlsum_de-train-220687
Da ist die Sache mit den kleinen Kursbüchern. 1956 verbietet das Bundesverfassungsgericht die KPD. Die Kommunisten aber agieren weiter im Untergrund. Um ihre Schriften getarnt zu verbreiten, versehen sie sie mit unverfänglichen Umschlägen. Und was wäre unauffälliger als ein Fahrplan der Bundesbahn? In der Sonderschau "Geheimsache Bahn" im DB-Museum in Nürnberg ist so eine Tarnschrift zu sehen. Und daneben zum direkten Vergleich ein Original-Fahrplan-Büchlein der damaligen Bundesbahn. Ein Laie erkennt da kaum einen Unterschied. Den Mythen und Mysterien, den vielen Geheimnissen rund um die Eisenbahn geht die Ausstellung auf den Grund. Man wolle die Bahnhistorie "mal aus einer anderen, populäreren Sicht präsentieren", sagt Museumsdirektor Oliver Götze. Es gebe eine "Unmenge an Legenden zur Bahn". Und so haben die Kuratoren Benjamin Stieglmaier und Teresa Novy 30 Episoden zusammengetragen, die sie meist auch mit teils sehr anschaulichen Objekten belegen. Da werden Mörder gejagt, Spione enttarnt und Schmuggler gefasst. Eisenbahner berichten, wie sie zu DDR-Zeiten im Tender Zigaretten aus Polen über die Grenze schmuggelten. Und man erfährt, warum die Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft 1924 in zwei verschiedenen Zügen zu einem Freundschaftsspiel in die Niederlande reisten. Sie gehörten damals nämlich alle nur zwei - miteinander verfeindeten - Vereinen an, dem 1. FC Nürnberg und der SpVgg Fürth. Und beide Seiten wollten größtmögliche Distanz. Interessant findet Museumsleiter Götze auch, "wie viele Mythen aus der Nazi-Zeit sich bis heute gehalten haben", wie er sagt. Etwa die Geschichte der von einem Deutschen konstruierten Lok Saxonia . Die sollte eigentlich 1839 den Eröffnungszug auf der Strecke Dresden-Leipzig ziehen, zum Einsatz kamen dann aber zwei in England beschaffte Lokomotiven. Schuld daran sollen britische Saboteure gewesen sein, die die Bekohlung verzögerten und die Saxonia auf ein Nebengleis steuerten, wo sie mit einer anderen Lok kollidierte. Doch der Sabotage-Teil der Geschichte sei nicht belegt, sagt Götze. Der stamme vielmehr vom Sohn des Erfinders, der sie 1933 erzählte - und die gleichgeschaltete Presse der NS-Zeit verbreitete diese fleißig. Halt ohne Not Bevor ein Bahnhof irgendwo neu gebaut wird, gehen meist Jahre ins Land. Experten prüfen den Bedarf, Fahrplan-Tüftler überlegen, wie sich der zusätzliche Halt ins Gesamtgefüge der Bahn einbauen lässt. In Selm-Beifang, einem Ort im Ruhrgebiet, wurde dagegen in der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre ein Bahnhof errichtet, nicht etwa, weil die Bahn dort einen Bedarf erkannt hatte - sondern weil Bergleute immer wieder die Notbremse gezogen hatten. Denn die hatten sich geärgert, dass sie abends auf der Fahrt nach Hause zunächst mit dem Zug stets an ihrer Bergarbeitersiedlung vorbeifuhren, um dann von der nächstgelegenen Station aus nach Hause laufen zu müssen. In Selm-Beifang selbst gab es keinen Haltepunkt. Detailansicht öffnen (Foto: Illustration: Marius Schreyer Design/Sonja Gagel) Das aber änderten die Bergarbeiter von sich aus: Sobald der Zug einen nahen Bahnübergang überquert hatte, zog einer der Arbeiter die Notbremse. Der Zug kam zum Stehen - und gut 50 Mann stiegen aus. Auch damals war das Betätigen der Notbremse ohne einen triftigen Grund zwar strafbar, doch die Polizei konnte nie einen Täter ermitteln. Nach zahlreichen Notbremsungen lenkte die Bahn schließlich ein und ließ in den Jahren 1946 bis 1948 einen Haltepunkt einrichten. Der bestand zunächst aus einfachen Bauhütten, erst später wurde ein richtiges Empfangsgebäude gebaut. Das steht heute noch, wird aber nicht mehr von der Bahn genutzt. Lenins Wagen Um die Lenin-Reise im April 1917 nach Petrograd ranken sich viele Geschichten. Deutschland steckte in einem Zwei-Fronten-Krieg - und hatte ein Interesse daran, den Gegner im Osten zu schwächen. Also ermöglichte es dem russischen Revolutionär eine Zugfahrt aus seinem Schweizer Exil nach Sassnitz auf Rügen. Von dort ging es weiter nach Russland. Ein Teil des Waggons, in dem Lenin reiste, wurde per Kreidestrich zu russischem Territorium erklärt. Detailansicht öffnen (Foto: Illustration: Marius Schreyer Design/Sonja Gagel) Zur Erinnerung an die Reise wurde in den Siebzigerjahren in Sassnitz eine Gedenkstätte errichtet. Der Originalwagen, mit dem Lenin reiste, existierte da schon nicht mehr. Die DDR-Reichsbahn trieb einen Waggon ähnlicher Bauart auf, einen sechsachsigen Schnellzugwagen der ehemaligen Preußischen Staatsbahnen, der als Mannschaftswagen in einem Bauzug genutzt wurde. Arbeiter gestalteten ihn im Reichsbahnausbesserungswerk in Potsdam zum Museumswagen um - in Sassnitz aber wurde gerne so getan, wie wenn es der Originalwagen sei. Nach der Wende landete er im DB-Museum - und wurde auch dort in den Büchern lange als "Leninwagen" geführt, was den Verwirrungen über die Herkunft des Wagens zusätzliche Nahrung gab. Mittlerweile ist die Frage geklärt, der Wagen steht heute in einem Tagungszentrum der Bahn in Potsdam. Dampf in der DDR Die Ära der Dampfeisenbahn endete in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich: Während die Bundesbahn ihre letzten Dampfloks 1977 ausmusterte, bestückten bei der DDR-Reichsbahn noch bis weit in die Achtzigerjahre die Heizer die Feuerbüchsen mit Kohle. Dies zog Dampflok-Fans aus dem Westen an: Sie reisten nun bevorzugt in den Osten, um die alten Maschinen im Betrieb zu erleben und Fotos zu schießen. Die DDR, interessiert an westlichen Devisen, veranstaltete sogar Eisenbahnfeste und bewarb historische (Klein-)Bahnstrecken, um Westdeutsche ins Land zu holen. Zudem knüpften Modellbahner Kontakte über den Eisernen Vorhang hinweg. Detailansicht öffnen (Foto: Illustration: Marius Schreyer Design/Sonja Gagel) Den Verantwortlichen bei der Staatssicherheit war das allerdings suspekt. Sie vermuteten, dass sich US-Spione unter die Dampf- und Modellbahnenthusiasten gemischt hatten. Die Stasi ließ daher die Szene intensiv beobachten. Akten wurden angelegt, Spitzel angeworben. Unter strenger Beobachtung stand auch Burkhard Wollny. Der gebürtige Freiburger reiste zwischen 1975 und 1980 mehrmals mit Freunden in die DDR, um Fahrzeuge zu fotografieren. Nach dem Fall der Mauer tauchte in den Stasi-Archiven die Akte "Fotograf" auf: Sie umfasste mehr als 1200 Seiten mit Protokollen und Beobachtungsberichten über die harmlose Gruppe.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/bahn-historie-wo-steckt-der-nazi-zug-voller-gold-1.4240970
Ausstellung - Geheimsache Eisenbahn
00/12/2018
Schmuggler, Spione und ein toter Briefkasten auf der Zugtoilette: Das DB-Museum in Nürnberg widmet sich den Mythen und Legenden aus mehr als 180 Jahren Bahngeschichte.
[]
mlsum_de-train-220688
mlsum_de-train-220688
Einen Verbrenner umbauen zu einem Elektroauto: Das klingt verlockend. Doch in der Praxis können sich einige Probleme auftun. Am Ende ist es immer ein Draufleg-Geschäft. Elon Musk trifft man beim Einkaufen normalerweise nur selten. Nicht so bei Roland Schüren. Der Bäckerei-Inhaber aus Nordrhein-Westfalen hat sich der Elektromobilität verschrieben, privat wie beruflich. Am Hauptsitz seiner Bäckerei, in Hilden, steht der Tesla-Gründer direkt neben der Verkaufstheke. Dass er aus Pappe ist, fällt da kaum ins Gewicht, denn Schüren geht es ums große Ganze: "Unsere Backwaren sind bio. Da soll auch die Auslieferung nicht dreckig sein." Schon mehrere Jahre beschäftigt sich der 52-Jährige mit nachhaltigen Produktionsmethoden. Aufs Dach der Backstube hat er eine Photovoltaik-Anlage gesetzt, die nicht nur den Betrieb mit Strom versorgt, sondern auch mehrere Ladesäulen, an denen sich Kunden bedienen können. Nur ein Problem plagte Schüren bis zum Schluss: "Wir haben 18 Filialen und Firmenkunden, die wir jeden Tag beliefern. Es gibt auf dem Markt aber keine elektrischen Lieferfahrzeuge, die groß genug für unsere Bedürfnisse sind." Um trotzdem emissionsfrei zu fahren, entschied sich Schüren für eine radikale, in Deutschland kaum praktizierte Methode: Er ließ seine Lieferfahrzeuge umbauen. Zwei Sprinter - früher mit Dieselmotor unterwegs - rollen nun elektrisch, genau wie ein restaurierter VW Bulli von 1975, der ebenfalls für Auslieferungen zum Einsatz kommt. Gerade am Anfang hätten sich die Mitarbeiter umstellen müssen: "Jedes Fahrzeug kommt am Tag auf 150 Kilometer", sagt Schüren. "Als wir im Winter eine spontane Tour gemacht haben, mussten wir in Wuppertal zwischenladen." Doch inzwischen hätten sich alle an die batteriegetriebenen Sprinter gewöhnt. Einfach war die Umrüstung nicht. In Deutschland gibt es nur wenige Firmen, die derartige Umbauten vornehmen. Die Nachfrage ist vergleichsweise gering, jedes Auto eine neue Herausforderung. All das macht die Arbeit langwierig und teuer, wobei Schüren einen staatlichen Zuschuss von 50 Prozent erhalten hat. "Der Umbau des Bullis ging nur peu à peu voran", erinnert sich der Bäcker. "Am Ende hat das Ganze etwa ein Jahr gedauert." Motor raus, Batterie rein: So einfach, wie die Umrüstung in der Theorie klingt, ist sie in der Praxis meist nicht. "Wenn man ein Auto unter Strom setzt, muss man wissen, was man tut", sagt Dennis Murschel. Der 46-jährige Karosseriebauer aus Renningen bei Stuttgart hat früher bei Mercedes gearbeitet. Lange war er in der Tuning-Szene aktiv; inzwischen konzentriert er sich auf den Umbau von Verbrennern zu Stromern. "Natürlich kann man eine Batterie festnageln, einen Controller dranschrauben und versuchen, damit loszufahren", sagt Murschel. "Aber das ist was für Hobbybastler." Seine Kunden legten Wert auf ein Auto, das hinterher auch funktioniert - und durch den TÜV kommt.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/kaefer-elektroauto-umbau-1.4256693
Tüftler baut Käfer zu Elektroauto um
00/12/2018
Einen Verbrenner umbauen zu einem Elektroauto: Das klingt verlockend. Doch in der Praxis können sich einige Probleme auftun. Am Ende ist es immer ein Draufleg-Geschäft.
[]
mlsum_de-train-220689
mlsum_de-train-220689
Im Winter lassen manche Autofahrer gerne mal den Motor laufen, damit sich der Innenraum aufwärmt. Doch das Laufenlassen schädigt nicht nur die Umwelt, es setzt auch dem Motor zu. Der Audi parkt an der Straße und der Motor läuft. Es sitzt kein Fahrer am Steuer, weit und breit ist niemand zu sehen. Dieselgeruch flutet die nahe Wohnsiedlung. Es ist ein kalter Wintertag, aber nicht so frostig, dass sich Eis auf den Scheiben der Autos gebildet hätte. Der Grund für den laufenden Motor ist allein die Bequemlichkeit des Besitzers: Er scheut die Kälte und bevorzugt es, direkt nach dem Frühstück in ein warmes Autos einzusteigen. Dieses Verhalten lässt sich nicht einfach als Unsitte abtun. Es zeigt eine Ignoranz auf vielen Ebenen. Die Botschaft lautet: Umweltschutz ist nur von Bedeutung, solange er nicht der eigenen Bequemlichkeit im Wege steht. Dabei sind die positiven Effekte des Motor-warmlaufen-Lassens bestenfalls überschaubar. Oder wie es ADAC-Sprecher Hans Pieper kurz in einem einzigen Satz zusammenfasst: "Es macht unnötigen Lärm, erhöht den Verschleiß und bringt zudem nicht viel." Das beginnt bei den technischen Risiken: "Ein Kaltstart bedeutet für den Motor eine Extrembelastung", erklärt Vincenzo Lucà vom TÜV Süd. Je länger das Auto nach dem Anlassen steht, umso schlechter ist es für das Triebwerk, da es bei geringen Drehzahlen langsamer warm wird. Das führt zu schnellerem Verschleiß, weil zum Beispiel das noch dickflüssige Öl nicht an alle Schmierstellen gelangt. Hinzu kommt der höhere Ausstoß von Abgasen, da der Spritverbrauch bei einem kalten Motor um ein Vielfaches größer ist. "Hochgerechnet würde ein Benzinmotor auf diese Weise 25 bis 30 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen", sagt TÜV-Sprecher Vincenzo Lucà. Einige Minuten nach dem Losfahren reguliert sich der Effekt. Trotzdem lassen sich einige Autofahrer im Winter nicht von dieser Methode abbringen. Das Argument, das immer fällt, lautet: Anders ließen sich die Scheiben nicht vom Eis befreien. Bereits nach 100 Metern sei die Sicht wieder verschleiert. Und bevor man selbst zum Sicherheitsrisiko würde, nähme man die Umweltverschmutzung lieber in Kauf. Doch das ist Unsinn. Es gibt effektivere Methoden, die Scheibe von Eis zu befreien. Die naheliegende ist, den Frost vor der Fahrt mit einem Kratzer oder mit Sprays auf Alkoholbasis zu entfernen. Wem das zu mühselig ist: Eine Folie auf der Frontscheibe am Vorabend verhindert das Vereisen der Scheibe. Beschlägt sie von innen, hilft die "Defrost"-Funktion der Belüftung. Das Gebläse auf volle Leistung, am besten mit Klimaanlage - schon verschwindet der störende Schleier. Zudem gibt es spezielle Fensterleder, mit der sich die Scheiben von innen reinigen lassen. Wer häufiger mit diesem Problem zu kämpfen hat: Eine Dose mit Holzkohle oder Kaffee entzieht der Luft die Feuchtigkeit. Bleiben nur noch die Bequemlichkeit der Autofahrer und die Sehnsucht nach ein bisschen Wärme. Dabei ist der Effekt auf die Heizung nur gering, wenn der Motor im Stand läuft. Ein Test des ADAC bei minus zehn Grad zeigte, dass die Luft aus dem Gebläse nach vier Minuten gerade einmal eine Temperatur von 13 Grad erreichte. Heimelig warm geht anders. Und selbst wenn: Den Motor im Stand zu diesem Zweck laufen zu lassen, ist schlichtweg verboten. Das besagt Paragraf 30 der Straßenverkehrsordnung: "Bei der Benutzung von Fahrzeugen sind unnötiger Lärm und vermeidbare Abgasbelästigungen verboten. Es ist insbesondere verboten, Fahrzeugmotoren unnötig laufen zu lassen (...)" So kann der Rat an alle, die im Winter trotzdem ihr Auto warmlaufen lassen wollen, nur lauten: bleiben lassen. Der Umwelt und dem Auto zuliebe. Wem die Wärme im Winter wirklich so wichtig ist, rüstet eine Standheizung nach. Die sorgt für angenehme Temperaturen per Fernbedienung, ganz ohne den Motor zu starten. Der größte Vorteil ist: Um sie einzuschalten, muss man nicht einmal die Wohnung verlassen.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/technik-nach-dem-start-gleich-losstarten-1.4256689
Nach dem Start gleich losstarten
00/12/2018
Im Winter lassen manche Autofahrer gerne mal den Motor laufen, damit sich der Innenraum aufwärmt. Doch das Laufenlassen schädigt nicht nur die Umwelt, es setzt auch dem Motor zu.
[]
mlsum_de-train-220690
mlsum_de-train-220690
Wer bei Nebel nicht auf die richtige Beleuchtung achtet, kann für andere Verkehrsteilnehmer fast unsichtbar sein. Täglich werden Autofahrer zum Sicherheitsrisiko. Sie wissen nicht, dass es bei schlechter Sicht oft nicht ausreicht, den Lichthebel auf "Automatik" zu stellen. An einem nebelig-trüben Morgen auf dem Weg zur Arbeit taucht plötzlich das Heck eines Autos auf. Völlig unbeleuchtet. "Was für ein Verrückter, warum hat der kein Licht an?", ist der erste Gedanke. Dabei hat der Vordermann wahrscheinlich nur das getan, was die viele Autofahrer tun: Sie verlassen sich auf ihre Lichtautomatik. Das kann bei Nebel richtig gefährlich werden. Seit August 2012 müssen alle neu zugelassenen Autos mit einem Tagfahrlicht ausgestattet sein. Dieses Licht ist immer automatisch eingeschaltet, sobald man den Motor startet. So sollen schnell herannahende Fahrzeuge erkennbar sein und Unfälle verhindert werden. Was viele nicht wissen: Das Tagfahrlicht umfasst nur die Fahrzeugfront. Die Heckleuchten bleiben unbeleuchtet. Fährt man also bei Nebel nur mit Tagfahrlicht, ist man für von hinten kommende Verkehrsteilnehmer fast unsichtbar. Die Lichtautomatik unterscheidet nur zwischen hell und dunkel Über das reine Tagfahrlicht hinaus haben mittlerweile viele Autos eine sogenannte Lichtautomatik. Ist sie aktiviert (meistens stellt man dafür einen Drehschalter links neben dem Lenkrad auf "A"), schaltet sich bei Bedarf automatisch das Abblendlicht ein. Das funktioniert annähernd perfekt, wenn es draußen deutliche Helligkeitsunterschiede gibt - zum Beispiel, wenn man in einen Tunnel fährt. Allerdings ist diese Technik bei Nebel nicht zuverlässig. Denn bei trüben Sichtverhältnissen reagieren die Sensoren oft nicht empfindlich genug und das Abblendlicht wird nicht automatisch aktiviert. Die Folge: Das Auto ist im Tagfahrlicht-Modus unterwegs und von hinten kaum zu erkennen. Zwar sind die Unfallzahlen auf deutschen Straßen insgesamt leicht rückgängig, dennoch ist schlechte Sicht durch Nebel für Autofahrer weiterhin gefährlich: Im Jahr 2017 passierten laut Statistischem Bundesamt auf Deutschlands Straßen 177 nebelbedingte Unfälle, dabei starben 22 Menschen, 95 wurden schwer verletzt. Was also tun, um im Nebel nicht ungewollt zum Sicherheitsrisiko zu werden? Am besten sollten Autofahrer bei schlechter Sicht durch Nebel oder starken Regen immer per Hand das Abblendlicht einschalten. Zusätzlich kann es bei Nebel sinnvoll sein, Nebelscheinwerfer zu aktivieren. Erlaubt ist das laut ADAC immer dann, "wenn Nebel, Schneefall oder Regen die Sichtweite deutlich reduzieren". Deutlich strenger sind die Vorgaben für Nebelschlussleuchten. Diese dürfen nur eingeschaltet werden, wenn die Sichtweite durch Nebel weniger als 50 Meter beträgt. Ist die Sicht besser, blenden sie von hinten herannahende Verkehrsteilnehmer.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/nebel-autofahren-licht-1.4260991
Lichtautomatik reicht bei Nebel oft nicht aus
00/12/2018
Täglich werden Autofahrer zum Sicherheitsrisiko. Sie wissen nicht, dass es bei schlechter Sicht oft nicht ausreicht, den Lichthebel auf "Automatik" zu stellen.
[]
mlsum_de-train-220691
mlsum_de-train-220691
Die Reduzierung der Geschwindigkeit wäre ein billiger Beitrag für den Klimaschutz. Außerdem machen Raser auf den Autobahnen allen anderen einfach nur Angst. Wer das erste Mal in einem dieser hoch getunten Kolosse sitzt und auf mehr als 200 Stundenkilometer beschleunigt, der spürt den Kick, das Adrenalin. Der Zustand hält aber nur gut zwanzig Minuten an. Wie neurobiologische Forscher herausfanden, schaltet das Gehirn schnell um, weil es sonst zu viel Energie benötigt. 220 km/h sind dann Routine. Ganz normal. Vielleicht liegt hier der Grund, warum es jedes Mal zu einem Aufschrei kommt, wenn irgendjemand in der Republik die Wortkombination "Tempolimit auf Autobahnen" ausspricht. Die Autobahn empfinden manche als Ort der letzten Freiheit, hier darf man noch wild und ungestüm sein. Nicht zufällig besteht die große Mehrzahl der Tempolimit-Gegner aus Männern jüngeren und mittleren Alters. Dazu die schlichte Gewohnheit: 220 km/h - na und? Wie soll ich sonst auch all meine Termine schaffen? Das Rasen auf den Autobahnen gehört hier zum German way of life. Und bauen wir Deutsche nicht selbst diese wunderbaren Riesenflitzer? Die Umwelthilfe setzt durch, was die Politik ignoriert hat Für den Teil der Bevölkerung mit Motto "Freie Fahrt für freie Bürger" wird Jürgen Resch zunehmend zum Feindbild. Resch ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die zuletzt mehrere Fahrverbote für ältere Diesel-Autos in Innenstädten gerichtlich durchsetzte. Die CDU forderte zuletzt auf ihrem Parteitag, die DUH solle keine Fördergelder mehr vom Bund erhalten. Außerdem solle ihre Gemeinnützigkeit überprüft werden. Dass die Umwelthilfe lediglich die Umsetzung von Gesetzen einfordert, die die Politik jahrelang ignoriert hat, hat die CDU offenbar übersehen. Und nun das: Resch will prüfen, mit der Forderung für ein Tempolimit auf Autobahnen (120) und Landstraßen (80) vor Gericht zu ziehen. Auslöser sind die neuen Vorgaben für den Klimaschutz. Bei niedrigeren Geschwindigkeiten verursachen Autos weniger CO₂-Ausstoß. Außerdem wäre das auch ein Anreiz für die Automobilindustrie, kleinere und leichtere Wagen zu bauen, was in der Fertigung wiederum Kohlendioxid einsparen würde. Dumm nur, dass deutsche Autobauer vor allem mit großen, schweren, PS-starken Wagen das meiste Geld verdienen. Das bringt Gewinne, Rendite für die Aktionäre, Boni für den Vorstand. Und die Möglichkeit, bei missliebigen Vorschlägen sogleich mit dem Abbau von Arbeitsplätzen zu drohen. Für die Unternehmen ist die Raserei auf den Autobahnen eine unbezahlbare PR, weltweit bekannt und bestaunt. Denn außer in Deutschland gibt es kaum ein Land ohne Tempolimit auf allen Straßen. Die Deutschen kennen das von Fahrten in die Nachbarländer. Stellt sich die Frage: Sind Österreicher, Schweizer, Franzosen, Italiener et cetera gegängelte Bürger inmitten einer ideologischen Verbotskultur? Fakt ist, dass ein Tempolimit auf Autobahnen für die Mehrheit der Bevölkerung Vorteile bringt. Die Zahl der schweren Unfälle reduziert sich (der Effekt gilt noch mehr für die sehr unfallreichen Landstraßen). Der Fluss des immer dichteren Verkehrs würde sich verbessern. Die Lärmbelastung geht stark zurück (weshalb etwa Österreich in seinen Alpentälern die Geschwindigkeitszulassung drastisch reduziert hat). Und natürlich geht auch der Schadstoffausstoß erheblich nach unten, unter anderem die Emissionen des klimaschädlichen Kohlendioxids. Laut Umweltbundesamt sinken sie bei 120 km/h Obergrenze für den gesamten Pkw-Verkehr auf Autobahnen um etwa neun Prozent. Tempolimit-Gegner wie der ADAC argumentieren, dass die Einsparung kaum ins Gewicht falle bezogen auf das gesamte CO₂-Problem Deutschlands. Doch diese Argumentation zieht nicht. Mit dem Finger auf andere zeigen, bringt uns nicht weiter So begründen auch die Kohlekraftwerksbetreiber, warum eine Abschaltung unverhältnismäßig sei. So fördert der Staat weiterhin den Flugverkehr, weil es eh wurscht ist. So argumentieren AfD und in Teilen die FDP, warum Deutschland eigentlich gar nichts tun müsse, weil das Land zu klein sei für einen spürbaren Effekt in der weltweiten Klimakrise. Dabei ist das riesige Klimaproblem nur zu lösen, wenn eben jeder Bereich seinen Teil beiträgt. Denn sonst deuten stets die einen mit dem Finger auf die anderen: Wenn die nichts tun müssen, dann wollen wir auch nicht. Ein Tempolimit auf Autobahnen ist ein leicht umsetzbares, sehr billiges Mosaiksteinchen, um den CO₂-Ausstoß in Deutschland zu verringern. Es ist auch deshalb längst überfällig. Und was die Freiheit betrifft: Diese herrscht höchstens für diejenigen, die mit mehr als 200 km/h über die linke Spur rasen. Wer hingegen mit 120 oder 130 km/h zum Beispiel einen Laster überholen möchte, der kennt das Gefühl, wenn von hinten so ein Riesengefährt heranrauscht, dessen Fahrer hektisch an der Lichthupe ruckelt. Das ist dann auch ein Kick. Allerdings kein schöner.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/tempolimit-autobahn-deutschland-1.4259731
Verkehr - Warum ein Tempolimit auf der Autobahn nötig ist
00/12/2018
Die Reduzierung der Geschwindigkeit wäre ein billiger Beitrag für den Klimaschutz. Außerdem machen Raser auf den Autobahnen allen anderen einfach nur Angst.
[]
mlsum_de-train-220692
mlsum_de-train-220692
In Los Angeles gibt es eine Teststrecke für die Hyperloops von Elon Musk. Doch sind sie eine Antwort auf die Transportprobleme und den drohenden Verkehrskollaps der Zukunft? Man setzt sich in eine Kapsel und düst dann schwebend in Höchstgeschwindigkeit durch eine Vakuum-Röhre. Die Ursprungsidee des Hyperloops klingt wie aus einem Science-Fiction-Roman. Am Dienstag wurde in Los Angeles die erste Teststrecke eröffnet. Was auf dem ersten Blick wirkt wie ein Werbegag von Milliardär Elon Musk, könnte die Mobilität revolutionieren, sagt SZ-Korrespondent Jürgen Schmieder. Weitere Themen: Einwanderungsgesetz, EU-Kommission und Italien einig, EU verbietet Plastik-Wegwerfprodukte. So können Sie unseren Nachrichtenpodcast abonnieren "Auf den Punkt" ist der Nachrichtenpodcast der SZ mit den wichtigsten Themen des Tages. Der Podcast erscheint von Montag bis Freitag immer um 17 Uhr. Sie finden alle Folgen auf sz.de/nachrichtenpodcast. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: iTunes Spotify Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns: podcast@sz.de.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/podcast-nachrichten-hyperloop-musk-los-angeles-1.4259317
"SZ-Podcast ""Auf den Punkt"" - Nachrichten vom 19.12.2018"
00/12/2018
In Los Angeles gibt es eine Teststrecke für die Hyperloops von Elon Musk. Doch sind sie eine Antwort auf die Transportprobleme und den drohenden Verkehrskollaps der Zukunft?
[]
mlsum_de-train-220693
mlsum_de-train-220693
Einige Neuerungen für Autofahrer im Jahr 2019 betreffen nur E-Autos, aber auch in der Kfz-Versicherung ändern sich für viele Menschen die Konditionen. Diesel müssen draußen bleiben, dafür braucht man nicht mehr zur Zulassungsstelle, um sein Fahrzeug anzumelden. Welche Änderungen Autofahrer im kommenden Jahr erwarten. Elektromobilität ist keine Nische mehr und die dreckige Luft in den Städten soll mit Fahrverboten bekämpft werden. Für Autofahrer wird sich im Laufe des kommenden Jahres einiges ändern. Je nachdem, welches Auto man fährt und wo man es nutzt, kann das bedeuten, dass man tiefer in die Tasche greifen muss oder aber steuerlich entlastet wird. Was Autofahrer 2019 erwartet - ein Überblick. Steuervorteile für Elektroautos als Dienstwagen Wer ein Elektroauto oder einen Plug-in-Hybrid als Dienstwagen und privat nutzt, profitiert ab dem 1. Januar 2019 von einem Steuervorteil. Statt einem Prozent muss der Arbeitnehmer dann nur 0,5 Prozent des Listenpreises als geldwerten Vorteil versteuern. Diese Regelung ist zunächst bis Ende 2021 festgelegt. Neue Einstufung bei der Autoversicherung Etwa elf Millionen Autofahrer sind von Änderungen bei den Typ- und Regionalklassen in der Kfz-Versicherung betroffen. Dabei wird es für etwa die Hälfte der Betroffenen teurer, für die andere Hälfte sinken die Beiträge. (In welcher Typklasse sich Ihr Auto befindet, können Sie hier überprüfen.) Fahrverbote in deutschen Städten Vom 1. Januar an müssen im gesamten Stuttgarter Stadtgebiet auswärtige Diesel mit der Schadstoffklasse Euro 4 oder niedriger draußen bleiben. Ab 1. April gilt das Fahrverbot dann auch für Stuttgarter. Nicht davon betroffen sind Reisebusse, Taxis, Oldtimer mit entsprechendem Kennzeichen sowie Einsatz- und Hilfsfahrzeuge. Zudem gibt es die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen. Auch für weitere deutsche Städte gibt es Gerichtsurteile, nach denen im Laufe des kommenden Jahres Fahrverbote für ältere Diesel angewandt werden müssen. Maut im Ausland Wer in Österreich mautpflichtige Straßen benutzt, muss ab 2019 mehr bezahlen. Die Preise für eine Pkw-Jahresvignette steigen auf 89,20 Euro (plus 1,90 Euro), ein Pickerl für zwei Monate wird 60 Cent teurer (dann 26,80) und für zehn Tage zahlt man ebenfalls 60 Cent mehr (9,20 Euro). Auch in der Schweiz steigen die Maut-Gebühren leicht an: Die Jahresvignette kostet dann 75 Cent mehr als 2018 (36,50 Euro). Fahrgeräusche bei Elektroautos Das akustische Warnsystem AVAS (Acoustic Vehicle Alerting System) wird vom 1. Juli an für alle neuen Elektroautotypen zur Pflicht. Alle E-Autos und Plug-in-Hybride, die neu auf den Markt kommen, müssen dann bis zu einer Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde ein Warnsignal von sich geben. Das Warnsystem erzeugt diesen Ton automatisch und kann nicht manuell abgeschaltet werden. An- und Ummeldung über das Internet Im Laufe des Jahres soll es möglich werden, Fahrzeuge online an- und umzumelden. Auch das Umschreiben auf einen neuen Besitzer soll dann ohne Besuch auf der Zulassungsstelle funktionieren. Was man allerdings dafür braucht: einen Personalausweis mit aktivierter ID-Funktion. Neues Messverfahren zum Schadstoffausstoß Seit September dieses Jahres gilt bereits das sogenannte WLTP-Verfahren, das den Schadstoffausstoß und Verbrauch von Neuwagen misst. Allerdings läuft dieses Verfahren weiterhin auf einem Prüfstand. Ab September 2019 ist das RDE-Verfahren ausschlaggebend, bei dem mit einem portablen Messgerät der tatsächliche Schadstoffausstoß auf der Straße gemessen wird. Dadurch sollen die Messwerte realistischer sein als unter den bisher herrschenden Laborbedigungen.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/autofahrer-aenderungen-2019-1.4257369
Das ändert sich für Autofahrer 2019
00/12/2018
Diesel müssen draußen bleiben, dafür braucht man nicht mehr zur Zulassungsstelle, um sein Fahrzeug anzumelden. Welche Änderungen Autofahrer im kommenden Jahr erwarten.
[]
mlsum_de-train-220694
mlsum_de-train-220694
Wer zu bequem ist, Eis zu kratzen, der startet sein Auto und wartet in der warmen Wohnung. Das schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch dem Fahrzeug. Der Audi parkt an der Straße und der Motor läuft. Es sitzt kein Fahrer am Steuer, weit und breit ist niemand zu sehen. Dieselgeruch flutet die Wohnsiedlung. Es ist ein kalter Wintertag, aber nicht so frostig, dass sich Eis auf den Scheiben der Autos gebildet hätte. Der Grund für den laufenden Motor ist allein die Bequemlichkeit des Besitzers: Er scheut die Kälte und will direkt nach dem Frühstück in ein warmes Autos einsteigen. Dieses Verhalten lässt sich nicht einfach als Unsitte abtun. Es zeigt eine Ignoranz auf vielen Ebenen. Die Botschaft lautet: Umweltschutz ist nur von Bedeutung, solange er nicht der eigenen Bequemlichkeit im Wege steht. Dabei sind die positiven Effekte des Motor-warmlaufen-lassens bestenfalls überschaubar. Oder wie es ADAC-Sprecher Hans Pieper für die Nachrichtenagentur dpa zusammenfasst: "Es macht unnötigen Lärm, erhöht den Verschleiß und bringt zudem nicht viel." Das beginnt bei den technischen Risiken: "Ein Kaltstart bedeutet für den Motor eine Extrembelastung", sagt Vincenzo Lucà vom TÜV Süd. Je länger das Auto danach steht, umso schlechter ist es für das Triebwerk, da es bei geringen Drehzahlen langsamer warm wird. Das führt zu schnellerem Verschleiß, weil zum Beispiel das noch dickflüssige Öl nicht an alle Schmierstellen gelangt. Hinzu kommt der höhere Ausstoß von Abgasen, da der Spritverbrauch bei einem kalten Motor um ein Vielfaches größer ist. "Hochgerechnet würde ein Benzinmotor auf diese Weise 25 bis 30 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen", sagt Vincenzo Lucà. Einige Minuten nach dem Losfahren reguliert sich der Effekt. So lässt sich die Scheibe enteisen Trotzdem lassen sich einige Autofahrer im Winter nicht von dieser Methode abbringen. Das Argument, das immer fällt ist: Anders ließen sich die Scheiben nicht vom Eis befreien. Bereits nach 100 Metern sei die Sicht wieder verschleiert. Und bevor man selbst zum Sicherheitsrisiko würde, nähme man die Umweltverschmutzung lieber in Kauf. Das ist Unsinn. Es gibt viele effektivere Methoden, die Scheibe von Eis zu befreien. Die naheliegendste ist, den Frost vor der Fahrt mit Kratzer oder mit Sprays auf Alkoholbasis zu entfernen. Wem das zu mühselig ist: Eine Folie auf der Frontscheibe am Vorabend verhindert das Vereisen der Scheibe. Beschlägt sie von innen, hilft die "Defrost"-Funktion der Belüftung. Das Gebläse auf volle Leistung, am besten mit Klimaanlange, schon verschwindet der Schleier. Zudem gibt es spezielle Fensterleder, mit der sich die Scheiben von innen reinigen lassen. Wer häufiger mit diesem Problem zu kämpfen hat: Eine Dose mit Holzkohle oder Kaffee entzieht der Luft die Feuchtigkeit. Den Motor warm laufen lassen ist verboten Bleiben nur noch die Bequemlichkeit der Autofahrer und die Sehnsucht nach ein bisschen Wärme. Dabei ist der Effekt auf die Heizung nur gering, wenn der Motor im Stand läuft. Ein Test des ADAC bei minus zehn Grad zeigte, dass die Luft aus dem Gebläse nach vier Minuten gerade einmal eine Temperatur von 13 Grad erreichte. Heimelig warm geht anders. Und selbst wenn: Den Motor im Stand zu diesem Zweck laufen zu lassen, ist schlichtweg verboten. Das besagt Paragraf 30 der Straßenverkehrsordnung: "Bei der Benutzung von Fahrzeugen sind unnötiger Lärm und vermeidbare Abgasbelästigungen verboten. Es ist insbesondere verboten, Fahrzeugmotoren unnötig laufen zu lassen (...)" So kann der Rat an alle, die im Winter trotzdem ihr Auto warmlaufen lassen wollen, nur lauten: Lassen Sie es bleiben. Der Umwelt und dem Auto zuliebe. Wem die Wärme im Winter wirklich so wichtig ist, rüstet eine Standheizung nach. Die sorgt für angenehme Temperaturen per Fernbedienung, ganz ohne den Motor zu starten. Der größte Vorteil ist: Um sie einzuschalten, müssen Sie nicht einmal die Wohnung verlassen.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/motor-warmlaufen-lassen-1.4252734
Auto warmlaufen im Winter: Lieber bleiben lassen
00/12/2018
Wer zu bequem ist, Eis zu kratzen, der startet sein Auto und wartet in der warmen Wohnung. Das schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch dem Fahrzeug.
[]
mlsum_de-train-220695
mlsum_de-train-220695
Weil es in Tel Aviv keine U- oder S-Bahnen gibt, steigen viele Einwohner aufs Elektrofahrrad - und versuchen so, dem Stau zu entgehen. Doch das bringt nun neue Probleme mit sich. Dieser Blick ist kaum zu toppen: Wenn man den Hafen und die Altstadt von Jaffa hinter sich lässt, breitet sich der Sandstrand und dahinter die Skyline von Tel Aviv aus. Da fällt es kaum auf, dass es leicht bergauf geht. Es ist auch nur eine kleine Steigung, die man mit einem Elektrofahrrad (noch) leichter bewältigt. Vor allem, wenn es dampfend heiß ist. Die Hitzeperioden können sich von Mai bis Oktober erstrecken, wochenlang kühlt es auch in den Nächten nicht ab. Tel Aviv hat zwar nicht so viele Hügel und damit Steigungen wie Jerusalem, aber ganz flach ist das Gelände nicht. Gepaart mit der Schwüle wird das Radfahren rasch zum schweißtreibenden Unterfangen. Deshalb steigen viele auf Elektroräder und E-Scooter um. In Israel sind laut Verkehrsministerium etwa 250 000 E-Bikes unterwegs - das ist angeblich die weltweit höchste Zahl pro Einwohner. Sie stehen ganz selbstverständlich vor Restaurants, Bars und Büros, viele Radfahrer flanieren mit den entnehmbaren Akkus durch die Straßen oder nehmen sie mit an den Strand. Der Fahrrad-Boom hat aber auch negative Auswirkungen auf andere Verkehrsteilnehmer, vor allem auf Autofahrer und Fußgänger: Insbesondere in den Stoßzeiten, wenn Fahrzeuge mit vier Rädern kaum vorwärts kommen und im Stau stehen, flitzen die E-Biker recht ungestüm vorbei. Sie können von rechts und von links kommen, mit Geschwindigkeiten bis zu 40 Stundenkilometer. Viele nutzen auch Gehwege mit ihren Elektrobikes und -rollern, wo dann aufgeschreckte Passanten zur Seite springen. Auf den Rädern fahren auch schon mal Tiere mit Bisher gab es nur wenige Regeln, die vorschreiben, wie man sich mit diesen Gefährten im Straßenverkehr zu verhalten hat. Zumal die Räder nicht nur für die Fortbewegung eines Menschen genutzt werden. Häufig kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus, wer oder was da alles Platz findet: Neben zwei Kindern noch allerlei Gepäck und ein Hund. Das soll sich unter dem Eindruck der steigenden Zahl von Verkehrstoten nun ändern. In den ersten neun Monaten 2018 verunglückten bereits 18 Menschen auf E-Bikes oder E-Scootern. Das ist ein massiver Anstieg im Vergleich zu den beiden Vorjahren, da waren es jeweils zehn auf das gesamte Jahr gerechnet. Ein Hauptgrund ist, dass immer mehr batteriebetriebene Fahrräder und Roller unterwegs sind. Die größeren Geschäfte in Tel Aviv nennen Verkaufszahlen von tausend Stück pro Monat. Die Regierung hat daher Anfang Dezember beschlossen, dass vom 1. Januar für die Nutzung von E-Bikes ein Autoführerschein notwendig ist. Alternativ dazu besteht die Möglichkeit, eine Prüfung für die neu eingeführte Klasse A3 zu absolvieren, die sich aus einem aus 30 Fragen bestehenden Theorietest zusammensetzt. Zu dieser Prüfung dürfen alle antreten, die älter als fünfzehneinhalb Jahre sind. Bisher hätten unter 16-Jährige kein E-Bike nutzen dürfen. Allerdings wurde diese Vorschrift von der Polizei bisher nur lax gehandhabt, was sich nun ändern soll. Seit kurzem können Räder in dieser Altersgruppe sogar beschlagnahmt werden.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/radfahren-tel-aviv-1.4247317
Radfahren in Tel Aviv - Mit E rollt es leichter
00/12/2018
Weil es in Tel Aviv keine U- oder S-Bahnen gibt, steigen viele Einwohner aufs Elektrofahrrad - und versuchen so, dem Stau zu entgehen. Doch das bringt nun neue Probleme mit sich.
[]
mlsum_de-train-220696
mlsum_de-train-220696
Bremsen, anfahren, rollen, wieder bremsen. Aufpassen, dass man dem Vordermann nicht hinten drauf fährt. Stop-and-go-Verkehr ist lästig und unproduktiv. Aber bald fährt das Auto von alleine. Zeitung lesen, Mails checken, frühstücken - ganz legal: Das ist die Zukunft der selbstfahrenden Autos. Sie hört sich wahnsinnig praktisch an. Und glaubt man den Ankündigungen der Hersteller, kann es eigentlich nicht mehr lange dauern. Wie soll es auch anders sein, wenn Tesla sein System bereits seit Jahren "Autopilot" nennt. Doch die Wahrheit ist: Bis man wirklich das Steuer komplett aus der Hand geben kann, werden noch einige Jahre vergehen. Denn erst einmal müssen Mensch und Auto lernen, sich aufeinander abzustimmen. Und das ist gar nicht so einfach. Was man als Kunde heute in einem Auto kaufen kann, sind so genannte "Level-2-Systeme." Der Fahrer muss permanent den Verkehr und die Assistenzsysteme überwachen. Hände vom Lenkrad nehmen oder schnell eine Nachricht schreiben? Nicht erlaubt. Die nächste Entwicklungsstufe sind jedoch nicht Fahrzeuge, die komplett vom Start bis zum Ziel autonom unterwegs sind (Level 4), sondern nur in bestimmten Situationen den Fahrer ersetzen. Der Hersteller garantiert, dass sein System dann die Kontrolle übernimmt. Technisch ausgedrückt geht es um "Level-3-Systeme". Als erster Hersteller hat Audi verkündet, im 2017 vorgestellten A8 die Technik für einen Staupiloten verbaut zu haben, der es dem Fahrer ermöglicht, sich in bestimmten Situationen ganz dem selbstfahrenden Auto anzuvertrauen. Freigeschaltet ist die Funktion allerdings auch ein Jahr später noch nicht. Das liegt laut Audi ausschließlich daran, dass bestimmte international gültige Vorschriften noch nicht auf automatisierte Fahrzeuge angepasst wurden. Sprich: Es gibt aktuell keine Zulassung für derartige Level-3-Systeme. Abgesehen von Zertifizierungshürden müssen sich die Hersteller mit einem anderen Problem beschäftigen: Wenn das Auto nur bestimmte Situationen sicher beherrscht, muss es seinen Fahrer rechtzeitig darüber informieren, dass er wieder selbst ans Steuer muss. Maschine und Mensch müssen sich abstimmen. Und das ist komplizierter, als es scheint. Denn rechtliche Vorgaben, wie lange die Übernahmezeit sein muss, gibt es nicht. Das vom Bund mit 36,3 Millionen Euro geförderte Forschungsprojekt "Ko-Haf" (kooperatives hochautomatisiertes Fahren), an dem sowohl Autohersteller als auch Zulieferer und Universitäten beteiligt waren, liefert jetzt umfassende Daten darüber, welche Faktoren eine Rolle spielen, wenn Auto und Fahrer wechselseitig für die Sicherheit verantwortlich sind. Doch wie die Hersteller diese Erkenntnisse nutzen oder was der Gesetzgeber daraus für rechtliche Rahmenbedingungen ableitet, ist offen. Unter der Führung von Wissenschaftlern der TU München testeten über 1700 Menschen das autonome Fahren im Fahrsimulator und teilweise auch direkt im realen Autobahnverkehr. Das dort benutzte Auto war mit Systemen ausgestattet, die dem Fahrer signalisierten, dass er die Kontrolle komplett abgeben kann, teilweise war das Fahrzeug bis zu eineinhalb Stunden autonom unterwegs. Als Absicherung gab es einen Aufpasser, der immer vom Beifahrersitz aus hätte eingreifen können. Zwischendurch kam es immer wieder zu Situationen, in denen das Auto den Fahrer aufforderte, wieder selbst das Steuer zu übernehmen - damit erlebten die Probanden genau das, was der nächste Schritt hin zum selbstfahrenden Auto sein wird. Die Forscher wollten wissen: Was passiert, wenn ein Mensch am Steuer sitzt, aber nicht mehr auf den Verkehr achten muss? Und wie kann man sicherstellen, dass er wieder rechtzeitig das Kommando übernimmt, wenn die Technik an ihre Grenzen gerät. Und überhaupt: Wann ist eine Aufforderung "rechtzeitig"? Professor Klaus Bengler, Leiter des Instituts für Ergonomie an der TUM formuliert es so: "Gibt es positive oder negative Effekte auf die Übernahmezeit bei Tätigkeiten, die jetzt noch am Steuer verboten sind, wie zum Beispiel Essen oder auf mit dem Handy Nachrichten zu schreiben?" Und er schiebt sofort hinterher: "Die magische Sekundenzahl, die jeder hören will, die gibt es nicht." Jedes Blinzeln und jedes Ruckeln im Sitz wird künftig vom Auto registriert und interpretiert Die erste Erkenntnis aus den Versuchen ist wenig überraschend: Wenn der Fahrer nicht mehr auf den Verkehr achten muss und auch sonst keine andere fordernde Aufgabe hat, wird er nach einer gewissen Zeit unaufmerksam und träge. "Automationseffekt" nennen das die Fachleute. Dass man dem entgegenwirken kann, haben die Fahrversuche der Münchner Forscher ebenfalls gezeigt. "Tetris spielen" ist laut Jonas Radlmayr, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Versuche betreute, eine gute Möglichkeit, den Fahrer geistig so sinnvoll zu beschäftigen, dass er schnell wieder aufnahmefähig ist, wenn das Auto nicht mehr alleine steuern kann. Die Übernahmezeit verlängern würden dagegen alle Tätigkeiten, bei denen der Fahrer etwas in beiden Händen hält - keine gute Nachricht für alle, die sich im Stop-und-Go-Verkehr schon mit dem Kaffeebecher in der einen und der Zigarette in der anderen Hand sehen. Um überhaupt eine sinnvolle Übernahmezeit bestimmen zu können, braucht das Assistenzsystem möglichst viele Informationen über den aktuellen Zustand des Fahrers. Das bedeutet in der Praxis: Jedes Blinzeln und jedes Ruckeln im Sitz wird registriert und interpretiert. Das geht zum Beispiel mit Sensoren im Sitz, die unter anderem feststellen können, wenn sich der Fahrer in eine andere Richtung dreht. Hebt er vielleicht gerade etwas im Fußraum auf, könnte das bei einem plötzlich notwendigen Fahrmanöver deutlich kritischer als wenn er im bordeigenen Entertainmentsystem eine Mail liest. Das System muss also so intelligent sein, dass es weiß, was der Fahrer gerade macht - und dann die jeweils passende Übernahmezeit berechnen. Dass diese Zeitspanne nach den Untersuchungen in Ko-Haf außerdem davon abhängt, wie herausfordernd die Situation ist, die der Fahrer dann wieder selbst bewältigen muss, macht es zusätzlich kompliziert. "Die Krux ist, dass die jetzt schon vorhandenen Systeme in vielen Fällen gut funktionieren und dem Fahrer eine Sicherheit vermitteln, die es in der Realität noch nicht gibt", warnt Klaus Bengler. Die Unwissenheit der Autofahrer sei groß, was man denn nun schon nebenbei machen dürfe und was nicht. Aktuell lautet die Antwort: Nichts. Und das wird bis auf weiteres auch so bleiben.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/autonomes-fahren-von-wegen-zeitung-lesen-1.4247321
Von wegen Zeitung lesen
00/12/2018
Schon bald sollen Autos bestimmte Situationen autonom bewältigen. Die entscheidende Frage lautet dann: Was darf der Fahrer nebenbei machen? Die ernüchternde Antwort darauf: nichts.
[]
mlsum_de-train-220697
mlsum_de-train-220697
Über Jahrzehnte wurden Fußgänger von Stadtplanern buchstäblich an den Rand gedrängt, nach wie vor werden Gehsteige zugeparkt. Doch einige Kommunen wollen das ändern - wie das Beispiel Leipzig zeigt. Jeder Verkehrsteilnehmer ist auch Fußgänger, sagt Friedemann Goerl. Immer mal wieder jedenfalls, und sei es auf dem Weg zur Straßenbahn oder zum Auto. Dieser Umstand ist ein großer Vorteil für den 29-Jährigen, denn damit kann er für sich beanspruchen, in seinem Job alle 580 000 Leipziger zu vertreten. Seit elf Monaten ist Friedemann Goerl Fußverkehrsverantwortlicher der Stadt und damit der erste seiner Art in Deutschland. Goerls Pionierarbeit fällt in eine Zeit, in der Verkehrsplanung in den Städten stetig komplizierter wird. Immer mehr Menschen ziehen in die Ballungszentren, wo der Platz aber nicht wächst oder durch Nachverdichtung sogar weniger wird. Die Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern nehmen zu und immer häufiger stellt sich die Frage: Für wen stellt man öffentlichen Raum zur Verfügung? Straßen und Parkplätze für Autos? Schienen und Busspuren für den öffentlichen Nahverkehr? Mehr und breitere Radwege? Und wo bleibt da eigentlich der Fußgänger? "Der fällt meist ein bisschen runter, wenn sich niemand um ihn kümmert", erklärt Goerl. Deshalb hat sich die Stadt Leipzig nach jahrelangen Debatten dazu entschlossen, Anfang 2018 die Stelle des Fußgänger-Beauftragten zu schaffen. Seitdem läuft jede Verkehrsplanung der Stadt über den Schreibtisch des jungen Geografen. Er passt auf, Bordsteine rund um Seniorenheime abzusenken als Hilfe für alte Menschen mit Rollatoren. Er verhindert, dass Fußgänger Umwege in Kauf nehmen müssen. Goerl achtet auf Barrierefreiheit. Einmal verhinderte er, dass der Gehweg zu einem Kindergarten vergessen wurde. Er erlebe dabei in der Verwaltung keine Fronten oder Gegenspieler, sondern eher die Reaktion: "Ach, das haben wir noch gar nicht so gesehen." Der Leipziger bestätigt damit eine der Hauptaussagen der Studie "Geht doch!", in der das Umweltbundesamt, abgekürzt: UBA, kürzlich die Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie festhielt. Der Fußverkehr werde nicht als gleichberechtigt wahrgenommen, steht darin. Er gelte "in Deutschland immer noch als unwichtig, unattraktiv und wenig zeitgemäß". Auf insgesamt fast 50 Seiten legen die Fachleute des UBA dar, wieso es sich lohne, den Fußverkehr vor allem in den Städten zu stärken und wie das umsetzbar wäre. Zu Fuß gehen sei gesund, heißt es da. Es fördere den Klimaschutz, Städte würden zu "Orten der Begegnung und des sozialen Miteinanders". Auch örtliche Geschäfte profitierten von mehr Fußverkehr. Senioren seien auf sichere Gehwege angewiesen, genauso wie Kinder. Angestrebt werde, den Anteil des Fußverkehrs von durchschnittlich 27 Prozent in den Städten auf 41 Prozent zu steigern. In ländlichen Kreisen von derzeit 24 Prozent auf 35 Prozent. Das geht allerdings nicht, ohne anderen Verkehrsteilnehmern Rechte und Räume zu kürzen. In den meisten Fällen dem Autofahrer. So schlägt das UBA vor, innerorts Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit zu verfügen, weil zu viele Fußgänger Opfer von Unfällen werden. Ampeln sollen so lange Grünphasen haben, dass alle ausreichend Zeit für die Querung der Kreuzung erhalten. Verkehrsplaner sollten von außen nach innen denken, also zuerst die Bedürfnisse der Fußgänger beachten, die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen empfiehlt eine Gehwegbreite von mindestens 2,5 Meter. Außerdem soll der Raum für Parkplätze verringert werden: Von derzeit etwa 4,5 Quadratmeter pro Einwohner auf drei Quadratmeter, perspektivisch sogar auf 1,5 Quadratmeter. "Die Studie hätte auch von uns sein können", sagt Roland Stimpel. Er ist Sprecher des Lobbyverbands Fuss e.V. und freut sich "außerordentlich, dass sich eine Bundesbehörde soweit aus dem Fenster lehnt". Denn für ihn sei der Zustand des Fußverkehrs im Land nach wie vor schlecht. Stimpels Verband kritisiert, dass die Straßenverkehrsordnung von dem Geist getragen werde, der Sinn des Verkehrs sei die effiziente Abwicklung des Autoverkehrs. "Die anderen Teilnehmer sind nebensächlich und haben vor allem die Aufgabe, die Straße schnell zu verlassen", beklagt er. Die Fußgänger-Vertreter fordern ein höheres Bußgeld, wenn Radfahrer auf Gehwegen fahren oder Autos dort parken. In Frankreich etwa koste das pauschal 135 Euro, weiß Stimpel. Doch in Deutschland seien weder der Bund noch die meisten Kommunen bereit, die Verkehrspolitik entsprechend zu ändern. "Es gibt selbst Oberbürgermeister der Grünen, die uns sagen: Der Parkdruck ist so hoch, dass wir weiterhin ein Auge zudrücken und es zulassen, dass Autos den Gehweg zuparken, obwohl es verboten ist", erzählt er. Wenn eine Kommune sich dennoch mal traut, Plätze und Straßen im Sinne der Fußgänger umzugestalten, droht mitunter heftiger Gegenwind. In Hannover beispielsweise war ein Gehweg, den viele Schulkinder nutzen, ständig von Autos zugeparkt. Als die Verwaltung Poller aufstellte, um das illegale Parken zu unterbinden, brodelte es zuletzt bei einer Sitzung des Bezirksrats: Zahlreiche Anwohner und Geschäftsleute beschwerten sich, es gebe nun zu wenig Parkraum für ihre Autos im Viertel. "So hart sind die Konflikte", sagt Stimpel, "der Verteilungskampf bricht aus." Er sehe aber, dass sich in den Innenstädten die Stimmung allmählich drehe. Die Bewohner dort seien mittlerweile weniger Auto-affin als früher. Im Verkehrsministerium stehen sie neuen Ansätzen eher skeptisch gegenüber Doch was sagt das traditionell eher autonahe Bundesverkehrsministerium zu den forschen Plänen des UBA? Auf Nachfrage der SZ erklärt das Haus von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der Fußverkehr habe eine "hohe Priorität", künftig werde es ein Referat mit dem Schwerpunkt Radverkehr und Fußverkehr geben. Die konkreten Anregungen allerdings stoßen auf Skepsis. Die Regelgeschwindigkeit innerorts auf Tempo 30 zu senken, sei "nicht sinnvoll", finden die Beamten, der Geschwindigkeitsvorteil auf Hauptstraßen sei wichtig. Die Bußgelder würden zwar demnächst geprüft, ob es dabei zu einer Änderung komme, müsse allerdings abgewartet werden. Und der wohl explosivsten Forderung des Umweltbundesamts weicht das Verkehrsministerium mehr oder weniger aus: Soll der Parkraum für Autos reduziert werden? Die Antwort aus dem Ministerium: "Ziel ist es, für alle Verkehrsmittel - einschließlich Fußgänger - gleichermaßen einen bestmöglichen Rahmen zu schaffen." In Leipzig geht derweil der Umbau weiter. Wenngleich langsamer als von einigen erhofft. Der Stadtteil Lindenau zum Beispiel ächzt unter dem Zustrom neuer Bewohner; am zentralen Verkehrsknotenpunkt, dem Lindenauer Markt, fand deshalb eine Zählung statt: Den nördlichen Bereich passierten in einer Stunde 1300 Fußgänger, 215 Radfahrer sowie 277 Autos. Dominiert wird der Platz aber nach wie vor von der Fahrbahn für die Autos. Der Stadtrat beschloss deshalb eine Umgestaltung, an dessen Ende der Autoverkehr auf Teilen ganz ausgeschlossen wird. "Die Konflikte sind natürlich da", berichtet der Fußverkehrs-Verantwortliche Friedemann Goerl. Aber wenn die Stadt dann das Straßenbild ändere, wenn Arbeiter Bäume pflanzten und so einen öffentlichen Raum schafften, wo Menschen gerne zu Fuß gehen und sich aufhalten, "dann stellt sich die Akzeptanz schnell ein".
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/stadt-und-verkehrsplanung-platz-da-1.4247319
Stadt- und Verkehrsplanung - Platz da
00/12/2018
Über Jahrzehnte wurden Fußgänger von Stadtplanern buchstäblich an den Rand gedrängt, nach wie vor werden Gehsteige zugeparkt. Doch einige Kommunen wollen das ändern - wie das Beispiel Leipzig zeigt.
[]
mlsum_de-train-220698
mlsum_de-train-220698
Bremsen, anfahren, rollen, wieder bremsen. Aufpassen, dass man dem Vordermann nicht auffährt. Stop-and-Go-Verkehr ist lästig und unproduktiv. Aber bald fährt das Auto von alleine. Zeitung lesen, Mails checken, frühstücken - ganz legal: Das ist die Zukunft der Insassen selbstfahrender Autos. Sie hört sich wahnsinnig praktisch an. Und glaubt man den Ankündigungen der Hersteller, kann es eigentlich nicht mehr lange dauern. Wie soll es auch anders sein, wenn Tesla sein System bereits seit Jahren "Autopilot" nennt? Doch die Wahrheit ist: Bis der Insasse wirklich das Steuer komplett aus der Hand geben kann, werden noch einige Jahre vergehen. Denn erst einmal müssen Mensch und Auto lernen, sich aufeinander abzustimmen. Was der Kunde heute kaufen kann, sind so genannte "Level-2-Systeme." Der Fahrer muss permanent den Verkehr und die Assistenzsysteme überwachen. Hände vom Lenkrad nehmen oder schnell eine Nachricht schreiben? Nicht erlaubt. Die nächste Entwicklungsstufe sind jedoch nicht Fahrzeuge, die komplett vom Start bis zum Ziel autonom unterwegs sind (Level 4), sondern in bestimmten Situationen den Fahrer ersetzen. Der Hersteller garantiert, dass sein System dann die Kontrolle übernimmt: "Level-3-Systeme". Als erster Hersteller hat Audi verkündet, im 2017 vorgestellten A8 die Technik für einen Staupiloten verbaut zu haben, der es dem Fahrer ermöglicht, sich in bestimmten Situationen ganz dem selbstfahrenden Auto anzuvertrauen. Freigeschaltet ist die Funktion allerdings auch ein Jahr später noch nicht. Das liegt laut Audi ausschließlich daran, dass bestimmte international gültige Vorschriften noch nicht auf automatisierte Fahrzeuge angepasst wurden. Sprich: Es gibt aktuell keine Zulassung für derartige Level-3-Systeme. Abgesehen von Zulassungsfragen müssen sich die Hersteller mit einem anderen Problem beschäftigen: Wenn das Auto nur bestimmte Situationen sicher beherrscht, muss es seinen Fahrer rechtzeitig darüber informieren, dass er wieder selbst ans Steuer muss. Maschine und Mensch müssen sich abstimmen. Und das ist komplizierter als es scheint. Denn rechtliche Vorgaben, wie lange die Übernahmezeit sein muss, gibt es nicht. Das vom Bund mit 36,3 Millionen Euro geförderte Forschungsprojekt "Ko-Haf" (kooperatives hochautomatisiertes Fahren), an dem sowohl Autohersteller als auch Zulieferer und Universitäten beteiligt waren, liefert jetzt umfassende Daten darüber, welche Faktoren eine Rolle spielen, wenn Auto und Fahrer wechselseitig für die Sicherheit verantwortlich sind. Doch wie die Hersteller diese Erkenntnisse nutzen oder was der Gesetzgeber daraus für rechtliche Rahmenbedingungen ableitet, ist offen. Was passiert, wenn Autos wirklich autonom fahren Unter der Führung von Wissenschaftlern der TU München testeten über 1700 Menschen das autonome Fahren im Fahrsimulator und teilweise auch direkt im realen Autobahnverkehr. Das dort benutzte Auto war mit Systemen ausgestattet, die dem Fahrer signalisierten, dass er die Kontrolle komplett abgeben kann, teilweise war das Fahrzeug bis zu eineinhalb Stunden autonom unterwegs. Als Absicherung gab es einen Aufpasser, der immer vom Beifahrersitz aus hätte eingreifen können. Zwischendurch kam es immer wieder zu Situationen, in denen das Auto den Fahrer aufforderte, selbst das Steuer zu übernehmen - damit erlebten die Probanden genau das, was der nächste Schritt hin zum selbstfahrenden Auto sein wird. Die Forscher wollten wissen: Was passiert, wenn ein Mensch am Steuer sitzt, aber nicht mehr auf den Verkehr achten muss? Und wie kann man sicherstellen, dass er wieder rechtzeitig das Kommando übernimmt, wenn die Technik an ihre Grenzen kommt? Und überhaupt: Wann ist eine Aufforderung rechtzeitig? Professor Klaus Bengler, Leiter des Instituts für Ergonomie an der TUM formuliert es so: "Gibt es positive oder negative Effekte auf die Übernahmezeit bei Tätigkeiten, die jetzt noch am Steuer verboten sind, wie zum Beispiel Essen oder mit dem Handy Nachrichten zu schreiben?" Und er schiebt sofort hinterher: "Die magische Sekundenzahl für alle denkbaren Sitationen, die gibt es nicht."
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/autonomes-fahren-uebernahme-1.4249803
Autonomes Fahren - Von wegen Frühstücken und Zeitung lesen
00/12/2018
Schon bald sollen Autos bestimmte Situationen alleine bewältigen. Die entscheidende Frage lautet: Was darf der Fahrer nebenbei machen? Die ernüchternde Antwort: nicht viel.
[]
mlsum_de-train-220699
mlsum_de-train-220699
So richtig schön ist der VW Bulli, Sondermodell "Samba", nicht mehr anzuschauen. Eine der Türen sieht aus, als habe eine Horde Mäuse in einer blechernen Fressattacke versucht herauszufinden, ob Metall genauso lecker ist wie Käse. Die offensichtliche Antwort: ja. Der komplette Unterboden des Busses schimmert rostrot. Genauso wie die Radkappen oder das Gaspedal. Die Sitzbezüge sind zerschlissen, der Dachhimmel verdreckt und vergilbt. Der Motor läuft nicht mehr. Jeder, der dieses Auto sieht, dem würde nur ein Begriff dafür einfallen: Schrottkarre. Nicht so Lucas Kohlruss, der diesen Haufen Blech vor einigen Wochen an seinen neuen Besitzer vermittelte. Er sagt bloß: "Das ist der Heilige Gral." Kohlruss muss es wissen, er besitzt selbst acht VW-Busse. Sie tauchen in Werbespots auf, im Fernsehen, in Kinofilmen, er veranstaltet mit ihnen unter dem Firmennamen "Old Bulli Berlin" Stadtrundfahrten und Junggesellenabschiede in der Hauptstadt. Nebenbei sucht und verkauft er klassische VW Käfer und Transporter. Die findet er hauptsächlich in den USA, wo das Klima milder ist. In Deutschland setzen viel Regen, harte Winter und das Streusalz auf der Straße den Oldtimern zu. Einen T1 Samba im Originalzustand in Europa, hergestellt im eigenen Land, das gibt es eigentlich nicht mehr. Kein anderer Oldtimer hat mehr an Wert gewonnen Bis Kohlruss einen Anruf erhielt. Der Mann am Telefon behauptete, er besäße genau so ein Modell. Einen VW Bulli Samba, Baujahr 1965, mit den charakteristischen 21 Fenstern. Geparkt seit 30 Jahren in einer Scheune bei Hannover mit lückenlosen Papieren, im Originalzustand. Verbriefte 24 904 Kilometer. Selbst die Quittung der Abmeldung gibt es noch: 23. Februar 1987. Der Heilige Gral. Die Nachricht machte schnell die Runde. "Innerhalb von zwei Tagen wusste die ganze Bulli-Szene, dass es dieses Auto gibt", erklärt Kohlruss. VW-Busse der ersten Generation, die zwischen 1950 und 1967 hergestellt wurden, sind seit einigen Jahren die Oldtimer mit der höchsten Wertsteigerung. Gut erhaltene Fahrzeuge können bis zu 50 000 Euro kosten. Das Sondermodell Samba, das 1951 auf der IAA debütierte, ist besonders gesucht und deshalb noch einmal deutlich teurer. Es unterscheidet sich vom Standard-T1 durch die zweifarbige Lackierung, verchromte Radkappen, das Faltschiebedach und die kleinen Sichtfenster an der Dachkante. Das führte in den letzten Jahren sogar immer wieder dazu, dass einfallsreiche Betrüger den herkömmlichen T1 umbauten. "Die sägen das Dach ab, machen Fenster rein und verkofen ihn für das Doppelte", erklärt Experte Lucas Kohlruss in breitem Berlinerisch. Mittlerweile gibt es mehr Sambas auf dem Markt, als gebaut wurden. Taucht eines der seltenen Originale auf, zahlen Sammler 100 000 Euro und mehr. Dabei sind die Kosten für eine Restaurierung noch nicht mit eingerechnet. Schon als Kind träumte er vom eigenen Bulli Ganz so teuer wurde es für den neuen Besitzer des Sambas aus Hannover nicht. Kohlruss stellte den Kontakt zu Martin Dreher her, der das Wrack für einen mittleren fünfstelligen Betrag kaufte. Warum der VW Bus drei Jahrzehnte vor sich hin rottete, weiß er nicht. Vier Halter hatte der 44 PS starke T1, der zuerst in Braunschweig zugelassen wurde und Zeit seines Autolebens in Niedersachsen blieb. Der letzte Besitzer parkte den VW-Bus in einer Scheune und schenkte ihn irgendwann seinem Neffen, dem das Auto erst wieder einfiel, als er Geld für den Bau eines Hauses benötigte. Für Dreher ein echter Glücksfall. "Die Leidenschaft zum Bulli war schon von Kind auf da", sagt er. Sein Vater arbeitete 25 Jahre lang bei VW und leitete zuletzt das Volkswagen-Zentrum in Berlin. Schon früh war ihm klar, dass es unbedingt ein Bulli sein sollte, am besten ein Samba. Ein Auto, das ganze Generationen und Subkulturen geprägt hat. Hippies, Surfer, Musiker, die Anti-Atomkraftbewegung, sie alle fuhren Bulli. Und liebten das Auto für seine Vielseitigkeit und seinen unprätentiösen Auftritt. Auch der Krankentransportunternehmer Martin Dreher konnte sich dieser Faszination nicht entziehen. Im Moment ist er noch auf der Suche nach einer Werkstatt, die in der Lage ist, seinen Samba zu restaurieren. Dabei wird das Auto komplett zerlegt, aufbereitet und unter Verwendung von so vielen Originalteilen wie möglich wieder zusammengesetzt. Mindestens ein Jahr wird das dauern und zusätzlich zu den Anschaffungkosten noch einmal zehntausende Euro verschlingen. Wie viel genau, das zeigt sich laut Lucas Kohlruss erst im Laufe der Restauration. Danach soll der VW-Bus im gleichen Zustand sein, wie bei seiner Erstauslieferung 1965. Im Gegensatz zu seinem letzten Besitzer wird er die nächsten Jahrzehnte aber nicht in einer zugigen Scheune darben. "Fahren will ich das Auto natürlich auch", sagt Martin Dreher. Und fügt hinzu: "Aber nur bei schönem Wetter." Für einen weiteren Rostbefall ist der Samba seinem neuen Besitzer nämlich viel zu schade.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/vw-bulli-samba-scheunenfund-1.4248051
VW Bulli Samba nach 30 Jahren entdeckt
00/12/2018
30 Jahre stand der Bulli, Sondermodell "Samba", vollkommen unberührt in einer Scheune bei Hannover. Ein Sensationsfund für VW-Fans. Der Schrotthaufen ist ein Vermögen wert.
[]