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1-2012
12. Januar 2012
Zur gerichtlichen Kontrolle der telekommunikationsrechtlichen Marktregulierung durch die Bundesnetzagentur Pressemitteilung Nr. 1/2012 vom 12. Januar 2012 Beschluss vom 08. Dezember 20111 BvR 1932/08 Das Telekommunikationsgesetz (TKG) weist der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen die Aufgabe der Regulierung des Wettbewerbs im Bereich der Telekommunikation zu. Bei der sogenannten Marktregulierung hat sie anhand bestimmter gesetzlicher Kriterien die Telekommunikationsmärkte festzulegen, die für eine Regulierung in Betracht kommen (Marktdefinition, § 10 TKG). Ihr obliegt ferner die Prüfung, ob auf dem betreffenden Markt wirksamer Wettbewerb besteht, was dann nicht der Fall ist, wenn ein oder mehrere Unternehmen auf dem Markt über beträchtliche Markmacht verfügen (Marktanalyse, § 11 TKG). Ende 2005 legte die Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur fest, dass mehrere Mobilfunknetzbetreiber, darunter auch die Beschwerdeführerin, auf dem Markt für Anrufzustellung in ihr jeweiliges Mobilfunknetz über eine solche beträchtliche Marktmacht verfügen. Auf dieser Grundlage erließ die Bundesnetzagentur 2006 eine Regulierungsverfügung, mit der sie der Beschwerdeführerin unter anderem Zugangsverpflichtungen nach § 21 TKG, insbesondere die Terminierung von Anrufen in ihr Mobilfunknetz, aufgab und anordnete, dass die von der Beschwerdeführerin für die Zugangsleistungen erhobenen Entgelte vorab genehmigt werden müssen. Die damit auch der behördlichen Genehmigung unterworfenen Terminierungsentgelte, die zunächst der Netzbetreiber des Anrufenden zu entrichten hat, haben für die Mobilfunknetzbetreiber erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Mit ihrer gegen die Regulierungsverfügung erhobenen Klage hatte die Beschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Erfolg (vgl. dessen Pressemitteilung Nr. 22/2008 vom 3. April 2008). Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Regulierungsverfügung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sei, weil der Bundesnetzagentur hinsichtlich der von ihr vorzunehmenden Marktdefinition und Marktanalyse ein Beurteilungsspielraum zustehe. Die Bundesnetzagentur habe zudem bei der Auferlegung der Regulierungsverpflichtungen die Grenzen des ihr insoweit eingeräumten Regulierungsermessens nicht überschritten. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz und sieht sich zudem in ihrer Berufsausübungsfreiheit verletzt. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen. Die Beschwerdeführerin ist nicht in ihren Grundrechten verletzt. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: 1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt zwar grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Sie schließt aber nicht aus, dass der Gesetzgeber der Verwaltung Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume eröffnet, welche die Rechtskontrolle von Exekutivakten durch die Gerichte einschränken. Ein Gericht verletzt das Gebot wirksamen Rechtsschutzes, wenn es ein behördliches Letztentscheidungsrecht annimmt, das mangels gesetzlicher Grundlage nicht besteht, und deshalb die vollständige Prüfung der Behördenentscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit unterlässt. Auch der Gesetzgeber ist nicht frei in der Einräumung behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse. Die Freistellung der Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle bedarf stets eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrunds. Bei Anwendung dieser Vorgaben ist die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Bundesnetzagentur bei der Marktdefinition und der Marktanalyse ein Beurteilungsspielraum zusteht, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht verwendet bei seiner Auslegung der §§ 10, 11 TKG anerkannte Auslegungsmethoden. Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik, des Normzwecks und des unionsrechtlichen Hintergrunds der Bestimmungen ist es vertretbar, diesen Regelungen die Einräumung eines weitreichenden Beurteilungsspielraums der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde bei der Marktdefinition und der Marktanalyse beizumessen. Des Weiteren bestehen für die Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte durch den Gesetzgeber tragfähige Sachgründe. Die in § 10 TKG genannten Kriterien zur Bestimmung der für eine Regulierung in Betracht kommenden Märkte hängen wesentlich von ökonomischen Einschätzungen ab. Ähnliches gilt für die Beantwortung der Frage, ob auf dem untersuchten Markt wirksamer Wettbewerb besteht (§ 11 Abs. 1 TKG). Die erkennbaren Schwierigkeiten einer gerichtlichen Vollkontrolle dieser Tatbestandsmerkmale durfte der Gesetzgeber zum Anlass nehmen, der Bundesnetzagentur einen entsprechenden Beurteilungsspielraum einzuräumen. Zudem begrenzt das Bundesverwaltungsgericht durch seine Interpretation der gesetzlichen Regelung den grundsätzlich auch für den Bereich der Marktregulierung vorausgesetzten wirksamen Rechtsschutz durch die Gerichte nicht insgesamt, sondern belässt den Fachgerichten genügend Möglichkeiten, aber auch die Pflicht zu einer substantiellen Kontrolle des behördlichen Handelns. 2. Weder die angegriffenen Entscheidungen noch die zugrunde liegende Rechtslage verletzen die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, da der Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist. Die Regulierung der Telekommunikationsmärkte nach dem Telekommunikationsgesetz verfolgt mit dem Schutz der Verbraucherinteressen und der Sicherstellung chancengleichen Wettbewerbs gewichtige Gemeinwohlziele. Dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass im Telekommunikationssektor insgesamt und nicht nur in ehemaligen Monopolbereichen die Gefahr unzureichender Marktverhältnisse besteht, der nicht allein mit den Mitteln des allgemeinen Wettbewerbsrechts begegnet werden kann. Auch trifft die Regulierungsverfügung die Beschwerdeführerin nicht unverhältnismäßig in ihrer Berufsausübungsfreiheit. Ihr Interesse an freier unternehmerischer Betätigung wird durch die Zugangsverpflichtung nicht übermäßig eingeschränkt, zumal auch sie selbst ein Interesse an der umfassenden Erreichbarkeit ihrer eigenen Mobilfunkkunden haben wird. Die finanziellen Folgen der Verfügung insbesondere der Genehmigungspflicht für die Entgelte der Zugangsgewährung erscheinen ebenfalls nicht unangemessen. Der Beschwerdeführerin wird kein finanzielles Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit auferlegt, sondern lediglich eine möglicherweise lukrative Preisgestaltung zulasten der Kunden der anderen Mobilfunknetz- sowie der Festnetzbetreiber unmöglich gemacht. Mit Beschlüssen vom 21. Dezember 2011 hat die Kammer unter Verweisung auf den Beschluss vom 8. Dezember 2011 gleichgelagerte Verfassungsbeschwerden von drei weiteren Mobilfunkunternehmen nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 1933/08, 1 BvR 1934/08 und 1 BvR 1935/08). nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 1932/08 - In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   der T... GmbH,   - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dolde, Mayen & Partner, Rheinauen Carré, Mildred-Scheel-Straße 1, 53175 Bonn -   1. unmittelbar gegen a) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 16.07 -, b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2007 - 1 K 3918/06 -, c) den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 29. August 2006 - BK 4c-06-001/R -, 2. mittelbar gegen § 10 Abs. 2 Satz 2, § 11 TKG   hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Kirchhof und die Richter Eichberger, Masing   gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 8. Dezember 2011 einstimmig beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.   Gründe: 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft insbesondere Fragen der gerichtlichen Kontrolldichte bei der telekommunikationsrechtlichen Marktregulierung nach dem Zweiten Teil des Telekommunikationsgesetzes (§§ 9 ff. TKG) durch die Bundesnetzagentur. I. 2 1. Die Beschwerdeführerin betreibt ein Mobiltelefonnetz. Die Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur legte Ende 2005 fest (vgl. Amtsblatt der Bundesnetzagentur 2006, S. 2429), dass unter anderem die Beschwerdeführerin „auf den regulierungsbedürftigen relevanten bundesweiten Märkten für Anrufzustellung in einzelnen Mobiltelefonnetzen ... über beträchtliche Marktmacht im Sinne des § 11 TKG“ verfügt. Auf dieser Grundlage erließ eine Beschlusskammer der Bundesnetzagentur am 29. August 2006 eine Regulierungsverfügung (Amtsblatt der Bundesnetzagentur 2006, S. 2271), mit der sie insbesondere der Beschwerdeführerin Zugangsverpflichtungen nach § 21 TKG auferlegte sowie Entgelte der Beschwerdeführerin für Zugangsleistungen gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 TKG der vorherigen Genehmigung nach Maßgabe des § 31 TKG unterwarf. 3 2. Die Klage der Beschwerdeführerin gegen die Regulierungsverfügung hatte teilweise Erfolg; das Verwaltungsgericht Köln hob mit Urteil vom 8. März 2007 (1 K 3918/06, juris) die Anordnung auf, soweit sie die Entgeltregulierung betraf. 4 3. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Urteil vom 2. April 2008 (BVerwG 6 C 16.07, juris - Parallelfall in BVerwGE 131, 41) die Klage der Beschwerdeführerin insgesamt ab. 5 Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass die Regulierungsverfügung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sei. 6 Der Bundesnetzagentur stehe „ein Beurteilungsspielraum in Bezug auf die von ihr zu verantwortende Marktdefinition und Marktanalyse“ (§§ 10 und 11 TKG) zu. Der Beurteilungsspielraum, den § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG seinem Wortlaut nach ausdrücklich einräume, erstrecke sich unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik und des Normzwecks auf die Marktdefinition und Marktanalyse insgesamt. Höherrangiges Gemeinschaftsrecht erlaube dies nicht nur, sondern gebiete ein solches Normverständnis. Ein Widerspruch zu nationalem Verfassungsrecht bestehe nicht. Daraus folge, dass das Gericht die Überprüfung einer von der Bundesnetzagentur gemäß §§ 10 und 11 TKG vorgenommenen Marktdefinition und Marktanalyse darauf erstrecken, aber auch begrenzen müsse, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten habe, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen sei, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt habe und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt habe. 7 Bei der Prüfung, ob die Zugangsverpflichtung gerechtfertigt sei und in einem angemessenen Verhältnis zu den Regulierungszielen nach § 2 Abs. 2 TKG stehe, habe die Bundesnetzagentur einen sieben Punkte umfassenden Katalog mit weiteren Abwägungsgesichtspunkten zu berücksichtigen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 TKG). Diese umfassende, durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe gesteuerte Abwägung könne von der Ermessensbetätigung der Bundesnetzagentur nicht getrennt werden, sondern sei vielmehr Bestandteil des ihr in Anlehnung an das Planungsermessen eingeräumten Regulierungsermessens. Das Regulierungsermessen werde fehlerhaft ausgeübt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden habe, in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt worden sei, was nach Lage der Dinge in sie habe eingestellt werden müssen, die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt worden sei oder der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen worden sei, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis stehe. 8 Die Entscheidung, ob eine nachträgliche Entgeltregulierung zur Erreichung der Regulierungsziele ausreiche, sei von der Bundesnetzagentur (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TKG) nach Maßgabe des ihr eingeräumten, vom Gericht auf Abwägungsfehler zu überprüfenden Regulierungsermessens zu entscheiden. 9 Auf der Grundlage dieser Maßstäbe sei die Regulierungsverfügung rechtlich nicht zu beanstanden. II. 10 Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Sie beanstandet, die vom Bundesverwaltungsgericht angelegten Maßstäbe der gerichtlichen Kontrolle, insbesondere bei der Marktdefinition und Marktanalyse nach §§ 10 und 11 TKG, sowie die Überprüfung der Regulierungsverfügung im konkreten Fall genügten nicht der verfassungsrechtlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes. 11 Darüber hinaus habe das Bundesverwaltungsgericht auch auf unverhältnismäßige Weise in ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit eingegriffen. III. 12 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. 13 1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Insbesondere sind die verfassungsrechtliche Zulässigkeit und Grenzen der Einräumung behördlicher Letztentscheidungsrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. jüngst BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 -, NVwZ 2011, S. 1062 <1064 f.> m.w.N.). Neue Fragen grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung werden in diesem Zusammenhang nicht aufgeworfen. 14 2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG, jeweils in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG, lässt sich nicht feststellen. Insbesondere verstößt das Bundesverwaltungsgericht nicht dadurch gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dass es bei der Kontrolle der angegriffenen Regulierungsverfügung von einem gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum der Bundesnetzagentur bei der Marktdefinition und Marktanalyse nach §§ 10 und 11 TKG ausgeht. 15 a) Soweit das Bundesverwaltungsgericht - wie von der Verfassungsbeschwerde in erster Linie angegriffen - einen Beurteilungsspielraum der Bundesnetzagentur bei der Marktdefinition und Marktanalyse annimmt, scheidet eine verfassungsgerichtliche Überprüfung des bundesverwaltungsgerichtlichen Standpunkts am Maßstab des Art. 19 Abs. 4 und des Art. 12 Abs. 1 GG nicht deshalb aus, weil dieser behördliche Spielraum womöglich durch Unionsrecht zwingend vorgegeben ist. 16 Das Bundesverwaltungsgericht ist allerdings der Auffassung, dass „höherrangiges Gemeinschaftsrecht“ die Einräumung eines Beurteilungsspielraums der Bundesnetzagentur bei der Marktdefinition und -analyse nicht nur erlaubt, sondern sogar „gebietet“ (BVerwG, a.a.O. Rn. 17 ff. unter Bezugnahme auf verschiedene Bestimmungen der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste <Rahmenrichtlinie - RRL>, ABl. EG 2002 Nr. L 108, S. 33, mit späteren Änderungen). 17 Es kann hier dahinstehen, ob die Richtlinienbestimmungen so, wie vom Bundesverwaltungsgericht angenommen, auszulegen sind, weil der von ihm den einschlägigen Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes entnommene Beurteilungsspielraum mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG in Einklang steht (zu einer entsprechenden Argumentation vgl. BVerfGE 125, 260 <306 f.>). Deshalb bedarf es auch nicht der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV (vgl. dazu BVerfGE 125, 260 <308>) zur Klärung der Frage, ob dem nationalen Gesetzgeber insoweit ein Umsetzungsspielraum verblieben ist. 18 b) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG. 19 aa) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 31. Mai 2011 (- 1 BvR 857/07 -, juris) unter Zusammenfassung und Weiterentwicklung seiner bisherigen Rechtsprechung zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen wirksamen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, insbesondere auch im Hinblick auf die Zulässigkeit und die verfassungsrechtlichen Grenzen behördlicher Letztentscheidungsrechte, ausgeführt: 20 (1) Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet. Der Bürger hat einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>; 113, 273 <310>). Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Das schließt eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen und Wertungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall rechtens ist, im Grundsatz aus (vgl. BVerfGE 15, 275 <282>; 61, 82 <110 f.>; 84, 34 <49>; 84, 59 <77>; 101, 106 <123>; 103, 142 <156>; BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011, a.a.O. Rn. 68). 21 Die materiell geschützte Rechtsposition ergibt sich allerdings nicht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG selbst, sondern wird darin vorausgesetzt (vgl. BVerfGE 61, 82 <110>; 78, 214 <226>; 83, 182 <194 f.>; 84, 34 <49>; stRspr). Neben den verfassungsmäßigen Rechten bestimmt das einfache Recht, welche Rechte der Einzelne geltend machen kann. Der Gesetzgeber befindet unter Beachtung der Grundrechte darüber, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zustehen und welchen Inhalt es haben soll (vgl. BVerfGE 78, 214 <226>; 83, 182 <195>; 113, 273 <310>; 116, 1 <11 f.>; BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011, a.a.O. Rn. 69). 22 Beruht die angefochtene Entscheidung auf der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, so ist deren Konkretisierung grundsätzlich Sache der Gerichte, die die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden uneingeschränkt nachzuprüfen haben. Die Regeln über die eingeschränkte Kontrolle des Verwaltungsermessens gelten nicht ohne weiteres auch für die Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe (vgl. BVerfGE 7, 129 <154>; 64, 261 <279>; 84, 34 <49 f.>). Dies schließt nicht aus, dass bei der Kontrolle der Verwaltung deren Eigenverantwortung Rechnung getragen und die gerichtliche Kontrolle - wie etwa im Planungsrecht - als eine nachvollziehende Kontrolle ausgestaltet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011, a.a.O. Rn. 70). 23 (2) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes schließt nicht aus, dass durch den Gesetzgeber eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume sowie die Tatbestandswirkung von Exekutivakten die Durchführung der Rechtskontrolle durch die Gerichte einschränken (vgl. BVerfGE 15, 275 <282>; 61, 82 <111>; 84, 34 <50 ff.>; 88, 40 <56>; 103, 142 <157>; 113, 273 <310>). Gerichtliche Kontrolle endet dort, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determiniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt (vgl. BVerfGE 88, 40 <61>; 103, 142 <156 f.>; 116, 1 <18>). 24 Ob dies der Fall ist, muss sich ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein. Demgegenüber kann es weder der Verwaltung noch den Gerichten überlassen werden, ohne gesetzliche Grundlage durch die Annahme behördlicher Letztentscheidungsrechte die Grenzen zwischen Gesetzesbindung und grundsätzlich umfassender Rechtskontrolle der Verwaltung zu verschieben. Andernfalls könnten diese „in eigener Sache“ die grundgesetzliche Rollenverteilung zwischen Exekutive und Judikative verändern. Nimmt ein Gericht ein behördliches Letztentscheidungsrecht an, das mangels gesetzlicher Grundlage nicht besteht, und unterlässt es deshalb die vollständige Prüfung der Behördenentscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit, steht dies nicht nur in Widerspruch zur Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern verletzt vor allem auch das Versprechen wirksamen Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011, a.a.O. Rn. 73 f.). 25 Auch der Gesetzgeber ist nicht frei in der Einräumung behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse. Zwar liegt es grundsätzlich in seiner Hand, den Umfang und Gehalt der subjektiven Rechte der Bürger zu definieren und so mit entsprechenden Folgen für den Umfang der gerichtlichen Kontrolle auch deren Rechtsstellung gegenüber der Verwaltung differenziert auszugestalten. Allerdings ist er hierbei durch die Grundrechte sowie durch das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip und die hieraus folgenden Grundsätze der Bestimmtheit und Normenklarheit gebunden. Will er im Übrigen gegenüber von ihm anerkannten subjektiven Rechten die gerichtliche Kontrolle zurücknehmen, hat er zu berücksichtigen, dass im gewaltenteilenden Staat grundgesetzlicher Prägung die letztverbindliche Normauslegung und auch die Kontrolle der Rechtsanwendung im Einzelfall grundsätzlich den Gerichten vorbehalten ist. Deren durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantierte Effektivität darf auch der Gesetzgeber nicht durch zu zahlreiche oder weitgreifende Beurteilungsspielräume für ganze Sachbereiche oder gar Rechtsgebiete aushebeln. Die Freistellung der Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle bedarf stets eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrunds (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011, a.a.O. Rn. 75). 26 Wie im Beschluss des Ersten Senats vom 31. Mai 2011 kann auch hier offen bleiben, ob gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbare Entscheidungsspielräume der Verwaltung ausnahmsweise auch ohne gesetzliche Grundlage von Verfassungs wegen dann zulässig sind, wenn eine weitergehende gerichtliche Kontrolle zweifelsfrei an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stieße (so offenbar in den Prüfungsfällen vgl. BVerfGE 84, 34 <50>; 84, 59 <77 f.>). Eine solche Konstellation liegt hier offensichtlich nicht vor. 27 bb) Bei Anwendung dieser Vorgaben ist die Annahme eines Marktdefinition und -analyse umfassenden Beurteilungsspielraums der Bundesnetzagentur durch das Bundesverwaltungsgericht gemessen am Maßstab der Rechtsschutzgarantie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 28 (a) Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass der in § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG der Bundesnetzagentur ausdrücklich für die Bestimmung der Märkte zugebilligte Beurteilungsspielraum sich „auf die Marktdefinition und -analyse insgesamt“ erstreckt. 29 Ob die §§ 10,11 TKG einen Beurteilungsspielraum dieses Umfangs normativ einräumen, ist zunächst eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts, die den Fachgerichten vorbehalten und vom Bundesverfassungsgericht nur auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts zu überprüfen ist (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; stRspr). 30 Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Annahme des Beurteilungsspielraums in Auslegung der §§ 10, 11 TKG die verfassungsrechtlichen Grenzen eingehalten, insbesondere weder die Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG noch des Art. 12 Abs. 1 GG verkannt und die Bestimmungen auch willkürfrei interpretiert. 31 (b) Das Bundesverwaltungsgericht verwendet bei seiner Auslegung der §§ 10, 11 TKG im Hinblick auf die Reichweite des Beurteilungsspielraums der Bundesnetzagentur die anerkannten Auslegungsmethoden. Es verweist ausdrücklich auf die Gesetzessystematik und den Normzweck und berücksichtigt den unionsrechtlichen Hintergrund der Bestimmungen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 14 ff.). 32 Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG werden „diese Märkte“ von der Bundesnetzagentur im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums bestimmt. „Diese Märkte“ sind nach der Gesetzessystematik die für eine Regulierung nach Teil 2 in Betracht kommenden Märkte (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG). Dass ein Markt für eine Regulierung in Betracht kommt, ist, worauf das Bundesverwaltungsgericht abstellt, tatbestandliche Voraussetzung einer Marktfestlegung nach § 10 Abs. 1 TKG. Die Festlegung des relevanten Marktes erfolgt dementsprechend nicht vor Anwendung des sogenannten Drei-Kriterien-Tests des § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG. Angesichts dessen ist es jedenfalls vertretbar anzunehmen, dass sich der normativ vorgesehene Beurteilungsspielraum nicht nur auf das Vorliegen der in § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG genannten Kriterien, sondern auch - jedenfalls teilweise - auf die Marktfestlegung nach § 10 Abs. 1 TKG erstreckt (vgl. etwa Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III, § 50 Rn. 292). Ohnehin hat die Festlegung der sachlich und räumlich relevanten Märkte ihrerseits im Hinblick auf die Beurteilung der Regulierungsbedürftigkeit zu erfolgen (vgl. etwa Schütz, in: Beck'scher TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 10 Rn. 110). 33 Von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist auch, dass das Bundesverwaltungsgericht aus der gesetzessystematisch engen Verknüpfung von Marktdefinition und Marktbewertung nach § 10 Abs. 1 und 2 TKG auf der einen und Marktanalyse nach § 11 TKG auf der anderen Seite auf einen einheitlichen Beurteilungsspielraum für all diese Vorgänge schließt. 34 § 11 Abs. 1 Satz 1 TKG knüpft schon in seinem Wortlaut, auf den das Bundesverwaltungsgericht besonders hinweist, ausdrücklich an § 10 TKG an. Gesetzeswortlaut und Gesetzessystematik lassen sich allerdings keine Gründe dafür entnehmen, weshalb gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TKG die Prüfung, ob auf dem untersuchten Markt wirksamer Wettbewerb besteht, „im Rahmen der Festlegung der nach § 10 für eine Regulierung nach diesem Teil in Betracht kommenden Märkte“ erfolgen soll. Auch der Blick auf die Entstehungsgeschichte erschließt dies nicht ohne weiteres. Danach geht die Formulierung auf den Referentenentwurf zum TKG 2004 zurück; dieser sah - anders als der nachfolgende Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 15/2316) - vor, dass bereits die Marktabgrenzung über die Regulierungsbedürftigkeit entscheidet (und nicht nur darüber, ob der Markt für eine Regulierung in Betracht kommt). Trotz Änderung der Regelungssystematik blieb der Wortlaut der Bestimmung insoweit unverändert, weshalb aus ihm wohl keine weitergehenden Rückschlüsse auf die hinter dieser Verknüpfung stehende gesetzgeberische Zwecksetzung gezogen werden dürfen. Es besteht im Übrigen (weitgehend) Einigkeit, dass die von der Bundesnetzagentur geforderte Marktanalyse im Anschluss an die Marktdefinition zu bewältigen ist (vgl. etwa Schneider, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 8 Rn. 21, 24). 35 Gleichwohl lassen sich der Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte für die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Reichweite des Beurteilungsspielraums entnehmen. Im Hinblick auf den Beurteilungsspielraum heißt es in dem erwähnten Referentenentwurf: „Welche Märkte die RegTP aufgrund des Fehlens funktionsfähigen Wettbewerbs als regulierungsbedürftig erachtet, unterliegt ihrem Beurteilungsspielraum und ist daher gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar.“ Diese Formulierung findet sich sodann wörtlich im Gesetzentwurf der Bundesregierung (vgl. BTDrucks 15/2316, S. 61), obwohl er bereits die Marktdefinition und die Marktanalyse als eigenständige Verfahrensschritte vorsieht. Das trägt durchaus den Schluss, dass die Verfasser des Gesetzentwurfs von einer erheblichen Reichweite des Beurteilungsspielraums ausgingen. Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens hat diese Frage ausweislich der veröffentlichen Materialien (vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit vom 10. März 2004 <BTDrucks 15/2674>, Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit vom 10. März 2004 <BTDrucks 15/2679> und Plenarprotokoll 15/98, S. 8763 ff.) keine besondere Rolle gespielt. 36 Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kann sich schließlich auch darauf stützen, dass bei Verabschiedung des Telekommunikationsgesetzes 2004 im Frühjahr 2004 die „Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste“ bereits seit Längerem vorlagen und diese Leitlinien in Nr. 22, worauf das Bundesverwaltungsgericht zu Recht hinweist, davon ausgehen, dass - gemeinschaftsrechtlich geboten - der nationalen Regulierungsbehörde bei der Marktdefinition und der Marktanalyse ein „weitreichender Ermessensspielraum“ - nach deutschem Verwaltungsrecht ein „weitreichender Beurteilungsspielraum“ - zusteht. Es ist davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber das Telekommunikationsgesetz nicht, jedenfalls nicht ohne entsprechende Begründung, im Widerspruch zu der in den Leitlinien geäußerten Auffassungen der Kommission ausgestalten wollte. 37 (c) Für die Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte durch den Gesetzgeber bestehen tragfähige Sachgründe (zu dieser Voraussetzung vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011, a.a.O. Rn. 75). 38 Die in § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG genannten Kriterien zur Bestimmung der für eine Regulierung in Betracht kommenden Märkte („beträchtliche und anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Marktzutrittsschranken“, „längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren“ und „Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht“) enthalten, insbesondere im zweiten und dritten Kriterium, sowohl wertende als auch prognostische Elemente, welche die Charakterisierung einer Annahme als „richtig“ oder „falsch“ nicht bezüglich aller Einzelheiten zulassen (vgl. etwa Ellinghaus, CR 2009, S. 87 <89>), weil sie vor allem wesentlich von ökonomischen Einschätzungen abhängen. Ähnliches gilt für die Beantwortung der Frage, ob auf dem untersuchten Markt wirksamer Wettbewerb besteht (§ 11 Abs. 1 TKG), zumal sie in engem Zusammenhang mit der Frage steht, ob dieser Markt längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendiert (§ 10 Abs. 2 Satz 1 TKG). Die erkennbaren Schwierigkeiten einer gerichtlichen Vollkontrolle dieser Tatbestandsmerkmale durfte der Gesetzgeber zum Anlass nehmen, der Bundesnetzagentur im Rahmen des ihm insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums einen entsprechenden Beurteilungsspielraum einzuräumen. 39 (d) Schließlich ist nicht erkennbar, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Verständnis des der Bundesnetzagentur eingeräumten Beurteilungsspielraums den §§ 10, 11 TKG eine Deutung gibt, die den in Art. 19 Abs. 4 GG generell und damit grundsätzlich auch für den Bereich der Marktregulierung nach dem zweiten Teil des Telekommunikationsgesetzes vorausgesetzten wirksamen Rechtsschutz durch die Gerichte aushebelt (zu diesem verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab vgl. wiederum BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 31. Mai 2011, a.a.O. Rn. 75). 40 Das Bundesverwaltungsgericht hat die Reichweite des Beurteilungsspielraums in §§ 10, 11 TKG so interpretiert, dass die Fachgerichte die Überprüfung einer von der Bundesnetzagentur vorgenommenen Marktdefinition und -analyse darauf zu erstrecken, aber auch zu begrenzen haben, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt hat. Ein solches Verständnis der gesetzlichen Regelung belässt den Fachgerichten genügend Möglichkeiten aber in diesem Rahmen auch die Pflicht zu einer substantiellen Kontrolle des behördlichen Handelns. Ein generelles Rechtsschutzdefizit, das mit der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar wäre, ist vor dem Hintergrund des von vornherein durch eine Beurteilungsermächtigung gekennzeichneten Inhalts des subjektiven Rechts danach nicht erkennbar. 41 Im Ergebnis versteht das Bundesverwaltungsgericht vielmehr die subjektive Rechtsstellung der auf dem Telekommunikationsmarkt tätigen Unternehmen bezüglich ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten als durch einen - gesetzlich näher präzisierten - Regulierungsvorbehalt inhaltlich beschränkt; es stellt in diesem Sinne auch ausdrücklich auf Grenzen der materiellrechtlichen Bindung der Exekutive ab (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 20). Hinsichtlich der streitgegenständlichen Regulierungsentscheidungen haben danach die Telekommunikationsunternehmen, wie hier die Beschwerdeführerin, materiell nur Anspruch auf eine Regulierungsentscheidung, die sich in dem vom Bundesverwaltungsgericht dem Gesetz entnommenen Überprüfungsrahmen hält. 42 cc) Eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG ist auch nicht erkennbar in der konkreten Kontrolle des angegriffenen Beschlusses der Bundesnetzagentur durch das Bundesverwaltungsgericht (ungeachtet der Beachtung des Beurteilungsspielraums auf der Tatbestandsseite und eines planungsähnlichen Ermessens auf der Rechtsfolgenseite der Regulierung). Das Urteil belegt im Gegenteil, dass trotz dieser Einschränkungen der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis in deren Handhabung durch das Bundesverwaltungsgericht ein ausreichendes Maß substantieller gerichtlicher Kontrolle verbleibt, die sowohl Art. 19 Abs. 4 GG als auch Art. 12 Abs. 1 GG (dazu sogleich unter c) genügt, der die Ausgestaltung der subjektiven Rechtsposition der Marktteilnehmer anleitet. 43 Das Bundesverwaltungsgericht überprüft die von der Bundesnetzagentur unter weitestgehender Berücksichtigung der Empfehlung der Europäischen Kommission vorgenommene Marktdefinition und -analyse konsequent anhand der von ihm umschriebenen Kontrollparameter für den behördlichen Beurteilungsspielraum (a.a.O. Rn. 22-37), ohne dass die Subsumtion Anlass zu durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwänden gäbe. Dabei übernehmen weder Bundesnetzagentur noch das Bundesverwaltungsgericht die Märkteempfehlung der Kommission ungeprüft. Das Bundesverwaltungsgericht misst ihr auch keine originäre Rechtsverbindlichkeit bei (a.a.O. Rn. 24), sondern behandelt sie unter Berufung auf Art. 15 Abs. 1, 3 RRL und § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG als gesetzliche Vermutung (a.a.O. Rn. 25), deren Berechtigung im konkreten Fall es auch inhaltlich nachgeht (a.a.O. Rn. 27 ff.). Das steht im rechtlichen Ansatz wie in der Durchführung mit Art. 19 Abs. 4 GG in Einklang; eine höhere gerichtliche Kontrolldichte ist angesichts der normativen Einräumung eines Beurteilungsspielraums von Verfassungs wegen insoweit nicht geboten. 44 c) Weder die angegriffenen Entscheidungen noch die zugrunde liegende Rechtslage verletzen die Beschwerdeführerin in Art. 12 Abs. 1 GG. 45 aa) Das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG schützt das berufsbezogene Verhalten einzelner Personen oder Unternehmen am Markt (vgl. BVerfGE 115, 205 <229> m.w.N.). Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art. 12 Abs. 1 GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen (vgl. BVerfGE 105, 252 <265>). Dabei schließt die Garantie der freien Berufsausübung auch die Freiheit ein, das Entgelt für berufliche Leistungen mit dem Interessenten auszuhandeln (vgl. BVerfGE 121, 317 <345>). 46 bb) Die Auferlegung der Regulierungsverpflichtungen durch die Bundesnetzagentur und die Bestätigung ihrer Rechtmäßigkeit durch die Gerichte greifen damit in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführerin ein. Der Eingriff ist auch von erheblichem Gewicht. Denn der Beschwerdeführerin wird insbesondere ein Kontrahierungszwang auferlegt und die Freiheit genommen, Entgelte für Zugangsleistungen nach ihren Vorstellungen zu fordern. 47 Dieser Eingriff ist jedoch gerechtfertigt. Die Regulierung der Telekommunikationsmärkte nach dem 2. Teil des Telekommunikationsgesetzes verfolgt insbesondere mit dem Schutz der Verbraucherinteressen und der Sicherstellung chancengleichen Wettbewerbs (vgl. §§ 1, 2 Abs. 2 TKG) gewichtige Gemeinwohlziele und erweist sich im Falle der hier angegriffenen Regulierungsverfügung als verhältnismäßig. 48 Es ist - nicht zuletzt mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der einschlägigen Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes (vgl. BTDrucks 15/2316, S. 1, 68) - nicht zweifelhaft, dass der Gesetzgeber das Regulierungsinstrumentarium auch auf die Mobilfunkmärkte erstrecken wollte, obwohl ein staatliches Monopol im Mobilfunkbereich nicht bestanden hatte. Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass im Telekommunikationssektor insgesamt und nicht nur in ehemaligen Monopolbereichen die Gefahr unzureichender Marktverhältnisse besteht, der nicht allein mit den Mitteln des allgemeinen Wettbewerbsrechts begegnet werden kann. Angesichts des dem Gesetzgeber zukommenden weiten Einschätzungsspielraums bei der Frage, ob bestimmte Marktbereiche generell einem Regulierungsregime unterworfen werden sollen, besteht kein Anlass zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des nicht auf ehemals monopolistisch strukturierte Märkte beschränkten Anwendungsbereichs des Teils 2 des Telekommunikationsgesetzes, zumal konkrete Regulierungsmaßnahmen vorab die spezifische Marktdefinition und Marktanalyse nach den §§ 10, 11 TKG durch die Bundesnetzagentur voraussetzen und ihrerseits jeweils an strenge Tatbestandsvoraussetzungen gebunden sind. 49 Es ist nicht erkennbar, dass die angegriffene Regulierungsverfügung selbst die Beschwerdeführerin unverhältnismäßig in ihrer Berufsausübungsfreiheit trifft. Ihr Interesse an freier unternehmerischer Betätigung wird durch die Zusammenschaltungs-, Terminierungs- und Kollokationsverpflichtungen nicht übermäßig eingeschränkt, zumal auch sie selbst ein Interesse an der umfassenden Erreichbarkeit ihrer eigenen Mobilfunkkunden haben wird. Die finanziellen Folgen der Verfügung - insbesondere der Genehmigungspflicht für die Entgelte der Zugangsgewährung und Kollokation - erscheinen nicht unangemessen. Namentlich wird der Beschwerdeführerin angesichts des Maßstabs der Kosten der effizienten Leistungserbringung nach § 31 Abs. 1 TKG kein finanzielles Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit auferlegt. Ihr wird lediglich ein möglicherweise lukratives Geschäft zulasten der Kunden der anderen Mobilfunknetz- sowie der Festnetzbetreiber unmöglich gemacht. 50 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. 51 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Kirchhof Eichberger Masing
bundesverfassungsgericht
56-2009
4. Juni 2009
Verfassungsbeschwerde gegen Ablehnung eines Antrags auf Rehabilitierung erfolgreich Pressemitteilung Nr. 56/2009 vom 4. Juni 2009 Beschluss vom 13. Mai 20092 BvR 718/08 Der 1955 geborene Beschwerdeführer befand sich von 1961 bis 1967 in Heimerziehung und anschließend zwangsweise bis Januar 1972 in verschiedenen Einrichtungen in der ehemaligen DDR. Der Beschwerdeführer beantragte in einem gesonderten Verfahren seine Rehabilitierung wegen der Unterbringung in zwei Jugendwerkhöfen, die ihm mit Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 15. Dezember 2004 nur im Hinblick auf eine Heimunterbringung gewährt wurde. Im Dezember 2006 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht Magdeburg seine Rehabilitierung in Bezug auf die übrige Unterbringung in Kinderheimen der DDR; der Antrag wurde vom Landgericht Magdeburg zurückgewiesen. Begründet wurde die Zurückweisung u.a. mit der örtlichen Unzuständigkeit, aber auch damit, dass eine Freiheitsentziehung nach § 2 StrRehaG bei Kinderheimen und sonstigen Einrichtungen der Jugendhilfe der DDR ohne Strafcharakter in der Regel nicht vorgelegen habe. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass die Einweisung in ein Kinderheim unter Zugrundelegung des Standes der pädagogischen Wissenschaften im Jahr 1961 mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar gewesen sei. Es fänden sich keine Hinweise für politische Verfolgung. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Naumburg zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Menschenwürde nach Art. 1 GG sowie seines Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 GG und des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG im Hinblick auf die ihm widerfahrene Behandlung in den verschiedenen Heimen. Die 2. Kammer des Zweiten Senats hat den Beschluss aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Naumburg zurückverwiesen, weil die Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot verletzt. Die durch das Oberlandesgericht vorgenommene enge Auslegung, nur Maßnahmen, die durch eine strafrechtlich relevante Tat veranlasst worden seien, können nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz rehabilitiert werden, hält verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand. Diese Auslegung des § 2 StrRehaG ist sinnwidrig und führt im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung in § 1 Abs. 1 StrRehaG auch über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu einer unzulässigen Beschränkung der Rehabilitierung von Freiheitsentziehungen auf Fälle, denen eine von der DDR-Justiz als strafrechtlich relevant eingeordnete Tat zugrunde gelegen hat. Mit dieser Auslegung wird die gesetzgeberische Absicht zunichte gemacht, Freiheitsentziehungen auch außerhalb eines Strafverfahrens und über Einweisungen in psychiatrische Anstalten hinaus, rehabilitierungsfähig zu machen. Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird dadurch in nicht vertretbarer, d em gesetzgeberischen Willen entgegenstehender, Weise verengt. Es handelt sich um eine krasse Missdeutung des Inhalts der Norm, die auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvR 718/08 - Im Namen des Volkes In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   des Herrn W …   gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 10. März 2008 - 1 Ws Reh 131/08 –     hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Broß, Di Fabio und Landau am 13. Mai 2009 einstimmig beschlossen:   Der Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 10. März 2008 - 1 Ws Reh 131/08 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Das Land Sachsen-Anhalt hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.   Gründe: 1 Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Rehabilitierung wegen der Unterbringung in Kinderheimen und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe der DDR. I. 2 1. Der 1955 geborene Beschwerdeführer wurde im Jahr 1961 nach der Scheidung seiner Eltern in das Kinderheim „E. W.“ nach M. verbracht. In der Folgezeit war er bis 1966 weiterhin in dem Kinderheim „W. T.“ in B. bei B., einem weiteren Kinderheim in A. bei M. und schließlich im Kinderheim O. B. untergebracht. Im Jahr 1966 wurde er aus der Heimerziehung entlassen, 1967 jedoch zwangsweise in das Kombinat der Sonderheime der DDR verbracht. Bis 1970 war der Beschwerdeführer im Kombinat der Sonderheime zunächst in W. in B. und anschließend in B. bei B. untergebracht, bevor er am 8. Juli 1970 in den Jugendwerkhof H. und von dort vorübergehend zwischen dem 17. September 1971 und dem 31. Januar 1972 in den Geschlossenen Jugendwerkhof T. verbracht wurde. In einem Bericht des Jugendwerkhofs H. vom 21. September 1971 werden als Grund für die Einweisung in das Kombinat der Sonderheime 1967/68 sich verfestigende Fehlverhaltensweisen wie Rohheitsdelikte gegenüber Kindern, Wutausbrüche und Sachbeschädigungen genannt. 3 2. In einem gesonderten Verfahren beantragte der Beschwerdeführer seine Rehabilitierung wegen der Unterbringung in den Jugendwerkhöfen H. und T., die ihm mit Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 15. Dezember 2004 in Bezug auf den Geschlossenen Jugendwerkhof T. gewährt, im Übrigen jedoch vom Brandenburgischen Oberlandesgericht verwehrt wurde. 4 3. Am 6. Dezember 2006 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht Magdeburg seine Rehabilitierung in Bezug auf die übrige Unterbringung in Kinderheimen der DDR. Durch die ständige Verlegung von einem Heim ins andere sei es bei ihm zu einer Zerstörung von Privatsphäre und völliger Kontaktlosigkeit gekommen, die seelische und körperliche Schäden hinterlassen hätten. Bei der Entlassung aus der Heimerziehung im Jahr 1966 im Alter von elf Jahren sei der Beschwerdeführer mit normalen Kindern nicht mehr vergleichbar gewesen. Das Kombinat der Sonderheime, in das er 1967 verbracht worden sei, stelle eine absolute Sondereinrichtung unter den Heimen der DDR dar. Die Unterbringung komme gezielter Freiheitsentziehung gleich, da unter anderem Türen und Fenster vergittert gewesen seien und es vielfältige Misshandlungen wie Arrest, Essensentzug, stundenlanges Stehen, auch barfuß und nur mit Unterwäsche bekleidet, Schlafentzug und körperliche Übergriffe gegeben habe. Auch sei er gezwungen worden, Tabletten einzunehmen. 5 4. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2007 wies das Landgericht Magdeburg den Antrag des Beschwerdeführers zurück. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts sei zweifelhaft, da es auf den Sitz der Behörde ankomme, die die Anordnung zur Aufnahme in ein Kinderheim oder eine Einrichtung der Jugendhilfe getroffen habe. Danach ergebe sich die Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg wahrscheinlich nur für die Kinderheime „E. W.“ in M. und „W. T.“ in B. bei B. Im Übrigen sei der Antrag des Betroffenen aber auch unbegründet. Nachforschungen beim Landkreis J. L. (B.), beim Landesverwaltungsamt - Landesjugendamt - des Landes Sachsen-Anhalt, bei der Stiftung Evangelische Jugendhilfe St. J. B. und bei der Landeshauptstadt Magdeburg hätten keinerlei Akten hinsichtlich des Beschwerdeführers zutage gefördert. Auch unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers komme eine Rehabilitierung nicht in Betracht; denn eine Freiheitsentziehung nach § 2 StrRehaG habe bei Kinderheimen und sonstigen Einrichtungen der Jugendhilfe der DDR ohne Strafcharakter in der Regel nicht vorgelegen. Etwas anderes gelte lediglich für den Jugendwerkhof T. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass die Einweisung in ein Kinderheim unter Zugrundelegung des Standes der pädagogischen Wissenschaften im Jahr 1961 mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar gewesen sei. Es fänden sich keine Hinweise für politische Verfolgung. 6 5. In seiner dagegen gerichteten Beschwerde vom 22. Januar 2008 trug der Beschwerdeführer über den Rehabilitierungsantrag hinaus vor, dass er während der Ehe seiner Eltern massiven Gewaltexzessen des häufig betrunkenen Vaters ausgesetzt gewesen sei. Nach der Scheidung sei er ein Jahr zu früh eingeschult worden und damit überfordert gewesen. Durch die Einweisung in das Kinderheim sei er zusätzlich traumatisiert worden. Eine individuelle Persönlichkeitsbildung sei nicht möglich gewesen. Im Heim habe es seitens des Erziehungspersonals und auch unter den Kindern häufig Gewalt gegeben; Gewalt unter den Kindern sei von den Erziehern nicht geahndet, sondern das Opfer der Gewalt oft noch bestraft worden. Als er mit sieben Jahren Bettnässer geworden sei, sei dies mit Essensentzug und Strafarbeiten sowie Diskriminierung vor den anderen Kindern bestraft worden; Päckchen von zu Hause seien nicht weitergegeben worden. Schließlich sei behauptet worden, der Beschwerdeführer sei an einer latenten Epilepsie erkrankt. 7 Nach einer plötzlichen Entlassung aus dem Heim im Jahr 1966 habe der Beschwerdeführer erhebliche Probleme gehabt, sich an ein selbstbestimmtes Leben zu gewöhnen. In der Schule seien Störungen, für die er nicht verantwortlich gewesen sei, ihm vorgeworfen worden. Es habe eine Hetzkampagne gegen ihn gegeben, die dazu geführt habe, dass die Lehrerschaft sich geweigert habe, ihn weiter zu unterrichten. Damit sei die Einweisung in das Kombinat der Sonderheime eingeleitet worden. Das Heim sei von der Außenwelt abgeschnitten gewesen; Türen und Fenster der Einrichtung seien gesichert gewesen. Es habe Gruppenzwang geherrscht, gemeinsame Anstaltskleidung, Verbot des Postverkehrs, Verbot, Rundfunk und Fernsehen zu nutzen, finanzielle Unselbständigkeit. In der Aufnahmestation und auch später seien dem Beschwerdeführer ohne Grund und unter Anwendung körperlicher Gewalt Medikamente verabreicht worden, die zum Teil zu Unwohlsein, Erbrechen, Übelkeit, Kopfschmerz und motorischer Unruhe geführt hätten. Während der Nachtruhe mit anderen zu sprechen sei damit bestraft worden, dass man zum Teil zwei bis drei Stunden in den Toilettenraum eingeschlossen worden sei oder sportliche Übungen auf dem Appellplatz ohne angemessene Kleidung habe machen müssen. Es habe auch körperliche Übergriffe von Erziehern gegeben. Weiterhin habe es Übergriffe der Kinder untereinander gegeben. Das Klima in der Einrichtung sei wie ein Pulverfass gewesen. Kinder seien zum Teil wie Tiere in den Duschraum getrieben und unter kalte Duschen gestellt worden, bis sie sich wieder beruhigt hatten. In einem Urlaub bei seinen Eltern nach dem Schuljahr 1969 sei von einem Neurologen diagnostiziert worden, dass keine Epilepsie bestehe. 8 Die Verhaltensauffälligkeiten, die zu der Einweisung in den Jugendwerkhof T. geführt hätten, seien erst durch die Heimerziehung entstanden und könnten nicht als Begründung für die Einweisung im Jahr 1961 dienen. Die Unterbringung in den geschlossenen Heimen sei einer Freiheitsentziehung gleichzusetzen. Dies gelte insbesondere für das Leben im Kombinat der Sonderheime. 9 Der Beschwerdeschrift waren 16 Anlagen beigelegt, darunter Schreiben der Heimleitungen und Briefe des Beschwerdeführers aus seiner Zeit in den Heimen. 10 6. Mit Beschluss vom 10. März 2008 verwarf das Oberlandesgericht Naumburg die Beschwerde als unbegründet. Die Unterbringung in Jugendwerkhöfen der ehemaligen DDR sei zwar von der Rechtsprechung als Freiheitsentziehung im Sinne des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes gewertet worden. Ob das für die Unterbringung in Kinderheimen entsprechend gelte, sei zweifelhaft, könne aber dahinstehen. Jedenfalls komme eine Rehabilitierung nur in Betracht, wenn auch die übrigen Voraussetzungen nach § 1 StrRehaG gegeben seien, also die Einweisung mit wesentlichen Grundsätzen einer rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sei, was insbesondere dann der Fall sei, wenn die Entscheidung politischer Verfolgung gedient habe oder die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu einer zugrunde liegenden Tat stünden. Für eine politische Verfolgung lägen hier keine Anhaltspunkte vor. Ebenso sei nicht ersichtlich, dass eine „Tat“ des Beschwerdeführers die Anordnung der Unterbringung in einem Kinderheim zur Folge gehabt hätte. Hintergrund der Unterbringung seien vielmehr die ungünstigen Familienverhältnisse und daraus resultierende Erziehungsaspekte gewesen. Die Richtigkeit der Maßnahmen als solche zu überprüfen sei nicht Aufgabe des strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens. II. 11 Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Menschenwürde nach Art. 1 GG sowie seines Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 GG und des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG im Hinblick auf die ihm widerfahrene Behandlung in den verschiedenen Heimen. 12 Die Feststellung des Oberlandesgerichts, nicht eine Tat des Beschwerdeführers habe zu der Unterbringung geführt, sondern die ungünstigen familiären Verhältnisse, könne die Ablehnung des Antrags nicht begründen. Die Unterbringung sei zu einem sachfremden Zweck erfolgt; dies liege nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz schon vor, wenn der Zweck einer Maßnahme nur dazu diene, dem Betroffenen ein sozialistisches Menschenbild aufzuzwingen. 13 Weiterhin rügt der Beschwerdeführer sinngemäß eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: Das Landgericht habe keine klare Entscheidung über seine örtliche Zuständigkeit getroffen. Schließlich rügt er sinngemäß auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, indem er vorträgt, die Gerichte seien auf sein Vorbringen zu den Zuständen in dem Kombinat der Sonderheime nicht eingegangen. III. 14 Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 3 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Ebenso ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet. 15 1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 10. März 2008 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. 16 a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht Entscheidungen der Fachgerichte nur in einem eingeschränkten Umfang überprüft. Ihm obliegt keine Kontrolle dahin, ob die Fachgerichte das einfache Recht im Sinne einer größtmöglichen Gerechtigkeit richtig anwenden. Es greift vielmehr nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte ein. Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>). 17 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot dann verletzt, wenn die Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 83, 82 <84>; 86, 59 <63>; 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>). Dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist im objektiven Sinne zu verstehen als eine Maßnahme, welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (vgl. BVerfGE 83, 82 <84>; 86, 59 <63>), oder als die krasse Missdeutung des Inhalts einer Norm, durch die ein gesetzgeberisches Anliegen grundlegend verfehlt wird (vgl. BVerfGE 86, 59 <64>; 87, 273 <279>; 96, 189 <203>). 18 b) Die angegriffene Entscheidung ist danach mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. 19 aa) Nach § 1 Abs. 1 StrRehaG ist neben dem Vorliegen einer strafrechtlichen Verurteilung oder einer sonstigen eine Freiheitsentziehung anordnenden Entscheidung im Sinne des § 2 StrRehaG Voraussetzung für die Rehabilitierung, dass die Maßnahme mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist. § 1 Abs. 1 StrRehaG enthält zur Konkretisierung dieses Tatbestandsmerkmals in den Nrn. 1 und 2 zwei - nicht abschließende - Beispiele, was an der Verwendung des Wortes „insbesondere“ deutlich wird: Die Maßnahme kann insbesondere deshalb mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar gewesen sein, weil die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat (Nr. 1) oder weil die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat stehen (Nr. 2). 20 Das Oberlandesgericht stellt diese gesetzlichen Voraussetzungen in seiner Entscheidung dar und prüft anschließend das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StrRehaG. Für eine politische Verfolgung lägen keine Anhaltspunkte vor. Bezüglich § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG geht das Oberlandesgericht davon aus, dass es zu einer weiteren Prüfung nicht verpflichtet sei, da Anlass für die Unterbringung des Beschwerdeführers in den Heimen nicht eine bestimmte Tat, sondern die ungünstigen familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers und daraus resultierende Erziehungsaspekte gewesen seien. Die Richtigkeit darauf beruhender Maßnahmen, die weder Strafe seien noch als solche verstanden werden könnten, als solche zu überprüfen sei jedoch nicht Aufgabe des strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens. Auch eine Prüfung des gesetzlichen Oberbegriffs - Unvereinbarkeit der Maßnahme mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung - unterbleibt. 21 Dieses Verständnis des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG erscheint schon in einfach-rechtlicher Hinsicht zweifelhaft: Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz bezieht sich in erster Linie auf die Rehabilitierung wegen strafrechtlicher Verurteilungen, die jeweils an eine bestimmte Tat anknüpfen. Nach § 2 StrRehaG in seiner ursprünglichen Fassung war daneben eine Rehabilitierung nur für Einweisungen in psychiatrische Anstalten vorgesehen, die aus Gründen politischer Verfolgung oder zu sonstigen sachfremden Zwecken erfolgten. Infolge einer Änderung des § 2 StrRehaG durch Gesetz vom 23. Juni 1994, BGBl I S. 1311, erfasst das Gesetz nunmehr aber auch außerhalb eines Strafverfahrens ergangene Entscheidungen, mit denen eine Freiheitsentziehung angeordnet wurde. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu ausdrücklich, § 2 werde auf alle rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehungen ausgedehnt, die außerhalb von Strafverfahren erfolgten (vgl. BRDrucks 92/93, S. 149). Im Hinblick darauf kann der Begriff der „Tat“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG nicht nur als eine bestimmte möglicherweise strafrechtlich relevante Verhaltensweise, sondern muss allgemein als der Anlass für die die Freiheitsentziehung anordnende Entscheidung verstanden werden. Anderenfalls verlöre die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Gesetzes auf Freiheitsentziehungen, die außerhalb eines Strafverfahrens angeordnet wurden, nach § 2 StrRehaG ihren Sinn. In diesem Sinne muss es auch Aufgabe des strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens sein, das Vorliegen eines Missverhältnisses zwischen dem Anlass für die die Freiheitsentziehung anordnende Entscheidung und den angeordneten Rechtsfolgen zu prüfen. 22 Im Übrigen hätte das Oberlandesgericht selbst bei Zugrundelegung seiner Auslegung nach der oben dargelegten Systematik des Gesetzes prüfen müssen, ob die - nach seiner Auffassung eventuell vorliegende - Freiheitsentziehung in sonstiger Weise mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar war. Eine solche Prüfung unterblieb jedoch. 23 bb) Diese Anwendung des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes durch das Oberlandesgericht hält den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand. 24 Die Annahme des Oberlandesgerichts, nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz seien nur Maßnahmen rehabilitierungsfähig, die durch eine strafrechtlich relevante Tat veranlasst worden seien, führt - im Hinblick auf § 2 StrRehaG sinnwidrig und im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung in § 1 Abs. 1 StrRehaG auch über den Wortlaut des Gesetzes hinaus - zu einer Beschränkung der Rehabilitierung von Freiheitsentziehungen auf Fälle, denen eine von der DDR-Justiz als strafrechtlich relevant eingeordnete Tat zugrunde gelegen hat. Mit dieser Auslegung wird die gesetzgeberische Intention, durch die Erweiterung des § 2 StrRehaG auch außerhalb eines Strafverfahrens angeordnete Freiheitsentziehungen, auch über Einweisungen in psychiatrische Anstalten hinaus, rehabilitierungsfähig zu machen, zunichte gemacht. Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird dadurch in nicht vertretbarer, weil dem gesetzgeberischen Willen entgegenstehender Weise verengt. Es handelt sich um eine krasse Missdeutung des Inhalts der Norm, die auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. 25 2. Ob die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der weiteren Rügen begründet ist, kann hier dahinstehen, da bereits die festgestellte Grundrechtsverletzung die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung erfordert. 26 3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Die Zurückverweisung gibt dem Oberlandesgericht auch Gelegenheit, bei seiner erneuten Entscheidung den ausführlichen Vortrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Umstände der Unterbringung in den verschiedenen Heimen und deren Auswirkungen auf die Einordnung der Unterbringung als Freiheitsentziehung und auf die Frage der Unvereinbarkeit der Maßnahme mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung, insbesondere auf das Vorliegen eines groben Missverhältnisses der angeordneten Rechtsfolgen im Verhältnis zu der zugrunde liegenden Tat im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG, zu berücksichtigen. 27 4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.   Broß Di Fabio Landau
bundesverfassungsgericht
71-2009
26. Juni 2009
Äußerung "Durchgeknallter Staatsanwalt" stellt nicht zwingend eine Beleidigung dar Pressemitteilung Nr. 71/2009 vom 26. Juni 2009 Beschluss vom 12. Mai 20091 BvR 2272/04 Der Beschwerdeführer ist Journalist, Verleger, Publizist und Mitherausgeber einer großen deutschen Zeitung. Im Juni 2003 strahlte der Fernsehsender "n-tv" die Sendung "Talk in Berlin" aus, an der sich der Beschwerdeführer als Diskussionsteilnehmer beteiligte. Die Sendung befasste sich mit dem seinerzeit in den Medien viel beachteten Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden, Rechtsanwalt und Moderator Dr. F., der in den Verdacht des unerlaubten Umgangs mit Betäubungsmitteln geraten war. Im Rahmen der Sendung äußerte der Beschwerdeführer u.a.: "Und ich bin ganz sicher, dass dieser staatsanwaltliche, man muss wirklich sagen: Skandal eines ganz offenkundig, ich sag`s ganz offen, durchgeknallten Staatsanwaltes, der hier in Berlin einen außerordentlich schlechten Ruf hat, der vor einem Jahr vom Dienst suspendiert worden ist, der zum ersten Mal überhaupt wieder tätig wird. Dieser Skandal wird zweifellos dazu führen, dass sich die hiesige Justizbehörde und die ihr zugeordnete Staatsanwaltschaft fragen muss, ob man auf diese Art und Weise gegen Privatpersonen vorgehen kann." Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 300,00 €. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Bezeichnung als "durchgeknallt" umgangssprachlich in dem Sinne von "verrückt" oder "durchgedreht" verstanden werde. Hierin liege aber eine Schmähkritik, die allein auf die Diffamierung des Betroffenen ziele und deshalb generell unzulässig sei. Die Revision gegen das Urteil verwarf das Kammergericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ohne weitere Begründung. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Entscheidungen aufgehoben, weil sie das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Gerichte haben die Bezeichnung als "durchgeknallt" zu Unrecht als generell unzulässige Schmähkritik angesehen und deshalb die hier gebotene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers nicht vorgenommen. Weil der Begriff der Schmähkritik eine besonders gravierende Ehrverletzung bezeichnet, bei der noch nicht einmal mehr eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet, sondern die Meinungsfreiheit absolut verdrängt wird, ist dieser Begriff eng zu definieren. Selbst eine für sich genommen herabsetzende Äußerung wird zu einer Schmähkritik erst dann, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Auch wenn der Bezeichnung als "durchgeknallt" als solcher ehrverletzender Gehalt zukommt, muss bei Beurteilung einer schmähenden Wirkung der Zusammenhang berücksichtigt werden, in dem die Äußerung fällt. Der Kontext der Äußerung im Zusammenhang mit der Kritik an der Informationspolitik der zuständigen Staatsanwaltschaft spricht hier gegen die Annahme, dass der Beschwerdeführer dem Betroffenen pauschal die geistige Gesundheit habe absprechen und ihn damit ungeachtet seines Sachanliegens habe diffamieren wollen. Vielmehr liegt es aus Sicht des unvoreingenommenen Publikums nahe, dass er auch durch diese Begriffswahl Kritik an dem Umgang des Generalstaatsanwaltes mit den Persönlichkeitsrechten eines Beschuldigten üben wollte. Die Herauslösung des Begriffes "durchgeknallt" aus diesem Kontext verstellt den Blick darauf, dass die umstrittene Äußerung im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung um die Ausübung staatlicher Strafverfolgungsbefugnisse fiel. In diesem Kontext kann der verwendeten Begriffswahl aber nicht jeglicher Sachbezug abgesprochen werden, da sie - wenn auch in polemischer und in herabsetzender Form - durchaus die Sachaussage transportieren kann, dass ein als verantwortlich angesehener Staatsanwalt im Zuge der Strafverfolgungstätigkeit die gebotene Zurückhaltung und Rücksichtnahme auf das Persönlichkeitsrecht eines Beschuldigten in unsachgemäßer und übertriebener Weise habe vermissen lassen. Die Bezeichnung als "durchgeknallt" weist auch nicht einen derart schwerwiegenden diffamierenden Gehalt auf, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erschiene und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden müsste, wie dies bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - der Fall sein kann. Teil der von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfassten Freiheit, seine Meinung in selbstbestimmter Form zum Ausdruck zu bringen, ist auch, dass der Äußernde von ihm als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für die zu kritisierende Art der Machtausübung angreifen kann, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente seiner Äußerung aus diesem Kontext herausgelöst betrachtet werden und als solche die Grundlage für eine einschneidende gerichtliche Sanktion bilden. Die Personalisierung eines Sachanliegens in anklagender Form ist in solch unterschiedlicher Form und Intensität möglich, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Meinungsfreiheit in diesen Fällen wie bei Schmähungen stets und ungeachtet der weiteren Umstände zurücktreten zu lassen. Vielmehr ist es erforderlich, in die gebotene Abwägung einzustellen, ob der Betreffende als private Person oder sein öffentliches Wirken mit seinen weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äußerung ausgehen. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 2272/04 - Im Namen des Volkes In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   des Herrn Dr. N…   - Bevollmächtigte: 1. Rechtsanwalt Johann Schwenn, in Sozietät Schwenn & Krüger Große Elbstraße 14, 22767 Hamburg, Rechtsanwalt Nicolas Becker, Meinekestraße 3, 10719 Berlin -   gegen a) den Beschluss des Kammergerichts vom 3. September 2004 - (4) 1 Ss 226/04 (86/04) -, b) das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. Januar 2004 - 263a Cs 1097/03 -   hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Eichberger, Masing   am 12. Mai 2009 einstimmig beschlossen:   Das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. Januar 2004 - 263a Cs 1097/03 - und der Beschluss des Kammergerichts vom 3. September 2004 - (4) 1 Ss 226/04 (86/04) - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.   Gründe: I. 1 Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung. 2 1. Der Beschwerdeführer ist Journalist, Verleger und Publizist und Mitherausgeber der Wochenzeitschrift „Die Zeit“. 3 Am 22. Juni 2003 strahlte der Fernsehsender „n-tv“ die von B. moderierte Sendung „Talk in Berlin“ aus, an der sich der Beschwerdeführer als Diskussionsteilnehmer neben dem Journalisten J. und dem Bischof Prof. Dr. H. beteiligte. 4 Die Sendung mit dem Thema „F. - die Öffentlichkeit und die Moral“ befasste sich mit dem seinerzeit in den Medien viel beachteten Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Rechtsanwalt und Moderator Dr. F., der in den Verdacht des unerlaubten Umgangs mit Betäubungsmitteln geraten war. Nachdem mehrere Zeuginnen, die im Zuge eines gegen andere Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahrens vernommen worden waren, Dr. F. belastet hatten, durchsuchte die Staatsanwaltschaft Berlin am 11. Juni 2003 die in F. belegenen Kanzleiräume und Wohnung des Beschuldigten. Noch am selben Tag bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft gegenüber einem Journalisten der Zeitung „Die Welt“ auf Nachfrage, dass ein Ermittlungsverfahren gegen Dr. F. geführt werde. Außerdem gab er den zu Grunde liegenden Vorwurf und die vorläufigen Ergebnisse der Durchsuchungen bekannt, wonach szenetypische Verpackungen mit Anhaftungen aufgefunden worden seien, die vorbehaltlich der Ergebnisse einer Laboruntersuchung aus Kokain bestehen könnten. Der Staatsanwaltschaft brachte diese frühe Information der Öffentlichkeit teilweise harsche Kritik in den Medien ein. 5 In der Fernsehsendung äußerte der Beschwerdeführer hierzu: 6 N.: „[…] Der wirkliche Skandal ist eine führungslose Staatsanwaltschaft in Deutschland, die bei diesen Ermittlungen ganz offenkundig ‚Die Welt’, ‚Bild’ und ‚Focus’ vorinformiert hat, privilegiert hat, wenn Sie so wollen, über einen Verdacht, den zu beweisen sie sich gerade erst bemüht. Dieses ist dann nicht das normale Vorgehen von Staatsanwälten in zivilisierten und in Rechtsstaaten, in zivilisierten Ländern und in Rechtsstaaten. Das ist der erste Punkt. Der andere Punkt ist: Aus diesen Äußerungen jetzt entnehme ich ja offenkundig immer schon feststehende Sachverhalte, d.h. Herr F. hat seine eigene Position desavouiert durch sein moralisches, sittliches Verhalten. Nichts ist bewiesen. Der Mann hat das Recht eines offenkundig vom Staatsanwalt Verfolgten, so möchte ich das einmal bezeichnen, zu schweigen und seinen eigenen Anwalt reden zu lassen. Und ich bin ganz sicher, dass dieser staatsanwaltliche, man muss wirklich sagen: Skandal eines ganz offenkundig, ich sag`s ganz offen, durchgeknallten Staatsanwaltes, der hier in B. einen außerordentlich schlechten Ruf hat, der vor einem Jahr vom Dienst suspendiert worden ist, der zum ersten Mal überhaupt wieder tätig wird. Dieser Skandal wird zweifellos dazu führen, dass sich die hiesige Justizbehörde und die ihr zugeordnete Staatsanwaltschaft fragen muss, ob man auf diese Art und Weise gegen Privatpersonen vorgehen kann.“ 7 J.: „Herr N., Sie brechen den Stab über eine Staatsanwaltschaft in einer Art und Weise. Der Oberstaatsanwalt, der Generalstaatsanwalt, den Sie meinen, führt die Ermittlungen gar nicht. Das ist ein ganz anderer. Was Sie hier tun, ist eine Verdächtigungskampagne, der Sie angehören, in der Sie, bei der Sie eine öffentliche Rolle spielen, die sich gegen die Staatsanwaltschaft richtet. Der Fakt ist der, dass bei der Ermittlung gegen Menschenhändler und Schleuser von Prostituierten aus Osteuropa nach Deutschland, bei diesen Ermittlungen ist vom Bundesgrenzschutz in Telefongesprächen der Schleuser abgehört worden. Dabei ist eine Telefonnummer und ist ein Name aufgefallen, der zurückverfolgt worden ist. Der jetzt Beschuldigte F. wäre gar nicht ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft geraten, wenn bei der Befragung von drei Prostituierten nicht die Beschuldigung erhoben worden wäre und möglicherweise noch, sie wissen es von drei, möglicherweise von noch mehr, dass er ihnen Kokain angeboten hat. Dann ist es nicht mehr die Frage des persönlichen Konsums, sondern auch die Frage des Besitzes, was strafbar ist, und dann muss eine Staatsanwaltschaft handeln. Und sozusagen als sei hier ein, so schlank wie Sie das sagen, den Vorwurf zu erheben, eine Staatsanwaltschaft vernichte einen Menschen aus politischen Gründen, das finde ich sehr gewagt.“ 8 N.: „Aus politischen Gründen, das habe ich nicht gesagt.“ 9 J.: „Aber Sie insinuieren es. Ein durchgeknallter Staatsanwalt“ 10 N.: „Ja, natürlich ist er durchgeknallt, weil er ganz offenkundig in der Lage ist, ein Ermittlungsverfahren zu beginnen und gleichzeitig die Presse zu informieren. Dieses ist ungewöhnlich.“ 11 J.: „Aber Herr N., der Richter hat den Durchsuchungsbefehl erlassen. Das ist nicht der Generalstaatsanwalt gewesen.“ 12 N.: „Aber wer hat denn die Presse informiert? Der Richter gewiss nicht.“ 13 2. Mit angegriffenem Urteil vom 28. Januar 2004 - 263a Cs 1097/03 - verurteilte das Amtsgericht Tiergarten den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 300,00 €. 14 Das Wort „durchgeknallt“ bedeute umgangssprachlich „verrückt“ oder „durchgedreht“ und werde gemeinhin so verstanden. Vom Standpunkt eines verständigen Dritten aus sei diese Bezeichnung als herabwürdigend und ehrverletzend anzusehen. Dessen sei sich der Beschwerdeführer, der es als Journalist gewohnt sei, mit Worten umzugehen, auch bewusst gewesen. 15 In diesem Wortsinne stelle der Begriff „durchgeknallt“ eine Ehrverletzung dar, die auch durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht gerechtfertigt werden könne. Dem Beschwerdeführer habe es freigestanden, die Arbeit der Staatsanwaltschaft oder den Generalstaatsanwalt selbst zu kritisieren. Hier liege jedoch ein Fall unzulässiger Schmähkritik vor, die durch eine Diffamierung der Person gekennzeichnet sei, bei der die Auseinandersetzung in der Sache in den Hintergrund trete. 16 Auch der Umstand, dass der Geschädigte sich selbst in der Vergangenheit öffentlich als „groben Klotz“ oder „Kapitän eines Panzerkreuzers“ bezeichnet habe, führe nicht dazu, dass er durch die Bezeichnung als „durchgeknallt“ nicht habe beleidigt werden können. Auch wenn der Geschädigte durch seine früheren Äußerungen Kritik auf sich gezogen habe, berechtige dies nicht zu ehrverletzenden Äußerungen über seine Person. 17 3. Die hiergegen gerichtete Revision verwarf das Kammergericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit angegriffenem Beschluss vom 3. September 2004 - (4) 1 Ss 226/04 (86/04) - ohne weitere Begründung. 18 Ihren Antrag vom 28. Juni 2004 auf Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegründet stützte die Generalstaatsanwaltschaft insbesondere darauf, dass das Amtsgericht die beanstandete Äußerung zutreffend als Schmähung angesehen und deshalb dem Ehrenschutz den Vorrang gegenüber dem Recht zur freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG eingeräumt habe. Merkmal der Schmähung sei die das sachliche Anliegen in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Diese Grenze sei auch im Meinungskampf überschritten, wenn der Äußernde nicht auf einen vorangehend vom Betroffenen gesetzten Anlass im „hin und her“ gegenseitiger Kritik und Meinungsäußerungen reagiere, sondern seine Äußerung außerhalb eigener Betroffenheit darauf abziele, den Betroffenen über die Auseinandersetzung in der Sache hinaus persönlich zu diffamieren. Zu berücksichtigen sei zwar auch, in welchem Umfang der Betroffene seinerseits am durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungskampf teilgenommen habe, so dass sein eigener Anspruch auf Ehrenschutz insoweit eingeschränkt sei, als er entsprechende Gegenäußerungen hinnehmen müsse. Ein solcher „Gegenschlag“ setze aber einen Sachbezug voraus und müsse eine adäquate Reaktion auf einen vorangehend vom Betroffenen gesetzten Anlass sein. Dem Beschwerdeführer sei es unbenommen gewesen, die diskussions- und kritikträchtige Verfahrensweise der Staatsanwaltschaft zu kritisieren und den Geschädigten ungeachtet dessen tatsächlichen eigenen Beitrags hierzu zumindest als Gesamtverantwortlichen in diese Kritik einzubeziehen. Die gebrauchte Wortwahl bewege sich aber nicht mehr im Rahmen einer wenn auch harten, aber sachlichen Auseinandersetzung, sondern setze den Behördenleiter persönlich und unabhängig vom Inhalt der geführten Diskussion in ein schlechtes Licht und ziele daher allein auf dessen Diffamierung. 19 4. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts sowie des Kammergerichts und rügt eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 20 a) Bereits die Deutung des Begriffs „durchgeknallt“ durch das Amtsgericht werde den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht. Der Begriff werde ausweislich des Dudens umgangssprachlich für „überspannt, exaltiert“ verwendet. Jedenfalls aber habe es das Amtsgericht unterlassen, einen naheliegenden weiteren Sinngehalt des inkriminierten Begriffs in Betracht zu ziehen und diesen mit nachvollziehbaren Gründen auszuschließen. Es handele sich um eine in der Umgangssprache durchaus übliche Metapher aus dem Bereich der Elektrizität für eine durchgebrannte Sicherung. Aus dem Kontext der Äußerung, der bei der Ermittlung ihres Sinngehalts hätte berücksichtigt werden müssen, ergebe sich, dass der Beschwerdeführer durch Verwendung eben dieser Metapher habe zum Ausdruck bringen wollen, dass die dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft obliegende Sicherung der Persönlichkeitsrechte von Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren versagt habe. Der Beschwerdeführer habe den Generalstaatsanwalt erkennbar deshalb als „durchgeknallt“ bezeichnet, weil dieser als Behördenleiter für einen Skandal verantwortlich sei, der darin liege, dass verschiedene Zeitungen über das anhängige Ermittlungsverfahren gegen Dr. F. vorinformiert gewesen seien. Die Äußerung habe nicht der psychischen Verfassung des Generalstaatsanwalts, sondern vielmehr dem vermeintlichen Versagen des Generalstaatsanwalts bei der Wahrnehmung seiner Funktionen zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten Dr. F. gegolten. 21 Selbst wenn man die Deutung des Amtsgerichts zu Grunde lege, sei die Einordnung der Äußerung als Schmähkritik mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar. Soweit das Amtsgericht ohne nähere Begründung davon ausgehe, dass die Diffamierung der Person des Generalstaatsanwalts im Vordergrund gestanden habe, lasse dies den Kontext unberücksichtigt, in dem der Begriff verwandt worden sei. Der Beschwerdeführer habe den Begriff im Zuge der Kritik an einem rücksichtslosen Umgang der Staatsanwaltschaft mit den Persönlichkeitsrechten eines Beschuldigten und damit in der Diskussion um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage verwendet. Selbst wenn man in der Bezeichnung als „durchgeknallt“ eine überzogene und ausfällige Kritik sehen wollte, rechtfertige dies noch nicht die Annahme einer Schmähung. Die darin zum Ausdruck kommende Kritik an der Art des Umgangs mit einem Beschuldigten habe der Auseinandersetzung in der Sache gedient und nicht etwa allein der Diffamierung der Person des Generalstaatsanwalts Dr. K. Dieser sei auch namentlich gar nicht benannt worden, vielmehr habe die Kritik der Staatsanwaltschaft Berlin und deren Behördenleiter gegolten. Im Übrigen streite bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage eine Vermutung für die freie Rede, die insbesondere dann greife, wenn der Äußernde sich - wie es das Amtsgericht selbst im Rahmen der Strafzumessungserwägungen annimmt - allenfalls bei der Wortwahl im Ton vergriffen habe. 22 Die fälschliche Annahme der Schmähkritik habe das Amtsgericht auch dazu bewogen, von der erforderlichen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht abzusehen. Hier überwiege jedoch angesichts der vom Beschwerdeführer geäußerten Kritik an staatlicher Machtausübung sein grundrechtlich geschütztes Interesse auf freie Meinungsäußerung. Im Rahmen der Abwägung müsse auch Berücksichtigung finden, dass die Meinungsäußerung einer Behörde galt und dieser kein Persönlichkeitsrecht zukomme. Außerdem habe der Betroffene durch seine polarisierenden Äußerungen zu seinem Amtsverständnis überspitzte und polemische Kritik an seiner Person selbst herausgefordert. 23 b) Die Entscheidung des Kammergerichts, mit der die Revision des Beschwerdeführers ohne Begründung verworfen worden ist, mache sich die Grundrechtsverletzung des Amtsgerichts zu Eigen. Ferner teile das Kammergericht offenbar die Rechtsauffassungen der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Diese setze sich aber in der Begründung ihres Antrags auf Verwerfung der Revision in offenen Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn sie betone, dass die von der Revision angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der strafrechtlichen Literatur teilweise scharfe Kritik erfahren habe. 24 5. Die Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin und der Präsident des Bundesgerichtshofs hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. 25 6. Die Akten des Ausgangsverfahrens vor dem Amtsgericht Tiergarten - 263a Cs 1097/03 - lagen dem Bundesverfassungsgericht vor. II. 26 Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Sie ist zulässig und offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 27 1. Die inkriminierte Äußerung des Beschwerdeführers fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Meinungen sind durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden gekennzeichnet. Sie enthalten sein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder auch Personen (vgl. BVerfGE 33, 1 <14>; 93, 266 <289>). Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 85, 1 <14>; 90, 241 <247>). Die inkriminierte Äußerung stellt, ungeachtet ihres möglichen ehrverletzenden Gehalts, ein solches Werturteil dar. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 61, 1 <7 f.>; 93, 266 <289>; BVerfGK 8, 89 <96>). 28 2. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gilt allerdings nicht vorbehaltlos. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet es seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehört auch § 185 StGB, auf den sich die angegriffenen Entscheidungen stützen. Die Auslegung der Strafgesetze und ihre Anwendung auf den Einzelfall sind Sache der Strafgerichte und grundsätzlich einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Handelt es sich aber um Gesetze, die die Meinungsfreiheit beschränken, ist dabei das eingeschränkte Grundrecht zu beachten, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>; 82, 43 <50>; 272 <280>; 93, 266 <292>; 94, 1 <8>; stRspr). Dies erfordert regelmäßig eine Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 85, 1 <16>; 93, 266 <293>). Das Ergebnis dieser Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Doch ist in der Rechtsprechung eine Reihe von Gesichtspunkten entwickelt worden, die Kriterien für die konkrete Abwägung vorgegeben. Wegen der fundamentalen Bedeutung der Meinungsfreiheit für die demokratische Ordnung spricht eine Vermutung für die freie Rede, wenn es um Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geht (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <294>). Wird von dem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzung Gebrauch gemacht, sondern will der Äußernde in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, dann sind Auswirkungen seiner Äußerungen auf den Rechtskreis Dritter zwar unvermeidliche Folge, nicht aber eigentliches Ziel der Äußerung. Der Schutz des betroffenen Rechtsguts tritt umso mehr zurück, je weniger es sich um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten Bereich in Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage (vgl. BVerfGE 61, 1 <11>). In der öffentlichen Auseinandersetzung, insbesondere im politischen Meinungskampf, muss daher auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte (vgl. BVerfGE 54, 129 <137 f.>; 60, 234 <241>; 66, 116 <139>; 82, 272 <281 f.>). Bei herabsetzenden Äußerungen allerdings, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung erweisen, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; 93, 266 <294>; 99, 185 <196>; BVerfGK 8, 89 <102>). Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts hat das Bundesverfassungsgericht den in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff der Schmähkritik aber eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 1993 - 1 BvR 151/93 -, NJW 1993, S. 1462; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2005 - 1 BvR 1917/04 -, NJW 2005, S. 3274; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. Dezember 2008 - 1 BvR 1318/07 -, NJW 2009, S. 749 f.). 29 3. Diesen Vorgaben wird die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts nicht gerecht. 30 a) Allerdings ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht der Bezeichnung als „durchgeknallt“ ehrverletzenden Gehalt zugemessen hat. 31 aa) Bei Äußerungsdelikten können schon die tatsächlichen Feststellungen des erkennenden Gerichts eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts enthalten, wenn der Sinn der Äußerung nicht zutreffend erfasst worden ist (vgl. BVerfGE 43, 130 <136 f.>; 93, 266 <295 f.>; 94, 1 <9>). Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Deutung einer Äußerung gehört, dass sie unter Einbeziehung ihres Kontextes ausgelegt und ihr kein Sinn zugemessen wird, den sie objektiv nicht haben kann. Bei mehrdeutigen Äußerungen darf die zur Verurteilung führende Bedeutung nicht zu Grunde gelegt werden, ohne vorher mit schlüssigen Gründen Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche die Sanktion nicht zu rechtfertigen vermögen (vgl. BVerfGE 85, 1 <13 f.>; 82, 43 <52 f.>; 272 <280 f.>; 94, 1 <9>; 114, 339 <349>; BVerfGK 4, 54 <56>). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 54, 129 <137>; 93, 266 <295>; 94, 1 <9>). 32 bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers decken der Wortlaut und der Sprachgebrauch des Begriffes „durchgeknallt“ die Deutung des Amtsgerichts, dass hiermit zum Ausdruck gebracht werde, eine als solche bezeichnete Person sei „verrückt“ oder „durchgedreht“. Im modernen Sprachgebrauch wird das Adjektiv „durchgeknallt“ umgangssprachlich in dem Sinne von „absonderlich, bizarr, extravagant, skurril, schrill, überspannt, wunderlich, exzentrisch, schrullig, überdreht“, aber auch für „verrückt“ verwendet (Duden, Das Synonymwörterbuch, 4. Aufl., Mannheim u.a. 2007, S. 272). Dass der Begriff in einer neutralen bis positiven Bedeutung etwa im Sinne von absonderlich oder extravagant gebraucht worden sei, liegt angesichts des Kontextes fern und bedurfte keiner Erörterung. 33 Bezieht man den sprachlichen Kontext der Äußerung in die Betrachtung mit ein, kommen allerdings weitere Deutungsalternativen in Betracht, die das Amtsgericht unberücksichtigt ließ. Offen bleibt, ob die Äußerung aus Sicht des unbefangenen und unvoreingenommenen Publikums dahingehend verstanden wird, dass die geistige Gesundheit des Betroffenen in genereller Form in Abrede gestellt wird oder ob sie sich nicht vielmehr auf die Diensthandlungen des Betroffenen bezog und zum Ausdruck bringen sollte, dass dieser - im umgangssprachlichen Sinne einer durchgebrannten Sicherung - bei den Ermittlungen gegen einen prominenten Beschuldigten jegliche distanzwahrende Selbstkontrolle verloren habe, mithin die ihm gebotene Zurückhaltung habe vermissen lassen. In beiden Deutungsvarianten ist die Äußerung aber ehrverletzend, so dass die Würdigung des Amtsgerichts insoweit zumindest im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Die vom Beschwerdeführer angeführte Deutung, die Äußerung habe sich allenfalls auf die Behörde der Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin und nicht auf den Geschädigten persönlich bezogen, findet im Wortlaut seiner Äußerung und ihrem Sinnzusammenhang keine Stütze und bedurfte daher keiner näheren Erörterung. 34 b) Dagegen ist es verfassungsrechtlich nicht tragfähig, dass das Amtsgericht von einer Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers mit der Begründung abgesehen hat, in der Bezeichnung als „durchgeknallt“ liege eine Schmähung des Geschädigten. Unabhängig davon, welchen der in Betracht kommenden Bedeutungsgehalte man hier zu Grunde legt, trägt weder dieser für sich genommen noch der vom Amtsgericht festgestellte Kontext die Annahme einer der Abwägung entzogenen Schmähung. 35 Zwar ist der Begriff „durchgeknallt“ von einer gewissen Schärfe und auch von einer Personalisierung gekennzeichnet und hat unabhängig von seiner Deutung ehrverletzenden Charakter. Eine Meinungsäußerung wird aber nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass die persönliche Kränkung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt. Die Beurteilung dieser Frage erfordert regelmäßig, den Anlass und den Kontext der Äußerung zu beachten (vgl. BVerfGE 93, 266 <303>; BVerfG, NJW 2005, S. 3274 f.). Eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs kann allenfalls ausnahmsweise dann die Annahme einer der Abwägung entzogenen Schmähung tragen, wenn dessen diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - der Fall sein kann (vgl. BVerfG, NJW 2009, S. 749 <750>). 36 Die bisherigen Feststellungen des Amtsgerichts tragen eine solche Beurteilung nicht. Bei der beanstandeten Wortwahl handelt es sich nicht um eine Ehrverletzung, die ihrem Bedeutungsgehalt nach unabhängig von ihrem Verwendungskontext die mit ihm bezeichnete Person stets als ganze herabsetzt und der Abwägung von vornherein entzogen wäre. Vielmehr kann die Äußerung, der Betreffende sei angesichts der von ihm zu verantwortenden Art und Weise der Führung eines Ermittlungsverfahrens „verrückt geworden“, „durchgedreht“ beziehungsweise ihm seien „die Sicherungen durchgebrannt“, an ein Verhalten des Betroffenen anknüpfen und in polemischer Form zum Ausdruck bringen, dass die von ihm gerügte Verletzung rechtlicher oder ethischer Grenzen so schwer wiege, dass sie aus sachlichen und rationalen Gründen nicht erklärbar sei. In diesem Fall hängt die Beurteilung der schmähenden Wirkung aber gerade vom Kontext ab, so dass ungeachtet ihrer ehrverletzenden Wirkung die Bezeichnung als „durchgeknallt“ in keiner in der in Betracht kommenden Deutungen eine solche Schmähung darstellt, die in jedem denkbaren Äußerungszusammenhang bar jeden Sachbezugs allein der Diffamierung des Betroffenen diente. 37 Bei der gebotenen Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem die Äußerung fiel, ist die Annahme einer Schmähkritik aber nicht tragfähig. Gegenstand der Fernsehdiskussion war das Ermittlungsverfahren gegen Dr. F. In diesem Zusammenhang äußerte der Beschwerdeführer Kritik an der Informationspolitik der zuständigen Staatsanwaltschaft und bedachte deren Behördenleiter mit der beanstandeten Bezeichnung. Dieser Kontext spricht gegen die Annahme, dass der Beschwerdeführer dem Betroffenen pauschal die geistige Gesundheit habe absprechen und ihn damit ungeachtet seines Sachanliegens habe diffamieren wollen. Vielmehr liegt es aus Sicht des unvoreingenommenen Publikums nahe, dass er auch durch diese Begriffswahl Kritik an dem Umgang des als verantwortlich betrachteten Generalstaatsanwalts mit den Persönlichkeitsrechten eines Beschuldigten üben wollte, dessen - nach Auffassung des Beschwerdeführers - skandalöser Gehalt darin liege, dass die Staatsanwaltschaft die gebotene Rücksichtnahme auf das Persönlichkeitsrecht eines Beschuldigten missachtet habe, indem sie in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens die Öffentlichkeit über die Vorwürfe informiert und auf diese Weise den Betroffenen ungeachtet der seinerzeit noch fehlenden Schuldfeststellung bloßgestellt habe. Die Herauslösung des Begriffs „durchgeknallt“ aus diesem Kontext verstellt den Blick darauf, dass die umstrittene Äußerung im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung um die Ausübung staatlicher Strafverfolgungsbefugnisse fiel. In diesem Kontext kann der verwendeten Begriffswahl aber nicht jeglicher Sachbezug abgesprochen werden, da sie - wenn auch in polemischer und in herabsetzender Form - durchaus die Sachaussage transportieren kann, dass ein als verantwortlich angesehener Staatsanwalt im Zuge der Strafverfolgungstätigkeit die gebotene Zurückhaltung und Rücksichtnahme auf das Persönlichkeitsrecht eines Beschuldigten in unsachgemäßer und übertriebener Weise habe vermissen lassen. 38 In diesem zu berücksichtigenden Kontext erlangt die Vermutung für die freie Rede umso schwereres Gewicht, als die geübte Kritik die Ausübung staatlicher Gewalt zum Inhalt hatte; die Meinungsfreiheit ist aber gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert ihre Bedeutung (vgl. BVerfGE 93, 266 <293>). Teil der von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfassten Freiheit, seine Meinung in selbstbestimmter Form zum Ausdruck zu bringen (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 60, 234 <241>), ist auch, dass der Äußernde von ihm als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für die zu kritisierende Art der Machtausübung angreifen kann, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente seiner Äußerung aus diesem Kontext herausgelöst betrachtet werden und als solche die Grundlage für eine einschneidende gerichtliche Sanktion bilden. Die Personalisierung eines Sachanliegens in anklagender Form ist in solch unterschiedlicher Form und Intensität möglich, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Meinungsfreiheit in diesen Fällen wie bei Schmähungen stets und ungeachtet der weiteren Umstände zurücktreten zu lassen. Vielmehr ist es erforderlich, in die gebotene Abwägung einzustellen, ob der Betreffende als private Person oder sein öffentliches Wirken mit seinen weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äußerung ausgehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. April 1999 - 1 BvR 2126/93 -, NJW 1999, S. 2358 <2359>). 39 c) Infolge dessen durfte das Amtsgericht den Beschwerdeführer nicht wegen Beleidigung verurteilen, ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten vorzunehmen. Hält ein Gericht eine Äußerung fälschlicherweise für eine Schmähung, so liegt darin ein auch verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn diese darauf beruht (vgl. BVerfGE 82, 272 <281>; 93, 266 <294>), insbesondere wenn - wie hier - das Gericht aus diesem Grunde eine Abwägung unterlässt (vgl. BVerfGK 4, 54 <59>; 8, 89 <98>). 40 4. Auch die Entscheidung des Kammergerichts verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Mit Erhebung der Sachrüge hat der Beschwerdeführer die erstinstanzliche Entscheidung auch mit Blick auf die gerügte Grundrechtsverletzung zur Überprüfung durch das Revisionsgericht gestellt. Mangels eigener Begründung kann nicht beurteilt werden, ob das Kammergericht die erforderliche Abwägung vorgenommen und mit tragfähigen Gründen ein Überwiegen des Persönlichkeitsschutzes angenommen hat. Soweit in Betracht kommt, dass das Kammergericht sich die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft zu Eigen gemacht hat (vgl. hierzu BVerfGK 5, 269 <285 f.>), ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die Generalstaatsanwaltschaft blendet ebenso wie das Amtsgericht bei Beurteilung der Frage, ob es sich bei der beanstandeten Äußerung um eine Schmähung handelt, den Sachzusammenhang der Äußerung in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise aus, indem sie allein auf deren personalisierenden Gehalt abstellt und hervorhebt, dass eine Kritik an der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft für sich genommen unbedenklich sei, nicht aber in der personalisierten, auf den Betroffenen zugespitzten und diesen herabsetzenden Form. Auch die weiteren von der Generalstaatsanwaltschaft aufgeworfenen Umstände vermögen die Annahme der Schmähkritik nicht zu rechtfertigen. Sie lassen auch nicht diejenigen Erwägungen erkennen, die für eine Abwägung maßgeblich wären. Die Generalstaatsanwaltschaft reduziert das Recht zur Meinungsäußerung im politischen Meinungskampf zumindest mit Blick auf personalisierte Kritik in ehrverletzender Form im Wesentlichen auf ein Recht zum Gegenschlag und verneint dieses im vorliegenden Fall. Ungewichtet bleibt demgegenüber die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Kritik an staatlicher Machtausübung und der erkennbare Sachbezug der Äußerung zur kritisierten Art und Weise der Führung eines konkreten Ermittlungsverfahrens, welche die Generalstaatsanwaltschaft im Übrigen selbst als kritikwürdig einstuft. 41 5. Die Entscheidungen beruhen auch auf dem aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehler. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen werden. Soweit keine weitergehenden Umstände festgestellt werden, welche die Annahme einer Schmähkritik rechtfertigen können, werden die Gerichte in die erforderliche Abwägung den Sachzusammenhang, in dem die Äußerung fiel, einzustellen und zu gewichten haben, ob die Äußerung mit den von ihr ausgehenden Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen durch die Meinungsfreiheit mit Blick auf das vom Beschwerdeführer verfolgte Anliegen gerechtfertigt ist. Hierbei kann unter anderem von Bedeutung sein, ob der vermeintliche Anlass für die Kritik auch insoweit vorgelegen hat, als sie auf den Geschädigten persönlich zugespitzt worden ist. Berücksichtigung kann im diesem Zusammenhang auch finden, ob der Beschwerdeführer zugleich auf die eigenen Äußerungen des Betroffenen zur Art und Weise seiner Amtsführung angespielt hat. Zu Recht hat das Amtsgericht zwar angenommen, dass der behauptete Umstand, der Geschädigte habe seinerseits zuvor öffentlich in polarisierender Form ein hartes Durchgreifen der Ermittlungsbehörden propagiert und dabei dezidiert für sich in Anspruch genommen, nicht zimperlich zu sein, nicht dazu führt, dass der Geschädigte sich seines Persönlichkeitsrechts begeben habe. Ungeachtet dessen können solcherart polarisierende Äußerungen möglicherweise dann einen Anlass für scharfe Kritik gerade in personalisierter Form gegen den Behördenleiter geben, wenn ein Fall in Rede steht, bei dem - nach Auffassung des Kritikers - eine Strafverfolgungsbehörde in Umsetzung eben jener Haltung ihres Behördenleiters auf das Persönlichkeitsrecht eines Beschuldigten keine Rücksicht genommen habe. 42 6. Die Entscheidungen über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.   Papier Eichberger Masing
bundesverfassungsgericht
2-2002
15. Januar 2002
Schächterlaubnis für muslimischen Metzger Pressemitteilung Nr. 2/2002 vom 15. Januar 2002 Urteil vom 15. Januar 20021 BvR 1783/99 Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde eines türkischen muslimischen Metzgers stattgegeben, der eine Ausnahmegenehmigung von dem allgemeinen gesetzlichen Verbot erstrebte, Tiere ohne Betäubung zu schlachten (zu schächten). Der Hintergrund des Verfahrens ist dargestellt in der Pressemitteilung Nr. 97/2001 vom 15. Oktober 2001, die auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts nach gelesen werden kann. Der Erste Senat stellt fest, dass § 4 a des Tierschutzgesetzes (TierSchG) verfassungsgemäß ist, seine Auslegung und Anwendung durch die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte in den angegriffenen Entscheidungen den Anforderungen des Grundgesetzes (GG) jedoch nicht gerecht werden. Nach Absatz 1 dieser Norm ist das Schächten grundsätzlich verboten. Absatz 2 eröffnet jedoch die Möglichkeit, aus bestimmten - auch religiös motivierten - Gründen eine Aus nahmegenehmigung zu erteilen. Im Ausgangsverfahren ging es um die zweite Alternative der Nr. 2 dieses Absatzes; danach darf eine Ausnahmegenehmigung nur erteilt werden, soweit es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich des Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Der Senat stellt klar, dass das Schächten für einen muslimischen Metzger in erster Linie eine Frage der Berufsausübung und nicht der Religionsausübung ist. Ein gläubiger Moslem hat diese Tätigkeit allerdings unter Beachtung religiöser Vorschriften auszuüben. Deshalb ist das Grundrecht der Religionsfreiheit als Maßstab für die Auslegung von Vorschriften, die die Berufsausübung einschränken, ergänzend und deren Schutz verstärkend heranzuziehen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Berufsausübungsfreiheit eingeschränkt werden kann. Hierbei ist insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Danach ist § 4 a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG mit dem Grundgesetz verein bar. Der Gesetzgeber hat durch das allgemeine Schächtverbot wie durch die Ausnahmeregelung des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG in zulässiger Weise den Belangen des Tierschutzes Rechnung getragen. Seine Grundannahme, dass es Tieren weniger Schmerzen und Leiden bereitet, wenn sie vor dem Schlachten betäubt werden, ist zumindest vertretbar. Durch die Möglichkeit, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, wird aber auch den Grundrechten muslimischer Metzger hinreichend Rechnung getragen, deren Berufsausübung unter Beachtung ihrer religiösen Überzeugung so ermöglicht wird. Sie können damit ihre muslimischen Kunden mit dem Fleisch geschächteter Tiere beliefern und auf diese Weise in den Stand setzen, Fleisch in Übereinstimmung mit ihrer Glaubensüberzeugung zu verzehren. Dies gilt allerdings nur, wenn § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG nicht wie seit einem Ur teil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 1995 (BVerwGE 99, 1) so ausgelegt und angewandt wird, dass die Vorschrift für muslimische Metzger praktisch leer läuft. Ein solches Ergebnis lässt sich durch eine verfassungsgemäße Auslegung der Tatbestandsmerkmale "Religionsge meinschaft" und "zwingende Vorschriften" vermeiden. Der Begriff der Religionsgemeinschaft ist, wie inzwischen in einer neueren Entscheidung (BVerwGE 112, 227) auch das Bundesverwaltungsgericht angenommen hat, nicht in dem Sinne zu verstehen, dass es sich um eine Religions gesellschaft oder -gemeinschaft im Verständnis des Art. 137 Abs. 5 der Weimarer Reichsverfassung oder des Art. 7 Abs. 3 GG handeln müsste. Für die Bewilligung einer Ausnahmegenehmigung vom Schächtverbot ist vielmehr ausreichend, dass der Antragsteller einer Gruppe von Menschen angehört, die eine gemeinsame Glaubensüberzeugung verbindet. Als Religionsgemeinschaften kommen im vorliegenden Zusammenhang deshalb auch Gruppierungen innerhalb des Islam in Betracht, deren Glaubensrichtung sich von derjenigen anderer islamischer Gemeinschaften unterscheidet. Diese Auslegung des Begriffs der Religionsgemeinschaft steht mit der Verfassung im Einklang und trägt insbesondere Art. 4 GG Rechnung. Sie ist auch mit dem Wortlaut der genannten tierschutzrechtlichen Vorschrift vereinbar und entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser wollte die Ausnahmemöglichkeit nicht nur für Angehörige der jüdischen Glaubenswelt, sondern auch für Mitglieder des Islam und seiner unterschiedlichen Glaubensrichtungen eröffnen. Mittelbar hat das Konsequenzen auch für die Handhabung des weiteren Merkmals "zwingende Vorschriften", die den Angehörigen der Gemeinschaft den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Ob dieses Merkmal erfüllt ist, haben die Behörden und im Streitfall die Gerichte zu entscheiden. Allerdings kann diese Frage bei einer Religion, die - wie der Islam - unterschiedliche Auffassungen zum Schächtgebot vertritt, nicht mit Blick auf den Islam insgesamt oder die sunnitischen oder schiitischen Glaubensrichtungen dieser Religion beantwortet werden. Die Frage nach der Existenz zwingender Vorschriften ist vielmehr für die konkrete, gegebenen falls innerhalb einer solchen Glaubensrichtung bestehende Religionsgemeinschaft zu beurteilen. Dabei reicht es aus, dass derjenige, der die erstrebte Ausnahmegenehmigung zur Versorgung der Mitglieder einer Gemeinschaft benötigt, substantiiert und nachvollziehbar darlegt, dass nach deren gemeinsamer Glaubensüberzeugung der Verzehr des Fleischs von Tieren zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraussetzt. Ist eine solche Darlegung erfolgt, hat sich der Staat, der ein derartiges Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft nicht unberücksichtigt lassen darf, einer Bewertung dieser Glaubenserkenntnis zu enthalten. Die Behörden und die Verwaltungsgerichte haben im Ausgangsverfahren die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer solchen Auslegung verkannt und sind daher bei der Anwendung der Ausnahmeregelung vom Schächtverbot zu Lasten des Beschwerdeführers zu einer unverhältnismäßigen Grundrechtsbeschränkung gelangt. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat deshalb die angegriffenen Gerichtsentscheidungen aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Karlsruhe, den 15. Januar 2002 nach oben
L e i t s ä t z e zum Urteil des Ersten Senats vom 15. Januar 2002 - 1 BvR 1783/99 - Die Tätigkeit eines nichtdeutschen gläubigen muslimischen Metzgers, der Tiere ohne Betäubung schlachten (schächten) will, um seinen Kunden in Übereinstimmung mit ihrer Glaubensüberzeugung den Genuss von Fleisch geschächteter Tiere zu ermöglichen, ist verfassungsrechtlich anhand von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu beurteilen. Im Lichte dieser Verfassungsnormen ist § 4 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 des Tierschutzgesetzes so auszulegen, dass muslimische Metzger eine Ausnahmegenehmigung für das Schächten erhalten können.   BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 1783/99 - Verkündet am 15. Januar 2002 Achilles Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Im Namen des Volkes In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   des Herrn A...,   - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Michael P. Stark und Koll., Gutzkowstraße 9, 60594 Frankfurt am Main - 1. unmittelbar gegen   a) den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 1999 - 11 UZ 37/98 -, b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 2. Dezember 1997 - 7 E 1572/97 (3) -, c) den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom 16. September 1997 - 17 c - 19 c 20/07 -, d) den Bescheid des Landrats des Lahn-Dill-Kreises vom 7. Juli 1997 - 19 c 20/07 -, 2. mittelbar gegen § 4 a Abs. 1 und 2 Nr. 2 des Tierschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Februar 1993 (BGBl I S. 254)   hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des Vizepräsidenten Papier, der Richterinnen Jaeger, Haas, der Richter Hömig, Steiner, der Richterin Hohmann-Dennhardt und der Richter Hoffmann-Riem, Bryde   aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2001 durch   Urteil   für Recht erkannt: Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 1999 - 11 UZ 37/98 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 2. Dezember 1997 - 7 E 1572/97 (3) - und der Bescheid des Landrats des Lahn-Dill-Kreises vom 7. Juli 1997 - 19 c 20/07 - in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Gießen vom 16. September 1997 - 17 c - 19 c 20/07 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs und das Urteil des Verwaltungsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.   Gründe: A. 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für das so genannte Schächten, das heißt das Schlachten warmblütiger Tiere ohne vorherige Betäubung. I. 2 1. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war in Deutschland das Schächten als Schlachtmethode nach jüdischem Ritus weithin erlaubt (vgl. dazu und zum Folgenden BGH, DÖV 1960, S. 635 f.). Die einschlägigen Regelungen sahen dafür überwiegend Ausnahmen vom prinzipiellen Verbot des Schlachtens ohne Betäubung vor. Nachdem der Nationalsozialismus im Deutschen Reich an die Macht gekommen war, gingen immer mehr Länder dazu über, das Schächten zu verbieten. Deutschlandweit wurde der Zwang, warmblütige Tiere vor der Schlachtung zu betäuben, durch das Gesetz über das Schlachten von Tieren vom 21. April 1933 (RGBl I S. 203) eingeführt, das nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs das Ziel verfolgte, den jüdischen Teil der Bevölkerung in seinen religiösen Empfindungen und Gebräuchen zu verletzen (a.a.O., S. 636). Ausnahmen vom Schächtverbot wurden nur noch für Notschlachtungen zugelassen. 3 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Schächten, soweit es nicht durch landesrechtliche Vorschriften ausdrücklich wieder zugelassen worden war, meist stillschweigend geduldet (vgl. Andelshauser, Schlachten im Einklang mit der Scharia, 1996, S. 140 f.). Eine bundesweite Regelung zum religiös motivierten betäubungslosen Schlachten wurde aber erst mit der Aufnahme des Schlachtrechts in das Tierschutzgesetz (im Folgenden: TierSchG) getroffen. Seit dem In-Kraft-Treten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 12. August 1986 (BGBl I S. 1309; zur aktuellen Fassung des Tierschutzgesetzes vgl. die Bekanntmachung vom 25. Mai 1998, BGBl I S. 1105, mit späteren Änderungen) enthält § 4 a TierSchG in Absatz 1 das grundsätzliche Verbot, warmblütige Tiere ohne vorherige Betäubung zu schlachten. Absatz 2 Nr. 2 sieht jedoch die Möglichkeit vor, aus religiösen Gründen Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Dabei wurde die Regelung der zweiten Alternative im Gesetzgebungsverfahren im Zusammenhang mit Speisevorschriften sowohl der jüdischen wie auch der islamischen Glaubenswelt gesehen (vgl. BT-Drucks 10/5259, S. 38). 4 § 4 a TierSchG hat derzeit folgenden Wortlaut: 5 (1) Ein warmblütiges Tier darf nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzugs betäubt worden ist. 6 (2) Abweichend von Absatz 1 bedarf es keiner Betäubung, wenn 7 1. ..., 8 2. die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen oder 9 3. dies als Ausnahme durch Rechtsverordnung nach § 4 b Nr. 3 bestimmt ist. 10 2. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 1995 (BVerwGE 99, 1), in dem dieses die Ablehnung einer Ausnahmegenehmigung nach der zweiten Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG bestätigte, verlangt diese Bestimmung die objektive Feststellung zwingender Vorschriften einer Religionsgemeinschaft über das Betäubungsverbot beim Schlachten. Erforderlich sei das eindeutige Vorliegen von Normen der betreffenden Religionsgemeinschaft, die nach dem staatlicher Beurteilung unterliegenden Selbstverständnis der Gemeinschaft als zwingend zu gelten hätten. Eine individuelle Sicht, die allein auf die jeweilige subjektive - wenn auch als zwingend empfundene - religiöse Überzeugung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft abstelle, sei mit Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht vereinbar (vgl. a.a.O., S. 4 ff.). 11 In dieser Auslegung stehe § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG nicht im Widerspruch zur Verfassung. Die Vorschrift verletze insbesondere nicht das in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierte Grundrecht der Religionsfreiheit. In dieses Recht werde durch die Versagung einer Ausnahme vom Schächtungsverbot nicht eingegriffen, wenn die religiöse Überzeugung dem Betroffenen nur den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere verbiete. Das Verbot betäubungslosen Schlachtens hindere die Anhänger einer solchen Religion nicht an einer ihrer Religion entsprechenden Lebensgestaltung. Sie seien weder rechtlich noch tatsächlich gezwungen, entgegen ihrer religiösen Überzeugung Fleisch nicht geschächteter Tiere zu verzehren. Mit dem Schächtungsverbot werde nicht der Verzehr des Fleischs geschächteter Tiere verboten. Sie könnten sowohl auf Nahrungsmittel pflanzlichen Ursprungs und auf Fisch ausweichen als auch auf Fleischimporte aus anderen Ländern zurückgreifen. Zwar möge Fleisch heute ein allgemein übliches Nahrungsmittel sein. Der Verzicht darauf stelle jedoch keine unzumutbare Beschränkung der persönlichen Entfaltungsfreiheit dar. Diese an Art. 2 Abs. 1 GG zu messende Erschwernis in der Gestaltung des Speiseplans sei aus Gründen des Tierschutzes zumutbar (vgl. a.a.O., S. 7 f.). 12 Das Bundesverwaltungsgericht sah sich in dem von ihm entschiedenen Fall an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden, nach denen es für die Sunniten ebenso wie für die Muslime insgesamt keine zwingenden Glaubensvorschriften gebe, die den Genuss des Fleischs von Tieren verböten, die vor dem Schlachten betäubt worden seien (vgl. a.a.O., S. 9). 13 Diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht inzwischen modifiziert (vgl. BVerwGE 112, 227). II. 14 Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und nach seinen - im Verfahren nicht bestrittenen - Angaben strenggläubiger sunnitischer Muslim. Er lebt seit 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland und betreibt in Hessen eine Metzgerei, die er 1990 von seinem Vater übernahm. Für die Versorgung seiner muslimischen Kunden erhielt er bis Anfang September 1995 Ausnahmegenehmigungen für ein Schlachten ohne Betäubung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG. Die Schlachtungen nahm er in seinem Betrieb unter veterinärärztlicher Aufsicht vor. Für die Folgezeit stellte der Beschwerdeführer weitere Anträge auf Erteilung solcher Genehmigungen. Sie blieben im Hinblick auf das erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 1995 erfolglos. Die im Ausgangsverfahren gegen den Ablehnungs- und Widerspruchsbescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen; dabei hat es zur Begründung ebenfalls auf dieses Urteil und außerdem auf das Berufungsurteil in jenem Verfahren verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung abgelehnt: 15 Soweit der Beschwerdeführer ernstliche Zweifel an der zutreffenden Anwendung der zweiten Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG äußere, fehle es an einer substantiierten Darlegung, dass das Bundesverwaltungsgericht und das Berufungsgericht in den in Bezug genommenen Entscheidungen zu Unrecht zu der Feststellung gekommen seien, der Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere sei durch höchste und maßgebliche Vertreter des sunnitischen Islam nicht zwingend verboten. Der Beschwerdeführer verkenne diese Feststellungen, wenn er meine, in einer säkularen Republik könnten Glaubensinhalte nicht behördlich festgestellt werden. Die Gerichte entschieden insoweit nicht verbindlich religionsgesetzliche Fragen, sondern stellten mit Hilfe von Sachverständigen nur fest, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der anzuwendenden Vorschrift gegeben seien. Diese Bewertung der Feststellungen von Sachverständigen habe das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich als rechtmäßig beurteilt. 16 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ergäben sich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen. Griffe die zweite Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG in das Recht des Beschwerdeführers auf freie Religionsausübung ein, wäre dieser Eingriff unter Beachtung der Begrenzungen, denen auch die Religionsfreiheit unterliege, jedenfalls nicht verfassungswidrig. Nach der Wertung des Gesetzgebers werde durch diese Vorschrift allein geregelt, dass bei freiwilliger Ausübung des Berufs des Schlachters Einschränkungen der religiösen Grundhaltung gerechtfertigt sein könnten. Insofern handele es sich um eine sachgerechte Regelung der Berufsausübung. 17 Vor diesem Hintergrund lägen auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten vor, derentwegen die Berufung zuzulassen wäre. Die Rechtssache habe auch keine grundsätzliche Bedeutung. III. 18 Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer unmittelbar gegen die im Verwaltungsverfahren und im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ergangenen Entscheidungen sowie mittelbar gegen § 4 a Abs. 1 und 2 Nr. 2 TierSchG. Er rügt unter anderem die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie von Art. 12 Abs. 1 GG. 19 1. Das Schächten und die Möglichkeit, sich ohne erhebliche Erschwernisse mit Fleisch geschächteter Tiere zu versorgen, seien vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfasst. Dem Schlachten ohne Betäubung komme in der islamischen Religion zentrale Bedeutung zu. Sein kultischer Charakter ergebe sich nicht nur daraus, dass das Schächtgebot direkt dem Koran zu entnehmen sei. Auch die Art und Weise des Schächtens seien genau bestimmt. Bei dem Schächtverbot handele es sich danach um einen Eingriff in das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Dies sei in den angegriffenen Entscheidungen verkannt worden. Der Beschwerdeführer sehe das Schächten als unbedingte religiöse Pflicht an. Dass seine Religionsausübung zugleich eine Berufsausübung darstelle, ändere daran nichts. 20 Das Schächtgebot sei für den Beschwerdeführer, dessen Kunden und alle Angehörigen der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam eine zwingende Vorschrift im Verständnis des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG. Die entgegenstehende Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts in der Entscheidung vom 15. Juni 1995 verkenne die Bedeutung der Glaubensfreiheit grundlegend. Ob für den einzelnen Gläubigen zwingende Vorschriften in dem genannten Sinne bestünden, sei im Hinblick auf das Gebot strikter weltanschaulicher Neutralität des Staates nicht vom staatlichen Gericht verbindlich zu entscheiden. Es reiche deshalb aus, wenn aus den Umständen hinreichend deutlich hervorgehe, dass eine ernsthafte Glaubensüberzeugung vorliege. Bei Anwendung dieses Maßstabs hätte dem Beschwerdeführer die Ausnahmegenehmigung erteilt werden müssen. 21 2. Auch die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers sei verletzt. Er sei zwar türkischer Staatsbürger, besitze aber eine - zeitlich wie räumlich unbeschränkte - Aufenthaltsberechtigung und sei im Hinblick auf die Dauer seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland hier so verwurzelt, dass ihm als De-facto-Deutschem hinsichtlich seiner beruflichen Tätigkeit als Metzger nicht nur der Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG, sondern ein Grundrechtsschutz zu gewähren sei, der demjenigen des Art. 12 Abs. 1 GG gleichwertig sei. 22 Bei der Tätigkeit eines muslimischen Metzgers handele es sich um einen eigenständigen Beruf, weil zu dessen Ausübung Qualifikationen erforderlich seien, die ein normaler Schlachter nicht haben müsse. Dies betreffe nicht nur die Durchführung des Schächtschnitts selbst, der schnell und sauber vorgenommen werden müsse, damit das Schlachttier nicht unnötig leide. Berufsbildprägend seien vielmehr auch religiöse Handlungen wie die Anrufung Allahs. 23 Das Schächtverbot wirke sich für den Beschwerdeführer faktisch als Berufsverbot und damit als objektive Berufswahlbeschränkung aus. Er werde sich einen neuen Beruf suchen müssen, wenn die angegriffenen Entscheidungen Bestand hätten und ihm eine Ausnahmegenehmigung für immer versagt bleibe. Ein so weit reichender Eingriff könne verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt werden, wenn er der Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlich schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut diene. Das sei aber hier nicht der Fall. 24 3. Das Schächtverbot verstoße ferner gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Jüdische Metzger erhielten wegen ihrer Glaubensüberzeugung zu Recht eine Ausnahmegenehmigung zum Schächten. Da sich die Glaubenshaltung des Beschwerdeführers von der jüdischen hinsichtlich des betäubungslosen Schlachtens nicht unterscheide, sei für eine Ungleichbehandlung kein Raum. Weiter sei Art. 3 Abs. 3 GG verletzt. Die Aufnahme des Begriffs der Religionsgemeinschaften in den Tatbestand des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG führe dazu, dass eine individuelle Glaubensüberzeugung keine Beachtung mehr finde. Der Beschwerdeführer werde deshalb, wenn seine Glaubensvorstellungen von denen anderer Muslime abwichen, gegenüber den Anhängern kleinerer und homogenerer Glaubensgemeinschaften benachteiligt. IV. 25 Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich - schriftlich und in der mündlichen Verhandlung - geäußert: das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft namens der Bundesregierung, die Hessische Staatskanzlei, der Zentralrat der Muslime in Deutschland und der Deutsche Tierschutzbund. 26 Das Bundesministerium hält die mittelbar angegriffene Regelung des § 4 a Abs. 1, 2 Nr. 2 TierSchG für verfassungsgemäß. Sie diene einerseits dem von der Verfassung vorgegebenen Ziel eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes, trage andererseits aber mit der Möglichkeit, das Schächten aus religiösen Gründen, hier nach der zweiten Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG, ausnahmsweise zu genehmigen, auch dem Grundrecht der Religionsfreiheit Rechnung. Durch die Erteilung entsprechender Genehmigungen an Muslime werde auch deren Integration in der Bundesrepublik Deutschland gefördert. Das Schächten sei wie das Schlachten nach vorheriger Betäubung dem ethisch begründeten Tierschutz verpflichtet und als Schlachtmethode noch akzeptabel, wenn es ordnungsgemäß durchgeführt werde. Soweit § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG den Begriff der Religionsgemeinschaften verwende, werde an einen Begriff angeknüpft, der hinreichend flexibel sei, um auch den Besonderheiten der Muslime gerecht zu werden. Für das Vorliegen einer solchen Gemeinschaft genüge ein Mindestmaß an organisatorischen kontinuitätswahrenden Strukturen. 27 Nach Auffassung der Hessischen Staatskanzlei ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Teils fehle es an einer unmittelbaren Grundrechtsbetroffenheit, teils an einer den Substantiierungserfordernissen genügenden Darlegung. 28 Der Zentralrat der Muslime in Deutschland betont die große Bedeutung des Tierschutzes im Islam und führt aus, das betäubungslose Schächten sei den Muslimen als wesentlicher Bestandteil der Religionsausübung zwingend vorgeschrieben. Diese Auffassung werde von allen bedeutsamen islamischen Gruppierungen in Deutschland geteilt. Soweit in einem Gutachten der Al-Azhar-Universität von Kairo davon die Rede sei, dass Muslime auch das Fleisch nicht geschächteter Tiere verzehren dürften, gelte dies nur für Notsituationen. Eine solche sei für Muslime in Deutschland nicht gegeben. Das Prinzip der Gleichbehandlung mit jüdischen Gläubigen gebiete die Genehmigung des Schächtens nach § 4 a TierSchG auch für Muslime. 29 Nach Ansicht des Deutschen Tierschutzbundes erleiden Schlachttiere beim betäubungslosen Schlachten mehr und stärkere Schmerzen als bei der konventionellen Schlachtung. Die mit dem Schächten verbundenen Todesqualen beschränkten sich nicht auf den Schnitt am Hals des zu schlachtenden Tieres mit anschließendem langsamem Bewusstseinsverlust, sondern begännen schon mit dem Hereinführen der Tiere in den Schlachtraum und mit ihrer Fixierung. Sie erstreckten sich also auf einen relativ langen Zeitraum, den das Tier bei vollem Bewusstsein durchleide. B. 30 Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Zwar ist § 4 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG mit dem Grundgesetz vereinbar. Doch halten die angegriffenen Entscheidungen, die auf diese Regelung gestützt sind, der verfassungsgerichtlichen Prüfung nicht stand. I. 31 1. Prüfungsmaßstab ist in erster Linie Art. 2 Abs. 1 GG. Der Beschwerdeführer hat als gläubiger sunnitischer Muslim im Ausgangsverfahren eine Ausnahme von dem Betäubungsgebot des § 4 a Abs. 1 TierSchG erstrebt, um in Ausübung seines Berufs als Metzger seinen muslimischen Kunden den Genuss von Fleisch geschächteter Tiere zu ermöglichen. Die Eigenversorgung des Beschwerdeführers mit derartigem Fleisch tritt daneben zurück. Die zweite Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG, auf deren Grundlage die Verwaltungsbehörden und -gerichte das Begehren des Beschwerdeführers geprüft haben, berührt daher vorrangig die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers als Metzger. 32 Diese Tätigkeit wird, weil der Beschwerdeführer nicht deutscher, sondern türkischer Staatsangehöriger ist, nicht durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Schutznorm ist vielmehr Art. 2 Abs. 1 GG in der Ausprägung, die sich aus dem Spezialitätsverhältnis zwischen dem auf Deutsche beschränkten Art. 12 Abs. 1 GG und dem für Ausländer nur subsidiär geltenden Art. 2 Abs. 1 GG ergibt (vgl. dazu BVerfGE 78, 179 <196 f.>). Das Schächten ist allerdings für den Beschwerdeführer nicht nur Mittel zur Gewinnung und Zubereitung von Fleisch für seine muslimischen Kunden und für sich selbst. Es ist vielmehr nach seinem in den angegriffenen Entscheidungen nicht in Zweifel gezogenen Vortrag auch Ausdruck einer religiösen Grundhaltung, die für den Beschwerdeführer als gläubigen sunnitischen Muslim die Verpflichtung einschließt, die Schächtung nach den von ihm als bindend empfundenen Regeln seiner Religion vorzunehmen (vgl. dazu allgemein Andelshauser, a.a.O., S. 39 ff.; Jentzsch, Das rituelle Schlachten von Haustieren in Deutschland ab 1933, 1998, S. 28 ff.; Mousa, Schächten im Islam, in: Potz/Schinkele/Wieshaider, Schächten. Religionsfreiheit und Tierschutz, 2001, S. 16 ff.). Dem ist, auch wenn das Schächten selbst nicht als Akt der Religionsausübung verstanden wird, dadurch Rechnung zu tragen, dass der Schutz der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG durch den speziellen Freiheitsgehalt des Grundrechts der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verstärkt wird. 33 2. Die Rechtsstellung, die der Beschwerdeführer danach im Hinblick auf seine berufliche Tätigkeit als Metzger genießt, ist gemäß Art. 2 Abs. 1 GG allerdings nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Dazu zählen alle Rechtsnormen, die formell und materiell mit dem Grundgesetz vereinbar sind (vgl. BVerfGE 6, 32 <36 ff.>; 96, 375 <397 f.>; stRspr). Das setzt in materieller Hinsicht vor allem die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und in diesem Rahmen die Beachtung der Religionsfreiheit voraus. II. 34 Diesen Maßstäben wird § 4 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG gerecht. 35 1. Zwar greift die Regelung in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein, indem sie das betäubungslose Schlachten als Ausnahme vom Betäubungsgebot des § 4 a Abs. 1 TierSchG im Rahmen der beruflichen Tätigkeit eines muslimischen Metzgers nur unter den einschränkenden Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG ermöglicht. Dieser Eingriff ist jedoch nicht zu beanstanden, weil er sich verfassungsrechtlich hinreichend rechtfertigen lässt. 36 a) Zweck des Tierschutzgesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen (§ 1 TierSchG). Dem Ziel eines ethisch begründeten Tierschutzes (vgl. BVerfGE 36, 47 <56 f.>; 48, 376 <389>; 101, 1 <36>) dient auch die Regelung des § 4 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG. Der Gesetzgeber wollte mit der Aufnahme des Grundsatzes, dass warmblütige Schlachttiere vor Beginn des Blutentzugs zu betäuben sind, die in § 1 TierSchG umschriebene Grundkonzeption des Gesetzes auf diesen Bereich ausdehnen (vgl. BTDrucks 10/3158, S. 16). Das ist ein legitimes Regelungsziel, das auch dem Empfinden breiter Bevölkerungskreise Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 36, 47 <57 f.>, und speziell mit Blick auf das Schächten BTDrucks 10/5259, S. 32 unter I 2 a Nr. 3). 37 b) § 4 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 38 aa) Die Regelung ist zur Erreichung des genannten Regelungszwecks, auch das Schlachten warmblütiger Tiere an die Grundsätze eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes zu binden, geeignet und erforderlich. 39 Die Verfassung billigt dem Gesetzgeber für die Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit der von ihm für die Durchsetzung der gesetzgeberischen Regelungsziele gewählten Mittel einen Einschätzungsspielraum zu. Dies gilt auch für die Beurteilung der tatsächlichen Grundlagen einer gesetzlichen Regelung. Insoweit kann eine Fehleinschätzung hier nicht angenommen werden. Zwar gibt es Stimmen, die bezweifeln, dass das Schlachten nach vorheriger Betäubung für das Tier deutlich weniger Schmerzen und Leiden verursacht als das Schlachten ohne Betäubung (vgl. etwa für Schafe und Kälber das Übersichtsreferat von Schulze/Schultze-Petzold/Hazem/Groß, Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 85 <1978>, S. 62 ff.). Doch scheint dies wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt zu sein. Andere wie der Deutsche Tierschutzbund in seiner Äußerung in der mündlichen Verhandlung geben dem Schlachten unter Betäubung aus Gründen des Tierschutzes eindeutig den Vorzug. Auch Art. 12 des Europäischen Übereinkommens über den Schutz von Schlachttieren vom 10. Mai 1979 (BGBl 1983 II S. 771) und Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 93/119/EG des Rates der Europäischen Union über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung vom 22. Dezember 1993 (ABlEG Nr. L 340/21) gehen davon aus, dass es Tieren weniger Schmerzen und Leiden bereitet, wenn sie vor dem Blutentzug betäubt werden. Die damit übereinstimmende Einschätzung durch den Bundesgesetzgeber und dessen Annahme, das Betäubungsgebot des § 4 a Abs. 1 TierSchG sei zur Erreichung der Ziele des § 1 TierSchG geeignet und mangels einer gleich wirksamen Alternative auch erforderlich, sind unter diesen Umständen zumindest vertretbar. 40 Gleiches gilt für die Beurteilung der Ausnahmeregelung des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG. Der Gesetzgeber hat die Befreiung vom Betäubungsgebot des § 4 a Abs. 1 Tier-SchG unter den Vorbehalt einer Ausnahmegenehmigung gestellt, weil er das Schächten einer verstärkten staatlichen Kontrolle unterwerfen wollte. Insbesondere sollte die Möglichkeit geschaffen werden, über die Prüfung der Sachkunde und der persönlichen Eignung der antragstellenden Personen hinaus durch Nebenbestimmungen zur Ausnahmegenehmigung zu gewährleisten, dass den zu schlachtenden Tieren beim Transport, beim Ruhigstellen und beim Schächtvorgang selbst alle vermeidbaren Schmerzen oder Leiden erspart werden. Das soll beispielsweise durch Anordnungen über geeignete Räume, Einrichtungen und sonstige Hilfsmittel erreicht werden können (vgl. BTDrucks 10/3158, S. 20 zu Nr. 5). Haus- und sonstige Privatschlachtungen, bei denen ein ordnungsgemäßes Schächten häufig nicht gesichert ist und die infolgedessen zu besonders Anstoß erregendem Leiden der betroffenen Tiere führen können, sollen auf diese Weise möglichst unterbunden, Schlachtungen in zugelassenen Schlachthäusern stattdessen angestrebt werden (vgl. BTDrucks 10/5259, S. 39 zu Art. 1 Nr. 5). 41 Im Übrigen setzt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG voraus, dass im konkreten Fall Bedürfnissen von Angehörigen einer Religionsgemeinschaft zu entsprechen ist, denen zwingende Vorschriften dieser Gemeinschaft den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Dadurch, dass das Gesetz Ausnahmen vom Betäubungsgebot nur unter diesen Voraussetzungen zulässt, wird zwangsläufig die Zahl der in Betracht kommenden Ausnahmen verringert. Bei einer Religion wie dem Islam kommt hinzu, dass dieser selbst, wie der Zentralrat der Muslime in Deutschland in seiner Stellungnahme ausgeführt hat, eine möglichst schonende Tötung von Tieren verlangt (ebenso Andelshauser, a.a.O., S. 35, 62, 79 f.). Das Schächten muss nach den Regeln des Islam so vorgenommen werden, dass der Tod des zu schlachtenden Tiers so schnell wie möglich herbeigeführt wird und dessen Leiden unter Vermeidung jeder Art von Tierquälerei auf ein Minimum beschränkt werden (vgl. auch Österreichischer Verfassungsgerichtshof, EuGRZ 1999, S. 600 <603>). Auch von daher konnte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass der Ausnahmevorbehalt des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG eine zur Gewährleistung eines ethischen Geboten verpflichteten Tierschutzes geeignete und auch erforderliche Maßnahme darstellt. 42 bb) Die in Rede stehende gesetzliche Regelung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des mit § 4 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG verbundenen Grundrechtseingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe ist es den Betroffenen zuzumuten (vgl. BVerfGE 90, 145 <173>; 101, 331 <350>), warmblütige Tiere unter den vom Gesetzgeber festgelegten Voraussetzungen nur auf der Grundlage einer Ausnahmegenehmigung ohne vorherige Betäubung zu schlachten. 43 (1) Der Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit muslimischer Metzger wiegt allerdings schwer. Ohne Ausnahmevorbehalt wäre es gläubigen Muslimen wie dem Beschwerdeführer nicht mehr möglich, in der Bundesrepublik Deutschland den Beruf des Schlachters auszuüben. Sie müssten sich darauf beschränken, in ihrem Betrieb entweder importiertes Fleisch geschächteter oder Fleisch nicht geschächteter, also unter Betäubung geschlachteter Tiere zu verkaufen, wenn sie ihren Betrieb wenigstens als Verkaufsstelle fortführen wollten und nicht, wie es der Beschwerdeführer für seine Person geltend gemacht hat, aufgeben würden, um sich eine neue Grundlage ihrer Lebensführung zu schaffen. Jede dieser Entscheidungen wäre für den Betroffenen mit weit reichenden Konsequenzen verbunden. Der Entschluss, nur noch als Verkäufer das Fleisch geschächteter Tiere zu vermarkten, wäre nicht nur mit dem Verzicht auf die Tätigkeit eines Schlachters, sondern auch mit der Ungewissheit verbunden, ob das von ihm angebotene Fleisch tatsächlich von geschächteten Tieren stammt und damit einen Fleischgenuss in Übereinstimmung mit den Regeln des eigenen Glaubens und des Glaubens der Kunden ermöglicht. Die Entscheidung, den Metzgereibetrieb auf den Verkauf von Fleisch nicht geschächteter Tiere umzustellen, hätte zur Folge, dass vom Betriebsinhaber neue Kunden gewonnen werden müssen. Die völlige berufliche Umorientierung schließlich würde, falls sie in der konkreten Lebenssituation des Betroffenen überhaupt noch möglich sein sollte, bedeuten, dass dieser sich eine andere Existenzgrundlage aufbauen müsste. 44 Das Verbot trifft nicht nur den muslimischen Metzger, sondern auch seine Kunden. Wenn sie Fleisch geschächteter Tiere nachfragen, beruht dies ersichtlich auch auf der Überzeugung von der bindenden Kraft ihres Glaubens, anderes Fleisch nicht essen zu dürfen. Von ihnen zu verlangen, im Wesentlichen dem Verzehr von Fleisch zu entsagen, trüge den Essgewohnheiten in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend Rechnung. Danach ist Fleisch ein weit verbreitetes Nahrungsmittel, auf das unfreiwillig zu verzichten schwerlich als zumutbar angesehen werden kann. Der Verzehr importierten Fleischs macht einen solchen Verzicht zwar entbehrlich, ist jedoch im Hinblick auf das Fehlen des persönlichen Kontakts zum Schlachter und der dadurch geschaffenen Vertrauensbasis mit der Unsicherheit verbunden, ob das verzehrte Fleisch tatsächlich den Geboten des Islam entspricht. 45 (2) Diesen Konsequenzen für gläubige muslimische Metzger und ihre ebenfalls gläubigen Kunden steht gegenüber, dass der Tierschutz einen Gemeinwohlbelang darstellt, dem auch in der Bevölkerung ein hoher Stellenwert beigelegt wird. Der Gesetzgeber hat dem dadurch Rechnung getragen, dass er Tiere nicht als Sachen, sondern als - Schmerz empfindende - Mitgeschöpfe versteht und sie durch besondere Gesetze geschützt wissen will (vgl. § 90 a Satz 1 und 2 BGB, § 1 TierSchG). Dieser Schutz ist vor allem im Tierschutzgesetz verankert. 46 Er ist dort allerdings nicht in der Weise verwirklicht, dass den Tieren jede Beeinträchtigung ihres Wohlbefindens von Gesetzes wegen zu ersparen ist. Das Gesetz wird vielmehr lediglich von dem Leitgedanken bestimmt, Tieren nicht "ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden" zuzufügen (vgl. § 1 TierSchG sowie BVerfGE 36, 47 <57>; 48, 376 <389>). 47 Dementsprechend sieht das Tierschutzgesetz von dem Gebot, Tiere nur unter Betäubung zu töten, nicht allein in § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Ausnahmen vor. Ausnahmen von der Betäubungspflicht bestehen vielmehr auch für Notschlachtungen, soweit eine Betäubung nach den gegebenen Umständen nicht möglich ist (vgl. § 4 a Abs. 2 Nr. 1 TierSchG), und können außerdem für das Schlachten von Geflügel durch Rechtsverordnung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 4 b Satz 1 Nr. 3 TierSchG bestimmt werden. Darüber hinaus erlaubt § 4 Abs. 1 Satz 1 TierSchG generell das Töten von Wirbeltieren ohne Betäubung, soweit dies nach den Umständen zumutbar ist und Schmerzen vermieden werden können. Ist die Tötung eines Wirbeltieres ohne Betäubung im Rahmen weidgerechter Ausübung der Jagd oder aufgrund anderer Rechtsvorschriften zulässig oder erfolgt sie im Rahmen zulässiger Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen, darf die Tötung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TierSchG vorgenommen werden, wenn dabei nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen entstehen. 48 Gerade die zuletzt genannten Ausnahmen zeigen, dass der Gesetzgeber dort, wo sachliche Gesichtspunkte oder auch Gründe des Herkommens und der gesellschaftlichen Akzeptanz Ausnahmen vom Betäubungszwang nahe legen, Durchbrechungen des Betäubungsgebots als mit den Zielen eines ethischen Tierschutzes vereinbar angesehen hat. 49 (3) Unter diesen Umständen kann eine Ausnahme von der Verpflichtung, warmblütige Tiere vor dem Ausbluten zu betäuben, auch dann nicht ausgeschlossen werden, wenn es darum geht, einerseits die grundrechtlich geschützte Ausübung eines religiös geprägten Berufs und andererseits die Einhaltung religiös motivierter Speisevorschriften durch die Kunden des Berufsausübenden zu ermöglichen. Ohne eine derartige Ausnahme würden die Grundrechte derjenigen, die betäubungslose Schlachtungen berufsmäßig vornehmen wollen, unzumutbar beschränkt, und den Belangen des Tierschutzes wäre ohne zureichende verfassungsrechtliche Rechtfertigung einseitig der Vorrang eingeräumt. Notwendig ist stattdessen eine Regelung, die in ausgewogener Weise sowohl den betroffenen Grundrechten als auch den Zielen des ethischen Tierschutzes Rechnung trägt. 50 (a) § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG wird diesen Anforderungen im Ansatz gerecht. Die Regelung will im Hinblick auf Speisenormen vor allem der islamischen und der jüdischen Glaubenswelt (vgl. BTDrucks 10/5259, S. 38) das Schächten aus religiösen Gründen auf der Grundlage von Ausnahmegenehmigungen ermöglichen (vgl. BTDrucks 10/3158, S. 20 zu Nr. 5). Über das Instrument der Ausnahmegenehmigung soll ein Weg eröffnet werden, der es erlaubt, öffentlicher Kritik am religiös motivierten Schlachten ohne Betäubung insbesondere in Form so genannter Haus- und Privatschlachtungen zu begegnen (vgl. BTDrucks 10/5259, S. 32 unter I 2 a Nr. 3). Auf diesem Weg kann, wie schon erwähnt, unter anderem durch Nebenbestimmungen sichergestellt werden, dass den zu schlachtenden Tieren alle vermeidbaren Schmerzen und Leiden erspart werden (vgl. BTDrucks 10/3158, S. 20 zu Nr. 5, und auch BT-Drucks 10/5259, S. 39 zu Art. 1 Nr. 5). Ziel der Regelung ist danach, den Grundrechtsschutz gläubiger Muslime und Juden zu wahren, ohne damit die Grundsätze und Verpflichtungen eines ethisch begründeten Tierschutzes aufzugeben. Das trägt den Rechten auch des Beschwerdeführers angemessen Rechnung. 51 (b) Anders wäre es allerdings dann, wenn der Tatbestand des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG so zu verstehen wäre, wie er vom Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 15. Juni 1995 (BVerwGE 99, 1) ausgelegt worden ist. Es hat das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm verneint, weil der sunnitische Islam, dem auch der Beschwerdeführer angehört, wie der Islam insgesamt den Verzehr des Fleischs nicht geschächteter Tiere nicht zwingend verbiete (vgl. a.a.O., S. 9). § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG verlange die objektive Feststellung zwingender Vorschriften einer Religionsgemeinschaft über das Betäubungsverbot beim Schlachten. 52 Eine individuelle Sicht, die allein auf die jeweilige subjektive - wenn auch als zwingend empfundene - religiöse Überzeugung der Mitglieder einer solchen Gemeinschaft abstellt, sei demzufolge mit dem Regelungsgehalt des Gesetzes unvereinbar (vgl. a.a.O., S. 4 f.). 53 Diese Auslegung wird der Bedeutung und Reichweite des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht gerecht. Sie führt im Ergebnis dazu, dass § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG für Muslime ohne Rücksicht auf ihre Glaubensüberzeugung leer läuft. Die berufliche Tätigkeit eines Metzgers, der im Hinblick auf die Speisevorschriften seines Glaubens und des Glaubens seiner Kunden schächten will, um deren Versorgung mit dem Fleisch betäubungslos geschlachteter Tiere sicherzustellen, wird damit verhindert. Das belastet die Betroffenen in unangemessener Weise und trägt einseitig nur den Belangen des Tierschutzes Rechnung. In dieser Auslegung wäre § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG verfassungswidrig. 54 (c) Dieses Ergebnis lässt sich jedoch durch eine Auslegung der Tatbestandsmerkmale der "Religionsgemeinschaft" und der "zwingenden Vorschriften" vermeiden, die dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Rechnung trägt. 55 Wie das Bundesverwaltungsgericht inzwischen selbst in seinem Urteil vom 23. November 2000 (BVerwGE 112, 227) entschieden hat, verlangt § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG mit dem Begriff der Religionsgemeinschaft keine Gemeinschaft, die im Sinne des Art. 137 Abs. 5 WRV die Voraussetzungen für die Anerkennung als öffentlichrechtliche Körperschaft erfüllt oder gemäß Art. 7 Abs. 3 GG berechtigt ist, an der Erteilung von Religionsunterricht mitzuwirken. Für die Bewilligung einer Ausnahme nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG sei vielmehr ausreichend, dass der Antragsteller einer Gruppe von Menschen angehört, die eine gemeinsame Glaubensüberzeugung verbindet (vgl. a.a.O., S. 234 f.). Als Religionsgemeinschaften in der Bedeutung des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG kommen deshalb auch Gruppierungen innerhalb des Islam in Betracht, deren Glaubensrichtung sich von derjenigen anderer islamischer Gemeinschaften unterscheidet (vgl. a.a.O., S. 236). Diese Auslegung des Begriffs der Religionsgemeinschaft steht mit der Verfassung im Einklang und trägt insbesondere Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Rechnung. Sie ist auch mit dem Wortlaut der genannten Vorschrift vereinbar und entspricht dem Willen des Gesetzgebers, den Anwendungsbereich des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG nicht nur für Angehörige der jüdischen Glaubenswelt, sondern auch für Mitglieder des Islam und seiner unterschiedlichen Glaubensrichtungen zu öffnen (vgl. BTDrucks 10/5259, S. 38). 56 Mittelbar hat dies Konsequenzen auch für die Handhabung des weiteren Merkmals der "zwingenden Vorschriften", die den Angehörigen der Gemeinschaft den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Ob dieses Merkmal erfüllt ist, haben die Behörden und im Streitfall die Gerichte als Tatbestandsvoraussetzung für die begehrte Ausnahmegenehmigung zu prüfen und zu entscheiden. Bezugspunkt für diese Prüfung sind aber bei einer Religion, die wie der Islam zum Schächtgebot unterschiedliche Auffassungen vertritt, nicht notwendig der Islam insgesamt oder die sunnitischen oder schiitischen Glaubensrichtungen dieser Religion. Die Frage nach der Existenz zwingender Vorschriften ist vielmehr für die konkrete, gegebenenfalls innerhalb einer solchen Glaubensrichtung bestehende Religionsgemeinschaft zu beantworten (vgl. auch BVerwGE 112, 227 <236>). 57 Dabei reicht es aus, dass derjenige, der die Ausnahmegenehmigung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG zur Versorgung der Mitglieder einer Gemeinschaft benötigt, substantiiert und nachvollziehbar darlegt, dass nach deren gemeinsamer Glaubensüberzeugung der Verzehr des Fleischs von Tieren zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraussetzt (vgl. BVerwGE 94, 82 <87 f.>). Ist eine solche Darlegung erfolgt, hat sich der Staat, der ein solches Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft nicht unberücksichtigt lassen darf (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>), einer Bewertung dieser Glaubenserkenntnis zu enthalten (vgl. BVerfGE 33, 23 <30>). Er kann den "zwingenden" Charakter einer religiösen Norm im Lichte des Art. 4 GG auch nicht allein deshalb verneinen, weil die Religion zugleich Regeln kennt, die auf die Gewissensnot von Gläubigen Rücksicht nehmen und etwa im Hinblick auf den Aufenthaltsort und die dort herrschenden Speisegewohnheiten Abweichungen zulassen. Einem Antragsteller ist vielmehr die beantragte Ausnahmegenehmigung zu erteilen, soweit eine solche nicht aus anderen Gründen ausscheidet. Dabei ist durch Nebenbestimmungen und die Überwachung ihrer Einhaltung ebenso wie bei der Prüfung der Sachkunde und der persönlichen Eignung des Antragstellers auch in Bezug auf die besonderen Fertigkeiten des Schächtens sicherzustellen, dass die Belange des Tierschutzes so weit wie möglich gewahrt werden (vgl. auch BVerwGE 112, 227 <236>). 58 2. § 4 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG steht, wenn die Ausnahmeregelung der zuletzt genannten Vorschrift im vorstehenden Sinne ausgelegt wird, auch im Übrigen mit dem Grundgesetz im Einklang. Insbesondere ist für die Annahme eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG oder das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG kein Raum, weil nach dieser Auslegung auch Muslime eine Ausnahmegenehmigung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG erhalten können, die als Metzger ihre Kunden mit dem Fleisch geschächteter Tiere versorgen wollen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft den Genuss des Fleischs nicht geschächteter Tiere verbieten. III. 59 1. Die angegriffenen Behörden- und Gerichtsentscheidungen verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Die Behörden und die Verwaltungsgerichte haben die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer verfassungsgemäßen Auslegung des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG verkannt und sind daher bei der Anwendung der Ausnahmeregelung vom Schächtverbot zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung des genannten Grundrechts gelangt. Die Ablehnung der beantragten Ausnahmegenehmigung und die Bestätigung dieser Entscheidung im Widerspruchs- und im Verwaltungsstreitverfahren beruhen auf diesem Umstand. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kunden des Beschwerdeführers wie dieser selbst einer Religionsgemeinschaft im oben dargestellten Sinne angehören, die von ihnen die Beachtung des Schächtgebots zwingend verlangt, und dass dem Beschwerdeführer bei Zugrundelegung eines derartigen Sachverhalts die begehrte Genehmigung erteilt worden wäre, damit er den Kunden und sich selbst den Genuss des Fleischs geschächteter Tiere ermöglichen kann. 60 2. Von den angegriffenen Entscheidungen sind nach § 95 Abs. 2 BVerfGG diejenigen der Verwaltungsgerichte aufzuheben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen, weil erwartet werden kann, dass der Verwaltungsrechtsstreit dort auf der Grundlage des vorliegenden Urteils zum Abschluss gebracht wird. Bei einer Zurückverweisung an den Verwaltungsgerichtshof müsste dieser, bevor er zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung gelangen könnte, erst über den Antrag des Beschwerdeführers befinden, die Berufung zuzulassen. 61 Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.   Papier Jaeger Haas Hömig Steiner Hohmann-Dennhardt Hoffmann-Riem Bryde
bundesverfassungsgericht
15-2014
27. Februar 2014
Weitere teilweise erfolgreiche Verfassungsbeschwerden gegen Unterbringungsanordnungen auf Grundlage des Therapieunterbringungsgesetzes Pressemitteilung Nr. 15/2014 vom 27. Februar 2014 Beschluss vom 23. Januar 2014, Beschluss vom 23. Januar 2014, Beschluss vom 23. Januar 2014, Beschluss vom 05. Februar 2014, Beschluss vom 23. Januar 2014, Beschluss vom 22. Januar 2014, Beschluss vom 23. Januar 20142 BvR 119/122 BvR 565/122 BvR 923/122 BvR 953/122 BvR 1020/122 BvR 1100/122 BvR 1239/12 Mit Beschluss vom 11. Juli 2013 – 2 BvR 2301/11 und 2 BvR 1279/12 - hatte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Therapieunterbringungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, jedoch verfassungskonform ausgelegt werden muss (vgl. hierzu die Pressemitteilung Nr. 50/2013 vom 8. August 2013). Die Unterbringung darf nur dann angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist. Die in den konkreten Verfahren ergangenen fachgerichtlichen Entscheidungen hatte der Zweite Senat aufgehoben, weil sie nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsmaßstab zugrunde gelegt hatten. Im Anschluss hieran hat die 3. Kammer des Zweiten Senats in sieben weiteren Verfahren den Verfassungsbeschwerden gegen die gerichtlich angeordnete Unterbringung der Beschwerdeführer auf Grundlage des Therapieunterbringungsgesetzes teilweise stattgegeben. Auch in diesen Verfahren verletzen die fachgerichtlichen Entscheidungen das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil sie nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsmaßstab zugrunde gelegt haben. Es kommt hierbei allein auf die objektive Verfassungswidrigkeit an; unerheblich ist hingegen, ob die Grundrechtsverletzung den Fachgerichten vorwerfbar ist. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden mittelbar gegen das Therapieunterbringungsgesetz selbst richten, wurden sie unter Verweis auf den Beschluss vom 11. Juli 2013 nicht zur Entscheidung angenommen. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvR 119/12 - Im Namen des Volkes In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   des Herrn G…,   - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Peter J. Guttmann, Seidlstraße 27, 80335 München -   gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 8. Dezember 2011 - 15 W 2335/11 ThUG -, b) den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 13. Oktober 2011 - 7 AR 2/11 ThUG - und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung   hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Lübbe-Wolff, den Richter Landau und die Richterin Kessal-Wulf   am 23. Januar 2014 einstimmig beschlossen:   Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 8. Dezember 2011 - 15 W 2335/11 ThUG - und der Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 13. Oktober 2011 - 7 AR 2/11 ThUG - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückverwiesen. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 40.000,00 € (in Worten: vierzigtausend Euro) festgesetzt.   Gründe: 1 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz (ThUG). I. 2 1. Das Landgericht München I verurteilte den bereits mehrfach wegen vorsätzlicher Sexualdelikte vorbestraften Beschwerdeführer 1997 wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und ordnete die Sicherungsverwahrung an, die ab dem 5. Juni 2000 in der Justizvollzugsanstalt Straubing vollzogen wurde. Nachdem die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit Sitz in Straubing den weiteren Vollzug der Sicherungsverwahrung über die Zehnjahresfrist hinaus angeordnet hatte, erklärte das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 15. April 2011 die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung zum 30. Juni 2011 für erledigt. 3 Im Verfahren nach dem Therapieunterbringungsgesetz ordnete das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 21. Juli 2011 die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers nach § 14 Abs. 1 ThUG an, nachdem die Vorinstanz das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen unter Hinweis auf die zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gleich zu handhabenden Unterbringungsvoraussetzungen noch abgelehnt hatte. Das Verfahren über die vorläufige Unterbringung war Gegenstand der Verfassungsbeschwerde zum Aktenzeichen 2 BvR 1795/11, die mit Beschluss vom 21. September 2011 wegen Unzulässigkeit mit kurzer Tenorbegründung nicht zur Entscheidung angenommen wurde. 4 Mit Beschluss vom 13. Oktober 2011 erfolgte durch das Landgericht Regensburg die Unterbringungsanordnung in der Hauptsache bis zum 21. Januar 2013. Das Oberlandesgericht Nürnberg wies die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 8. Dezember 2011 zurück. In den Entscheidungsgründen des Oberlandesgerichts wird hinsichtlich des erforderlichen Gefährlichkeitsmaßstabes unter anderem auf die vorangegangene Entscheidung zur vorläufigen Unterbringung verwiesen, wonach der strenge Maßstab, der bei einer Weiterführung einer über zehn Jahre hinausgehenden Sicherungsverwahrung anzulegen sei und eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten verlange, nicht auf den Tatbestand des § 1 ThUG zu übertragen sei. 5 2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG. Es stelle einen rechtsstaatlich nicht zu rechtfertigenden „Etikettentausch“ dar, wenn die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen für eine Verlängerung der Sicherungsverwahrung in Altfällen über zehn Jahre hinaus durch eine Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz umgangen würden, obwohl die Unterbringung inhaltlich der (nachträglichen) Sicherungsverwahrung entspreche. Ihn unter diesen Gegebenheiten zunächst aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen und trotz gleichbleibender Tatsachengrundlage die Therapieunterbringung anzuordnen, zerstöre nicht nur sein rechtlich geschütztes Vertrauen in die Begrenzung der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre, sondern auch sein Vertrauen auf die Rechtskraft des Beschlusses des Oberlandesgerichts Nürnberg, mit dem die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt worden war. Schließlich sei es willkürlich, dass bei identischer Tatsachengrundlage ein Strafsenat die Sicherungsverwahrung für erledigt erkläre und ein Zivilsenat desselben Gerichts „de facto“ die Sicherungsverwahrung wieder anordne. 6 3. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 1. Kammer des Zweiten Senats mit Beschluss vom 26. Januar 2012 abgelehnt. 7 4. Das Verfahren wurde dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zugestellt. Das Ministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. II. 8 1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere die Frage der Anforderungen an eine verfassungskonforme Auslegung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u.a. -, juris, Rn. 69 ff.) - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). 9 a) Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Beschlüsse nicht mehr die Grundlage für eine aktuelle Unterbringung bilden. Der Beschwerdeführer hat ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an einer nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung, weil die Therapieunterbringung aufgrund der angegriffenen Beschlüsse in der Zeit vom 13. Oktober 2011 bis zum 21. Januar 2013 einen tiefgreifenden Eingriff in sein Freiheitsgrundrecht darstellte (vgl. dazu BVerfGE 9, 89 <92 ff.>; 32, 87 <92>; 53, 152 <157 f.>; 104, 220 <234>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Oktober 2005 - 2 BvR 2233/04 -, juris, Rn. 20 ff.). 10 b) Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. In den angegriffenen Beschlüssen über die Anordnung der Therapieunterbringung ist ein unzutreffender Maßstab zugrunde gelegt und der Beschwerdeführer dadurch in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. 11 Mit Beschluss vom 11. Juli 2013 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass § 1 Abs. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl I S. 2300) mit dem Grundgesetz mit der Maßgabe vereinbar ist, dass die Unterbringung oder deren Fortdauer nur angeordnet werden darf, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u.a. -, juris, Rn. 69 ff.). 12 Die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen fachgerichtlichen Beschlüsse sind mit diesen Vorgaben für die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes nicht zu vereinbaren. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht übertragen den strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstab der hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten, wie ihn das Bundesverfassungsgericht für die Vertrauensschutzbelange betreffende Sicherungsverwahrung verlangt (vgl. BVerfGE 128, 326 <399>) und wie er in gleicher Weise für die Therapieunterbringung Geltung beansprucht (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u.a. -, juris, Rn. 69 ff.), nicht auf den Tatbestand des § 1 Abs. 1 ThUG. Daher genügen die Beschlüsse den Anforderungen an eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 1 ThUG nicht und verletzen den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. 13 Dabei kommt es für die Feststellung der Grundrechtsverletzung allein auf die objektive Verfassungswidrigkeit der angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an; unerheblich ist hingegen, ob die Grundrechtsverletzung den Fachgerichten vorwerfbar ist (vgl. BVerfGE 128, 326 <407 f.>). 14 c) Da die Verfassungsbeschwerde schon wegen der Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG begründet ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob darüber hinaus weitere Grundrechte verletzt sind. 15 2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 8. Dezember 2011 ist daher aufzuheben. Die Sache ist zur Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers (vgl. BVerfGE 128, 326 <407>) an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). 16 3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).   Lübbe-Wolff Landau Kessal-Wulf
bundesverfassungsgericht
104-2002
3. Dezember 2002
Zur Besetzung des Aufsichtsrats der nordrhein-westfälischen Universitätsklinika Pressemitteilung Nr. 104/2002 vom 3. Dezember 2002 Beschluss vom 11. November 20021 BvR 2145/01 Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerden (Vb) von mehreren Professorinnen und Professoren medizinischer Fachbereiche (Bf) gegen die Regelungen über die Besetzung des Aufsichtsrats der Universitätsklinika in Nordrhein-Westfalen nicht zur Entscheidung angenommen. 1. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Universitätsklinika waren früher Betriebseinheiten der Hochschule und nicht rechtsfähig. Im Rahmen der Novellierung des Hochschulgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen wurden sie zu rechtlich verselbständigten Medizinischen Einrichtungen der Universitäten und in Anstalten des öffentlichen Rechts umgebildet. Das Hochschulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen gestattet die Neuorganisation des Fachbereichs Medizin auf Grund einer Verordnungsermächtigung. Nach den daraufhin erlassenen Klinikumsverordnungen sowie den Satzungen für die Universitätsklinika sind die Professorinnen und Professoren des Fachbereichs Medizin im Aufsichtsrat des jeweiligen Klinikums nicht vertreten. Sie wenden sich deshalb gegen diese Regelungen. Sie sehen sich in ihrem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verletzt. 2. In der Entscheidung der Kammer heißt es im Wesentlichen: Die Voraussetzungen für die Annahme der Vb zur Entscheidung liegen nicht vor. Die Vb haben weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch werden die Bf durch die angegriffenen Regelungen in ihren Grundrechten verletzt. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gibt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem einzelnen Wissenschaftler ein Recht auf solche staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraumes unerlässlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen. Nicht jeder Hochschullehrer braucht jedoch an der Leitung der wissenschaftlichen Einrichtung, an welcher er tätig ist, teilzunehmen oder auf die Bestellung dieser Leitung Einfluss auszuüben. Besonderheiten für die Organisation der Hochschulklinika ergeben sich daraus, dass sie neben Forschung und Lehre auch die Aufgabe der Krankenversorgung wahrnehmen. Deren Organisation unterliegt nicht ohne weiteres den verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, die im Bereich der Selbstverwaltung wissenschaftsrelevanter Angelegenheiten und im Rahmen der Tätigkeit des Hochschullehrers in Forschung und Lehre gelten. Sie muss straffer sein, die Verantwortlichkeiten klar abgrenzen und rasche Entscheidungen ermöglichen. Allerdings sind Forschung, Lehre und Krankenversorgung an Universitätsklinika untrennbar miteinander verknüpft. Deshalb darf das Grundrecht des medizinischen Hochschullehrers auf Wissenschaftsfreiheit auch bei seiner Tätigkeit in der Krankenversorgung nicht unberücksichtigt bleiben. Der Gesetzgeber muss deshalb bei der Organisation der Universitätsklinika zwischen der Wissenschaftsfreiheit einerseits und der bestmöglichen Krankenversorgung andererseits einen angemessenen Ausgleich finden. Insoweit eignen sich Koordinations- und Kooperationsmöglichkeiten beider Funktionsbereiche und sachgerechte organisatorische Verzahnungen. Nach diesen Maßstäben verletzen die angegriffenen Regelungen die Bf nicht in ihrem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit. Hierbei kommt es nicht allein auf die Vorschrift über die Besetzung des Aufsichtsrats an. Ebenso ist von Bedeutung, ob die Regelungen über das Universitätsklinikum in ihrer Gesamtheit die Wissenschaftsfreiheit hinreichend berücksichtigen. Dies bejaht die Kammer. Sie führt im Einzelnen aus, dass die Klinikumsverordnung durch geeignete Koordinations- und Kooperationsmöglichkeiten beider Funktionsbereiche einen Ausgleich zwischen der Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer und den Organisationsanforderungen an die Krankenversorgung gewährleistet. Dieser Ausgleich ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die angegriffenen Regelungen verstoßen weiter auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Die Ungleichbehandlung zwischen den Professorinnen und Professoren und dem übrigen im Klinikum tätigen Personal hinsichtlich der Vertretung im Aufsichtsrat ist gerechtfertigt. Ihr Ausschluss von der Mitbestimmungsregelung ist zur Gewährleistung einer funktionierenden Vertretung von Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat geeignet, weil Professoren im Universitätsklinikum regelmäßig Leitungsfunktionen wahrnehmen. Karlsruhe, den 3. Dezember 2002 nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 2145/01 - - 1 BvR 2146/01 - - 1 BvR 2175/01 - - 1 BvR 2176/01 - In den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden   I. 1. des Herrn Professor Dr. B..., 2. des Herrn Professor Dr. G..., 3. des Herrn Professor Dr. P..., 4. des Herrn Professor Dr. R..., 5. des Herrn Professor Dr. S..., 6. des Herrn Professor Dr. S..., 7. des Herrn Professor Dr. S..., 8. des Herrn Professor Dr. S...,   - Bevollmächtigte: Rechtsanwalt Dr. Christian Kirchberg, Mozartstraße 13, 76133 Karlsruhe, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Prof. Dr. Achim Krämer, Baischstraße 5, 76133 Karlsruhe -   gegen a) § 4 Abs. 3 der Verordnung über die Errichtung des Klinikums Essen der Universität - Gesamthochschule Essen (Universitätsklinikum Essen) als Anstalt des öffentlichen Rechts vom 1. Dezember 2000 (GV.NW S. 725), b) § 4 Abs. 1 und 3 der Satzung des Universitätsklinikums Essen - Anstalt des öffentlichen Rechts - Runderlass des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung vom 6. Februar 2001 - 321-7511-E (ABl NRW 2 S. 10) -   - 1 BvR 2145/01 -,   II. 1. des Herrn Professor Dr. v a n A..., 2. des Herrn Professor Dr. A..., 3. des Herrn Professor Dr. B..., 4. des Herrn Professor Dr. B..., 5. der Frau Professorin Dr. E..., 6. des Herrn Professor Dr.Dr.Dr. h.c. J..., 7. des Herrn Professor Dr. J..., 8. des Herrn Professor Dr. S...,   - Bevollmächtigte: Rechtsanwalt Dr. Christian Kirchberg, Mozartstraße 13, 76133 Karlsruhe, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Prof. Dr. Achim Krämer, Baischstraße 5, 76133 Karlsruhe -   gegen a) § 4 Abs. 3 der Verordnung über die Errichtung des Klinikums Münster der Universität Münster (Universitätsklinikum Münster) als Anstalt des öffentlichen Rechts vom 1. Dezember 2000 (GV.NW S. 716), b) § 4 Abs. 1 und 3 der Satzung des Universitätsklinikums Münster - Anstalt des öffentlichen Rechts - Runderlass des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung vom 6. Februar 2001 - 321-7511-MS (ABl NRW 2 S. 15) -   - 1 BvR 2146/01 -,   III. 1. des Herrn Professor Dr. B..., 2. des Herrn Professor Dr. E..., 3. des Herrn Professor Dr. G..., 4. des Herrn Professor Dr. H..., 5. des Herrn Professor Dr. J..., 6. des Herrn Professor Dr. N..., 7. des Herrn Professor Dr. O..., 8. des Herrn Professor Dr. R...,   - Bevollmächtigte: Rechtsanwalt Dr. Christian Kirchberg, Mozartstraße 13, 76133 Karlsruhe, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Prof. Dr. Achim Krämer, Baischstraße 5, 76133 Karlsruhe -   gegen a) § 4 Abs. 3 der Verordnung über die Errichtung des Klinikums Aachen der Technischen Hochschule Aachen (Universitätsklinikum Aachen) als Anstalt des öffentlichen Rechts vom 1. Dezember 2000 (GV.NW S. 738), b) § 4 Abs. 1 und 3 der Satzung des Universitätsklinikums Aachen - Anstalt des öffentlichen Rechts - Runderlass des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung vom 6. Februar 2001 - 321-7511-AC (ABl NRW 2 S. 2) -   - 1 BvR 2175/01 -,   II. IV. 1. des Herrn Professor Dr. B..., 2. des Herrn Professor Dr. E..., 3. des Herrn Professor Dr. H..., 4. des Herrn Professor Dr. K..., 5. des Herrn Professor Dr. M..., 6. des Herrn Professor Dr. S..., 7. des Herrn Professor Dr. S..., 8. des Herrn Professor Dr. Dr. Z...   - Bevollmächtigte: Rechtsanwalt Dr. Christian Kirchberg, Mozartstraße 13, 76133 Karlsruhe, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Prof. Dr. Achim Krämer, Baischstraße 5, 76133 Karlsruhe -   gegen a) § 4 Abs. 3 der Verordnung über die Errichtung des Klinikums Köln der Universität Köln (Universitätsklinikum Köln) als Anstalt des öffentlichen Rechts vom 1. Dezember 2000 (GV.NW S. 721), b) § 4 Abs. 1 und 3 der Satzung des Universitätsklinikums Köln - Anstalt des öffentlichen Rechts - Runderlass des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung vom 6. Februar 2001 - 321-7511-K (ABl NRW 2 S. 13) -   - 1 BvR 2176/01 -   hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde   gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 11. November 2002 einstimmig beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.   Gründe: I. 1 Mit den Verfassungsbeschwerden wenden sich Professoren der medizinischen Fachbereiche der Universität - Gesamthochschule Essen, der Universität Münster, der Technischen Hochschule Aachen und der Universität Köln gegen Regelungen über die Besetzung des Aufsichtsrats der Universitätsklinika. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. 2 1. Die heute als Universitätsklinika rechtlich verselbstständigten Medizinischen Einrichtungen der Universitäten waren zuvor Betriebseinheiten der Hochschule ohne eigene Rechtsfähigkeit (§ 34 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen <Hochschulgesetz - HG> vom 14. März 2000 <GV.NW S. 190>). Im Rahmen der Novellierung des Hochschulgesetzes im März 2000 bestimmte der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber in § 41 Abs. 1 Satz 1 HG, dass die Medizinischen Einrichtungen der Hochschulen durch Rechtsverordnung in Anstalten des öffentlichen Rechts umgebildet werden. § 41 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 4 HG enthält eine entsprechende Verordnungsermächtigung, die auch eine Neuorganisation des Fachbereichs Medizin gestattet. 3 2. a) Aufgrund dieser Ermächtigung erließ die Ministerin für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen im Wesentlichen gleichlautende Klinikumsverordnungen zur Verselbstständigung der nordrhein-westfälischen Universitätsklinika. 4 Durch § 1 Abs. 1 der jeweiligen Klinikumsverordnung wurde das Universitätsklinikum als rechtsfähige Anstalt des Landes errichtet; das Universitätsklinikum trat an die Stelle der bisherigen medizinischen Einrichtungen der Universität (§ 1 Abs. 2 Klinikumsverordnung). Gemäß § 2 Abs. 1 Klinikumsverordnung dient das Klinikum dem Fachbereich Medizin der Universität zur Erfüllung seiner Aufgaben in Forschung und Lehre, nimmt es Aufgaben der Krankenversorgung einschließlich der Hochleistungsmedizin wahr und gewährleistet es die Verbindung der Krankenversorgung mit Forschung und Lehre. Das Universitätsklinikum arbeitet auf der Grundlage einer Kooperationsvereinbarung eng mit der Universität zusammen (§ 2 Abs. 2, § 13 Klinikumsverordnung). Es stellt sicher, dass die Mitglieder der Hochschule die ihnen durch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes und durch das Hochschulgesetz verbürgten Rechte wahrnehmen können (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Klinikumsverordnung). Soweit der Bereich von Forschung und Lehre durch Entscheidungen des Klinikums betroffen ist, erfolgen diese im Einvernehmen mit dem Fachbereich Medizin (§ 2 Abs. 2 Satz 3 Klinikumsverordnung). Kommt das Einvernehmen nicht zustande, entscheidet auf Antrag der Dekanin oder des Dekans der Aufsichtsrat des Klinikums (§ 2 Abs. 2 Satz 4 Klinikumsverordnung). 5 Organe des Universitätsklinikums sind der Aufsichtsrat und der Vorstand (§ 3 Klinikumsverordnung). Der Vorstand leitet und vertritt das Klinikum (§ 5 Abs. 1 Klinikumsverordnung). Der Aufsichtsrat legt die betrieblichen Ziele des Universitätsklinikums fest, überwacht die Geschäftsführung des Vorstands und entscheidet unter anderem über die Bestellung der Vorstandsmitglieder mit Ausnahme des Dekans, den Wirtschaftsplan und die Entlastung des Vorstandes (§ 4 Abs. 1 Klinikumsverordnung). Über den Rahmen des laufenden Geschäftsbetriebs hinausgehende Rechtsgeschäfte, Maßnahmen und Regelungen bedürfen seiner Zustimmung (§ 4 Abs. 2 Klinikumsverordnung). 6 Die Besetzung des Aufsichtsrats ist in § 4 Abs. 3 der Klinikumsverordnungen geregelt. Die Norm hat jeweils folgenden Wortlaut: 7 Dem Aufsichtsrat gehören an: 8 1. je eine Vertreterin oder ein Vertreter des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung und des Finanzministeriums; 9 2. die Rektorin oder der Rektor und die Kanzlerin oder der Kanzler der Universität; 10 3. eine externe Sachverständige oder ein externer Sachverständiger aus dem Bereich der Wirtschaft; 11 4. eine externe Sachverständige oder ein externer Sachverständiger aus dem Bereich der medizinischen Wissenschaft; 12 5. eine Vertreterin oder ein Vertreter des wissenschaftlichen Personals (§ 12); 13 6. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Personals des Universitätsklinikums; 14 7. die Gleichstellungsbeauftragte mit beratender Stimme. 15 Die Satzung kann weitere Mitglieder mit beratender Stimme vorsehen. Die Mitglieder gemäß Satz 1 Nr. 3 und 4 werden vom Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung bestellt. Ihre Bestellung erfolgt auf Vorschlag des Rektorats, das dazu das Benehmen mit dem Fachbereich Medizin und dem Vorstand herstellt. Das unter § 12 dieser Verordnung fallende Personal mit Ausnahme des der Gruppe der Professorinnen und Professoren angehörenden Personals wählt aus seiner Mitte das Mitglied nach Satz 1 Nr. 5. Das Personal des Universitätsklinikums wählt aus seiner Mitte das Mitglied nach Satz 1 Nr. 6. Für die Wahl der Mitglieder nach Satz 1 Nr. 5 und 6 und ihrer Stellvertreterinnen oder Stellvertreter erlässt der Aufsichtsrat eine Wahlordnung. 16 Neben diesen Organen sieht § 6 Klinikumsverordnung als den Vorstand in grundsätzlichen Fragen beratendes Gremium eine Klinikumskonferenz vor, die aus den Leitern und geschäftsführenden Leitern der klinischen und medizinisch-theoretischen Abteilungen und der zentralen Dienstleistungseinrichtungen des Universitätsklinikums sowie vier Vertretern der nicht zu den Leitern zählenden Professoren und Hochschuldozenten zusammengesetzt ist. 17 b) Gestützt auf § 7 Klinikumsverordnung erließ das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung Satzungen für die Universitätsklinika. Bezüglich der Besetzung des Aufsichtsrats enthalten die Satzungen folgende Regelung: 18 § 4 19 Zusammensetzung, Bestellung und Verfahren des Aufsichtsrats 20 (1) Dem Aufsichtsrat gehören an: 21 1. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung; 22 2. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Finanzministeriums; 23 3. die Rektorin oder der Rektor der Universität; 24 4. die Kanzlerin oder der Kanzler der Universität; 25 5. eine externe Sachverständige oder ein externer Sachverständiger aus dem Bereich der Wirtschaft; 26 6. eine externe Sachverständige oder ein externer Sachverständiger aus dem Bereich der medizinischen Wissenschaft; 27 7. eine Vertreterin oder ein Vertreter des wissenschaftlichen Personals; 28 8. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Personals des Universitätsklinikums; 29 9. die Gleichstellungsbeauftragte mit beratender Stimme. 30 (2) ... 31 (3) Das am Universitätsklinikum tätige wissenschaftliche Personal mit Ausnahme des der Gruppe der Professorinnen und Professoren angehörenden Personals wählt aus seiner Mitte das Mitglied nach Absatz 1 Nr. 7. Das Personal des Universitätsklinikums wählt aus seiner Mitte das Mitglied nach Absatz 1 Nr. 8. Die Amtszeit beträgt vier Jahre. Für die Wahl der Mitglieder nach Absatz 1 Nr. 7 und 8 erlässt der Aufsichtsrat eine Wahlordnung. 32 (4) bis (9) ... 33 3. Die Beschwerdeführer sind Professorinnen und Professoren des Fachbereichs Medizin ihrer Universitäten und zugleich Klinikdirektoren oder Abteilungs- oder Institutsleiter am jeweiligen Universitätsklinikum. Sie wenden sich gegen § 4 Abs. 3 Klinikumsverordnung und § 4 Abs. 1 und 3 Klinikumssatzung und rügen die Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG fordere nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Professoren des Fachbereichs Medizin im Aufsichtsrat des Klinikums vertreten seien. Zwar unterliege die Organisation der Krankenversorgung der Universitäten nicht in gleichem Umfang wie die Hochschulverwaltung selbst den verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit dürfe aber auch bei der Organisation der Krankenversorgung nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Der ausdrücklich verfügte Ausschluss der Gruppe der Professoren von der stimmberechtigten Mitwirkung im Aufsichtsrat stehe in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur Funktion des Klinikums, Aufgaben in Forschung und Lehre wahrzunehmen. Da Vertreter des wissenschaftlichen Personals mit Ausnahme der Professoren und des Personals des Klinikums im Aufsichtrat vertreten seien, liege darin zugleich eine willkürliche Diskriminierung der Gruppe der Professoren. II. 34 Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerden haben keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Die maßgebenden verfassungsrechtlichen Fragen zum Grundrechtsschutz des Hochschullehrers gegen organisatorische Regelungen und zum Verhältnis universitärer Krankenversorgung und Wissenschaftsfreiheit sind vom Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 35, 79 <115>; 57, 70 ff.; 85, 360 <384 f.>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist auch nicht zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerden haben keine Aussicht auf Erfolg. 35 1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden ist unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität zweifelhaft. Dieser ist auch bei Normen zu beachten, die den Beschwerdeführer unmittelbar betreffen und gegen die selbst kein fachgerichtlicher Rechtsschutz eröffnet ist (vgl. BVerfGE 74, 69 <74>; 90, 128 <136 f.>). Dies gilt auch bei Verordnungen eines Landes, das von der Ermächtigung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 18. August 2000 - 1 BvR 1329/00 -, NVwZ 2000, S. 1407 f.). Die Frage der Zulässigkeit kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Verfassungsbeschwerden unbegründet sind. 36 2. Die angegriffenen Regelungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten. 37 a) Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist nicht verletzt. 38 aa) Das durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gibt dem einzelnen Wissenschaftler ein Recht auf solche staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraumes unerlässlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen. Im Bereich des mit öffentlichen Mitteln eingerichteten und unterhaltenen Wissenschaftsbetriebes hat der Staat durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, dass das Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung so weit unangetastet bleibt, wie das unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist (vgl. BVerfGE 35, 79 <115>; 85, 360 <384 f.>). 39 Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verlangt aber nicht, dass jeder Hochschullehrer an der Leitung der wissenschaftlichen Einrichtung, an welcher er tätig ist, teilnehmen oder auf die Bestellung dieser Leitung Einfluss ausüben kann (vgl. BVerfGE 57, 70 <92 f.>). Der Leitung einer wissenschaftlichen Einrichtung können Koordinationsbefugnisse hinsichtlich eines sachgerechten Einsatzes der dem Institut zugewiesenen Personal- und Sachmittel auch dann zugewiesen werden, wenn solche Befugnisse die Forschungsvorhaben der an dem Institut tätigen Professoren mittelbar berühren können (vgl. BVerfGE 57, 70 <94>). 40 Besonderheiten für die Organisation der Hochschulklinika ergeben sich daraus, dass diese neben Forschung und Lehre die Aufgabe der Krankenversorgung wahrnehmen. Die Organisation der Krankenversorgung unterliegt nicht ohne weiteres den verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, welche im Bereich der Selbstverwaltung wissenschaftsrelevanter Angelegenheiten und im Rahmen der Tätigkeit des Hochschullehrers in Forschung und Lehre Geltung beanspruchen. Bei der Krankenversorgung handelt es sich um eine Zusatzaufgabe der Hochschullehrer, die neben Forschung und Lehre tritt. Es liegt nahe, dass sie eine straffere, die Verantwortlichkeiten klar abgrenzende und rasche Entscheidungen ermöglichende Organisation erfordert. Deshalb kann die Strukturierung der Krankenversorgung weitgehend unbedenklich mit Rücksicht auf ihre Effizienz erfolgen (vgl. BVerfGE 57, 70 <96 ff.>). 41 Wegen der untrennbaren Verknüpfung von Forschung, Lehre und Krankenversorgung an Universitätsklinika darf das Grundrecht des medizinischen Hochschullehrers auf Wissenschaftsfreiheit auch bei seiner Tätigkeit in der Krankenversorgung allerdings nicht unberücksichtigt bleiben. Der Gesetzgeber muss bei der Organisation der Universitätsklinika zwischen der Wissenschaftsfreiheit einerseits und der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG geforderten bestmöglichen Krankenversorgung andererseits einen angemessenen Ausgleich finden (vgl. BVerfGE 57, 70 <98 f.>). Dazu gehört, dass sowohl dem Interesse an bestmöglicher Krankenversorgung als auch der Freiheit medizinischer Forschung und Lehre und der akademischen Selbstverwaltung der Universität durch geeignete Koordinations- und Kooperationsmöglichkeiten beider Funktionsbereiche und durch sachgerechte organisatorische Verzahnungen Rechnung getragen wird (vgl. BVerfGE 57, 70 <100> im Anschluss an den Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg <ESVGH 24, 12 [17]>). 42 bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verletzen die angegriffenen Regelungen über die Besetzung des Aufsichtsrates das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht. Entscheidend ist hierbei nicht allein die Vorschrift über die Besetzung des Aufsichtsrats; ebenso ist von Bedeutung, ob die Regelungen über das Universitätsklinikum in ihrer Gesamtheit die Wissenschaftsfreiheit hinreichend berücksichtigen (vgl. BVerfGE 57, 70 <106>). Dies ist der Fall. Die Klinikumsverordnung gewährleistet durch geeignete Koordinations- und Kooperationsmöglichkeiten beider Funktionsbereiche einen verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ausgleich zwischen der Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer und den Organisationsanforderungen an die Krankenversorgung. 43 Nach der Verselbstständigung des Universitätsklinikums bleibt die Aufgabe medizinischer Forschung und Lehre in erster Linie bei der Universität. Der Fachbereich Medizin entscheidet insbesondere über die für Forschung und Lehre vorgesehenen Stellen und Mittel (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, 2, 3, § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 Klinikumsverordnung). Das Universitätsklinikum dient dem Fachbereich zwar bei der Erfüllung der Aufgaben in Forschung und Lehre (§ 2 Abs. 1 Klinikumsverordnung), seine Entscheidungskompetenz bezieht sich jedoch in erster Linie auf die Organisation der Krankenversorgung. Nur hinsichtlich der Krankenversorgung, nicht aber bezüglich ihrer Tätigkeit in Forschung und Lehre, sind die Hochschullehrer danach in die hierarchische Organisation des Klinikums mit Vorstand und Aufsichtsrat als den zentralen Leitungsorganen eingegliedert und an deren Beschlüsse gebunden. 44 Die primäre Zuständigkeit der Fachbereiche für die Wissenschaftsfreiheit betreffende Fragen wird organisatorisch dadurch gesichert, dass Entscheidungen des Universitätsklinikums im Bereich der Krankenversorgung, soweit Forschung und Lehre betroffen sind, im Einvernehmen mit dem Fachbereich Medizin erfolgen müssen (§ 2 Abs. 2 Satz 3 Klinikumsverordnung). Damit ist gewährleistet, dass die Professorinnen und Professoren des Fachbereichs über den Fachbereichsrat auch auf wissenschaftsrelevante Entscheidungen der Klinika Einfluss ausüben können. Die in dem Einvernehmenserfordernis liegende Verpflichtung zur Einigung verliert als sachgerechte organisatorische Verzahnung nicht dadurch an Wert, dass, wenn das Einvernehmen nicht zustande kommt, auf Antrag des Dekans der Aufsichtsrat des Klinikums entscheidet (§ 2 Abs. 2 Satz 4 Klinikumsverordnung). Schon dass die Initiative in diesem Fall beim Dekan liegt, spricht dafür, dass die Auflösung von Konfliktfällen durch den Aufsichtsrat eher dem Schutz als der Beeinträchtigung wissenschaftlicher Belange dienen soll. Auch die Besetzung des Aufsichtsrates unter anderem mit Vertretern der Universität (Rektor und Kanzler) und einem im Benehmen mit dem Fachbereich berufenen sachverständigen Mitglied aus dem Bereich der medizinischen Wissenschaft stellt insoweit eine organisatorische Sicherung dar. 45 Darüber hinaus ist die Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit eine ausdrücklich definierte Aufgabe des Aufsichtsrates (§ 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Klinikumsverordnung). Der Aufsichtsrat hat bei seinen Entscheidungen daher stets darauf zu achten, dass die Arbeit der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer in Forschung und Lehre möglichst nicht beeinträchtigt wird. 46 Eine weitere organisatorische Vorkehrung zur Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit liegt in der Verpflichtung der Klinika zur Kooperation mit den Universitäten, insbesondere mit den Fachbereichen Medizin (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Klinikumsverordnung). Die Kooperation erfolgt auf der Grundlage einer Kooperationsvereinbarung nach § 13 Klinikumsverordnung. Als vertragliche Regelung ist sie geeignet, erforderlichenfalls die unterschiedlichen Interessen von Klinikum und Universität durch eine differenzierte, den besonderen Verhältnissen angepasste Regelung zu einem optimalen Ausgleich zu bringen. Während Anhörung, Benehmen und Einvernehmen als Kooperationsinstrumente nur Einzelentscheidungen betreffen, ist eine Vertragslösung in der Lage, auch die komplexen Zusammenhänge unterschiedlicher Entscheidungen in die Lösung einzubeziehen (vgl. Karthaus/Schmehl, MedR 2000, S. 299 <309>). 47 Schließlich dient auch die Vertretung der Professorinnen und Professoren in der Klinikumskonferenz gemäß § 6 Klinikumsverordnung der Berücksichtigung der Wissenschaftsfreiheit bei wissenschaftsrelevanten Entscheidungen der Klinika im Bereich der Krankenversorgung. Die Eignung als angemessenes Institut zur organisatorischen Berücksichtigung der Wissenschaftsfreiheit ist zwar dadurch beschränkt, dass das Gremium nur eine beratende Funktion hat. Auch beratenden Gremien kann aber eine erhebliche Bedeutung zukommen. Dies gilt besonders, wenn sie aus in hohem Maße sachverständigen Mitgliedern bestehen. 48 b) Die angegriffenen Regelungen verstoßen auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. 49 Art. 3 Abs. 1 GG verbietet, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 84, 348 <359>; 101, 239 <269>). 50 Die Ungleichbehandlung zwischen den Professorinnen und Professoren und dem übrigen im Klinikum tätigen Personal hinsichtlich der Vertretung im Aufsichtsrat ist gerechtfertigt. Die Beteiligung von Vertretern der anderen Gruppen ist keine Gruppenvertretung im Rahmen universitärer Selbstverwaltung, sondern ihr Grund liegt in der Gewährleistung einer funktionierenden Vertretung von Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat (vgl. § 41 Abs. 2 Nr. 5 HG; LTDrucks 12/3787, S. 31). Der Ausschluss der Professoren von dieser Mitbestimmungsregelung ist zur Gewährleistung einer funktionierenden Vertretung von Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat geeignet, weil Professoren im Universitätsklinikum regelmäßig Leitungsfunktionen wahrnehmen. 51 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. 52 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Jaeger Hömig Bryde
bundesverfassungsgericht
33-2009
1. April 2009
Verfassungsbeschwerde gegen Grundsteuerbescheid erfolglos Pressemitteilung Nr. 33/2009 vom 1. April 2009 Beschluss vom 18. Februar 20091 BvR 1334/07 Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde von Eltern dreier Kinder, die sich gegen den Grundsteuerbescheid der Gemeinde für ihr selbst genutztes Hausgrundstück richtet, nicht zur Entscheidung angenommen. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen diesen Grundsteuerbescheid vor den Fachgerichten waren ohne Erfolg geblieben. Die Beschwerdeführer hatten zuvor weder den ergangenen Einheitswertbescheid noch den Grundsteuermessbescheid des Finanzamts mit Erfolg angefochten. Die Erhebung der Grundsteuer als solche begegnet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Bedenken. Ebenfalls ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Grundsteuer grundsätzlich ohne Rücksicht auf die familiären Verhältnisse des Grundbesitzers erhoben wird, denn dies entspricht ihrem Charakter als Objektsteuer. Behauptete Mängel im System der Grundstücksbewertung konnten im Rahmen der allein gegen den Grundsteuerbescheid der Gemeinde und die ihn bestätigenden Gerichtsentscheidungen erhobenen Verfassungsbeschwerde nicht berücksichtigt werden. Diese Rügen richten sich gegen Feststellungen und Festlegungen der Grundlagenbescheide des Finanzamts. Werden diese nicht mit Erfolg angefochten, ist die Gemeinde im Rahmen des Erlasses des Grundsteuerbescheides an den Inhalt der Grundlagenbescheide, die die Grundstücksbewertung abschließend regeln, gebunden. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 1334/07 - In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   1. der Frau L..., 2. des Herrn L...   - Bevollmächtigter zu 1.: Rechtsanwalt Peter Leuchtenberg, Alte Rather Straße 89, 47802 Krefeld -   1. unmittelbar gegen a) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. April 2007 - 14 A 661/06 -, b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. Januar 2006 - 25 K 2643/05 -, c) den Widerspruchsbescheid der Stadt Krefeld vom 25. Mai 2005 - 21/10 ms - d) den Grundsteuer-Bescheid der Stadt Krefeld vom 24. Januar 2005 - Kassenzeichen: 01113181.6/0100 -, 2. mittelbar gegen das Grundsteuergesetz 1973 (BGBl I S. 965), zuletzt geändert durch Art. 29 des Gesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl I S. 1818), insbesondere gegen §§ 27, 25, 1, 2, 33, 34 des Grundsteuergesetzes   hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Eichberger, Masing   gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 18. Februar 2009 einstimmig beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.   Gründe: 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuer. I. 2 Die Beschwerdeführer, Eltern dreier Kinder, werden für ihr selbst genutztes Hausgrundstück zur Zahlung von Grundsteuer herangezogen. Der von der beklagten Kommune des Ausgangsverfahrens erlassene Grundsteuerbescheid für das Jahr 2005 beruht auf dem zuvor ergangenen Einheitswertbescheid und dem Grundsteuermessbescheid des Finanzamts, die von den Beschwerdeführern nicht mit Erfolg angefochten wurden. Widerspruch und Anfechtungsklage der Beschwerdeführer gegen den Grundsteuerbescheid blieben ohne Erfolg. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht als unbegründet ab. Es könne dahinstehen, ob die Verfassungswidrigkeit der Grundsteuer überhaupt im Verfahren gegen den Grundsteuerbescheid geltend gemacht werden könne oder dieser Einwand nicht vielmehr gegen die Grundlagenbescheide vorzubringen gewesen wäre. Jedenfalls liege die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht vor. Die Grundsteuer verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sei davon auszugehen, dass aus dem Vermögensteuerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts keine Schlussfolgerungen zur Verfassungswidrigkeit der Grundsteuer zu ziehen seien. II. 3 Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Rechts aus Art. 3 Abs. 1 GG. 4 Im Vermögensteuerbeschluss habe das Bundesverfassungsgericht Art. 3 Abs. 1 GG den Grundsatz entnommen, dass die Bürger je nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der Staatsaufgaben herangezogen würden. Dieser Grundsatz werde durch die Grundsteuer verletzt, weil sie die Bürger unabhängig von ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit erfasse. Eine fünfköpfige Familie werde genauso wie kinderlose Personen herangezogen. Der besondere Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) fordere insoweit aber eine Ungleichbehandlung. Im Übrigen habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Gesetzgeber die wirtschaftliche Grundlage persönlicher Lebensführung von einer Sollertragsteuer ausnehmen müsse. Dieser Grundsatz werde insbesondere bei Mietern verletzt, auf die die Grundsteuer durch die Vermieter abgewälzt werde. Aus der Abwälzung der Grundsteuer auf die Mieter folge auch insoweit eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG, als Wohnen zur Miete von der Umsatzsteuer befreit sei. Es sei gleichheitswidrig, dass diese „Vorgabe" des Umsatzsteuerrechts durch das Grundsteuerrecht nicht „aufgenommen" werde. Ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss sei zudem darin zu erblicken, dass bewegliche Vermögenswerte - wie Segelyachten oder Wertpapiere - nicht besteuert würden. Zudem lägen erhebliche Wertverzerrungen vor. So würden altersbedingte Wertunterschiede von Immobilien nicht berücksichtigt. Ein 1964 errichtetes und seitdem nur notdürftig instand gehaltenes Haus werde mit demselben Vervielfältiger angesetzt wie ein im Jahr 2002 errichteter Neubau. Die Einheitsbewertung verstoße gegen den Gleichheitssatz, weil das Ausbleiben turnusmäßiger Anpassungen der Einheitswerte zu erheblichen Wertverzerrungen geführt habe, so dass die Gleichmäßigkeit der Besteuerung in Frage gestellt sei. Der Gesetzgeber müsse Wertverschiebungen innerhalb des Grundvermögens berücksichtigen. Aus § 33 GrStG folge zudem, dass das Realsteuerprinzip bei der Grundsteuer durchbrochen werde, weswegen gegen den Grundsatz der Folgerichtigkeit verstoßen werde, wenn die in § 33 GrStG gewährte Steuervergünstigung im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG nicht auf Familien erstreckt werde. Schließlich widerspreche die Grundsteuer mit ihrer Brutto-Bemessungsgrundlage dem steuerlichen Nettoprinzip und verstoße auch insoweit gegen den Gleichheitssatz, weil Belastungen der Immobilie keine Berücksichtigung fänden. Die Grundsteuer könne daher auch nicht aufgrund ihrer ausdrücklichen Erwähnung als Verteilungsnorm in Art. 106 GG als verfassungsgemäß eingestuft werden. III. 5 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt. 6 Die Erhebung der Grundsteuer entspricht jedenfalls dem Grunde nach und in ihrer wesentlichen Struktur der Verfassung, wie sich bereits aus der mehrfachen ausdrücklichen Erwähnung der Grundsteuer in den Bestimmungen des Grundgesetzes über die Ertragshoheit der Finanzmonopole und Steuern in Art. 106 Abs. 6 GG ergibt (vgl. die entsprechende Argumentation zur Gewerbesteuer in BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. Januar 2008 - 1 BvL 2/04 -, NVwZ 2008, S. 1102 <1103 f.>). Das steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das sich in der Vergangenheit mehrfach - teils unmittelbar (vgl. BVerfGE 10, 372), teils inzident (vgl. BVerfGE 3, 407 <437>; 26, 1 <13>; 41, 269 <281, 288 f.>; 46, 224 <237>; 49, 343 <355 ff.>; 65, 325 <353>; 86, 148 <225>) - mit der Grundsteuer befasst hat, ohne dabei verfassungsrechtliche Zweifel an der Grundsteuer als solcher zu äußern. 7 Soweit sich die Beschwerdeführer gegen bestimmte Modalitäten der Bestimmung und Festsetzung der Grundsteuer wenden, können sie damit im Rahmen der allein gegen den Grundsteuerbescheid und die ihn bestätigenden Gerichtsentscheidungen erhobenen Verfassungsbeschwerde in dem Umfang nicht gehört werden, als diese Rügen auf Feststellungen und Festlegungen zielen, die bereits in den vorangegangenen von ihnen nicht mit Erfolg angegriffenen Grundlagenbescheiden des Finanzamts erfolgt sind. Dies gilt vor allem für die Angriffe gegen Mängel im System der Grundstücksbewertung, die nach Auffassung der Beschwerdeführer zu einer gleichheitswidrigen Belastung der Grundstückseigentümer führt (zur Kritik an den Wertverzerrungen bei der Einheitsbewertung vgl. Drosdzol, DStZ 1999, S. 831 <832>; ders., in: DStZ, 2001, S. 689 <691>; Dötsch, in: Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, Stand Januar 2007, BewG Einf. Rn. 110; Thöne, in: Lange, Reform der Gemeindesteuern, 2006, S. 173 <175 f.>; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 13 Rn. 210; Kühnold/Stöckel, NWB 2007, S. 3873 ff. <3878 ff.>; Balke, ZSteu 2005, S. 322 andererseits aber auch Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. Februar 2005 - II R 36/03 -, BFHE 209, 138). Denn im Rahmen des Erlasses des Grundsteuerbescheides ist die Gemeinde an den Inhalt der Grundlagenbescheide gebunden (§ 13 Abs. 1, § 15, § 16 Abs. 1, § 25 Abs. 1 GrStG i. V. m. § 182 Abs. 1, § 184 Abs. 1 AO). Sie hat folglich hinsichtlich des Inhalts des durch das Finanzamt erlassenen Einheitswertbescheides und des Grundsteuermessbescheides weder eine Prüfungspflicht noch ein Prüfungsrecht. Die Gemeinde errechnet lediglich die konkrete Steuerschuld durch Anwendung des für das Gemeindegebiet geltenden Steuerhebesatzes auf den im Steuermessbescheid ausgewiesenen Messbetrag (§ 25 Abs. 1, § 27 Abs. 1 GrStG). Danach kann offen bleiben, ob die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Rügen zur Verfassungsmäßigkeit des Einheitswertverfahrens Einwendungen gegen den Einheitswertbescheid oder den Grundsteuermessbescheid betreffen. Denn jedenfalls die Grundstücksbewertung ist durch die Grundlagenbescheide abschließend entschieden. 8 Ob die Einwände der Beschwerdeführer gegen die Nichtberücksichtigung ihrer familiären Verhältnisse und damit ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit ebenso bereits die Grundlagenbescheide berührende Fragen betreffen, bedarf hier gleichfalls keiner Entscheidung. Es ist dem Charakter der Grundsteuer als Objektsteuer geschuldet und daher als solches verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sie grundsätzlich ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse des Grundbesitzers erhoben wird (vgl. BVerfGE 46, 224 <237>; 65, 325 <353>). 9 Verfehlt ist die Berufung der Beschwerdeführer auf die Umsatzsteuerbefreiung der Grundstücksvermietung (§ 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG). Die Grundsteuer soll den Grundbesitz besteuern und ist nicht auf Abwälzung auf den Wohnungsmieter hin angelegt, unabhängig von der privatrechtlichen Zulässigkeit dieses Vorgangs. Schon deshalb können aus der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Wohnraummiete keine Rückschlüsse auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Erhebung von Grundsteuer von mit Wohnraum vermietetem Grundbesitz gezogen werden. 10 An einer den Anforderungen von § 23 Abs. 2 Satz 1, § 92 BVerfGG genügenden Begründung fehlt es der Verfassungsbeschwerde bereits, soweit sie die Erhebung der Grundsteuer unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1995 zum sogenannten Halbteilungsgrundsatz (vgl. BVerfGE 93, 121 <136 ff.>) angreift. Die Beschwerdeführer erkennen zwar, dass der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts zwischenzeitlich festgestellt hat, dass sich den Ausführungen jenes Beschlusses vom 22. Juni 1995 keine Belastungsobergrenze entnehmen lässt, die unabhängig von der dort streitgegenständlichen Steuerart der Vermögensteuer Geltung beanspruchen könnte (vgl. BVerfGE 115, 97 <108>). Sie lassen jedoch jegliche substantiierte Ausführung dazu vermissen, weshalb insoweit anderes für die Grundsteuer gelten sollte und insbesondere dass die in jenem Beschluss umschriebene Belastungsobergrenze bei der Grundsteuer im Zusammentreffen mit anderen Ertragsteuern strukturell oder jedenfalls in ihrem Fall generell überschritten würde. 11 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. 12 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Papier Eichberger Masing
bundesverfassungsgericht
60-2008
3. Juni 2008
Versagung des Verheiratetenzuschlags bei eingetragener Lebenspartnerschaft verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden Pressemitteilung Nr. 60/2008 vom 3. Juni 2008 Beschluss vom 06. Mai 20082 BvR 1830/06 Beamten wird neben ihrem Grundgehalt ein Familienzuschlag gewährt. Seine Höhe richtet sich nach der Besoldungsgruppe und der Stufe, die den Familienverhältnissen entspricht. Zur Stufe 1 gehören gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1-3 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) verheiratete und verwitwete, außerdem geschiedene Beamte, soweit sie aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet sind ("Verheiratetenzuschlag"). Andere Beamte erhalten nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 BBesG den Familienzuschlag der Stufe 1 nur, wenn sie einer in ihre Wohnung aufgenommenen Person Unterhalt gewähren und das Einkommen dieser Person eine bestimmte Höhe nicht überschreitet. Der Beschwerdeführer ist Beamter. Er begründete Mitte 2004 eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Seine Klage vor den Verwaltungsgerichten auf Zahlung des Verheiratetenzuschlags blieb ohne Erfolg. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da die Beschränkung des Verheiratetenzuschlags auf verheiratete Beamte - wie bereits im Beschluss vom 20. September 2007 ausgeführt (vgl. Pressemitteilung Nr. 100 vom 12. Oktober 2007) - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Insbesondere steht die Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG und ihre Anwendung durch die Gerichte im Einklang mit der Richtlinie 2000/78/EG in der Auslegung, die sie durch den Europäischen Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. April 2008 erfahren hat. Dem Nichtannahmebeschluss liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Nach der Entscheidung des Gerichtshofs kommt es für die Beantwortung der Frage, ob im vorliegenden Fall eine Diskriminierung vorliegt, darauf an, ob sich die Lebenspartner in einer Situation befinden, die in Bezug auf den Familienzuschlag mit der Situation von Ehegatten vergleichbar wäre. Dies ist zu verneinen. In Anknüpfung an die verfassungsrechtliche Wertung in Art. 6 Abs. 1 GG berücksichtigt § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG den in der Lebenswirklichkeit anzutreffenden typischen Befund, dass in der Ehe ein Ehegatte namentlich wegen der Aufgabe der Kindererziehung und hierdurch bedingter Einschränkungen bei der eigenen Erwerbstätigkeit tatsächlich Unterhalt vom Ehegatten erhält und so ein erweiterter Alimentationsbedarf entsteht. Demgegenüber hat der Gesetzgeber bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft in der Lebenswirklichkeit keinen typischerweise bestehenden Unterhaltsbedarf gesehen, der eine rechtliche Gleichstellung nahe legen könnte. Auch wenn die Lebenspartnerschaft der Ehe bezüglich der gegenseitigen Unterhaltspflichten der Partner grundsätzlich entspricht, besteht daher keine Gleichstellung bei den typisierenden Vereinfachungen im Bereich des Familienzuschlags. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvR 1830/06 - In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   des Herrn H…   - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Thomas Stiller, Bürgerstraße 12, 53173 Bonn - 1. Unmittelbar gegen:   a) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 2006 - 1 A 1368/05 -, b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 9. März 2005 - 26 K 8353/04 -, 2. Mittelbar gegen: das Unterlassen des Gesetzgebers, Beamten, die gemäß § 1 Abs. 1 Lebenspartnerschaftsgesetz eine Lebenspartnerschaft eingegangen sind, einen Anspruch auf Familienzuschlag nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG, den Verheiratete erhalten, zu gewähren,   hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau   gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Mai 2008 einstimmig beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.   Gründe: 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, den Beamten, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft geschlossen haben, den Familienzuschlag der Stufe 1, den verheiratete Beamte erhalten, nicht beziehungsweise nur unter weitergehenden Voraussetzungen zu gewähren. I. 2 1. Beamten wird gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) neben ihrem Grundgehalt ein Familienzuschlag gewährt. Seine Höhe richtet sich nach der Besoldungsgruppe und der Stufe, die den Familienverhältnissen entspricht, § 39 Abs. 1 Satz 2 BBesG. Zur Stufe 1 gehören gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG verheiratete Beamte, außerdem verwitwete (Nr. 2) und geschiedene Beamte beziehungsweise solche, deren Ehe aufgehoben oder für nichtig erklärt ist, soweit sie aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet sind (Nr. 3). Andere Beamte erhalten nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 BBesG den Familienzuschlag der Stufe 1, wenn sie eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihre Wohnung aufgenommen haben und ihr Unterhalt gewähren, weil sie gesetzlich oder sittlich dazu verpflichtet sind oder aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen ihrer Hilfe bedürfen, und das Einkommen dieser Person eine bestimmte Höhe nicht überschreitet. 3 2. Der Beschwerdeführer ist Beamter im Dienste der Stadt Düsseldorf. Er begründete am 21. Juli 2004 eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Seine Klage auf Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 9. März 2005 ab. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 25. Juli 2006 ab. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei durch das Urteil vom 26. Januar 2006 - 2 C 43.04 - (BVerwGE 125, 79) zwischenzeitlich geklärt, dass die Richtlinie 2000/78/EG es nicht gebiete, Vergütungsbestandteile, die verheirateten Beschäftigten gewährt würden, auch den Beschäftigten zukommen zu lassen, die eine Lebenspartnerschaft eingegangen seien. An dieser Auslegung bestünden auch unter Gesichtspunkten des deutschen Verfassungsrechts, die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mitbehandelt worden seien, keinerlei Zweifel. 4 Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts wurde den Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 31. Juli 2006 zugestellt. II. 5 Mit der am 28. August 2006 - mit Eingang der Anlagen am 29. August 2006 - erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 3 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. 6 1. Er ist der Auffassung, es verstoße gegen Art. 3 Abs. 3 GG, dem Beschwerdeführer im Gegensatz zu verheirateten Beamten die Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 zu verweigern. Lebenspartnerschaft und Ehe unterschieden sich letztlich nur dadurch, dass die Ehe nur von einem Mann und einer Frau, die Lebenspartnerschaft dagegen nur von zwei Menschen gleichen Geschlechts begründet werden könne. Die Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt, da es sich bei Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft gleichermaßen um auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften handele, die durch einen staatlichen Begründungsakt geschlossen würden und mit gegenseitigen gesetzlichen Unterhaltspflichten der Partner einhergingen. Das Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG könne eine unterschiedliche Behandlung nicht begründen, da § 40 Abs. 1 BBesG im Wesentlichen auf den Unterhaltsbedarf abstelle. Auch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. November 2000 (ABl. EG L 303/16 vom 2. Dezember 2000) gebiete es, dass der Gesetzgeber hier tätig werde, um den Familienzuschlag auch Beamten in eingetragener Lebenspartnerschaft zu gewähren. Die Richtlinie verbiete Diskriminierungen innerhalb von Beschäftigungsverhältnissen aufgrund der sexuellen Ausrichtung. Die Begründungserwägung Nr. 22 der Richtlinie, wonach einzelstaatliche Rechtsvorschriften über den Familienstand und davon abhängige Leistungen unberührt blieben, stehe im Widerspruch zu dem eindeutigen Wortlaut der Richtlinie. 7 2. Das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, da die Gerichte im Ausgangsverfahren die Frage der Verfassungswidrigkeit der Gesetzeslücke im Besoldungsrecht nicht nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hätten. III. 8 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248>). Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. 9 Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen sowie die angewendete Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG verletzen den Beschwerdeführer nicht in den in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten. Die Entscheidungen verletzen weder Art. 3 Abs. 1 GG noch Art. 33 Abs. 5 GG oder Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Zur Begründung wird Bezug genommen auf den Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. September 2007 in dem Parallelverfahren 2 BvR 855/06 (NJW 2008, S. 209). Die Fragen, welche die vorliegende Verfassungsbeschwerde aufwirft, waren bereits Gegenstand jenes Beschlusses. 10 1. Zur Begründung ist ergänzend auszuführen, dass die angegriffenen Entscheidungen auch im vorliegenden Verfahren den Beschwerdeführer nicht entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG seinem gesetzlichen Richter entziehen. Das Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2006 - 2 C 43.04 - (BVerwGE 125, 79) verwiesen, das Gegenstand der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 855/06 war. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht für erforderlich gehalten, um zu entscheiden, dass die Richtlinie 2000/78/EG es nicht verbietet, den Familienzuschlag den verheirateten Beamten zu gewähren, Beamten in eingetragener Lebenspartnerschaft dagegen nur unter zusätzlichen Voraussetzungen. Das Bundesverwaltungsgericht hat damit den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht in unvertretbarer Weise überschritten (BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 20. September 2007 - 2 BvR 855/06 -, NJW 2008, S. 209 <212>). An der verfassungsrechtlichen Beurteilung dieser Entscheidung ändert sich nichts durch das inzwischen ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 1. April 2008 (Rs. C-267/06 - juris) zur Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG. Das Verwaltungsgericht München hatte die Frage vorgelegt, ob Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG Satzungsbestimmungen eines Zusatzversorgungssystems (hier: der Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen) entgegensteht, nach denen ein eingetragener Lebenspartner keine Hinterbliebenenversorgung erhält, wie sie Ehegatten nach dieser Satzung gewährt wird, und ob in diesem Fall eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung im Hinblick auf den 22. Erwägungsgrund der Richtlinie zulässig wäre (Beschluss vom 1. Juni 2006 - M 3 K 05.1595 - juris). Der Europäische Gerichtshof entschied auf diese Vorlage hin, wenn eine Hinterbliebenenversorgung als Entgelt in den Geltungsbereich der Richtlinie falle, könne deren 22. Begründungserwägung die Anwendung der Richtlinie nicht in Frage stellen. Der Gerichtshof führte weiter aus, falls das vorlegende Gericht entscheide, dass die Lebenspartnerschaft nach nationalem Recht Personen gleichen Geschlechts in eine Situation versetze, die in Bezug auf die Hinterbliebenenversorgung mit der Situation von Ehegatten vergleichbar sei, stelle eine Regelung, welche die Versorgung nur überlebenden Ehegatten gewähre, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung im Sinne der Richtlinie dar. Es sei jedoch Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob sich ein überlebender Lebenspartner in einer Situation befinde, die mit der eines Ehegatten, der die Hinterbliebenenversorgung erhalte, vergleichbar sei. 11 Diese Auslegung der Richtlinie durch den Europäischen Gerichtshof in Bezug auf einen anderen Rechtsbereich - die Hinterbliebenenversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem - steht den Entscheidungen im hiesigen Ausgangsverfahren wie auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 855/06 nicht entgegen, da das Urteil des Gerichtshofs erst nach der jeweiligen letztinstanzlichen Entscheidung erging. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Handhabung der Vorlagepflicht ist jedoch ausschließlich auf die Einschätzung der (Gemeinschafts-)Rechtslage zur Zeit der Entscheidung abzustellen (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 16. Dezember 1993 - 2 BvR 1725/88 -, NJW 1994, S. 2017 <2018>). 12 2. Darüber hinaus steht die Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG und ihre Anwendung durch die Gerichte im Ausgangsverfahren auch im Einklang mit der Richtlinie 2000/78/EG in der Auslegung, die sie durch den Europäischen Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. April 2008 erfahren hat. Die unterschiedliche Behandlung von verheirateten Beamten und Beamten in eingetragener Lebenspartnerschaft bei der Regelung des Familienzuschlags ist keine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie. Denn Lebenspartner befinden sich jedenfalls nicht in einer Situation, die in Bezug auf den Familienzuschlag mit der Situation von Ehegatten vergleichbar wäre. 13 a) Eine allgemeine rechtliche Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe besteht im deutschen Recht nicht. Der Gesetzgeber hat vielmehr an die Rechtsinstitute Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft, die der verfassungsrechtlichen Wertung aus Art. 6 Abs. 1 GG folgend zwischen diesen Formen der Partnerschaft differenzieren (vgl. BVerfGE 105, 313 <350 f.>). Eine Gleichstellung entsprach gerade nicht dem gesetzgeberischen Willen. Daher wurde bei Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft durch das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001 (LPartG - BGBl I S. 266) keine allgemeine Verweisungsnorm erlassen, welche sämtliche Rechtsvorschriften, die für die Ehe gelten, entsprechend auf die eingetragene Lebenspartnerschaft übertragen hätte. Der Gesetzgeber regelte das Recht der eingetragenen Lebenspartnerschaften vielmehr durch eigene Vorschriften, die in einzelnen Sachbereichen Übereinstimmungen mit dem Eherecht vorsehen, in anderen Bereichen jedoch abweichende Regelungen enthalten. Die Übertragung eherechtlicher Vorschriften auf die eingetragene Lebenspartnerschaft geschah nicht regelhaft, sondern als punktuelle Annäherung. Eine allgemeine Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe ist auch nicht durch das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 15. Dezember 2004 (LPartÜbG - BGBl I S. 3396), das zum 1. Januar 2005 in Kraft trat, erfolgt, wenngleich die Unterschiede zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft durch dieses Gesetz geringer geworden sind. 14 b) Eine vergleichbare Situation zwischen Ehegatten und Lebenspartnern besteht auch nicht speziell im Recht des öffentlichen Dienstes. Sowohl der Bundes- als auch der Landesgesetzgeber haben in diesem Bereich bewusst von einer umfassenden Gleichstellung abgesehen und Angleichungen zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft nur in Randbereichen des Dienstrechts geschaffen. Diese punktuellen Annäherungen betreffen nicht den hier in Rede stehenden Familienzuschlag. 15 Die in Art. 3 § 10 des Entwurfs des Lebenspartnerschaftsgesetzes vom 4. Juli 2000 (BTDrucks 14/3751) vorgesehene Vorschrift, wonach Bestimmungen des Bundesbesoldungsgesetzes, die sich auf das Bestehen einer Ehe beziehen, auf das Bestehen einer Lebenspartnerschaft sinngemäß anzuwenden sind, wurde im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens aus dem Entwurf herausgelöst und als Art. 2 § 6 in den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes (BTDrucks 14/4545) eingefügt. Dieser Entwurf wurde vom Bundesrat abgelehnt (BTDrucks 14/4875). Durch das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts ist die Lebenspartnerschaft der Ehe nur für bestimmte Bereiche des Bundesbeamtenrechts wie den Reisekosten, den Umzugskosten, dem Trennungsgeld, dem Sonderurlaub und dem Laufbahnrecht gleichgestellt worden (vgl. Art. 5 Abs. 4 – 13 LPartÜbG). Für das Besoldungsrecht wie auch für das Beamtenversorgungsrecht fehlt dagegen eine derartige Gleichstellung. Zu einer Angleichung ist es im Bereich des Alimentationsgrundsatzes, der zu den Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums zählt (vgl. BVerfGE 8, 1 <16 f.>; 29, 1 <9>; 81, 363 <375>; 99, 300 <314>), gerade nicht gekommen. 16 Eine vergleichbare Situation verheirateter Beamter und Beamter in eingetragener Lebenspartnerschaft in Bezug auf die ihnen gewährte Alimentation hat auch der nordrhein-westfälische Gesetzgeber für die dortigen Landes- und Kommunalbeamten nicht geschaffen. Durch das Gesetz zur Anpassung des Landesrechts an das Lebenspartnerschaftsgesetz des Bundes (LPartAnpG) vom 3. Mai 2005 (GVBl NRW S. 498) erfolgte eine Angleichung beim Trennungsgeld sowie im Laufbahnrecht (vgl. Teil 1, Art. 2 und Teil 2, Art. 2, 6, 7 LPartAnpG). Über das Bundesbeamtenrecht geht das nordrhein-westfälische Landesrecht nur insoweit hinaus, als es im Bereich der Beihilfe Ehegatten und eingetragene Lebenspartner gleichstellt (vgl. § 88 Satz 2 LBG). Dagegen entschied sich der Landesgesetzgeber gegen eine vollständige Gleichstellung, auch nachdem durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) die Gesetzgebungskompetenz für die Beamtenbesoldung und -versorgung auf die Länder übergegangen war. Der Antrag der Landtagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom 17. Oktober 2006 (LTDrucks 14/2724), eine Gleichstellung von verpartnerten Beamten mit verheirateten Beamten bezüglich der Besoldung und Versorgung herbeizuführen, wurde vom Landtag abgelehnt (Plenarprotokoll 14/55 vom 8. März 2007, S. 6199). 17 Für die normative Vergleichbarkeit von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft in Bezug auf den hier in Rede stehenden Familienzuschlag ist diese Ausgestaltung des öffentlichen Dienstrechts entscheidend, nicht die zivilrechtliche Regelung der Unterhaltspflichten in der Ehe und der Lebenspartnerschaft, die inzwischen grundsätzlich übereinstimmen (vgl. § 5 LPartG). Das Besoldungsrecht einschließlich der Regelungen zum Familienzuschlag gestaltet die Pflicht des Dienstherrn zur Alimentation des Beamten und seiner Familie eigenständig aus, ohne an die bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflichten gebunden zu sein (vgl. BVerfGE 21, 329 <347 f.>). In Anknüpfung an die verfassungsrechtliche Wertung in Art. 6 Abs. 1 GG berücksichtigt § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG den in der Lebenswirklichkeit anzutreffenden typischen Befund, dass in der Ehe ein Ehegatte namentlich wegen der Aufgabe der Kindererziehung und hierdurch bedingter Einschränkungen bei der eigenen Erwerbstätigkeit tatsächlich Unterhalt vom Ehegatten erhält und so ein erweiterter Alimentationsbedarf entsteht. Demgegenüber hat der Gesetzgeber bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft in der Lebenswirklichkeit keinen typischerweise bestehenden Unterhaltsbedarf gesehen, der eine rechtliche Gleichstellung nahe legen könnte. Auch wenn die Lebenspartnerschaft der Ehe bezüglich der gegenseitigen Unterhaltspflichten der Partner grundsätzlich entspricht, besteht daher keine Gleichstellung bei den typisierenden Vereinfachungen im Bereich des Familienzuschlags. 18 3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. 19 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Hassemer Di Fabio Landau
bundesverfassungsgericht
37-2001
10. April 2001
Altersgrenze für Niederlassung als Vertragsarzt bestätigt Pressemitteilung Nr. 37/2001 vom 10. April 2001 Beschluss vom 20. März 20011 BvR 491/96 Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat festgestellt, dass es mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist, Ärzte jenseits des 55. Lebensjahres nicht mehr neu zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen. I. Beschwerdeführer (Bf) ist ein 1934 geborener Arzt für Innere Medizin. Seit 1969 war er an einer Universitätsklinik als Oberarzt und außerplanmäßiger Professor tätig. Kurz vor seinem 60. Geburtstag beantragte er erfolglos die Zulassung als Vertragsarzt. Zur Begründung der Ablehnung bezogen der Zulassungsausschuss und die Gerichte sich auf § 98 SGB V und die Zulassungsordnung. Danach ist die erstmalige Zulassung eines Arztes, der das 55. Lebensjahr vollendet hat - außer in Härtefällen - ausgeschlossen. Diese Vorschriften (im Anhang abgedruckt) sind mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) 1989 in Kraft getreten. Ziel ihrer Einführung war die Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Dem lag die auf empirische Erhebungen gestützte Einschätzung des Gesetzgebers zugrunde, dass die Ausgabensteigerung im Gesundheitswesen auch mit der steigenden Zahl niedergelassener Ärzte zusammenhängt. Zur Kostendämpfung sind in den letzten Jahren eine Vielzahl weiterer Maßnahmen zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ergriffen worden. Unter anderem wurden die Beitragsbemessungsgrenze angehoben, den Versicherten Zuzahlungen abverlangt, Festbeträge für Arznei- und Hilfsmittel eingeführt und bestimmte Sachleistungen vollständig aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen. Weiter wurde der Facharztvorbehalt für die Vertragsarztzulassung eingeführt und eine absolute Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte festgelegt. Auch Maßnahmen wie die Budgetierung, die Absenkung der Punktwerte u.s.w. sollen das Krankenversicherungssystem bei vertretbarer Beitragshöhe für Versicherte und Arbeitgeberleistungsfähig erhalten. II. Mit Beschluss vom 20. März 2001 hat der 1. Senat des BVerfG die Verfassungsbeschwerde des Bf gegen die Verweigerung der Zulassung zurückgewiesen. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Die Sicherung der finanziellen Stabilität der Krankenversicherung ist ein Gemeinwohlbelang von überragendem Gewicht, der Regelungen der Berufsausübung, aber auch der Berufswahl rechtfertigt. Bei der Erreichung dieses Ziels hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, den er durch die Festlegung der Altersgrenze nicht überschritten hat. Verfolgt er ein komplexes Ziel - wie die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung - mit vielfältigen Mitteln, ist eine Maßnahme nicht ungeeignet, weil die Betroffenen andernorts größere Einsparpotentiale sehen. Eine einzelne Maßnahme ist zur Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil nicht alle Betroffenen durch die gesetzlichen Vorkehrungen gleichmäßig belastet werden. Der Gesetzgeber muss bei der Regelung dieses Bereichs verschiedene, zum Teil gegenläufige Grundrechtspositionen und Gemeinwohlbelange ausgleichen. Das Beitragsaufkommen lässt sich nicht beliebig erhöhen; gerade die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen stellen den Großteil der gesetzlich Krankenversicherten. Das System reguliert sich nicht nach den Kräften des Marktes selbst, denn die Preise für die ärztliche Leistung werden nicht zwischen Arzt und Patient ausgehandelt, sondern durch sozialstaatliche Regelungen festgesetzt. Diese eröffnen erst die Beteiligung an dem umfassenden sozialen Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung, das aus Beiträgen der Versicherten finanziert wird, von dem auch die Leistungserbringer profitieren und für dessen Funktionsfähigkeit der Staat die Verantwortung trägt. Gleichzeitig muss die angemessene Versorgung der Versicherten gewährleistet sein, eine leistungsfähige Ärzteschaft ist hierfür Voraussetzung. Die Kostenbegrenzung ist damit nur eines der Ziele, die der Gesetzgeber verfolgt, um das System insgesamt funktionsfähig zu erhalten. Zugleich strebt er an, dass die volkswirtschaftlich für vertretbar gehaltene Beitragsbelastung, die der Krankenversicherung ihr Finanzierungsvolumen vorgibt, nicht überschritten und die Verteilung der Finanzmittel den Zielen der Versorgung der Versicherten mit einem ausreichenden und zweckmäßigen Schutz im Krankheitsfall gerecht wird. Mehrausgaben in einem Sektor bedingen dabei notwendigerweise Kürzungen an anderer Stelle, wenn Beitragserhöhungen vermieden werden sollen. Auch dieses Streben nach einer ausgewogenen Lastenverteilung gehört zu den vom Gesetzgeber legitimerweise definierten Zielen einer strukturellen Ausgewogenheit. Die getroffenen Maßnahmen sind grundsätzlich geeignet, zur finanziellen Stabilität der Krankenversicherung beizutragen, wenn auch keine Einzelmaßnahme nachhaltig gewirkt haben mag. Ihre Festlegung im Einzelnen ist eine politische Entscheidung, die durch die Verfassung nicht vorgegeben ist. Insbesondere ist es keine Frage des Verfassungsrecht, ob sich das Gesamtziel auch auf andere Weise und besser hätte erreichen lassen. Auch die hier angegriffene Altersgrenze ist eine solcherart geeignete Maßnahme. Der Gesetzgeber konnte sich besondere wirtschaftliche Einsparungen von ihr versprechen. Denn es besteht die auf plausible Annahmen gestützte Gefahr, dass Personen, die die vertragsärztliche Tätigkeit nur noch während einer relativ kurzen Zeit (nämlich zwischen dem 55. und 68. Lebensjahr) ausüben können, erhöhte Umsätze anstreben. Gerade in den ersten Jahren nach Gründung einer Praxis verbleibt dem Arzt ein geringerer Anteil seines Umsatzes als Gewinn, da er in der Regel Kredite abzahlen muss. Es dauert durchschnittlich 12 Jahre, bis die für einen Praxiserwerb oder eine Praxisgründung notwendigen Kredite insgesamt zurückgezahlt sind. Haben Ärzte nur wenige Jahre der Gewinnerzielung aus selbstständiger Tätigkeit zur Verfügung, wollen aber dennoch durchschnittliche Gewinne erwirtschaften, müssen sie einen erhöhten Umsatz anstreben, was - aus der Sicht der gesetzlichen Krankenversicherung unerwünschte - Mengenausweitungen zur Folge haben kann. Der Gesetzgeber durfte es daher für angezeigt halten, mit den Zugangsbeschränkungen gerade solche Ärzte fernzuhalten, die angesichts des sie selbst treffenden wirtschaftlichen Drucks weniger geeignet erscheinen, kostenbewusst im Gesamtsystem tätig zu werden. Dabei spielt auch eine Rolle, dass der Vertragsarzt nicht nur die Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung trägt, sondern zugleich Sachwalter der Kassenfinanzen insgesamt ist. Vertragsärzte entscheiden über die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Heilbehandlung. Sie verordnen durchschnittlich Kassenleistungen in Höhe des Vierfachen ihres Honorars. Allgemeinärzte veranlassen nach Schätzungen sogar das Siebenfache des eigenen Umsatzes. Sie müssen deshalb Kenntnisse im Vertragsarztrecht haben und bereit sein, wirtschaftlich vertretbare Behandlungen in einer betriebswirtschaftlich sinnvollen Weise zu organisieren. Erfahrungen mit den rechtlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten einer Vertragsarztpraxis werden im Laufe der Jahre erworben. Ärzte, die bis dahin im Krankenhaus, im Labor oder in der Forschung tätig waren, konnten diese regelmäßig nicht erwerben. Hierin liegt ein signifikanter Unterschied gegenüber den gleich alten Ärzten, die schon seit Jahren an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Der Bf kann auch nicht geltend machen, es gäbe weniger einschneidende Mittel zur Stabilisierung der Krankenversicherung. Eine Maßnahme ist nicht deshalb ein milderes Mittel, weil sie nicht den Bf, sondern eine andere Gruppe trifft. So wäre eine weitere Absenkung der ärztlichen Vergütung kein milderes Mittel, da sie sich im Wesentlichen gegen die bereits zugelassenen Vertragsärzte richtet. Die Altersgrenze von 55 Jahren für eine erstmalige Zulassung als Vertragsarzt trifft den Bf auch nicht unverhältnismäßig. Es handelt sich um ein Lebensalter, in dem für abhängig Beschäftigte bereits Altersteilzeit und Frühverrentung in Betracht kommen. Die Betroffenen sind in ihrem Beruf, den sie weiter ausüben können, in der Regel bereits voll etabliert. Auch ist zu berücksichtigen, dass sie die Entscheidung, sich als Vertragsarzt niederzulassen bevor sie 55 Jahre alt werden, in großem Umfang selbst in der Hand haben. Die Möglichkeit einer Härtefallregelung kann untypischen Umständen Rechnung tragen. Karlsruhe, den 10. April 2001 Anlage zur Pressemitteilung Nr. 37/2001 vom 10. April 2001 Die maßgebliche Vorschrift des § 98 SGB V hat folgenden Wortlaut: Zulassungsverordnungen 1. Die Zulassungsverordnungen regeln das Nähere über die Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung sowie die zu ihrer Sicherstellung erforderliche Bedarfsplanung (§ 99) und die Beschränkung von Zulassungen. Sie werden vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Rechtsverordnung erlassen. 2. Die Zulassungsverordnungen müssen Vorschriften enthalten über 1. bis 11. ..... 12. den Ausschluss einer Zulassung oder Ermächtigung von Ärzten, die das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet haben, sowie die Voraussetzungen für Ausnahmen von diesem Grundsatz, soweit die Ermächtigung zur Sicherstellung erforderlich ist, und in Härtefällen, 13. bis 15. ..... § 25 der Zulassungsverordnung für Kassenärzte (Ärzte-ZV) in der Fassung von Art. 18 Nr. 13 GRG bestimmt ergänzend: Die Zulassung eines Arztes, der das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet hat, ist ausgeschlossen. Der Zulassungs ausschuss kann von Satz 1 in Ausnahmefällen abweichen, wenn dies zur Vermeidung von unbilligen Härten erforderlich ist. Die Vorschrift ist gemäß Art 79 Abs. 1 GRG am 1. Januar 1989 in Kraft getreten. nach oben
L e i t s a t z zum Beschluss des Ersten Senats vom 20. März 2001 - 1 BvR 491/96 - Es ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar, dass approbierte Ärzte, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, grundsätzlich nicht mehr zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden.   BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 491/96 - Im Namen des Volkes In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   des Herrn Professor Dr. B...   - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Becker, Büttner und Koll., Gisonenweg 9, 35037 Marburg/Lahn -   1. unmittelbar gegen a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 9. Januar 1996 - 6 BKa 24/94 -, b) das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 1994 - L 11 Ka 17/94 -, c) das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20. Oktober 1993 - S 19 Ka 26/93 -, d) den Beschluss des Berufungsausschusses für Kassenarztzulassungen Nordrhein vom 9. Juni 1993 - W.-Nr. 57/93 -, e) den Beschluss des Zulassungsausschusses für Vertragsärzte Köln bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein vom 30. März 1993 - 271/93 -,   2. mittelbar gegen a) § 98 Abs. 2 Nr. 12 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) in der Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz - GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477), b) § 25 der Zulassungsverordnung für Kassenärzte (Ärzte-ZV) in der Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz - GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477)   hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des Vizepräsidenten Papier, der Richterinnen Jaeger, Haas, der Richter Hömig, Steiner, der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Hoffmann-Riem   am 20. März 2001 beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.   Gründe: A. 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob approbierten Ärzten nach Vollendung des 55. Lebensjahres der Zugang zur vertragsärztlichen Tätigkeit in aller Regel versperrt werden darf, insbesondere um zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen beizutragen. I. 2 1. Die deutsche gesetzliche Krankenversicherung ist ein im Umlageverfahren durch Versicherungsbeiträge finanziertes Gesundheitssystem zur medizinischen Vollversorgung von inzwischen nahezu 90 vom Hundert der Bevölkerung. Die Versicherungsleistungen werden dabei weitgehend als Sachleistungen ohne direkte Kostenbeteiligung der Versicherten erbracht. Ein derartiges System tendiert nach Einschätzung von Sachverständigen zur Kostenausweitung. Bedarfsfeststellung und Kostenkontrolle liegen nicht in einer Hand. Fragt ein Versicherter Leistungen nach, definiert der Arzt den medizinischen Bedarf und erfüllt ihn sodann; die Krankenkassen tragen die Kosten, die über Beiträge aufgebracht werden, mit denen im Wesentlichen kleine und mittlere Einkommen aus abhängiger Beschäftigung belastet sind. Einkommensbezieher mit höherem Erwerbseinkommen, Selbständige und Beamte sind in der Regel privat versichert, sofern sie der gesetzlichen Versicherung nicht als freiwillig Versicherte angehören. In der Privatversicherung gibt es etwa 6 Millionen Versicherte mit vollem Krankenversicherungsschutz; in der gesetzlichen Versicherung sind 72 Millionen versichert, davon etwa 15 Millionen als Rentner und 22 Millionen als beitragsfrei versicherte Familienmitglieder. Die kontinuierlich steigenden Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung haben zu Steigerungen im Beitragssatz und zu erheblichen Anhebungen der Versicherungspflichtgrenze geführt (vgl. Verband der privaten Krankenversicherung <Hrsg.>, Die private Krankenversicherung, Zahlenbericht 1996/97, S. 16). Auch für die Zukunft wird mit steigenden Kosten bei den Gesundheitsleistungen gerechnet als Folge der zunehmenden Alterung der Gesellschaft, der hiermit verbundenen Abnahme der Beitragszahler aus aktiver Erwerbstätigkeit und der Steigerungseffekte aus dem medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritt. Die Vermeidung von weiteren Beitragssteigerungen ist seit Jahren ein vorrangiges Ziel der Gesundheitspolitik (vgl. Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit <Hrsg.>, Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung, Endbericht der Enquête-Kommission des 11. Deutschen Bundestages, 1990 <im Folgenden: Enquête-Bericht>, Rn. 82 ff.; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung <im Folgenden: Sachverständigenrat>, Jahresgutachten 1992/93, Nr. 377 ff. m.w.N.; vgl. zur Entwicklung auch BTDrucks 11/2237, S. 1, 132 ff., 156; BTDrucks 13/6087, S. 15). 3 2. Einspareffekte können durch Kostenbeteiligung der Versicherten, Leistungskürzungen oder durch Freilegung von Leistungsreserven im Gesundheitswesen erwirtschaftet werden. Dem ambulanten Bereich wird hierbei eine Schlüsselstellung zugeschrieben (vgl. BTDrucks 12/3608, S. 94; Hess, in: Kasseler Kommentar, Bd. 1, Stand: Dezember 2000, § 73 SGB V Rn. 12). Der Vertragsarzt konkretisiert die Ansprüche der Versicherten gegenüber den Krankenkassen, definiert das Kranksein der Patienten und den Bedarf an ärztlichen und sonstigen Dienst- und Sachleistungen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 SGB V; vgl. BSG, SozR 3-2500 § 13 Nr. 4). Er verordnet durchschnittlich Kassenleistungen in Höhe des Vierfachen seines Honorars (vgl. BTDrucks 12/3608, S. 98; Enquête-Bericht, S. 119 Rn. 53). Allgemeinärzte veranlassen nach Schätzungen sogar das Siebenfache des eigenen Umsatzes (vgl. Hess, a.a.O., Rn. 12; Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen <im Folgenden: Sachverständigenrat Konzertierte Aktion>, Jahresgutachten 1988, Rn. 354). Unter den Kostendämpfungsmaßnahmen kommt deshalb der Vermeidung ungerechtfertigter Mengenausweitung hohe Priorität zu (vgl. Enquête-Bericht, a.a.O., S. 117 ff., Rn. 45 ff.). Die Mengenausweitung kann durch das System der Vergütung und die Zahl der Beteiligten an der vertragsärztlichen Versorgung beeinflusst werden (vgl. Enquête-Bericht, a.a.O., Rn. 109 ff.). Denn durch das grundsätzlich einzelleistungsbezogene Vergütungssystem steigen die Ausgaben auch mit steigender Zahl niedergelassener Ärzte. Seit den Erhebungen zum ersten Kassenarzt-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 11, 30) hat sich die Zahl niedergelassener Ärzte bis 1996 knapp verdreifacht; die Arztdichte hat seitdem weiter zugenommen. Die Fallzahlen pro Vertragsarzt sind gleichwohl nicht gesunken, sondern gestiegen. Nachdem das an die Ärzte zu verteilende Honorarvolumen durch Budgets beschränkt worden war, sank die Vergütung für die einzelne erbrachte Leistung. In vielen Bereichen kam es daraufhin zu Mengenausweitungen mit der Folge, dass Ärzte, die auf die Budgetierung nicht mit einer Leistungsausweitung reagiert haben, faktisch Honoraranteile an andere abgeben (vgl. Pfaff/Nagel/Rindsfüßer, Die zukünftige Entwicklung der Arztzahlen im ambulanten Bereich bis zum Jahr 2006, 1993, S. 11 f., 71 f., 125 f.). 4 Zur Vermeidung weiterer Kostensteigerungen gibt es zahlreiche - zum Teil schon gesetzlich verwirklichte - Vorschläge, die bei der Neustrukturierung des ärztlichen Versorgungsangebots als Ganzem einsetzen (vgl. Sachverständigenrat Konzertierte Aktion, Jahresgutachten 1990, Rn. 461 ff. und Jahresgutachten 1992, Rn. 322 ff.), eine Verringerung der Studienplätze in der Medizin befürworten (vgl. Sachverständigenrat Konzertierte Aktion, Sachstandsbericht 1994, Rn. 334) oder auf andere Weise die Zulassung der Vertragsärzte zu begrenzen suchen, beispielsweise durch die Verlängerung der ärztlichen Ausbildung und die Einführung des Facharztvorbehalts für die Vertragsarztzulassung (§ 95 a SGB V) sowie durch die Festlegung der End-Altersgrenze für Vertragsärzte (vgl. § 95 Abs. 7 SGB V). Der Gesetzgeber hat zusätzlich Regelungsmechanismen bei Überversorgung (Bedarfsplanung - §§ 99 ff. SGB V) geschaffen sowie die hier angegriffene Altersgrenze für den erstmaligen Entschluss zur Niederlassung als Arzt und zur Zulassung als Vertragsarzt eingeführt. Weitere Reformüberlegungen zielen auf den Abschluss von Einzelverträgen statt kollektiver Verträge sowie auf eine befristete Vergabe von Vertragsarztsitzen (vgl. Sachverständigenrat Konzertierte Aktion, Sachstandsbericht 1994, Rn. 596 ff.). Beim Vergütungssystem wird mehr Transparenz und verstärkt die Abrechnung nach Fallpauschalen befürwortet. 5 Die Einsparmaßnahmen im Krankenkassenbereich sind aber nicht auf die niedergelassenen Ärzte beschränkt. So werden den Versicherten Zuzahlungen abverlangt. Mit den Festbeträgen wird auf das Preisgefüge bei Arznei- und Hilfsmitteln Einfluss genommen. Bestimmte Sachleistungen werden überhaupt nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht. Auch die Vergütungs- und Budgetregelungen im ambulanten und stationären Bereich dienen dem Ziel, Einsparungen zu erzielen. 6 3. Das Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung bedingt, dass sich die Krankenkassen zur Sicherstellung der ihnen zugewiesenen Aufgaben der in Kassenärztlichen Vereinigungen zusammengeschlossenen Vertragsärzte bedienen. Von Beginn an drängten die Ärzte auf erweiterte Beschäftigungsmöglichkeiten, die Krankenkassen auf die Vermeidung hoher Kosten (vgl. Rosewitz/Webber, Reformversuche und Reformblockaden im deutschen Gesundheitswesen, 1990, S. 14 ff.). Den niedergelassenen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten ist die ambulante Versorgung der Versicherten vorbehalten. Ihre Zahl stieg kontinuierlich an. 1913 wurde ein Arzt auf je 1.350 Versicherte, 1932 ein Arzt auf nur noch 600 Versicherte zugelassen. Die auf 500 abgesenkte Zahl war gültig, bis das Bundesverfassungsgericht die Zulassung nach Verhältniszahlen als mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar aufgehoben hat (BVerfGE 11, 30 <39>). Als daraufhin bis 1986 die Zahl der zugelassenen Vertragsärzte im ambulanten Bereich um 75 vom Hundert anstieg, hat der Gesetzgeber regional wirkende Zulassungsregeln eingeführt, die einer Konzentration der Überversorgung in bestimmten Gebieten entgegenwirken sollten (vgl. § 368 t RVO). Das erschien notwendig, weil die Ausgaben der Krankenkassen je Versichertem umso höher lagen, je höher die Versorgungsdichte mit Ärzten war (vgl. BTDrucks 10/5630, S. 12; 10/6444, S. 5 f.). 7 Zwei Jahre später wurde mit dem Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz - GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) die vorliegend angegriffene Altersgrenze eingeführt, um den Anstieg der Kassenarztzahlen weiter abzuschwächen und damit die Kostendämpfung zu verbessern (vgl. BTDrucks 11/2237, S. 132, 137, 156). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Zustrom von Ärzten, die das 55. Lebensjahr bereits vollendet haben, führe zu einer Gefährdung der Wirtschaftlichkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es sei zu befürchten, dass solche Ärzte die Tätigkeit nur relativ kurze Zeit ausüben könnten und die Amortisation ihrer Praxisinvestitionen durch gesteigerte und unwirtschaftliche Tätigkeit zu erreichen versuchten. Im Übrigen hätten diese Ärzte ein abgeschlossenes Berufsleben hinter sich, so dass mit Ausnahme von Härtefällen auch kein Bedürfnis für ihre Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung bestehe (vgl. BTDrucks 11/2237, S. 195). 8 Die maßgebliche Vorschrift des § 98 SGB V hat folgenden Wortlaut: Zulassungsverordnungen (1) Die Zulassungsverordnungen regeln das Nähere über die Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung sowie die zu ihrer Sicherstellung erforderliche Bedarfsplanung (§ 99) und die Beschränkung von Zulassungen. Sie werden vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Rechtsverordnung erlassen. (2) Die Zulassungsverordnungen müssen Vorschriften enthalten über 1. bis 11. ... 12. den Ausschluss einer Zulassung oder Ermächtigung von Ärzten, die das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet haben, sowie die Voraussetzungen für Ausnahmen von diesem Grundsatz, soweit die Ermächtigung zur Sicherstellung erforderlich ist, und in Härtefällen, 13. bis 15. ... 9 § 25 der Zulassungsverordnung für Kassenärzte (Ärzte-ZV) in der Fassung von Art. 18 Nr. 13 GRG bestimmt ergänzend: Die Zulassung eines Arztes, der das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet hat, ist ausgeschlossen. Der Zulassungsausschuss kann von Satz 1 in Ausnahmefällen abweichen, wenn dies zur Vermeidung von unbilligen Härten erforderlich ist. 10 Die Vorschrift ist gemäß Art. 79 Abs. 1 GRG am 1. Januar 1989 in Kraft getreten. 11 Jungen Ärzten wird demgegenüber der Eintritt ins Berufsleben dadurch erleichtert, dass sie ohne eigene Kassenzulassung bei Vertragsärzten beschäftigt werden können (§ 32 Abs. 2 Ärzte-ZV). Vertragsarztsitze werden frei, wenn die Inhaber die mit dem Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) eingeführte Altersgrenze von 68 Jahren erreichen (vgl. BTDrucks 12/3608, S. 93). II. 12 1. Der 1934 geborene Beschwerdeführer ist Arzt für Innere Medizin. Seit 1969 war er an einer medizinischen Universitätsklinik vornehmlich im Bereich der Hämapherese (Trennung von Blutzellen und Plasma) als Oberarzt und außerplanmäßiger Professor tätig. Das Beschäftigungsverhältnis war nicht frei von Spannungen, die erst 1994 vor dem Arbeitsgericht mit einem Vergleich bei fortbestehendem Beschäftigungsverhältnis ihren Abschluss fanden. 13 2. Noch während dieses Verfahrens beantragte der Beschwerdeführer Anfang 1993 kurz vor Vollendung seines 60. Lebensjahres die Zulassung als Vertragsarzt mit der Begründung, er empfinde die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als zu belastend und insgesamt nicht mehr zumutbar; erhalte er die Zulassung, werde er seine Tätigkeit als angestellter Arzt aufgeben. Sowohl der Zulassungsantrag als auch die vom Beschwerdeführer gegen die Ablehnung ergriffenen Rechtsbehelfe waren erfolglos. Zur Begründung stützte sich das Landessozialgericht auf § 98 Abs. 2 Nr. 12 SGB V in Verbindung mit § 25 Ärzte-ZV, die es in Übereinstimmung mit dem 6. Senat des Bundessozialgerichts (BSGE 73, 223) für verfassungsgemäß hielt. Nach Vollendung des 55. Lebensjahres seien hiernach erstmalige Zulassungen ausgeschlossen; ein Härtefall liege nicht vor, weil der Beschwerdeführer in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehe; hieraus resultierende Konflikte müssten durch Verhandlungen oder die Arbeitsgerichtsbarkeit gelöst werden. 14 Das Bundessozialgericht ließ gegen das Urteil des Landessozialgerichts die Revision nicht zu. Eine Divergenz sei nicht schlüssig dargetan. Sie folge nicht allein daraus, dass ein anderer Senat, der für die Vertragszahnärzte zuständig war, die angewandten Vorschriften für verfassungswidrig gehalten und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt habe. 15 Das Verfahren, das unter dem Aktenzeichen 1 BvL 13/93 anhängig war, hat sich durch Aufhebung des Vorlagebeschlusses im Jahr 1994 erledigt. III. 16 Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer unmittelbar gegen die Beschlüsse des Zulassungs- und des Berufungsausschusses, gegen die sozialgerichtlichen Entscheidungen sowie mittelbar gegen § 98 Abs. 2 Nr. 12 SGB V und § 25 Ärzte-ZV. 17 Er rügt eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Altersgrenze für Vertragsärzte stelle eine objektivierte subjektive Zulassungsbeschränkung dar, die nur zu rechtfertigen sei, wenn die Zulassung älterer Bewerber eine schwere Gefährdung der Finanzkraft der Krankenkassen herbeiführen würde. Das sei jedoch nicht der Fall. Auch der Gesetzgeber sei den Nachweis hierfür schuldig geblieben. Sowohl die ihn treffende Regelung als auch alle übrigen Zulassungsbeschränkungen im vertragsärztlichen Bereich seien zur Eindämmung der angebotsinduzierten Nachfrage nach Vertragsarztleistungen weder geeignet noch erforderlich. Dafür stünden andere und mildere Mittel zur Verfügung, wie eine Änderung der Vergütungsstruktur und eine Kostendämpfung bei Medikamenten, bei Heil- und Hilfsmitteln und im stationären Bereich. Selbst wenn im Jahr 1988 bei Erlass des Gesundheits-Reformgesetzes die Ungeeignetheit der Zulassungsbeschränkungen noch nicht festgestanden habe, trete sie nunmehr offen zutage. Nach der umstrittenen Rechtsänderung seien seit Anfang der neunziger Jahre mehr Vertragsärzte zugelassen worden als jemals zuvor. Soweit eine Kostendämpfung bewirkt worden sei, lasse sie sich deshalb nicht auf die Zulassungsbeschränkungen zurückführen. 18 Auch Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, weil die Ungleichbehandlung zwischen jüngeren und älteren zulassungswilligen Ärzten nicht gerechtfertigt sei. IV. 19 Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium für Gesundheit namens der Bundesregierung, das Bundessozialgericht, die Kassenärztliche und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung sowie im Namen der Spitzenverbände der Krankenkassen der AOK-Bundesverband Stellung genommen. In den Stellungnahmen wird ganz überwiegend davon ausgegangen, dass die angegriffenen Regelungen verfassungsgemäß sind; diese Sicht wird lediglich von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung nicht geteilt. 20 1. Die Bundesregierung bezieht sich auf die veröffentlichten Erkenntnisse, wonach das unvertretbare Ausgabenwachstum in der gesetzlichen Krankenversicherung auf einer medizinisch nicht begründbaren Mengenausweitung infolge der steigenden Zahl an Vertragsärzten beruhe. Hieraus ergebe sich eine schwere Gefahr für das überragend wichtige Gemeinschaftsgut der Funktionsfähigkeit des öffentlichrechtlichen Krankenversicherungssystems. Der bedrohlichen Finanzentwicklung entgegenzuwirken, sei Ziel des Gesetzgebers gewesen. Die Zulassungsaltersgrenze sei eingebettet in eine Gesamtkonzeption zur Kostendämpfung. Sie sei nach den statistischen Erhebungen geeignet und auch erforderlich, weil andere, gleich wirksame, die Ärzteschaft aber weniger belastende Maßnahmen nicht zur Verfügung stünden. Budgetierungen und Wirtschaftlichkeitsprüfungen böten keine Alternativen. Die Regelung sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne, weil sie nur Ärzte erfasse, die ein im Wesentlichen abgeschlossenes vollständiges Berufsleben zurückgelegt hätten. 21 2. Das Bundessozialgericht hat auf seine Rechtsprechung verwiesen (BSGE 73, 223), die auch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die Überzeugung vermittelt hat, dass die Zulassungsaltersgrenze verfassungsgemäß sei. 22 3. Der AOK-Bundesverband betont, dass dem Vertragsarzt hinsichtlich der Ausgabenentwicklung eine Schlüsselstellung in der gesetzlichen Krankenversicherung zukomme, weil er durchschnittlich Ausgaben in Höhe des Vierfachen der von ihm selbst verdienten Honorare verursache. Der Zusammenhang zwischen steigenden Vertragsarztzahlen und steigenden Leistungen sei statistisch belegt. Der Gesetzgeber habe seit längerem versucht, der Ausgabenentwicklung mit Kostendämpfungsmaßnahmen entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund seien die gerügten Regelungen verfassungskonform. 23 4. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung hält dagegen die angegriffenen Regelungen für verfassungswidrig. Diese wirkten über die Härtefallklausel kontraproduktiv, weil ältere Ärzte ausnahmsweise nur dann zugelassen werden könnten, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen darauf existentiell angewiesen seien, also unter einem besonders hohen Amortisationsdruck stünden. Im Übrigen sei für den Bereich zahnärztlicher Versorgung die These von der angebotsinduzierten Nachfrage nicht belegbar. Beweise für unwirtschaftliches Verhalten gerade der älteren Zahnärzte gebe es nicht. Der Kostenanstieg im zahnärztlichen Bereich liege auch deutlich niedriger als der Anstieg der Zahnarztzahlen. Inwieweit dies auf sonstige Maßnahmen zurückzuführen sei, lasse sich nicht verifizieren. B. 24 Die Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen zulässig. 25 Nur soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bundessozialgerichts über die Nichtzulassung der Revision richtet, ist sie unzulässig. Dieser Beschluss ist rein prozessrechtlicher Natur und befindet nicht über die gesetzlichen Regelungen, durch die sich der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt sieht. 26 Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig steht einer verfassungsgerichtlichen Prüfung im Übrigen jedoch nicht entgegen. Dem Beschwerdeführer sind bei Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde keine prozessualen Versäumnisse vorzuwerfen, die im Hinblick auf § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu einem Zulässigkeitshindernis führen könnten (vgl. BVerfGE 91, 93 <105 f.>). Solange zwei Senate des Bundessozialgerichts die im vorliegenden Verfahren umstrittenen Fragen für ihren jeweiligen Bereich uneinheitlich beurteilt hatten und deshalb auch ein konkretes Normenkontrollverfahren (1 BvL 13/93) beim Bundesverfassungsgericht anhängig war, durfte der Beschwerdeführer die zur revisionsrechtlichen Überprüfung gestellten Rechtsfragen weiterhin für grundsätzlich klärungsbedürftig halten und sich bei der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde auf die bekannten unterschiedlichen Argumente beziehen. C. 27 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen sowie die ihnen zugrunde liegenden Vorschriften des § 98 Abs. 2 Nr. 12 SGB V und des § 25 Ärzte-ZV sind mit dem Grundgesetz vereinbar. I. 28 Durch die angegriffenen Regelungen ist das für die Vertragsärzte maßgebliche Berufsrecht umgestaltet und damit der Zugang zu diesem Betätigungsfeld für Ärzte grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres der Bewerber eröffnet worden. Diese Umgestaltung berührt für angehende Vertragsärzte das Grundrecht der Berufsfreiheit. 29 1. Art. 12 Abs. 1 GG gewährt dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen und zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen. Die Vorschrift konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab (vgl. BVerfGE 82, 209 <223> m.w.N.). Das Grundrecht schützt auch den Berufswechsel und den Übergang zwischen unterschiedlichen Ausübungsformen desselben Berufs, insbesondere den Übergang von der unselbständigen zur selbständigen Tätigkeit (vgl. BVerfGE 7, 377 <398 f.>). 30 Art. 12 Abs. 1 GG formuliert ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit, dessen verschiedene Gewährleistungen allerdings insofern Bedeutung haben, als an die Einschränkung der Berufswahl höhere Anforderungen gestellt werden als an die Einschränkung der Berufsausübung. Durch den Eingriff auf der Ebene der Berufswahl wird der Freiheitsanspruch des Einzelnen in besonders empfindlicher Weise beeinträchtigt. Deshalb sind an den Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Freiheitsbeschränkung besonders strenge Anforderungen zu stellen. Es muss im Allgemeinen um die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut gehen (BVerfGE 97, 12 <32>). Dabei gibt es in der beruflichen Realität fließende Übergänge zwischen Berufswahl und Berufsausübung, weil der persönliche Entschluss, sich einer Berufstätigkeit in der einen oder anderen Ausprägung zu widmen, Elemente enthalten kann, die einer Berufswahl zumindest nahekommen (vgl. BVerfGE 33, 125 <161>). 31 Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen stets in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. BVerfGE 101, 331 <347>). Die Bewertung dieses Verhältnisses richtet sich in Bereichen, in denen ein sehr allgemein gehaltenes Ziel durch eine Vielzahl von Maßnahmen verfolgt wird, die unterschiedliche Rechtspositionen verschiedener Grundrechtsträger berühren, nach dem Maß der jeweiligen individuellen Betroffenheit. Verfolgt der Gesetzgeber ein komplexes Ziel - wie die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung - mit vielfältigen Mitteln, ist eine Maßnahme nicht ungeeignet, weil die Betroffenen anderenorts größere Einsparpotentiale sehen. Auch ist eine bestimmte Maßnahme nicht deshalb als nicht erforderlich anzusehen, weil es andere Mittel innerhalb des Systems gibt, die andere Personen weniger belasten würden. Eine einzelne Maßnahme ist zur Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil nicht alle Betroffenen durch die gesetzlichen Vorkehrungen gleichmäßig belastet werden. 32 2. Offen bleiben kann, ob die angegriffene Altersgrenze wegen ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen in die Nähe einer Regelung der Berufszulassung kommt und damit das Recht auf freie Berufswahl berührt (vgl. dazu BVerfGE 11, 30 <42 f.>). 33 a) Eine Bewertung als Berufswahlregelung erscheint eher fern liegend, wenn die angegriffene Altersgrenze dahin verstanden wird, dass den approbierten Ärzten typischerweise hierdurch nur eine Zeitspanne vorgegeben wird, innerhalb der sie sich für eine Niederlassung als Vertragsarzt, nicht etwa als Arzt schlechthin, entscheiden müssen. Diese Entscheidung muss in einem Zeitpunkt gefallen sein, in dem üblicherweise schon zwei Drittel des aktiven Berufslebens verstrichen sind. Ist die Grenze von 55 Jahren allerdings überschritten, nähern sich die Wirkungen der angegriffenen Normen einer Regelung der Berufswahl. Für die meisten Ärzte ist die Zulassung als Vertragsarzt noch immer von entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung. 34 b) Die rechtliche Einordnung der Maßnahme bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, weil dem Gesetzgeber legitime Gemeinwohlgründe von überragender Bedeutung bei der Ausgestaltung des Berufsrechts der ärztlichen Leistungserbringer im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zur Seite stehen, die auch eine Berufswahlregelung rechtfertigen. Die Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein Gemeinwohlbelang von hinreichendem Gewicht. Auch im Übrigen sind die Anforderungen an Zulassungsbeschränkungen erfüllt. 35 3. Neben der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, die das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut bezeichnet hat (vgl. BVerfGE 78, 179 <192>), hat gerade im Gesundheitswesen der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht. Die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist für das Gemeinwohl anerkanntermaßen von hoher Bedeutung (vgl. BVerfGE 70, 1 <30>; 82, 209 <230>). Soll die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung mit Hilfe eines Sozialversicherungssystems erreicht werden, stellt auch dessen Finanzierbarkeit einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar, von dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Systems und bei der damit verbundenen Steuerung des Verhaltens der Leistungserbringer leiten lassen darf. 36 a) Der Gesetzgeber hat den ihm bei der Festlegung und Ausgestaltung sozialpolitischer Ziele eingeräumten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 77, 308 <332>) vorliegend nicht überschritten. Soweit er die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung durch die gesetzliche Krankenversicherung zu gewährleisten sucht, muss er hierbei unterschiedliche Gemeinwohlbelange und - zum Teil gegenläufige - Grundrechtspositionen vieler Personengruppen miteinander zum Ausgleich bringen. 37 aa) In der sozialen Krankenversicherung sind abhängig Beschäftigte mit mittleren und niedrigen Einkommen sowie Rentner pflichtversichert. Die Beiträge werden von den Versicherten, ihren Arbeitgebern, den Rentnern und den Rentenversicherungsträgern aufgebracht. Die Beitragshöhe richtet sich nach dem im erzielten Bruttoeinkommen verkörperten Leistungsvermögen, nicht nach dem individuellen Risiko. Mit dieser Versicherungsform wird auch einkommensschwachen Bevölkerungsteilen ein voller Krankenversicherungsschutz zu moderaten Beiträgen ermöglicht. In der privaten Krankenversicherung betrügen die Prämien für Familien, chronisch Kranke und für ältere Versicherte, insbesondere solche, die mit einem nicht erwerbstätigen Partner verheiratet sind, ein Vielfaches der Beiträge zur Sozialversicherung. 38 bb) Das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist so ausgestaltet, dass es in weiten Bereichen nicht durch Marktkräfte gesteuert wird. Die Preise für Güter und Leistungen sind nicht Gegenstand freien Aushandelns im Rahmen eines freien Wettbewerbs. Deshalb unterliegen die Leistungserbringer in erhöhtem Maße den Einwirkungen sozialstaatlicher Gesetzgebung (vgl. BVerfGE 68, 193 <220 f.>). Staatliche Regulierungen des Berufsrechts eröffnen insoweit die Beteiligung an dem umfassenden sozialen Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung, das aus Beiträgen der Versicherten finanziert wird, von dem auch die Leistungserbringer profitieren und für dessen Funktionsfähigkeit der Staat die Verantwortung trägt (vgl. BVerfGE 70, 1 <31>). 39 cc) Der Gesetzgeber hat unter Berücksichtigung dieser Faktoren sowie der allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen darüber zu befinden, welche Beitragsbelastung den Versicherten, ihren Arbeitgebern und den Rentenversicherungsträgern zumutbar ist und welche Gesundheitsdienstleistungen aus diesem Finanzvolumen bezahlt werden können. Dabei hat er zugleich die Bedingungen auch für die Leistungserbringer so festzulegen, dass die Krankenkassen ihrem Sicherstellungsauftrag genügen können. Das setzt leistungsbereite Anbieter im Gesundheitswesen, insbesondere den Erhalt einer leistungsfähigen Ärzteschaft voraus (vgl. zur Berufsgruppe der Rechtsanwälte BVerfGE 97, 12 <31>). 40 Die Kostenbegrenzung ist damit nur eines der Ziele, die der Gesetzgeber verfolgt, um das System insgesamt funktionsfähig zu erhalten. Zugleich strebt er an, dass die volkswirtschaftlich für vertretbar gehaltene Beitragsbelastung, die der Krankenversicherung ihr Finanzierungsvolumen vorgibt, nicht überschritten und die Verteilung der Finanzmittel den Zielen der Versorgung der Versicherten mit einem ausreichenden und zweckmäßigen Schutz im Krankheitsfall gerecht wird. Mehrausgaben in einem Sektor bedingen dabei notwendigerweise Kürzungen an anderer Stelle, wenn Beitragserhöhungen vermieden werden sollen. 41 b) Der Gesetzgeber hat bei der Verfolgung seines Gesamtziels in den letzten Jahrzehnten alle am System Beteiligten in die Verantwortung für die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden. Auch dieses Streben nach einer ausgewogenen Lastenverteilung gehört zu den vom Gesetzgeber legitimerweise definierten Zielen einer strukturellen Ausgewogenheit. 42 aa) Die Einnahmen wurden erhöht, indem der versicherte Personenkreis ausgeweitet und die Beitragssätze angehoben wurden (Kassenärztliche Bundesvereinigung <Hrsg.>, Grunddaten zur vertragsärztlichen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, 1999, G 11). Der monatliche Höchstbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung stieg in den letzten 20 Jahren um mehr als 100 vom Hundert (vgl. die Zahlen in: Verband der Privaten Krankenversicherung <Hrsg.>, Die private Krankenversicherung, Zahlenbericht 1996/97, S. 16, 21, 22; Nachweise zum Anteil der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung in: Der Bundesminister für Gesundheit <Hrsg.>, Daten des Gesundheitswesens, Ausgabe 1997, S. 293; zur Entwicklung des versicherten Personenkreises vgl. Bloch, in: Schulin <Hrsg.>, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, Krankenversicherungsrecht, 1994, § 15 Rn. 4 ff.; von Stillfried, Gesundheitssysteme im Wandel, 1996, S. 85). 43 bb) Den Versicherten wurden Leistungseinschränkungen zugemutet, indem bestimmte - durchaus notwendige - Arznei- oder Hilfsmittel (beispielsweise Schnupfentherapeutika, Verbandmittel, Brillengestelle) nicht mehr als Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden (§ 34 SGB V). Die Versicherten müssen sie selbst bezahlen. Durch die Rezeptgebühren beteiligen sich die Versicherten an den Ausgaben für Arzneimittel (§ 31 Abs. 3 SGB V) und durch Zuzahlungen auch an den Kosten, die durch Krankenhausbehandlung (§ 39 Abs. 4 SGB V) und Rehabilitation (§ 40 Abs. 5 und § 41 Abs. 3 SGB V) entstehen. Im Zahnarztbereich ist die Selbstbeteiligung bei den Zahnersatzleistungen besonders ausgeprägt (§ 30 Abs. 2 SGB V). 44 cc) Für die Leistungserbringer hat sich das Spektrum an Dienst- und Sachleistungen, das mit den Krankenkassen abgerechnet werden kann, verengt (§ 135 SGB V). Ihnen sind Kürzungen bei den Honoraren (Punktwertdegression und Budgetierung - §§ 84, 85 SGB V), versuchsweise Einschränkungen beim Einsatz teurer Geräte (vgl. die inzwischen aufgehobene GroßgeräteRichtlinien Ärzte vom 16. Oktober 1990, abgedr. bei Schulin <Hrsg.>, Gesetzliche Krankenversicherung, Soziale Pflegeversicherung, Textsammlung, 1997, Nr. 270) und die Verantwortung für den Arzneimittelverbrauch (der bisher nicht vollzogene, aber immer wieder angedrohte Arzneimittelbudgetregress - § 84 Abs. 1 Satz 4 bis 7 SGB V) auferlegt worden. Die Vergütung der Leistungserbringer wurde verschiedentlich abgesenkt oder eine Zeit lang konstant gehalten (vgl. BVerfGE 62, 354; 70, 1); ihre Verteilung wurde eingehend geregelt und der Zuwachs an die beitragspflichtigen Einnahmen gekoppelt (§ 85 SGB V). Die Vertragsärzte müssen sich einer Wirtschaftlichkeitsprüfung stellen (§ 106 SGB V), soweit sie die Verantwortung für die Notwendigkeit der von ihnen verordneten und angeordneten Dienst- und Sachleistungen (§ 27 i.V.m. § 72 Abs. 2 SGB V) sowie für die ausreichende und zweckmäßige ärztliche Behandlung (§ 28 Abs. 1 i.V.m. § 72 Abs. 2 SGB V) tragen. Die Krankenhausbedarfsplanung hat dazu geführt, dass stationäre Einrichtungen geschlossen werden mussten. Mit der Festbetragsregelung (§ 35 SGB V) soll auf die Preisgestaltung der Pharmaindustrie eingewirkt werden (vgl. BTDrucks 11/3480, S. 24 und 12/3608, S. 73, 81); das Preismoratorium hatte zuvor unmittelbar die Preise für Arzneimittel eingefroren (§ 35 SGB V - vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, SozR 3-5407 Art. 30 Nr. 1 = NJW 2000, S. 1781). 45 dd) Auch der Zustrom der Leistungserbringer in die vertragsärztliche Versorgung unterlag vielfachen gesetzlichen Änderungen. Einerseits musste der Gesetzgeber berücksichtigen, dass neuere Erkenntnisse über die notwendige Versorgung der Versicherten die Zulassung neuer Berufe erforderlich machten; so wurden beispielsweise die Psychologischen Psychotherapeuten in den Kreis der abrechnungsberechtigten Leistungserbringer aufgenommen (vgl. hierzu BVerfGE 78, 165 <178>; § 95 Abs. 10 SGB V, angefügt mit Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vom 16. Juni 1998 <BGBl I S. 1311>). Andererseits suchte man die Zulassungszahlen zu vermindern, nachdem der Gesetzgeber die Annahme des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 11, 30 <44 ff.>) für empirisch widerlegt erachtet hatte, dass eine steigende Zahl von Ärzten keinen Einfluss auf die Ausgabenhöhe der gesetzlichen Krankenversicherung haben werde (vgl. die Längs- und Querschnittsvergleiche bei Breyer/Zweifel, Gesundheitsökonomie, 2. Aufl., 1997, S. 241 ff., 257 f.; Adam, Ambulante ärztliche Leistungen und Ärztedichte, 1983, S. 106 f., 158 f., 179 ff.; Sachverständigenrat Konzertierte Aktion, Sachstandsbericht 1994, Rn. 76 f. und BTDrucks 12/3608, S. 98). Die Verlängerung der Ausbildung bis zur Approbation (§ 1 der Approbationsordnung für Ärzte i.d.F. der Bekanntmachung vom 14. Juli 1987 <BGBl I S. 1593>) und die Einführung des Facharztvorbehalts für die Vertragsarztniederlassung (§ 95 a SGB V) haben den Anstieg der an der vertragsärztlichen Versorgung Beteiligten abgeschwächt (vgl. Kassenärztliche Bundesvereinigung <Hrsg.>, Grunddaten zur vertragsärztlichen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland 1999, A 18). Dies wurde durch die Regelungen über die Bedarfsplanung (§ 368 Abs. 3 RVO i.d.F. des Gesetzes zur Verbesserung der kassenärztlichen Bedarfsplanung vom 19. Dezember 1986 <BGBl I S. 2593>; §§ 99 ff. SGB V; vgl. BTDrucks 10/5630, S. 12; 10/6444, S. 5 f.) unterstützt. Infolge des mit dem Gesundheitsstrukturgesetz eingefügten § 95 Abs. 7 SGB V müssen inzwischen die über 68-Jährigen ihre Vertragsarztsitze aufgeben. 46 c) Die genannten Mittel waren und sind allesamt grundsätzlich geeignet, zur finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung beizutragen, wenngleich keine Maßnahme nachhaltig gewirkt hat. Sie treffen unterschiedliche Personenkreise und haben unterschiedliche Folgen für die Volkswirtschaft. Die Auswahl solcher Maßnahmen obliegt dem Gesetzgeber, der bei der Erfüllung dieser komplexen Aufgabe einen besonders weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum hat. Dabei kann er sich zur Beurteilung der Lage eines Sachverständigengremiums bedienen. Auch hat er die Erfolge der getroffenen Maßnahmen zu beobachten und abzuschätzen sowie gegebenenfalls neuen Handlungsbedarf festzustellen (Einsetzung der Enquête-Kommission mit Beschlussantrag vom 3. Juni 1987, vgl. BTDrucks 11/414; Erlass des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 12. Dezember 1985 zur Einsetzung des Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen - vgl. jetzt § 141 SGB V). Die politischen Optionen sind durch die Verfassung nicht vorgegeben. Insbesondere ist es keine Frage des Verfassungsrechts, ob sich das Gesamtziel auch auf andere Weise und besser hätte erreichen lassen. 47 4. Der Gesetzgeber durfte zum Erhalt der Funktionsfähigkeit der kassenärztlichen Versorgung auch den Zugang von Ärzten, die allenfalls noch für eine relativ kurze Zeitspanne an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen können, begrenzen. 48 a) Die angegriffenen Regelungen sind geeignet, zur Verwirklichung des gesetzgeberischen Konzepts beizutragen. 49 aa) Betroffen von § 98 Abs. 2 Nr. 12 SGB V und § 25 Ärzte-ZV ist mit dem Beschwerdeführer die Gruppe der angehenden Vertragsärzte und unter diesen wiederum nur die Gruppe der bereits 55 Jahre alten approbierten Ärzte. Sie waren bisher weitgehend von Zulassungshürden ausgenommen. Zugangserschwernisse für die jüngeren Ärzte hatte der Gesetzgeber bereits eingeführt. Sie wurden zeitgleich mit dem Erlass der hier angegriffenen Vorschrift in § 103 Abs. 2 SGB V (i.d.F. des GRG) verschärft, indem die Kassenzulassung von der Ableistung einer Vorbereitungszeit von einem Jahr abhängig gemacht wurde (vgl. BTDrucks 11/2237, S. 195). Mit der Altersgrenze von 68 Jahren hat der Gesetzgeber später auch dafür gesorgt, dass die Altersstruktur der vertragsärztlich zugelassenen Ärzte ausgewogen bleibt und die nachrückenden jüngeren Ärzte trotz der Zulassungssperren (§§ 101, 103 SGB V) ihre Zugangschance erhalten. 50 Die im vorliegenden Verfahren angegriffene Altersgrenze ist ein erster Schritt in diese Richtung gewesen. Mit ihr verringert sich die Zahl von Ärzten, die nach Einschätzung des Gesetzgebers in spezifischer Weise zu einer Gefährdung der Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen (BTDrucks a.a.O., S. 151, 195). 51 bb) Der Gesetzgeber durfte sich besondere wirtschaftliche Einsparungen davon verprechen, dass Personen, die die vertragsärztliche Tätigkeit nur noch während einer relativ kurzen Zeit ausüben können, nicht mehr zugelassen werden. Er konnte sich dabei auf plausible Annahmen stützen. 52 In den ersten Jahren nach der Praxisgründung bleibt einem Arzt ein geringerer Anteil seines Umsatzes als Gewinn. Schon ein zu Anfang gewährter Betriebsmittelkredit, der der Vorfinanzierung der Anlaufkosten und dem Geldbedarf für Praxis und Lebenshaltungskosten dient, ist nach den Untersuchungen der Deutschen Apotheker- und Ärztebank häufig erst nach einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren abgetragen. Durchschnittlich 12 Jahre dauert es, bis die für einen Praxiserwerb oder für eine Praxisgründung notwendigen Kredite insgesamt zurückgezahlt sind (vgl. Deutsche Apotheker- und Ärztebank <Hrsg.>, Praxisgründung, 3. Aufl., 1996, S. 89; vgl. auch das Zahlenmaterial für 1989/90 in Arzt und Wirtschaft, Sonderdruck aus Heft 18 vom 17. September 1991). Wenn Ärzten nur wenige Jahre der Gewinnerzielung aus selbständiger Tätigkeit zur Verfügung stehen, sie aber dennoch durchschnittliche Gewinne erwirtschaften wollen, müssen sie einen erhöhten Umsatz anstreben, was - aus der Sicht der gesetzlichen Krankenversicherung unerwünschte - Mengenausweitungen zur Folge haben kann. Der Gesetzgeber durfte es daher für angezeigt halten, mit den Zugangsbeschränkungen gerade solche Ärzte fernzuhalten, die angesichts des sie selbst treffenden wirtschaftlichen Drucks weniger geeignet erscheinen, kostenbewusst im Gesamtsystem tätig zu werden. 53 cc) Dieser Gesichtspunkt ist von besonderer Bedeutung, weil der Vertragsarzt zugleich Sachwalter der Kassenfinanzen insgesamt ist. Befugnis und Verpflichtung zu wirtschaftlicher Verwaltung der Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung sind den Vertragsärzten überantwortet. Sie entscheiden über die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Heilbehandlung. 54 Vertragsärzte müssen zur Erfüllung dieser Aufgabe über spezifische Kenntnisse im Vertragsarztrecht und auch über die Bereitschaft verfügen, wirtschaftlich vertretbare Behandlungen in einer betriebswirtschaftlich sinnvollen Weise zu organisieren. Dazu gehören auch der Erwerb von Erfahrungen mit den rechtlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten einer Vertragsarztpraxis, die Ärzte, die bis dahin im Krankenhaus, im Labor oder in der Forschung tätig waren, regelmäßig nicht haben erwerben können. Sie unterscheiden sich insoweit signifikant von der Gruppe der gleich alten Ärzte, die schon seit Jahren an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. 55 b) Der Gesetzgeber konnte die Gesamtheit der von ihm verfolgten Ziele nicht mit einem die Belange des Beschwerdeführers weniger beeinträchtigenden Mittel erreichen. Mildere, aber für die Personengruppe der bereits 55 Jahre alten Ärzte gleich wirksame Berufsregelungen sind nicht ersichtlich. 56 Änderungen in der Vergütungsstruktur und der Höhe der Vergütung oder schärfere Kontrollen des Verordnungs- und Abrechnungsverhaltens wären insoweit keine tauglichen milderen Mittel gewesen. Sie hätten sich im Wesentlichen gegen die bereits zugelassenen Vertragsärzte gerichtet. Neu zuzulassende Ärzte können die Auswirkungen solcher Änderungen nicht aus eigener Erfahrung abschätzen. Die Zahl der zugangswilligen Ärzte hätte hierdurch allenfalls dann vermindert werden können, wenn die Vergütungseinbußen so erheblich gewesen wären, dass angehende Vertragsärzte andere Berufsperspektiven für wirtschaftlich interessanter gehalten hätten. Das ist schwer vorstellbar, weil Ärzte unter den Freiberuflern im Durchschnitt zu den gut verdienenden Personen zählen (vgl. Statistisches Bundesamt, Unternehmen und Arbeitsstätten, Ausgabe 1991, Fachserie 2, Reihe 1.6.1., S. 13 und Reihe 1.6.2., S. 14 und Ausgabe 1995 Reihe 1.6.1., S. 14 und Reihe 1.6.2., S. 14; vgl. auch Bedau, Zur Einkommenslage in den freien Berufen, DIW-Wochenbericht 1999, S. 2 ff.). 57 c) Die Altersgrenze wahrt auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. 58 aa) Die Altersgrenze ist für eine Erstzulassungsgrenze sehr hoch angesetzt und liegt in einem Bereich, in dem Arbeitnehmern vielfach schon die Möglichkeiten von Altersteilzeit oder Frühverrentung offen stehen. Zugangshürden, die erst so spät eingreifen, wirken in der Regel nicht sehr belastend, weil die Betroffenen bereits beruflich etabliert sind. Ihnen wird mit der Vorenthaltung der Kassenarztzulassung keine Betätigung verwehrt, für die sie in ihrem langen Berufsleben besondere Erfahrungen gesammelt haben. 59 Die Altersgrenze trifft diesen Personenkreis auch nicht empfindlich. Bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres können die Ärzte noch frei über einen Wechsel zur vertragsärztlichen Versorgung entscheiden, soweit die Bedarfsplanung es zulässt. Den Betroffenen wird weder die Fortführung ihres Arztberufes noch der Berufswechsel überhaupt verwehrt; sie haben für ihre Entscheidung nur eine äußerste Frist einzuhalten. 60 bb) Demgegenüber wiegen die öffentlichen Interessen, denen die Altersgrenze zu dienen bestimmt ist, schwer. Die Sicherung der Leistungsfähigkeit und die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung sind Gemeinwohlaufgaben von hohem Rang. Jeder einzelne Schritt, mit dem der Gesetzgeber diese Ziele zu erreichen sucht, ist von erheblicher Bedeutung, auch wenn eine einzelne Maßnahme immer nur einen Teilbeitrag zur Verwirklichung des Gesamtziels leisten kann. Die öffentlichen Belange verlieren nicht an Gewicht, wenn sie sich nur durch eine Vielzahl kleiner Schritte verwirklichen lassen. 61 cc) Damit löst die getroffene Regelung den Konflikt in angemessener Weise. Sie ist insbesondere deshalb verhältnismäßig, weil sie den Zulassungsgremien abweichende Entscheidungen ermöglicht, wenn dies zur Vermeidung von unbilligen Härten erforderlich ist. Der Gesetzgeber berücksichtigt damit, dass es im Einzelfall Besonderheiten geben mag. Vom Grundsatz der starren Altersgrenze kann abgewichen werden, weil sich individuelle Lebenswege gelegentlich der gesetzlichen Typik entziehen. Nicht immer beruht beispielsweise der Wunsch nach Veränderung auf einer freien Entschließung des Arztes. Die Zulassungsgremien und Fachgerichte sind aufgerufen, bei der Prüfung des Einzelfalles der wertsetzenden Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG im Rahmen ihrer Härtefallentscheidung Rechnung zu tragen. II. 62 § 98 Abs. 2 Nr. 12 SGB V und § 25 Ärzte-ZV sind auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. 63 1. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 95, 267 <316 f.>; stRpr). 64 2. Auch einem strengen Prüfungsmaßstab hält die Norm stand. Wie oben ausgeführt, hatte der Gesetzgeber gute Gründe für seine Einschätzung, dass die approbierten Ärzte, die sich erst im letzten Drittel ihres Berufslebens für eine Vertragsarztniederlassung entscheiden, für das Gesamtsystem höhere Kosten verursachen als jüngere Ärzte. Soweit der Gesetzgeber gerade an die Vollendung des 55. Lebensjahres angeknüpft hat, hat er von seiner Befugnis zur Typisierung Gebrauch gemacht und auch nicht einen atypischen Fall als Leitbild gewählt (vgl. BVerfGE 27, 142 <150>). Er hat eine Grenze gewählt, bei der für Arbeitnehmer der Vorruhestand oder die Altersteilzeit beginnen kann. Damit ist die Grenze im Verlauf eines regelmäßigen Arbeitslebens so weit hinausgeschoben, dass eine wesentliche Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit in der aktiven Zeit nicht zu besorgen ist. 65 Die ungleiche Situation der jüngeren und älteren Bewerber um einen Vertragsarztsitz, ihre - durch Erfahrungswerte belegbare - unterschiedliche Einflussnahme auf die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, rechtfertigt die den Zugang regelnde Altersgrenze von 55 Jahren. Sie hält einer Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG umso eher stand, als die Betroffenen die Wirkung der Norm und damit die unterschiedliche Behandlung weitgehend selbst vermeiden können (vgl. BVerfGE 95, 267 <316>), indem sie sich rechtzeitig um einen Vertragsarztsitz bewerben. III. 66 Auch die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. 67 Auslegung und Anwendung der mittelbar angegriffenen Rechtsnormen sind Aufgabe der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht überprüft sie - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 85, 248 <257 f.>; stRspr). 68 Dies ist hier nicht festzustellen. Verfassungsrechtlich ist auch nicht bedenklich, dass dem Beschwerdeführer die oben genannte Härtefallregelung nicht zugute gekommen ist. Die fachgerichtliche Rechtsprechung hat inzwischen näher konkretisiert, wann unbillige Härten vorliegen (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 98 Nr. 3 und 4; SozR 3-5520 § 25 Nr. 3). Vorliegend lassen sich dem Beschwerdevorbringen keine Gründe entnehmen, die auf einen Härtefall hindeuten. Das gilt insbesondere, nachdem das Zerwürfnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Arbeitgeber im arbeitsgerichtlichen Verfahren durch Vergleich beigelegt worden ist.   Papier Jaeger Haas Hömig Steiner Hohmann-Dennhardt Hoffmann-Riem
bundesverfassungsgericht
44-2013
28. Juni 2013
Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Errichtung der BTU Cottbus-Senftenberg abgelehnt Pressemitteilung Nr. 44/2013 vom 28. Juni 2013 Beschluss vom 27. Juni 20131 BvR 1501/13 Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das brandenburgische Landesgesetz zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz abgelehnt. Die Kammer hat ihre Entscheidung auf Grundlage einer Folgenabwägung getroffen. Das Gesetz tritt am 1. Juli 2013 in Kraft. Die nähere verfassungsrechtliche Prüfung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: 1. Zwei Fakultäten der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU Cottbus) wenden sich gegen Normen des Gesetzes zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz. Durch dieses Gesetz sollen u.a. ihre Universität und die Fachhochschule Lausitz fusioniert werden. Die Beschwerdeführerinnen rügen insbesondere eine unzureichende Beteiligung ihrerseits wie auch ihrer Hochschule im Entscheidungsprozess zur Fusion. Sie befürchten schwere und irreparable Nachteile durch den Gesetzesvollzug und haben deswegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. 2. Gegen das Gesetz haben auch die BTU Cottbus sowie deren Studierendenschaft - verbunden mit Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - jeweils Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erhoben. Dieses hat mit Beschluss vom 19. Juni 2013 den Antrag der BTU Cottbus auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Den Eilantrag der Studierendenschaft hat es mit Beschluss vom selben Tag als unzulässig verworfen. 3. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei lediglich die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. 4. Zwar ist die zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Jedoch ergibt eine Gesamtabwägung, dass überwiegende Gründe gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass im Fall der vorläufig weiteren Wirksamkeit des Gesetzes endgültige und nicht wiedergutzumachende Schäden von besonderem Gewicht oder nur unter ganz erheblichen Schwierigkeiten wieder ausräumbare vollendete Tatsachen geschaffen würden. Zwar ist es nicht undenkbar, dass eine Universität, die mit einer Fachhochschule fusioniert wird, Reputation in der Forschungskooperation einbüßt. Jedoch ist es keineswegs zwingend, dass Kooperationen scheitern. Die Planungssicherheit, die für eine Stiftung für die Bereitstellung von Drittmitteln von zentraler Bedeutung ist, bietet auch eine einstweilige Anordnung nicht. Soweit es um den Anspruch von Studierenden auf Durchführung und Beendigung eines begonnenen Studiums geht, ist zwar nicht irrelevant, nach welchen Kriterien immatrikuliert und auf welchem fachlichen Niveau studiert wird. Nach dem Gesetz bleiben alle Studierenden immatrikuliert und das Gesetz verändert auch nicht die Anerkennung von Leistungen. Unumkehrbare und unzumutbare Beeinträchtigungen, die durch die Fusion verursacht würden, sind nicht erkennbar. Der von den Beschwerdeführerinnen angeführte Rückgang von Studierendenzahlen hat bereits eingesetzt und lässt sich durch eine Eilentscheidung nicht beenden. Die gewünschte Planungssicherheit wird nur durch eine Entscheidung in der Hauptsache hergestellt. Das gilt auch für die befürchtete Abwanderung von Personal. Soweit der vom Ministerium des Landes eingesetzte Gründungsbeauftragte die Hochschule leitet, ist nicht ersichtlich, dass damit unumkehrbare Fakten von entsprechendem Gewicht geschaffen würden. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Dauer dieser Interims-Leitung "so kurz wie möglich bemessen sein". Dem Gründungsbeauftragten stehen zudem mangels hinreichender Mitwirkung der Hochschullehrenden an seinen Entscheidungen von Verfassung wegen keine Befugnisse zu, wissenschaftsrelevante Entscheidungen zu treffen. Dies sieht das Gesetz auch nicht vor. Demgegenüber würde sich die Umsetzung der vom Landesgesetzgeber für dringend erforderlich gehaltenen Strukturentscheidungen verzögern, wenn das Bundesverfassungsgericht die begehrte einstweilige Anordnung erließe. Kann ein Überwiegen der Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, nicht festgestellt werden, fordert das gemeine Wohl den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 1501/13 - In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   1. der F…, 2. der F…,   - Bevollmächtigte: DOMBERTRechtsanwälte, Mangerstraße 26, 14467 Potsdam -   gegen das Gesetz zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz vom 11. Februar 2013 (GVBl I Nr. 4)   hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung   hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Kirchhof, den Richter Masing und die Richterin Baer   gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. Juni 2013 einstimmig beschlossen:   Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.   Gründe: 1 Die Antragstellerinnen, zwei von vier Fakultäten der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU Cottbus), begehren mit ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Art. 1, §§ 1, 5, 7, 8, 9, 12, 17, 18, 20 und 21 und Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz erst in Kraft treten zu lassen, wenn das Bundesverfassungsgericht über ihre zugleich eingelegte Verfassungsbeschwerde entschieden hat. I. 2 Am 11. Februar 2013 beschloss der Brandenburgische Landtag das Gesetz zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz (GVBl I Nr. 4), das unter anderem in Art. 1 das Gesetz zur Weiterentwicklung der Hochschulregion Lausitz (GWHL) und in Art. 2 Änderungen des Brandenburgischen Hochschulgesetzes (BbgHG) vorsieht. 3 1. § 1 GWHL errichtet mit Wirkung zum 1. Juli 2013 die neue Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU Cottbus-Senftenberg). Die Fakultäten, Einrichtungen und Studiengänge der BTU Cottbus und der Hochschule Lausitz (FH Lausitz) werden mit ihrer Errichtung solche dieser neuen Universität; die bisherigen Verwaltungen bilden deren Hochschulverwaltung. Die BTU Cottbus-Senftenberg wird zum 1. Juli 2013 gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 2 GWHL Rechtsnachfolgerin von BTU Cottbus und FH Lausitz und nach Art. 2 Nr. 1 Buchstabe a des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Hochschulregion Lausitz anstelle der BTU Cottbus in die Liste der staatlichen Hochschulen des Landes Brandenburg aufgenommen. 4 Alle Mitglieder der alten Hochschulen werden gemäß § 5 GWHL, alle Planstellen, Stellen und Mittel gemäß § 7 GWHL in die neue Universität überführt. Desgleichen werden - jenseits der Universitätsleitung und des Senats, die nach § 8 Abs. 1, § 12 Abs. 1 Satz 1 GWHL zum 1. Juli 2013 aufgelöst werden - Gremien und Untereinheiten der bisherigen Hochschulen nach § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 GWHL in die neue Universität übernommen. Wichtige Entscheidungen trifft der Gründungssenat, in dem mehrheitlich Hochschullehrende vertreten sind, die je zur Hälfte aus der BTU Cottbus und der FH Lausitz kommen. Nach § 17 Abs. 2 GWHL bleiben Entscheidungen in der neuen Hochschule auch bei einer rechtskräftig festgestellten fehlerhaften Wahl oder Besetzung der Handelnden rechtswirksam. 5 Für die Übergangsphase bestellt das zuständige Mitglied der Landesregierung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 GWHL eine oder einen Beauftragten zur Leitung der neuen Universität, bis ein Gründungspräsident bzw. -präsidentin gewählt ist. Dazu wird gemäß § 9 GWHL eine Findungskommission eingesetzt: ihr gehört je eine von den dort zuständigen Organen gewählte Vertretung für die Mitgliedergruppen der BTU Cottbus und der FH Lausitz sowie eine Vertretung des Ministeriums an, die die Findungskommission auch leitet. Die Findungskommission schlägt jedenfalls mit den Stimmen der Hochschullehrenden und des Ministeriums bis zu drei Personen vor, die nicht aus der BTU Cottbus oder FH Lausitz kommen sollen (§ 9 Abs. 4 Satz 2 GWHL). Der Präsident bzw. die Präsidentin werden dann nach § 9 Abs. 1 GWHL im Einvernehmen mit dem erweiterten Gründungssenat bestellt. Dieser besteht nach § 12 Abs. 3 GWHL aus 31 Personen, mit einer Mehrheit der Hochschullehrenden von 16 Personen, die je zur Hälfte in der vormaligen Universität beziehungsweise der vormaligen Fachhochschule gewählt werden. 6 § 20 GWHL enthält Bestimmungen zur Ersatzvornahme. 7 2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführerinnen unmittelbar gegen Art. 1, §§ 1, 5, 7, 8, 9, 12, 17, 18, 20 und 21 sowie Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz und rügen eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und von Art. 19 Abs. 4 GG. Die Beschwerdeführerinnen bringen vor, sie seien ebenso wie ihre Hochschule im Entscheidungsprozess zur Fusion von BTU Cottbus und FH Lausitz unzureichend beteiligt gewesen. Der Gesetzgeber habe ihre Wissenschaftsfreiheit verletzt, weil seine Entscheidung auf Fehlinformationen durch das Ministerium beruhe und unverhältnismäßig sei. Die Forschung und Lehre der beschwerdeführenden Fakultäten seien strukturell gefährdet, denn Kooperationen und Förderung, Profil und Studienangebot beruhten darauf, dass sie Fakultäten der BTU Cottbus seien. Die Entscheidungsstrukturen der neuen Universität verletzten zudem das Gebot der Homogenität in der Gruppe der Hochschullehrenden. 8 3. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei wegen der schwerwiegenden und irreparablen Nachteile für den Fall des Gesetzesvollzugs begründet. Personal werde abwandern oder nicht zu gewinnen sein. Es würden Forschungskooperationen zu Stellen im In- und Ausland zerstört oder irreparabel beeinträchtigt, denn sie erfolgten profilbezogen auf Universitätsniveau, welches die FH Lausitz nur zu einem geringen Teil erreiche. Eine Stiftung stelle bereits ihr Engagement in Frage und habe die Freigabe von Mitteln aufgehalten, weil Planungssicherheit für sie von zentraler Bedeutung sei. Die neue Gesamthochschule habe künftig nicht die gleiche Chance wie die BTU Cottbus, Drittmittel für Grundlagenforschung einzuwerben; auch persönliche Netzwerke ließen sich nicht „auf Knopfdruck“ reaktivieren. Der laufende Antrag auf Aufnahme in die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) werde irreparabel scheitern. Zudem könnten von der neuen Hochschule ohne hinreichende Beteiligung der Beschwerdeführerinnen getroffene Entscheidungen nicht rückgängig gemacht werden. Dem oder der Gründungsbeauftragten fehle sogar jede Legitimation, denn eine Beteiligung der Hochschullehrenden an der Bestellung sei weder gewünscht noch gewährleistet. Es sei zu befürchten, dass unterwertige Paketberufungen erfolgten und dass in den Lehrbereichen der Beschwerdeführerinnen Studiengänge auf Universitätsniveau für lange Zeit unumkehrbar eingestellt würden, was auch zu Mindereinnahmen führe und Personalstellen verwaisen lasse. Ein schwerer und irreparabler Nachteil liege auch darin, dass Studienabschlüsse im Namen der neuen Universität erlangt würden. Die Studierendenzahlen gingen zurück, was nur sehr langfristig wieder umzusteuern sei. 9 4. Gegen das Gesetz haben die BTU Cottbus sowie deren Studierendenschaft - verbunden mit Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - jeweils Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erhoben. 19 Abgeordnete des Landtags Brandenburg haben dort einen Normenkontrollantrag gestellt. Daneben sind weitere Verfassungsbeschwerden einzelner Hochschulangehöriger beim Landesverfassungsgericht und beim Bundesverfassungsgericht anhängig. II. 10 Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. 11 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. 12 a) Die Beschwerdeführerinnen sind als Fakultäten unbeschadet der Frage, in welcher Hinsicht sie eine Verletzung eigener Rechte geltend machen können, Trägerinnen des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Insoweit sind sie im Verfahren der Verfassungsbeschwerde und damit auch für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beschwerdefähig (vgl. BVerfGE 15, 256 <261 f.>; 68, 193 <207>; 75, 192 <196>; 93, 85 <93>; 111, 333 <352>; s.a. BVerfGK 5, 135 <139 ff.>). 13 b) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde von den Beschwerdeführerinnen wirksam eingelegt. Die gerichtliche Geltendmachung der Wissenschaftsfreiheit gehört zwar weder nach §§ 69 ff. BbgHG noch nach §§ 22 ff. der Grundordnung zu den Aufgaben der Fakultäten. Insofern den Fakultäten als organisatorische Grundeinheiten der Hochschulen für Lehre und Forschung (§ 69 Abs. 1 Satz 1 BbgHG) eigene Grundrechtspositionen zustehen, ist deren Geltendmachung von der Aufgabenzuweisung aber mit umfasst (vgl. BVerfGE 15, 256 <261 f.>; 93, 85 <93>; 111, 333 <352>). Die Vollmacht zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde und Stellung des Eilantrags sind durch Dekanin bzw. Dekan gezeichnet und wird jeweils durch einen vorgelegten Fakultätsratsbeschluss getragen. Dies war auch erforderlich, insofern die Leitung der Fakultät nach § 70 Abs. 1 Satz 1 BbgHG in Verbindung mit § 22 Abs. 1 Satz 1 der Grundordnung nicht alle Entscheidungen umfasst, die für eine Fakultät zu treffen sind. 14 2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zurückzuweisen. 15 Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ist wegen der weittragenden Folgen einer verfassungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; stRspr), bei einer Aussetzung eines Gesetzes ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 131, 47 <61> m.w.N. und BVerfGE 29, 318 <323>). Dabei müssen die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; stRspr). 16 Die Verfassungsbeschwerde ist zwar nicht offensichtlich unzulässig (a) oder offensichtlich unbegründet (b). Doch ergibt die damit erforderliche Gesamtabwägung (c) der Folgen der begehrten Entscheidung, dass die aufgrund des Vortrags der Beschwerdeführerinnen und den von ihnen beigefügten Unterlagen absehbaren Folgen des Inkrafttretens der angegriffenen Bestimmungen des Gesetzes zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz in Ausmaß und Schwere nicht von einem derartigen Gewicht sind, dass eine Aussetzung des Vollzugs des Gesetzes zu rechtfertigen wäre. 17 a) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von vornherein unzulässig. 18 aa) Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerinnen gegen ein Gesetz vorgehen, denn sie sind von diesem unmittelbar betroffen (vgl. BVerfGE 1, 97 <101 ff.>; 109, 279 <306>; stRspr). Auch ist die Möglichkeit einer Verletzung von Rechten aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG für Fakultäten anerkannt (vgl. grundsätzlich BVerfGE 15, 256 <261 f.>; 93, 85 <93>; 111, 333 <352>). Entsprechende Rügen sind allerdings insofern begrenzt, als sie sich nur auf die Wissenschaftsfreiheit der Fakultät beziehen können. 19 bb) Die Verfassungsbeschwerde richtet sich auch nicht gegen den Fortbestand einer wissenschaftlichen Einrichtung, den Art. 5 Abs. 3 GG als solches nicht schützt (vgl. BVerfGE 85, 360 <384 f.>). § 21 Abs. 1 GWHL lässt die BTU Cottbus und die FH Lausitz in der neuen Universität „aufgehen“, beendet die Existenz der BTU Cottbus also nur in ihrer bisherigen Form und überführt sie mit der FH Lausitz in eine neue (Gesamt-)Universität. Alle Einheiten der BTU Cottbus werden nach § 1 Abs. 2, § 17 Abs. 1 GWHL als Einheiten der neuen Hochschule weitergeführt. 20 b) Die Verfassungsbeschwerde ist bei der hier gebotenen summarischen Prüfung zumindest nicht offensichtlich gänzlich unbegründet. Sie wirft die bislang ungeklärte Frage auf, ob und gegebenenfalls wieweit sich Fakultäten unter Berufung auf die Wissenschaftsfreiheit gegen eine Umgestaltung der Hochschule zur Wehr setzen können und ob ihnen in einem diesbezüglichen Gesetzgebungsverfahren bestimmte Beteiligungsrechte zustehen. Zugleich können sich damit Fragen danach stellen, inwieweit Fakultäten aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Anforderungen an eine wissenschaftsadäquate Organisation geltend machen können. Die hiermit verbundenen schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfragen können in dem summarischen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht beantwortet werden. 21 c) Die danach für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht erforderliche Gesamtabwägung der Folgen einer solchen Entscheidung ergibt, dass überwiegende Gründe gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen. Die aufgrund des Vortrags der Beschwerdeführerinnen und den von ihnen beigefügten Unterlagen absehbaren Folgen des Inkrafttretens der angegriffenen Bestimmungen des Gesetzes zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz sind in Ausmaß und Schwere nicht von einem derartigen Gewicht, dass eine Aussetzung des Vollzugs des Gesetzes zu rechtfertigen wäre. 22 aa) Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, ist bei der Folgenabwägung ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, das Inkrafttreten eines Gesetzes zu verzögern, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, da dies stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darstellt. Die Nachteile, die mit dem Inkrafttreten nach späterer Feststellung der Verfassungswidrigkeit verbunden wären, müssen in Ausmaß und Schwere die Nachteile deutlich überwiegen, die im Fall der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfassungsmäßig erweisenden Gesetzes einträten. Bei dieser Folgenabwägung sind die Auswirkungen auf alle vom Gesetz Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur Folgen, die sich für die Beschwerdeführerinnen ergeben (vgl. BVerfGE 131, 47 <61>; stRspr). 23 bb) Gemessen an diesen Anforderungen rechtfertigt das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht. Es sind keine Nachteile ersichtlich, die in Ausmaß und Schwere den Nachteil deutlich überwiegen, der darin liegt, die vom Gesetzgeber gewünschte Reform nicht umzusetzen. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass im Fall der vorläufig weiteren Wirksamkeit des Gesetzes zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz endgültige und nicht wiedergutzumachende Schäden von besonderem Gewicht oder nur unter ganz erheblichen Schwierigkeiten wieder ausräumbare vollendete Tatsachen geschaffen würden (vgl. BVerfGE 91, 70 <76 f.>). 24 (1) Soweit die Beschwerdeführerinnen geltend machen, Forschungskooperationen würden irreparabel zerstört, ist nicht erkennbar, weshalb eine Fortsetzung der bereits laufenden Forschung bei Inkrafttreten des angegriffenen Gesetzes nicht mehr möglich sein soll. Soweit die Bereithaltung bestimmter universitärer Ressourcen in Kooperationsvereinbarungen ausdrücklich zugesichert wurde, ist die BTU Cottbus-Senftenberg als Rechtsnachfolgerin der BTU Cottbus nach der Regelung des § 21 Abs. 2 GWHL daran gebunden. Im Hinblick auf die nicht näher spezifizierten Netzwerke der Hochschullehrenden erschließt sich nicht, weshalb gerade persönliche Forschungskontakte nicht auch in einem veränderten Rahmen genutzt werden können. Zwar ist es nicht undenkbar, dass eine Universität, die mit einer Fachhochschule fusioniert wird, in der Forschungskooperation Reputation einbüßt, doch ist es keineswegs zwingend, dass Kooperationen daran scheitern. Schließlich tritt ein durch ein Schreiben einer Stiftung illustrierter eventueller Verlust von Drittmitteln bereits aufgrund der Unsicherheit ein, in der die BTU Cottbus derzeit agiert und auch bei Erlass einer einstweiligen Anordnung weiter agieren würde. Die Planungssicherheit, die für die Stiftung „von zentraler Bedeutung“ ist, bietet auch eine einstweilige Anordnung nicht. 25 (2) Soweit die Beschwerdeführerinnen vortragen, die Unterstützung von Promotionsvorhaben sei bei Inkrafttreten des Gesetzes gefährdet, ist ein besonders schwerer Nachteil nicht auszumachen. Die Fakultäten verlieren das Promotionsrecht nicht, denn die neue BTU Cottbus-Senftenberg wird gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 BbgHG in Verbindung mit Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Hochschulregion Lausitz als Universität das Promotionsrecht haben. Die bisherigen Promotionsstudierenden der BTU Cottbus sind mit Inkrafttreten des Gesetzes an der BTU Cottbus-Senftenberg eingeschrieben. Dass ein Kooperationspartner tatsächlich die Promotionsförderung von einer unveränderten Struktur der BTU Cottbus abhängig gemacht hat und damit eine Unterstützung jeglicher Promotionsvorhaben ausgeschlossen wäre, ist jedenfalls nicht hinreichend erkennbar. 26 (3) Auch die Wirkungen, die das Inkrafttreten des angegriffenen Gesetzes auf einen von der BTU Cottbus gestellten Antrag auf Aufnahme in die DFG haben kann, sind nicht in einem solchen Ausmaß und einer solchen Schwere ersichtlich, dass sie die Aussetzung des Inkrafttretens eines Gesetzes rechtfertigen könnten. Zwar wäre es für die neue Hochschule ersichtlich ein Nachteil, von Mitwirkungsmöglichkeiten in dieser Forschungsorganisation ausgeschlossen zu sein. Doch ist nicht erkennbar, wie erfolgversprechend der laufende Antrag ist, der sich nach Angaben der Beschwerdeführerinnen in der Phase der Vorprüfung befindet. Zudem zielt der Antrag lediglich auf Mitgliedschaft in der DFG, ist aber keine Voraussetzung für die Gewährung von Forschungsfördermitteln. 27 (4) Soweit die Beschwerdeführerinnen weiter vortragen, von der neuen BTU Cottbus-Senftenberg getroffene Entscheidungen seien nach Inkrafttreten des Gesetzes unumkehrbar, sind daraus erwachsende Folgen nicht von einem derartig nachteiligen Ausmaß und Gewicht, dass sie ein Aussetzen des Gesetzes rechtfertigen könnten. Die Immatrikulation von Studierenden durch die neu gegründete Universität sowie deren Anspruch auf Durchführung und Beendigung eines begonnenen Studiums gemäß den (neuen) Studien- und Prüfungsordnungen ist nicht unumkehrbar. Zwar ist es für die Wahrnehmung der Wissenschaftsfreiheit in Bezug auf die Lehre nicht folgenlos, nach welchen Kriterien immatrikuliert und auf welchem fachlichen Niveau studiert wird. Es sind jedoch keine unumkehrbaren und unzumutbaren Beeinträchtigungen erkennbar, die durch die Fusion verursacht würden. Die Maßstäbe zur Anerkennung von Leistungen (vgl. § 22 BbgHG) verschiebt das angegriffene Gesetz nicht. Gegen neue Satzungen steht zudem die Normenkontrolle - inklusive Eilrechtsschutz - zum Oberverwaltungsgericht offen (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 4 Abs. 1 BbgVwGG). 28 (5) Ein besonders schwerwiegender Nachteil, der den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht rechtfertigen könnte, liegt auch nicht in einer eventuellen Einstellung von Studiengängen, insofern die BTU Cottbus-Senftenberg bei der Einrichtung der organisatorischen Grundeinheiten für Lehre und Forschung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GWHL die Empfehlungen der Lausitz-Kommission berücksichtigen „soll“. Es ist schon zweifelhaft, ob eine Sollvorschrift überhaupt als Nachteil bewertet werden kann. Zudem gelten die Empfehlungen auch ohne die Reorganisation. Derartige Entscheidungen lassen sich weder hinreichend sicher vorhersehen noch sind sie unumkehrbar. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 GWHL sind die bisherigen Studiengänge der BTU Cottbus solche der neuen BTU Cottbus-Senftenberg. § 14 GWHL sieht für deren Neuordnung eine Frist bis zum 31. Dezember 2014 vor, doch ist mit einem länger andauernden Aufbau- und Entwicklungsprozess zu rechnen (vgl. die Gesetzesbegründung, LTDrucks 5/56180, S. 44). Schließlich steht gegen die Aufhebung von Studiengängen wiederum verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung (vgl. BVerfGK 5, 135 <139 ff.>). 29 (6) Ein schwerwiegender Nachteil für die Fakultäten liegt nicht darin, dass Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulstudiengängen einen Mastergrad im Namen der neuen Universität erlangten. Dies ist für die Studierenden zunächst ein Vorteil. Ob Absolventinnen und Absolventen von Universitätsstudiengängen allenfalls indirekt benachteiligt werden, weil sie mit anderen konkurrieren, die einen weniger wissenschaftlich ausgerichteten Fachhochschulstudiengang durchlaufen haben, ist zweifelhaft. Das Diploma Supplement, das dem Zeugnis zwingend beizufügen ist, weist auch gegenüber Dritten weiterhin Unterschiede aus. 30 (7) Der von den Beschwerdeführerinnen angeführte Rückgang der Studierendenzahlen ist ebenfalls kein gravierender Nachteil, den eine einstweilige Anordnung verhindern könnte. Dieser Rückgang hat bereits eingesetzt und lässt sich durch eine Eilentscheidung nicht beenden, denn Planungssicherheit für Studienanfängerinnen und -anfänger lässt sich nur durch eine Entscheidung in der Hauptsache herstellen. 31 (8) Schließlich ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass sich Fakultäten in ihrem wissenschaftsrelevanten Profil und Handeln unumkehrbar verändern, wenn in erheblichem Maße „Paketberufungen“ durchgeführt werden. Doch ist ein darin liegender schwerer und irreparabler Nachteil zu Lasten der Beschwerdeführerinnen bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht ersichtlich. So ist nicht erkennbar, in welchem Umfang derartige Berufungen überhaupt anstehen, da Professuren bislang besetzt sind - die bisherigen Professorinnen und Professoren der BTU Cottbus werden gemäß § 5 Abs. 1 GWHL, die Planstellen gemäß § 7 GWHL auf die neue BTU Cottbus-Senftenberg übergeleitet - oder aber eher gekürzt als ausgebaut werden. Zudem nehmen Berufungsverfahren geraume Zeit in Anspruch. Nach § 15 Abs. 3 GWHL treffen die Grundordnungen der BTU Cottbus-Senftenberg schließlich Regelungen, wie zumindest eine nach § 59 Abs. 1 Satz 6 BbgHG erforderliche Mehrheit der Professorinnen und Professoren und bestimmter Juniorprofessorinnen und -professoren in Berufungsangelegenheiten in den Organen und Gremien der neuen Universität sichergestellt wird. 32 (9) Auch eine einstweilige Anordnung könnte die von den Beschwerdeführerinnen befürchtete Abwanderung von Personal nicht verhindern. Die vorgelegten Schreiben zur Annahme eines Rufes an eine andere Universität und zur Ablehnung eines Rufes lassen nicht den Schluss auf eine signifikante und unumkehrbare Personalabwanderung gerade durch das Inkrafttreten des Gesetzes zu. 33 (10) Ein gravierender Nachteil liegt für die Beschwerdeführerinnen jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht darin, dass sie eventuell nicht hinreichend an der Selbstverwaltung der BTU Cottbus-Senftenberg mitwirken können, obwohl § 17 Abs. 2 Satz 2 GWHL die Rechtswirksamkeit von Entscheidungen bei einer fehlerhaften Wahl oder Besetzung von Organen oder Gremien normiert. Es ist nicht ersichtlich, dass auf diese Weise bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache schwerwiegende Fakten geschaffen würden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Eventuell nachteilige Folgen können, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, durch finanziellen Aufwand wettgemacht werden, den das Land Brandenburg und nicht die Beschwerdeführerinnen zu tragen hätten (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 11. Dezember 1990 - 1 BvR 1245/90 -, juris Rn. 8). 34 (11) Soweit der vom Ministerium des Landes eingesetzte Gründungsbeauftragte die Hochschule leitet, ist nicht ersichtlich, dass unumkehrbare Fakten von entsprechendem Gewicht geschaffen würden. Ohnehin soll die Dauer dieser Interims-Leitung „so kurz wie möglich bemessen sein“ (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, LTDrucks 5/6180, S. 38); die Wahl des erweiterten Gründungssenats soll nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GWHL spätestens bis zum 31. Oktober 2013 erfolgen. Der Beauftragte verfügt jenseits des Erlasses der Wahlordnung für die Gründungssenate nach § 12 Abs. 4 GWHL über keine Befugnisse, wissenschaftsrelevante Entscheidungen zu treffen, bei denen von Verfassungs wegen eine hinreichende Mitwirkung der Hochschullehrenden gesichert sein müsste. Aus einem umfassenden Informationsrecht des Gründungssenats gegenüber dem Gründungsbeauftragten nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GWHL ergeben sich keine Befugnisse. Im Gesetz zur Weiterentwicklung der Hochschulregion Lausitz sind wissenschaftsrelevante Entscheidungsbefugnisse für den Beauftragten - anders als für den Gründungspräsidenten in der Gründungsphase in § 2 Abs. 2 Nr. 5, § 3 Abs. 6 Satz 2, § 6 Abs. 2 oder § 17 Abs.1 GWHL - nicht normiert. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Brandenburgischen Hochschulgesetz, da dieses keinen Gründungsbeauftragten kennt. Der brandenburgische Gesetzgeber hat es selbst zumindest vorsorglich für erforderlich gehalten, neben der allgemeinen Verweisung in § 1 Abs. 4 GWHL auf die Vorschriften des Brandenburgischen Hochschulgesetzes mit § 9 Abs. 5 GWHL eine eigene Verweisungsvorschrift zur entsprechenden Anwendbarkeit der Vorschriften über den Präsidenten auch auf den Gründungspräsidenten oder die Gründungspräsidentin - aber auch nur auf diese - zu schaffen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, LTDrucks 5/6180, S. 39). Folglich kommt eine darüber hinausgehende Gleichsetzung des Beauftragten mit dem Präsidenten nicht in Betracht. Dies ist auch sachgerecht. Die Leitung der Hochschule nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GWHL durch den Beauftragten des Ministeriums kann mangels hinreichender Mitwirkung der Hochschullehrenden von Verfassungs wegen nicht das Recht enthalten, wissenschaftsrelevante Entscheidungen zu treffen. 35 cc) Erließe das Bundesverfassungsgericht die begehrte einstweilige Anordnung, würde sich demgegenüber die Umsetzung der vom Landesgesetzgeber für dringend erforderlich gehaltenen Strukturentscheidungen verzögern. Kann ein Überwiegen der Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, nicht festgestellt werden, fordert das gemeine Wohl den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht (vgl. BVerfGE 91, 70 <81> m.w.N.). 36 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Kirchhof Masing Baer
bundesverfassungsgericht
56-2008
16. Mai 2008
Kapitalzahlung aus einer Direktlebensversicherung unterliegt Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung Pressemitteilung Nr. 56/2008 vom 16. Mai 2008 Beschluss vom 07. April 20081 BvR 1924/07 Direktversicherungen sind meist eine Form der betrieblichen Altersversorgung. Sie werden in der Regel als Lebensversicherung durch den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zugunsten des Arbeitnehmers als Bezugsberechtigten abgeschlossen. Als Versicherungsfall wird regelmäßig die Vollendung eines bestimmten Lebensjahres vereinbart. Tritt der Versicherungsfall ein, kann die Direktversicherung als fortwährende Leistung in Form eines regelmäßigen, monatlichen Versorgungsbezugs oder als einmaliger Kapitalbetrag geleistet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu der bis zum 31. Dezember 2003 gültigen Rechtslage unterlag jedoch nur der fortwährende Versorgungsbezug aus einer Direktversicherung uneingeschränkt der Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Demgegenüber wurde eine einmalige Kapitalleistung aus der Direktversicherung nicht von der Beitragspflicht erfasst und zwar selbst dann nicht, wenn ursprünglich eine laufende Leistung vereinbart worden war, sie aber noch vor Eintritt des Versicherungsfalles in eine Kapitalleistung umgewandelt wurde. Durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003 sind die maßgeblichen Bestimmungen zum 1. Januar 2004 geändert worden: Danach unterliegt die als Kapitalleistung erbrachte Direktversicherung nunmehr uneingeschränkt der Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, auch wenn eine einmalige Kapitalzahlung von Anfang an oder vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart wurde. Den beiden Beschwerdeführern war aus einer vom Arbeitgeber zu ihren Gunsten abgeschlossenen Kapitallebensversicherung ein Betrag von 22.950,51 Euro bzw. 86.331,31 Euro ausbezahlt worden. Hierauf setzten die Krankenkassen Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von monatlich 29,07 Euro bzw. 107,19 Euro fest. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolglos. Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass die Heranziehung von Versorgungsbezügen in der Form der nicht wiederkehrenden Leistung zur Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dem Nichtannahmebeschluss liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht vor. Es kann kein wesentlicher Unterschied bezüglich der beschäftigungsbezogenen Einnahmen zwischen laufend gezahlten Versorgungsbezügen und nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistungen identischen Ursprungs und gleicher Zwecksetzung, insbesondere einmaligen Kapitalleistungen aus Direktversicherungen, festgestellt werden. Beide Leistungen knüpfen an ein Dienst- oder Beschäftigungsverhältnis an und sind Teil einer versicherungsrechtlich organisierten, durch Beiträge gespeisten zusätzlichen Altersversorgung, welche dem Versicherten mit dem Eintritt des Versicherungsfalls einen unmittelbaren Leistungsanspruch vermittelt. Ausgangspunkt der gesetzlich angeordneten Gleichbehandlung der nicht wiederkehrenden Leistungen mit den laufenden Versorgungsbezügen sind die mit dem Versicherungsfall eintretende Erhöhung der Einnahmen des Versicherten und ihr Ziel der Alterssicherung. Die im Beschäftigungsverhältnis wurzelnde, auf einer bestimmten Ansparleistung während des Erwerbslebens beruhende einmalig Zahlung einer Kapitalabfindung ist nicht grundsätzlich anders zu bewerten als eine auf gleicher Ansparleistung beruhende, laufende Rentenleistung; sie unterscheiden sich allein durch die Art der Auszahlung. Die Beitragspflicht ist auch verhältnismäßig: Zwar stellt die auf zehn Jahre begrenzte Beitragspflicht eine erhebliche Belastung der Betroffenen dar. Sie hat jedoch keine grundlegende Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse im Sinne einer erdrosselnden Wirkung zur Folge. Schließlich verstößt die Neuregelung der Beitragspflicht auf einmalige Kapitalleistungen nicht gegen den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz. Sie gestaltet ein öffentlichrechtliches Versicherungsverhältnis erst mit Wirkung für die Zukunft. Im Übrigen konnten die Betroffenen nicht in den Fortbestand der die einmaligen Kapitalleistungen gegenüber einem fortwährenden Versorgungsbezug privilegierenden Rechtslage vertrauen. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 1924/07 - In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   1. des Herrn S…, 2. der Frau H…   - Bevollmächtigter: Professor Dr. Friedhelm Hase, Universität Siegen Fachbereich 5, Hölderlinstraße 3, 57076 Siegen   1. unmittelbar gegen die Urteile des Bundessozialgerichts vom 25. April 2007 - B 12 KR 25/05 R, B 12 KR 26/05 R -, 2. mittelbar gegen § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der durch Art. 1 Nr. 143 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190) geschaffenen und ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung   hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Hohmann-Dennhardt und die Richter Gaier, Kirchhof   gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 7. April 2008 einstimmig beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.   Gründe: 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung aus der Kapitalzahlung von Direktlebensversicherungen. I. 2 Die Krankenversicherung der Rentner wird seit dem Rentenanpassungsgesetz 1982 vom 1. Dezember 1981 (BGBl I S. 1205) unter anderem durch Beiträge finanziert, welche die Versicherten zu tragen haben. Seitdem wird außer dem Arbeitsentgelt, der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Arbeitseinkommen auch der Zahlbetrag von der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) zur Beitragsberechnung herangezogen. 3 Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) hat den Begriff der Versorgungsbezüge in § 229 Abs. 1 SGB V definiert. Als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten danach, 4 1. Versorgungsbezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder aus einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen; … 5 2. Bezüge aus der Versorgung der Abgeordneten, Parlamentarischen Staatssekretäre und Minister, 6 3. Renten der Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen, die für Angehörige bestimmter Berufe errichtet sind, 7 4. Renten und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte mit Ausnahme einer Übergangshilfe, 8 5. Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung, 9 soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden. 10 § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung bestimmte ferner: 11 „Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung, gilt ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate.“ 12 Bereits zu der weitgehend inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 180 Abs. 8 Satz 4 RVO hatte das Bundessozialgericht entschieden, diese Vorschrift greife nur ein, wenn an die Stelle eines ursprünglich vereinbarten laufenden Versorgungsbezugs (z.B. eine Rente) eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung, z.B. eine Kapitalabfindung, trete. Hingegen sei die Vorschrift unanwendbar, wenn von vorne herein eine nicht wiederkehrende Leistung (Kapitalzahlung) vereinbart worden sei (BSGE 58, 10 <13>; SozR 3-2500 § 229 Nr. 4). Ebenso wenig kam es zu einer Beitragspflicht, wenn zwar ursprünglich eine laufende Leistung vereinbart war, sie aber noch vor Eintritt des Versicherungsfalles in eine Kapitalleistung umgewandelt wurde (BSG, SozR 3-2500 § 229 Nr. 10). Als Konsequenz aus dieser Rechtsprechung erhoben die Krankenkassen Beiträge aus einer Kapitalabfindung nur dann, wenn sie einen aufgrund des Eintritts des Versicherungsfalls (Erwerbsminderung, Alter) bereits geschuldeten Versorgungsbezug ersetzte; in allen anderen Fällen blieben Kapitalzahlungen beitragsfrei. 13 Durch Art. 1 Nr. 143 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190) ist § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V neu gefasst worden. Die Vorschrift lautet nunmehr: 14 „Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate.“ 15 Damit wurde die Belastung derartiger Kapitalzahlungen auch auf Fälle erstreckt, in denen sie schon vor Beginn der Rente vereinbart worden waren. II. 16 1. Der 1942 geborene Beschwerdeführer zu 1) ist als Rentner bei seiner Krankenkasse pflichtversichert. Aus einem im Jahre 1992 als Direktversicherung abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag wurden ihm im Juni 2004 22.950,51 € ausgezahlt. 17 Bei der 1944 geborenen Beschwerdeführerin zu 2) schloss der Arbeitgeber im Mai 1977 bei der Nürnberger Lebensversicherung AG eine Kapitallebensversicherung zu ihren Gunsten ab. In der Zeit vom 1. Januar bis 30. September 2004 war die Beschwerdeführerin bei ihrer Krankenkasse wegen des Bezuges von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III), danach als Arbeitnehmerin pflichtversichert. Zum Fälligkeitszeitpunkt am 1. Mai 2004 erhielt die Beschwerdeführerin aus der Lebensversicherung einen Betrag von 86.331,31 € ausgezahlt. 18 In beiden Fällen haben die Krankenkassen 1/120 der Kapitalleistung als fiktiven monatlichen Zahlbetrag einer betrieblichen Altersversorgung angesehen und hierauf Krankenversicherungsbeiträge festgesetzt. Im Fall des Beschwerdeführers zu 1) sind dies seit dem 1. Juli 2004 monatlich 29,07 €, im Fall der Beschwerdeführerin zu 2) seit dem 1. Mai 2004 monatlich 107,19 €. 19 2. Mit ihren gegen die Beitragserhebung gerichteten Klagen sind die Beschwerdeführer vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit erfolglos geblieben. Das Bundessozialgericht hat in seinen Urteilen ausgeführt, zu den Renten der betrieblichen Altersversorgung gehörten auch Renten, die aus einer vom Arbeitgeber auf das Leben des Arbeitnehmers abgeschlossenen Direktversicherung gezahlt würden, wenn daraus der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen ganz oder teilweise bezugsberechtigt seien und die Rente der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben dienen solle. Ihren Charakter als Versorgungsbezug verlören sie auch nicht dadurch, dass sie zum Teil oder ganz auf Leistungen des Arbeitnehmers bzw. Bezugsberechtigten beruhten; entscheidend sei allein, ob die Rente von einer Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung gezahlt werde. Aufgrund von § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V seien seit dem 1. Januar 2004 nunmehr auch von vorne herein oder jedenfalls vor Eintritt des Versicherungsfalls zugesagte oder vereinbarte nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen beitragspflichtig, sofern sie – unabhängig von der Zahlungsmodalität – ihre Wurzel in der betrieblichen Altersversorgung hätten. Bei beiden Beschwerdeführern sei die zugeflossene Kapitalzahlung ein einmalig gezahlter Versorgungsbezug aus einer betrieblichen Altersversorgung, denn es handele sich jeweils um Leistungen aus einer Direktversicherung des ehemaligen Arbeitgebers, die im Hinblick auf den Fälligkeitszeitpunkt (60. bzw. 62. Lebensjahr) auch der Altersversorgung gedient hätten. 20 Diese Belastung der Kapitalleistung mit Beiträgen begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Ein Grundsatz, demzufolge mit aus bereits der Beitragspflicht unterliegenden Einnahmen vom Versicherten selbst finanzierte Versorgungsbezüge der Beitragspflicht überhaupt nicht oder jedenfalls nicht mit dem vollen Beitragssatz unterworfen werden dürften, existiere im Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Es verstoße auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn Kapitalleistungen aus Direktversicherungen anders als andere private Altersvorsorgeformen zur Beitragsbemessung herangezogen würden. Es liege im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers, wenn er auch zur Vermeidung von Umgehungsmöglichkeiten Versorgungsbezüge in Form einmaliger Kapitalleistungen mit regelmäßig wiederkehrend gezahlten Versorgungsbezügen gleichstelle und damit bei gleichartiger Verwurzelung in der früheren Erwerbstätigkeit eine Gleichbehandlung ohne Berücksichtigung der Zahlungsmodalitäten schaffe. Einmalige Kapitalzahlungen erhöhten wie die regelmäßig wiederkehrenden Zahlungen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der Beitragsfreiheit habe angesichts der wiederholten Änderungen hinsichtlich der Beitragspflicht von Renten- und Versorgungseinkünften in der Vergangenheit nicht entstehen können. 21 3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer unmittelbar gegen die Urteile des Bundessozialgerichts, mittelbar gegen § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der durch Art. 1 Nr. 143 GMG vom 14. November 2003 geschaffenen Fassung. Sie rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG. 22 Die Vorschrift des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V sei so verkürzt und unklar, dass schon die Bestimmung ihres materiellen Gehalts auf beträchtliche Schwierigkeiten stoße. Der Wortlaut lasse die Einbeziehung jeder auch außerhalb der betrieblichen Altersversorgung stehenden Kapitalleistung zu, die aufgrund einer vor dem Eintritt des - nicht näher definierten - Versicherungsfalls gezahlt werde. Allein aus dem Regelungskontext könne auf einen Zusammenhang mit der betrieblichen Altersversorgung geschlossen werden. 23 Die Abgabenerhebung auf Kapitalleistungen der betrieblichen Altersversorgung laufe auf eine verfassungswidrige Besteuerung der Betroffenen durch die Krankenversicherung hinaus. Die gesetzliche Krankenversicherung sei strukturell eine Beschäftigtenversicherung, welche sich bei der Einnahmenerhebung auf die für den Eintritt der Versicherungspflicht maßgeblichen Einkünfte beschränken müsse, damit der Sozialversicherungsbeitrag nicht zur Steuer mutiere. Insoweit komme bei Pflichtversicherten – anders als bei freiwillig Versicherten – auch nicht die allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Maßstab der Beitragsbemessung in Betracht. Die Einbeziehung der Versorgungsbezüge sei nur deshalb gerechtfertigt, weil die ausschließliche Berücksichtigung der gesetzlichen Renten bei Personen, die über längere Zeiträume nicht rentenversicherungspflichtig gearbeitet hätten und deswegen Alterseinkünfte aus anderen Quellen hätten, ihrerseits zu Ungerechtigkeiten führe. Die in § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V aufgeführten laufenden Versorgungsbezüge seien den Renten vergleichbar, weil sie aus Anrechten folgten, die durch die berufliche Tätigkeit begründet worden seien und nach dem Ende des Erwerbslebens oder im Falle eingeschränkter Erwerbsfähigkeit als Sozial- oder Versorgungsleistung von einem entsprechenden Leistungsträger fortlaufend und gleichmäßig gezahlt würden. Eine solche rententypische Stabilität und Kontinuität fehle bei Kapitalleistungen. Mit der Auszahlung der Kapitalleistung werde der Empfänger aus dem System gesetzlich organisierter Sicherheit entlassen. Vergleichen mit der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung werde damit der Boden entzogen. Das verkenne das Bundessozialgericht, welches zwischen Betriebsrenten und Kapitalleistungen nur einen im Grunde zu vernachlässigenden Unterschied in der Zahlungsmodalität sehe. 24 Auch Art. 2 Abs. 1 GG werde verletzt. Mit der Erhebung von Beiträgen auf Kapitalleistungen würden sie über das Maß hinaus in Anspruch genommen, bis zu dem ihre Belastung durch Belange der Sozialversicherung im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gerechtfertigt sei. 25 Schließlich bedeute die abrupte Änderung des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V ohne jede Übergangsregelung eine Verletzung des durch Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Vertrauens in den Rechtsstaat. Sie hätten auf den Fortbestand der im Krankenversicherungsrecht seit mehr als zwei Jahrzehnten geltenden Regel vertrauen können, dass Kapitalleistungen nur insoweit belastet würden, als sie an die Stelle bereits geschuldeter Versorgungsbezüge träten. Bei einer Rechtsänderung, mit der ein solcher Grundsatz aufgegeben werde, seien Übergangsregelungen erforderlich, insbesondere um den Belangen älterer und hochbetagter Versicherter Rechnung zu tragen, die die abrupten Rechtsänderungen aufgrund ihrer Lebenslage nicht mehr auffangen könnten. III. 26 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Ihre Annahme ist auch nicht nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 143 GMG ist mit dem Grundgesetz vereinbar. 27 1. Die angegriffene Vorschrift genügt dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt, dass staatliches Handeln, welches in Grundrechte eingreift, eine gesetzliche Grundlage hat, welche nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist (vgl. BVerfGE 108, 52 <75>; 110, 33 <53>; stRspr). 28 Aus dem Gesamtzusammenhang des § 229 Abs. 1 SGB V ergibt sich hinreichend deutlich, was der Gesetzgeber mit § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 143 GMG als "nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung" erfassen wollte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehören zu den Renten der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V auch Renten, die aus einer vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer abgeschlossenen Direktversicherung im Sinne des § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) gezahlt werden, wenn sie die Versorgung des Arbeitnehmers oder seiner Hinterbliebenen im Alter, bei Invalidität oder Tod bezwecken, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben dienen sollen. Durch § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 143 GMG wird nunmehr, wie das Bundessozialgericht in den angegriffenen Urteilen darlegt, bei einer nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistung - wie der Kapitalzahlung aus einer betrieblichen Direktversicherung - für einen begrenzten Zeitraum ihre Berücksichtigung als „Rente der betrieblichen Altersversorgung“ erlaubt, wenn diese Leistung den Versorgungsbezügen im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V zuzuordnen ist, sie also ihre Wurzel in einem der dort aufgeführten Rechtsverhältnisse hat und in gleicher Weise die Versorgung des Arbeitnehmers oder seiner Hinterbliebenen im Alter, bei Invalidität oder Tod bezweckt. Die versicherungsrechtliche Zwecksetzung unterscheidet die betriebliche Altersversorgung auch im Fall der nicht regelmäßig wiederkehrenden Kapitalzahlung von anderweitigen Zuwendungen des Arbeitgebers, etwa Leistungen zur Vermögensbildung, zur Überbrückung einer Arbeitslosigkeit oder Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 229 Nr. 13). Diese Auslegung, welche den Begriff der betrieblichen Altersversorgung von sonstigen Leistungen des Arbeitgebers ausreichend abgrenzt, ist mit Wortlaut und Systematik der Vorschrift vereinbar und damit verfassungsrechtlich unbedenklich. 29 2. Diese Anknüpfung an die betriebliche Altersversorgung und damit an die Herkunft der Kapitalzahlung aus einem Beschäftigungsverhältnis und an ihr Ziel einer Absicherung des Altersrisikos sowie die Widmung des dadurch erzielten Beitragsaufkommens für die Finanzierung der Krankenversicherung halten die mittelbar angegriffene Vorschrift im Rahmen der Kompetenz des Bundesgesetzgebers für die Sozialversicherung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. 30 3. Die Heranziehung von Versorgungsbezügen in der Form der nicht wiederkehrenden Leistung zur Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung wahrt das Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (vgl. BVerfGE 112, 268 <279>; stRspr). Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 104, 126 <144 f.>). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal fallen die Anforderungen an den Differenzierungsgrund dabei unterschiedlich aus. Sie reichen vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse (vgl. BVerfGE 99, 367 <388>; stRspr). Eine strenge Prüfung ist vorzunehmen, wenn verschiedene Personengruppen und nicht nur verschiedene Sachverhalte ungleich behandelt werden (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 88, 87 <96>; 99, 367 <388>). 31 a) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist, Versorgungsbezüge im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner zur Beitragsbemessung heranzuziehen (vgl. BVerfGE 79, 223 ff.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Februar 2008 - 1 BvR 2137/06 -, JURIS). Dabei ist die Heranziehung von Versorgungsbezügen nicht nur für die versicherungspflichtigen Rentner, sondern ebenso für die in §§ 226, 232 ff. SGB V genannten Personengruppen (z.B. pflichtversicherte Arbeitnehmer oder Bezieher von Arbeitslosengeld) mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (vgl. BVerfGK 2, 330 <334 f.>). Denn auch für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung, welche noch nicht Rentner sind, bedeutet der Zufluss von Versorgungsbezügen eine Stärkung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die ihren entscheidenden Ausgangspunkt in einer Beschäftigung hat (vgl. BVerfGE 79, 223 <238>). Sie werden unter Einsatz der Arbeitskraft erworben und haben Entgeltersatzcharakter (vgl. BVerfGE 102, 68 <95>). 32 b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer unterliegt es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, Kapitalleistungen aus betrieblichen Direktversicherungen, welche die vom Bundessozialgericht aufgestellten Kriterien erfüllen, den Versorgungsbezügen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V gleichzustellen und damit der Beitragspflicht zu unterwerfen. Für ihre gegenteilige Ansicht berufen sich die Beschwerdeführer im Wesentlichen darauf, dass einmaligen Kapitalzahlungen die notwendige strukturelle Ähnlichkeit mit den Renten der gesetzlichen Rentenversicherung fehle, dies jedoch der legitimierende Anknüpfungspunkt für die Einbeziehung anderer Versorgungsleistungen in die Beitragspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Indes kann kein wesentlicher materieller Unterschied bezüglich der beschäftigungsbezogenen Einnahmen zwischen laufend gezahlten Versorgungsbezügen und nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistungen identischen Ursprungs und gleicher Zwecksetzung, insbesondere einmaligen Kapitalleistungen aus Direktversicherungen, festgestellt werden. Beide Leistungen knüpfen an ein Dienst- oder Beschäftigungsverhältnis an und sind Teil einer versicherungsrechtlich organisierten, durch Beiträge gespeisten zusätzlichen Altersversorgung, welche dem Versicherten mit dem Eintritt des Versicherungsfalls einen unmittelbaren Leistungsanspruch vermittelt. Ausgangspunkte der durch § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V angeordneten Gleichbehandlung der nicht wiederkehrenden Leistungen mit den laufenden Versorgungsbezügen sind die mit dem Versicherungsfall eintretende Erhöhung der Einnahmen des Versicherten und ihr Ziel der Alterssicherung. Die im Beschäftigungsverhältnis wurzelnde, auf einer bestimmten Ansparleistung während des Erwerbslebens beruhende einmalige Zahlung einer Kapitalabfindung ist nicht grundsätzlich anders zu bewerten als eine auf gleicher Ansparleistung beruhende, laufende Rentenleistung; sie unterscheiden sich allein durch die Art der Auszahlung. Auch das BetrAVG wertet Leistungen, die auf eine laufende Altersversorgung (z.B. durch einen Pensionsfonds oder eine Pensionskasse) gerichtet sind, gleich mit Leistungen an eine Direktversicherung, die sich in einer einmaligen Kapitalauszahlung erschöpfen (vgl. § 1 Abs. 2 und § 1b Abs. 2 BetrAVG). Daher ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber diese Leistungen auch beitragsrechtlich in der gesetzlichen Krankenversicherung gleich behandelt. Anderenfalls würde die privatautonom getroffene Entscheidung über das Versicherungsprodukt in der aktiven Phase der Beschäftigung über die Frage der späteren Beitragspflicht entscheiden und damit die Möglichkeit zu ihrer Umgehung eröffnen (vgl. die Begründung des Fraktionsentwurfs zum GKV-Modernisierungsgesetz, BTDrucks 15/1525, S. 139). 33 c) Vor Art. 3 Abs. 1 GG ist es nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdeführer auf die ausgezahlten Kapitalleistungen der betrieblichen Direktversicherung Beiträge nach dem vollen allgemeinen Beitragssatz ihrer Krankenkasse zu zahlen haben. Aus Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich kein verfassungsrechtliches Gebot ableiten, die Pflichtmitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung im wirtschaftlichen Ergebnis so zu stellen, dass sie auf ihre beitragspflichtigen Einkünfte nur den halben Beitragssatz oder einen ermäßigten Beitragssatz zu entrichten haben. Verfassungsrechtlich ist es nicht geboten, an der Finanzierung des Beitrages aus Versorgungsbezügen Dritte in der Weise zu beteiligen, wie dies im Rahmen der Arbeitnehmerversicherung für die Arbeitgeber (§ 249 SGB V) und im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner für die Rentenversicherungsträger (§ 249a SGB V) gesetzlich angeordnet ist. Zur weiteren Begründung wird auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2008 (1 BvR 2136/06 - JURIS) Bezug genommen. 34 4. Die Einbeziehung der nicht wiederkehrenden Versorgungsleistungen in die Beitragspflicht ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Sie bildet ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BVerfGE 103, 392 <404>). Den betroffenen Personen sind die damit verbundenen Folgen zumutbar. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen berechtigt, jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen (vgl. BVerfGE 69, 272 <313>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Dezember 2002 - 1 BvR 1660/96 -, SozR 3-2500 § 248 Nr. 6). Der Gesetzgeber kann dazu auch Teilgruppen herausgreifen und diese zu höheren Beitragszahlungen heranziehen, wenn dies durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Hierzu durfte der Gesetzgeber vor allem die bisherige Privilegierung der Bezieher nicht wiederkehrender Versorgungsleistungen beseitigen, deren Besserstellung gegenüber den Beziehern laufender Versorgungsleistungen ohnedies verfassungsrechtlich problematisch war. 35 Die Höhe der dadurch hervorgerufenen Beitragsbelastung bewirkt keinen unzumutbaren Eingriff in die Vermögensverhältnisse der Betroffenen. Die monatliche Beitragspflicht aus der erfolgten Zahlung der Direktversicherung beträgt im Fall des Beschwerdeführers zu 1) seit dem 1. Juli 2004 monatlich 29,07 €, im Fall der Beschwerdeführerin zu 2) seit dem 1. Mai 2004 monatlich 107,19 €, wobei dieser Betrag nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V längstens für 10 Jahre zu leisten ist. Das ist erheblich, aber angesichts der Höhe der zugeflossenen Versicherungsleistungen nicht mit einer grundlegenden Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse im Sinne einer erdrosselnden Wirkung verbunden (vgl. hierzu - mit Blick auf Art. 14 GG - BVerfGE 82, 159 <190>). 36 5. § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 143 GMG verstößt nicht gegen Art. 2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die Belastung nicht wiederkehrend gezahlter Versorgungsleistungen mit dem vollen allgemeinen Beitragssatz beurteilt sich nach den Grundsätzen über die unechte Rückwirkung von Gesetzen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86>; 103, 392 <403>); denn die angegriffene Regelung greift mit Wirkung für die Zukunft in ein öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis ein und gestaltet dies zum Nachteil für die betroffenen Versicherten um. Solche Regelungen sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und entsprechen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt (vgl. BVerfGE 101, 239 <263>; 103, 392 <403>). Diesen Grundsätzen genügt die angegriffene Regelung. Auch insoweit wird zur weiteren Begründung auf die Gründe des Beschlusses vom 28. Februar 2008 (1 BvR 2136/06) verwiesen. Die Versicherten konnten, nachdem der Gesetzgeber bereits mit dem Rentenanpassungsgesetz (RAG) 1982 vom 1. Dezember 1981 (BGBl I S. 1205) laufende Versorgungsbezüge in die Beitragspflicht einbezogen hatte, in den Fortbestand der Rechtslage, welche die nicht wiederkehrenden Leistungen gegenüber anderen Versorgungsbezügen privilegierte, nicht uneingeschränkt vertrauen. Übergangsregelungen waren verfassungsrechtlich nicht geboten, vor allem auch deshalb, weil bei der Einmalzahlung von Versorgungsbezügen den Versicherten schon am Anfang der Belastung die gesamte Liquidität zur Tragung der finanziellen Mehrbelastung zur Verfügung steht. 37 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Hohmann-Dennhardt Gaier Kirchhof
bundesverfassungsgericht
109-2006
9. November 2006
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde der deutschen Vereinigungskirche gegen Einreiseverbot für Ehepaar Mun Pressemitteilung Nr. 109/2006 vom 9. November 2006 Beschluss vom 24. Oktober 20062 BvR 1908/03 Herr Mun ist Gründer der weltweit vertretenen Vereinigungskirche, deren Anhänger in Deutschland in dem beschwerdeführenden Verein organisiert sind. Das Ehepaar Mun beabsichtigte Ende 1995, im Rahmen einer Welttour nach Deutschland einzureisen. Das Besuchsprogramm sah vor, dass Herr Mun bei einer Veranstaltung eines dem Beschwerdeführer nahe stehenden Vereins einen Vortrag mit dem Titel "Die wahre Familie und ich" halten sollte; außerdem wollte das Ehepaar Mun Gespräche mit seinen Anhängern führen. Um dies zu verhindern, schrieb die Grenzschutzdirektion Koblenz auf Bitte des Bundesinnenministeriums die Eheleute Mun für die Dauer von drei Jahren zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem aus. Die Ausschreibung wurde fortlaufend, zuletzt im Jahr 2004, verlängert. Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausschreibung gerichtete Klage des Beschwerdeführers blieb vor den Verwaltungsgerichten ohne Erfolg. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob das klageabweisende Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf, da es auf einem unzutreffenden Verständnis des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (Religionsfreiheit und Recht auf freie Religionsausübung) beruhe. Die Sache wurde an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage des Beschwerdeführers abgewiesen, weil der geplante Besuch der Eheleute Mun keine besondere Bedeutung für die gemeinschaftliche Religionsausübung und keinen spezifisch religiösen Gehalt für die Mitglieder des Beschwerdeführers habe. Damit hat das Gericht seiner Entscheidung eine Gewichtung genuin religiöser Belange aus dem Binnenbereich des Beschwerdeführers zugrunde gelegt, die staatlichen Stellen verwehrt ist. Für die Beantwortung der Frage, welche Bedeutung der persönlichen Begegnung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft mit ihrem Gründer oder geistlichen Oberhaupt zukommt, kann nur das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft maßgebend sein. Insoweit sind durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Kernfragen der Pflege und Förderung des Glaubens und Bekenntnisses angesprochen, die der Beurteilung durch staatliche Stellen grundsätzlich entzogen sind. Das Besuchsvorhaben der Eheleute Mun diente - jedenfalls auch - dem Kontakt der Gläubigen mit dem Religionsstifter, dem nach dem Selbstverständnis der Vereinigungskirche religiöse Bedeutung zukommt. Angesichts der zentralen Stellung des Religionsstifters für jede auf eine solche Person ausgerichtete Religion hätte es besonderer Hinweise bedurft, um eine davon abweichende Einschätzung zu rechtfertigen. Allerdings kann unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG weder für den Einreisewilligen noch für die an seiner Einreise interessierte Religionsgemeinschaft ein Anspruch auf Einreise abgeleitet werden. Es ist aber geboten, bei der Auslegung der Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern das Eigenverständnis der Religionsgemeinschaft so weit wie möglich zu berücksichtigen. Bei der Abwägung zwischen den mit der Ausschreibung im Schengener Informationssystem verfolgten Belangen und den Interessen des Beschwerdeführers ist zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen des Schengener Durchführungsübereinkommens insoweit gebunden hat, als die für alle Schengen-Staaten grundsätzlich verbindliche Ausschreibung zur Einreiseverweigerung das Vorliegen von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit voraussetzt. Es liegt nicht auf der Hand, dass Besuchsaufenthalte der Eheleute Mun Gefahren mit sich bringen, die auch bei der Einbeziehung der Interessen des Beschwerdeführers die Anordnung und Aufrechterhaltung der Ausschreibung der Eheleute Mun zur Einreiseverweigerung gerechtfertigt erscheinen lassen. Soweit das Bundesministerium des Innern das öffentliche Interesse an der Einreiseverweigerung aus Widersprüchen zwischen den Glaubensinhalten des Beschwerdeführers und den Wertentscheidungen des Grundgesetzes herleitet, ist darauf hinzuweisen, dass die Religionsgemeinschaften hinsichtlich der von ihnen vertretenen Glaubensinhalte und sonstiger rein interner Angelegenheiten grundsätzlich nicht den für das Verhalten des Staates maßgeblichen Wertvorstellungen des Grundgesetzes verpflichtet sind und außerhalb dieses Bereichs der Wechselwirkung von Religionsfreiheit und Schrankenzweck durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen ist. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvR 1908/03 - Im Namen des Volkes In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   der V ... e.V.   - Bevollmächtigte: Aderhold, v. Dalwigk, Knüppel, Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH, Subbelrather Straße 15 A, 50823 Köln -   gegen a) den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2003 - BVerwG 1 B 288.02 -, b) das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Juni 2002 - 12 A 10349/99.OVG -   hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Lübbe-Wolff und den Richter Gerhardt   am 24. Oktober 2006 einstimmig beschlossen:   Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Juni 2002 - 12 A 10349/99.OVG - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes und wird aufgehoben; die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2003 - BVerwG 1 B 288.02 – ist damit gegenstandslos. Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.   Gründe: A. 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der Reichweite der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten Rechte einer religiösen Vereinigung im Zusammenhang mit einer gegen ihr ausländisches religiöses Oberhaupt verhängten Einreisesperre. I. 2 1. Der Beschwerdeführer, ein eingetragener Verein, wendet sich gegen die Ausschreibung von Herrn Sun Myung Mun und Frau Hak Ya Han Mun zur Einreiseverweigerung gemäß Art. 96 Abs. 2 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen) vom 19. Juni 1990 (BGBl 1993 II S. 1013). 3 2. Herr Mun ist Gründer der weltweit vertretenen Vereinigungskirche, deren Anhänger in der Bundesrepublik Deutschland in dem beschwerdeführenden Verein organisiert sind. Herr und Frau Mun beabsichtigten Ende 1995, im Rahmen einer Welttour in die Bundesrepublik einzureisen. Das Besuchsprogramm sah vor, dass Herr Mun bei einer Veranstaltung eines dem Beschwerdeführer nahestehenden Vereins einen Vortrag mit dem Titel "Die wahre Familie und ich" halten sollte; außerdem wollten Herr und Frau Mun Gespräche mit ihren Anhängern führen. 4 3. Nachdem es vor dem Hintergrund von Bedenken gegen Auftreten und Wirken des Beschwerdeführers sowie der Eheleute Mun zu verschiedenen Anfragen hinsichtlich der beabsichtigten Reise der Eheleute Mun gekommen war, schrieb die Grenzschutzdirektion Koblenz auf Bitte des Bundesministeriums des Innern die Eheleute Mun Ende 1995 für die Dauer von drei Jahren zur Einreiseverweigerung gemäß Art. 96 Abs. 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) aus. Den Eheleuten Mun wurde bei ihrer kurz darauf erfolgten Ankunft in Paris auf Grund der Ausschreibung die Einreise verweigert. Die Ausschreibung wurde fortlaufend, zuletzt im Jahr 2004, verlängert. Sie führt dazu, dass den Eheleuten Mun die Einreise in jeden Schengen-Staat verweigert wird, wenn nicht der betreffende Staat einen Dispens erteilt. 5 4. Das Verwaltungsgericht wies die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausschreibung gerichtete Klage des Beschwerdeführers mangels Klagebefugnis als unzulässig ab. Auf die Berufung des Beschwerdeführers stellte das Oberverwaltungsgericht durch Zwischenurteil die Zulässigkeit der Klage fest; die Revision hiergegen blieb erfolglos. Das Bundesverwaltungsgericht führte aus, der Beschwerdeführer sei klagebefugt, weil jedenfalls für Fragen der Zulässigkeit der Klage davon auszugehen sei, dass er Rechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG für sich in Anspruch nehmen könne. Den ausländerrechtlichen Einreisebestimmungen komme zwar einfachrechtlich keine Schutzwirkung zugunsten Dritter zu. Eröffneten diese der Behörde Ermessen, seien bei dessen Ausübung aber auch durch die zu treffende Entscheidung berührte verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und Grundrechte Dritter zu berücksichtigen. Hiermit korrespondiere ein subjektives Recht des betroffenen Grundrechtsträgers. Angesichts der Weite des Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit und wegen der grundsätzlich nicht bestehenden selbstständigen Rechtsposition der Religionsgemeinschaft im ausländerrechtlichen Verfahren ihres religiösen Oberhaupts bestehe die Pflicht des Staates zur Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Religionsgemeinschaft allerdings nur, sofern die Einreiseverweigerung religiöse Belange der Gemeinschaft nach deren eigenem Verständnis nicht unerheblich beeinträchtige. Ob tatsächlich ein subjektives Recht des Beschwerdeführers auf Berücksichtigung seiner Interessen im Rahmen der ausländerrechtlichen Entscheidung bestehe und welche Folgen sich hieraus ergäben, sei im Rahmen der Begründetheit der Klage zu prüfen. 6 5. Das Oberverwaltungsgericht wies die Klage ab. Dem Besuch der Eheleute Mun komme nach der Theologie der Vereinigungskirche keine besondere Bedeutung für die gemeinschaftliche Religionsausübung zu. Die gemeinsame Religionsausübung sei auch ohne persönliche Begegnungen wie die vorgesehene uneingeschränkt möglich. Seine Bedeutung erhalte der Besuch der Eheleute Mun für die Mitglieder des Beschwerdeführers vielmehr dadurch, dass er für diese ein von der Ausstrahlung und der Persönlichkeit des Herrn Mun geprägtes außerordentliches Erlebnis gemeinschaftlicher Begegnung darstelle. Es sei zwar nachvollziehbar, dass die Gläubigen der auf Herrn Mun ausgerichteten Religion einem persönlichen Treffen mit ihm und seiner Ehefrau einen hohen Stellenwert beimäßen und dieser auf die Mitglieder des Beschwerdeführers inspirierend wirke, Begeisterung entfache und Optimismus verbreite. Diese Effekte hätten aber keinen spezifisch religiösen Gehalt, z.B. in Gestalt eines Offenbarungserlebnisses, sondern seien solche, die sich mit jeder Begegnung mit einem geistlichen Oberhaupt einer Kirche verbänden. 7 6. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stützten die Beschwerdeführer auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob ein Anspruch des Beschwerdeführers aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eine - im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften - besondere Bedeutung der Begegnung zwischen dem religiösen Oberhaupt und den Mitgliedern voraussetze und die "nur übliche" Bedeutung des Besuchs des kirchlichen Oberhaupts nicht ausreiche. Im Übrigen komme der persönlichen Begegnung der Mitglieder des Beschwerdeführers mit ihrem religiösen Führer eine besondere Bedeutung zu, die das Oberverwaltungsgericht nicht in Abrede stelle und die allein religiös begründet sei. 8 7. Das Bundesverwaltungsgericht verwarf die Beschwerde. Im Zusammenhang mit der Verweigerung der Einreise für einen Ausländer bestehe eine Pflicht des Staates und ein korrespondierendes Recht der Religionsgemeinschaft auf Berücksichtigung der Interessen der Religionsgemeinschaft nur, wenn mit der Verweigerung der Einreise religiöse Belange der Glaubensgemeinschaft nicht unerheblich beeinträchtigt würden. Ob dies der Fall sei, könne nur im jeweiligen Einzelfall - hier anhand des Charakters des geplanten Besuchs, der zu der Einreiseverweigerung geführt habe - beurteilt werden. Die angegriffene Entscheidung lege zwar Rechtsgrundsätze zu Grunde, die von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abwichen und zu hohe Anforderungen stellten. Das angegriffene Urteil beruhe hierauf aber nicht, weil auch bei zutreffender Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Maßstäbe mangels entsprechender Darlegungen eine spezifisch religiöse Bedeutung des im Herbst 1995 geplanten Besuches nicht angenommen werden könne. II. 9 Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 19 Abs. 4 GG. 10 1. Ziel der erhobenen Klage sei die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung insgesamt gewesen; diesem Rechtsschutzziel würden die allein auf den im Herbst 1995 geplanten Besuch abstellenden Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts nicht gerecht. 11 2. Dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts liege ebenso wie dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts ein Maßstab zugrunde, der Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht gerecht werde. Bei Anwendung des zutreffenden Maßstabs hätte das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufheben müssen. Das im Herbst 1995 geplante Treffen habe eine spezifisch religiöse Dimension gehabt. Das Grundgesetz schütze nicht nur das Haben einer religiösen Überzeugung, sondern auch die freie Entfaltung bei der Ausübung der Religion. Hierzu zähle auch und gerade der persönliche Kontakt mit religiösen Oberhäuptern. Die besondere Bedeutung eines persönlichen Zusammentreffens sei im vorliegenden Fall offenkundig, weil Herr Mun der Gründer der Vereinigungskirche und nach deren Glaubensinhalten der Messias sei. Die Möglichkeit, den Religionsführer im Ausland zu treffen, stelle kein Äquivalent für dessen Besuch dar. Eine Begrenzung des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auf einen Kernbereich der Religionsausübung sei (auch) in diesem Zusammenhang unzulässig. Der Beschwerdeführer habe keinen Anlass gehabt, auf die besondere Bedeutung des geplanten Treffens für ihn in Abgrenzung zu seinen Mitgliedern einzugehen, weil das Bundesverwaltungsgericht selbst in seiner vorangegangenen Entscheidung insoweit keine Differenzierung vorgenommen habe. 12 3. Eine Rechtfertigung für den Eingriff in den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sei nicht erkennbar. Die Verweigerung eines Kurzbesuchs komme nur in Betracht, wenn hierfür Gründe des öffentlichen Wohls sprächen, die so gewichtig seien, dass sie vor Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Bestand hätten. Der Vortrag der Beklagten im Ausgangsverfahren habe sich jedoch auf Gerüchte und Vermutungen beschränkt. Einzubeziehen sei in die Würdigung auch der negative Einfluss, den die Einreiseverweigerung auf das Ansehen des Beschwerdeführers habe. III. 13 Das Bundesministerium des Innern hält bereits das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers für nicht gegeben, weil Herr Mun selbst sich - jedenfalls in einem Hauptsacheverfahren - nicht gegen seine Ausschreibung im Schengener Informationssystem gewandt habe. Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sei jedenfalls hinsichtlich des Beschwerdeführers nicht betroffen, weil dem im Jahr 1995 geplanten Besuch der Eheleute Mun die erforderliche spezifisch religiöse Dimension gefehlt habe. Insoweit sei zwar auf die Inhalte der jeweiligen Glaubenslehre abzustellen; dies bedeute aber nicht, dass auf einen objektiv nachvollziehbaren religiösen Bezug des jeweiligen Verhaltens verzichtet werden könne. Ein solcher fehle, wie das Oberverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht zutreffend festgestellt hätten. Selbst wenn davon ausgegangen werde, dass der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG betroffen sei, könne die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben, weil die den Beschwerdeführer nur mittelbar treffende Ausschreibung der Eheleute Mun im Schengener Informationssystem verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei. Die zuständigen Stellen hätten das ihnen bei Fragen der Einreise zukommende weite Ermessen in vertretbarer Weise ausgeübt. Die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung sei auf problematische Inhalte der Lehre der Vereinigungskirche gestützt. Insbesondere stehe diese im Widerspruch zu den in Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 GG sowie in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 1 WRV zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Grundgesetzes. Gewichtige religiöse Gründe für den Besuch der Eheleute Mun hätten demgegenüber nicht bestanden. Die Einreiseverweigerung wirke auch weder stigmatisierend noch beeinträchtige sie das (sonstige) Wirken des Beschwerdeführers. Sie sei auch deshalb gerechtfertigt, weil der Staat mit ihr den gegenüber seinen Bürgern bestehenden Schutzpflichten nachkomme, die sich im vorliegenden Fall insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 GG ergäben. B. 14 Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig; insbesondere kann dem Beschwerdeführer, dem es gerade um die Durchsetzung eigener geschützter Interessen geht, das Rechtsschutzinteresse nicht mit Blick auf die Nichtwahrnehmung von Rechtsschutzmöglichkeiten durch Herrn Mun abgesprochen werden. Die Verfassungsbeschwerde ist - in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) - auch offensichtlich begründet; die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. I. 15 Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. 16 1. Der Beschwerdeführer kann sich als religiöse Vereinigung auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen. 17 a) Vereinigungen, deren Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder ist, können Träger des Grundrechts aus Art. 4 GG sein (vgl. BVerfGE 102, 370 <383>; 105, 279 <293>). Art. 4 Abs. 1 und 2 GG schützt auch die Freiheit des organisatorischen Zusammenschlusses zum Zweck des gemeinsamen öffentlichen Bekenntnisses (BVerfGE 19, 129 <132>; 42, 312 <323>; 70, 138 <161>; 99, 100 <118>; 102, 370 <383>; 105, 279 <293>). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Eigenschaft einer Religionsgemeinschaft nicht nur behauptet wird, sondern es sich bei dem Bekenntnis und der Gemeinschaft auch tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild um eine Religion und eine Religionsgemeinschaft handelt (BVerfGE 83, 341 <353>). 18 b) Der Beschwerdeführer widmet sich nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls auch - der gemeinsamen Pflege der Lehren des Herrn Mun, die sowohl das Oberverwaltungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht als Religion eingeordnet haben. Bedenken hiergegen bestehen nicht. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte eine Überzeugung, die Ziele des menschlichen Seins aufstellt, den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit anspricht und auf umfassende Weise den Sinn der Welt und des menschlichen Lebens zu erklären beansprucht, wie es bei dem vom Beschwerdeführer vertretenen Glauben der Fall ist, dem Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG unterstellen (vgl. BVerfGE 105, 279 <293> für die Osho-Bewegung). Dass der Beschwerdeführer daneben möglicherweise auch andere - insbesondere wirtschaftliche - Zwecke verfolgt, steht dieser Einordnung nicht entgegen (vgl. BVerfGE 105, 279 <293>). 19 2. Die im Ausgangsverfahren angegriffene Maßnahme berührt den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. 20 a) Der einer Religionsgemeinschaft zukommende Grundrechtsschutz umfasst das Recht zu eigener weltanschaulicher oder religiöser Betätigung, zur Verkündigung des Glaubens sowie zur Pflege und Förderung des Bekenntnisses. Hierzu gehören nicht nur kultische Handlungen sowie die Beachtung und Ausübung religiöser Gebote und Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen und Glockengeläut, sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens sowie allgemein die Pflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses (vgl. BVerfGE 19, 129 <132>; 24, 236 <246 f.>; 53, 366 <387>; 105, 279 <293 f.>). Welche Handlungen im Einzelnen erfasst sind, bestimmt sich wesentlich nach der Eigendefinition der Religionsgemeinschaft; denn Teil der grundrechtlich gewährleisteten Glaubensfreiheit ist auch und gerade, dass eine staatliche Bestimmung genuin religiöser Fragen unterbleibt (vgl. BVerfGE 102, 370 <394>; s. ferner BVerfGE 12, 1 <4>; 18, 385 <386 f.>; 24, 236 <247 f.>; 41, 65 <84>; 42, 312 <332>; 53, 366 <392 f., 401>; 72, 278 <294>; 74, 244 <255>; 102, 370 <394>). 21 Soweit der Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im Schrifttum mit Hilfe von Erheblichkeitskriterien restriktiv gefasst wird (vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 8. Aufl. 2006, Art. 4 Rn. 15; Mager, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 2000, Art. 4 Rn. 56; Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: Festschrift für Hollerbach, 2001, S. 149 <157 ff.>), betreffen diese Erwägungen vor allem Betätigungen, mit denen die Religionsgemeinschaft über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus in die Gesellschaft hineinwirkt. Ob und inwieweit ihnen zu folgen sein könnte, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn hier geht es um eine Frage, die den Bereich der innergemeinschaftlichen Pflege und Betätigung des vom Beschwerdeführer vertretenen Glaubens betrifft. Für die Beantwortung der Frage, welche Bedeutung der persönlichen Begegnung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft mit ihrem Gründer und geistlichem Oberhaupt zukommt, kann, von offensichtlich außerreligiösen Begegnungszusammenhängen abgesehen, nur das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft maßgebend sein. Insoweit sind durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Kernfragen der Pflege und Förderung des Glaubens und Bekenntnisses angesprochen, die "mangels Einsicht und geeigneter Kriterien" (BVerfGE 102, 370 <394>) der Beurteilung durch staatliche Stellen grundsätzlich entzogen sind. Auch wenn bei Betrachtung von außen ein Zusammenhang mit der Religionsausübung nicht zwingend erscheint, ist es dem Staat verwehrt, eigene Bewertungen und Gewichtungen diesbezüglicher Vorgänge an die Stelle derjenigen der Religionsgemeinschaft zu setzen. Dementsprechend kann auch nicht darauf abgestellt werden, ob die beanstandete staatliche Maßnahme der Religionsgemeinschaft bzw. ihren Anhängern die Ausübung ihrer Religion gänzlich oder wesentlich unmöglich macht. Abgesehen davon, dass die Anlegung eines solchen Maßstabs eine inhaltliche Bewertung religiöser Fragen erzwänge, führte dies zu einem mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht zu vereinbarenden Schutz lediglich eines "religiösen Existenzminimums". Welche äußersten Grenzen der Definitionsmacht der Religionsgemeinschaften gesetzt sind, bedarf hier keiner Erörterung. 22 b) Das zu dem Einreiseverbot Anlass gebende Besuchsvorhaben der Eheleute Mun gründete nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in der vom Beschwerdeführer vertretenen Religion. Es diente - jedenfalls auch - dem Kontakt der Gläubigen mit dem Religionsstifter, dem nach dem Selbstverständnis der Vereinigungskirche religiöse Bedeutung zukommt. Angesichts der zentralen Stellung des Religionsstifters für jede auf eine solche Person ausgerichtete Religion hätte es besonderer, hier nicht festgestellter Hinweise – etwa auf einen rein touristischen Charakter des Aufenthalts - bedurft, um eine davon abweichende Einschätzung zu rechtfertigen. Das Einreiseverbot berührt demnach den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. 23 3. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf einem unzutreffenden Verständnis des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. 24 a) Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage des Beschwerdeführers abgewiesen, weil der im Herbst 1995 geplante Besuch der Eheleute Mun keine besondere Bedeutung für die gemeinschaftliche Religionsausübung und keinen spezifisch religiösen Gehalt für die Mitglieder des Beschwerdeführers habe. Das Oberverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung damit eine Gewichtung genuin religiöser Belange aus dem Binnenbereich des Beschwerdeführers zugrunde gelegt, die, wie dargelegt, staatlichen Stellen verwehrt ist. Darin liegt ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. 25 b) Das angegriffene Urteil beruht auch auf diesem Grundrechtsverstoß. 26 aa) Der grundrechtliche Schutz der Religionsgemeinschaften führt allerdings nicht dazu, dass diese von den Regelungen des für alle geltenden Rechts von vornherein ausgenommen sind. Auch kann unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG weder für den Einreisewilligen noch für die an seiner Einreise interessierte Religionsgemeinschaft ein Anspruch auf Einreise abgeleitet werden. Insofern kann für Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nichts anders gelten als für andere grundrechtlich geschützte Positionen wie z.B. solche aus Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. hierzu BVerfGE 76, 1 <47, 49 ff.>). Es ist jedoch geboten, bei der Auslegung und Handhabung der einfachrechtlichen Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, die hier eine visumsfreie Einreise vorsehen und den vorübergehenden Aufenthalt damit grundsätzlich gestatten, das Eigenverständnis der Religionsgemeinschaft, soweit es in dem Bereich der durch Art. 4 Abs. 1 GG gewährleisteten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung verwirklicht, so weit wie möglich zu berücksichtigen (BVerfGE 83, 341 <356>; ähnlich bereits BVerfGE 24, 236 <251>; 53, 366 <401>, vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 4. Juli 1996 - 11 B 23/96 -, NJW 1997, S. 406 <407>). 27 bb) Das Oberverwaltungsgericht hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent, die Voraussetzungen einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nicht geprüft. Das Ergebnis der bei zutreffender Bestimmung der Reichweite des durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierten Schutzes vorzunehmenden Abwägung zwischen den mit der Ausschreibung im Schengener Informationssystem verfolgten Belangen und den Interessen des Beschwerdeführers ist nicht in einer Weise deutlich absehbar, die es dem Bundesverfassungsgericht erlauben könnte, von der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache abzusehen. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen des Schengener Durchführungsübereinkommens über § 60 Abs. 3 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Nr. 3 AuslG (jetzt § 15 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) hinaus insoweit gebunden hat, als die für alle Schengen-Staaten grundsätzlich verbindliche Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ das Vorliegen von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit voraussetzt. Aus den in Art. 96 Abs. 2 Satz 2 SDÜ aufgeführten Beispielen für die Annahme derartiger Gefahren, die auf begangene oder zu befürchtende Straftaten des Ausländers Bezug nehmen, folgt zugleich, dass die mit der Anwesenheit des Ausländers verbundene Gefahr eine gewisse Erheblichkeit haben muss. Es ist bereits nicht offenkundig, dass ein Besuch der Eheleute Mun ein derartiges Gefahrenpotential birgt. Erst recht liegt nicht auf der Hand, dass Besuchsaufenthalte der Eheleute Mun Gefahren mit sich bringen, die auch bei der gebotenen Einbeziehung der Interessen des Beschwerdeführers die Anordnung und Aufrechterhaltung der Ausschreibung der Eheleute Mun zur Einreiseverweigerung gerechtfertigt erscheinen lassen. Ob und inwieweit auch § 60 Abs. 3 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Nr. 3 AuslG (jetzt § 15 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) angesichts der in Art. 20 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchstabe d) und e) SDÜ getroffenen Regelung für eine nur national wirkende Einreiseverweigerung einschränkend ausgelegt werden müsste, kann dahinstehen, weil Gegenstand des Ausgangsverfahrens allein die auf der Grundlage des Art. 96 Abs. 2 SDÜ getroffene Maßnahme ist. Soweit das Bundesministerium des Innern das öffentliche Interesse an der Einreiseverweigerung aus Widersprüchen zwischen den Glaubensinhalten des Beschwerdeführers und den Wertentscheidungen des Grundgesetzes herleitet, ist darauf hinzuweisen, dass die Religionsgemeinschaften hinsichtlich der von ihnen vertretenen Glaubensinhalte und sonstiger rein interner Angelegenheiten grundsätzlich nicht den für das Verhalten des Staates maßgeblichen Wertvorstellungen des Grundgesetzes verpflichtet sind (vgl. BVerfGE 102, 370 <394 f.>) und außerhalb dieses Bereichs der Wechselwirkung von Religionsfreiheit und Schrankenzweck durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerfGE 72, 278 <289>). II. 28 Soweit der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG darin sieht, dass Oberverwaltungsgericht und Bundesverwaltungsgericht sein Rechtsschutzziel verfehlt hätten, indem sie allein auf den im Herbst 1995 geplanten, den Anlass für die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung gebenden Besuch abgestellt hätten, bedarf es keiner Entscheidung. Der Beschwerdeführer kann sein Rechtsschutzanliegen nach der aus Sachgründen erfolgten Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht vor diesem weiterverfolgen. III. 29 Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. 30 Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).   Broß Lübbe-Wolff Gerhardt
bundesverfassungsgericht
3-2012
19. Januar 2012
Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen gesetzliches Sonnenstudio-Verbot für Minderjährige Pressemitteilung Nr. 3/2012 vom 19. Januar 2012 Beschluss vom 21. Dezember 20111 BvR 2007/10 Die am 4. August 2009 in Kraft getretene Vorschrift des § 4 des Gesetzes zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG) bestimmt, dass Minderjährigen die Nutzung von Sonnenbänken in Sonnenstudios, ähnlichen Einrichtungen oder sonst öffentlich zugänglichen Einrichtungen nicht gestattet werden darf. Die 1994 geborene Beschwerdeführerin zu 1. nutzt gelegentlich öffentliche Solarien und sieht sich durch die Verbotsregelung in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt. Ihre Eltern, die Beschwerdeführer zu 2. und 3., rügen die Verletzung ihres Elterngrundrechts, weil der nach ihrer Ansicht unverhältnismäßige Eingriff sie daran hindere, ihrer Tochter die Solariennutzung zu erlauben. Der Beschwerdeführer zu 4. ist Betreiber eines Sonnenstudios und macht im Wesentlichen eine Verletzung seiner Berufsfreiheit geltend. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen. Die Beschwerdeführer sind durch das Verbot der öffentlichen Solariennutzung für Minderjährige nicht in ihren Grundrechten verletzt. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: 1. Die Beschwerdeführerin zu 1. wird durch das Nutzungsverbot nicht in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt, weil der Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist. Die Regelung verfolgt das legitime Ziel, Minderjährige vor UV-Strahlung zu schützen, die nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers gerade im jugendlichen Alter Schäden an den Hautzellen verursachen kann, die zu Hautkrebs führen. Im Hinblick auf dieses wichtige Gemeinschaftsanliegen ist das Nutzungsverbot verhältnismäßig. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass der Ausschluss dieser - neben der natürlichen UV-Strahlung durch die Sonne - zusätzlichen Bestrahlungsmöglichkeit geeignet ist, eine deutliche Reduzierung der auf Kinder und Jugendliche einwirkenden UV-Strahlung zu erreichen. Die Regelung ist zur Verfolgung des angestrebten Ziels auch erforderlich. Angesichts des dem Gesetzgeber im Bereich der Gefahrenverhütung zustehenden Beurteilungsspielraums ist seine auf wissenschaftlichen Untersuchungen beruhende Einschätzung nicht zu beanstanden, dass UV-Strahlung im Allgemeinen und bei Kindern und Jugendlichen im Besonderen eine für die Haut negative Wirkung vor allem im Hinblick auf die Entstehung und den Verlauf von Hautkrebs hat. Durch das Verbot der Benutzung von Sonnenstudios wird den Minderjährigen auch keine unzumutbare Einschränkung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit auferlegt. Das Verbot wirkt nur eingeschränkt, da den Minderjährigen die Möglichkeit des "Sonnenbadens" im Freien und der Nutzung privater Solarien bleibt. Andererseits ist der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit für die betroffenen Minderjährigen keineswegs belanglos. Ihnen wird die Dispositionsbefugnis über die Gestaltung ihres Aussehens und ihrer Freizeitgestaltung teilweise genommen, ohne dass es sich dabei um ein gemeinwohlschädliches Verhalten handelt. Zudem verfolgt die angegriffene Verbotsregelung mit dem Schutz vor selbstschädigendem Verhalten ein Ziel, das nur in besonders gravierenden Fällen in der Abwägung mit einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu bestehen vermag. Denn diese umfasst gerade auch im Freizeitbereich die Freiheit, Handlungen vorzunehmen, die gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Anderes gilt jedoch im Bereich des Jugendschutzes, der als Rechtfertigungsgrund für Grundrechtseingriffe im Grundgesetz ausdrücklich anerkannt ist. Das verfassungsrechtlich bedeutsame Interesse an einer ungestörten Entwicklung der Jugend berechtigt den Gesetzgeber zu Regelungen, durch welche der Jugend drohende Gefahren abgewehrt werden. Da Aufklärungskampagnen und freiwillige Selbstverpflichtungen bislang nicht den gewünschten Erfolg hatten, musste der Gesetzgeber nicht davon ausgehen, dass Minderjährige schon vor der Vollendung des 18. Lebensjahres die notwendige Einsichtsfähigkeit haben, den Besuch von Sonnenstudios und ähnlichen Einrichtungen aus freien Stücken zu unterlassen. 2. Der durch das Sonnenstudio-Verbot bewirkte Eingriff in das nach Art. 6 Abs. 2 GG grundrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Beschwerdeführer zu 2. und 3. ist ebenfalls gerechtfertigt. Es bleibt den Eltern unbenommen, ihrem Kind im privaten Lebensbereich den Zugang zu einer UV-Bestrahlung zu eröffnen, wenn sie dies für verantwortbar und richtig halten. Angesichts der daher geringen Eingriffsintensität durfte der Gesetzgeber sich auf ein umfassendes, nicht nach Altersgruppen und daran anknüpfende Einverständnispflichten differenzierendes und damit für alle Beteiligten leicht praktikables Verbot entscheiden. 3. Schließlich ist auch der Beschwerdeführer zu 4. durch das Nutzungsverbot von Sonnenstudios für Minderjährige nicht in seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. In Anbetracht der hohen Bedeutung des Jugendschutzes und der vom Gesetzgeber vertretbar eingeschätzten Gefahr, die Kindern und Jugendlichen durch die Nutzung von Sonnenbänken droht, erweist sich die mit der Regelung verbundene Einschränkung der Berufsausübung für die Betreiber von Sonnenstudios ebenfalls nicht als unverhältnismäßig. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 2007/10 - In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   1. der Mdj. Sch..., 2. der Frau Sch..., 3. des Herrn Dr. Sch..., 4. des Herrn Sch...   - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Markus Deutsch in Sozietät Rechtsanwälte Dolde Mayen & Partner, Mildred-Scheel-Straße 1, 53175 Bonn -   gegen § 4 des Gesetzes zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG) vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2433)   hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Kirchhof und die Richter Eichberger, Masing   gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 21. Dezember 2011 einstimmig beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.   Gründe: I. 1 Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den mit dem Gesetz zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2433) eingeführten § 4 des Gesetzes zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG). Die Vorschrift bestimmt, dass Minderjährigen die Nutzung von Sonnenbänken in Sonnenstudios, ähnlichen Einrichtungen oder sonst öffentlich zugänglichen Einrichtungen nicht gestattet werden darf. Zuwiderhandlungen gegen die Vorschrift sind mit einem Bußgeld bedroht (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 NiSG). Sie lautet: 2 „§ 4 3 Nutzungsverbot für Minderjährige 4 Die Benutzung von Anlagen nach § 3 zur Bestrahlung der Haut mit künstlicher ultravioletter Strahlung in Sonnenstudios, ähnlichen Einrichtungen oder sonst öffentlich zugänglichen Räumen darf Minderjährigen nicht gestattet werden.“ 5 Zur Begründung führt der Gesetzgeber an, dass das Risiko, im Erwachsenenalter an Hautkrebs zu erkranken, steige, wenn Menschen bereits in Kindheit und Jugend verstärkt der ultravioletten Strahlung (UV-Strahlung) ausgesetzt gewesen seien. Bei Kindern und Jugendlichen, die schon früh eine erhöhte Anzahl an UV-bedingten Pigmentmalen erworben hätten, steige das Risiko einer Melanomentstehung, wenn sie sich neben natürlicher UV-Strahlung (Sonne) zusätzlich künstlicher UV-Strahlung aussetzten. Schäden an Hautzellen, die zu Hautkrebs führen könnten, würden vor allem im Jugendalter angelegt, wenn sich die Haut noch entwickele (BTDrs. 16/12276, S. 17). II. 6 1. Die am 2. Juni 1994 geborene Beschwerdeführerin zu 1) nutzt gelegentlich - im Einverständnis mit ihren Erziehungsberechtigten - Solarien und möchte dies auch weiterhin tun. Sie rügt eine Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. 7 Es gebe keine allgemeine Pflicht der Verfassung, gesund oder vernünftig zu leben. Weiter fehle es auch an einer Beeinträchtigung von Grundrechten Dritter. Die möglicherweise auf die Allgemeinheit zukommenden Gesundheitskosten, unterstellt die Nutzung künstlicher UV-Bestrahlung hätte tatsächlich langfristig gesundheitsgefährdende Wirkung, rechtfertigten das Verbot nicht. Auch die Verpflichtung des Staates zum Schutze von Jugendlichen rechtfertige den Eingriff nicht, soweit es sich um ein grundsätzliches Verbot der Solariennutzung für alle Minderjährigen handele. 8 Das Verbot sei ungeeignet zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels, da damit zu rechnen sei, dass sich die Betroffenen verstärkt der natürlichen UV-Strahlung durch die Sonne aussetzten, die in ihrer Wirkungsweise der künstlichen UV-Strahlung gleich stehe. Zudem sei das gesetzgeberische Schutzkonzept deshalb nicht schlüssig, weil die Nutzung von Solarien im privaten oder häuslichen Umfeld nicht unterbunden werde. 9 Der Gesetzgeber habe nicht hinreichend zwischen der Schwere des Eingriffs, dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe und den Grenzen der Zumutbarkeit für die Betroffenen abgewogen. Es gebe auch positive Wirkungen der UV-Strahlung im Zusammenhang mit der Bildung von Vitamin D. 10 2. Die Beschwerdeführer zu 2) und 3) sind die Eltern der Beschwerdeführerin zu 1). Sie sehen sich durch das Verbot daran gehindert, ihrer Tochter den Besuch öffentlicher Solarien zu erlauben und rügen die Verletzung ihres Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, weil der Eingriff nicht verhältnismäßig sei. 11 Ein milderes Mittel stelle die Möglichkeit dar, die Nutzung öffentlich zugänglicher Solarien durch Minderjährige von einer ausdrücklichen Erlaubnis der Eltern oder davon abhängig zu machen, dass Eltern ihre Kinder begleiten. Dadurch werde im Ergebnis das gleiche Schutzniveau erreicht. 12 3. Der Beschwerdeführer zu 4) ist Betreiber eines Sonnenstudios, dessen Kunden in der Vergangenheit teilweise Jugendliche im Alter ab etwa 16 gewesen seien. Durch den Wegfall dieses Kundenanteils aufgrund des Verbots sei der Umsatz des Betriebs nicht unerheblich zurückgegangen. 13 Der Beschwerdeführer zu 4) rügt zunächst die Verletzung seiner Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Er hält das Verbot im Wesentlichen aus den gleichen Erwägungen wie die anderen Beschwerdeführer für unverhältnismäßig. Zudem macht er eine Verletzung seines Grundrechts auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG geltend. III. 14 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG, da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen geklärt sind, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt. 15 Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt, denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg. 16 1. Die Beschwerdeführerin zu 1) wird durch das Nutzungsverbot in § 4 NiSG nicht in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Der Eingriff ist gerechtfertigt. 17 a) Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG ist gegenständlich nicht beschränkt, er umfasst jedes menschliche Verhalten ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt (vgl. BVerfGE 80, 137 <152>; 90, 145 <171>; 91, 335 <338>). So umschließt die allgemeine Handlungsfreiheit die prinzipielle Befugnis, sein Äußeres nach eigenem Gutdünken zu gestalten (vgl. BVerfGE 47, 239 <248 f.>). Auch ein Verhalten, das Risiken für die eigene Gesundheit oder gar deren Beschädigung in Kauf nimmt, ist vom Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit geschützt (vgl. BVerfGE 59, 275 <278> - Schutzhelmpflicht -; 90, 145 <171> - Cannabiskonsum -; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 1986 - 1 BvR 331/85 u.a. -, NJW 1987, S. 180 <180> - Gurtanlegepflicht -; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. August 1999 - 1 BvR 2181/98 u.a. -, NJW 1999, S. 3399 <3402> - Organentnahme -). 18 § 4 NiSG richtet sein Verbot zwar nicht unmittelbar gegen Minderjährige, sondern wendet sich in erster Linie an Betreiber von Sonnenstudios und ähnlichen Einrichtungen. Die Vorschrift wirkt sich im Ergebnis aber auch für die Beschwerdeführerin zu 1) wie ein Verbot der Nutzung von Solarien aus und ist damit funktionales Äquivalent (vgl. BVerfGE 105, 279 <300>; 110, 177 <191>; 113, 63 <76>) eines Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit. 19 b) Der Eingriff durch § 4 NiSG in die allgemeine Handlungsfreiheit ist gerechtfertigt. Die Regelung verfolgt ein legitimes Ziel (aa) und erweist sich als verhältnismäßig (bb). 20 aa) Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen das Ziel, die Bevölkerung - insbesondere Minderjährige - vor UV-Strahlung zu schützen, da eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen nach seiner Auffassung belegt, dass diese sowohl die Hautkrebsentstehung als auch den Verlauf einer bestehenden Hautkrebserkrankung entscheidend beeinflusst. UV-Strahlung werde von internationalen Organisationen als karzinogen eingestuft (vgl. BTDrs. 16/12276, S. 8). Besonders empfindlich reagiert dabei nach Einschätzung des Gesetzgebers die Haut bei Jugendlichen. Schäden an den Hautzellen, die zu Hautkrebs führen könnten, würden vor allem im Jugendalter angelegt, wenn sich die Haut noch entwickele (vgl. BTDrs. 16/12276, S. 17). § 4 NiSG soll offensichtlich gerade dem Gesundheitsschutz der Minderjährigen dienen. 21 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es grundsätzlich ein legitimes Gemeinwohlanliegen, Menschen davor zu bewahren, sich selbst leichtfertig einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen (vgl. BVerfGE 60, 123 <132>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. August 1999 - 1 BvR 2181/98 u.a. -, NJW 1999, S. 3399 <3401>). Insbesondere der Schutz der Jugend ist nach einer vom Grundgesetz selbst getroffenen Wertung ein Ziel von bedeutsamem Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen (vgl. BVerfGE 83, 130 <139>). 22 bb) Das Nutzungsverbot ist zur Verfolgung dieses Ziels auch geeignet (1), erforderlich (2) und verhältnismäßig im engeren Sinne (3). 23 (1) Für die Eignung reicht es aus, wenn durch die Maßnahme der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es genügt mithin bereits die Möglichkeit einer Zweckerreichung (vgl. BVerfGE 96, 10 <23>; 100, 313 <373>; 103, 293 <307>; 117, 163 <188 f.>). Dass das Verbot des § 4 NiSG die UV-Strahlenexposition von Kindern und Jugendlichen generell verringern kann, ist nicht ernstlich zweifelhaft. 24 Die Beschwerdeführer weisen darauf hin, dass sich Jugendliche aufgrund des Verbots verstärkt der natürlichen UV-Strahlung durch die Sonne aussetzen könnten, die das gleiche Gefährdungspotential wie künstliche UV-Strahlung habe. Dieser Einwand stellt die Geeignetheit des § 4 NiSG zur Erreichung des mit seiner Einführung verfolgten Zwecks schon deshalb nicht infrage, weil Sonnenstudios und ähnliche Einrichtungen jederzeit, insbesondere zu jeder Jahreszeit, und unabhängig von Witterung und Tageszeit die Möglichkeit bieten, sich der UV-Strahlung auszusetzen. Dass der Ausschluss dieser, die natürlichen Optionen ergänzenden zusätzlichen Bestrahlungsmöglichkeit zumindest unter mitteleuropäischen Witterungsbedingungen geeignet ist, eine deutliche Reduzierung der auf Kinder und Jugendliche einwirkenden UV-Strahlung zu erreichen, durfte der Gesetzgeber annehmen. 25 Das gilt umso mehr, als in der Gesetzesbegründung zu § 4 NiSG darauf hingewiesen wird, dass bei Kindern und Jugendlichen, die schon früh eine erhöhte Anzahl an UV-bedingten Pigmentmalen erworben hätten, das Risiko einer Melanomentstehung steige, wenn sie sich neben natürlicher UV-Strahlung durch die Sonne zusätzlich künstlicher UV-Strahlung aussetzten (vgl. BTDrs. 16/12276, S. 17). Der Gesetzgeber geht demnach davon aus, dass die Nutzung von Sonnenstudios und ähnlichen Einrichtungen in der Regel zusätzlich zur - und nicht an Stelle der - natürlichen Besonnung erfolgt. Diese Einschätzung ist nicht nur vertretbar sondern naheliegend. 26 Auch die von den Beschwerdeführern vorgebrachte Möglichkeit, dass interessierte Kreise „Bräunungsclubs“ bilden, sich Kinder und Jugendliche selbst eine Sonnenbank anschaffen oder sonst im privaten Bereich künstlicher UV-Strahlung aussetzen, ändert nichts an der Geeignetheit des Verbots. Insbesondere die Anschaffungspreise von Solarien sprechen dafür, dass diese Formen der Nutzung eher eine Ausnahme bleiben dürften. Außerdem vermag der Verzicht des Gesetzgebers auf ein faktisch kaum oder nur durch zusätzliche Grundrechtseingriffe zu kontrollierendes Besonnungsverbot im Privatbereich dem Verbot im Übrigen nicht die Eignung zu nehmen, sofern auch dies spürbare Wirkung erwarten lässt. Dies aber ist, wie dargelegt, der Fall. 27 (2) Da ein anderes, gleich wirksames, aber die allgemeine Handlungsfreiheit weniger einschränkendes Mittel nicht zur Verfügung steht, ist das gesetzliche Verbot auch erforderlich. 28 An der Erforderlichkeit des Verbots fehlt es insbesondere auch nicht deshalb, weil, wie die Beschwerdeführer meinen, die vom Gesetzgeber zur Begründung der Regelung herangezogenen Erkenntnisse zur Schädlichkeit der UV-Strahlung bei Kindern und Jugendlichen nicht gesichert seien und die im Sinne des gesetzgeberischen Anliegens einschlägigen Studien in der Wissenschaft kritisiert würden. 29 Wird der Gesetzgeber zur Verhütung von Gefahren für die Allgemeinheit tätig, so belässt ihm die Verfassung bei der Prognose und Einschätzung der in den Blick genommenen Gefährdung einen Beurteilungsspielraum, der vom Bundesverfassungsgericht bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung je nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann. Der Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die angegriffenen gesetzgeberischen Maßnahmen abgeben können (vgl. BVerfGE 121, 317 <350> m.w.N.). 30 Bei Anlegung dieses Maßstabs ist die Einschätzung des Gesetzgebers nicht zu beanstanden, dass UV-Strahlung im Allgemeinen und bei Kindern und Jugendlichen im Besonderen eine für die Haut negative Wirkung vor allem im Hinblick auf die Entstehung und den Verlauf von Hautkrebs hat. Allein der Umstand, dass - wie die Beschwerdeführer behaupten - die Zusammenhänge im Einzelnen nicht hinreichend geklärt sein mögen und vom Gesetzgeber herangezogene Studien wissenschaftlicher Kritik ausgesetzt sind, führt nicht zu einer Überschreitung des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums bei der Einschätzung der Gefahr. Hieraus ergibt sich nämlich nicht, dass die vom Gesetzgeber gesehenen Gefahren, deren Eindämmung er mit Einführung des § 4 NiSG verfolgt, nicht bestünden. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Erwägungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlsam sind. Bestätigt wird dies durch den Umstand, dass selbst die Beschwerdeführer von einer gesundheitsschädlichen Wirkung der (übermäßigen) UV-Exposition ausgehen und die Annahmen des Gesetzgebers damit nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen sind. 31 (3) Das Verbot ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. 32 Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in ein Grundrecht und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein (vgl. BVerfGE 30, 292 <316>; 67, 157 <178>; 81, 70 <92>; 83, 1 <19>; 90, 145 <173>). Die Maßnahme darf die Adressaten mithin nicht übermäßig belasten (vgl. BVerfGE 90, 145 <173>). 33 Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit durch das Verbot des § 4 NiSG ist für den betroffenen Minderjährigen nicht besonders schwer, aber auch keineswegs belanglos. Das Verbot der Benutzung von Sonnenstudios und ähnlichen Einrichtungen wirkt nur eingeschränkt, weil den Minderjährigen die Möglichkeit des „Sonnenbadens“ im Freien und der Nutzung von UV-Licht im privaten Bereich bleibt. Andererseits wird dem Minderjährigen mit dem Verbot des § 4 NiSG im Bereich privater Lebensgestaltung und damit in einem Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit die Dispositionsbefugnis über die Gestaltung seines Aussehens und seiner Freizeitgestaltung teilweise genommen, ohne dass es sich dabei um ein gemeinwohlschädliches Verhalten handeln würde. Außerdem verfolgt die angegriffene Regelung mit dem Schutz vor selbstschädigendem Verhalten ein Ziel, das nur in besonders gravierenden Fällen in der Abwägung mit einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu bestehen vermag (vgl. BVerfGE 60, 123 <132>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. August 1999 - 1 BvR 2181/98 u.a. -, NJW 1999, S. 3399 <3401>). Denn sie umfasst gerade auch im Freizeitbereich die Freiheit, Handlungen vorzunehmen oder Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die gesundheitliche Risiken in sich bergen. 34 Anderes gilt allerdings im Bereich des Jugendschutzes, der als Rechtfertigungsgrund für Grundrechtseingriffe im Grundgesetz ausdrücklich anerkannt ist (vgl. Art. 5 Abs. 2 GG). Mit Rücksicht auf den gebotenen Schutz der Minderjährigen, ihre mangelnde Einsichtsfähigkeit und Reife sind deshalb seit langem verschiedene Regelungen auch zum Schutz der Minderjährigen vor Selbstgefährdung und Selbstschädigung in der Rechtsordnung etabliert. Das verfassungsrechtlich bedeutsame Interesse an einer ungestörten Entwicklung der Jugend berechtigt den Gesetzgeber zu Regelungen, durch welche der Jugend drohende Gefahren abgewehrt werden (vgl. BVerfGE 30, 336 <347>). Es ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welchem Zusammenhang und in welcher altersmäßigen Abstufung und auf welche Weise Situationen entgegengewirkt werden soll, die nach seiner Einschätzung zu Schäden führen können (vgl. BVerfGE 110, 141 <159>; 121, 317 <356>). Dabei steht ihm unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Jugendlichen und dem Erziehungsrecht der Eltern ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 96, 56 <64>; 121, 317 <356>). 35 Gemessen hieran hat der Gesetzgeber mit dem Verbot des § 4 NiSG den Minderjährigen keine unzumutbare Einschränkung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit zugemutet. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass er mit der Annahme der mangelnden Einsichtsfähigkeit oder jedenfalls mangelnden grundsätzlichen Einsichtsbereitschaft eines nicht unerheblichen Teils der Minderjährigen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in das Gefährdungspotential künstlicher UV-Bestrahlung seinen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum überschritten hat. Mit dem Ende der Minderjährigkeit hat der Gesetzgeber vielmehr eine vom Grundgesetz - wenn auch in anderem Zusammenhang - anerkannte Altersgrenze gewählt (vgl. Art. 38 Abs. 2 GG), die zudem im Bürgerlichen Recht (vgl. § 2 BGB) eine maßgebliche Rolle spielt und auch bei der Frage des Jugendschutzes in Bezug auf den Tabakkonsum relevant ist (vgl. § 10 JuSchG). Dass der Gesetzgeber in anderen Bereichen des Jugendschutzes niedrigere Altersgrenzen, wie zum Beispiel beim Konsum von Alkohol, festgelegt hat, zwingt ihn nicht dazu, diese Grenze auch hier heranzuziehen. 36 Das Verbot des § 4 NiSG erweist sich auch nicht deshalb als unverhältnismäßig, weil der Gesetzgeber Minderjährigen die Benutzung von Solarien verboten hat, obwohl die UV-Strahlung im Hinblick auf die Vitamin-D-Bildung auch positive Auswirkungen haben kann. Nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers kann der Vitamin-D-Haushalt auch durch Nahrungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel und den Aufenthalt im Freien ausreichend reguliert werden (BTDrs. 16/12276, S. 9). Es ist daher nicht davon auszugehen, dass das Verbot bei Minderjährigen zu gesundheitlichen Problemen aufgrund eines Vitamin-D-Mangels führen wird. 37 2. Es kann dahinstehen, ob das Verbot des § 4 NiSG in das grundrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Beschwerdeführer zu 2) und 3) eingreift, weil es ihnen die Möglichkeit nimmt, nach ihren eigenen Erziehungsvorstellungen darüber zu entscheiden, ob ihr Kind ein Sonnenstudio oder eine ähnliche Einrichtung besuchen können soll. Der Eingriff wäre jedenfalls gerechtfertigt. 38 Der Eingriff in das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG wäre nur geringfügig, da es den Eltern unbenommen bleibt, ihrem Kind im privaten Lebensbereich den Zugang zu einer UV-Bestrahlung zu eröffnen, wenn sie dies für verantwortbar und richtig halten. Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen auch nicht gehalten, aus Verhältnismäßigkeitserwägungen ein bloßes Verbot mit elterlichem Einverständnisvorbehalt vorzusehen. Angesichts der allenfalls geringen Eingriffsintensität durfte er sich auf ein umfassendes, nicht nach Altersgruppen und daran anknüpfende Einverständnispflichten differenzierendes und damit für alle Beteiligten leicht praktikables Verbot entscheiden. 39 3. Der Beschwerdeführer zu 4) ist durch das in § 4 NiSG geregelte Nutzungsverbot von Sonnenstudios für Minderjährige nicht in seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. 40 Die darin liegende Regelung der Berufsausübung belastet die Betreiber von öffentlich zugänglichen Sonnenstudios nicht in unzumutbarer Weise. Der Eingriff selbst ist in seiner Reichweite beschränkt. Von den potentiellen Kunden werden den Betreibern von Sonnenstudios und ähnlicher Einrichtungen nur die Minderjährigen und nur für die Dauer ihrer Minderjährigkeit entzogen. Angesichts der hohen Bedeutung des Jugendschutzes und der vom Gesetzgeber vertretbar eingeschätzten Gefahr, die Kindern und Jugendlichen durch die Nutzung von Sonnenbänken droht, erweist sich diese Einschränkung nicht als unverhältnismäßig. 41 Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. 42 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Kirchhof Eichberger Masing
bundesverfassungsgericht
160-2000
21. Dezember 2000
Zur Reisekostenerstattung für Pflichtverteidiger Pressemitteilung Nr. 160/2000 vom 21. Dezember 2000 Beschluss vom 24. November 20002 BvR 813/99 Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat festgestellt, dass einem Pflichtverteidiger Reisekosten zur Hauptverhandlung und deren Vorbereitung im erforderlichen Umfang zu erstatten sind, auch wenn er vorher Wahlverteidiger war. Der Verfassungsbeschwerde liegt ein Verfahren zugrunde, in dem der Beschwerdeführer (Bf), ein Rechtsanwalt aus Hamburg, einen in Hamburg inhaftierten Untersuchungshäftling vertrat. Die zuständige Strafkammer des Landgerichts bestellte den Bf auf seinen Antrag zum Verteidiger. Nach Anklageerhebung wurde der Mandant nach Hanau verlegt. Der Vorsitzende der Strafkammer genehmigte eine Informationsreise des Bf zu seinem Mandanten und verfügte, dass die Kosten dafür aus der Staatskasse vorzulegen seien. Die Hauptverhandlung fand an zwei Verhandlungstagen in Hanau statt. Der Bf reiste dazu jeweils aus Hamburg an. Nach Abschluss des Verfahrens verweigerte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts Hanau die Festsetzung der Erstattung der Reisekosten und der Zahlung von Abwesenheitsgeld an den Bf. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts (OLG) seien die Reisekosten eines auswärtigen Pflichtverteidigers, der zuvor Wahlverteidiger gewesen sei, nicht erstattungsfähig. Rechtsmittel und Beschwerde des Bf blieben erfolglos. Auf die Vb hat die 3. Kammer des Zweiten Senats die ablehnenden Beschlüsse des Landgerichts Hanau und des OLG Frankfurt am Main aufgehoben und die Sache an das OLG Frankfurt am Main zurückverwiesen. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Bf in seiner Berufsausübungsfreiheit. Die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sie erfolgt im öffentlichen Interesse daran, dass der Beschuldigte in den Fällen, in denen die Verteidigung aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens notwendig ist, rechtskundigen Beistand erhält. Aus der Bestellung zum Pflichtverteidiger folgen für den Rechtsanwalt teilweise weiter gehende Verpflichtungen im Verhältnis zum Wahlverteidiger, insbesondere hat er an der Hauptverhandlung ununterbrochen selbst teilzunehmen. Nach § 97 BRAGO hat der Pflichtverteidiger Anspruch auf eine Vergütung für seine Tätigkeit und Ersatz seiner Auslagen. Die im Prozesskostenhilfeverfahren vorgesehene Ausnahme für Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat, gilt für Pflichtverteidiger nach § 97 BRAO nicht. Ein anderer gesetzlicher Grund für die Versagung notwendiger Auslagen findet sich nicht und kommt auch bei Gesamtbetrachtung der Vergütungsregelungen nicht in Betracht, da der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers bereits erheblich unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt. Letzteres ist zwar durch das öffentliche Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos gerechtfertigt. Dies gilt jedoch nur, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist. Dies ist nicht der Fall, wenn die Gebühren für die Verteidigertätigkeit vollständig aufgezehrt werden, weil die Kosten für die zur sachgerechten Verteidigung notwendigen Reisen nicht erstattet werden. Hätten die angegriffenen Beschlüsse Bestand, müsste der Bf durch seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger im konkreten Fall wirtschaftliche Verluste erleiden. Dadurch wird die Grenze des Zumutbaren überschritten. Ein solches Ergebnis wäre auch mit dem Gleichheitsgebot nicht zu vereinbaren. Die Frage, ob die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger erforderlich ist, wird bereits bei seiner Auswahl geprüft. Daher sind dann, wenn das Gericht die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger beschließt, grundsätzlich auch diejenigen Mehrkosten erstattungsfähig, die dadurch entstehen, dass er seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat. Karlsruhe, den 21. Dezember 2000 nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvR 813/99 - Im Namen des Volkes In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   des Herrn N...   gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. März 1999 - 2 Ws 35/99 -, b) den Beschluss des Landgerichts Hanau vom 22. Januar 1999 - 1 Js 1848/94 KLs -, c) den Beschluss des Landgerichts Hanau vom 15. Dezember 1998 - 1 Js 1848/94 KLs -   hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Broß   gemäß § 93c in Verbindung mit §§ 93a, 93b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 24. November 2000 einstimmig beschlossen:   Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. März 1999 - 2 Ws 35/99 - und des Landgerichts Hanau vom 22. Januar 1999 - 1 Js 1848/94 KLs - sowie der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hanau vom 15. Dezember 1998 - 1 Js 1848/94 KLs -, soweit darin die Festsetzung der Erstattung von Reisekosten und der Zahlung von Abwesenheitsgeld abgelehnt worden sind, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.   Gründe: I. 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Erstattung von Reisekosten des gerichtlich bestellten Strafverteidigers. 2 1. Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt mit Kanzlei in Hamburg, verteidigte den türkischen Staatsangehörigen B. Dieser befand sich im Februar 1994 in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg. Der Beschwerdeführer zeigte dem zuständigen Ermittlungsrichter unter Vorlage einer Vollmacht die Übernahme der Verteidigung an und beantragte seine gerichtliche Bestellung zum Verteidiger. Er wurde am 26. April 1994 vom Vorsitzenden der für das Hauptverfahren zuständigen Strafkammer des Landgerichts zum Verteidiger bestellt. Nach Anklageerhebung wurde sein Mandant B. in die Justizvollzugsanstalt Hanau verlegt. Der Beschwerdeführer beantragte, ihm zur Vorbereitung der Hauptverhandlung dort ein Informationsgespräch mit dem Angeklagten unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers auf Kosten der Staatskasse zu bewilligen und die Erforderlichkeit seiner Reise festzustellen. Der Vorsitzende der Strafkammer genehmigte die Informationsreise sowie die Beiziehung eines Dolmetschers und verfügte, dass die Kosten dafür aus der Staatskasse vorzulegen seien. Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht fand an zwei Verhandlungstagen statt. Dazu reiste der Beschwerdeführer jeweils aus Hamburg an. 3 2. Der Beschwerdeführer beantragte unter dem 6. Mai 1997 die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 3.524,57 DM, darunter Reisekosten und Abwesenheitsgeld in Höhe von 2.297,75 DM. 4 a) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts setzte die Gebühren durch Beschluss vom 15. Dezember 1998 antragsgemäß fest, lehnte aber die Festsetzung der Erstattung der Reisekosten und der Zahlung von Abwesenheitsgeld ab. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts seien die Reisekosten eines auswärtigen Pflichtverteidigers, der zuvor Wahlverteidiger gewesen sei, nicht erstattungsfähig. 5 b) Hiergegen wandte der Beschwerdeführer mit der Erinnerung ein, die Versagung der Auslagenerstattung entspreche nicht dem Gesetz und sei unverhältnismäßig. Das Landgericht wies die Erinnerung durch Beschluss vom 22. Januar 1999 zurück. Nach seiner Rechtsprechung könne ein früherer Wahlverteidiger, der danach zum Verteidiger bestellt worden sei, nicht mehr an Gebühren ersetzt verlangen als ein Wahlverteidiger beanspruchen könne. 6 c) Gegen diesen Beschluss wandte sich der Beschwerdeführer mit der Beschwerde. Die Entscheidung des Landgerichts entspreche nicht dem Gesetz. Seine Bestellung zum Verteidiger sei ohne Vorbehalt erfolgt. Zu berücksichtigen sei auch die Feststellung der Erforderlichkeit seiner Informationsreise unter Zahlung eines Vorschusses. Es sei unzumutbar, wenn der bestellte Verteidiger seine Reisekosten selbst tragen müsse und letztlich mehr Auslagen habe als er an Gebühren verdiene. Das Oberlandesgericht verwarf die Beschwerde. Die Entscheidung des Landgerichts entspreche seiner bisherigen Rechtsprechung. Danach sei maßgebliches Kriterium für die Berechnung der Gebühren und Auslagen die erstmalige Beauftragung des Verteidigers. Seine Rechtsprechung sei vom Bundesverfassungsgericht durch Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde in einer anderen Sache bestätigt worden. II. 7 Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner am 30. April 1999 eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen. Er macht aus eigenem Recht die Verletzung der Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, 3 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG geltend. Die angegriffenen Entscheidungen ließen eine plausible Begründung vermissen. Es sei willkürlich, dem bestellten Verteidiger nach vorangegangener Genehmigung einer Informationsreise unter Zahlung eines Vorschusses nachträglich die Auslagenerstattung zu versagen. Dies verstoße auch gegen rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze, weil dadurch die Verteidigung nachträglich beeinträchtigt werde. Darüber hinaus liege ein enteignungsgleicher Eingriff vor. Die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts werde auch nicht durch die von ihm zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gestützt. III. 8 Zu der Verfassungsbeschwerde hat die hessische Landesregierung Stellung genommen. Sie hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die angegriffenen Entscheidungen berücksichtigten nicht in ausreichendem Maße die Bedeutung und Tragweite der Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers; sie führten auch zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung dieses Rechts. Die gerichtliche Bestellung eines Rechtsanwalts zum Verteidiger sei ein Fall der Indienstnahme eines Privaten zu öffentlichen Zwecken; dafür sei der Rechtsanwalt angemessen zu entschädigen. Die Grenze des Zumutbaren werde überschritten, wenn er durch Reisekosten einen Teil seines sonstigen Einkommens preisgeben müsse, um seiner Pflicht zur sachgerechten Verteidigung nachzukommen. Gründe des Gemeinwohls könnten für ein solches Ergebnis nicht gefunden werden. Bei der Auslegung des Merkmals der Erforderlichkeit der Auslagen des bestellten Verteidigers sei mittelbar auch das Interesse des Beschuldigten an effektiver Verteidigung zu beachten. Dem würden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Jedenfalls soweit die Erstattung der Auslagen für die Informationsreise versagt wurde, sei auch das Willkürverbot verletzt worden; denn insoweit gingen die angegriffenen Entscheidungen darüber hinweg, dass die Erforderlichkeit der Informationsreise bereits bindend festgestellt worden sei (§ 126 Abs. 2 Satz 2 BRAGO). IV. 9 Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die angegriffenen Entscheidungen deuten im Blick auf die ständige Rechtsprechung, die ihnen zugrunde liegt, auf eine generelle Vernachlässigung dieser Grundrechte hin (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). 10 Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere nach dem durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemachten Vorbringen des Beschwerdeführers rechtzeitig erhoben worden, und sie ist mit der - der Sache nach erhobenen - Rüge, die angegriffenen Beschlüsse verletzten den Beschwerdeführer in seiner Berufsausübungsfreiheit, in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Dass eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG nicht ausdrücklich gerügt wurde, steht deren Prüfung nicht entgegen (vgl. BVerfGE 79, 174 <201>; 84, 366 <369>; 85, 214 <217>). 11 1. Die angegriffenen Entscheidungen weisen die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Ansprüche aus beruflicher Tätigkeit teilweise ab und berühren damit dessen Berufsausübung. Sie sind daher an Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen (vgl. BVerfGE 47, 285 <321>; 83, 1 <13>; 101, 331 <346>). 12 a) Die gerichtliche Bestellung zum Verteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken (vgl. BVerfGE 39, 238 <241>; 68, 237 <253 f.>). Sie erfolgt im öffentlichen Interesse daran, dass der Beschuldigte in den Fällen, in denen die Verteidigung aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens notwendig ist (vgl. § 140 StPO), rechtskundigen Beistand erhält (vgl. BVerfGE 39, 238 <242>; 68, 237 <254>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1986 - 2 BvR 1169/86 -, JurBüro 1987, Sp. 1029). Der gerichtlich bestellte Verteidiger muss die Verteidigung übernehmen (§ 49 BRAO); nur aus wichtigem Grund kann er die Aufhebung der Beiordnung beantragen (§ 49 i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO). Er muss die Verteidigung - gegebenenfalls unter Hintansetzung anderer beruflicher Interessen - in sachgerechter Weise führen. Im Gegensatz zum Wahlverteidiger hat der bestellte Verteidiger die Verteidigung selbst zu führen; er hat insbesondere an der Hauptverhandlung selbst ununterbrochen teilzunehmen und darf keine Untervollmacht erteilen. Im Übrigen hat er dieselben Aufgaben wie ein gewählter Verteidiger. 13 Angesichts dieser umfassenden Inanspruchnahme des bestellten Verteidigers hat der Gesetzgeber dessen Aufgabe nicht als vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht ausgestaltet, sondern er sieht vor, dass der bestellte Verteidiger für seine Tätigkeit honoriert wird (§ 97 Abs. 1 BRAGO) und Ersatz seiner Auslagen erhält (§ 97 Abs. 2 Satz 1 BRAGO), es sei denn, die Auslagen seien zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen des Mandanten nicht erforderlich (§ 97 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO). Die für die Auslagenerstattung bei Prozesskostenhilfe geltende weitere Ausnahme gemäß § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO für Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat, wird in § 97 Abs. 2 BRAGO nicht in Bezug genommen. Ein anderer gesetzlicher Grund für die Versagung der Auslagenerstattung an den bestellten Verteidiger findet sich nicht. Er kommt auch bei Gesamtbetrachtung der Vergütungsregelung nicht in Betracht; denn der Vergütungsanspruch des bestellten Verteidigers liegt bereits erheblich unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers (vgl. BVerfGE 68, 237 <255>). 14 Diese Begrenzung ist zwar durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an der Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt; dies gilt aber nur, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 68, 237 <255>). Eine Kürzung der gesetzlich genau bestimmten Gebühren oder eine Versagung der Erstattung von Auslagen, die für die sachgerechte Verteidigung erforderlich waren, kann dem bestellten Verteidiger ein unzumutbares Opfer abverlangen. Sie ist dann mit dem Recht auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar (vgl. BVerfGE 47, 285 <321 f.>; 54, 251 <271>; 68, 237 <255>). 15 b) Daran gemessen, verstoßen die angegriffenen Entscheidungen gegen das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Sie berücksichtigen nicht, dass die Gebühren für die Verteidigertätigkeit des Beschwerdeführers (§ 97 Abs. 1 BRAGO) vollständig aufgezehrt werden, wenn ihm die Kosten für seine zur sachgerechten Verteidigung notwendigen Reisen nicht erstattet werden. Diese Auslagen übersteigen sogar die Gebühr für die Verteidigertätigkeit, so dass der Beschwerdeführer durch seine Tätigkeit als bestellter Verteidiger im konkreten Fall wirtschaftliche Verluste erleiden müsste, wenn die angegriffenen Entscheidungen Bestand hätten. Die Grenze des Zumutbaren wird dadurch überschritten. Insoweit liegt der vorliegende Fall anders als die Fälle, die durch die nicht mit Gründen versehenen Nichtannahmebeschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1996 - 2 BvR 289/96 - und vom 10. Dezember 1996 - 2 BvR 366/96 - entschieden worden sind, auf die sich das Oberlandesgericht beruft. 16 Auch ist das im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu berücksichtigende Gleichheitsgebot (vgl. BVerfGE 54, 251 <271>) verletzt; denn wenn die Tätigkeit als gerichtlich bestellter Verteidiger nicht vergütungsfrei ausgestaltet ist, so entspricht jedenfalls das Ergebnis der angegriffenen Entscheidungen, nach dem der Beschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit als bestellter Verteidiger einen wirtschaftlichen Verlust erleiden müsste, nicht dem Gesetz (§§ 97 Abs. 2 Satz 1, 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO), ohne dass die angegriffenen Entscheidungen dafür eine nachvollziehbare Begründung enthielten. § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO gilt insoweit nicht entsprechend; denn die Frage, ob die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger erforderlich ist, wird bereits bei der Auswahl des Verteidigers nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO geprüft. Daher sind dann, wenn das Gericht die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger beschließt, grundsätzlich auch diejenigen Mehrkosten erstattungsfähig, die dadurch entstehen, dass der bestellte Verteidiger seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 28. Aufl., § 97 BRAGO Rn. 39 m.w.N.). 17 Die Erforderlichkeit der Informationsreise des Beschwerdeführers zur Vorbereitung der Hauptverhandlung wurde mit bindender Wirkung für das Kostenfestsetzungsverfahren festgestellt (§ 126 Abs. 2 Satz 2 BRAGO). Zur Teilnahme an der Hauptverhandlung war der Beschwerdeführer ohnehin rechtlich verpflichtet. Demnach kann im Kostenfestsetzungsverfahren weder die Erforderlichkeit der Bestellung des Beschwerdeführers zum Verteidiger noch die Erforderlichkeit seiner Reisen zur sachgerechten Verteidigung in Frage gestellt werden. Gründe des Gemeinwohls, die die Belastung des Beschwerdeführers mit einem wirtschaftlichen Verlust infolge seiner Tätigkeit als bestellter Verteidiger rechtfertigen könnten, sind weder ersichtlich noch werden solche Gründe in den angegriffenen Entscheidungen genannt. Warum nach der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts, der das Landgericht gefolgt ist, das maßgebliche Kriterium für die Berechnung von Gebühren und Auslagen die erstmalige Beauftragung des Verteidigers sein soll, wird gleichfalls nicht erläutert, obwohl es sich dem Gesetz nicht unmittelbar entnehmen lässt. 18 2. Ob auch andere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzt sind, kann offen bleiben. 19 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Limbach Hassemer Broß
bundesverfassungsgericht
25-2000
9. März 2000
Arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Festanstellung ständiger freier redaktioneller Mitarbeiter bei Rundfunkanstalten verletzt die Rundfunkfreiheit nicht Pressemitteilung Nr. 25/2000 vom 9. März 2000 Beschluss vom 18. Februar 20001 BvR 491/93 In den Verfassungsbeschwerde(Vb)-Verfahren ging es um die Festanstellung zuvor freier Mitarbeiter im Rundfunk. Die Arbeitsgerichte einschließlich des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hatten Klagen freier Mitarbeiter auf Festanstellung stattgegeben, die beschwerdeführende Rundfunkanstalt der Saarländische Rundfunk (Bf) hat dies als Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) beanstandet. Die 1. Kammer des Ersten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen, weil die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen den Bf nicht in seinem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit verletzen. I. Die Kläger der Ausgangsverfahren waren seit 1972, 1980 und 1984 als Mitarbeiter im redaktionellen Bereich jeweils unterschiedlicher, regelmäßig ausgestrahlter Sendungen des Bf tätig. Auf Grund der mit den Vb angegriffenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen wurde festgestellt, dass die Mitarbeiter in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Bf stehen. Die hiergegen erhobenen Vb betrafen die Frage, ob ein Grundrechtsverstoß allein darin besteht, dass die Arbeitsgerichte das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bejaht haben. Ob die Anforderungen der Rundfunkfreiheit eventuell in anderer Hinsicht verletzt worden sind etwa hinsichtlich der Feststellung einer fehlenden Befristung oder hinsichtlich der Einordnung als Voll oder Teilzeitbeschäftigung war nicht zu entscheiden, da insoweit keine Rügen erhoben worden waren. II. Die Kammer hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung heißt es u.a.: Es ist von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen, auch im Rundfunkbereich von den für das Arbeitsrecht allgemein entwickelten Merkmalen abhängiger Arbeit auszugehen. Allerdings muss das durch die Verfassung geschützte Recht der Rundfunkanstalten, frei von fremder Einflussnahme über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung dieser Mitarbeiter zu bestimmen, berücksichtigt werden. Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung kommt es für die Einstufung eines Dienstverhältnisses als Arbeitsverhältnis auf die Eingliederung in eine von Dritten bestimmte Arbeitsorganisation und den hierdurch gekennzeichneten Grad der persönlichen Abhängigkeit an. Mit der Qualifizierung eines Mitarbeiters als Arbeitnehmer wird die Rundfunkfreiheit nur beeinträchtigt, wenn die verfügbaren Vertragsgestaltungen wie Teilzeitbeschäftigungs oder Befristungsabreden zur Sicherung der Aktualität und Flexibilität der Berichterstattung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht in gleicher Weise geeignet sind wie die Beschäftigung in freier Mitarbeit. Die Frage der Eignung lässt sich nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung der konkret in Rede stehenden publizistischen Aufgabe des jeweiligen Mitarbeiters beantworten. Bei nicht auf ein bestimmtes Ereignis, sondern auf eine oder mehrere konkrete Sendungen oder Sendereihen bezogener redaktioneller Tätigkeit kann dem Bedürfnis nach Personalwechsel hinreichend mittels Befristungsabreden Rechnung getragen werden. Jedenfalls hat der Bf nicht substantiiert dargelegt, worin sein Interesse begründet sei, die Beschäftigungsverhältnisse der Kläger der Ausgangsverfahren zeit oder projektbezogen zu beschränken. Die Kammer verweist im Übrigen auf die durch die Änderung des Beschäftigungsförderungsgesetzes erfolgte Erleichterung von Befristungsabreden sowie darauf, dass die Rundfunkfreiheit nach ständiger Rechtsprechung des BAG die Befristung eines Arbeitsvertrages mit einem programmgestaltenden Mitarbeiter rechtfertigen kann. Schließlich können auch durch eine Kombination von Befristungsmöglichkeiten nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz und nach § 620 Abs. 1 BGB in rechtlich zulässiger Weise Befristungsketten geschaffen werden. Auch dadurch kann im Bereich des Rundfunks flexibel auf die Anforderungen des Marktes reagiert werden. Karlsruhe, den 9. März 2000 nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 491/93 - - 1 BvR 562/93 - - 1 BvR 624/98 - In den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden   1. des Saarländischen Rundfunks, Anstalt des öffentlichen Rechts, vertreten durch den Intendanten, Funkhaus Halberg, Saarbrücken,   - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Jochen Eisenbeis und Partner, Lilienthalstraße 9, Saarlouis -   gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 4. November 1992 - 1 Sa 73/91 -   - 1 BvR 491/93 -,   2. des Saarländischen Rundfunks, Anstalt des öffentlichen Rechts, vertreten durch den Intendanten, Funkhaus Halberg, Saarbrücken,   - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Jochen Eisenbeis und Partner, Lilienthalstraße 9, Saarlouis -   gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 9. Dezember 1992 - 2 Sa 44/91 -   - 1 BvR 562/93 -,   3. des Saarländischen Rundfunks, Anstalt des öffentlichen Rechts, vertreten durch den Intendanten, Funkhaus Halberg, Saarbrücken,   - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Horst Lechner und Partner, Berliner Promenade 15, Saarbrücken -   gegen a) den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Februar 1998 - 2 AZN 2/98 -, b) das Urteil des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 15. Oktober 1997 - 2 Sa 16/97 -   - 1 BvR 624/98 -   hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem   gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 18. Februar 2000 einstimmig beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.   Gründe: I. 1 Die Verfassungsbeschwerden des Beschwerdeführers richten sich gegen arbeitsgerichtliche Entscheidungen. Gerügt wird die Verletzung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit. 2 Die Kläger der Ausgangsverfahren waren seit 1972, 1980 und 1984 als Mitarbeiter im redaktionellen Bereich jeweils unterschiedlicher, regelmäßig ausgestrahlter Sendungen für den Beschwerdeführer tätig. Ihren Klagen auf Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses war stattgegeben worden. II. 3 Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473), die gemäß Art. 8 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 (BGBl I S. 1442) auch auf vorher anhängig gewordene Verfahren und damit auch auf die Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 491/93 und 1 BvR 562/93 anzuwenden sind, nicht vorliegen. 4 Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die von ihnen aufgeworfenen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (BVerfGE 59, 231 <256 ff.>). Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auch nicht zur Durchsetzung des vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Grundrechts auf Rundfunkfreiheit angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerden haben keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (BVerfGE 90, 22 <26>). 5 1. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 624/98 ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts angreift. Insofern genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungsanforderungen aus §§ 23, 92 BVerfGG. Aus dem Sachvortrag des Beschwerdeführers ergibt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit, dass die allein auf eine mangelnde Darlegung der Voraussetzungen einer Divergenz gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG gestützte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ihn in seinem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit verletzen könnte. 6 2. Die im Übrigen zulässigen Verfassungsbeschwerden sind unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit. 7 a) Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen gerichtliche Entscheidungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften und Grundsätze dieses Rechtsgebiets als solche hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts Verfassungsrecht verletzt, insbesondere die Einwirkung von Grundrechten auf die einfachrechtlichen Normen und Maßstäbe verkannt haben (BVerfGE 18, 85 <92>; 59, 231 <256>; stRspr). 8 b) Prüfungsmaßstab ist das Grundrecht der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Beschwerdeführer kann als öffentlichrechtliche Rundfunkanstalt mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung dieses Grundrechts geltend machen (BVerfGE 59, 231 <254>). 9 aa) Die sich aus der Rundfunkfreiheit ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen, die von den Gerichten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts bei der Beurteilung der Rechtsbeziehungen zwischen Rundfunkmitarbeitern und Rundfunkanstalten zu beachten sind, hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 13. Januar 1982 (BVerfGE 59, 231 <257 ff.>) entwickelt. 10 Danach umfasst der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG das Recht der Rundfunkanstalten, frei von fremdem, insbesondere staatlichem Einfluss über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Mitarbeiter zu bestimmen, die an Hörfunk- und Fernsehsendungen inhaltlich gestaltend mitwirken. Die Rundfunkfreiheit in ihrer Bedeutung als Programmfreiheit gewährleistet, dass Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms Sache des Rundfunks bleiben und sich an publizistischen Kriterien ausrichten können. Unvereinbar mit der Rundfunkfreiheit sind nicht nur unmittelbare Einflussnahmen Dritter auf das Programm, sondern auch Einflüsse, welche die Programmfreiheit mittelbar beeinträchtigen können (BVerfGE 90, 60 <87>). 11 Die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung besteht auch bei fremdbestimmter Einflussnahme auf die Auswahl, die Einstellung und Beschäftigung des Personals, von dem die Programmgestaltung abhängt. Den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten ist ein Programmangebot aufgetragen, das die Vielfalt der Gegenstände und Meinungen in einem auf unterschiedliche Nutzerbedürfnisse abgestimmten Gesamtprogramm zum Ausdruck bringt. Das setzt voraus, dass die Sendungen von Personen gestaltet werden, die in der Lage sind, die gebotene Vielfalt in das Programm einzubringen. Die Rundfunkanstalten müssen den Erfordernissen ihres Programmauftrags durch den Einsatz von für die jeweilige Aufgabe qualifizierten Mitarbeitern gerecht werden. Dabei kann sich die Notwendigkeit eines personellen Wechsels etwa durch neue Informationsbedürfnisse, die Änderung von Programmstrukturen infolge veränderter Publikumsinteressen oder Veränderungen im publizistischen Wettbewerb mit anderen Veranstaltern ergeben. Dem Flexibilitätsbedarf könnten die Rundfunkanstalten nicht gerecht werden, wenn sie ausschließlich auf ständige feste Mitarbeiter angewiesen wären, welche in einer laufendem Wechsel unterworfenen Medienordnung unvermeidlich nicht die ganze Vielfalt der in den Sendungen zu vermittelnden Inhalte wiedergeben und gestalten könnten. Die Rundfunkanstalten müssen daher auf einen breit gestreuten Kreis unterschiedlich geeigneter Mitarbeiter zurückgreifen können. Dies kann seinerseits voraussetzen, dass unterschiedliche Vertragsgestaltungen einsetzbar sind und dass die Mitarbeiter nicht auf Dauer, sondern nur für die Zeit beschäftigt werden, in der sie benötigt werden (vgl. BVerfGE 59, 231 <259>). 12 Aufgrund des dargelegten Zusammenhangs zwischen Programmfreiheit und Personalentscheidungen umfasst der Schutz der Rundfunkfreiheit neben der Auswahl der an der inhaltlichen Gestaltung der Sendungen mitwirkenden Mitarbeiter die Entscheidung darüber, ob solche Mitarbeiter fest angestellt werden oder ob ihre Beschäftigung aus Gründen der Programmplanung auf eine gewisse Dauer oder ein gewisses Projekt zu beschränken ist und wann, wie oft oder wie lange ein Mitarbeiter benötigt wird. Dies schließt die Befugnis ein, bei der Begründung von Mitarbeiterverhältnissen den insoweit jeweils geeigneten Vertragstyp zu wählen (vgl. BVerfGE 59, 231 <260>). 13 Die in den Ausgangsverfahren jeweils getroffene Feststellung, dass die Kläger zum Beschwerdeführer in einem unbefristeten und damit dauerhaften Arbeitsverhältnis stehen, beeinträchtigt den Beschwerdeführer in der dargestellten Entscheidungsfreiheit. 14 bb) Die Rundfunkfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Sie findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über den Dienstvertrag und die besonderen Bestimmungen des Arbeitsrechts, namentlich des Kündigungsschutzgesetzes. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind ebenso Sache der dafür zuständigen Arbeitsgerichte wie die dem vorausgehende und hier in den Ausgangsverfahren relevante Frage ihrer Anwendbarkeit (BVerfGE 59, 231 <264>). Doch müssen die Gerichte die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend berücksichtigen, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (BVerfGE 7, 198 <205 ff.>). Das verlangt in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Rundfunkfreiheit auf der einen und dem Rang der von den Normen des Arbeitsrechts geschützten Rechtsgüter auf der anderen Seite. 15 Hierbei ist auf Seiten der Rundfunkfreiheit der dargestellte Zusammenhang zwischen Programmfreiheit und Personalentscheidungsbefugnis zu berücksichtigen. Keine Rolle spielen in diesem Zusammenhang allerdings diejenigen mit der Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses ausgelösten Folgewirkungen, die keine Auswirkung auf die Programmfreiheit der Rundfunkanstalt haben. Das trifft etwa auf die Anwendbarkeit der Regelungen des Sozialversicherungsrechts und die damit verbundenen finanziellen Folgen zu (vgl. BVerfGE 59, 231 <268>). 16 Zwar besteht zwischen Programmfreiheit und Finanzausstattung ein enger Zusammenhang. Deshalb haben die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten ein aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgendes Recht, die zur Erfüllung ihres Auftrags erforderlichen finanziellen Mittel zu erhalten. Dies sicherzustellen ist Aufgabe des Gesetzgebers, der dabei eine Finanzierung gewähren muss, die die Rundfunkanstalten in die Lage versetzt, die ihnen zukommende Funktion im dualen System erfüllen zu können (vgl. BVerfGE 90, 60 <90>). Der Beschwerdeführer hat in pauschaler Weise hohe Aufwendungen für die Festanstellung anstelle ständiger freier Mitarbeit behauptet. Er hat allerdings nicht dargelegt, dass erhebliche Ausgabensteigerungen auch dann unvermeidbar wären, wenn Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung und der Befristung genutzt würden. 17 Es ist Sache der Rundfunkanstalten, wie sie die ihnen zur funktionsgerechten Erfüllung ihres Programmauftrags zur Verfügung stehenden Mittel im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auf einzelne Programme oder Programmsparten verteilen (vgl. BVerfGE 87, 181 <203>). Insoweit ist die Rundfunkanstalt zwar frei in der Verwendung der verfügbaren Mittel. Das entbindet sie jedoch nicht von den Zahlungspflichten, die sich aus den zur Erfüllung des Programmauftrags erforderlichen Verträgen ergeben. Dies gilt auch für finanzielle Verpflichtungen, die mit der Anwendung der Regeln des Arbeitsrechts verbunden sind und deren Erfüllung bei der Anmeldung des Finanzbedarfs gegenüber der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) berücksichtigt wird. Dass die Finanzausstattung der Rundfunkanstalt zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags ausreicht, ist vom Erfordernis funktionsgerechter Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks erfasst, dem der Gesetzgeber Rechnung tragen muss (vgl. BVerfGE 90, 60 <90>). Ein Kriterium für die Abwägung bei der Entscheidung über die grundsätzliche Anwendbarkeit der besonderen Bestimmungen des Arbeitsrechts ist der Vorbehalt der Finanzierbarkeit deshalb nicht. 18 Auf Seiten der Rundfunkmitarbeiter sind die Rechtsgüter in die Abwägung einzustellen, deren Schutz die besonderen Bestimmungen des Arbeitsrechts bezwecken. Das sind hinsichtlich der die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere den arbeitsrechtlichen Bestandsschutz, betreffenden Regelungen das Sozialstaatsprinzip und die Berufsfreiheit (BVerfGE 59, 231 <261 ff.>). 19 Das Ergebnis der gebotenen Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Weder darf den programmgestaltend tätigen Rundfunkmitarbeitern der arbeitsrechtliche Schutz generell versagt werden, noch dürfen bei der Entscheidung über diesen Schutz die Regeln und Maßstäbe des Arbeitsrechts in einer Weise auf die Anstellungsverhältnisse dieser Mitarbeiter angewendet werden, die das durch die Verfassung geschützte Recht der Anstalten, frei von fremder Einflussnahme über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung dieser Mitarbeiter zu bestimmen, unberücksichtigt lässt (BVerfGE 59, 231 <265>). 20 Die den Fachgerichten bei der Frage der Anwendbarkeit des Arbeitsrechts obliegende Abwägung schließt von Verfassungs wegen nicht aus, von den für das Arbeitsrecht allgemein entwickelten Merkmalen abhängiger Arbeit auszugehen und, wenn diese für ein Arbeitsverhältnis sprechen, dem Einfluss der Rundfunkfreiheit dadurch gerecht zu werden, dass einzelne in anderen Bereichen anerkannte, etwa gegen eine Befristung sprechende, Merkmale zurückzutreten haben. Das Verfassungsrecht steht nur Regelungen und einer Rechtsprechung entgegen, welche den Rundfunkanstalten die zur Erfüllung ihres Programmauftrags notwendige Freiheit und Flexibilität nehmen würden. 21 c) Auf der Grundlage dieses Prüfungsmaßstabes sind die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts - soweit sie vom Beschwerdeführer angegriffen worden sind - von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten Voraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses von Rundfunkmitarbeitern genügen den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das Grundrecht auf Rundfunkfreiheit verlangt. Ob diese Anforderungen auch im Übrigen, insbesondere hinsichtlich der Feststellung einer fehlenden Befristung oder der Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung, beachtet worden sind, bedarf mangels einer diesbezüglichen Rüge keiner Prüfung. 22 aa) Das Landesarbeitsgericht hat in sämtlichen angegriffenen Entscheidungen die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Kriterien für die Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters zugrunde gelegt. Danach kommt es für die Einstufung eines Dienstverhältnisses als Arbeitsverhältnis auf die Eingliederung in eine von Dritten bestimmte Arbeitsorganisation und den hierdurch gekennzeichneten Grad der persönlichen Abhängigkeit an. Maßgebliches Kriterium hierfür ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr die Zugehörigkeit zu einem Mitarbeiterteam, wohl aber die Befugnis des Dienstberechtigten zur Verfügung über die Arbeitsleistung des Mitarbeiters innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens (seit dem Urteil vom 13. Januar 1983 - 5 AZR 149/82 -, AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit; seine frühere Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich aufgegeben in BAGE 78, 343 <352>). Hiervon ist auch das Landesarbeitsgericht in den angegriffenen Entscheidungen ausgegangen. 23 bb) In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat das Landesarbeitsgericht die allgemeinen arbeitsrechtlichen Kriterien zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft auch dann für allein maßgeblich gehalten, wenn es um die Beurteilung von Beschäftigungsverhältnissen programmgestaltender Rundfunkmitarbeiter geht. Da erst die Verpflichtung zu dauerhafter Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis in das Grundrecht auf Rundfunkfreiheit eingreife, wirke sich der grundrechtliche Einfluss nicht bereits bei der Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft, sondern erst bei der Frage der Befristung aus. 24 Die hiergegen erhobene Rüge des Beschwerdeführers, die Rundfunkfreiheit habe vom Landesarbeitsgericht bereits bei der Definition des Arbeitnehmerbegriffs berücksichtigt werden müssen, greift nicht durch. 25 Allerdings ist der unter Bezugnahme auf die Entscheidung der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1992 (abgedruckt in NZA 1993, S. 741 ff.) erhobene Einwand des Beschwerdeführers, die isolierte Anwendung des arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs könne zu einer unverhältnismäßigen Zurückdrängung der Rundfunkfreiheit führen, im Ansatz berechtigt. Die Kammer hat dies seinerzeit für den Fall erwogen, dass aufgrund der Nichtberücksichtigung des inhaltlichen Einflusses des Rundfunkmitarbeiters auf die Programmgestaltung der Zugang zum Schutzbereich der Rundfunkfreiheit verstellt würde. Soweit der Beschwerdeführer jedoch hieraus allgemein den Schluss zieht, die Rundfunkfreiheit müsse bei programmgestaltenden Mitarbeitern stets schon bei der Zuordnung zum Arbeitnehmerbegriff berücksichtigt werden, ist dem nicht zu folgen. Vielmehr kommt dies nur insoweit in Betracht, als bereits mit der Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses als Arbeitsverhältnis der Schutz des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG versperrt wird. Belässt die Einordnung als Arbeitsverhältnis aber genügend Raum zur Berücksichtigung der Anforderungen der Rundfunkfreiheit, ist dies nicht der Fall. So liegt es hier. 26 Mit der Qualifizierung eines Mitarbeiters als Arbeitnehmer wird zunächst nur die Beschäftigungsmöglichkeit im freien Mitarbeiterverhältnis ausgeschlossen. Die hierdurch bewirkte Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Rundfunkanstalt betrifft den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit, soweit die danach verbleibende Möglichkeit zur rechtlichen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses im Vergleich zur freien Mitarbeit eine Beeinträchtigung der für die Erfüllung des Programmauftrags notwendigen Freiheit und Flexibilität mit sich brächte. Das lässt sich jedenfalls für die hier zur Entscheidung anstehenden Fälle langjähriger redaktioneller Tätigkeit für eine oder mehrere konkrete Sendungen oder Sendereihen nicht feststellen. 27 In Betracht kommt eine Beeinträchtigung allerdings, wenn die verfügbaren Vertragsgestaltungen - wie Teilzeitbeschäftigungs- oder Befristungsabreden - zur Sicherung der Aktualität und Flexibilität der Berichterstattung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht in gleicher Weise geeignet sind wie die Beschäftigung in freier Mitarbeit. Soweit der Beschwerdeführer die mangelnde Eignung von Befristungsabreden in tatsächlicher Hinsicht unter Hinweis auf die Interdependenz von Informationsbedarf und personeller Ausstattung generell geltend macht, kann dem nicht gefolgt werden. Die Frage der Eignung von Befristungsabreden lässt sich nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung der konkret in Rede stehenden publizistischen Aufgabe des jeweiligen Mitarbeiters beantworten. So mögen in den vom Beschwerdeführer angeführten Beispielen Befristungsabreden ungeeignet sein, den sich täglich verändernden Informationsbedürfnissen im Zusammenhang mit nicht vorhersehbaren herausragenden Ereignissen hinreichend Rechnung zu tragen, und in diesem Aufgabenbereich deshalb die Möglichkeit freier Beschäftigungsverhältnisse erfordern. In vielen anderen Fällen wird dies allerdings nicht so sein. 28 Namentlich bei nicht auf ein bestimmtes Ereignis, sondern auf eine oder mehrere konkrete Sendungen oder Sendereihen bezogener redaktioneller Tätigkeit ist nichts dafür ersichtlich, dass mittels Befristungsabreden dem Bedürfnis nach Personalwechsel nicht in gleicher Weise Rechnung getragen werden könnte wie das im Rahmen eines freien Mitarbeiterverhältnisses der Fall ist. Zeitliche oder auf das jeweilige Projekt oder Sendekonzept bezogene Befristungen hielten der Rundfunkanstalt in gleicher Weise wie bei freier Mitarbeit die Möglichkeit offen, bei aus publizistischen Gründen erfolgter Programm-, insbesondere Projekt- oder Konzeptänderung einen notwendig erachteten Personalwechsel umzusetzen und gegebenenfalls auch Veränderungen im Stellenplan vorzunehmen. Hinzu kommt, worauf der Beschwerdeführer selbst verwiesen hat, dass bei einem auf eine gewisse Dauer angelegten freien Mitarbeiterverhältnis aufgrund der dann anwendbaren Regelung über Auslauffristen nach dem Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen die Flexibilität im Vergleich zu befristeter Beschäftigung ohnehin eher weiter eingeschränkt und die soziale Sicherung auch im Übrigen eher stärker ausgestaltet sein kann. 29 In den hier zur Entscheidung stehenden Fällen hat der Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt, worin sein Interesse begründet ist, im Hinblick auf die Programmplanung oder auf sonstige von der Rundfunkfreiheit gedeckte Gründe die konkreten Beschäftigungsverhältnisse der drei Kläger der Ausgangsverfahren zeit- oder projektbezogen zu beschränken. Es ist nicht erkennbar, warum hinsichtlich dieser Mitarbeiter ein Flexibilitätsbedarf besteht, dem aufgrund des von den Fachgerichten festgestellten Arbeitnehmerstatus nicht Rechnung getragen werden kann. Vielmehr sprechen die Art und insbesondere die Dauer der jeweiligen Tätigkeit der Kläger der Ausgangsverfahren gegen ein Bedürfnis nach einer besonderen Flexibilität. So handelte es sich in allen Fällen um eine über Jahre währende redaktionelle Mitarbeit für jeweils eine bestimmte, regelmäßig ausgestrahlte Sendung. 30 Unter Berücksichtigung der publizistischen Aufgaben der Kläger der Ausgangsverfahren begegnen die rechtlichen Möglichkeiten zur Sicherung von Flexibilität und Aktualität, insbesondere durch Befristung, in rechtlicher Hinsicht keinen Bedenken. Der Beschwerdeführer weist in diesem Zusammenhang im Verfahren 1 BvR 624/98 selbst auf die durch die Änderung des Beschäftigungsförderungsgesetzes erfolgte Erleichterung von Befristungsabreden hin. Danach sind nunmehr Befristungen bis zu 24 Monaten möglich, ohne dass die hierfür maßgeblichen Gründe einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Zuvor ermöglichte das Beschäftigungsförderungsgesetz Befristungen bis zu immerhin 18 Monaten. 31 Der für darüber hinausgehende Befristungen nach § 620 Abs. 1 BGB von der Rechtsprechung geforderte sachliche Grund liegt bei programmgestaltender Tätigkeit in der Rundfunkfreiheit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die Rundfunkfreiheit die Befristung des Arbeitsvertrags mit einem programmgestaltenden Mitarbeiter rechtfertigen, ohne dass weitere Gründe für die Befristung erforderlich sind. Im Rahmen der Befristungskontrolle berücksichtigt die Rechtsprechung vor allem, in welcher Intensität der betroffene Mitarbeiter auf das Programm der Rundfunk- und Fernsehanstalten Einfluss nehmen kann und wie groß bei Bejahung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses die Gefahr ist, dass die Rundfunkanstalt nicht mehr den Erfordernissen eines vielfältigen Programms und den sich ändernden Informationsbedürfnissen und Publikumsinteressen gerecht werden kann (vgl. BAG, NZA 1998, S. 1336 <1340>). 32 Schließlich können durch Kombination der Befristungsmöglichkeiten nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz und § 620 Abs. 1 BGB in rechtlich zulässiger Weise Befristungsketten geschaffen werden. Hierdurch kann im Bereich des Rundfunks flexibel auf die Anforderungen des Marktes reagiert werden. Medienbezogene Projekte, deren terminliche Fertigstellung von Beginn an nicht oder nur schwer überschaubar ist und die nicht selten einer längeren und umfangreichen Nachbearbeitung bedürfen - wozu die weitere befristete Beschäftigung der an dem Projekt arbeitenden Mitarbeiter erforderlich wird -, lassen sich auf diese Weise weitgehend ohne das Risiko einer Vernachlässigung der Belange der Rundfunkfreiheit realisieren (vgl. Bezani/Müller, Arbeitsrecht in Medienunternehmen, 1999, Rn. 195 und 286). 33 Die mit dem Ausschluss freier Mitarbeit verbundene Wirkung der Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses als Arbeitsverhältnis beeinträchtigt damit in den vorliegenden Fällen nicht das Grundrecht auf Rundfunkfreiheit. Es ist folglich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht die Einstufung der Kläger als Arbeitnehmer nicht als Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG behandelt hat. 34 3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. 35 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Papier Steiner Hoffmann-Riem
bundesverfassungsgericht
85-2009
28. Juli 2009
Beweismittel können auch nach rechtswidriger Wohnungsdurchsuchung verwertet werden Pressemitteilung Nr. 85/2009 vom 28. Juli 2009 Beschluss vom 02. Juli 20092 BvR 2225/08 Das Amtsgericht München ordnete die Durchsuchung der Wohnungen des Beschwerdeführers im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen eines Verstoßes gegen das Markenrecht zum Zwecke der Beschlagnahme von Rechneranlagen sowie von weiteren Unterlagen an. Bei den Durchsuchungen fand die Polizei keine Beweismittel, die im Zusammenhang mit diesem Tatvorwurf standen. Das Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Markenrecht wurde daher eingestellt. Der zugrundeliegende Durchsuchungsbeschluss wurde durch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 13. November 2005 - 2 BvR 728/05 u.a. - deswegen aufgehoben, weil der mit der Durchsuchung verbundene Grundrechtseingriff außer Verhältnis zu dem allenfalls geringen Tatverdacht gestanden habe. Bei der Durchsuchung einer der Wohnungen des Beschwerdeführers, die dieser gemeinsam mit anderen Personen bewohnte, fanden die Ermittlungspersonen in einem dem Beschwerdeführer zugeordneten Zimmer Haschisch in nicht geringer Menge sowie zwei Feinwaagen. Der Beschwerdeführer wurde deswegen vom Amtsgericht wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Dieses Urteil wurde auf die Revision des Beschwerdeführers hin vom Oberlandesgericht wegen lückenhafter Beweiswürdigung insoweit aufgehoben, als es um die Zuordnung des Haschischs zum Besitz des Beschwerdeführers ging. Die bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel sah das Gericht aber als verwertbar an. Der Beschwerdeführer legte gegen diesen Beschluss Verfassungsbeschwerde ein, die nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Nach Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht sprach dieses den Beschwerdeführer vom Tatvorwurf des § 29a BtMG frei. Es bejahte ein Verwertungsverbot bzgl. der gewonnenen Beweismittel im Hinblick auf den mit der Wohnungsdurchsuchung verbundenen schwerwiegenden Grundrechtsverstoß. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht wiederum das amtsgerichtliche Urteil auf und verurteilte den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Landgericht verneinte ein Verwertungsverbot mit der Begründung, dass dieses nur aus übergeordneten Gründen im Einzelfall anzunehmen sei. Die Revision des Beschwerdeführers blieb ohne Erfolg. Die erneute Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verwertung der bei dieser Durchsuchung gewonnenen Beweismittel im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen Verstoß gegen das BtmG verstößt nicht gegen Art. 13 Abs. 1 GG. Zwar verletzte die Anordnung und Durchführung der Durchsuchung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG, wie die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 13. November 2005 festgestellt hat. Es besteht aber kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig wäre. Für die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu insbesondere ein Beweisverwertungsverbot zählt, sind in erster Linie die Fachgerichte zuständig. Diese gehen in gefestigter, willkürfreier Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß bei der Beweisgewinnung ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist, und dass die Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Ein Beweisverwertungsverbot bedeutet eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers können - müssen indes nicht in jedem Fall - danach ein Verwertungsverbot nach sich ziehen. Die Gerichte haben im vorliegenden Fall die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ausreichend beachtet. Insbesondere wurde die Schwere der Grundrechtsverletzung bei der Durchsuchung in ihrer Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung und der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren wegen des Verbrechenstatbestandes des § 29a Abs. 1 BtMG angemessen berücksichtigt. Es liegt auch kein Verstoß gegen das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG vor. Denn es liegen keine Anhaltspunkte für eine willkürliche, den Fairnessgrundsatz ignorierende Handhabung der strafprozessualen Grundsätze über Beweisverwertungsverbote vor. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvR 2225/08 - In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   des Herrn P...   - Bevollmächtigte: 1. Rechtsanwalt Dr. Ralf Ritter, Schulterblatt 124, 20357 Hamburg, Rechtsanwältin Britta Eder, Bartelsstraße 9, 20357 Hamburg -   gegen a) den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 16. September 2008 - 2 - 10/08 (REV) -, b) das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 5. Oktober 2007 - 704 Ns 72/07 -   hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Broß, Di Fabio und Landau   gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 2. Juli 2009 einstimmig beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.   Gründe: 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verwertung von Beweismitteln nach einer rechtswidrigen Wohnungsdurchsuchung. I. 2 1. Die Wohnung des Beschwerdeführers wurde auf Anordnung des Amtsgerichts München durchsucht. Der Durchsuchung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer hatte als damaliges Vorstandsmitglied des Vereins „R.e.V.“ im Jahr 1995 bei der Postbank München ein Konto für dessen Ortsgruppe München einrichten lassen. Zeichnungsberechtigt waren drei Münchner Vereinsmitglieder. Das Konto wurde genutzt, um Mitgliedsbeiträge und Spenden zu verbuchen. Hierzu wurde das Konto öffentlich, etwa in Broschüren, bekannt gemacht. Der Beschwerdeführer schied im Jahr 2000 aus dem Vereinsvorstand aus. 3 Im Januar 2003 wurde ein Fall des Verstoßes gegen das Markengesetz bekannt. Der spätere Anzeigeerstatter hatte bei dem Internetauktionshaus Ebay eine Uhr der Marke „Rado“, die sich als Fälschung erwies, ersteigert und per Nachnahme bezahlt. Vom Verkäufer, der im Internet den Kontaktnamen „s.“ verwendete und als Kontonummer diejenige des Vereins „R.e.V.“ angegeben hatte, war die Rückabwicklung des Geschäfts verweigert worden. Im E-Mail-Verkehr mit dem Anzeigeerstatter hatte der Verkäufer die E-Mail-Adresse „s.“ gebraucht. Nach einer im Zuge der polizeilichen Ermittlungen erteilten Auskunft des Internetanbieters Ebay handelte es sich beim Verkäufer um D. aus München. Die Firma Ebay teilte außerdem mit, die Kontoverbindung sei für eine Vielzahl von weiteren Accounts, also von weiteren Anbietern, verwendet worden. Über diese Accounts seien bei Ebay auch Computerprogramme verkauft worden. D. gab in der Beschuldigtenvernehmung an, mit dem Verkauf der Uhr nichts zu tun zu haben. 4 Eine Bankanfrage ergab, dass auf dem vom Verkäufer angegebenen Konto des Vereins nur ein Zahlungsvorgang verbucht war, der sich auf Verkäufe über den Internetanbieter Ebay bezog. 36,33 € waren von Ebay eingezogen und nach Widerspruch der Kontoinhaber zurückgebucht worden. 5 2. Das Amtsgericht München ordnete mit Beschluss vom 21. September 2004 die Durchsuchung der Wohnungen des Beschwerdeführers und der drei nach den Kontounterlagen zeichnungsbefugten weiteren Vereinsmitglieder zum Zwecke der Beschlagnahme von Rechneranlagen sowie von Unterlagen an, die Aufschluss darüber gäben, dass die Beschuldigten Uhrenplagiate sowie Computerprogramme ohne Genehmigung des Rechteinhabers veräußert haben könnten. Alle vier Personen seien verdächtig, Plagiate der Marke „Rado“ sowie verschiedene Computerprogramme ohne Genehmigung des Rechteinhabers veräußert zu haben. Die Wohnung des Beschwerdeführers wurde am 8. Dezember 2004 durchsucht. 6 3. Nachdem der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben hatte, stellte die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 13. November 2005 - 2 BvR 728/05 u.a. - (NStZ-RR 2006, S. 110) fest, dass der Durchsuchungsbeschluss und der ihn bestätigende Beschwerdebeschluss sowie die Wohnungsdurchsuchung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzten. Die Beschlüsse wurden aufgehoben. Zur Begründung führte das Bundesverfassungsgericht aus, der mit der Durchsuchung verbundene Grundrechtseingriff habe außer Verhältnis zu dem allenfalls geringen Tatverdacht gestanden. Bei der bestehenden Sachlage wären vor der Anordnung einer in die Grundrechte der Betroffenen schwerwiegend eingreifenden Durchsuchung andere grundrechtsschonendere Ermittlungsschritte vorzunehmen gewesen, um den allenfalls geringen Tatverdacht zu erhärten oder endgültig zu zerstreuen. 7 4. Bei der Wohnungsdurchsuchung wurde nichts gefunden, was auf einen Zusammenhang mit der Tat hindeutete, wegen der das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war. Dieses Ermittlungsverfahren wurde schließlich gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Bei der Durchsuchung der Wohnung, die der Beschwerdeführer mit anderen Personen im Rahmen einer Wohngemeinschaft bewohnte, wurden aber in einem dem Beschwerdeführer zugeordneten Zimmer in einem Nachttisch rd. 463g Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von rd. 39g THC sowie zwei Feinwaagen gefunden. In dem daraufhin eingeleiteten Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz wurde der Beschwerdeführer zunächst vom Amtsgericht Hamburg mit Urteil vom 24. Januar 2006 verurteilt. Dieses Urteil wurde auf die Revision des Beschwerdeführers hin vom Oberlandesgericht mit Beschluss vom 5. September 2006 mit der Begründung aufgehoben, die Beweiswürdigung des Amtsgerichts sei lückenhaft, soweit es um die Zuordnung des Haschischs zum Besitz des Beschwerdeführers gehe. Weiter führte das Oberlandesgericht aus, die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers sei unbegründet; denn die bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel unterlägen keinem Verwertungsverbot. Der Beschwerdeführer legte gegen diesen Beschluss Verfassungsbeschwerde ein, die als unzulässig nicht zur Entscheidung angenommen wurde. 8 5. Nach Zurückverweisung der Sache teilte der Beschwerdeführer dem Amtsgericht schriftlich mit, das Zimmer, in dem das Haschisch gefunden worden sei, sei allein und ausschließlich von ihm benutzt worden. In der neuen Hauptverhandlung widersprach der Beschwerdeführer der Verwertung der Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchung und schwieg zur Sache. Er wurde mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 18. April 2007 freigesprochen. Das Amtsgericht begründete dies damit, die Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchung unterlägen im Hinblick auf den mit der Wohnungsdurchsuchung verbundenen schwerwiegenden Grundrechtsverstoß einem Verwertungsverbot. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Berufung ein. In der Berufungsverhandlung widersprach der Beschwerdeführer erneut der Verwertung der Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchung und machte keine Angaben zur Sache. Das Landgericht Hamburg hob mit Urteil vom 5. Oktober 2007 das amtsgerichtliche Urteil auf und verurteilte den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Kammer führte aus, aus dem Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1 GG durch die Wohnungsdurchsuchung folge kein Verwertungsverbot. Die Kammer schließe sich der Ansicht des Oberlandesgerichts im Beschluss vom 5. September 2006 an und mache sich dessen Argumentation zu eigen, falls diese Ausführungen nicht ohnehin bindend sein sollten. Ein Verwertungsverbot sei nur aus übergeordneten Gründen im Einzelfall anzunehmen. Die Durchsuchung habe den Beschwerdeführer gewichtig in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzt. Allerdings sei einschränkend zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer die Wohnung in einer Wohngemeinschaft mit weiteren Personen teilte, so dass von einem gegenüber einer Einzelwohnung herabgesetzten Privatheitsanspruch auszugehen sei. Dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung gebühre hier der Vorrang, da der Beschwerdeführer schweres Unrecht verwirklicht habe und die Durchsuchung auch in rechtmäßiger Weise hätte angeordnet werden können. Es könne dahinstehen, ob der Durchsuchungsbeschluss weitere formelle Fehler aufweise. Anhaltspunkte für einen bewussten oder willkürlichen Rechtsverstoß lägen nicht vor. 9 6. Die Revision des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 16. September 2008 als unbegründet. Ein Verwertungsverbot bestehe nicht. Der Senat gehe bei seiner Abwägung zugunsten des Beschwerdeführers davon aus, dass bei Anordnung und Durchführung der Durchsuchung gegen den Beschwerdeführer kein ausreichender Anfangsverdacht für einen Markenrechtsverstoß bestanden habe. Der darin liegende Verstoß gegen § 102 StPO und die gewichtige Verletzung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG wiege jedoch in der Abwägung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Aufklärung des Betäubungsmittelverbrechens nicht so schwer, dass das Aufklärungsinteresse hinter den Interessen des Beschwerdeführers zurücktreten müsse. Ein bewusster oder willkürlicher Rechtsverstoß bei der Anordnung und Durchführung der Wohnungsdurchsuchung sei nicht gegeben. Das etwaige Bestehen weiterer lediglich formaler Fehler könne dahinstehen, da darin gegenüber dem materiellrechtlichen Rechtsfehler und der Grundrechtsverletzung durch den Durchsuchungsbeschluss kein zusätzliches Gewicht liege. Der Beschwerdeführer habe mit der durch die Durchsuchung aufgedeckten Tat schweres Unrecht verwirklicht. Zwar habe das Landgericht die Tat als minder schweren Fall des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet, da es sich bei dem Haschisch lediglich um eine so genannte „weiche“ Droge gehandelt habe und eine Bestimmung des Haschisch zum Handeltreiben nicht festgestellt worden sei. Doch sei die nicht geringe Menge des Betäubungsmittels hier um ein Mehrfaches überschritten gewesen und aufgrund der erheblichen Menge der Droge habe die typische Gefahr der Abgabe eines Teils der zum Eigenkonsum bestimmten Drogen an andere Personen bestanden. In der Gesamtabwägung überwiege daher das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess. Für die Gewichtung sei auch zu berücksichtigen, dass das zu Tage getretene Betäubungsmittelverbrechen ohne Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Anordnung der durchgeführten Durchsuchung gerechtfertigt hätte. II. 10 Mit der fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie von Art. 13 Abs. 1 GG. 11 Die Verwertung der Erkenntnisse aus der grundrechtswidrigen Wohnungsdurchsuchung verletze den Beschwerdeführer erneut in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG. Aus der Verfassungswidrigkeit der Durchsuchung folge ein Beweisverwertungsverbot, das keine Abwägung voraussetze. Doch auch wenn man der Ansicht folgen wollte, das Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes sei im Wege der Abwägung zu ermitteln, hätten die Gerichte hier eine fehlerhafte Abwägung vorgenommen. Die Gerichte hätten bei ihrer Abwägung neben der Unverhältnismäßigkeit der Durchsuchung und dem fehlenden Tatverdacht das Bestehen möglicher weiterer Fehler der Durchsuchung nicht offenlassen dürfen. Diese weiteren Fehler vertieften die Rechtsverletzung und seien daher abwägungsrelevant. Es hätte berücksichtigt werden müssen, dass bei richtiger Würdigung kein Anfangsverdacht eines Markenrechtsverstoßes gegen den Beschwerdeführer bestanden habe, der Durchsuchungsbeschluss nicht hinreichend bestimmt und sogar willkürlich gewesen sei, da er auf einem objektiv grob falschen polizeilichen Ermittlungsbericht beruht habe. Die in diesem Bericht enthaltene Darstellung des angeblichen Ermittlungsstandes, die Überweisungen aus den Ebay-Verkäufen seien auf das besagte Konto gelaufen und insbesondere bei der Buchung und Rückbuchung von 36,33 € habe es sich eindeutig um die Bezahlung von Anbieterkosten bei Ebay gehandelt, sei falsch und objektiv irreführend. Die Gerichte hätten zudem fälschlich mit der Möglichkeit eines hypothetischen Ersatzeingriffs argumentiert, obwohl ein solcher angesichts des fehlenden Tatverdachts und der Unverhältnismäßigkeit der Durchsuchung nicht denkbar gewesen wäre. Schließlich sei in der Abwägung der grundrechtliche Schutz der Wohnung nicht angemessen gewichtet worden. Das Landgericht habe zudem den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG falsch bestimmt, indem es davon ausgegangen sei, der Unverletzlichkeit der Wohnung komme bei einer Wohngemeinschaft nur ein geringerer grundrechtlicher Schutz zu. Die Verwertung der Ergebnisse aus einer grundrechtswidrigen Durchsuchung entspreche bei dieser Sachlage nicht mehr rechtsstaatlichen Mindeststandards und verletze daher auch den Anspruch des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren. III. 12 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248 ff.>). Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da sie unbegründet ist. 13 1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG. 14 a) Die Gewährleistung des Art. 13 Abs. 1 GG umfasst den Schutz der räumlichen Privatsphäre vor staatlichen Eingriffen und erstreckt sich auch auf den Gebrauch, der von den durch das Eindringen in die Wohnung erlangten Kenntnissen gemacht wird (vgl. BVerfGE 109, 279 <325 f.>). Die Anordnung und Durchführung der Durchsuchung verletzte den Beschwerdeführer zwar in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG, wie die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 13. November 2005 festgestellt hat. Die Verwertung der bei dieser Durchsuchung gewonnenen Beweismittel im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer verstößt dagegen nicht gegen Art. 13 Abs. 1 GG. 15 Die Feststellungen zur Tat des Beschwerdeführers im Urteil des Landgerichts stützten sich maßgeblich auf die bei der Wohnungsdurchsuchung beschlagnahmten Beweismittel. Es besteht aber kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig wäre (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2000 - 2 BvR 1990/96 -, NJW 2000, S. 3556; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2000 - 2 BvR 75/94 -, NJW 2000, S. 3557; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. März 2000 - 2 BvR 2017/94, 2 BvR 2039/94 -, NStZ 2000, S. 489 <490>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1502/04 -, NStZ 2006, S. 46). Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu insbesondere ein Beweisverwertungsverbot zählt, obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten (vgl. BVerfGK 4, 283 <285>; 9, 174 <196>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 - 2 BvR 784/08 -, NJW 2008, S. 3053 <3054>). 16 Dabei gehen die Strafgerichte in gefestigter, willkürfreier Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist, und dass die Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 - 2 BvR 784/08 -, NJW 2008, S. 3053; BGHSt 38, 214 <219 f.>; 44, 243 <249>; 51, 285 <289 f.>; vgl. auch Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2004, § 105 Rn. 119; Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, vor § 94 Rn. 10). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>). Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 -, NJW 2009, S. 1469 <1474>). Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt 44, 243 <249>; 51, 285 <290>). Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das Vorliegen eines besonders schwer wiegenden Fehlers können - müssen indes nicht in jedem Fall - danach ein Verwertungsverbot nach sich ziehen (vgl. BGHSt 51, 285 <292>; BGH, Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03 -, NStZ 2004, S. 449 <450>). 17 Auch bei der Frage eines Beweisverwertungsverbots wegen Mängeln der Durchsuchungsanordnung ist eine Abwägung des Strafverfolgungsinteresses mit dem betroffenen Individualinteresse erforderlich (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. November 2001 - 2 BvR 2257/00 -, StV 2002, S. 113). Die Strafprozessordnung stellt kein grundsätzliches Beschlagnahmeverbot für Fälle fehlerhafter Durchsuchungen auf, die zur Sicherstellung von Beweisgegenständen führen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Oktober 2003 - 2 BvR 1707/02 -, NStZ 2004, S. 216). Ein Beweisverwertungsverbot ist grundsätzlich nur dann Folge einer fehlerhaften Durchsuchung, wenn die zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend waren oder bewusst oder willkürlich begangen wurden (vgl. BVerfGE 113, 29 <61>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juli 1998 - 2 BvR 446/98 -, NJW 1999, S. 273 <274>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweitens Senats vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02 -, NJW 2006, S. 2684 <2686>). 18 b) Die Gerichte sind in den angegriffenen Entscheidungen von diesen Grundsätzen ausgegangen. Die Anwendung des rechtlichen Maßstabes auf den vorliegenden Fall ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die rechtswidrige Durchsuchungsmaßnahme musste nicht zwingend zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der dabei als Zufallsfund beschlagnahmten Beweismittel führen. 19 Die Gerichte haben die Schwere der Grundrechtsverletzung bei der Durchsuchung in ihrer Abwägung noch angemessen gewichtet. Die Gerichte haben hier den Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 102 StPO durch die Durchsuchung und den damit verbundenen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG zugrunde gelegt. Bei der Beurteilung der Rechtsverletzung des Beschwerdeführers durch die Durchsuchung sind die Gerichte zugunsten des Beschwerdeführers davon ausgegangen, dass es bei Anordnung der Durchsuchung an einem Tatverdacht hinsichtlich eines Markenrechtsverstoßes ganz fehlte. Das Landgericht hat dabei zwar in seinem Urteil den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG unscharf gefasst, indem es ein geringeres grundrechtliches Schutzniveau für Wohngemeinschaften andeutete. Grundrechtsträger des Art. 13 Abs. 1 GG ist jedoch jeder Inhaber oder Bewohner eines Wohnraums, unabhängig davon, auf welchen Rechtsverhältnissen die Nutzung des Wohnraums beruht (vgl. BVerfGE 109, 279 <326>). Dessen ungeachtet legte aber auch das Landgericht seiner Abwägung eine erhebliche Grundrechtsverletzung zugrunde, ebenso wie das Oberlandesgericht bei korrekter Anwendung des grundrechtlichen Maßstabes ein Verwertungsverbot in nicht zu beanstandender Weise ablehnte. Die Gerichte gingen zu Recht davon aus, dass keine Anhaltspunkte für einen bewussten oder willkürlichen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften vorlagen. Auch die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Einwände, die ermittelnden Polizeibeamten hätten sich bewusst über das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts hinweggesetzt, findet im Verfahrensablauf keine Tatsachengrundlage. Die beanstandete Darstellung im Ermittlungsbericht war fehlerhaft, jedoch ohne dass man daraus auf eine bewusst rechtswidrige oder willkürliche Rechtsanwendung durch den Ermittlungsrichter schließen könnte. 20 Es ist nicht zu beanstanden, dass die Gerichte bei ihrer Abwägung das Vorliegen möglicher weiterer, formaler Fehler des Durchsuchungsbeschlusses offen ließen. Das Fehlen des Tatverdachts als materieller Mangel der Anordnung, den die Gerichte hier zugrunde legten, und die Unverhältnismäßigkeit der Durchsuchung gehen über die behaupteten formalen Fehler des Beschlusses bereits hinaus. Da es bereits am Tatverdacht und der Verhältnismäßigkeit der Anordnung fehlte, konnte der Durchsuchungsbeschluss ersichtlich keine inhaltlich korrekten und bestimmten Angaben zur Tat, zu den Verdachtsgründen oder zur Verhältnismäßigkeit enthalten. 21 In der Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung und der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren wegen des Verbrechenstatbestandes des § 29a Abs. 1 BtMG konnten die Gerichte daher von einer Verwertbarkeit der Beweismittel ausgehen. Die weiteren Erwägungen der Gerichte zur Möglichkeit eines hypothetischen, rechtmäßigen Ersatzeingriffes in diesem Fall bezogen sich allein darauf, dass hinsichtlich des Zufallsfundes der Betäubungsmittel die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme aufgrund der Schwere der Tat verhältnismäßig gewesen wäre. Die Gerichte haben dabei nicht übersehen, dass vor der Durchsuchung kein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer wegen eines Betäubungsmitteldeliktes bestand. 22 2. Es liegt auch kein Verstoß gegen das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vor. Die Begründung eines Verwertungsverbots ist hier weder im Hinblick auf die betroffenen Verfahrensbelange des Beschwerdeführers noch zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens insgesamt verfassungsrechtlich geboten. 23 Aus dem Prozessgrundrecht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), dessen Wurzeln in der freiheitssichernden Funktion der Grundrechte liegen (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>), ergeben sich Mindesterfordernisse für eine Verfahrensregelung, die eine zuverlässige Wahrheitserforschung im prozessualen Hauptverfahren sicherstellen. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 64, 135 <145 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 -, NJW 2009, S. 1469 <1474>). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239 <250>; 80, 367 <375>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 -, NJW 2009, S. 1469 <1474>). 24 Unter diesem Gesichtspunkt ist lediglich zu prüfen, ob ein rechtsstaatlicher Mindeststandard gewahrt ist (vgl. BVerfGE 57, 250 <275 f.>) und weiter, ob die maßgeblichen strafrechtlichen Vorschriften unter Beachtung des Fairnessgrundsatzes und in objektiv vertretbarer Weise, also ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), ausgelegt und angewandt worden sind (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>). Hier liegen jedoch - wie oben dargelegt - keine Anhaltspunkte für eine willkürliche, den Fairnessgrundsatz ignorierende Handhabung der strafprozessualen Grundsätze über Beweisverwertungsverbote vor. In Fällen wie dem vorliegenden ist daher die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht geboten. 25 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Broß Di Fabio Landau
bundesverfassungsgericht
42-1999
7. April 1999
Verfassungswidrige Wohnraumdurchsuchung Pressemitteilung Nr. 42/1999 vom 7. April 1999 Beschluss vom 22. März 19992 BvR 2158/98 Die 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat in einem Verfassungsbeschwerde-Verfahren festgestellt, daß eine wegen Verdachts einer ausländerrechtlichen Ordnungswidrigkeit richterlich angeordnete Wohnungsdurchsuchung wegen Verstoßes gegen Art. 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung) i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip des GG verfassungswidrig war. I. Der Beschwerdeführer, ein abgelehnter Asylbewerber, hatte beim Standesamt Geburtsurkunde und Ledigkeitsbescheinigung vorgelegt. Der Aufforderung der Ausländerbehörde, weitere Unterlagen zum Nachweis seiner Identität vorzulegen, war er nicht nachgekommen. Daraufhin erließ das Amtsgericht (AG) einen Durchsuchungsbeschluß. Zur Begründung verwies es auf den "Verdacht des Ordnungswidrigkeitsverstoßes nach dem Ausländergesetz"; die "bei der Durchsuchung etwa aufgefundenen sachdienlichen Gegenstände, insbesondere Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen" seien zu beschlagnahmen. Nach der Durchsuchung erhob der Beschwerdeführer gegen den Beschluß des AG Beschwerde zum Landgericht (LG). Diese wurde als unbegründet verworfen. Der lediglich formelhaft abgefaßte Durchsuchungsbeschluß sei zwar unzureichend gewesen. Der Beschwerdeführer sei aber zum Zeitpunkt des Erlasses einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 40 AuslG verdächtig gewesen, weil er dem Verlangen der Behörde, Identitätspapiere vorzulegen, nicht nachgekommen sei. II. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hatte Erfolg. Die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen worden. Der Beschluß des AG verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht Art. 13 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip. Eine Durchsuchung ist regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen. Sie steht daher unter dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist Aufgabe des Richters, durch geeignete Formulierungen im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, daß der Eingriff in die Grundrechte meßbar und kontrollierbar bleibt. Ein Durchsuchungsbeschluß, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält, wird diesen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Angaben nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind. Diesem Maßstab genügt der Beschluß des AG nicht. Er enthält ohne rechtfertigenden Grund weder tatsächliche noch rechtliche Angaben zum Tatvorwurf. Allein der Hinweis, es gehe um eine ausländerrechtliche Ordnungswidrigkeit und insbesondere seien Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen zu beschlagnahmen, läßt keinen Rückschluß auf eine bestimmte Tat zu. Der Beschluß des LG setzt den Verfassungsverstoß des AG fort. Auch seiner Entscheidung läßt sich kein hinreichend bestimmter Tatvorwurf entnehmen. Neben der Bezeichnung der Vorschrift des Ausländergesetzes führt das Gericht nur aus, der Beschwerdeführer sei dem Verlangen der Behörde, Identitätspapiere vorzulegen, nicht nachgekommen. Um welche Papiere es sich handeln soll, wird nicht angegeben. Die vom AG genannten Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen fallen jedenfalls nicht unter die vom LG bezeichnete Vorschrift des AuslG. Im übrigen rechtfertigt nicht allein die Vermutung, der Beschwerdeführer könne im Besitz von Identitätspapieren im Sinne der Bußgeldvorschrift sein, ohne weitere tatsächliche Anhaltspunkte die Anordnung der Durchsuchung. Ein solcher Eingriff muß in angemessenem Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts und zur Schwere der Tat stehen. Dieses Verhältnis ist bei der Vermutung einer Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von höchstens 5.000,-- DM bewährt ist, nicht gewahrt. nach oben
Bundesverfassungsgericht - 2 BvR 2158/98 - Im Namen des Volkes In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn O... - gegen a) den Beschluß des Landgerichts Verden vom 2. November 1998 - 1 Qs 229/98 -, b) den Beschluß des Amtsgerichts Syke vom 17. Juli 1998 - 8 Gs 196/98 - u n d Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Winter, Hassemer gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. März 1999 einstimmig beschlossen: Die Beschlüsse des Amtsgerichts Syke vom 17. Juli 1998 - 8 Gs 196/98 - und des Landgerichts Verden vom 2. November 1998 - 1 Qs 229/98 - verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. Der Beschluß des Landgerichts Verden vom 2. November 1998 - 1 Qs 229/98 - wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Verden zurückverwiesen. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Durchsuchungsanordnung wegen Verdachts einer ausländerrechtlichen Ordnungswidrigkeit. I. 2 1. a) Der Wohnraum des Beschwerdeführers wurde aufgrund richterlicher Anordnung durchsucht. Zur Begründung verwies das Amtsgericht auf den "Verdacht des Ordnungswidrigkeitsverstoßes nach dem Ausländergesetz"; die "bei der Durchsuchung etwa aufgefundenen sachdienlichen Gegenstände, insbesondere Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen", seien zu beschlagnahmen. Die Ausländerbehörde hatte die Anordnung dieser Maßnahmen beantragt, nachdem der Beschwerdeführer, ein abgelehnter Asylbewerber, Geburtsurkunde und Ledigkeitsbescheinigung beim Standesamt vorgelegt hatte, während er Aufforderungen der Ausländerbehörde, Unterlagen zum Nachweis seiner Identität vorzulegen, nicht nachgekommen war. 3 b) Die Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts verwarf das Landgericht als unbegründet. Der lediglich formelhafte Durchsuchungsbeschluß sei zwar unzureichend gewesen. Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses aber einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 40 AuslG verdächtig gewesen, weil er dem Verlangen der Behörde, Identitätspapiere vorzulegen, nicht nachgekommen sei. 4 2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts und rügt eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 GG. Der Beschluß des Amtsgerichts sei völlig unbestimmt, die Anordnung der Durchsuchung allein wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit sei unverhältnismäßig. Auch das Landgericht habe sich mit der Unbestimmtheit und der fehlenden Verhältnismäßigkeit nicht auseinandergesetzt. 5 3. Das Niedersächsische Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. II. 6 Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie zulässig ist, zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Kammer ist zur Sachentscheidung berufen, da das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat und die Verfassungsbeschwerde, soweit zulässig, offensichtlich begründet ist (§§ 93b Satz 1, 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). 7 1. Der Beschluß des Amtsgerichts verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. Eine Durchsuchung ist regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen. Sie steht daher ebenso wie ihre Anordnung unter dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist Aufgabe des Richters, von vornherein für eine angemessene Begrenzung der Zwangsmaßnahme Sorge zu tragen. Er muß durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherstellen, daß der Eingriff in die Grundrechte meßbar und kontrollierbar bleibt. Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält, wird diesen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Angaben nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 96, 44 <51 f.>). 8 Diesem Maßstab genügt der Beschluß des Amtsgerichts nicht. Er enthält ohne rechtfertigenden Grund weder tatsächliche noch rechtliche Angaben zum Tatvorwurf. Allein der Hinweis, es gehe um eine ausländerrechtliche Ordnungswidrigkeit und insbesondere seien Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen zu beschlagnahmen, läßt keinen Rückschluß auf eine bestimmte Tat zu. 9 2. Der Beschluß des Landgerichts setzt den Verfassungsverstoß des Amtsgerichts fort. Zwar hat das Landgericht zutreffend festgestellt, daß der Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts unzureichend war, und selbst eine Sachentscheidung getroffen. Auch seiner Entscheidung läßt sich aber kein hinreichend bestimmter Tatvorwurf entnehmen. Neben der Bezeichnung der Vorschrift des Ausländergesetzes - die das Unterlassen der Vorlage des Passes, des Paßersatzes, des Ausweisersatzes, der Aufenthaltsgenehmigung oder der Duldung mit Bußgeld bewehrt - führt das Landgericht nur aus, der Beschwerdeführer sei dem Verlangen der Behörde, Identitätspapiere vorzulegen, nicht nachgekommen. Um welche Papiere es sich handeln soll, wird nicht angegeben. Die vom Amtsgericht genannten Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen fallen jedenfalls nicht unter die bezeichnete Vorschrift des Ausländergesetzes. 10 Im übrigen rechtfertigt nicht allein die Vermutung, der Beschwerdeführer könne im Besitz von Identitätspapieren im Sinne der Bußgeldvorschrift sein, ohne weitere tatsächliche Anhaltspunkte die Anordnung der Durchsuchung. Ein solcher Eingriff muß in angemessenem Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts und zur Schwere der Tat stehen (BVerfGE 42, 212 <220>; 59, 95 <97>). Dieses Verhältnis ist bei der Vermutung einer Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von höchstens 5.000 DM (§ 93 Abs. 5 AuslG) bewehrt ist, nicht gewahrt. 11 3. Soweit mit der Verfassungsbeschwerde die Aufhebung des amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses begehrt wird, ist sie unzulässig und daher nicht zur Entscheidung anzunehmen. Das Landgericht kann hier, ohne daß es weiterer Sachaufklärung durch das Amtsgericht bedarf, durch eine erneute Entscheidung der Beschwer des Beschwerdeführers abhelfen und die Grundrechtsverletzung beseiti- gen (vgl. BVerfGE 78, 374 <390>). Daß der Beschwerdeführer diesen fachgerichtlichen Rechtsweg ausschöpft, gebietet der Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 BVerfGG; BVerfGE 96, 27 <43>). 12 4. Nachdem der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde im wesentlichen Erfolg hat, ist der Ausspruch der vollen Kostenerstattung angemessen (§ 34a Abs. 2, 3 BVerfGG). Damit erübrigt sich eine Entscheidung über das Prozeßkostenhilfegesuch. Limbach Winter Hassemer
bundesverfassungsgericht
46-2008
3. April 2008
Unzulässige Vorlage eines Finanzgerichts zur Zinsbesteuerung und zum Strafbefreiungserklärungsgesetz Pressemitteilung Nr. 46/2008 vom 3. April 2008 Beschluss vom 25. Februar 20082 BvL 14/05 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem "Zinsurteil" von 1991 festgestellt, dass bei der Besteuerung von Zinseinkünften seit dem Veranlagungszeitraum 1981 ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand und den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum 1. Januar 1993 durch hinreichende gesetzliche Vorkehrungen die Besteuerungsgleichheit zu gewährleisten. Um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber 1992 das Zinsabschlaggesetz erlassen. Es folgten weitere gesetzliche Änderungen mit Auswirkungen auf die Zinsbesteuerung durch das Steuerentlastungsgesetz von 1999, das unter anderem zur Erweiterung der Mitteilungspflicht und zum Wegfall der Verwendungsbeschränkung für die mitgeteilten Daten führte, und durch das Steueränderungsgesetz 2003, das die Jahressteuerbescheinigung einführte. Mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit von 2003 wollte der Gesetzgeber einen Anreiz für steuerunehrliche Steuerpflichtige schaffen, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Gleichzeitig wollten die Überprüfungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung maßvoll verbessert werden, um Steuerhinterziehung in der Zukunft zu erschweren. Dem verbesserten Gesetzesvollzug dienten die Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes, das am 30. Dezember 2003 in Kraft trat. Durch die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung und Entrichtung einer pauschalen, als Einkommensteuer geltenden Abgabe konnte Strafbefreiung für die in den Veranlagungszeiträumen 1993 bis 2002 erzielten Einnahmen, die zu Unrecht nicht der Besteuerung zugrunde gelegt worden waren, erlangt werden. Die derart nacherklärten Einnahmen wurden zur pauschalen Abgeltung aller denkbaren Abzüge lediglich in Höhe von 60% der Abgabe unterworfen. Unmittelbar nach dem Auslaufen der Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes trat am 1. April 2005 das neu geschaffene Kontenabrufverfahren in Kraft. Durch die enge Verzahnung der Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes mit dem Kontenabrufverfahren sollte die Steuerehrlichkeit nachhaltig gefördert werden. Das vorlegende Finanzgericht ist der Auffassung, dass die Besteuerung von Zinseinkünften für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 aufgrund eines nach wie vor bestehenden strukturellen Vollzugsdefizits gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße. Darüber hinaus führe das Strafbefreiungserklärungsgesetz zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden gleichheitswidrigen Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger gegenüber steuerehrlichen Steuerpflichtigen, da diesen die steuerlichen Begünstigungen nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz vorenthalten würden. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Vorlage für unzulässig erklärt. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Das vorlegende Finanzgericht setzt sich mit der Frage, ob hinsichtlich der Besteuerung von Zinseinkünften für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand, nicht hinreichend auseinander. Insbesondere geht das Gericht nicht ausreichend darauf ein, ob die im Anschluss an das "Zinsurteil" in Kraft getretenen Gesetzesänderungen in ihrem Zusammenwirken gegenüber den Vorjahren erhebliche Verbesserungen der Vollzugsbedingungen herbeigeführt haben. Soweit die Vorlage das Strafbefreiungserklärungsgesetz betrifft, setzt sich das Finanzgericht nicht mit der Frage auseinander, ob eine relative Schlechterstellung steuerehrlicher Steuerpflichtiger gegenüber der Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte. Es verkennt, dass das Strafbefreiungserklärungsgesetz nicht das Ziel hatte, die Steuerhinterziehung zu belohnen; es sollte vielmehr einen Anreiz für eine freiwillige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit setzen. Unerörtert bleibt in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz die tatsächliche Erhebungssituation bei den Zinseinkünften auch positiv beeinflusst worden sein könnte. Hinsichtlich der bezweifelten Eignung einer Steueramnestie zur Förderung der Steuerehrlichkeit hätte das Finanzgericht zumindest dazu näher Stellung nehmen müssen, dass der Gesetzgeber durch die enge Verzahnung des Strafbefreiungserklärungsgesetzes mit dem neu geschaffenen Kontenabrufverfahren bewusst eine Regelung geschaffen hat, die Steuerverkürzungen in der Zukunft erschweren und die Steuerehrlichkeit nachhaltig fördern sollte. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvL 14/05 - In dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung,   1. ob die Vorschriften der § 20 Abs. 1, § 32a des Einkommensteuergesetzes in der für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 maßgeblichen Fassung mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar sind, wie sie im Zusammenwirken mit den ergänzenden Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes (StraBEG) vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2928) steuerehrliche Steuerpflichtige einer höheren Steuer unterwerfen als dies für Steuerunehrliche geschieht und 2. ob die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, weil die Durchsetzung des aus dem Bezug von Zinseinkünften erwachsenden Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt wird. - Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Köln vom 22. September 2005 - 10 K 1880/05 -   hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff   gemäß § 81a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 25. Februar 2008 einstimmig beschlossen:   Die Vorlage ist unzulässig.   Gründe: 1 Die Vorlage betrifft zum einen die Frage, ob die Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1, § 32a des Einkommensteuergesetzes (EStG) insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt, als steuerehrlichen Steuerpflichtigen gleichheitswidrig die Begünstigungen des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung (Strafbefreiungserklärungsgesetz - StraBEG - vom 23. Dezember 2003, BGBl I S. 2928) vorenthalten werden und zum anderen die Frage, ob die Zinsbesteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG aufgrund eines strukturellen Vollzugsdefizits gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Zur Überprüfung gestellt sind die vorgelegten Normen in der jeweils für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 geltenden Fassung. I. 2 1. a) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Juni 1991 (BVerfGE 84, 239) festgestellt, dass bei der Besteuerung von Zinseinkünften nach § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG (1979) seit dem Veranlagungszeitraum 1981 ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand und den Gesetzgeber aufgefordert, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 1993 durch hinreichende gesetzliche Vorkehrungen die Besteuerungsgleichheit zu gewährleisten. Um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber am 9.  November 1992 das Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz, BGBl I S. 1853) erlassen, durch das er den Sparerfreibetrag verzehnfachte, eine anrechenbare „Zinsabschlagsteuer“ (Kapitalertragsteuer) in Höhe von 30 % (für Tafelgeschäfte 35 %) auf Kapitalerträge sowie eine Mitteilungspflicht für Freistellungsaufträge (§ 45d EStG) einführte. 3 Es folgten weitere gesetzliche Änderungen mit Auswirkungen auf die Zinsbesteuerung durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I S. 402), das zur Halbierung der Sparerfreibeträge und zur Erweiterung der Mitteilungspflicht gemäß § 45d EStG sowie zum Wegfall der Verwendungsbeschränkung für die mitgeteilten Daten führte, und durch das Steueränderungsgesetz 2003 vom 15. Dezember 2003 (BGBl I S. 2645), das seit 2004 die Jahressteuerbescheinigung gemäß § 24c EStG einführte. 4 Mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2928) wollte der Gesetzgeber einen Anreiz für steuerunehrliche Steuerpflichtige schaffen, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Gleichzeitig sollten die Überprüfungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung maßvoll verbessert werden, um Steuerhinterziehungen in der Zukunft zu erschweren. Der verbesserte Gesetzesvollzug sollte nach dem Willen des Gesetzgebers einen „Beitrag zum Rechtsfrieden“ leisten (BTDrucks 15/1309, S. 1). Diesem Ziel dienten die mit Art. 1 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit eingeführten Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes, das am 30. Dezember 2003 in Kraft trat. Durch die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung und Entrichtung einer pauschalen, als Einkommensteuer geltenden Abgabe konnte Strafbefreiung oder die Befreiung von Geldbuße für die in den Veranlagungszeiträumen 1993 bis 2002 erzielten Einnahmen, die zu Unrecht nicht der Besteuerung zugrunde gelegt worden waren, erlangt werden. Die derart nacherklärten Einnahmen wurden zur pauschalen Abgeltung aller denkbaren Abzüge lediglich in Höhe von 60 % der Abgabe unterworfen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG). Die Höhe der Abgabe belief sich auf 25 % der Bemessungsgrundlage, wenn die Nacherklärung vor dem 1. Januar 2005 erfolgte und die Abgabe spätestens bis zum 31. Dezember 2004 entrichtet wurde (§ 1 Abs. 1 StraBEG), und 35 %, wenn die Erklärung nach dem 31. Dezember 2004 und vor dem 1. April 2005 erfolgte und die Abgabe spätestens bis zum 31. März 2005 entrichtet wurde (§ 1 Abs. 6 StraBEG). Unmittelbar nach dem Auslaufen der Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes trat am 1. April 2005 das neu geschaffene Kontenabrufverfahren nach § 93 Abs. 7, § 93b der Abgabenordnung (AO) in Kraft (Art. 2 und 4 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003, BGBl I S. 2928). Durch die enge Verzahnung der Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes mit dem neu geschaffenen Kontenabrufverfahren sollte die Steuerehrlichkeit nachhaltig gefördert werden (BTDrucks 15/1309, S. 12). Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit des Kontenabrufverfahrens, das zu einer Effektivierung bestehender Ermittlungsmöglichkeiten führe, bestätigt (BVerfGE 118, 168; vgl. zuvor BVerfGE 112, 284 <294 f.>). 5 b) Der Bundesfinanzhof hat die Verfassungsmäßigkeit der vom Finanzgericht Köln zur Prüfung gestellten Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, die in ihrer in den Streitjahren des Ausgangsverfahrens 2000 bis 2002 gültigen Fassung den Vorjahren bis einschließlich 1993 entspricht, bislang bejaht (für den Veranlagungszeitraum 1993 z.B. BFH BStBl II 1997, S. 499 = BFHE 183, 45; BStBl II 1999, S. 138 = BFHE 187, 302; für die Veranlagungszeiträume seit 1994 BFH BStBl II 2006, S. 61 = BFHE 211, 183). 6 2. Die Kläger des Ausgangsverfahrens erklärten im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2000 bis 2002 unter anderem Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG, darin enthalten insbesondere auch Zinseinnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Diese wurden vom Finanzamt erklärungsgemäß der Besteuerung zugrunde gelegt. Mit ihrer Klage vor dem Finanzgericht Köln begehrten sie, auch ohne Steuerverkürzung nach den Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes besteuert zu werden. Zudem machten sie geltend, die vom Finanzamt der Besteuerung zugrunde gelegte Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG sei wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. 7 3. Mit Beschluss vom 22. September 2005 - 10 K 1880/05 - (EFG 2005, S. 1878) hat der 10. Senat des Finanzgerichts Köln das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Vorschriften der § 20 Abs. 1, § 32a Einkommensteuergesetzes in der für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 maßgeblichen Fassung des Einkommensteuergesetzes mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar seien, als sie im Zusammenwirken mit den ergänzenden Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes steuerehrliche Steuerpflichtige einer höheren Steuer unterwerfen als steuerunehrliche Steuerpflichtige, und ob, sinngemäß bezogen auf dieselben Veranlagungszeiträume, die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig sei, als die Durchsetzung des aus dem Bezug von Zinseinkünften erwachsenden Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt werde. 8 Das Finanzgericht Köln ist der Auffassung, dass die zur Prüfung gestellten entscheidungserheblichen Rechtsnormen verfassungswidrig seien: 9 a) Das Strafbefreiungserklärungsgesetz verstoße gegen das Gebot der Folgerichtigkeit und das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Der pauschale Abschlag in Höhe von 40 % der nacherklärten Einnahmen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG führe zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden gleichheitswidrigen Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger, da steuerehrlichen Steuerpflichtigen bei den Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 9a EStG lediglich ein Werbungskostenpauschbetrag in Höhe von 51 € (bei zusammen veranlagten Ehegatten in Höhe von 102 €) gewährt und der 40 %-Abschlag nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz vorenthalten werde. Das Finanzgericht bezweifelt zudem, dass das Strafbefreiungserklärungsgesetz zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels, einen Anreiz für die freiwillige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit zu setzen, geeignet sei. Verfassungsrechtliche Voraussetzung einer Amnestie sei die notwendige Korrektur der Rechtslage durch einen „Schlussstrich“ und einen „Neuanfang“. Dies sei jedoch ausgeblieben. Mit der Einführung des Kontenabrufverfahrens gemäß § 93 Abs. 7 und § 93b AO seien lediglich einige „Reparaturen“ durchgeführt worden. Von einem Neuanfang könne jedoch nicht gesprochen werden, da mit § 30a AO unverändert die Vorschrift fortbestehe, die bisher im Wesentlichen für die Korrekturbedürftigkeit der Rechtslage verantwortlich gewesen sei. 10 Die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung dadurch beseitige, dass er den Steuerehrlichen nunmehr auch die Vergünstigungen gewähre, die er dem Steuerunehrlichen zugestehe, scheine im Streitfall nicht gänzlich „unvorstellbar“, da es dem gesetzlichen Ziel - der Förderung der Steuerehrlichkeit - langfristig entgegenstehe, wenn Steuerehrliche von Vergünstigungen ausgeschlossen würden, die der Gesetzgeber Steuerunehrlichen gewähre. 11 b) Darüber hinaus verstoße die Besteuerung von Zinseinkünften gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG aufgrund eines nach wie vor bestehenden strukturellen Vollzugsdefizits gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Da das Einkommensteuergesetz auch nach der Einführung der Zinsabschlagsteuer an der Quelle die Besteuerung der Zinseinkünfte mit dem persönlichen Steuersatz fordere, habe der Gesetzgeber auch dafür zu sorgen, dass der Steueranspruch nicht nahezu allein von der Erklärung durch den Steuerpflichtigen abhänge. Die Erhöhung der Freibeträge befreie den Gesetzgeber nicht davon, für den weiterhin steuerpflichtigen Teil der Zinseinkünfte die Belastungsgleichheit herzustellen und durch Kontrollmöglichkeiten im Besteuerungsverfahren abzusichern. Die Kontrollmöglichkeit über die Erteilung von Freistellungsaufträgen nach § 45d EStG greife nicht, wenn keine Freistellungsaufträge erteilt worden seien. Der Einsatz der Steuerfahndung zur Aufdeckung hinterzogener Zinseinkünfte sei kein hinreichender Ersatz für Prüfungsmöglichkeiten im Vorfeld. Die ab dem 1. April 2005 geltende Erweiterung der Kontrollmaßnahmen in der Abgabenordnung führe zu keiner Änderung der Bewertung für die Streitjahre, da der Gesetzgeber wegen der nicht nachvollziehbaren Beibehaltung des § 30a AO, dessen uneingeschränkte Anwendung das strukturelle Vollzugsdefizit begründe, die Verantwortung für „Friktionen“ in diesem Bereich trage. 12 4. Zu der Vorlage hat sich für die Bundesregierung das Bundesministerium der Finanzen geäußert. Der Präsident des Bundesfinanzhofs hat die Stellungnahme des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs übermittelt. 13 a) Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unzulässig. Jedenfalls könne der in der Vorlage vertretenen Auffassung des Finanzgerichts Köln nicht gefolgt werden. 14 aa) Die Vorlagefrage zur Verfassungsmäßigkeit des Strafbefreiungserklärungsgesetzes sei für das Ausgangsverfahren nicht entscheidungserheblich. Es sei ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber bei einer Verfassungswidrigkeit des Strafbefreiungserklärungsgesetzes eine Regelung treffe, die zu einer Begünstigung der Kläger führen würde. 15 bb) Das Strafbefreiungserklärungsgesetz verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Ziel des Strafbefreiungserklärungsgesetzes sei es gewesen, Personen, die sich bislang erfolgreich der Besteuerung entzogen hätten, zu veranlassen, freiwillig in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Zugleich sollte durch das im April 2005 eingeführte Kontenabrufverfahren gemäß § 93 Abs. 7, § 93b AO die gleichmäßige Besteuerung für die Zukunft sichergestellt werden. Die Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger gegenüber steuerehrlichen Steuerpflichtigen sei gerechtfertigt, da der Erfolg einer Amnestie im Wesentlichen auch von der Höhe der steuerlichen Belastung abhänge. Danach müsse die Regelung wirtschaftlich günstiger als eine Selbstanzeige nach § 371 AO sein, um Wirkung zu erzielen. Diesbezüglich sei dem Gesetzgeber eine Abgabe in Höhe von 25 % bzw. 35 % der Bemessungsgrundlage als sachgerecht erschienen. Da die Nachversteuerung der bisher verschwiegenen Zinseinkünfte primäres Ziel des Strafbefreiungserklärungsgesetzes gewesen sei, sei bei der Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage die Entrichtung einer Abzugssteuer zu berücksichtigen gewesen. Anderenfalls wäre zusätzlich zu dem Zinsabschlag in Höhe von 30 % die pauschale Abgabe nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz in Höhe von 25 % getreten. Eine strafbefreiende Erklärung wäre bei einer danach bestehenden Abgabenhöhe von insgesamt 55 % der Bruttoeinnahmen unattraktiv gewesen. Der Minderungsbetrag gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG stelle somit keinen Werbungskostenpauschbetrag dar, als den ihn das vorlegende Gericht offenbar verstehe. Die Minderung habe vielmehr alles abgelten sollen, was wirtschaftlich gesehen bei einer regulären Besteuerung rechtlich zu berücksichtigen gewesen wäre. 16 cc) Ein die Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG begründendes strukturelles Vollzugsdefizit liege in den Streitjahren 2000 bis 2002 nicht vor. Selbst wenn in der Vorschrift des § 30a AO noch eine die Besteuerung beeinträchtigende Erhebungsregelung gesehen werden könnte, habe der Gesetzgeber zwischenzeitlich - unter anderem mit dem Zinsabschlaggesetz - hinreichende Ausgleichsmaßnahmen getroffen. Insbesondere durch die Einführung des Kontenabrufverfahrens gemäß § 93 Abs. 7, § 93a AO im April 2005, durch das für die Finanzverwaltung die Möglichkeit geschaffen worden sei, Erkenntnisse auch für frühere Jahre zu erlangen, sei einem strukturellen Vollzugsdefizit entgegen gewirkt worden. 17 b) Auch nach Auffassung des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs ist die Vorlage unzureichend begründet. Das Finanzgericht habe nicht ausreichend in Erwägung gezogen, ob die Nachbesserungen des Gesetzgebers hinsichtlich der Ermittlungs- und Kontrollmöglichkeiten objektiv geeignet gewesen seien, ein eventuell bestehendes Vollzugsdefizit zu beseitigen. Allein auf die Beibehaltung des § 30a AO könne die Feststellung eines strukturellen Vollzugsdefizits nicht gestützt werden. II. 18 Die Vorlage ist unzulässig. 19 1. Ein Gericht kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 <76 f.>; 105, 48 <56>). Das vorlegende Gericht muss sich zur Begründung seiner Überzeugung mit allen nahe liegenden tatsächlichen Gründen und rechtlichen Gesichtspunkten befassen, gegebenenfalls die Erwägungen des Gesetzgebers berücksichtigen und sich mit in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 76, 100 <104>; 79, 240 <243 f.>; 86, 71 <77 f.>; 92, 277 <312>; 105, 48 <56>). 20 2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage weder hinsichtlich der Vorlagefrage Nr. 1 noch hinsichtlich der Vorlagefrage Nr. 2: 21 a) Hinsichtlich der Vorlagefrage Nr. 1 kann offen bleiben, ob das vorlegende Finanzgericht die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Normen ausreichend dargelegt hat (vgl. BVerfGE 74, 182 <195 f.>). Jedenfalls fehlt es an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine relative Schlechterstellung steuerehrlicher gegenüber der Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte. 22 Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfGE 98, 365 <385>). Er verbietet sowohl ungleiche Belastungen wie auch ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem einem Personenkreis eine Begünstigung gewährt wird, einem anderen Personenkreis die Begünstigung aber vorenthalten bleibt, ohne dass sich ausreichende Gründe für die gesetzliche Differenzierung finden lassen (vgl. BVerfGE 93, 386 <396 f.>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfGE 110, 274 <291>; 112, 164 <174> m.w.N.). Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen Gruppe unterschiedlich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (vgl. BVerfGE 105, 73 <110>; 107, 27 <45 f.>; 112, 268 <279>). 23 Hier sind zunächst die Fachgerichte berufen, die Grundlagen zu ermitteln und darzustellen, die für die Beantwortung der Frage erheblich sind, ob die unterschiedliche Besteuerung steuerehrlicher und steuerunehrlicher Steuerpflichtiger, die durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz bewirkt wird, verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte. Das vorlegende Finanzgericht hat sich jedoch mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu dieser Frage nicht ausreichend auseinandergesetzt: 24 aa) Das Finanzgericht hat bei seiner Prüfung wesentliche rechtliche Gesichtspunkte außer Betracht gelassen (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>). Es hat bei dem von ihm angestellten Vergleich des Werbungskostenpauschbetrags für Zinseinkünfte nach § 9a EStG mit den Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Abschlag in Höhe 40 % der Bruttoeinnahmen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG - zur Vermeidung aufwendiger Ermittlungen und Prüfungen durch den Steuerpflichtigen -, der pauschalen Abgeltung aller denkbaren im regulären Besteuerungsverfahren steuermindernd zu berücksichtigenden Abzüge dient (BTDrucks 15/1309, S. 9). Hierunter fallen nicht nur – wie vom Finanzgericht unterstellt – Werbungskosten für Zinseinkünfte, sondern beispielsweise auch der Sparerfreibetrag und bereits einbehaltene Abzugssteuern, die nicht von den Einnahmen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG abzuziehen sind (s. Merkblatt des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung des Strafbefreiungserklärungsgesetzes vom 3. Februar 2004 - IV A 4-S 1928- 8/04, BStBl I S. 225 ff.). 25 bb) Das Finanzgericht hat sich darüber hinaus nicht ausreichend mit der Frage auseinandergesetzt, welche sachlichen Gründe für eine Steueramnestie sprechen könnten. Es verkennt, dass das Strafbefreiungserklärungsgesetz nicht das Ziel hatte, die Steuerhinterziehung zu belohnen; es sollte vielmehr einen Anreiz für eine freiwillige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit setzen (BTDrucks 15/1309, S. 9). Unerörtert bleibt in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz die tatsächliche Erhebungssituation bei den Zinseinkünften auch positiv beeinflusst worden sein könnte. Hinsichtlich der bezweifelten Eignung einer Steueramnestie zur Förderung der Steuerehrlichkeit hätte das Finanzgericht zumindest dazu näher Stellung nehmen müssen, dass der Gesetzgeber durch die enge Verzahnung des Strafbefreiungserklärungsgesetzes mit dem neu geschaffenen Kontenabrufverfahren nach § 93 Abs. 7, § 93b AO, das parallel zu dem Auslaufen der Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes am 1. April 2005 in Kraft trat, bewusst eine Regelung geschaffen hat, die Steuerverkürzungen in der Zukunft erschweren und die Steuerehrlichkeit nachhaltig fördern sollte (BTDrucks 15/1309, S. 12). 26 Nicht hinreichend ist insbesondere die einfache These des Finanzgerichts, mit der Einführung des Kontenabrufverfahrens nach § 93 Abs. 7, § 93b AO seien „lediglich einige Reparaturen“ und keine „grundlegende Renovierung des Systems“ durchgeführt worden, so dass im Hinblick auf die Weitergeltung des § 30a AO kein „Neuanfang“ vorliege, der eine Steueramnestie rechtfertige. Die Vorlage lässt insoweit (auch) schon bei der Würdigung der Steueramnestie eine sorgfältige Verarbeitung und Diskussion der seit dem Jahr 1993 und insbesondere seit dem Jahr 1998 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen vermissen (u.a. die Erweiterung der Mitteilungspflicht gemäß § 45d EStG und der Wegfall der Verwendungsbeschränkung für die mitgeteilten Daten, die Einführung der Jahressteuerbescheinigung seit 2004 gemäß § 24c EStG und des Kontenabrufverfahrens nach § 93 Abs. 7, § 93b AO). Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2005 (BVerfGE 112, 284), die dem Finanzgericht bei seiner Beschlussfassung jedenfalls aufgrund einer Pressemitteilung vom 23. März 2005 hätte bekannt sein können, setzt sich die Vorlage nicht auseinander. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Effektivierung bestehender Ermittlungsmöglichkeiten durch die Kontenabfrage gemäß § 93 Abs. 7, § 93b AO (BVerfGE 112, 284 <294 f.>) greift das Finanzgericht nicht auf. Allein der Verweis auf die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zu § 30a AO in seinem Urteil zur Zinsbesteuerung betreffend den Veranlagungszeitraum 1981 (BVerfGE 84, 239) und in seinem Urteil zur Besteuerung von privaten Wertpapiergeschäften betreffend die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 (BVerfGE 110, 94) kann eine fundierte Prüfung der sachlichen und rechtlichen Ausgangssituation der Besteuerung von Kapitaleinkünften in den vorliegend streitigen Veranlagungszeiträumen 2000 bis 2002 im Hinblick auf eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Steueramnestie nicht ersetzen. 27 cc) Auch mit der Rechtsprechung und Literatur zur grundsätzlichen Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Steueramnestie setzt sich die Vorlage nicht hinreichend auseinander. Zwar führt das Finanzgericht zahlreiche Aufsätze an, die zur Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Steueramnestie veröffentlicht worden sind. Eine fundierte Erörterung der Argumente, die in der Literatur für und gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Steueramnestie vorgebracht worden sind, erfolgt jedoch nicht. Unerörtert lässt das Finanzgericht auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni 1991 (BVerfGE 84, 233) und das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. Juni 1989 (BFH BStBl II 1989,S. 836 = BFHE 156, 543). Gegenstand dieser Urteile war die Amnestieregelung des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen (StrbEG) vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, S. 1093). Eine Auseinandersetzung mit den in diesen Entscheidungen angestellten Überlegungen zur Ausdehnung eines Amnestiegesetzes auf steuerehrliche Steuerpflichtige hätte Anlass zu entsprechenden Überlegungen des Finanzgerichts für das Strafbefreiungserklärungsgesetz geben können. 28 b) Hinsichtlich der Vorlagefrage Nr. 2 hat das vorlegende Finanzgericht zwar nachvollziehbar und deshalb für das Bundesverfassungsgericht bindend dargelegt, dass es bei der Gültigkeit oder Ungültigkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu jeweils unterschiedlichen Entscheidungen kommen müsse. Die Vorlage ist jedoch unzulässig, da es an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit der Frage fehlt, ob hinsichtlich der Besteuerung von Zinseinkünften ein strukturelles Vollzugsdefizit besteht, das dem Gesetzgeber zurechenbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). 29 aa) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Nach dem Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Die Frage, ob der Gesetzgeber von ihm erstrebte Ziele - im Steuerrecht die Erzielung von Einnahmen oder auch Lenkungsziele - faktisch erreicht, ist rechtsstaatlich allein noch nicht entscheidend. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (vgl. BVerfGE 84, 239 <268 ff.>; 110, 94 <112 ff.>; vgl. auch BVerfGE 96, 1 <6 ff.>). 30 Für die Beantwortung der Frage, ab welchem Kalenderjahr ein Verstoß gegen die tatsächliche Belastungsgleichheit vorliegt und dem Steuergesetzgeber zuzurechnen ist mit der Folge, dass die materiellrechtliche Grundlage für die Steuererhebung selbst verfassungswidrig wird, lassen sich keine allgemein gültigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe entwickeln, da die für die Verfassungswidrigkeit maßgebliche veränderbare Relation zwischen realen und normativen Einflussfaktoren auf die Vollzugsrealität stets neu konkret zu würdigen ist. Die Entscheidung hängt maßgeblich auch von Tatsachen ab, die für jeden möglichen Fall einer gleichheitswidrig vollzogenen Steuernorm gesondert festzustellen und zu bewerten sind. In verschiedenen Veranlagungszeiträumen können unterschiedliche Tatsachen von Bedeutung sein oder die gleichen Tatsachen unterschiedlich zu gewichten sein (vgl. BVerfGE 110, 94 <140>; BVerfGK 8, 46 <47>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 - 2 BvR 294/06 -, DStR 2008, S. 197 ff.). 31 Bei der Beurteilung der Frage, ob für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 hinsichtlich der Besteuerung von Zinseinkünften ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand, sind danach alle faktischen und normativen Veränderungen zu berücksichtigen, die nach Ablauf der in dem „Zinsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber bis zum 1. Januar 1993 eingeräumten Übergangsfrist eingetreten sind. In zeitlicher Hinsicht sind dabei grundsätzlich alle solche Veränderungen in die Betrachtung einzubeziehen, die sich typischerweise auf den Vollzug innerhalb der allgemeinen vierjährigen Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) auswirken konnten, denn regelmäßig müsste ein hinreichend effektiver Vollzug innerhalb dieser Frist gelingen (vgl. BVerfGE 110, 94 <139>). Der Lauf der Festsetzungsfrist in Veranlagungsfällen beginnt in der Regel mit der Abgabe der Steuererklärungen (vgl. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Da die Verlängerung der gesetzlichen Abgabefrist von fünf Monaten (vgl. § 149 Abs. 2 Satz 1 AO) für die Erklärungen grundsätzlich bis zum Februar des zweiten dem Veranlagungszeitraum folgenden Jahres möglich war (vgl. § 109 Abs. 1 Satz 1 AO; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder über Steuererklärungsfristen) und solche Verlängerungen auch verbreitet in Anspruch genommen wurden, kommt es für die Würdigung der für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 maßgeblichen Vollzugspraxis auch auf solche Veränderungen der gesetzlichen Ermittlungsinstrumente an, die erst nach Ablauf der Erklärungsfristen im Februar 2002 für den Veranlagungszeitraum 2000, aber noch innerhalb der danach laufenden allgemeinen Festsetzungsfrist bis zum Ablauf des Jahres 2006 geschaffen wurden und die sich deshalb auf die Veranlagungspraxis für das Jahr 2000 und die Folgejahre auswirken konnten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 - 2 BvR 294/06 -, DStR 2008, S. 197 ff.). 32 bb) Mit der Frage, ob die im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1991 zum Veranlagungszeitraum 1981 (BVerfGE 84, 239) in Kraft getretenen Gesetzesänderungen in ihrem Zusammenwirken gegenüber den Vorjahren erhebliche Verbesserungen der Vollzugsbedingungen herbeigeführt haben, so dass ein dem Gesetzgeber zurechenbares strukturelles Vollzugsdefizit in den Veranlagungszeiträumen 2000 bis 2002 nicht mehr angenommen werden kann, setzt sich die Vorlage nicht hinreichend auseinander. Insoweit fehlt die erforderliche eigenständige und fundierte Erörterung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>). Hierzu genügt nicht der jeweilige Hinweis des Gerichts, die einzelnen vom Gesetzgeber getroffenen Maßnahmen seien für sich genommen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ungeeignet, das vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1991 für den Veranlagungszeitraum 1981 festgestellte Vollzugsdefizit bei der Zinsbesteuerung zu beseitigen. Zwar ist das Urteil des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs vom 7. September 2005 (BFH BStBl II 2006, S. 61 = BFHE 211, 183) zur Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG seit 1994, das sich eingehend mit der geänderten Rechtslage auseinandersetzt, erst nach dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Köln veröffentlicht worden. Die vom Bundesfinanzhof vorgenommene Erörterung der vom Gesetzgeber kontinuierlich vorgenommenen Erweiterung des Ermittlungsinstrumentariums der Finanzämter zeigt jedoch, dass sich auch das vorlegende Finanzgericht hätte veranlasst sehen können und müssen, in dieser Hinsicht eigene Überlegungen anzustellen. 33 Dieses beschränkt sich in seinem Vorlagebeschluss jedoch darauf, pauschal und ohne weitere Begründung festzustellen, dass die ab dem 1. April 2005 geltende Erweiterung der Kontrollmaßnahmen in der Abgabenordnung keine Änderung der Bewertung für die Streitjahre gebracht habe. Infolgedessen setzt sich das Finanzgericht auch nicht hinreichend mit der Frage auseinander, ob das Kontenabrufverfahren, das auch die Abfrage steuerlich relevanter Daten früherer Veranlagungszeiträume zulässt, zur Herstellung der steuerlichen Belastungsgleichheit in den Veranlagungszeiträumen seit 2000 geeignet sein könnte (vgl. auch BVerfGE 112, 284 <294 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 - 2 BvR 294/06 -, DStR 2008, S. 197 ff.). 34 Für die Darlegung eines dem Gesetzgeber zurechenbaren strukturellen Vollzugsdefizits reicht es insbesondere nicht aus, wenn das Finanzgericht seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Aufrechterhaltung des § 30a AO stützt. Die Beibehaltung der Norm mag dem Finanzgericht „nicht nachvollziehbar“ erscheinen. Vor dem Hintergrund der Ausweitung der Kontrollmöglichkeiten für die Finanzämter kann jedoch allein der Umstand, dass § 30a AO unverändert geblieben ist, ein die Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm begründendes strukturelles Vollzugsdefizit als ganz außergewöhnliche Rechtsfolge mangelnder Effektivität des Rechts nicht herbeiführen, unbeschadet der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 30a AO. 35 Im Ergebnis enthält die Vorlage keine erschöpfende Darlegung und Prüfung der sachlichen und rechtlichen Ausgangslage der streitigen Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002, die eine Verfassungswidrigkeit der zur Überprüfung gestellten Norm begründen könnte. 36 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Broß Osterloh Mellinghoff
bundesverfassungsgericht
44-2011
14. Juli 2011
Verfassungsbeschwerde gegen den Ausschluss der Mitversicherung von Kindern in der Familienversicherung erfolglos Pressemitteilung Nr. 44/2011 vom 14. Juli 2011 Beschluss vom 14. Juni 20111 BvR 429/11 § 10 Abs. 3 SGB V schließt Kinder miteinander verheirateter Eltern von der beitragsfreien Familienversicherung aus, wenn das Gesamteinkommen des Elternteils, der nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist, höher ist als das des Mitglieds und bestimmte, im Gesetz festgelegte Einkommensgrenzen übersteigt. Durch die Regelung werden verheiratete Elternteile bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen gegenüber unverheirateten Elternteilen schlechter gestellt, da bei ihnen ein solcher Ausschluss nicht erfolgt. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mit Urteil vom 12. Februar 2003 (1 BvR 624/01) entschieden, dass die Ausschlussregelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. Pressemitteilung Nr. 9/2003 vom 12. Februar 2003). Die Beschwerdeführerin zu 1) ist in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert und mit einem selbständigen Rechtsanwalt verheiratet, der wie die vier gemeinsamen Kinder, die Beschwerdeführer zu 2) bis 5), privatversichert ist. Die Beschwerdeführer begehrten die Feststellung, dass die Kinder im Wege der Familienversicherung beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung über ihre Mutter mitversichert seien. Ihre gegen die Ablehnung der Krankenkasse erhobene Klage blieb vor den Sozialgerichten ohne Erfolg. Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unbegründet ist. Das Bundesverfassungsgerichts hält damit an seiner Rechtsprechung im Urteil vom 12. Februar 2003 fest, dass die Ungleichbehandlung verheirateter Elternteile gegenüber unverheirateten Elternteilen im Hinblick auf die Familienversicherung nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Grundrecht auf Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) verstößt. Die Ungleichbehandlung von Ehen und eheähnlichen Lebensgemeinschaften mit Kind findet hier ihre Rechtfertigung nach wie vor in der Befugnis des Gesetzgebers, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen. Eine Ausschlussregelung, die sich in gleicher Versicherungs- und Einkommenskonstellation auch auf Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft erstreckte, wäre für die Krankenkasse nicht handhabbar. Für sie würde es eine faktisch nicht zu leistende Aufgabe darstellen, kontinuierlich zu prüfen, ob eine solche Lebensgemeinschaft besteht, immer noch oder wieder besteht. Demgegenüber ist die Ehe ein rechtlich klar definierter und leicht nachweisbarer Tatbestand. Die punktuelle gesetzliche Benachteiligung der verheirateten Elternteile durch Ausschluss der Kinder von der Familienversicherung bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen ist hinzunehmen, weil sie - wie das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 12. Februar 2003 festgestellt hat - bei einer Gesamtbetrachtung der gesetzlichen Regelung nicht schlechter gestellt sind als Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Während der Ehepartner, der Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist, dem anderen Ehepartner, der nicht selbst Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung ist, beitragsfreien Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung vermitteln kann, ist eine solche Möglichkeit den Partnern einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nicht eröffnet. Zwar kommt dieser Vorteil nicht den oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze gutverdienenden Ehegatten zugute. Für diese Gruppe wird der Ausschluss der Familienversicherung der Kinder jedoch über die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen der Kinder hinreichend ausgeglichen, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. An der verfassungsrechtlichen Beurteilung hat sich durch das am 1. April 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung nichts geändert. Dadurch wird der Bund verpflichtet, den gesetzlichen Krankenkassen als Abgeltung für versicherungsfremde Leistungen Zuschüsse zu gewähren. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer wird der Bundeszuschuss jedoch nicht gezielt zur Finanzierung der Familienversicherung verwendet, sondern fließt in den allgemeinen Haushalt der Krankenkassen und führt daher im Ergebnis zu einer alle Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen gleichmäßig begünstigenden Ermäßigung. Eine Änderung der Rechtslage ergibt sich auch nicht aus der von den Beschwerdeführern herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2008 (2 BvL 1/06) zur einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen der Kinder. Diese verlangt die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung der Krankenversicherungsbeiträge für die ca. 10 % privat versicherten Kinder, trifft aber keine Aussage dazu, ob Kinder auch dann im System der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei versichert werden müssen, wenn ein Elternteil mit einem Verdienst oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze, der das Einkommen des pflichtversicherten Ehegatten überschreitet, nicht pflichtversichert ist. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 429/11 - In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   1. der Frau M..., 2. der Frau M..., 3. der Minderjährigen M..., vertreten durch die Eltern M..., 4. der Minderjährigen M..., vertreten durch die Eltern M..., 5. des Minderjährigen M..., vertreten durch die Eltern M...,   - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Ropohl & Partner, Roscherstraße 13, 30161 Hannover -   1. unmittelbar gegen a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 6. Januar 2011 - B 12 KR 50/10 B -, b) das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Mai 2010 - L 1 KR 420/09 -, c) das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. Oktober 2009 - S 10 KR 317/07 -, 2. mittelbar gegen § 10 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -   hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Kirchhof, den Richter Schluckebier und die Richterin Baer   gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. Juni 2011 einstimmig beschlossen:   Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.   Gründe: 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung. I. 2 Die Beschwerdeführerin zu 1) ist in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Sie ist mit einem selbständigen Rechtsanwalt, der privat krankenversichert ist, verheiratet. Die vier gemeinsamen Kinder, die Beschwerdeführer zu 2) bis 5), sind ebenso wie der Vater privat krankenversichert. 3 Die Beschwerdeführer begehrten die Feststellung, dass die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) im Wege der Familienversicherung nach § 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V - (und damit nach § 3 Satz 3 SGB V beitragsfrei) in der gesetzlichen Krankenversicherung über ihre Mutter mitversichert seien. Die Krankenkasse lehnte dies mit Bescheiden vom Juni 2007 ab. Das Begehren hatte auch im Widerspruchs- und im sozialgerichtlichen Klageverfahren keinen Erfolg. 4 Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie von Art. 6 Abs. 1 GG. II. 5 Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. 6 1. Entgegen dem Vortrag der Beschwerdeführer hat sich an der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ob § 10 Abs. 3 SGB V gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit er Ehen und eheähnliche Lebensgemeinschaften in Bezug auf den Ausschluss von Kindern aus der Familienversicherung unterschiedlich, nämlich Ehen schlechter behandelt (vgl. hierzu BVerfGE 107, 205), durch das am 1. April 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG -) vom 26. März 2007 nichts geändert. 7 Bei § 10 Abs. 3 SGB V handelt es sich um einen Ausschlusstatbestand von der familienpolitischen Leistung der beitragsfreien Familienversicherung von Kindern bis zu den in § 10 Abs. 2 SGB V geregelten Altersgrenzen (vgl. BVerfGE 123, 186 <229>). Die Regelung stellt, soweit ihre Voraussetzungen erfüllt sind, Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, die mit dem anderen Elternteil der gemeinsamen Kinder verheiratet sind, durch Ausschluss der Kinder von der Familienversicherung bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V schlechter als unverheiratete Mitglieder, bei denen ein solcher Ausschluss nicht erfolgt. Übersteigt in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft das Gesamteinkommen des Elternteils, das nicht Mitglied der Krankenkasse ist, die Einkommensgrenze des § 10 Abs. 3 SGB V, so steht dies - im Unterschied zu verheirateten Eltern - einer Mitversicherung des Kindes beim gesetzlich versicherten Elternteil nicht entgegen (vgl. BVerfGE 107, 205, <214, 216>). 8 Nach Auffassung der Beschwerdeführer verstößt die in § 10 Abs. 3 SGB V geregelte Differenzierung zwischen den in der gesetzlichen Krankenversicherung und der privaten Krankenversicherung versicherten Kindern gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, weil sich aus der Gesetzesbegründung des GKV-WSG ergebe, dass die Mittel des Bundes zur anteiligen Finanzierung der nach § 10 SGB V beitragsfreien Mitversicherung von Kindern verwandt werden sollten. Der Bundeszuschuss decke die Kosten der Familienversicherung nunmehr fast vollständig ab. 9 § 221 Abs. 1 und 2 SGB V in der Fassung des GKV-WSG, gültig vom 1. April 2007 bis 30. Juni 2008, lautet: 10 Beteiligung des Bundes an Aufwendungen 11 (1) Der Bund leistet zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen für das Jahr 2007 und das Jahr 2008 jeweils 2,5 Milliarden Euro in halbjährlich zum 1. Mai und zum 1. November zu überweisenden Teilbeträgen über das Bundesversicherungsamt an die Krankenkassen. Die Leistungen des Bundes erhöhen sich in den Folgejahren um jährlich 1,5 Milliarden Euro bis zu einer jährlichen Gesamtsumme von 14 Milliarden Euro. Die Spitzenverbände der Krankenkassen bestimmen gemeinsam und einheitlich eine Krankenkasse oder einen Verband als zentrale Stelle für die Abrechnung mit dem Bundesversicherungsamt. Das Bundesversicherungsamt zahlt die Beteiligung des Bundes an die zentrale Stelle zur Weiterleitung an die berechtigten Krankenkassen. Ab dem Jahr 2009 erfolgen die Leistungen des Bundes in monatlich zum ersten Bankarbeitstag zu überweisenden Teilbeträgen an den Gesundheitsfonds. 12 (2) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Verteilung nach Absatz 1 zu bestimmen. Maßstab für die Verteilung sind die Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen. 13 Durch § 221 Abs. 1 SGB V wird der Bund verpflichtet, den gesetzlichen Krankenkassen als Abgeltung für versicherungsfremde Leistungen die im Gesetz genannten Geldleistungen zur Verfügung zu stellen. Eine Verwendung des Geldes für spezielle Personengruppen oder besondere Zwecke sieht das Gesetz nicht vor; es fließt in den allgemeinen Haushalt der Krankenkassen. Die Geldleistungen des Bundes führen deshalb - ungeachtet einer Gesetzesbegründung, die von „dem Einstieg in eine teilweise Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben (beitragsfreie Mitversicherung von Kindern) aus dem Bundeshaushalt“ spricht (vgl. BTDrucks 16/3100, S. 212), im Ergebnis zu einer alle Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen gleichmäßig begünstigenden Ermäßigung der Beitragssätze (§§ 241 ff. SGB V; vgl. BVerfGE 123, 186 <229>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2010 - 1 BvR 810/08 -, juris). Es trifft also nicht zu, dass der Bundeszuschuss gezielt zur Finanzierung der Familienversicherung verwendet würde. Richtig ist nur, dass über der Jahresarbeitsentgeltgrenze verdienende Personen wie der Ehemann der Beschwerdeführerin zu 1) als Steuerzahler zur Finanzierung dieses Bundeszuschusses beitragen, obwohl sie als Privatversicherte selbst keine Vorteile aus der gesetzlichen Krankenversicherung haben. Aus dem eigenen Steuerbeitrag folgt aber grundsätzlich kein Anspruch auf Teilhabe an vom Gesetzgeber gewährten familienpolitischen Leistungen wie der Familienversicherung der Kinder nach § 10 SGB V. 14 2. Eine Änderung der Rechtslage gegenüber der Senatsentscheidung vom 12. Februar 2003 (vgl. BVerfGE 107, 205) ergibt sich auch nicht aus der von den Beschwerdeführern herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen der Kinder (vgl. BVerfGE 120, 125). Dort wird festgestellt, dass es dem Gesetzgeber verwehrt sei, die von ihm durch das sozialhilferechtlich garantierte Versorgungsniveau selbst statuierte Sachgesetzlichkeit dadurch zu durchbrechen, dass er bei der Berücksichtigung entsprechender Versicherungsbeiträge der Steuerpflichtigen Grenzen ziehe, die durch vernünftige Typisierungserwägungen nicht mehr zu begründen seien. Dabei sei zu beachten, dass typisierende Regelungen im Bereich des Existenzminimums in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdeckten (vgl. BVerfGE 82, 60 <91>; 87, 153 <172>). Diese Grenzen seien hinsichtlich der Beiträge zur privaten Krankenversicherung der Kinder offensichtlich überschritten, wenn unter Berufung auf die Beitragsfreiheit von ca. 90 % aller Kinder aufgrund der Familienversicherung nach § 10 SGB V alle privat krankenversicherten Kinder vollständig „hinwegtypisiert“ werden (vgl. BVerfGE 120, 125 <166>). 15 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verlangt daher die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung der Krankenversicherungsbeiträge für die ca. 10 % privat versicherten Kinder, trifft aber keine Aussage dazu, ob Kinder auch dann im System der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei versichert werden müssen, wenn ein Elternteil mit einem Verdienst oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze, der das Einkommen des pflichtversicherten Ehegatten überschreitet, nicht pflichtversichert ist. Im Gegenteil setzt die Entscheidung gerade voraus, dass es Kinder gibt, die privat und damit für die Eltern nicht beitragsfrei versichert sind. 16 3. Das Bundesverfassungsgericht hält an seiner Rechtsprechung fest, dass verheiratete Elternteile durch Ausschluss der Kinder von der Familienversicherung bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V gegenüber unverheirateten Elternteilen zwar schlechter gestellt werden, diese Ungleichbehandlung aber nicht gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG verstößt. 17 Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Ungleichbehandlung von Ehen und eheähnlichen Lebensgemeinschaften durch die Regelung des § 10 Abs. 3 SGB V ist Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 67, 186 <195>). Es geht um die Frage einer Benachteiligung der Ehe gegenüber eheähnlichen Lebensgemeinschaften im Hinblick auf die Familienversicherung der Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung, für deren Leistungen die Versichertengemeinschaft aufzukommen hat. Bei dieser Gleichheitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass Art. 6 Abs. 1 GG der Freiheit des Gesetzgebers, welche Sachverhalte er gleich und welche er ungleich behandelt, Grenzen setzt (vgl. BVerfGE 103, 242 <258>). Es ist dem Gesetzgeber untersagt, die Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften zu diskriminieren (vgl. BVerfGE 69, 188 <205 f.>; 75, 382 <393>), insbesondere Verheiratete gegenüber Nichtverheirateten bei der Gewährung rechtlicher Vorteile zu benachteiligen (vgl. BVerfGE 67, 186 <195 f.>; 75, 382 <393>). Eine punktuelle gesetzliche Benachteiligung ist allerdings hinzunehmen, wenn die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf Ausgleich familiärer Belastungen abzielt, dabei Eheleute teilweise begünstigt und teilweise benachteiligt, die gesetzliche Regelung im Ganzen betrachtet aber keine Schlechterstellung von Eheleuten bewirkt (vgl. BVerfGE 107, 205 <215 f.>). 18 Die Kammer lässt es dahin gestellt, ob die Überlegungen des Senats zur unterhaltsrechtlichen Situation eheähnlicher Familien eine Schlechterstellung der Kinder verheirateter Eltern noch in gleicher Weise tragen, nachdem der Betreuungsunterhaltsanspruch nach § 1615l BGB für den Elternteil eines nichtehelich geborenen Kindes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007 (vgl. BVerfGE 118, 45) dem Anspruch nach § 1570 BGB für den geschiedenen Ehegatten angepasst wurde. 19 Die Ungleichbehandlung von Ehen mit Kind und eheähnlichen Gemeinschaften mit Kind in § 10 Abs. 3 SGB V findet ihre Rechtfertigung jedenfalls weiterhin in der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich befugt, generalisierende, typisierende und pauschalierende und auch pauschaliert quantifizierende Regelungen zu treffen (stRspr; vgl. BVerfGE 99, 280 <290>; 100, 138 <174>; 103, 392 <397>; 105, 73 <127>; 113, 167 <236>). 20 Eine Ausschlussregelung in § 10 Abs. 3 SGB V, die auch dann greift, wenn in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ein Partner nicht gesetzlich versichert ist, mehr verdient als der gesetzlich versicherte Partner und ein Einkommen oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze erzielt, wäre für die Krankenkasse nicht handhabbar. 21 Zwar knüpft das Sozialrecht in Einzelfällen durchaus Folgen an das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft an. Während es aber in der Regelung im Opferentschädigungsgesetz, die Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2004 (BVerfGE 112, 50) war, um den Einzelfall ging, dass der eine Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft an den Schädigungsfolgen einer Gewalttat verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt, ist der Familienversicherungstatbestand des § 10 SGB V ein Problem der Massenverwaltung. Kinder sind bis zu 25 Jahre familienversichert. Wollte man die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 SGB V jedoch auch beim Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft greifen lassen, hätte das einen langen Beobachtungszeitraum für die Verwaltung zur Folge. Da die eheähnliche Lebensgemeinschaft ohne formale Hürden und Dokumentation jederzeit aufgelöst werden kann, würde es eine für die Krankenkassen faktisch nicht zu leistende Aufgabe darstellen, kontinuierlich zu prüfen, ob eine solche Lebensgemeinschaft besteht, immer noch besteht oder wieder besteht. Das Versicherungsrecht des SGB V, in das die Familienleistung der beitragsfreien Versicherung der Kinder integriert ist, ist darauf angewiesen, dass die Versicherungstatbestände und die Ausschlusstatbestände klar rechtlich definiert sind. Die Ehe ist ein solcher rechtlich klar definierter und leicht nachweisbarer Tatbestand, das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ist es nicht. Die Krankenkassen wären überfordert, müssten sie Ermittlungen zum Verfestigungsgrad tatsächlich bestehender, wie auch immer rechtlich zu fassender eheähnlicher Lebensgemeinschaften anstellen. 22 4. Eine punktuelle gesetzliche Benachteiligung, wie sie verheiratete Elternteile durch Ausschluss der Kinder von der Familienversicherung bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V gegenüber unverheirateten Elternteilen trifft, ist hinzunehmen, wenn die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf den Ausgleich familiärer Belastungen abzielt, dabei Eheleute teilweise begünstigt und teilweise benachteiligt, die gesetzliche Regelung im Ganzen betrachtet aber keine Schlechterstellung von Eheleuten bewirkt (vgl. BVerfGE 107, 205 <215 f.>). 23 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 12. Februar 2003 ausdrücklich festgestellt, dass durch die unterschiedliche Behandlung bei einer Gesamtbetrachtung Eheleute nicht schlechter gestellt seien (vgl. BVerfGE 107, 205 <216>). So sähen die Regelungen über die Familienversicherung in § 10 SGB V rechtliche Vorteile vor, die nur zur Geltung kämen, wenn eine Ehe vorliege. So könne nach § 10 Abs. 1 SGB V der Ehepartner, der Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sei, dem anderen Ehepartner, der nicht selbst Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung sei, beitragsfreien Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung vermitteln. Eine solche Möglichkeit sei Partnern einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nicht eröffnet. 24 Zwar kommt der Vorteil der beitragsfreien Mitversicherung des Ehegatten nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V den oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze gutverdienenden Ehegatten nie zugute. Die beitragsfreie Mitversicherung des Ehegatten ist nach dieser Bestimmung sogar schon ausgeschlossen, wenn dieser ein Siebtel der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV verdient. Die über den Ausschluss der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder nach § 10 Abs. 3 SGB V schlechter gestellte Gruppe (Ehegatten mit einem Einkommen oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze) kommt somit niemals selbst in den Genuss der beitragsfreien Mitversicherung. Sie gehört zu der Gruppe grundsätzlich von der beitragsfreien Mitversicherung ausgeschlossener Ehegatten mit einem Gesamteinkommen oberhalb der Grenze des § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V. Ein Ausgleich der Schlechterstellung hinsichtlich der Kinderversicherung findet für die von § 10 Abs. 3 SGB V erfasste Gruppe somit nicht im Krankenversicherungsrecht statt. Jedoch wird der Ausschluss der Familienversicherung der Kinder nach § 10 Abs. 3 SGB V über die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen der Kinder jedenfalls teilweise ausgeglichen (vgl. BVerfGE 120, 125 <142>). Diese Kompensation genügt, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. 25 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. 26 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Kirchhof Schluckebier Baer
bundesverfassungsgericht
100-2002
22. November 2002
Zur Veröffentlichung von Anwalts-Ranglisten Pressemitteilung Nr. 100/2002 vom 22. November 2002 Beschluss vom 07. November 20021 BvR 580/02 Die 1. Kammer des Ersten Senats hat einer Verfassungsbeschwerde gegen zivilgerichtliche Entscheidungen stattgegeben, die den Beschwerdeführern (Bf) untersagten, in dem von ihnen verbreiteten "JUVE-Handbuch" Anwalts-Ranglisten zu veröffentlichen. Die entgegenstehenden gerichtlichen Entscheidungen wurden aufgehoben, die Sache zur Neuverhandlung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. 1. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Das Handbuch informiert vornehmlich über die Tätigkeit wirtschaftsrechtlich orientierter Anwaltskanzleien. Sein besonderes und allein streitiges Merkmal sind optisch hervorgehobene Listen, in denen namentlich genannten Anwaltskanzleien ein bestimmter Rang zugewiesen wird. In der Einleitung des Handbuchs wird erläutert, dass die redaktionellen Mitteilungen auf Befragungen mit Akteuren am Markt, Anwälten, Mandanten und juristischen Akademikern beruhen. Unter jeder Rangliste findet sich der Hinweis, die Auswahl der Kanzleien sei eine subjektive und gebe lediglich die auf zahlreichen Interviews basierende Recherche der Redaktion wieder. Zusätzlich enthält das Handbuch einen Werbeteil, in dem Rechtsanwälte gegen Entgelt Inserate aufgeben.Das Oberlandesgericht gab im Berufungsverfahren der gegen die Ranglisten gerichteten Unterlassungsklage zweier Münchner Rechtsanwälte statt. Es bejahte einen Verstoß gegen § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) unter dem Gesichtspunkt der "getarnten Werbung". Die Revision der Bf blieb ohne Erfolg. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügten sie eine Verletzung ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Im Verlauf des Verfahrens teilten sie mit, in der geplanten 5. Auflage des Handbuchs die Grundlagen der wertenden Aussagen über die besprochenen Anwaltskanzleien eingehender darzulegen und auch unter jeder Rangliste den subjektiven Charakter der Bewertung deutlicher hervortreten zu lassen. Die Kammer hat alsdann dem Eilantrag, die Veröffentlichung der Neuauflage zu ermöglichen, in der einstweiligen Anordnung vom 1. August 2002 stattgegeben. 2. In der Entscheidung der Kammer heißt es unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen: Das angegriffene Unterlassungsgebot verletzt die Bf in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit. a) Die untersagten Ranglisten enthalten abweichend von der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht Tatsachen, sondern wertende Äußerungen über die Leistungen der aufgeführten Kanzleien. Die Einordnung einer Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die rechtliche Beurteilung von weichenstellender Bedeutung. Werturteile sind grundsätzlich frei; sie können nur unter besonderen Umständen beschränkt werden. b) Die bisherigen Ausführungen der Gerichte reichen nicht für die Feststellung, dass die Ranglisten ein in § 1 UWG geschütztes Rechtsgut gefährden, dessen Schutz Vorrang vor der Freiheit der Meinungsäußerung hat. Schutzgut des § 1 UWG ist insbesondere der Leistungswettbewerb. Hier geht es um den Wettbewerb zwischen Rechtsanwälten. Die Ranglisten betreffen Transparenz und Offenheit des Anwaltsmarktes. Durch Beschränkung auf verhältnismäßig wenige Kanzleien, insbesondere auf Großkanzleien, geben sie diesen einen Wettbewerbsvorsprung; auch werden neu gegründete Kanzleien allenfalls mit erheblicher zeitlicher Verzögerung einbezogen. Indem das Oberlandesgericht allein auf die wettbewerbsrechtliche Fallgruppe der "getarnten Werbung" abhebt, lässt es Bedeutung und Tragweite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG außer Acht. Die Fallgruppe ist in hohem Maße auf wertende Einschätzungen und Prognosen angewiesen. Daher muss zusätzlich im konkreten Fall festgestellt werden, ob das von § 1 UWG geschützte Rechtsgut gefährdet ist. Hieran fehlt es. Das Oberlandesgericht ist insbesondere nicht auf die Frage eingegangen, ob etwa die Werbewirkung journalistischer Beiträge dem Leistungswettbewerb in der Anwaltschaft zuwiderlaufe, ob die angesprochenen Kreise die im Handbuch dargelegten Bewertungsgrundlagen nicht selbst zu werten wüssten oder ob der Verlag in sittenwidriger Weise auf die Aufgabe von Inseraten hingewirkt habe. c) Sollte schließlich eine hinreichende Gefährdung des Schutzgutes festgestellt werden, fehlt es an tragfähigen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsgebots. Möglicherweise reichen klarstellende Hinweise auf die Quellen der Ranglisten zur Abwehr einer solchen Gefährdung aus. Unter diesem Gesichtspunkt sind bei der Neuverhandlung der Sache auch die für die 5. Auflage angekündigten zusätzlichen Erläuterungen zu prüfen. Karlsruhe, den 22. November 2002 Anlage zu Pressemitteilung Nr. 100/2002 vom 22. November 2002 § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) Wer im geschäftlichen Verkehre zu Zwecken des Wettbewerbes Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen, kann auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden. nach oben
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 580/02 - Im Namen des Volkes In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde   1. der J U V E Verlag für juristische Informationen GmbH, gesetzlich vertreten durch ihre Geschäftsführer, 2. der Frau Dr. G..., 3. des Herrn G...   - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Peter Nolte und Koll., Warburgstraße 50, 20354 Hamburg -   gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. Februar 2002 - I ZR 155/01 -, b) das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 8. Februar 2001 - 29 U 4292/00 -   hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem     am 7. November 2002 einstimmig beschlossen:   Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 8. Februar 2001 - 29 U 4292/00 - und der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. Februar 2002 - I ZR 155/01 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen. Den Beschwerdeführern sind die notwendigen Auslagen von der Bundesrepublik Deutschland zu erstatten. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf bis 35.000 Euro festgesetzt.   Gründe: 1 Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind zivilgerichtliche Entscheidungen, mit denen die Veröffentlichung optisch hervorgehobener Rangeinstufungen (Ranking-Listen) in einem Handbuch über wirtschaftsrechtlich orientierte Anwaltskanzleien untersagt wird. I. 2 1. Die Beschwerdeführerin zu 1 gibt seit dem Jahre 1998 das jährlich erscheinende "JUVE-Handbuch" heraus. Die Kläger des Ausgangsverfahrens, zwei niedergelassene Rechtsanwälte, nahmen die Beschwerdeführer wegen der in dem Handbuch enthaltenen Anwalts-Ranglisten nach § 1 UWG auf Unterlassung in Anspruch. Das Oberlandesgericht gab im Berufungsrechtszug der Klage statt (vgl. NJW 2001, S. 1950 = ZIP 2001, S. 1116). Der Bundesgerichtshof hat die Revision nicht zur Entscheidung angenommen. 3 Die Verfassungsbeschwerde rügt eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG. Mit der einstweiligen Anordnung vom 1. August 2002 hat die Kammer die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts München im Hinblick auf die geplante 5. Auflage des Handbuchs einstweilen eingestellt. 4 2. Die Kläger des Ausgangsverfahrens, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs und der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft haben zur Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. II. 5 Die Voraussetzungen einer Stattgabe durch die Kammer nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG sind gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 12. Dezember 2000 (BVerfGE 102, 347 - Benetton-Werbung) eine Grundsatzentscheidung zur Bedeutung des Grundrechts auf Meinungs- und Pressefreiheit im Wettbewerbsrecht getroffen. Damit sind die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fragen im Wesentlichen geklärt. Nach den in dieser Entscheidung niedergelegten Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde begründet. 6 Im Anschluss an das Urteil vom 12. Dezember 2000 hat die Kammer in den Beschlüssen vom 1. August 2001 (NJW 2001, S. 3403) und vom 6. Februar 2002 (NJW 2002, S. 1187) zu Bedeutung und Tragweite des Grundrechts für den Inhalt von Werbeaussagen Stellung genommen. Für die vorliegende Sache gilt unter Bezugnahme hierauf Folgendes: 7 1. Das Oberlandesgericht hat bei Auslegung und Anwendung von § 1 UWG Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verkannt. 8 a) Die untersagten Ranglisten enthalten schwerpunktmäßig wertende Äußerungen, nicht jedoch Tatsachenbehauptungen. 9 Eine Meinung ist im Unterschied zur Tatsachenbehauptung durch das Element des Wertens, insbesondere der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl. BVerfGE 61, 1 <9>; 85, 1 <14>). Die Listen geben eine von der Redaktion erstellte Rangordnung der aufgeführten Kanzleien wieder. Sie lassen erkennen, dass dadurch über deren Leistungen ein Werturteil abgegeben wird. Dieses baut allerdings auf Interviews auf, also auf Auskünften Dritter, wie der jeweils am Ende wiedergegebene Hinweis zeigt. Die Fundierung der Wertungen in tatsächlichen Erhebungen ändert aber nichts daran, dass Werturteile formuliert werden. Auch in den Interviews wurden wertende Äußerungen erhoben und zur Grundlage der Auswertung genommen. 10 Soweit sich den Entscheidungsgründen Anhaltspunkte entnehmen lassen, geht das Oberlandesgericht demgegenüber davon aus, bei den Ranglisten handele es sich um die Äußerung von Tatsachen. Den aus den Ranggruppen zu ersehenden Angaben zur Qualifikation der genannten Rechtsanwälte wird ausdrücklich tatsächlicher Charakter beigemessen. Im gleichen Zusammenhang ist von objektiven Vergleichskriterien die Rede. An anderer Stelle werden die Ranggruppen als objektiv nicht zu rechtfertigende und als unrichtige Information charakterisiert, deren sachliche Richtigkeit auch von den Beschwerdeführern nicht behauptet werde. Dies alles setzt ein Verständnis der Tabellen als Tatsachenäußerung voraus. 11 b) Auf der unzutreffenden Einordnung der Äußerungen als Tatsachenbehauptungen beruht das Berufungsurteil. Werden die Äußerungen bei erneuter Verhandlung der Sache als Werturteil eingeordnet, besteht die Möglichkeit, dass ein dem Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis erzielt wird. Die dahingehende Möglichkeit reicht für die Annahme eines Zusammenhangs zwischen der Grundrechtsverletzung und der angegriffenen Entscheidung aus (vgl. BVerfGE 61, 1 <13>; 99, 185 <201 f.>). 12 aa) Die Einordnung einer Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung ist für die rechtliche Beurteilung von Eingriffen in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach der Rechtsprechung der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts von weichenstellender Bedeutung (vgl. BVerfGE 61, 1 <7 f.>; 99, 185 <196 f.>; stRspr). Führt eine Tatsachenbehauptung zu einer Rechtsverletzung, hängt das Ergebnis der Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter vom Wahrheitsgehalt der Äußerung ab. Bewusst unwahre Tatsachenäußerungen genießen den Grundrechtsschutz überhaupt nicht (vgl. BVerfGE 54, 208 <219>). Ist die Wahrheit nicht erwiesen, wird die Rechtmäßigkeit der Beeinträchtigung eines anderen Rechtsguts davon beeinflusst, ob besondere Anforderungen, etwa an die Sorgfalt der Recherche, beachtet worden sind. Werturteile sind demgegenüber keinem Wahrheitsbeweis zugänglich. Sie sind grundsätzlich frei und können nur unter besonderen Umständen beschränkt werden (vgl. BVerfGE 85, 1 <16 f.>). 13 bb) Wird die Rangliste zutreffend als Werturteil eingeordnet, lässt sich nach den bisherigen Erkenntnissen des Oberlandesgerichts nicht feststellen, dass sie ein in § 1 UWG geschütztes Rechtsgut gefährdet und dessen Schutz Vorrang vor der Freiheit der Meinungsäußerung hat. 14 (1) Schutzgut des § 1 UWG ist nach der fachrichterlichen Rechtsprechung insbesondere der Leistungswettbewerb. Zum Schutz der Wettbewerber und sonstiger Marktbeteiligter, aber gegebenenfalls auch gewichtiger Interessen der Allgemeinheit, werden durch die Norm Verhaltensweisen missbilligt, welche die Funktionsfähigkeit des an der Leistung orientierten Wettbewerbs im wettbewerblichen Handeln einzelner Unternehmen oder als Institution stören, so zum Beispiel durch unlautere Einflussnahmen auf die freie Entschließung der Kunden (vgl. BGHZ 140, 134 <138 f.>; BGH NJW 2000, S. 864; BGHZ 144, 255 <265 f.>; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., München 2001, Einl UWG, Rn. 100 ff.). Diese Schutzgutbestimmung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, NJW 2001, S. 3403 <3404>; 2002, S. 1187 <1188>). Ob § 1 UWG noch weitere Schutzgüter umfasst (so, wenn auch ohne Spezifizierung, BGH, VersR 2002, S. 456 <462> - "H.I.V. Positive" II), brauchte vom Bundesverfassungsgericht in den bisher entschiedenen Sachen nicht erörtert zu werden; auch der vorliegende Fall bietet hierzu keinen Anlass. Die Auslegung des einfachen Rechts und damit auch die Herleitung von Schutzgütern aus einer Rechtsnorm ist Aufgabe der Fachgerichte (BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 84, 372 <379>; 85, 248 <257 f.>; 102, 347 <362>). 15 (2) Berührt ist vorliegend der Wettbewerb zwischen Rechtsanwälten. Die streitigen Ranglisten betreffen insbesondere die Transparenz des Anwaltsmarktes. Durch Beschränkung auf verhältnismäßig wenige Kanzleien, insbesondere auf Großkanzleien, geben die Ranglisten diesen einen Wettbewerbsvorsprung. Die Listen beeinflussen auch die Offenheit des Anwaltsmarktes, weil sie neu gegründete Kanzleien im Regelfall nicht oder doch nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung einbeziehen. 16 (3) Eine auf § 1 UWG gestützte Einschränkung der Meinungsfreiheit setzt im konkreten Fall Feststellungen zur Gefährdung des Leistungswettbewerbs durch sittenwidriges Verhalten voraus. Das Oberlandesgericht stellt unter Bezugnahme auf die vom Bundesgerichtshof in den Urteilen "Die Besten" I und II (BGH, NJW 1997, S. 2679; 2681) erarbeiteten Grundsätze tragend auf die Fallgruppe der getarnten Werbung ab, also eine Fallgruppe, die einen Bezug auf den auch im Medienrecht enthaltenen Grundsatz der Trennung von redaktionellem Text und Werbung herstellt. Allein auf die Anwendbarkeit dieser Fallgruppe wird die Annahme der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 1 UWG gestützt. Das ist mit den sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG herleitenden Vorgaben nicht vereinbar. 17 Die Orientierung an Fallgruppen und damit an typischen Situationen der Gefährdung des Schutzguts ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die betreffenden Fallgruppen den miteinander kollidierenden grundrechtlichen Positionen hinreichend Rechnung tragen. Dies kann in abstrakter Weise geschehen. Verweist die Fallgruppe aber auf Prognosen und die Anwendung unbestimmter, insbesondere wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe, ist die Rechtsanwendung nicht eindeutig vorgegeben. Dann sind auf den konkreten Fall bezogene Feststellungen zur Gefährdung des von § 1 UWG geschützten Rechtsgutes und bei Kollisionen unterschiedlicher Rechtsgüter eine die betroffenen Interessen erfassende Abwägung erforderlich (vgl. BVerfG, NJW 2002, S. 1187 <1188>). Dementsprechend ist das Bundesverfassungsgericht im Benetton-Urteil nicht von den Tatbestandselementen der einschlägigen Fallgruppe ausgegangen, sondern hat das angegriffene Unterlassungsgebot selbständig am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bewertet (vgl. BVerfGE 102, 347 <364 ff.>). 18 Von den Tatbestandselementen der von der Rechtsprechung zu § 1 UWG entwickelten Fallgruppen kann eine aus praktischer Erfahrung gewonnene Indizwirkung für die Gefährdung des Leistungswettbewerbs und damit zusammenhängend die Sittenwidrigkeit ausgehen. Allerdings müssen die Fachgerichte prüfen, ob die Indizwirkung im konkreten Fall ausreicht, um die Rechtsfolge, eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, NJW 2002, S. 1187 <1188>). 19 Die Fallgruppe der getarnten Werbung ist nicht eindeutig eingegrenzt, sondern bei der Rechtsanwendung in hohem Maße auf wertende Einschätzungen und Prognosen der Folgen einer solchen Werbung angewiesen. Das gilt insbesondere für die Merkmale der sachlichen Unterrichtung, der Werbewirkung und deren Übermaß beziehungsweise Einseitigkeit. Wird die Fallgruppe der getarnten Werbung auf die journalistische Tätigkeit durch ein Medienunternehmen angewandt, bieten die im Wettbewerbs- und Medienrecht entwickelten Grundsätze über die Trennung von redaktionellem Teil und Anzeigenteil Anhaltspunkte der Bewertung und damit der Feststellung einer Gefährdung des Schutzgutes im konkreten Fall. 20 Eine spezifische Gefahr für den Leistungswettbewerb, die von den Ranglisten als solchen ausgeht, wird in den Entscheidungsgründen nicht dargelegt. Dass ein journalistischer Beitrag über Anwaltskanzleien mit Werbewirkung allgemein oder im konkreten Fall dem Leistungswettbewerb in der Anwaltschaft zuwiderläuft, etwa mit Rücksicht auf die Funktion der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO), hätte der näheren Begründung bedurft. Soweit das Oberlandesgericht auf die begrenzte Offenlegung der Bewertungsgrundlagen und -kriterien abstellt, fehlen im Berufungsurteil Feststellungen insbesondere dazu, dass die angesprochenen Kreise die Erläuterungen nicht selbst angemessen zu werten wissen oder dass die verbleibenden Unklarheiten Gefahren für den Leistungswettbewerb bedingen. 21 Es ist auch nicht festgestellt worden, dass durch die Veröffentlichung von Ranglisten in sittenwidriger Weise auf die Aufgabe von Inseraten hingewirkt wird. Auch dies hätte einer die spezifische Gefährdung des Leistungswettbewerbs einbeziehenden Begründung bedurft. Dafür reicht der Hinweis auf das Interesse der Beschwerdeführer an der Akquisition von Anzeigenaufträgen nicht aus. Anzeigenfinanzierte Medien sind regelmäßig darauf angewiesen, zur Schaltung von Anzeigen zu motivieren. Die Bewertung als sittenwidrig erfordert die Feststellung zusätzlicher Umstände, die etwa gegeben sind, wenn durch Vortäuschung einer neutralen redaktionellen Leistung ein werbender, auf die Akquisition gerichteter Inhalt verborgen wird. Entsprechende Feststellungen hat das Oberlandesgericht nicht getroffen. 22 cc) Schließlich fehlt es für den Fall, dass eine hinreichende Gefährdung des Schutzguts festgestellt werden sollte, an tragfähigen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsgebots. 23 Ein umfassendes Unterlassungsgebot ist nicht erforderlich, wenn klarstellende Zusätze, etwa Hinweise auf die Quellen der Ranglisten, ausreichen, um Irreführungen und eine hierdurch hervorgerufene Beeinträchtigung des Leistungswettbewerbs auszuschließen. Eine dahingehende einschränkende Verurteilung ist, wenn nicht der Klageantrag diese Möglichkeit ohnehin berücksichtigt, nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung auch bei einem umfassenden Unterlassungsbegehren zulässig (vgl. BGHZ 78, 9 <18 ff.>). Im Zuge des Verfahrens über die einstweilige Anordnung haben die Beschwerdeführer zum Teil neue klarstellende Formulierungen für die Neuauflage des Handbuchs angekündigt, mit denen sie den Bedenken des Oberlandesgerichts Rechnung tragen wollen. Bei der Neuverhandlung der Sache wird zu prüfen sein, ob eine vom Oberlandesgericht möglicherweise bejahte Gefährdung des Leistungswettbewerbs auf solche Weise abgewehrt werden kann. Die neuen Formulierungen sind vom Bundesverfassungsgericht bislang allerdings nur im Rahmen der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmenden Abwägung, nicht hingegen in der Sache selbst einer Würdigung unterzogen worden. 24 2. Da die Entscheidung des Bundesgerichtshofs möglicherweise auf denselben Erwägungen beruht wie das Berufungsurteil, verletzt auch sie die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 25 3. a) Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG festzustellen. Auf die weiter gehenden Grundrechtsrügen kommt es nicht an. Die angegriffenen Entscheidungen werden gemäss § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, weil die erneute Bearbeitung in einer Tatsacheninstanz angezeigt ist. 26 b) Gemäß § 34 a BVerfGG sind den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen von der Bundesrepublik Deutschland zu erstatten. Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO. 27 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.   Papier Steiner Hoffmann-Riem
bundesverfassungsgericht