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Die Lokomotiven der Reihe 20 der Jugoslovenske Državne Železnice (JDŽ) sind Schlepptenderdampflokomotiven für den gemischten Einsatz vor Reise- und Güterzügen mit der Achsfolge 1’C. Ursprünglich waren die ersten Lokomotiven der Reihe für die Chemins de fer Orientaux erbaut worden, die sie für den Einsatz auf der Bahnstrecke Thessaloniki–Monastir vorgesehen hatte. Vor dem Zweiten Weltkrieg war sie die meistverbreitete Reihe jugoslawischer Dampflokomotiven, sowohl auf dem Normalspurnetz als auch dem umfangreichen Schmalspurnetz in Bosnischer Spurweite (760 mm) gab es keine andere Baureihe mit dieser Stückzahl. Geschichte. Zwischen 1912 und 1922 wurden insgesamt 243 Lokomotiven hergestellt. Die ersten drei Lokomotiven mit den CFO-Nummern 521–523 wurden 1912 von Borsig für die "Compagnie des Chemins de fer Orientaux" (CFO) hergestellt, die sie auf der von ihr verwalteten Bahnstrecke Thessaloniki–Monastir ("Chemin de fer de Salonique à Monastir" (SM)) einsetzen wollte. Der Erste Balkankrieg verhinderte dies, die vorrückende serbische Armee fand die drei noch nicht in Betrieb genommenen Lokomotiven während ihres Vormarschs im Oktober 1912 in Skopje vor und gliederte sie in den Bestand der serbischen Bahnen ein. Serbien. Die CFO-Lokomotiven überzeugten die Maschinenabteilung der serbischen Staatsbahn "Srpske državne železnice" (SDŽ) auf Anhieb, so dass sie bei Borsig 20 den CFO-Lokomotiven entsprechende Lokomotiven bestellte, die bereits 1913 ausgeliefert wurden und die Nummern 601–620 erhielten. Eine weitere Serie von 20 Stück wurde anschließend bestellt, bedingt durch den Beginn des Ersten Weltkriegs kamen davon 1914 lediglich noch drei Stück zur Auslieferung. Griechenland. Nach dem Ende des ersten Balkankriegs musste Serbien die ursprünglichen drei CFO-Lokomotiven wieder abgeben, da ihre vorgesehene Einsatzstrecke jetzt zum größten Teil in Griechenland lag. 1920 wurden sie von der griechischen Staatsbahn "Sidirodromoi Ellinikou Kratos" (SEK) als Baureihe Εγ (Epsilon-gamma) mit den Nummern 241–243 übernommen. k.u.k. Heeresbahn. Die k.u.k. Heeresbahn (k.u.k. HB) bestellte bei Henschel & Sohn 20 weitere Lokomotiven, die 1916 von Borsig im Auftrag von Henschel hergestellt und an die k.u.k. HB geliefert wurden. Diese erhielten die Nummern 860.001–020. Außerdem übernahm die k.u.k. HB die SDŽ-Lokomotiven 605 und 615 als 860.021–022. Jugoslawien. Die "Železnice Kraljevine Srba, Hrvata i Slovenaca" (SHS), die Staatsbahn im "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen", übernahmen 17 der SDŽ-Lokomotiven mit den Nummern 601–613, 615, 617–618 und 620, die die SDŽ-Nummern behielten. Die beiden während des Weltkriegs in den Bestand der k.u.k. Heeresbahn übernommenen Lokomotiven erhielten ihre alten SDŽ-Nummern 605 und 615 zurück. Außerdem wurden acht der 1916 für die Heeresbahn erbauten Lokomotiven mit den Nummern 860.003–004, 006, 008–009, 011, 016 und 020 in den SHS-Bestand übernommen und nicht umgezeichnet. 1922 wurden von Borsig, Henschel, Hanomag, AEG, Krauss in München und Rheinmetall als Reparationsleistung 200 Lokomotiven gebaut, die die SHS-Nummern 6001–6200 erhielten.<ref name="SHS/JDZ"></ref> Die 1929 gegründeten "Jugoslovenske državne železnice" (JDŽ) zeichneten die Reparationslokomotiven 1933 in 20-001 bis 20-200 um. Die ehemaligen SDŽ-Lokomotiven wurden in unveränderter Reihenfolge in 20-201 bis 20-217 umgezeichnet. Die ehemaligen k.u.k. HB-Lokomotiven wurden in veränderter Reihenfolge als 20-218 bis 20-225 neu nummeriert: Sie wurden auf allen Strecken Kroatiens und Serbiens im Reisezugdienst, in der Ebene auch vor schweren Güterzügen, gelegentlich sogar im leichten Schnellzugdienst eingesetzt. Nach dem Balkanfeldzug teilten die deutschen Sieger und ihre Verbündeten das besetzte Jugoslawien 1941 auf. Entsprechend ging auch der Lokomotivpark an die Bahnen der Nachbarstaaten oder der neugegründeten deutschen Vasallenstaaten. Von der Reihe 20 gingen sechs Lokomotiven an Italien, 126 an die kroatische Staatsbahn "Hrvatske državne železnice" (HDŽ) des neuen Unabhängigen Staats Kroatien, 71 an die wieder gegründete SDŽ und 22 an die bulgarische Staatsbahn "Balgarski Darschawni Schelesnizi" (BDŽ). Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kamen abgesehen von Kriegsverlusten alle Lokomotiven wieder in den Bestand der JDŽ. Die letzten Exemplare der Reihe wurden bis Mitte der 1970er Jahre in Serbien und Kroatien eingesetzt. Polen. Die polnische Staatsbahn "Polskie Koleje Państwowe" (PKP) übernahm nach ihrer Gründung 1919 vier Lokomotiven aus dem Bestand der k.u.k. Heeresbahn. Drei davon erhielten 1925 noch die PKP-Nummern Ti17-1 bis Ti17-3. Alle kamen 1939 zum sowjetischen Volkskommissariat für Transportwesen (NKPS). Rumänien. Die rumänische Staatsbahn "Căile Ferate Române" (CFR) übernahm 8 k.u.k. HB-Lokomotiven mit den Nummern 860.005, 007, 010, 012, 015 und 017–019, die die k.u.k. HB-Nummern behielten. Die 860.019 wurde 1936 ausgemustert, die übrigen vor 1934. Während des Zweiten Weltkriegs kam die zuvor zeitweise im Bestand des sowjetischen NKPS befindliche PKP Ti17-1 als 130.909 in den Bestand der CFR. Später verblieb sie bei den SŽD. Bulgarien. Die bulgarische Staatsbahn "Balgarski Darschawni Schelesnizi" (BDŽ) übernahm 1941 mit der Annexion von Mazedonien 22 Lokomotiven der JDŽ als 15.01–22. 1945 kamen die Lokomotiven wieder zurück an Jugoslawien. Sowjetunion. Das sowjetische Volkskommissariat für Transportwesen (NKPS) erfasste 1939 alle drei PKP Ti17. Während des Zweiten Weltkriegs kam die Ti17-1 zur CFR und die Ti17-2 zur Ostbahn (DR-Ost) ins Generalgouvernement, wo sie 1944 ausgemustert wurde. Der Verbleib der Ti17-3 ist den Quellen nicht zu entnehmen. Nach dem Krieg kam die Ti17-1 zu den sowjetischen Eisenbahnen "Sowetskije schelesnyje dorogi" (SŽD), die sie als Ти 17-1 (Ti 17-1) einreihten. Der weitere Verbleib ist nicht bekannt. Österreich. Nach dem Zweiten Weltkrieg befanden sich die 20-109, die 20-124 und die 20-126 auf österreichischem Gebiet im Bestand der Österreichischen Staatsbahn (ÖStB) in der sowjetischen Besatzungszone. Während des Kriegs waren sie im Bestand der SDŽ gewesen. 1946 wurden sie an die JDŽ zurückgegeben. Albanien. Die albanische Staatsbahn "Hekurudha e Shqipërisë" (HSH) übernahm 1945 von der Direktion Skopje der JDŽ zwei Lokomotiven, die 20-136 und eine weitere, die die Nummern behielten. Die 20-136 soll später abgestellt worden sein, von der nicht identifizierten Lokomotive wird berichtet, dass sie verschrottet wurde. Technik. Die Lokomotiven dieser Reihe wurden in dem von Borsig vor dem Ersten Weltkrieg gepflegten „englischen Stil“ konstruiert, der sich durch runde Formen und weitgehenden Verzicht auf Anbauten und Leitungen am Kessel auszeichnet. Bei der Reihe 20 sind der runde Dampfdom und die Schornsteinkrempe im Stil der Caledonian Railway dafür typische Merkmale. Optisch auffällig war vor allem der vordere Überhang, bei dem die Mittellinie des Schornsteins 460 Millimeter vor der Laufachse angeordnet wurde. Die Lokomotiven wurden mit Überhitzer und Kolbenschiebern ausgestattet und entsprachen damit dem Stand der Technik während ihrer Bauzeit. Erhaltene Lokomotiven. Mehrere Lokomotiven blieben in einem Teil der Nachfolgestaaten Jugoslawiens erhalten. Serbien. Drei Lokomotiven blieben in Serbien erhalten (Stand 2003):<ref name="Serbien/Montenegro"></ref> Kroatien. In Kroatien, dem früheren Haupteinsatzgebiet der Reihe 20, blieb die 1922 von Rheinmetall unter der Fabriknummer 527 hergestellte 20-184 (ex SHS 6184) als Denkmal in Jasenovac erhalten. Slowenien. In Slowenien ist die 20-183 (ex SHS 6183), 1922 von Rheinmetall unter der Fabriknummer 526 hergestellt, als Denkmal am Bahnhof von Trebnje erhalten geblieben. (siehe Bild in der Infobox)
Die Prachteiderente ("Somateria spectabilis"), auch Königseiderente, ist eine Vogelart aus der Gattung der Eiderenten ("Somateria") und der Familie der Entenvögel (Anatidae). Die Art, deren Männchen ein unverwechselbares Prachtkleid haben, brütet zirkumpolar an den Küsten und Inseln des nördlichen Eismeers. Wie bei vielen arktischen Vogelarten ist der Bestand der Prachteiderente starken Schwankungen unterworfen. Sie gilt jedoch insgesamt als nicht gefährdet. Während des Winterhalbjahres sind sie an den Küsten Skandinaviens und Islands zu beobachten. An den Küsten der Nord- und Ostsee sind sie nur vereinzelt als Irrgast zu sehen. Aussehen. Erscheinungsmerkmal adulter Prachteiderenten. Die Prachteiderente ist etwas kleiner als die zur selben Gattung gehörende Eiderente ("Somateria mollissima"). Das Männchen, der Erpel, ist unverwechselbar mit seinem schwarz gefärbten Körper, der weißen bis lachsfarbenen Brust und dem hellblauen Oberkopf und Nacken. Die Nackenfedern sind leicht verlängert, so dass sich eine Federhaube andeutet. Auffälligstes Merkmal des Erpels ist der zu einem Stirnhöcker erweiterte rote Oberschnabel. Er ist durch einen schwarzen Federkranz vom hellblauen Oberkopf abgesetzt. Die Wangen sind meergrün. Kinn und Kehle sind weiß. Das schwarze Gefieder des hinteren Körperteils ist durch ein schmales weißes Seitenband und einen fast runden weißen Fleck an den Bürzelseiten scharf abgesetzt. Geschlechtsreife Erpel haben wie die Weibchen sichelförmig gekrümmte innere Armschwingen. Im Ruhekleid sind die weißen Federn am Oberkopf durch schwarzbraune ersetzt. Die Kopfseiten und die Vorderbrust ist hell zimtbraun. Das übrige Körpergefieder ist dunkelbraun bis schwarzbraun. Das Weibchen hat ein braunes Gefieder. Es kann aber anhand der Größe und dem Körperbau leicht von allen Enten außer anderen Eiderenten unterschieden werden. Verglichen mit den Weibchen der Eiderente ist bei den Weibchen der Prachteiderente das Gefieder rötlicher, der Schnabel ist etwas kürzer, und das Körpergefieder ist anders als bei der Eiderente nicht gebändert, sondern wirkt mit Ausnahme des Kopfes schuppenförmig getüpfelt. Brust und die Körperunterseite sind schwarzbraun. Der Schnabel und die Füße haben eine grünbraune Färbung. Die Iris ist schmutziggelb. Das Ruhekleid des Weibchens gleicht dem Brutkleid. Allerdings sind die Farbkontraste etwas schwächer ausgeprägt, und das schuppenförmige Muster ihres Körpergefieders ist weniger auffällig. Erscheinungsbild der Jungvögel. Junge weibliche Prachteiderenten gleichen in ihrem Gefieder bereits den weiblichen Prachteiderenten sehr weitgehend. Allerdings ist die Tüpfelung noch wenig auffällig, und den Federsäumen fehlt das kräftige Zimtbraun, das bei den geschlechtsreifen Weibchen charakteristisch ist. Ähnlich wie bei den Eiderenten dauert es bei den jungen Erpeln einige Jahre, bis sie das Prachtkleid vollkommen ausgebildet haben. Im ersten Prachtkleid fehlt noch die blaue Kopfoberseite, und die weißen Federpartien sind noch von braunen Federn durchsetzt. Im zweiten Prachtkleid ist die Ähnlichkeit zum Prachtkleid adulter Erpel schon weitergegeben, erst im dritten Jahr aber gleicht es dem der geschlechtsreifen Vögel. Auch der Stirnhöcker entwickelt sich erst mit der Zeit. Er ist zwar nach der Mauser ins erste Prachtkleid schon leicht vorhanden. Voll ausgebildet ist er jedoch erst im 3. oder 4. Jahr. Stimme. Die Prachteiderente ist verglichen mit der Eiderente weniger ruffreudig. Der Balzruf des Männchens ist ein dumpfes "ruú go go." oder "gu-gruu gruúu-gruu". Er zeigt dabei die charakteristische "Verbeugung nach hinten", wie sie auch bei den Erpeln der Eiderente zu beobachten ist. Dabei legt das Männchen den Kopf weit in den Nacken und wölbt die Brust nach vorne. Die Weibchen antworten auf die Balzrufe mit einem sonoren, rauen "gok". Verbreitung und Lebensraum. Die Prachteiderente brütet entlang der arktischen Küste von Nordosteuropa, Asien und Nordamerika. Das Brutgebiet ist nicht geschlossen, sondern weist besonders im atlantischen Bereich weite Verbreitungslücken auf. Die Prachteiderente fehlt zum Beispiel als Brutvogel auf Island und den Küsten Norwegens, da auf Grund des warmen Golfstromes diese Regionen für Prachteiderenten nicht als Brutstätte in Frage kommen. Sie kommt auf den nördlichen Polarmeeren in Küstennähe vor, und wandert flussaufwärts auch bis zu 100 km ins Binnenland, wo sie dann oft an Seen brütet. Sie überwintert etwas weiter im Süden in Norwegen und im östlichen Kanada, wo sie in passenden Küstengewässern auch große Gruppen bilden kann. Schwerpunkt der Verbreitung ist die Subarktis. Ihre südliche Verbreitungsgrenze ist der Beginn der Strauchtundra. Sie brütet an der westlichen Küste Spitzbergens, auf der Halbinsel Kanin, der Jenissej-Mündung und an dem südlichen und mittleren Teil von Nowaja Semljas. Sie kommt an der Küste Nordostsibiriens vor und ist dort bis zur Tschuktschen-Halbinsel verbreitet. In Ostsibirien brütet sie gelegentlich auch im Binnenland. Prachteiderenten nutzen stärker als die Eiderenten die Gewässer der Tundra. Dies bedingt auch eine etwas andere Nahrungszusammensetzung. Die Überwinterungsquartiere der Prachteiderente sind die Teile der arktischen Meere, die eisfrei bleiben. Zu den Überwinterungsquartieren gehört die Südwestküste Grönlands. Sie überwintert in kleinerer Zahl auch in Island und an den nördlichen schottischen Inseln. Überwinterungsgäste gibt es in geringer Zahl auch der nördlichen und mittleren Küste Norwegens. Sie erscheint in dieser Jahreszeit auch verhältnismäßig häufig im nordöstlichen Teil der Ostsee. Es handelt sich dabei um Prachteiderenten, die auf den Inseln und an der Küste des Weißen Meeres brüten. An der dänischen, der südschwedischen sowie den west- und mitteleuropäischen Küsten ist die Prachteiderente ein verhältnismäßig seltener Irrgast. Nahrung. Die Prachteiderente ist eine omnivore Entenart. Allerdings spielt tierische Nahrung eine größere Rolle als pflanzliche. Hauptnahrung sind Wirbellose und zwar insbesondere Wasserinsekten wie Schnaken und Köcherfliegenlarven. Sie frisst außerdem in großen Mengen Mollusken und Stachelhäuter wie Seeigel, See- und Schlangensterne. Vermutlich nimmt sie auch Kleinnager zu sich, wenn diese sich in der Tundra stark vermehrt haben. An pflanzlicher Nahrung spielen vor allem die Samen von verschiedenen Wasserpflanzen eine Rolle. Prachteiderenten suchen ihr Futter weiter draußen im Wasser als Eiderenten, in der Regel können sie auch größere Tauchtiefen erreichen. Im Allgemeinen gehen sie im Salzwasser in einer Tiefe von 15 Metern auf Futterjagd. Prachteiderenten jagen länger als Eiderenten und können bis zu zwei Minuten unter Wasser bleiben. Im Sommer wird die Nahrung aus den aufgetauten Tundrenseen geholt und besteht dann zum größten Teil aus Insektenlarven sowie Süßwasserkrustentieren. Fortpflanzung. Prachteiderenten kehren in ihre Brutgebiete zurück, sobald diese eisfrei sind. Dies ist häufig erst ab Mitte Mai und in strengen Wintern sogar erst Anfang Juni der Fall. Fortpflanzungsfähige Prachteiderenten halten sich häufig geraume Zeit an der Meeresküste in der Nähe ihrer Brutgebiete auf, bis die klimatischen Bedingungen es zulassen, dass sie ihre Brutplätze aufsuchen. Prachteiderenten sind in der Regel schon verpaart, wenn sie in ihren Brutgebieten auftauchen. Die Balz wird aber bis zum Beginn der Brutphase fortgesetzt. Die Balzposen und -gesten gleichen weitgehend denen der Eiderente; die Prachteiderente bläht ihren weißen Hals allerdings stärker auf. Zu dem Balzrepertoire gehört auch eine nach vorne schiebende Kopfbewegung, die auf den Betrachter wirkt, als schöbe die Ente ein imaginäres Objekt weg. Prachteiderenten brüten meist einzeln. Das unterscheidet sie unter anderem von den Eiderenten, die große Brutkolonien bilden. Wo allerdings die Lebensumstände günstig sind, stehen die Nester der Prachteiderente nahe beieinander. Prachteiderenten brüten auch in der Nähe von Wildgänsen, in Möwenkolonien und bauen ihr Nest gelegentlich auch in Eiderentenkolonien. Sie bastardisieren gelegentlich mit der Eiderente. Nach bisherigen Beobachtungen gehen aus solchen Kreuzungen allerdings nur männliche Tiere hervor. Das Nest wird vom Weibchen gebaut und ist meist nicht mehr als eine flache Mulde. Wie die Eiderente nutzt die Prachteiderente die körpereigenen Daunen, um ihr Nest auszupolstern. Die Daunen der Prachteiderente sind gröber als die der Eiderente und das Nest wird mit deutlich weniger Daunen ausgelegt. Die Daunen spielen deshalb auch keine wirtschaftliche Rolle. Das Gelege umfasst zwischen vier und sieben Eier von grüner bis bräunlicher Farbe. Die Brutdauer, bis die Dunenjungen schlüpfen, beträgt zwischen 22 und 23 Tage. Bestand. Der Gesamtbestand an Prachteiderenten wird auf 790.000 bis 930.000 Individuen geschätzt. Der europäische Brutbestand beträgt davon nur 37.000 bis 46.000 Brutpaare, der aber als stabil und ungefährdet gilt. Der Winterbestand in Nordeuropa beträgt mehr als 350.000 Individuen.
Hentai Kamen (jap., dt. „perverse Maske“) ist ein japanischer Superheldenfilm aus dem Jahr 2013, der viele Elemente einer Filmkomödie bzw. einer Persiflage enthält. Er basiert auf Keishū Andos Manga-Reihe "Kyūkyoku!! Hentai Kamen". Handlung. Der Oberstufenschüler Kyosuke, Sohn einer Domina und eines früh verstorbenen Polizisten, hat einen starken Gerechtigkeitssinn und versucht stets zu helfen, wenn Schwache unterdrückt werden. Jedoch ist er ein so unterdurchschnittlicher Kempō-Kämpfer, dass er häufig verliert. Als die neue Schülerin Aiko in seine Klasse kommt, ist es bei Kyosuke so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Aiko wird jedoch bei einem Banküberfall als Geisel genommen. So schleicht sich Kyosuke in die Umkleidekabine und maskiert sich versehentlich mit einem Damenslip. Der Duft des Höschens erweckt seine „perversen Superkräfte“, eine Kombination aus der Schamlosigkeit seiner Mutter und dem Gerechtigkeitssinn seines Vaters, sodass Kyosuke den Geiselnehmern in einem bizarren Kostüm aus Maskenslip, Mankini und Damenstrümpfen gegenübertritt. Er bekämpft sie mit „perversen“ (d. h. homoerotischen, exhibitionistischen und Bondage-lastigen) Kempōtechniken und besiegt sie, indem er seinen Schritt mit übermenschlicher Wucht in ihre Gesichter rammt. Von da an kämpft er als Hentai Kamen gegen das Unrecht, wobei er in unmöglichen Situationen Damenslips klaut. In seiner Identität als Schüler Kyosuke kommt er Aiko langsam näher. Eines Tages tauchen die Mitglieder des benachbarten Karate-Clubs auf, um die Kontrolle an seiner Schule zu übernehmen, da ihr Anführer Tamao Oogane hinter einem Schatz her ist, der sich unter dem Schulgebäude befindet. Hentai Kamen besiegt Oogane und zwingt die Gangster zum Rückzug. In der Folgezeit schickt Oogane bizarre Auftragskiller, die Hentai Kamen jedoch alle besiegt. Schließlich entsendet Oogane den Lehrer Towatari, der sich als Hentai Kamen ausgibt und dessen Ruf schädigt, indem er Frauen unter den Rock schaut. Im Kampf gegen den bösen Hentai Kamen unterliegt Kyosuke, da sich jener als noch größerer Perversling herausstellt. Kyosuke gibt daraufhin seine Superheldenidentität auf und begnügt sich mit seinem normalen Leben. Doch als die Gangster Aiko entführen, überwindet er seinen inneren Konflikt. Er stellt sich dem bösen Hentai Kamen erneut entgegen und besiegt ihn mit letzter Kraft. Daraufhin nutzt Oogane die Gelegenheit und greift die Schule mit einem riesigen Mecha an. Kyosuke bittet Aiko um ihren Slip und besiegt den Mecha mit dem Maximum seiner Kräfte. Die beiden werden ein Paar. Produktion. Der Film basiert auf dem Manga "Kyūkyoku!! Hentai Kamen" von Keishu Ando, das von 1992 bis 1993 im "Weekly Shōnen Jump" publiziert wurde. Ein Running Gag des Filmes sind die zahlreichen Hommagen auf die Filme mit "Spider-Man". Der Vorspann von "Hentai Kamen" parodiert den Vorspann der Spider-Man-Filme, versieht ihn aber mit Damenslips und Bondageseilen. Mehrmals werden Actionszenen aus jenen Streifen referenziert, und in einer Szene schwingt Hentai Kamen mit Bondagefesseln über die Skyline von Tokio, genau wie Spider-Man an seinen Spinnweben über die Skyline von New York City rauscht. In einem Interview meinte Hauptdarsteller Ryohei Suzuki, dass er aufgrund der häufigen Beinahe-Nacktszenen viel Krafttraining betrieben und am Ende „15 Kilogramm“ mehr gewogen habe. Sein gewagtes Outfit sei für ihn kein Problem gewesen, habe aber dazu geführt, dass er sämtliche Stunts selbst drehen musste. Suzuki gab zu, dass "Hentai Kamen" mit der außergewöhnlichen Kostümierung ungewöhnlich sei, und so etwas wohl „nur in Japan“ möglich sei, rechnete aber dennoch damit, dass der Film gerade deswegen im Ausland positiv aufgenommen werden würde. Synchronisation. Die deutsche Synchronisation erfolgte durch die TNT Media Synchron nach dem Dialogbuch und unter der Regie von Martin Irnich. Veröffentlichung. Der Film feierte seine Premiere am 9. April 2013 auf dem Golden Horse Fantastic Film Festival in Taiwan. In Deutschland erschien er am 20. Dezember 2013 auf DVD. Tele 5 strahlte ihn im Rahmen der Serie "Die schlechtesten Filme aller Zeiten" aus. Rezeption. Der "Hollywood Reporter" nannte "Hentai Kamen" eine „bizarre Ansammlung von Szenen, in denen der Superheld seinen Schritt in gegnerische Gesichter reibt“, lobte aber den „absurden Humor“ und die Leistung von Hauptdarsteller Ryohei Suzuki. Der Film war ein finanzieller Erfolg. Über 100 Millionen Yen wurden eingenommen, womit die Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen wurden. Fortsetzung. Es wurde eine Fortsetzung gedreht, "", die im Mai 2016 veröffentlicht wurde.
Ein Oberleitungslastkraftwagen, auch Oberleitungslastwagen oder veraltet Gleislose Bahn genannt, ist ein streckengebundenes, aber nicht spurgeführtes elektrisch angetriebenes Verkehrsmittel für den Güterverkehr. Technisch ist der Fahrzeugtyp mit einem Oberleitungsbus (O-Bus, Trolleybus) vergleichbar, beide sind elektrisch angetrieben und beziehen ihren Fahrstrom mittels Stromabnehmern aus einer Oberleitung. Daher werden häufig auch die Bezeichnungen "Güteroberleitungsbus", "Güterobus" beziehungsweise "Gütertrolleybus" verwendet. Der vom Lastkraftwagen (Lkw) abzugrenzende Begriff Oberleitungsbus bezeichnet jedoch ausschließlich ein Personenverkehrsmittel. Eine neuere Entwicklung ist der Oberleitungs-Hybrid-Lkw (OH-Lkw) oder kurz Hybrid-Lkw. Analog zum Duo-Bus bezieht er seine Energie ebenfalls partiell über eine Oberleitung, kommt aber den größten Teil der Fahrt ohne diese aus. Funktionsprinzip. Ein Oberleitungs-Lastkraftwagen ist wie ein konventioneller Lastkraftwagen aufgebaut, wird jedoch von einem oder mehreren Elektromotoren oder mit Hybridantrieben angetrieben. Die für den Antrieb benötigte Energie bezieht er aus einer über der Straße oder dem Gelände gespannten zweipoligen Gleichstrom-Oberleitung. Die Stromabnehmer werden durch starke Zugfedern an die Oberleitungen gepresst. Oberleitungs-Lastkraftwagen können, je nach Elektromotor, Beschleunigungen erreichen, die auch voll beladen über herkömmlichen Lastkraftwagen liegen. Sie sind deshalb auch in topografisch schwierigen Gegenden einsetzbar und erweisen sich dort dieselgetriebenen Lastkraftwagen als überlegen. Besonders auf Straßen mit extremen Steigungswerten sind Oberleitungslastkraftwagen im Vorteil. Diese Strecken können mit verbrennungsmotorgetriebenen Fahrzeugen nur schwer befahren werden. Die benötigten Drehmomente werden nur erreicht, wenn die Getriebeübersetzungen derart groß eingestellt werden, dass die Motoren bei relativ geringen Geschwindigkeiten fast ständig auf ihrer höchsten Drehzahl laufen. Der elektrische Antrieb ist die einzige praktikable Alternative, sobald die im Durchschnittsbetrieb erforderlichen Drehmomentwerte eine gewisse Schwelle überschreiten. Oberleitungslastkraftwagen sind streckengebunden, jedoch nicht spurgebunden, sondern können sich auf dem durch die Fahrleitung vorgegebenen Fahrweg so flexibel bewegen wie andere Lkw und Omnibusse und Hindernisse umfahren. Muldenkipper nutzen in Bergwerken oft Oberleitungen zur Stromzufuhr. Solche Strecken werden aus finanziellen Gründen nur in großen Tagebauen angelegt und nur von Schwerkraftwagen mit dieselelektrischen Antrieb benutzt. Das ist meist bei Fahrzeugen ab einer Nutzlast von 100 Tonnen der Fall. Die Strecken müssen aufgrund hoher Investitionskosten mehrere Jahre benutzbar sein. Ein ausreichend großes Gelände muss zur Verfügung stehen, da die Strecke meist nur in eine Richtung befahren wird und oft für die Berg- und Leerfahrten eine weitere Fahrspur zur Verfügung gestellt werden muss. Der Muldenkipper fährt direkt unter die Oberleitung und der Kraftfahrer gibt dann manuell das Signal zum Herausfahren der Stromabnehmer. Nach dessen Kontakt mit der Oberleitung regelt die Elektronik des Fahrzeugs den Dieselantrieb herunter, die Radnabenmotoren werden über die Oberleitung direkt mit Strom versorgt. Am Ende der Strecke stellt die Fahrzeug-Elektronik den dieselbetriebenen Motor wieder auf die gewünschte Leistung ein und der Muldenkipper fährt wieder mit Dieselantrieb. Die Strecke kann von mehreren Fahrzeugen gleichzeitig benutzt werden, ein seitliches Ein- oder Herausfahren ist jederzeit möglich. Geschichte. Deutschland. Schiemann’sche Güter-Traktoren im Deutschen Reich. Während das Elektromote von 1882 ausschließlich der Personenbeförderung diente, gilt die von Königstein in der Sächsischen Schweiz ausgehende Bielatalbahn als erstes Einsatzgebiet von Oberleitungs-Lastkraftwagen. Tatsächlich handelte es sich bei diesen vom Ingenieur Max Schiemann entwickelten Fahrzeugen jedoch eher um elektrische Traktoren, sie zogen antriebslose Anhänger hinter sich her. Die Gütertransporte auf der 2,8 Kilometer langen Bielatalbahn bedienten in erster Linie die Papierfabrik in Hütten, parallel dazu wurde auf der Strecke Personenverkehr zum Kurbad Königsbrunn durchgeführt. Die Anlage bestand von 1901 bis 1904. Von 1903 bis 1907 fuhren auf der Kalkbahn Grevenbrück solche Oberleitungs-Traktoren. Die Strecke war ausschließlich für den Transport von Kalkstein vom Steinbruch zum Bahnhof Grevenbrück gebaut worden. Zum Einsatz kamen ein Motorwagen und verschiedene Anhänger. Die 1½ Kilometer lange Strecke wies Steigungen von über vier Prozent auf. Die Verlegung des Steinbruchs führte zur Stilllegung. Außerdem verkehrte von Grevenbrück aus die Veischedetalbahn, auf der in den Anfangsjahren zusätzlich zum Personenverkehr ebenfalls Güterverkehr durchgeführt wurde. Im Rheinland verkehrte von 1904 bis 1908 die Gleislose Bahn Monheim–Langenfeld, auch sie wurde sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr betrieben. Aufgrund der starken Beschädigungen der Straßen durch die schweren Fahrzeuge wurde die Bahn bereits nach vier Betriebsjahren durch einen Eisenbahnbetrieb, die heute noch existierenden Bahnen der Stadt Monheim, ersetzt. In Wurzen transportierte die Industriebahn Wurzen von 1905 bis 1929 Güter. Zwischen 1905 und 1914 kam das Transportmittel auf der Mühlenbahn Großbauchlitz (heute Döbeln) zum Einsatz. Auf der Hafenschleppbahn Altona verkehrten von 1911 bis 1949 zwischen dem Hafen und dem damaligen Bahnhof Altona elektrische Schleppfahrzeuge. Die vier Fahrzeuge ersetzten bzw. ergänzten den Pferdevorspann auf dem steilen Anstieg vom Elbufer zum Bahnhof. Landsberg an der Warthe. Beim Landsberger O-Bus-Betrieb war eine elektrische Zugmaschine der Firma Faun eingesetzt, die ihren Strom aus der O-Bus-Fahrleitung bezog. Mit diesem Fahrzeug wurden Kohlen vom Hafen an der Warthe zum E-Werk, zum Gaswerk und zur Landesanstalt befördert. Dafür wurde sogar noch eine über einen Kilometer lange Zweigleitung angelegt. Dieser Güterverkehr bestand nur von 1943 bis 1945. Muldenkipper in der DDR. Im Braunkohlenkombinat Bitterfeld verkehrten zwischen 1984 und 1988 umgebaute sowjetische BelAZ-Kipper, die Elektroausrüstungen aus abgestellten Škoda 9Tr-O-Bussen erhalten hatten, als Oberleitungs-Lkw. In den Kalkwerken Elbingerode wurde von März 1988 bis Februar 1989 eine Anlage zum Transport von Gütern errichtet. Wegen wirtschaftlicher Existenzprobleme des Werkes während der Wende in der DDR führte der Oberleitungs-Lkw, ebenfalls ein BelAZ-Kipper, nur am 27. November 1989 eine Probefahrt durch. Österreich. In Österreich wurden Oberleitungs-Lastkraftwagen zwischen 1945 und 1951 in Sankt Lambrecht eingesetzt. Die "Dynamit Nobel AG" verwendete sie für den Werkverkehr vom Bahnhof Mariahof-Sankt Lambrecht nach Heiligenstadt. Auf der circa acht Kilometer langen Strecke kamen dreiachsige Fahrzeuge, aufgebaut auf Fahrgestellen der Firma Lohner, zum Einsatz. Außerdem dienten im Zweiten Weltkrieg O-Busse im Batteriebetrieb als Zugmaschinen für jeweils mehrere Lastwagenanhänger. Diese Betriebsform bot sich durch den kriegsbedingten Treibstoffmangel an und konnte in Salzburg und Klagenfurt beobachtet werden. Am Erzberg werden seit 2020 Muldenkipper eingesetzt, die streckenweise mittels Oberleitung emissionsfrei betrieben werden können. Schweiz. In der Schweiz verkehrten Oberleitungs-Lastkraftwagen zum einen auf der Gleislosen Bahn Gümmenen–Mühleberg (1918–1922) und zum anderen auf der Gleislosen Bahn Freiburg–Farvagny (1911–1932), auf letzterer fand jedoch überwiegend Personenverkehr statt. Schweden. In Schweden fährt seit Juni 2016 ein Oberleitungs-LKW auf einem zwei Kilometer langen Teilabschnitt der Strecke E16 Gävle – Sandviken und verbindet ein Industriegebiet mit dem Hafen. Als technische Lösung wird hier das eHighway System von Siemens herangezogen und mit zwei umgerüsteten Scania-Lkw für zwei Jahre betrieben. Ziel ist die Erprobung unter Alltagsbedingungen. Der Abschnitt auf der E16 ist eingebunden in ein Programm der schwedischen Verkehrsbehörde Trafikverket, in dem systematisch die Beurteilung verschiedener Elektrifizierungsmöglichkeiten für längere Straßenabschnitte und Netze untersucht werden. Ziel ist die Ermöglichung klimaneutraler Straßentransporte zur Umsetzung der nationalen Dekarbonisierungsstrategie. Frankreich. Eine französische Besonderheit war der Treidel-Betrieb mit elektrischen Traktoren entlang dem Rhein-Marne-Kanal. Der elektrifizierte Abschnitt führte von Sarrebourg nach Gondrexange und war circa zwölf Kilometer lang. Die Anlage bestand von 1910 bis 1965. Italien. Ab 1905 wurden leichte zweiachsige Trolleybusse der Fabbrica Rotabili Avantreni Motori (FRAM) auf der Linie Pescara-"Castellamare" betrieben. Von diesen Bussen leitete der Hersteller Oberleitungs-Lastkraftwagen mit 3 Tonnen Nutzlast ab. Wie diese hatten auch die LKW Hinterradantrieb und die Elektrik von FRAM-Cantono. Sie wurden auf der gleichen Strecke eingesetzt. Im Veltlintal, Italien, kamen beim Bau der beiden Staudämme Lago di San Giacomo und Lago di Cancano Oberleitungs-Lkw zum Einsatz. Auf zwei Strecken (Tirano–Bormio–Boscopiano-Tal, 66 Kilometer, 1940–1950 und Bivio Molina–Digapoli, 14 Kilometer, 1952–1956) transportierten 20 Oberleitungs-Lastkraftwagen und zwei Oberleitungsbusse Güter und Personen zur Baustelle. Ehemalige Sowjetunion. Viele Städte in der Sowjetunion benutzten Oberleitungslastkraftwagen. Das Modell MAZ-525 wurde 1954 in Charkiw in der Ukraine zu einem solchen umgebaut. Wegen zahlreicher Probleme wurde das Experiment eingestellt. Weitere Modelle sind heute in zahlreichen Städten Russlands in Dienst. Der KTG-1 dient beispielsweise zur Ausführung von Reparatur- und Wartungsarbeiten städtischer O-Bus-Netze, der KTG-2 dagegen zum Transport von Gütern. Vereinigte Staaten. Auf dem Interstate 710 bei Carson (Kalifornien) zwischen Los Angeles und Long Beach soll von Mitte 2017 an für ein Jahr ein "eHighway" im Testbetrieb mit durch Siemens entwickelte Oberleitungs-Lastkraftwagen erfolgen. Dazu sollen vier Hybrid-Lkw mit Stromabnehmern ausgerüstet werden, damit sie während der Fahrt auf dem Highway Energie für die Elektromotoren erhalten und auf dieser Strecke abgasfrei fahren können. Weltweit. In Australien, Kanada, DR Kongo (ein Betrieb), Namibia (ein Betrieb), Schweden, Südafrika (zwei Betriebe) und weiteren Ländern kommen Oberleitungs-Lastkraftwagen heute als Muldenkipper in Bergbaubetrieben zum Einsatz. Diese Schwerkraftwagen können durch ihre Antriebsweise und Bauart (Räder mit sehr großem Durchmesser) große Mengen und Gewichte auch in unwegsamem Gelände transportieren. Sie erreichen Einsatzgewichte bis zu 600 Tonnen und können Nutzlasten bis zu 360 Tonnen befördern. Oft werden diese Fahrzeuge zum Transport von der Abbaustelle zu Förderanlagen oder Brechern benutzt. Aktuelle Konzepte und Planungen in Deutschland. Konzept "eHighway" von Siemens. Siemens zeigte auf dem 26. Electric Vehicle Symposium in Los Angeles im Mai 2012 ein mit moderner Technik umgesetztes Konzept für den Elektrobetrieb von Lkw. Die Tests für das als "eHighway" bezeichnete System finden mit mehreren umgerüsteten Lkw, u. a. von Scania, Volvo und Daimler, auf dem ehemaligen Flugplatz Templin/Groß Dölln in der Nähe von Berlin statt. Das Konzept sieht vor, die Lkw als Hybridsysteme auszuführen. Der Antrieb soll dabei stets elektrisch stattfinden. Der notwendige Strom wird von einer Oberleitung bezogen oder, falls eine solche nicht zur Verfügung steht, aus einer Batterie, die während der Fahrt an der Oberleitung geladen wird. Ist keine Oberleitung verfügbar und die Batterie entladen, wird der benötigte Strom von einem Dieselmotor im Fahrzeug erzeugt. Damit kann auf den Einsatz von aufwändigen Stromspeichern in Form von großen Batterien, die sich negativ auf das für Fracht zur Verfügung stehende Gesamtgewicht der Fahrzeuge auswirken, verzichtet werden. Gleichzeitig ermöglichen die kleineren Batterien einen weitestgehend emissionsfreien Gütertransport in städtischen Gebieten. Das Antriebskonzept ist modular aufgebaut, sodass für den Betrieb außerhalb elektrifizierter Streckenabschnitte Verbrennungskraftmaschinen (einschließlich CNG/LNG), Energiespeicher wie Batterien oder Kondensatoren und mittelfristig auch Kombinationen mit Brennstoffzellensystemen möglich sind. Maßgeblich für die jeweilige Systemkonfiguration sind die betrieblichen Anforderungen an Fahrzeug und den Ladungsträger (z. B. den Auflieger), die sich aus dem Betriebsprogramm und den logistischen Abläufen ergeben. Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele. Zur Umsetzung der völkerrechtlich verbindlich vereinbarten Klimaschutzziele (COP21) müssen auch im Straßengüterverkehr erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um bis 2050 eine CO2-Reduktion um 95 % ggü. dem Bezugsjahr 1990 zu erzielen. Dazu wurden u. a. durch das Umweltbundesamt umfangreiche Studien zum Vergleich verschiedener Technologien durchgeführt, die den direkten elektrischen Energieeinsatz wirtschaftlich und ökologisch gegenüber dem Einsatz synthetisierter Kraftstoffe deutlich favorisieren. Der E-Highway ermöglicht durch die direkte Stromabnahme einen Wirkungsgrad von über 80 Prozent. Bremsende und beschleunigende Lastwagen können die Energie untereinander über die Fahrleitung austauschen – beispielsweise auf Gefälle- und Steigungsabschnitten. Am 4. Juni 2012 schlug zudem der Sachverständigenrat für Umweltfragen (Umweltrat) der Bundesregierung in seinem Umweltgutachten 2012 die Prüfung der Einführung eines Oberleitungssystems und dessen Test in Demonstrationprojekten vor, um das ungelöste Batterieproblem und die begrenzte Verfügbarkeit von Biokraftstoffen aus nachhaltigem Anbau zu umgehen. Der Umweltrat bezeichnete in seinem Gutachten „oberleitungsgeführte Systeme für Lkw“ als interessante Option. Das Umweltbundesamt bezeichnet in seiner Studie "Klimaschutzbeitrag des Verkehrs bis 2050" die Oberleitungs-Hybrid-Lkw (OH-Lkw) als Teil einer Energiewende im Güterverkehr. Teststrecken. Im Jahr 2018 wurde in Hessen eine sechs Kilometer lange Teststrecke eingerichtet. Dazu wurde ein Abschnitt der A 5 zwischen Weiterstadt und dem Flughafen Frankfurt beidseitig ausgebaut. Der Pilot-Betrieb begann am 7. Mai 2019. Eine zweite rund fünf Kilometer lange Teststrecke, welche der Bund mit 14 Millionen Euro förderte, wurde auf der A 1 zwischen Lübeck und Reinfeld eingerichtet. Die Lkw sollen dort ausschließlich elektrisch betrieben werden. Für Teilstrecken ohne Oberleitung haben sie u. a. eine Batterie oder einen Hybridantrieb. Der Pilot-Betrieb begann hier am 1. Juni 2019. Am 28. Juni 2021 ist eine dritte Teststrecke in Baden-Württemberg an der Bundesstraße 462 im Abschnitt zwischen Kuppenheim und Gernsbach-Obertsrot durch das Murgtal eröffnet worden. Die Stecke läuft unter dem Namen „eWayBW“. Diese Strecke dient der Erprobung des Konzepts als Güterpendelstrecke an einem Standortcluster der Papierindustrie. Auf einer Länge von 18 Kilometern sind zwei jeweils vier Kilometer lange Abschnitte beidseitig elektrifiziert. Die Abschnitte wurden gewählt, da es dort Ortsdurchfahrten, Kreuzungen, Tunnel und erhebliche Steigungen gibt. Das Projekt kann wegen dieser besonderen Umstände daher gut als europäisches Beispiel genutzt werden, so wird eine deutliche Lärmminderung der 120 täglich durchfahrenden LKWs in den Dörfern erwartet und eine geringere Schadstoffemission. Die wissenschaftliche Begleitung überprüft besonders die ökologischen Aspekte, die Wirtschaftlichkeit, die Straßenplanung und das Bevölkerungs-Feedback, ebenso hat schon ein europäischer Austausch stattgefunden, in dem Ungarn und Österreich Interesse an dem Projekt äußerten, da sie dieselben Infrastrukturprobleme teilen wie diese Teststrecke in Baden-Württemberg. Im Sommer 2024 wird das Projekt voraussichtlich abgeschlossen sein und mit dem Rückbau der Anlage begonnen, sofern sich kein weiteres Betriebskonzept ergibt. Im Dezember 2021 kam es zu einem Ausfall der Teststrecke da sich auf den Isolatoren aufgewirbeltes Streusalz abgesetzt hat.
Als Autofelge bezeichnet man umgangssprachlich das Rad eines Autos ohne den Autoreifen. Im eigentlichen Sinne bezeichnet die Felge nur den äußeren Ring, der durch die "Radscheibe" oder den "Radkranz" mit dem "Radflansch" verbunden ist. Räder für Pkw sind nicht zerstörungsfrei zerlegbar, Felge und Radscheibe sind miteinander verschweißt, vernietet oder in einem Stück gegossen, wodurch sich eine fachsprachlich nicht vollständig zutreffende Synonymität von Rad und Felge ergibt (was ähnlich auch für Reifen und Rad gilt). Lediglich für Nutzfahrzeuge wie Spezial-Lkw, Trecker (Schlepper) und einige Sonderanwendungen (Motorsport) sind aus mehreren Teilen zusammenmontierte Räder üblich. Materialien. Autoräder werden heute entweder aus gewalztem Stahl hergestellt oder aus Leichtmetall gegossen oder geschmiedet. Stahlräder sind gewöhnlich billiger, jedoch meist weniger ansehnlich als Leichtmetallräder. Leichtmetallräder können leichter ausgeführt werden als Stahlräder, dadurch verringert sich die ungefederte Masse, die Radlastschwankungen werden geringer. Bei modernen Rädern aus hochfesten Stählen mit entsprechend geringeren Wandstärken verschiebt sich der Gewichtsvorteil zugunsten des Stahlrads. Bei Nutzfahrzeugen werden oft noch Räder aus Stahlguss verwendet, bei Motorrädern dagegen auch schon solche aus Faserverbundwerkstoff (CFK oder mit Aramidfasern verstärkter Kunststoff, umgangssprachlich Carbon und Kevlar genannt). Stahlrad. Das am häufigsten genutzte Stahlrad ist das Scheibenrad und besteht in der Regel aus der Felge und der Radschüssel oder Radscheibe. Felgen werden aus warmgewalztem Stahl mit hoher Streckgrenze (>600 MPa) gefertigt, die Radscheibe ebenso. Beide sind von der Innenseite abschnittsweise verschweißt, da sich bei durchgehender Schweißung das Bauteil verziehen würde. Die Lage der Schweißnähte ist so gewählt, dass sie bei der dynamischen Fahrbelastung keiner wechselnden Biegespannung ausgesetzt sind. Somit ist die – an dieser Stelle lebenswichtige – Dauerfestigkeit sichergestellt, die bei Schweißnähten besonders kritisch ist. Leichtmetallrad. Leichtmetallräder sind meist aufpreispflichtige Sonderausstattung. Allerdings gehören sie vor allem bei Fahrzeugen von Premium-Autoherstellern, aber auch zunehmend bei (Sonder-)Modellen preisgünstigerer Marken zur Serienausstattung. Sie werden meist aus Aluminium-, seltener aus Magnesium-Legierungen (Formel 1, Rallye und teure Sportwagen) hergestellt und mit einer Speziallackierung versehen. Man unterscheidet zwischen gegossenen und geschmiedeten Rädern, sowie dem Alubandrad (Scheibenrad, Aufbau wie Stahlrad aus Felge und Radscheibe). Ein geschmiedetes Aluminiumrad kann aufgrund der höheren Festigkeit des Werkstoffes wesentlich leichter als ein gegossenes Rad sein. Die Gefügestrukturen werden im Fertigungsprozess nicht unterbrochen und das Material ist durch das Verformen in hohem Maße kaltverfestigt. Es sind hier noch einteilige von mehrteiligen Rädern zu unterscheiden. Einteilige Leichtmetallräder bestehen aus einem einzigen Stück Metall, während mehrteilige Räder zum Beispiel aus Felgenbett und Radscheibe bestehen, die zusammengeschraubt oder verschweißt werden. Für gewöhnlich werden Leichtmetallräder im Produktionsprozess mit einer matt-silbrigen Lackschicht und einer Klarlackschicht (meistens im Pulverbeschichtungsverfahren) überzogen bzw. seltener mit einer dunkleren Lackierung, unter Umständen in Wagenfarbe. Sogenannte Chrom-Aluräder, die statt einer Lackierung eine hoch glänzende Oberfläche durch Galvanisierung erhalten, sind in der Tuning-Szene beliebt. Leichtmetallräder bieten meist keine verbesserten Fahrleistungen, höhere Sicherheit oder größeren Komfort; sie dienen dem Erscheinungsbild eines Fahrzeugs. Wenn Räder besonders leicht gebaut sind, wie beispielsweise Magnesiumräder, verringern sich die ungefederten Massen, was das Fahrverhalten günstig beeinflusst. Selten wird die Kühlung der Bremsen (größere Luftdurchlässigkeit gegenüber einem typischen Stahlrad) verbessert, weshalb einige Fahrzeughersteller Leichtmetallräder für Sommerreifen, seltener auch für Winterreifen, vorschreiben. Sollte die Bremsanlage eine Felge von mindestens 18 Zoll Durchmesser verlangen, wie zum Beispiel bei einigen Sportwagen, so können auch bei Winterbereifung nur Leichtmetallräder benutzt werden. In älteren Fahrzeugscheinen gab es einen Vermerk, falls ausschließlich Leichtmetallräder verwendet werden dürfen, wobei auch hier zwischen Sommer- und Winterrädern unterschieden wurde. Problematisch ist insbesondere bei preisgünstigen Leichtmetallrädern die Korrosionsbeständigkeit. Vor allem winterliche Witterungsbedingungen und der damit verbundene Einsatz der Streustoffe Auftausalz, Sand oder Splitt können zu Schäden an der Lackschicht und somit zu Korrosion führen. Seit den 2000er Jahren werden allerdings vermehrt spezielle „Winter-Aluräder“ angeboten. Sie zeichnen sich durch eine im Vergleich zu Standard-Leichtmetallrädern erhöhte Stoß-, Schlag- und Kratzfestigkeit des Lacks und folglich auch durch eine verbesserte Korrosionsbeständigkeit aus. Sofern nicht die vom Hersteller eines Kraftfahrzeuges für den jeweiligen Typ vorgesehenen „Original“-Leichtmetallräder verwendet werden, richtet sich die Zulässigkeit im Straßenverkehr danach, ob ihnen eine Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) beiliegt oder ob sie in die Fahrzeugpapiere eingetragen wurden. Aluminiumräder können, sofern der Grad der Beschädigung es zulässt, repariert werden. Größere Schäden können nur an zwei- bzw. dreiteiligen Rädern repariert werden, indem das defekte Teil ausgetauscht wird. Bei diesen Reparaturen müssen auch die Schrauben (meist M7) erneuert werden, die Felge und Radscheibe verbinden, da sie als Dehnschrauben ausgelegt sind. Eine Verwendung von alten Felgenschrauben ist nicht zulässig. Einteilige Räder können nur oberflächlich behandelt werden (Aufpolieren der Oberfläche). Bei groben Schäden und (tiefen) Rissen ist ein Austausch der Felge unumgänglich. Mit der Räderreparatur befassen sich mittlerweile zahlreiche Anbieter. Moderne Instandsetzungsbetriebe arbeiten bei der Schadensbestimmung oft mit Röntgengeräten. Sonderformen. Eine heute kaum noch übliche Sonderform einer Nutzfahrzeugfelge ist die Trilex-Felge auch manchmal „Radkranz“ genannt, die am Umfang in drei ungleiche Segmente geteilt ist. Sie ist mit Spannpratzen am Radstern (vergleichbar mit der Radscheibe beim Pkw) befestigt. Bei einem Reifenwechsel (oder Abdichten des Schlauchs) verbleibt der Radstern am Fahrzeug. Die Felge wird demontiert und lässt sich mit einfachem Werkzeug (Montiereisen) aus dem Reifen entfernen, sodass der Schlauch geflickt werden kann. Maßangaben. Pkw-Humpfelgen sind in DIN 7817 und Nutzfahrzeug-(Nfz-)Felgen in DIN 7820 genormt. Maßgebend für die zu verwendenden Reifen sind hauptsächlich der Durchmesser und die Breite der Felge. Ob ein Rad an einem Fahrzeug aus technischer Sicht montiert werden kann, hängt ab von Lochzahl und Lochkreis des Lochkranzes, vom Durchmesser der Radnabenbohrung und von der Einpresstiefe: Statt des Kürzels ET verwenden einige Hersteller (z. B. Ford) auch die englische Abkürzung OS (=Offset). Beispiel einer Pkw-Räderbezeichnung: Fahrzeuge haben unterschiedliche Nabenbohrungen. Leichtmetallräder im Tuningbereich haben in der Regel größere Bohrungen. Mit Hilfe eines Zentrierringes (aus Kunststoff) wird der Unterschied im Durchmesser vom Rad zum Fahrzeug angeglichen. Stahlräder sind nur mit demselben Bohrungsdurchmesser wie beim Fahrzeug erhältlich. Die Angabe bezeichnet also ein Rad mit einteiliger Tiefbettfelge mit Doppelhump, 7,5"Maulweite, 16" Durchmesser, einem Felgenhorn in J-Ausführung, einer positiven Einpresstiefe von 15 mm und 5 Befestigungslöchern auf einem Kreis mit 110 mm Durchmesser verteilt. Die Humpausführung lässt auf die Verwendbarkeit von schlauchlosen Reifen schließen, ist aber nicht zwingend. Montage von Autorädern. Autoräder werden demontiert, indem die Radmuttern oder -schrauben gelockert werden, dann das Fahrzeug angehoben wird und die Radmuttern oder -schrauben ganz gelöst werden. Danach kann das Rad von der Nabe abgenommen und das neue Rad in umgekehrter Reihenfolge der Arbeitsschritte montiert werden: Nach dem Aufziehen von neuen Reifen werden die Räder vor der Montage am Fahrzeug ausgewuchtet. Ein sog. Zentrierbolzen kann verwendet werden, um das Rad wieder exakt zum Verschrauben auf die Radnabe zu setzen. Beim Einbau wird nach dem Einsetzen der Radschrauben und vor dem Ablassen des Fahrzeugs die Verschraubung meist mit einem Schlagschrauber oder einem Drehmomentschlüssel festgezogen, wobei das jeweilige Anzugsdrehmoment des Herstellers zu beachten ist. Sind die montierten Räder keine Originalteile des Fahrzeugherstellers, benötigen sie entweder eine allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) des Kraftfahrtbundesamtes, deren Nummer als KBA-Nummer auf dem Rad angegeben ist, oder sie müssen von einem amtlich anerkannten Sachverständigen in die Fahrzeugpapiere eingetragen werden. Die Verwendung von Rädern ohne ABE bzw. Eintragung führt zum Erlöschen der Betriebserlaubnis des Fahrzeugs und ist ordnungswidrig. Tachoanzeige. Ein Tachometer misst die Drehzahl der Autoräder und errechnet daraus die (theoretische) Geschwindigkeit des Autos (Schlupf vernachlässigt). Wenn die Felge auf einen anderen Durchmesser gewechselt wird, aber auch bei jeder anderen Reifengrößen-Änderung, ist darauf zu achten, dass der Abrollumfang des Rades dennoch gleich bleibt. Das ist durch Wahl eines anderen Reifenquerschnitts erreichbar. Gelingt diese Anpassung nur unzureichend, stimmt die angezeigte Geschwindigkeit nicht mehr, was durch eine Tachojustierung behoben werden muss.
Niagara ist ein US-amerikanischer melodramatischer Thriller im Stil des Film noir aus dem Jahre 1953. Regie führte Henry Hathaway, in den Hauptrollen sind Marilyn Monroe, Joseph Cotten und Jean Peters zu sehen. Die Filmpremiere fand in den Vereinigten Staaten am 22. Januar 1953 statt. Der Film zeigt Monroe in der Rolle einer ruchlosen Ehefrau als Femme fatale. Vor der grandiosen Kulisse der Niagarafälle wird ihre erotische Ausstrahlung eindrucksvoll in Szene gesetzt. Die Charakterrolle war Monroes Durchbruch zum Filmstar. Handlung. Polly und Ray Cutler holen ihre Flitterwochen auf der kanadischen Seite der Niagarafälle nach, wo sie im (fiktiven) Motel „Rainbow Cabins“ logieren. Hier lernen sie die attraktive Rose Loomis und ihren Mann George kennen. George war nach dem Koreakrieg in einer Nervenheilanstalt des Militärs und leidet noch immer unter den Kriegserlebnissen. Rose gibt vor, sich große Sorgen um ihren Mann zu machen. Bei einer Besichtigung der Niagarafälle sieht Polly sie jedoch in inniger Umarmung mit einem Mann namens Ted Patrick. Rose und Ted haben einen perfiden Plan geschmiedet. Um ihren Ehemann loszuwerden, soll Ted ihm auf einem seiner einsamen Spaziergänge zu den Niagarafällen auflauern und ihn in einem unbeobachteten Moment erschlagen. Dann soll er ihn in die Fälle stürzen, sodass es wie ein Unfall aussieht. Tatsächlich wird George kurz darauf vermisst. Wenig später wird eine männliche Leiche aus dem Wasser gefischt. Als Rose zur Identifizierung ihres Ehemannes ins Leichenschauhaus gerufen wird, bricht sie zusammen. Nicht ihr Gatte liegt tot vor ihr, sondern ihr Geliebter Ted. Polly entdeckt George kurze Zeit später an den Niagarafällen. Sie will weglaufen, doch George hält sie fest und gesteht ihr, Ted in Notwehr getötet zu haben. Er bittet Polly, niemandem von seinem Überleben zu erzählen, und dass er woanders ein neues Leben ohne Rose beginnen will. Als die Polizei bei den Cutlers erscheint und Fragen stellt, gesteht Polly jedoch, George Loomis lebend gesehen zu haben. Doch weder Ray noch die Polizei glauben ihr. George hat von Polly erfahren, dass Rose nach einem Nervenzusammenbruch im Krankenhaus liegt. Von dort flieht Rose aus Angst vor der Rache ihres Mannes. Doch George entdeckt sie, als sie mit dem Bus von Kanada nach Chicago fahren will. Rose flüchtet in den "Rainbow Tower", den Glockenturm in der Nähe der Fälle. George folgt ihr bis in die oberste Etage und erwürgt sie. Seiner toten Frau gesteht er, dass er sie über alles geliebt hat. George stiehlt eines der Ausflugsboote, um in die Vereinigten Staaten zu flüchten. Mit ebendiesem Boot wollten die Cutlers mit Mr und Mrs Kettering zum Angeln fahren. Als er versucht, das Boot zu starten, kommt Polly an Bord. Sie will ihn von seinem Vorhaben abbringen und fordert ihn auf, sich der Polizei zu stellen. Doch George stößt sie weg. Sie stürzt und wird bewusstlos. Als sich die Polizei nähert, legt er ab. Nach kurzer Zeit geht das Benzin aus, das Boot wird von den Stromschnellen des Niagara erfasst und nähert sich den Wasserfällen. Die verzweifelten Versuche, das Boot auf Grund zu setzen, scheitern. In letzter Sekunde kann George Polly dabei helfen, sich auf einen Felsen zu retten. Das Boot stürzt mit George in die Tiefe. Polly wird von einem Hubschrauber gerettet. Hintergrund. "Niagara" wurde in Technicolor gedreht. Die treibende Kraft bei dem Projekt war der Produzent und Drehbuchautor Charles Brackett, der heute vor allem noch für seine langjährige Zusammenarbeit mit Billy Wilder bekannt ist. Brackett lebte viele Jahre in der Umgebung von Niagara Falls und wollte dort einen optisch möglichst beeindruckenden Film spielen lassen. Walter Reisch, sein Ko-Drehbuchautor, gab ihm die Idee, einen Thriller daraus zu machen: „Jeder, der den Namen "Niagara" hört, denkt an Frischvermählte und an irgendeine sentimentale Geschichte einer jungen Frau, die sich in der Hochzeitsnacht mit ihrem Ehemann streitet, nur um sich kurz darauf wieder mit ihm zu versöhnen. Es wäre dumm, den Film mit Sonja-Henie-Tricks oder Esther-Williams-mäßigen Schwimmextravaganzen zu machen. Ich würde daraus eine Krimigeschichte machen, mit einem richtigen Mord darin...“, erinnerte sich Reisch später an sein Argument. Während der Dreharbeiten wohnten Marilyn Monroe, Joseph Cotten und Jean Peters im Hotel Crowne Plaza Niagara Falls in Niagara Falls in der Provinz Ontario. Das Motel mit den Bungalows wurde als Filmset extra für den Film für über 25.000 US-Dollar direkt gegenüber den berühmten Wasserfällen im Queen Victoria Park gebaut. Monroe spielt nicht – wie in ihren meisten Rollen – eine naive Blondine, sondern eine Femme fatale. Die Idee, Monroe die ungewöhnliche Rolle zu geben, kam vom Darryl F. Zanuck, dem Studioboss von 20th Century Fox, und stieß zunächst bei den Drehbuchautoren auf Unverständnis – Monroe war über diese Abwechslung von ihrem üblichen Rollenschema glücklich. Reisch erinnerte sich an einen weiteren Konflikt mit Zanuck und Regisseur Hathaway, die gegen ihren Willen einige Szenen mit der Polizei kürzten. Eine Szene, in der Monroe kurz vor dem Mord an ihrer Figur in Angst die Straße entlanggeht, wurde extra in Überlänge gedreht, um ihren berühmten Gang zu zeigen. Daraufhin wurde spekuliert, dass absichtlich ein Schuhabsatz gekürzt war, damit dieser Gang entsteht. Die Szene soll außerdem den Rekord halten, der längste in einem Schnitt gefilmte Gang in einem Spielfilm in der gesamten Filmgeschichte zu sein. Ein Pressefoto von Marilyn Monroe, das für "Niagara" angefertigt wurde, war das Ausgangsbild für Andy Warhols "Marilyn Diptych". Das für den Film wichtige, mehrmals erklingende Lied "Kiss" wurde von Lionel Newman und Haven Gillespie komponiert. An den Kinokassen wurde "Niagara" ein Erfolg: Bei einem Budget von rund 1,25 Millionen US-Dollar nahm er alleine in den USA über 2,3 Millionen US-Dollar ein und zählte dort zu den Hits des Kinojahres 1953. "Niagara" war der erste Film, bei dem Monroe im Vorspann an erster Stelle genannt wurde, und befeuerte ihren Aufstieg vom Starlet zu einer der größten Hollywood-Legenden. Drehorte und Drehdauer. Gedreht wurde von Juni bis Juli 1952. Deutsche Fassung. Die deutsche Synchronbearbeitung entstand 1953 in den Ateliers der Ultra Film Synchron GmbH in Berlin. Der Kino-Start des Films in der Bundesrepublik Deutschland war am 9. Oktober 1953, die deutsche Fernseh-Erstausstrahlung am 18. Mai 1970 um 20.15 Uhr in der ARD. Kritiken. A. H. Weiler war in der The New York Times voll des Lobes für Marilyn Monroe: „20th Century Fox schert sich offenbar nicht darum, dass es nur sieben Weltwunder gibt, denn sie hat zwei weitere entdeckt und stellt diese in Technicolor in dem Film Niagara vor. Die Produzenten machen nämlich von der Pracht der Wasserfälle und der umliegenden Landschaft als auch von der Pracht des Namens Marilyn Monroe optimalen Gebrauch. Die Aussicht ist in beiden Fällen atemberaubend. Und wenn einer bemängeln wollte, dass das Melodram, in das die Wasserfälle und Miss Monroe verstrickt werden, doch wohl nicht gerade von der spektakulärsten Sorte ist, so hätte er da völlig recht. Aus welchem Blickwinkel man sie auch betrachtet – die Wasserfälle und Miss Monroe lassen einem einigermaßen aufmerksamen Zuschauer sicher nichts zu wünschen übrig... Vielleicht ist Miss Monroe für diesen Punkt als Schauspielerin nicht perfekt genug. Doch weder den Regisseur noch die Kameramänner scheint das gestört zu haben. Ob Nachthemd oder nicht minder gewagtes enges Kleid – ihnen ist keine Kurve entgangen. Und sie haben recht anschaulich verdeutlicht, wie verführerisch sie sein kann – selbst beim Gehen.“ In deutschen Kritiken wurde "Niagara" überwiegend positiv bewertet. Die Katholische Filmkritik ("6000 Filme") schrieb 1963: „‚Amerikanisches Ehedrama mit geschickter Verwendung von Naturschönheiten.‘ Einstufung: Für Erwachsene, mit Vorbehalten.“ Der ebenfalls katholische Filmdienst urteilte später: „Ehedrama mit Thrillerelementen und einer geschickten Einbeziehung der spektakulären Schauplätze. Streckenweise spannend, aber psychologisch völlig unglaubwürdig und dank der dick aufgetragenen Klischees manchmal hart an der Grenze zur unfreiwilligen Komik.“ Prisma Online ist positiv gestimmt: Henry Hathaway inszenierte seinen berühmten Film noir vor der beeindruckenden Kulisse der tosenden Niagarafälle. Ganz im Stil von Hitchcock steigert Hathaway immer weiter die Spannung, man denke nur an die atemberaubende Szene im Glockenturm. Teuflisch gut: die Monroe in der Rolle des männermordenden Vamps, die im Jahr zuvor bereits in dem Episodenfilm ‚Fünf Perlen‘ mit Hathaway zusammengearbeitet hatte. Adolf Heinzlmeier und Berndt Schulz gaben dem Film in ihrem "Lexikon „Filme im Fernsehen“" eine Wertung mit 3 Sternen (= sehr gut): Es sei ein „(…) böser Film um Abgründiges mit einer nervtötend präsenten Marilyn Monroe; ein überragender Kameramann (Joe MacDonald) setzt die erotische Ausstrahlung des Stars ebenso eindrucksvoll ins Bild wie die Szenerie des US-Flitterwochenziels Niagara Falls.“
Christliche Literatur ist diejenige fiktionale und nichtfiktionale Literatur, der die christliche Religion und Weltanschauung zugrunde liegt und in der christliche Themen behandelt werden. Da die abendländische Literatur zu einem großen Teil auf christlicher Grundlage entstanden ist, gewinnt die christliche Literatur ihre festere Kontur erst als Gegenbewegung zu den atheistischen Strömungen der europäischen Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts. Das Korpus der christlichen Literatur ist äußerst umfangreich und umfasst eine erhebliche Bandbreite von Formen und Inhalten. Die Heilige Schrift. Spätestens seit Luther gilt die Bibel angesichts der Sprachkraft ihrer bildlichen Rede nicht mehr nur als kanonische Schrift, also als Maßstab für die Religionsausübung, sondern auch als Literatur. Zu den Bibelübersetzungen, deren literarische Qualität traditionell besonders geschätzt wird, zählt die King-James-Bibel (1611); sie gilt als Meisterwerk der englischen Literatur. Christliche Lyrik. Die Geschichte der christlichen Lyrik beginnt mit dem Neuen Testament. Cantica wie das "Magnificat" oder das "Nunc dimittis" (beide im Lukasevangelium) orientieren sich formal an den Psalmen der Hebräischen Bibel. Da die zeitgenössische griechische und lateinische Lyrik für die frühen Christen schwer zu ignorieren war, finden sich in den Texten von Dichtern wie Ausonius neben den christlichen Motiven immer wieder auch Anspielungen z. B. auf heidnische Gottheiten. In seiner "Psychomachia", einem der bedeutendsten Werke der christlichen lateinischen Epik, verzichtet Prudentius zwar auf Bezüge zur griechischen Mythologie, verwendet aber weiter die überlieferten klassischen literarischen Formen. Venantius Fortunatus dagegen, dessen Gedichte in der Liturgie der römisch-katholischen Kirche noch heute verwendet werden, legte das griechische Versmaß ab und fand seine eigenen Formen. Christliche Gedichte bilden die ältesten überlieferten Zeugnisse der volkssprachlichen Dichtung vieler europäischer Kulturen. Einer der frühesten bekannten Texte der altenglischen Literatur ist die Dichtung "Dream of the Rood" aus dem 10. Jahrhundert. "Die Göttliche Komödie" ist eines der ersten Meisterwerke der italienischen Literatur. Ein Beispiel für den deutschsprachigen Bereich ist der "Heliand". Zu den bedeutendsten christlichen Dichtern der Neuzeit zählen Johannes vom Kreuz (Spanien), John Donne, George Herbert, John Milton (alle drei England), Anne Bradstreet, Martha Wadsworth Brewster (beide USA), Henry Vaughan, Ann Griffiths (beide Wales), Thomas Traherne, Emily Brontë, Christina Rossetti, Gerard Manley Hopkins (alle vier England), John Greenleaf Whittier, Khalil Gibran (beide USA), Gabriela Mistral (Chile), R. S. Thomas (Wales), Thomas Merton und Geoffrey Hill (beide USA). Wichtige deutschsprachige Autoren christlicher Lyrik waren Angelus Silesius und Annette von Droste-Hülshoff. Christliches Schauspiel. Eine der frühesten Formen des christlichen Schauspiels war die Geistlichen Spiele und Osterspiele des Hochmittelalters, in denen zum Beispiel die Auferstehung Christi dargestellt wurde. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden in ganz Europa Mysterienspiele aufgeführt, die Geschichten aus der Bibel erzählten. Im 16. und 17. Jahrhundert entwickelte sich daraus die Moralitäten, allegorische Stücke mit religiös-lehrhaftem Charakter. Zur selben Zeit entstand das Jesuitentheater, das an Jesuitenschulen zur Vermittlung der römisch-katholischen Lehre eingesetzt wurde. Anschließend ging die Kirche in vielen Ländern dazu über, das Theater zu verurteilen. Im deutschsprachigen Raum war diese Ablehnung des Theaters aus religiösen Gründen eng mit der Reformation verknüpft. Eine Wiederbelebung erfuhr das christliche Schauspiel erst im 20. Jahrhundert. In Großbritannien sorgte 1941/1942 Dorothy L. Sayers'Hörspiel "The Man Born to be King" für Aufsehen, weil Jesus darin von einem Schauspieler verkörpert wurde, was viele Zuhörer als Blasphemie empfanden. Bereits 1935 hatte T. S. Eliot sein Versdrama "Mord im Dom" über das Martyrium von Thomas Becket uraufgeführt. In Deutschland wirkte vor dem Ersten Weltkrieg der katholische Dichter und Dramatiker Reinhard Sorge. Der spätere Papst Johannes Paul II., Karol Józef Wojtyła, schrieb 1960 ein an christlichen Motiven reiches Schauspiel "Przed sklepem jubilera/The Jeweler's Shop". Als Rock-Musical "Jesus Christ Superstar" kam die Leidensgeschichte Christi 1971 an den New Yorker Broadway. Das zur selben Zeit entstandene Jesus-Musical "Godspell" wurde an Off-Broadway-Theatern aufgeführt. Nichtfiktionale christliche Literatur. Theologische Schriften. Aus der Zeit der Kirchenväter (Epoche der Alten Kirche, 1. bis frühes 8. Jahrhundert) ist eine Vielzahl mehrheitlich nichtfiktionaler Schriften überliefert, darunter Briefe, theologische Abhandlungen, Bibelkommentare und Heiligenbiografien. Unter den bekanntesten Werken aus diesem Textkorpus befinden sich Augustinus'"Confessiones" und "De civitate Dei". Die theologische Fachdisziplin, die sich mit den christlichen Texten dieser Zeit beschäftigt, ist die Patristik. Zu den einflussreichsten christlichen Schriften des Mittelalters zählen Thomas von Aquins "Summa theologica" und "Die Nachfolge Christi" von Thomas a Kempis. Bis heute ist das 1609 erschienene Buch des Franz von Sales "Anleitung zum frommen Leben" oder "Philothea" weit verbreitet. 1536 erschien Johannes Calvins "Institutio Christianae Religionis", das eines der wichtigsten Lehrbücher der Reformation wurde. Seit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert wurden nichtfiktionale Texte auch verwendet, um den christlichen Glauben zu verbreiten. Religiöse Traktate waren bereits in der Zeit der Reformation im Umlauf und werden in der Mission bis heute verwendet. In deutscher Sprache legte Friedrich Schleiermacher 1821/22 seine "Glaubenslehre" vor. Theologische Schriften entstehen in den Schreibstuben von Gelehrten oder interessierten Laien, die von den Ansichten unzähliger Denkschulen, Wissens-, Gewissens- und Interpretations-Familien, Konfessionen, Denominationen, Buchverlagen und Lehr-Instituten geprägt sind. In der heterogenen christlichen Bücherwelt suchen Theologen nach Kondensationspunkten für die eigene Überzeugung, nach konfessioneller Homogenität oder nach bibelbasierter und christozentrischer Plausibilität. Ein Einblick in das von einem christlichen Bildungs-Institut vermittelte Denken kann der Buchkatalog ihrer Bibliothek bieten. Die relative geistige Nähe zwischen den Bildungs-Instituten untereinander, oder mindestens ihrer Buchbestände, kann rudimentär quantifiziert werden: Weisen zwei verglichene Buchbestände (anhand der ISBN) 10 % Übereinstimmung auf, kann von einer geistigen Verwandtheit ausgegangen werden, bei 20 % von naher Verwandtheit. Kirchenlieder und liturgische Texte. Auch die Texte, die in der Liturgie und im Gesang des christlichen Gottesdienstes verwendet werden, sind der christlichen Literatur zuzurechnen. Erbauungsliteratur. Die Erbauungsliteratur, die mindestens seit dem Spätmittelalter besteht, bemüht sich allgemein um eine Hebung der Frömmigkeit, kann aber auch dogmatische Absichten aufweisen, die in allgemein verständlicher Form verpackt sind. Typische traditionelle Formen sind die Heiligenlegende, das Andachtsbuch, das Gebetbuch, das Stundenbuch und die Predigtsammlung. Im Bereich Theologische Bücher und Erbauungsliteratur sind besonders Verlage in den USA und Deutschland produktionsstark, im deutschen Sprachraum besonders im näheren und weiteren Umfeld von Pietismus und Evangelikalismus. Zu den bekanntesten Verlagshäusern gehören unter anderen die Stiftung Christliche Medien, der Brunnen Verlag (Gießen), Gerth Medien, die Neukirchener Verlagsgesellschaft, der Verlag der Francke-Buchhandlung Marburg an der Lahn, die Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, der Joh. Brendow & Sohn Verlag und die Christliche Literatur-Verbreitung Bielefeld. Moderne apologetische Literatur. Ein englischsprachiger Klassiker der christlich apologetischen Literatur ist G. K. Chestertons Werk "Orthodoxy" (1908). Hohe Auflagen erreichen Autoren apologetischer ‒ besonders protestantischer ‒ Literatur in Nordamerika, darunter z. B. David Wilkerson ("The Cross and the Switchblade", 1962), Francis Schaeffer ("The God Who Is There," 1968; "A Christian Manifesto," 1981), Peter Kreeft ("Between Heaven and Hell," 1982), Charles Colson ("How Now Shall We Live," 1999) und Rick Warren ("The Purpose Driven Life," 2002). Eines der bekanntesten deutschsprachigen christlichen Bücher des zwanzigsten Jahrhunderts stammt von dem evangelischen Pfarrer und Prediger Wilhelm Busch (1897–1966): "Jesus unser Schicksal." Es ist in vielen Sprachen erschienen und allein auf Deutsch in Millionenauflage. 2009 hat Elisabeth von Thurn und Taxis ein Buch "fromm! Eine Einladung, das Katholische wieder mit allen Sinnen zu erleben" vorgelegt. Weitaus stärker als die vorgenannte Autorin hadert Esther Maria Magnis in ihrem 2012 erschienenen Buch "Gott braucht dich nicht" mit ihrem Glauben, beschreibt darin aber auch den schwierigen Weg, wie sie schließlich zu ihm zurückfand. Hagiografie und historischer Roman. Zu den populärsten Genres der katholischen Literatur gehören traditionell die Hagiografie und Biografie bzw. der biografische oder historische Roman. Die Übergänge zwischen diesen Formen sind fließend. Im Hochmittelalter trug zur hagiografischen Literatur u. a. Konrad von Megenberg bei. In der Moderne zählt Louis de Wohl zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Verfassern katholischer historischer Romane; nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte er eine Vielzahl spannender Romane, in deren Mittelpunkt Heilige stehen, darunter Thomas von Aquin, Augustinus, Paulus, Franz von Assisi und Ignatius von Loyola. In Nordamerika trug Mark Twain den historischen Roman "Persönliche Erinnerungen an Jeanne d’Arc" (1896) bei. Lew Wallaces römischer Geschichtsroman "Ben Hur" (1880) über das Leben eines fiktiven jüdischen Prinzen, der zum Christentum bekehrt wird, war eines der erfolgreichsten Bücher des 19. Jahrhunderts und wurde später mehrfach verfilmt. Aufwändig verfilmt wurde auch Lloyd C. Douglas' 1942 erschienener Kreuzigungs-Roman "Das Gewand". Seit den 1940er Jahren schrieb die Kanadierin Mary Fabyan Windeatt (1910‒1979) eine Vielzahl vorbildlich recherchierter katholischer Biografien, u. a. über Katharina von Siena und über Martín de Porres. In jüngerer Zeit veröffentlichte der Opus-Dei-Priester Michael E. Giesler eine kleine Serie von Romanen aus der frühchristlichen Zeit. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist William Boardmans Roman über Josef von Arimathäa, "Sun and Wind" (2007). Erzählende Literatur. Da christliche Themen in der erzählenden Literatur nicht unbedingt explizit sind, ist die fiktionale christliche Literatur weniger einfach zu definieren als die nichtfiktionale. Auch Texte, in denen klassische christliche Motive wie die Menschwerdung Gottes kaum oder gar nicht fassbar sind, können durch und durch vom Geiste des Christentums getragen sein. So wurde z. B. C. S. Lewis’ Fantasy-Zyklus "Die Chroniken von Narnia" aufgrund seiner Allegorien als ein einschlägiges Werk der christlichen Romanliteratur eingestuft, obwohl darin Motive aus der griechischen, römischen und türkischen Mythologie im Vordergrund stehen. In den Fällen vieler anderer Werke, in denen ebenfalls christliche Motive erscheinen, die in der Gesamtbilanz jedoch in den Hintergrund treten, ist die Einstufung als christliche Literatur umstritten; dies betrifft z. B. J. R. R. Tolkiens Roman "Der Herr der Ringe", die Fantasy-Romane von George MacDonald und die Pater-Brown-Romane von G. K. Chesterton. Christliche Allegorie. Beginnend mit den Gleichnissen Jesu, gibt es eine reiche Tradition christlicher Allegorien. Zu den bedeutendsten Beispielen zählen die "Göttliche Komödie" von Dante Alighieri, "Piers Plowman" von William Langland und die "Pilgerreise zur seligen Ewigkeit" (1678) von John Bunyan. Christliche Erzählliteratur. Der russisch-orthodoxe Glaube in der Literatur. Die russische Literaturtradition hat ihre Ursprünge in der Tätigkeit der Missionare Kyrill und Method, die das Altkirchenslawische zur Schriftsprache der Ostslawen machten. Nachdem das Kiewer Reich sich 988 dem christlichen byzantinischen Kulturerbe öffnete, entstanden dort bedeutende Übersetzungen wie das Ostromir-Evangelium. Eine erneute Blüte erlebte das religiöse Schrifttum im Spätmittelalter mit Autoren wie Nil Sorski und Joseph von Wolokolamsk. Zur selben Zeit stieg Moskau zur Kulturmetropole auf; Epifanij Premudryjs verfasste wichtige Hagiografien, und im 16. Jahrhundert wurde erstmals die gesamte Bibel ins Kirchenslawische übersetzt. Durch die Förderung Peters des Großen fand im 18. Jahrhundert die europäische Kulturtradition Eingang in die russische Literatur. Die weltliche Literatur begann die religiöse zu verdrängen, und durch Autoren wie Nikolai Karamsin wurden auch die verbliebenen kirchensprachlichen Elemente aus der Literatursprache vertrieben. Der christliche Dichter Alexei Chomjakow war Mitte des 19. Jahrhunderts ein Mitbegründer der slawophilen Bewegung. Fjodor Dostojewski hing spätestens seit seiner Lagerhaft und seinem Exil in Sibirien (1850–1859) inbrünstig dem russisch-orthodoxen Glauben an. Deutlichen literarischen Niederschlag haben seine religiösen Überzeugungen u. a. in den Romanen "Schuld und Sühne" (1866) und "Die Brüder Karamasow" (1878–1880) gefunden. Lew Tolstoi stand stark unter dem Eindruck der Bergpredigt und wandte sich, von Schopenhauer beeinflusst, der christlichen Askese zu, was literarischen Niederschlag unter anderem in seiner Erzählung "Vater Sergius" (1899) fand. Ähnlich wie Dostojewski kam auch Alexander Solschenizyn während seiner Lagerhaft zum russisch-orthodoxen Glauben. Keine seiner literarischen Arbeiten ist religiös im engeren Sinne, sein Hauptwerk "Der Archipel Gulag" (1973) z. B. ist von religiösen Gedanken aber stark durchdrungen. Katholische Literatur. Deutschland. Einen wichtigen Beitrag zur Entstehung der modernen katholischen Literatur in Deutschland leistete der Münstersche Kreis. Im 1786 entstandenen Salon der Fürstin Amalie von Gallitzin verkehrten Autoren wie Johann Georg Hamann und Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg, die sich mit der Aufklärung auseinandersetzten und auf dieser Grundlage ein neues Verständnis vom christlichen Glauben entwickelten. Stolberg verfasste eine 15-bändige "Geschichte der Religion Jesu Christi". Auch Clemens Brentano schrieb eine Reihe katholischer Werke, darunter "Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi" (1833) und "Leben der heiligen Jungfrau Maria" (1852, postum). Das Werk der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, besonders das "Geistliche Jahr", ist von ihrem Ringen um den katholischen Glauben geprägt. Im 20. Jahrhundert sind in Deutschland als bedeutende Autoren von katholischer Erzählliteratur nur die Vertreter des Renouveau catholique hervorgetreten (siehe weiter unten). Alfred Döblin ("Die Pilgerin Aetheria", 1949; "Der Kampf mit dem Engel", 1952) und Heinrich Böll ("Am Rande der Kirche", 1939, publ. 2004; "Der Engel schwieg", 1949/50, publ. 1992; "Ansichten eines Clowns", 1963) sind keine „katholischen Schriftsteller“ im engeren Sinne, haben sich in ihren Werken jedoch ebenfalls wiederholt mit katholischen Glaubensfragen auseinandergesetzt. Zu den am meisten wahrgenommenen jüngeren katholischen Autoren zählt neben Hortense von Gelmini der mehrfach preisgekrönte, wegen seiner radikalen Positionen aber auch umstrittene Martin Mosebach. Österreich. Zu den bedeutendsten katholischen Schriftstellern Österreichs zählen Enrica von Handel-Mazzetti (1871–1955) und Gertrud Fussenegger (1912–2009), letztere eine Vertreterin des Renouveau catholique. Robert Musil (1880–1942) hat sich mit Glaubensfragen intensiv auseinandergesetzt, etwa in seinen Tagebüchern, kann aber nicht als katholischer Autor im engeren Sinne eingestuft werden. Renouveau catholique. Geführt von François-René de Chateaubriand entstand in Frankreich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts eine vor allem von Schriftstellern getragene späte Gegenbewegung gegen Aufklärung und Laizismus. Der Renouveau catholique hatte kein ausformuliertes Programm, bemühte sich aber um eine Erneuerung von Literatur und Gesellschaft durch eine Wiederbelebung ursprünglicher katholischer Werte. Seine bedeutendsten Vertreter in Frankreich waren Georges Bernanos und François Mauriac. Im deutschsprachigen Raum schlossen sich der Bewegung u. a. Gertrud von le Fort ("Die Letzte am Schafott", 1931), Franz Werfel ("Das Lied von Bernadette", 1941), Werner Bergengruen, Edzard Schaper (in seinen Spätwerken), Elisabeth Langgässer, Reinhold Schneider und Gertrud Fussenegger an. Einflussreich war der Renouveau catholique auch in Großbritannien, wo er Vertreter wie T. S. Eliot, Evelyn Waugh ("Helena", 1950) und Graham Greene ("Die Kraft und die Herrlichkeit", 1940) fand. Nordamerika. Dem Minderheitenstatus entsprechend, den Katholiken in den USA hatten und bis heute haben, entstanden literaturhistorisch beachtliche katholische Romane in diesem Land erst spät, nämlich im frühen 20. Jahrhundert. Als ein Klassiker gilt Francis J. Finns moralistisches Jugendbuch "Tom Playfair" (1890) über die Abenteuer, die ein zehnjähriger Junge in einem katholischen Internat erlebt. Das Buch war so populär, dass bereits kurz nach seinem Erscheinen eine deutsche Übersetzung folgte. Ähnlich erfolgreich war 1928 das Jugendbuch "Mr. Blue", in dem Myles Connolly die Geschichte eines modernen Franz von Assisi erzählt. Katholische Motive erscheinen auch im Romanwerk von Willa Cather, Walker Percy, J. F. Powers und Flannery O’Connor. 1950 veröffentlichte Henry Morton Robinson seinen Roman "Der Kardinal" über das Leben eines katholischen Priesters, den Otto Preminger 1963 mit Tom Tryon und Romy Schneider verfilmte. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965), das sich zur Ökumene bekannte, sahen viele Katholiken ihre kulturelle Identität in Frage gestellt. In den USA verschwand die populäre katholische Literatur vom Buchmarkt. Zwar traten weiterhin erfolgreiche katholische Autoren ‒ wie Walker Percy, Mary Higgins Clark, Ralph McInerny ("The Red Hat", 1998), Andre Dubus, Dean Koontz, Ron Hansen ("Mariette in Ecstasy", 1991; "Exiles", 2008) und Mary Gordon ‒ in Erscheinung, die gelegentlich sogar katholische Motive verwendeten; sie schrieben jedoch nicht mehr für eine katholische Öffentlichkeit, sondern für den Mainstream. Gleichzeitig wurden in den USA Autoren wie Andrew Greeley (1928–2013) und der Australier Morris L. West ("In den Schuhen des Fischers", 1963) populär; deren Romanhelden setzten sich mit ihrem katholischen Erbe kritisch auseinander. Eine gewisse Wiederbelebung erfuhr die populäre katholische Erzählliteratur in den 1990er Jahren mit Romanen, die häufig die Apokalypse zum Thema hatten. Beispiele für dieses Genre, das bei Katholiken u. a. aufgrund seiner starken evangelikalen Tendenzen nicht nur auf Zustimmung stieß, sind "Pierced by a Sword" (1995) von Bud McFarlane Jr., "Father Elijah" (1998) des kanadischen Schriftstellers Michael O’Brien und die "Christ Clone Trilogy" (1998) von James BeauSeigneur. Eine weitere Autorin, die in jüngerer Zeit zur populären katholischen Prosa beigetragen hat, ist die Kanadierin Carmen Marcoux (* 1966), die in Werken wie "Arms of Love" (2001) und "Surrender" (2007) für traditionelle katholische Werte wie die Keuschheit wirbt. Ein katholisches Milieu bildet auch den Handlungsrahmen in Roger B. Thomas'Erzählband "The Last Ugly Person" (2003) und in den Märchen-Romanen von Regina Doman. Protestantische Literatur. Lutherische und pietistische Literatur in Deutschland. Im 18. Jahrhundert verfasste Hermann Samuel Reimarus einige Schriften zu seinen Ideen einer „natürlichen Religion“, die von Gotthold Ephraim Lessing nach Reimarus' Tod in mehreren Teilen veröffentlicht wurden (1774–1778) und den so genannten Fragmentenstreit auslösten, der zur wichtigsten Kontroverse zwischen der Aufklärung und der lutherischen Orthodoxie wurde. Der Aufklärer Lessing, der Reimarus'Positionen durchaus nicht vollständig teilte, stand in diesem Streit dem lutherischen Theologen Johann Melchior Goeze gegenüber und antwortete ihm 1778 in einer Serie von Schriften („Anti-Goeze“). Als Lessing im selben Jahr verboten wurde, Texte über Religion zu veröffentlichen, entschloss er sich, mit literarischen Mitteln weiterzustreiten, und schrieb das Drama "Nathan der Weise". Die Literatur der Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts, einer kritischen Reaktion auf die Aufklärung, hatte ihre geistesgeschichtlichen Wurzeln im Pietismus, einer Laienbewegung innerhalb des Protestantismus, die die persönliche Frömmigkeit und die subjektive Seite des Glaubens betonte. Über den Sturm und Drang reichte der Einfluss der Empfindsamkeit bis in die Weimarer Klassik hinein. Viele prominente Schriftsteller und Denker der Empfindsamkeit und Klassik ‒ darunter Friedrich Gottlieb Klopstock, Sophie de La Roche, Friedrich Heinrich Jacobi und Johann Gottfried von Herder ‒ stammten aus pietistischen Familien. Matthias Claudius, der sich ebenfalls im Gegensatz zur Aufklärung befand und seit 1783 überwiegend religiöse Themen behandelte, kann, obwohl Klopstock ihn stark beeinflusst hat, nicht zum Pietismus gezählt werden. Großbritannien. C. S. Lewis, der gebürtiger Nordire und ein enger Freund von J. R. R. Tolkien war, wandte sich 1929–1931 vom Atheismus der Anglikanischen Glaubensgemeinschaft zu. Viele seiner Werke ‒ darunter die Romane "Dämonen im Angriff" ("The Screwtape Letters", 1942) und "Die große Scheidung" (1945) ‒ sind stark christlich geprägt. Lewis war ein Experte auf dem Gebiet der Allegorie; 1936 hatte er darüber die Monografie "The Allegory of Love" veröffentlicht. Obwohl er erklärte, dass seine Bücher weder als Vehikel für theologische Konzepte konzipiert noch allegorisch seien, ist Aslan, der charismatische Löwe in den "Chroniken von Narnia" (1950–1956), aufgrund der augenfälligen Parallelen immer wieder als Allegorie für Jesus Christus gedeutet worden. Eine weitere britische Autorin, in deren Werken christliche Allegorien offensichtlich sind, ist Hannah Hurnard. Ihr bekanntestes Werk ist der 1955 veröffentlichte Roman "Leichtfüßig wie eine Hindin" ("Hinds' Feet on High Places") über ein junges Mädchen, das einen guten Hirten liebt und sich entschließt, ihm zu folgen. Nordamerika. Die Vereinigten Staaten haben eine reiche Tradition protestantischer Erzählliteratur. Ein Klassiker des Genres ist Charles Monroe Sheldons Roman "In His Steps" (1896), in dem der Autor die bis heute immer wieder zitierte Frage stellt: „Was würde Jesus tun?“; mit einer Gesamtauflage von mehr als 30 Mio. Exemplaren ist "In His Steps" eines der erfolgreichsten Bücher in der Geschichte des amerikanischen Buchmarkts. Eine jüngere Vertreterin ist Catherine Marshall ("Christy", 1967). Auch die Bestsellerautorin Taylor Caldwell hat ihren Romanen häufig biblische Themen aufgegriffen ("Geliebter und berühmter Arzt", 1959; "Dialogues with the Devil", 1967; "Paulus, mit dem Herz eines Löwen", 1970; "Der werfe den ersten Stein", 1977). Inspirational Fiction. In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren setzte sich in weiten Teilen der Gesellschaft der Vereinigten Staaten der Säkularismus durch. Andere Teile bescherten den konservativen christlichen Gemeinschaften ‒ evangelikalen und fundamentalistischen Denominationen wie den Southern Baptists und den konservativen Lutheranern ‒ einen regen Zulauf. Einige Historiker, wie Robert Fogel, haben diese Bewegung als „Viertes Great Awakening“ bezeichnet. Zur selben Zeit entstand in den USA und Kanada ein neues Genre von christlicher Romanliteratur, die einen bestimmten Typus konservativer christlicher Theologie mit der literarischen Form des modernen Liebesromans oder Thrillers verbindet. Erfolgreiche Autoren dieses Genres, das auf dem amerikanischen Buchmarkt als "Inspirational Fiction" gehandelt wird, sind Gilbert Morris (* 1929), Janette Oke (* 1935), Jan Karon (* 1937), Judith McCoy Miller (* 1944), Francine Rivers (* 1947), Frank E. Peretti (* 1951), T. Davis Bunn (* 1952), Karen Hancock, Alton Gansky, Lori Wick, William P. Young (* 1955), Randy Alcorn, Angela Elwell Hunt (* 1957), Tracie Peterson (* 1959), Ted Dekker (* 1962), Karen Kingsbury (* 1963), Wayne Thomas Batson (* 1968), Tosca Lee (* 1969) und Bethany Kennedy Scanlon (* 1975). Eine Gruppe christlicher amerikanischer Verlage zeichnet herausragende Werke des Genres seit 2000 mit dem Christy Award aus. Eine Sonderform der "Inspirational Fiction", die erst in den letzten Jahren einen steilen Aufstieg genommen hat, ist die Amish Romance Novel. Während der größte Teil der "Inspirational Fiction" ausschließlich Anhänger der genannten konservativen Denominationen ansprechen soll, sind gelegentlich auch Werke erschienen, die auf ein weiteres Publikum zielen, darunter z. B. die "Left Behind"-Serie von Tim LaHaye (1926–2016) und Jerry B. Jenkins (* 1949). Mormonische Literatur. Als "LDS fiction" ("Latter-day Saint") bzw. "Mormon fiction" wird in den Vereinigten Staaten Romanliteratur bezeichnet, die Themen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage behandelt. Die Glaubensinhalte dieser Gemeinschaft weichen von denen der drei christlichen Hauptkonfessionen deutlich ab und ihre Zugehörigkeit zum Christentum ist umstritten. Nachdem die LDS-Literatur lange Zeit ein Nischendasein geführt hat, sind die Auflagen in der jüngeren Zeit jedoch gestiegen und Autoren wie Stephenie Meyer erreichen inzwischen auch das Mainstream-Lesepublikum. Die Literatur der LDS hat in den USA eine lange Tradition. Bereits in ihrer Gründerzeit (1830–1880) besaß die Bewegung eine reiche Gedichtliteratur, deren Vertreter u. a. Eliza R. Snow, Parley P. Pratt, W. W. Phelps und der Schotte John Lyon waren. Nachdem die Glaubensgemeinschaft sich in Utah niedergelassen hatte, entstand dort auch eine Erzählliteratur. Brigham Youngs Tochter Susa Young Gates veröffentlichte 1909 ihren Roman "John Stevens'Courtship", und B. H. Roberts' Roman "Corianton" (1902) wurde von Orestes Utah Bean als Schauspiel adaptiert, das bis zum Broadway gelangte. Das erfolgreichste Beispiel der frühen LDS-Literatur war jedoch Nephi Andersons Debütroman "Added Upon" (1898), in dem die Geschichten menschlicher Seelen vor dem Leben, im Leben und nach dem Leben erzählt werden. Die folgende Autorengeneration, zu der Vardis Fisher, Maurine Whipple und Virginia Sorensen gehörten, wurde auch vom nichtmormonischen Lesepublikum wahrgenommen, grenzte sich von der mormonischen "Home literature" jedoch ab und verlor die enge Anbindung an die Glaubensgemeinschaft, die Gates, Roberts und Anderson noch besessen hatten. Ein weiterer bekannter LDS-Autor dieser Zeit ist Samuel W. Taylor, auf dessen Erzählung "Heaven Knows Why!" (1948) die Filmkomödie "Der fliegende Pauker" basiert. In den 1960er Jahren war der Dichter Clinton F. Larson Vorreiter einer grundlegenden Modernisierung und Ent-Provinzialisierung der LDS-Literatur. Ihm folgten die Herausgeber und Autoren Douglas Thayer, Donald R. Marshall und Levi S. Peterson. Stark beachtet wurde vor allem Petersons 1986 erschienener Roman "The Backslider" über die sexuellen und moralischen Konflikte eines jungen Mormonen. In den 1970er Jahren entstand auch eine neue populäre LDS-Literatur, die an die "Home literature" von Gates, Roberts und Anderson anknüpfte. Ihre Autoren ‒ Shirley Sealy, Randy Jernigan, Susan Evans McCloud, Jack Weyland, Brenton G. Yorgason und Blaine M. Yorgason ‒ veröffentlichten ihre Arbeiten meist bei Deseret, einem traditionsreichen LDS-eigenen Verlag, der erst in dieser Zeit in die Vermarktung fiktionaler Literatur einstieg. Zu den bedeutendsten LDS-Autoren der jüngeren Zeit zählen Orson Scott Card und Gerald N. Lund, dessen mormonische Familiensaga "The Work and the Glory" (1990–1998) inzwischen auch verfilmt worden ist. Weitere erfolgreiche Autoren, in deren Arbeiten sich der mormonische Glaube niedergeschlagen hat, sind Jack Weyland, Anne Wingate, Dean Hughes, Phyllis Barber, Judith Freeman, Linda Sillitoe, Margaret Blair Young, Neal Chandler, Anita Stansfield, Randy Jernigan, Richard Paul Evans, Walter Kirn, Chris Heimerdinger, Glenn Beck, Rachel Ann Nunes, Robert Farrell Smith, Brady Udall und Robison Wells. Bis in den deutschsprachigen Raum hinein bekannt geworden ist Stephenie Meyer, in deren für Jugendliche konzipierten Vampirromanen ebenfalls mormonische Themen nachgewiesen werden können.
Die Sabah State Railway (SSR) ist eine staatliche Eisenbahngesellschaft im Bundesstaat Sabah in Malaysia. Sie unterhält das derzeit einzige Schienentransport-System auf der Insel Borneo. Das Streckennetz besteht aus einer einzigen 134 km langen Linie von Tanjung Aru bei Kota Kinabalu bis zur Stadt Tenom im Hinterland von Sabah. Die "Sabah State Railway" war früher als North Borneo Railway bekannt. Geschichte. In den 1880er und 1890er Jahren begann der großflächige Tabakanbau in Sabah, veranlasst durch die North Borneo Chartered Company. 1894 wurde William Clarke Cowie zum Geschäftsführer der British North Borneo Company ernannt und beauftragt, eine logistische Lösung für den Transport des Tabaks zu finden. Inspiriert vom Erfolg der Eisenbahn auf der Halbinsel Malaya schlug Cowie den Bau einer Eisenbahnlinie vor. Der Bau der North Borneo Railway begann im Jahre 1896 unter der Leitung des Bauingenieurs Louis Tomlinson. Ursprünglich sollte die Eisenbahn vor allem dem Transport von Tabak aus dem Landesinneren an die Küste dienen. Die erste Teilstrecke von 32 km Länge verlief deshalb vom Bukau River nach Norden bis Beaufort und nach Süden bis zum Hafen von Weston. Die Eröffnung der Strecke erfolgte am 3. Februar 1898. Diese Strecke wurde dann von 1903 bis 1905 um eine 48 km lange Strecke nach Tenom verlängert. 1906 erfolgte die Verlängerung um 16 km von Tenom nach Melalap. Für die technisch aufwändigen und unter großen Strapazen errichteten Teilstrecken wurden Arbeiter aus China, vor allem aus der Provinz Guangdong und der Minderheit der Hakka, eingestellt. Zur gleichen Zeit wurde die "George Pauling & Company" beauftragt, eine zweite Strecke von Beaufort nach Jesselton, dem heutigen Kota Kinabalu, zu bauen, da es sich herausgestellt hatte, dass der Hafen in Weston zu flach für größere Schiffe war. Die Linie verlief an oder nahe der Küste und wurde 1903 fertiggestellt. Mit dem Ende der Bauarbeiten hatte das Streckennetz eine Ausdehnung von etwa 193 km erreicht. Eine noch 1899 geplante Erweiterung um eine Ost-West-Verbindung von Tenom nach Cowie Harbour wurde nie realisiert. 1930 erreichte die Weltwirtschaftskrise auch Borneo. Der Handel kam nahezu zum Erliegen und das Transportgeschäft mit Naturkautschuk und Tabak brach vollständig zusammen. Kaum hatte sich das Land von den Folgen der Wirtschaftskrise erholt, begann der Zweite Weltkrieg. Nordborneo wurde von der japanischen 37. Armee unter Generalleutnant Baba Masao besetzt. Trotz vieler Beschwernisse wurde der Betrieb provisorisch aufrechterhalten. Zwischen den zerstörten Brücken verkehrten Züge und zerstörte Lokomotiven wurden durch umgebaute Militärfahrzeuge – sogenannte „Schienen-Jeeps“ – ersetzt. Als die 9. Division der Australian Imperial Force (AIF) Nord-Borneo zurückerobert hatte, waren die Gleisanlagen jedoch fast vollständig zerstört. 1945 wurde die Eisenbahn von der australischen 24. Infanterie-Brigade betrieben, als Triebfahrzeuge wurden hauptsächlich umgebaute Jeeps eingesetzt. Nach dem Krieg stand Nordborneo als Kolonie unter britischer Verwaltung. Unter dem Druck des erforderlichen riesigen Reparaturvolumens zur Wiederherstellung der zerstörten Eisenbahnlinie trat die British North Borneo Company ihre Eigentümerrechte an der North Borneo Railway an das "British Colonial Office" ab. Damit gehörte die North Borneo Railway bis zur Unabhängigkeit Malaysias im Jahr 1963 der britischen Krone. 1949 brachte die North Borneo Railway ein ehrgeiziges Programm auf den Weg, um das Netz zu sanieren und den Service zu verbessern. Eine ähnliche Initiative wurde auch 1960 durchgeführt. Trotzdem mussten der Streckenabschnitt nach Weston 1963 und die Strecke von Melalap nach Tenom im Jahre 1970 stillgelegt werden. Die hohen Betriebskosten der wenig genutzten Teilstrecken und die Konkurrenz durch die vielen neugebauten Straßen machten diese Strecken unrentabel. 1974 wurde schließlich die Hauptstrecke um das Stück zwischen dem Hafen Kota Kinabalu und dem ehemaligen Betriebsbahnhof Sekretariat gekürzt. 2006 war die gesamte Strecke wegen Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten außer Betrieb. Die Strecke Tanjung Aru–Tenom wurde am 21. Februar 2011 wiedereröffnet. Insgesamt sind auf der Strecke 14 öffentliche Bahnhöfe und Haltepunkte verteilt, sowie weitere nichtöffentliche Betriebseinrichtungen, die Depots und Ausbesserungsstätten und ein Lager für Oberbaumaterial. Der ehemalige Betriebsbahnhof „Sekretariat“ wird erst seit ein paar Jahren unter dem Namen „Sembulan“ für die Öffentlichkeit genutzt. Zwischen Beaufort und Tenom sind etwa 20 weitere nicht im Fahrplan verzeichnete Haltepunkte verteilt, die eine infrastrukturelle Anbindung von Einzelhäusern und Siedlungen im straßenlosen Padas-Tal sicherstellen. Historische technische Ausrüstung. Seit den ersten Anfängen im Jahr 1896 bis heute wurden verschiedene Lokomotivtypen für den Reise- und Güterzugbetrieb benutzt. Dampfloks wurden bis in die 1970er Jahre eingesetzt, darunter die 1913 erwarb die Gesellschaft aus der Konkursmasse der vormals an der Marudu Bay tätigen "British Borneo Exploration Syndicate Company Limited" die Lokomotiven BILIAJONG (Typ „Waterloo“, Baujahr 1905, Fabriknummer 767, gebaut von Kerr Stuart) und MARUDU (gebaut von Dick Kerr & Co. Limited, Engineers and Contractors, London and Kilmarnock, 1905). Während BILIAJONG bereits kurz nach dem Kauf verschrottet wurde, wurde die Lok MARUDU in Jesselton eingesetzt und überstand beide Weltkriege. Sie wurde erst 1954 verschrottet. Wegen der nahezu unerschöpflichen riesigen Waldflächen Sabahs wurde von Anfang an auf Holzfeuerung gesetzt. Zudem war die Eisenbahnstrecke in ihrem gesamten Verlauf entweder von Dschungel umgeben oder verlief nahe dem Dschungel, so dass eine preiswerte Versorgung mit Brennstoff sichergestellt war. Frühere Aufzeichnungen des rollenden Materials belegen folgenden Bestand: 1971 wurden die Dampfloks durch Dieselloks ersetzt, die billiger, schneller und betriebsfreundlicher waren. Diese Diesellokomotiven stammten von den japanischen Firmen Kawasaki, Hitachi und Nippon Sharyo. Technische Ausrüstung heute. Personenverkehr. Bis vor kurzem wurde der Reiseverkehr mit zweiteiligen Dieseltriebwagen aus dem Jahr 1970 abgewickelt. Diese Einheiten haben nur eine einzige Klasse (Economy) und besitzen keine Klimaanlage. SSR hat außerdem noch reguläre Reisezugwagen, die auch Güterzügen beigestellt werden können. Auch diese Wagen haben nur eine Klasse und keine Klimaanlage. Für die Wiedereröffnung der Strecke im Jahr 2011 wurden neue Dieseltriebwagen und vollklimatisierte Reisezugwagen der chinesischen Firma CSR angeschafft. Güterverkehr. Die Güterzüge werden mit Diesellokomotiven der Firmen Hitachi oder Kawasaki bespannt, die aus den 1970er- und 1980er-Jahren stammen. Diese Loks sind schwächer motorisiert als diejenigen, die von der Eisenbahngesellschaft Keretapi Tanah Melayu (KTM) auf der Halbinsel Malaysia benutzt werden, nämlich mit einer Leistung zwischen 320 PS und 580 PS. Historische Züge. Im Jahr 2000 wurde ein Joint Venture zwischen Sabah State Railway Department und Sutera Harbour Travel Sdn Bhd geschlossen, mit dem Ziel, Dampflokomotiven-Begeisterte aus aller Welt anzulocken. Die vollständig sanierten Vulcan-Dampflokomotiven werden dabei als Zugmaschinen eingesetzt. Die Reisezugwagen wurden dergestalt renoviert, dass sie dem Fahrgast die Atmosphäre der Kolonialzeit vermitteln. Die Feuerung der Lokomotiven erfolgt im Übrigen nicht mit Kohle, sondern mit Holz. Die Strecke. Das komplette derzeitige Streckennetz wird sowohl für Personen- als auch Güterverkehr genutzt. Die Strecke ist eingleisig, meterspurig und nicht elektrifiziert. Die Regierung des Staates Sabah verpflichtete KTM, mit SSR zusammen kurz- und mittelfristig die Sicherheit der Eisenbahnstrecke zu verbessern. Dazu war eine Sanierung der Gleis- und der Signalanlagen sowie eine Überholung des rollenden Materials erforderlich. In diesem Zusammenhang finden auch Überlegungen statt, den Streckenabschnitt zwischen Tanjung Aru und Kota Kinabalu wieder in Betrieb zu nehmen. Ein Ergebnis ist nicht bekannt. Die Strecke Tanjung Aru–Beaufort wurde komplett saniert und nach mehrjähriger Verzögerung im Februar 2011 wiedereröffnet. Die Strecke Beaufort–Tenom wird derzeit (Stand November 2011) saniert und soll voraussichtlich in zwei Jahren ebenfalls modernerem Standard entsprechen. Im Abschnitt Beaufort–Tanjung Aru fahren die Züge nun mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h gegenüber der früheren von 50 km/h, in Spitzen auf einigen wenigen geraden Abschnitten sogar bis zur Höchstgeschwindigkeit der Lokomotiven von 100 km/h. Da die Strecke Beaufort–Tenom zurzeit den Anforderungen für einen Betrieb mit den neuen Fahrzeugen nicht entspricht, ist der Fahrplan zweigeteilt. In Beaufort muss von dem modernen, klimatisierten Wagen in die unklimatisierten alten umgestiegen werden. Die Fahrgeschwindigkeit im Abschnitt Beaufort–Tenom ist niedrig, bedingt durch das Gelände und der relativ schwachen Motorisierung der Züge. Darüber hinaus birgt die Strecke besondere Gefahren wie etwa Erdrutsche nach Starkregen, wodurch der Betrieb unterbrochen oder gar für kürzere Zeit eingestellt werden muss. Die Anbindung von Saliwangan, Halogilat, Rayoh und Pangi an das Schienennetz ist bis heute von besonderer Bedeutung, da diese Ortschaften keinen Anschluss an das Straßennetz haben. Fahrbetrieb. Alle Haltestellen und Bahnhöfe sind mit einer Fahrkartenausgabe ausgestattet. Für Kurzstrecken werden kartonierte Fahrkarten ausgegeben, bei längeren Strecken und Hin- und Rückfahrten wird ein Fahrschein von Hand ausgestellt. Der Führerstand der Reisezüge wird mit zwei Mann Personal besetzt, wobei der Beimann in erster Linie den Totmannschalter "(Vigilance)" betätigt. Die Strecke wird nicht elektronisch überwacht. Das Zugmeldeverfahren sieht vor, dass sich der Lokführer an jedem Bahnhof eine „Line clear order“ bzw. „Crossing Order“ vom Bahnhofsvorstand aushändigen lässt, bevor er den nächsten Streckenabschnitt befahren darf. Ein GPS-basiertes „Radio Block Signaling“ ist in den Zügen zwar eingebaut, wird aber nicht betrieben. Die Bahnübergänge sind nur teilweise beschrankt. Allerdings ist jeder Bahnübergang mit einem Schrankenwärter besetzt, der entweder die Schranke bedient oder rechtzeitig den Straßenverkehr unterbricht. Die Schrankenwärter nehmen mit Sprechfunk Kontakt zum Lokomotivführer auf und bestätigen die freie Durchfahrt. Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass auf der ganzen Strecke damit zu rechnen ist, dass Personen, Fahrzeuge oder Tiere die Gleise überqueren. Der Lokführer betätigt deshalb nahezu unaufhörlich das Drucklufthorn. Verwaltung. Unter dem Blickwinkel der Verwaltung gesehen, begann das Zeitalter der Eisenbahn in Sabah mit Cowie im Jahr 1898. Die North Borneo Railway als eigenständige Gesellschaft wurde 1914 gegründet. Die Verwaltung der Eisenbahn erfolgte ab 1963 vom "Sabah State Railway Department" als Teil der Verwaltung des Bundesstaats Sabah. Das Sabah State Railway Department war bereits am 1. August 1914 auf Grundlage des Kapitels 116 der Eisenbahnverordnung gegründet worden und gehört heute zum Ministerium für Infrastrukturentwicklung. Die Zentrale ist im Bahnhof Tanjung Aru untergebracht. Weitere Verwaltungseinheiten sind durch den nichtöffentlichen Haltepunkt „Sekretariat“ an das Schienennetz angeschlossen. Die kürzlich erfolgten Sanierungsarbeiten wurden von SSR gemeinsam mit KTM durchgeführt. Trotzdem legt SSR großen Wert auf die Feststellung, dass Betrieb und Verwaltung von Sabah State Railways vollständig unabhängig von KTM sind. Freizeit und Tourismus. Durch die Zunahme des Tourismus in Sabah hat sich auch für die Eisenbahn eine neue Perspektive ergeben. Die Strecke Beaufort–Tenom verläuft durch die Schlucht des Padas River und wird als landschaftlich reizvoll beschrieben. Die Eisenbahn selber ist für Eisenbahnfreunde eine Attraktion für sich. Darüber hinaus werden die historischen Betriebsmittel der North Borneo Railway zu bestimmten Zeiten als Touristenattraktion von "Sutera Harbour Resort" betrieben, darunter die Vulcan-Dampflok 6-016, die zu den weltweit letzten holzbefeuerten Dampfloks zählt. Nachdem der Betrieb der historischen Dampflokomotiven wegen eines Erdrutsches und der nachfolgenden Sanierung der Strecke im Jahr 2008 eingestellt worden war, wurde er im Juli 2011 wieder aufgenommen. Die Fahrt mit der "Volcano" beginnt in Tanjung Aru. In Kinarut wird ein halbstündiger Zwischenhalt eingelegt. Die Fahrt wird in Papar unterbrochen, um die Lokomotive abzuölen, auf der Drehscheibe zu wenden und Wasser zu nehmen. Die Rückfahrt erfolgt ohne Zwischenhalt. Die Einstufung von Sabah durch die Tourismusindustrie als „leichtes Abenteuer“ wird wahrscheinlich auch mit einer Zunahme der Fahrgastzahlen einhergehen. Unfälle. 9. April 2008 Am 9. April 2009 um 14:50 Uhr entgleiste eine Lokomotive mit zwei Reisezugwagen auf der Fahrt von Tenom nach Beaufort. Nach tagelangen Regenfällen war der Unterbau aufgeweicht. Der Zug stürzte drei Kilometer hinter Tenom in den etwa 10 bis 15 m tiefer gelegenen "Padas River". Dabei starben zwei Reisende und zahlreiche andere wurden verletzt. 1. November 2011 Am 1. November 2011 stieß der mit 200 Personen besetzte Zug um 17:30 Uhr zwischen den Haltestellen "Tanjung Aru" und "Putatan" auf der Höhe des Flughafenterminals mit einem Tanklastzug zusammen. Das Tankfahrzeug der "Shell Timur Sdn Bhd" hatte einen der vielen illegalen Eisenbahnübergänge benutzt, um die in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle gelegene Tankstelle Kepayan zu beliefern. Beim Zusammenstoß wurden 12 Personen verletzt; der mit 27.000 Litern Kraftstoff beladene Tanklastzug explodierte und brannte völlig aus. Sonstiges. Das ehemalige Depot in Tanjung Aru beherbergte eine Fülle von historischen Wagen und Lokomotiven. Da die Beschaffung von Ersatzteilen in der Regel schwierig und kostspielig ist, dienen viele Fahrzeuge als Ersatzteilspender für die noch in Betrieb befindlichen Züge. Ein Großteil dieses Erbes des Eisenbahngeschichte wurde 2015 in das neue Depot bei Kinarut verlegt. Während im Streckenabschnitt von Tenom nach Beaufort ein mit zwei an den Seitenwänden installierten Holzbänken ausgestatteter Güterwagen speziell für die Beförderung von Waren aller Art und Tieren vorgesehen ist, ist in den Zügen zwischen Beaufort und Tanjung Aru die Mitnahme von Durian-Früchten, frischgeschlachteten Fischen und Haustieren im Zug nicht erlaubt.
Die Melezza ist ein rund 42 Kilometer langer rechter Nebenfluss der Maggia. Sie durchfließt den obersten Teil des Valle Vigezzo im italienischen Piemont als männlicher "Melezzo orientale" (östlicher Melezzo) und anschließend das Centovalli im Schweizer Kanton Tessin als weibliche "Melezza". Wenig südwestlich entspringt der Melezzo occidentale (westlicher Melezzo), der anfangs parallel verläuft, bevor er bei Druogno nach Westen abknickt, das Valle Vigezzo durchfließt und schließlich bei Domodossola in den Toce mündet. Bei Palagnedra ist die Melezza zum Stausee von Palagnedra aufgestaut. Der Staudamm wurde 1952 fertiggestellt und ist 72 Meter hoch. Verlauf. Der Fluss entspringt auf etwa als "Melezzo orientale" direkt beim "Rifugio Regi" auf der "Alpe Forno" unterhalb des Pizzo la Scheggia auf dem Gemeindegebiet von Santa Maria Maggiore. Er fließt anfangs steil der Einmündung des rechtsseitigen "Valle Cortino" und des linksseitigen "Valle del Melezzo" entgegen, die bei der Alpsiedlung "Coier" ihr Wasser dem Melezzo zuführen. In der Talsohle bildet er nun nach Südosten fließend eine steile Schlucht zwischen dem Monte Mater und der "La Cima". Zwischen den Dörfern Santa Maria Maggiore und Toceno tritt er ins Valle Vigezzo ein und wendet sich nach Osten. Er verläuft kurz auf dem Gemeindegebiet von Craveggia und nimmt danach beim Dorf Malesco zuerst rechtsseitig die etwa gleich große "Loana" und danach linksseitig den "Isornino" auf. Ihm folgt nun, meist am linken Ufer entlang, die Bahnstrecke Ribellasca–Domodossola Strada Statale 337 della Val Vigezzo. Er passiert Villette und wendet sich bei Re unterhalb des Monte Netto nach Nordosten. Es folgen die Fraktionen "Dissimo" und "Olgia" der Gemeinde Re, die am Hang über dem Fluss liegen, während das Tal immer schmaler wird. Bei "Olgia" bildet er direkt ab der Staatsgrenze eine enge Schlucht und markiert sie dabei bis zur Fraktion "Ribellasca" für rund 1,8 Kilometer. Beim Tessiner Weiler "Ribellasca" an der Einmündung des "Ri de Ribellasca" (it. Rio di Spago) tritt er in der Gemeinde Centovalli ganz auf Schweizer Boden über und wird nun Melezza genannt. Sie erreicht das Centovalli und wird nun von der Centovallibahn und der "Hauptstrasse 560" stets linksseitig begleitet. Kurz nach der Grenze wird sie bei Camedo zum Lago di Palagnedra gestaut. Zwischen Verdasio und Palagnedra verlässt sie den Stausee und durchfließt eine tiefe, bewaldete Schlucht. Sie nimmt den von "Bordei" herabkommenden "Ri della Sella" von rechts auf und passiert danach die Dörfer "Corcapolo" und "Calezzo", die am linken Talhang liegen. Am Ende der Schlucht zwischen Intragna und "Golino" mündet linksseitig mit dem Isorno aus dem Onsernonetal der wichtigste Zufluss ein, wobei sie gleichzeitig die Gemeindegrenze zu Terre di Pedemonte übertritt. Die Melezza durchfließt nun ein breites Tal nach Osten südlich in zwei Bögen vorbei an Cavigliano, Verscio und Tegna, rechtsufrig liegt erst die Gemeinde Centovalli, danach Losone. Hier wechselt sie mehrmals das Gemeindegebiet, da die Grenze dem alten Flusslauf folgt. Schließlich mündet sie auf am Fuße des Monte Brè von rechts in die Maggia, die nur kurz darauf in den Lago Maggiore fließt.
Maria Eugenia Vaz Ferreira (* 13. Juli 1875 in Montevideo, Uruguay; † 20. Mai 1924 ebenda) war eine uruguayische Autorin, Dichterin und Hochschullehrerin. Sie gehört neben Delmira Agustini und Juana de Ibarbourou zu den bekanntesten Dichterinnen Uruguays. Leben und Werk. Ferreira war das jüngste von drei Kindern von dem portugiesischen Kaufmann Manuel Vaz Ferreira und Belén Ribeiro. Sie wurde von Privatlehrern unterrichtet und absolvierte kein reguläres Studium. Sie lernte die deutsche Sprache, um die Gedichte von deutschen Dichtern wie Heinrich Heine in ihrer Originalfassung zu lesen. Sie studierte Klavier bei ihrem Onkel León Ribeiro und nahm zwischen 1895 und 1910 als Konzertkünstlerin an einigen öffentlichen Veranstaltungen teil. Ihr Vater starb im Alter von sechzig Jahren auf einer Geschäftsreise nach Brasilien, woraufhin ihr Bruder Carlos Vaz Ferreira die Rolle des Familienpatriarchen übernahm. Als die Universität der Frauen in Montevideo gegründet wurde, wurde sie 1905 dort mit der Ausübung von Funktionen im Sekretariat beauftragt. 1917 übernahm sie die Position einer Professorin am Institut für Literatur zeitgleich mit Paulina Luisi und Enriqueta Compte i Riqué am Instituto Normal de Señoritas. Am 2. Februar 1914, beim Luftfahrtfest des National Aviation Center, stieg sie als erste Uruguayerin in ein Flugzeug und überflog die Umgebung der Rennstrecke Maroñas in Montevideo. Ihr Gesundheitszustand zwang sie 1922, die Universität unter Ausnutzung des Rentengesetzes zu verlassen. Literarische Karriere. Sie war Mitglied der Generación del 900, eine Gruppe uruguayischer Schriftsteller, die zwischen 1868 und 1886 geboren waren und zu der Carlos Reyles, Javier de Viana, Delmira Agustini, Carlos Roxlo und Emilio Frugoni gehörten. Ferreira begann in ihrer frühen Jugend mit dem Schreiben von Gedichten, hauptsächlich handgeschriebenen Gelegenheitsgedichten für Familie und Freunde, und im Alter von achtzehn Jahren wurden mehrere Gedichte in Zeitschriften und Magazinen in Uruguay und Argentinien veröffentlicht. Ihre erste öffentliche Lesung gab sie 1893, und als sie 20 wurde, erschienen ihre Gedichte "Monólogo", "La sirena" und "A una golondrina" bereits in mehreren Anthologien. Von 1899 bis 1907 wurden viele ihrer Gedichte in renommierten Zeitschriften wie "La Revista", "La Nueva Atlántida" und "Rojo y Blanco" veröffentlicht. 1905 wurden elf ihrer Gedichte in Raúl Montero Bustamantes Anthologie "El Parnaso Oriental" aufgenommen. Sie traf eine Auswahl von 41 Gedichten, die sie zunächst unter dem Titel "Fuego y Mármol" oder "Las Islas de Oro" veröffentlichen wollte, später jedoch als "The Island of Canticles" erschienen . Sie konnte die Ausgabe nicht mehr vor ihrem Tod beenden und diese wurde von ihrem Bruder fertiggestellt. 1924 veröffentlichte ihr Bruder die Gedichtsammlung "La isla de los canticos". Sie schrieb auch drei Theaterstücke, die im Teatro Solís uraufgeführt wurden: 1908 "La piedra philosofal", 1909 das Drama "Los peregrinos", das 1909 den Salus-Wettbewerb gewann, und 1913 "Resurrexit". Unter ihren Papieren befinden sich die Entwürfe eines vierten unvollständigen Werkes mit dem Titel "Nube de estío". Erst 1959 fand der uruguayische Schriftsteller und Philosoph Emilio Oribe Ferreiras unveröffentlichtes Lebenswerk mit Entwürfen, Revisionen und Briefen. Er veröffentlichte "La otra isla de los cánticos", bestehend aus 71 Gedichten, die nicht in Ferreiras erstem Buch enthalten waren. 1986 veröffentlichte Hugo J. Verani eine kommentierte Ausgabe ihrer gesammelten Werke. Diese Ausgabe enthält 87 Gedichte, die zuvor in keinem ihrer beiden ersten Bücher erschienen waren. Verani hatte einige ihrer Gedichte in Zeitungen des späten neunzehnten und des frühen zwanzigsten Jahrhunderts aufgespürt, ebenso einige poetische Fragmente und Gedichte, die sie für Familie und Freunde geschrieben hatte. 2007 veröffentlichte die Modern Language Association of America eine "Anthology of Spanish American Modernismo" in englischer Übersetzung mit spanischem Text. Dieses Werk enthält ein Kapitel über Ferreira sowie drei ihrer Gedichte und die ersten bekannten englischen Übersetzungen von Ferreira.
Bruce Frederick Joseph Springsteen (* 23. September 1949 in Long Branch, New Jersey) ist ein US-amerikanischer Rockmusiker. Der Bandleader der E Street Band ist Oscar- und Tony-Award-Preisträger sowie 20-facher Grammy-Gewinner. Springsteen ist weltweit äußerst populär und einer der kommerziell erfolgreichsten Rockmusiker überhaupt. Allein in den Vereinigten Staaten hat er mehr als 60 Millionen Alben verkauft, weltweit sind es inklusive DVDs um die 130 Millionen. Seine Songs haben meist das amerikanische Alltagsleben zum Thema. Sein Spitzname „The Boss“ entstand in den 1970er Jahren, als er seinen Bandmitgliedern nach den Auftritten die Gage bar ausbezahlt hat. Leben. Kindheit und Jugend. Bruce Springsteen wuchs in einem katholischen Elternhaus in Freehold, New Jersey, zusammen mit zwei jüngeren Schwestern, Virginia und Pamela Springsteen, in einfachen Verhältnissen auf. Die Eltern – besonders die Mutter Adele – waren sehr religiös und versuchten dies den Kindern zu vermitteln. Sein Vater Douglas Springsteen war irisch-niederländischer Herkunft. Bruce beschreibt ihn als cholerische, schroffe Person, der es schwerfiel, emotionalen Kontakt zu den Kindern herzustellen. Douglas war wenig erfolgreich in wechselnden Jobs tätig, etwa in einer Teppichweberei, als Taxifahrer und als Gefängniswärter. Bruce Springsteen erinnert sich an seinen Vater als einen frustrierten, abends oft betrunken in der Küche sitzenden Mann. Seine Mutter, Adele Zerilli, ist italienischer Herkunft. Er beschreibt sie als warmherzige, aktive Frau, die das Familienleben organisierte. Zusätzlich arbeitete sie als Sekretärin. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie Springsteen waren bescheiden. Wegen finanzieller Schwierigkeiten folgte Mitte der 1950er Jahre ein sozialer Abstieg, so dass die Familie in ein hauptsächlich von Zuwanderern und Marinesoldaten bewohntes Viertel umziehen musste. Springsteen rebellierte einerseits gegen seinen Vater und versuchte ihm so wenig wie möglich zu gleichen; andererseits übernahm er dessen Werte aus der Arbeitswelt (unter anderem Misstrauen gegenüber Intellektuellen) sowie dessen Begeisterung für Autos. Diese Ambivalenz kennzeichnet auch sein Verhältnis zu seiner Heimatstadt und zu New Jersey sowie zur organisierten Religion. Von Nachbarn wurde der Junge als unbeschwertes, aktives Kind beschrieben. Dieser Zustand änderte sich mit Eintritt in die von Franziskanerinnen geleiteten St.-Rose-of-Lima-School. Springsteen wurde zum Problemkind, das in ständigem Konflikt zu den Lehrern stand und sich zunehmend in sich selbst zurückzog. Er entwickelte ein Gespür für Isolation, das ihn bis weit ins Erwachsenenleben hinein begleiten sollte. Er selbst äußerte sich dazu später folgendermaßen: „Ich hatte viele Pläne, doch ich war immer derjenige, der draußen stand und sehnsüchtig nach drinnen blickte. Ich habe mich schon sehr früh einsam gefühlt. Alle in der Familie meines Vaters waren Außenseiter.“ Schon in seiner Jugend empfand Springsteen die sich ihm als Arbeiterkind bietenden Zukunftsperspektiven als bedrückend. Das Leben seiner Eltern erschien ihm als Sackgasse. Im Alter von zehn Jahren entwickelte sich seine Begeisterung für Rockmusik, zunächst für Elvis Presley, später auch für die Rolling Stones und die Beatles, und er bekam seine erste Gitarre geschenkt. Mit 14 Jahren wechselte er auf die regionale High School von Freehold und entdeckte die Rockmusik als Möglichkeit, der Enge seines bisherigen Lebens zu entfliehen. Das kulturelle Leben im Hause Springsteen war hauptsächlich durch den Fernseher bestimmt und Bruce hatte so gut wie keinen Zugang zu Literatur. Durch Bob Dylan lernte er die Ausdrucksmöglichkeiten in Songtexten kennen. Später schrieb er über diese Zeit den Song "No Surrender" für das 1984 veröffentlichte Album Born in the U.S.A.: „We learned more from a three minute record than we ever learned in school“ und 1988 anlässlich der Aufnahme Dylans in die Rock and Roll Hall of Fame: „He was the brother that I never had. […] Like Elvis freed your body, Bob freed your mind.“ Er begann ernsthaft Gitarre zu üben und spielte in lokalen Bands. 1967 verließ er die High School und besuchte ein Jahr lang das nahegelegene Ocean County College. 1966 zogen seine Eltern nach Kalifornien, wo sein Vater Arbeit als Busfahrer in San Mateo fand. Bruce blieb in New Jersey im Haus der Eltern und später in einem Zimmer in Asbury Park. Er ging keiner geregelten Arbeit nach, verbrachte die Zeit vielmehr mit Musik, Softball, Surfen, Mädchen und Autofahren. 1968 hatte Springsteen, der später so treffend Situationen und Gefühle der working class beschrieb, seinen einzigen Job außerhalb der Musikszene, eine wenige Wochen dauernde Beschäftigung als Gärtner. Seine Herkunft hat ihn stark beeinflusst. Dabei entwickelte er ein ausgesprochen zwiespältiges Verhältnis zu seinen Wurzeln. So sagte er einmal, dass er als Jugendlicher seine Heimatstadt als engstirnig und armselig empfunden habe. Heute lebt er wieder in der Nähe von Freehold, New Jersey. Die Trostlosigkeit des Arbeiterlebens und die vorgezeichneten Lebensläufe der Arbeiterklasse sowie deren Versuche, aus ihren Lebensumständen auszubrechen, sollten die bestimmenden Themen vieler seiner Songs werden. Auch sein konfliktbeladenes Verhältnis zu Autoritäten – speziell zu seinem Vater – hat er immer wieder zum Thema gemacht. Bruce Springsteen ist seit 1991 in zweiter Ehe mit der Sängerin Patti Scialfa verheiratet und hat mit ihr drei Kinder, zwei Söhne und die Tochter Jessica Rae, die Springreiterin ist. 1965–1974: Musikalische Anfänge. Seine ersten musikalischen Einflüsse waren Country&Western-Hits von Gene Autry, Roy Rogers sowie von Hank Williams, die zu Hause und bei seiner Großmutter häufig zu hören waren. Sie sind auf Alben wie "Nebraska" und "The Ghost of Tom Joad" deutlich zu hören. 1965 trat er der Band 'Castiles' – der Name stammte von einer Seife – bei und spielte recht erfolgreich in kleinen Clubs wie dem berühmten New Yorker 'Cafe Wha?'. Unter der Leitung von Manager Tex Vineyard erlangten die Castiles lokale Berühmtheit und nahmen zwei Singles auf, "Baby I" und "That’s what you get". Springsteens musikalische Ambitionen stießen bei seinen Eltern auf wenig Gegenliebe. Glaubt man seinen Erzählungen, gab es in der Familie Springsteen zwei Dinge, die unbeliebt waren: zum ersten er selbst und zum zweiten seine Gitarre. So jedenfalls seine Ansage zu "Growin'up" (Live 1975–1985): „There were two things that were unpopular in my house: one was me. The other one was my guitar.“ 1968 gründete er eine neue Band mit Namen'Earth', ein Trio mit der „klassischen“ Besetzung Gitarre, Bass und Schlagzeug. Die Band bestand wohl nur von August 1968 bis Februar 1969, hatte in dieser Zeit aber mehr als ein Dutzend Auftritte. Im März 1969 gründete Springsteen mit Leuten, die er im „Upstage Club“ getroffen hatte, die Band'Child'. Im November desselben Jahres änderten sie den Namen in'Steel Mill'. Ihr Hard Rock brachte Springsteen weitere kleine Erfolge. Drei Singles wurden aufgenommen: "The Train Song, He’s guilty" und "Going back to Georgia". Die Aufnahmen tauchen heute regelmäßig bei CD-Börsen auf. Im Januar 1971 verließ Springsteen'Steel Mill', weil er sich in eine andere musikalische Richtung begeben wollte. Die Zeit bis zur Formierung einer neuen Band überbrückte er mit Gastauftritten, so zum Beispiel bei Steven Van Zandt & The Big Bad Bobby Williams Band, deren Bandleader der spätere Gitarrist der E Street Band war. In dieser Zeit fanden sowohl verschiedene Jam-Sessions mit unterschiedlichen Musikern als auch Solo-Akustik-Auftritte statt. Aus diesen Jam-Sessions entstand schließlich die Band'Dr. Zoom and the Sonic Boom', bei der alle greifbaren Personen eingebunden wurden. Dies ging so weit, dass vier Mitglieder als Monopoly-Spieler der Band beigetreten waren und auch genau das auf der Bühne taten: Monopoly spielen. Neben Van Zandt, der hier ebenfalls mit von der Partie war, gehörten auch die späteren E-Street-Band-Mitglieder Garry Tallent, David Sancious, Vini Lopez und Danny Federici'Dr. Zoom'an. Ein Southside-Johnny-Mitglied, für dessen Band'Southside Johnny & the Asbury Jukes'Springsteen und Van Zandt später viele Lieder schreiben und produzieren sollten "(It’s been a long time)", war ebenfalls Mitglied von Dr. Zoom. Nach deren Ende spielte Springsteen übergangsweise mit Van Zandt und Southside Johnny, Garry Tallent und Vini Lopez in der'Sundance Blues Band', bevor er im Juli 1971 die'Bruce Springsteen Band'gründete. Sie kann als abgespeckte Version von'Dr. Zoom'angesehen werden und gilt als Vorläufer der'E Street Band'. Die Band, mit der Springsteen ab Oktober 1972 spielte und Ende 1972 sein erstes Studioalbum "Greetings from Asbury Park, N.J." aufnahm, trug keinen Namen, wird aber als frühe E Street Band angesehen. Offiziell wurde sie erst ab 1974 mit diesem Namen angekündigt. Er bezieht sich auf die Adresse des damaligen Keyboarders der Band, David Sancious. Der Springsteen dieser „frühen Jahre“ wird von Zeitzeugen als umtriebige, von manischem Arbeitseifer getriebene, gleichzeitig aber schüchterne und speziell in geschäftlichen Dingen naive Person beschrieben, die nur auf der Bühne auftaute und Führungsqualitäten zeigte. Nachdem der Impresario John Hammond auf Springsteen aufmerksam geworden war, nahm er den Musiker für Columbia Records unter Vertrag. Entgegen den Plänen seines Managers, der die Aufnahme eines Folkalbums vorgesehen hatte, nahm Springsteen seine Band mit ins Studio. Im Januar 1973 erschien das Debütalbum "Greetings From Asbury Park, N.J." Die Platte wird als gute, wenn auch nicht herausragende Rockplatte betrachtet. Musikalisch war sie in weiten Teilen noch recht konventionell und trug deutliche Folkeinflüsse. Sie zeigte bereits das erzählerische Talent Springsteens. Seine Texte waren bilderreiche, ausufernde Beschreibungen des Lebens eines Jugendlichen in New Jersey. Der Titel der Platte bezieht sich auf ein Seebad an der Atlantikküste von New Jersey, das mit seinen vielen Clubs in den 1960er Jahren ein Mekka für aufstrebende Musiker war. Asbury Park war mit seinem bunten Nachtleben ein beliebter Anziehungspunkt für Jugendliche und bot vielen Bands Auftrittsmöglichkeiten. Springsteens Debüt-LP war aber – auch wenn sie von Kritikern gelobt wurde – ebenso wie die noch im Herbst desselben Jahres folgende zweite, "The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle," zunächst ein Flop. "The Wild …" gilt inzwischen wegen ihrer musikalisch wie textlich dichten, lebhaften und vielschichtigen Schilderung des Lebens in New Jersey und New York aus der Sicht eines Heranwachsenden nicht nur als eine seiner besten Platten, sondern auch als eine zu Unrecht kaum beachtete Perle der frühen 1970er Jahre. 1975–1981: Der Durchbruch mit "Born to Run". Erst mit dem dritten Album, "Born to Run," gelang 1975 der kommerzielle Durchbruch. Das Album kam unter die Top Five der Hitliste, mit dem Titelsong "Born to Run" gab es auch einen Top-20-Single-Hit. Das Album wurde aufwendig produziert, Springsteen verwendete ein reichhaltiges Instrumentarium; zusätzlich zur üblichen Rockbesetzung wurden Klavier, Fender-Rhodes-E-Piano, Glockenspiel, Cembalo, Saxophon, Trompete (Randy Brecker), Flügelhorn und Hammond-Orgel eingesetzt. Dadurch erzeugte er einen sehr dichten und vollen Sound, der an Phil Spectors sogenannten „Wall of Sound“ erinnert. Besonders treten dabei das Saxophon sowie das Klavier im Stile von Billy Joel oder Meat Loaf hervor. Max Weinberg und Roy Bittan, die später auch an Meat Loafs größtem Erfolg "Bat out of Hell" beteiligt waren, spielten nun Schlagzeug beziehungsweise Klavier. Die Musik ist aber nicht immer ganz frei von Bombast und Pathos. Im folgenden Beispiel aus dem Titel "Born to Run" bringt das Klavier kraftvoll gespielte Akkordblöcke abwechselnd mit gebrochenen Akkorden in 16-tel Notenwerten (siehe Noten und). Einige Titel der ersten drei Alben, wie zum Beispiel "Jungleland," sind aus mehreren Teilen aufgebaut und überschreiten dabei deutlich die sonst im Rock übliche 4-Minuten-Grenze. So beginnt der Titel "Jungleland" auf "Born to Run" mit einer „klassisch angehauchten“ Klaviereinleitung (siehe), zu der sich Streicher gesellen. Der Mittelteil ist mit der „üblichen Rockbesetzung“ versehen. Daran schließt sich ein intimer Jazz-Part (siehe Noten und) mit Saxophon, Bass, Klavier und jazz-typischem Schlagzeugspiel an, bevor es wieder „rockiger“ wird, und der Song mit der Klaviereinleitung endet. Aufgrund des Erfolges des Albums kam Springsteen in der gleichen Woche sowohl auf die Titelseite von Time als auch von Newsweek – ein neuer Star war geboren. Dies wurde von Publikum, Musikerkollegen und Kritikern teils mit Skepsis beobachtet. Viele vermuteten dahinter einen Medienhype. Bereits ein Jahr zuvor hatte ein Musikkritiker anlässlich eines Konzertes von Springsteen in Cambridge geschrieben: „Ich habe die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen, und ihr Name ist Bruce Springsteen.“ Der Name des Musikkritikers: Jon Landau, der wenig später Springsteens Manager wurde, nachdem dieser sich nach einem langwierigen Rechtsstreit von seinem bisherigen Manager Mike Appel getrennt hatte. Durch diesen Streit hatte sich auch die Veröffentlichung seines nächsten Albums "Darkness on the Edge of Town" bis ins Jahr 1978 verzögert. Auf diesem Album wird das Prinzip der „Wall of Sound“ nicht mehr verwendet. Die Stücke sind einfacher strukturiert und die einzelnen Instrumente deutlicher voneinander abgehoben. Dabei treten besonders die von Danny Federici gespielte Orgel und noch mehr die E-Gitarre in den Vordergrund. Es sind Einflüsse von Duane Eddy, Jimmy Page und Roy Buchanan zu hören. Springsteens Gesang klingt deutlich gepresster und betont maskulin. Seine Musik entwickelt sich auf dieser und den folgenden Platten in Richtung eines einfachen und kraftvollen Rocksounds. War "Born to Run" noch von einer euphorischen Stimmung geprägt, so ist "Darkness" deutlich pessimistischer. Dies zeigt sich schon im Titel der Platte. Springsteen selber äußerte sich zu diesem Album folgendermaßen: „There’s less of a sense of a free ride in'Darkness'than in'Born to Run'. There’s more a sense of: if you wanna ride, you’re gonna pay, and you better keep riding. There’s just a little more world awareness.“ („Es gibt weniger die Stimmung des freien Spielens auf'Darkness'als bei'Born to Run'. Die Stimmung ist eher: Wenn du spielen willst, musst du dafür bezahlen. Und du spielst lieber weiter. Es ist einfach ein bisschen reflektierter.“) 1978 kam es zu einer Zusammenarbeit mit Patti Smith, die mit der Springsteen-Komposition "Because The Night" einen Hit landete. Im Jahr 1979 beteiligte sich Springsteen an dem Konzert "No Nukes," bei dem er sich mit anderen Künstlern gegen die Nutzung von Atomkraft einsetzte. Das Doppelalbum "The River" (1980) zeigte seine musikalischen Fähigkeiten in ihrer ganzen Bandbreite, von der Ballade – wie im Titelsong (siehe Noten und), der mit akustischer Gitarre und Mundharmonika beginnt, zu der im Refrain Klavier, Schlagzeug und Bass treten – bis zum Rocker. Mit "Hungry Heart" enthielt das Album zudem seinen ersten Top-Ten-Hit, durch den er in Europa einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Dies zeigte sich bei der anschließenden Tournee, bei der er im April 1981 in Frankfurt, München, Berlin und Hamburg vor ausverkauften Häusern erstmals in Deutschland spielte. 1982–1983: Minimalistische Arrangements: Nebraska. Dass Springsteen immer für eine Überraschung gut ist, bewies die Veröffentlichung seines nächsten Albums "Nebraska" (1982). Anstatt den erfolgreichen Weg von "The River" weiter zu verfolgen, schuf er auf "Nebraska," begleitet nur von Gitarre, Mundharmonika und Glockenspiel, eine düstere Atmosphäre, die den Hintergrund für seine Geschichten über Außenseiter der amerikanischen Gesellschaft abgab. Nach mehreren vergeblichen Arrangementversuchen mit der'E Street Band' entschied sich Springsteen schließlich – quasi als Notlösung – für eine Veröffentlichung seiner im Homerecordingstudio entstandenen Demoaufnahmen (erkennbar auch am ungeschliffenen Sound). Verglichen mit "The River" war das Album ein Flop. Heute gilt es mit seinen intimen und eindringlichen, oft depressiv wirkenden Liedern aber als eines seiner besten Alben. 1984–1991: Stadionrock – Born in the U.S.A.. Endgültig zum Superstar wurde Springsteen mit "Born in the U.S.A." (1984), einem Album, das sieben Top-Ten-Hits in den USA hervorbrachte. Die Songs sind im Vergleich zu den Vorgängeralben noch einfacher aufgebaut, das heißt auf das Wesentliche reduziert. Sie sind geprägt von einfachen üblichen Rock-Riffs der Gitarre oder der Keyboards sowie eingängigen „Mitsing-Refrains“, beispielsweise im Titelsong "Born in the U.S.A." oder in "Glory Days" (siehe Noten und). Der Keyboardsound ist dabei dem Geschmack der 1980er Jahre angepasst. In der Folge häufig kopiert wurde der wuchtige Drumsound des Titelsongs mit der betonten und mit viel Hall aufgenommenen Snaredrum auf dem 2. und 4. Taktteil (siehe Noten und). Das Jahr 1984 brachte aber auch einschneidende Veränderungen für Springsteen mit sich: Steve Van Zandt, Weggefährte der ersten Stunde, verließ die E Street Band nach Abschluss der Arbeiten am Album, um eine Solokarriere zu verfolgen. Als Ersatz wurde für die Tour Nils Lofgren verpflichtet. Als weitere Veränderung gab es erstmals eine Backgroundsängerin auf der Bühne, Patti Scialfa. "Born in the U.S.A." ist eine der meistverkauften Platten der Rockgeschichte, und für Springsteen folgte eine Welttournee, die ihn im Juni 1985 auch wieder für zwei große Konzerte im Frankfurter Waldstadion und im Münchener Olympiastadion nach Deutschland führte. Der Titelsong wurde nicht nur in den USA vielfach als patriotische Hymne missverstanden, da man mehr auf den mitreißenden Refrain als auf den sozialkritischen Text achtete. Ronald Reagan benutzte das Lied in seinem Wahlkampf, was Springsteen aber unterband. Springsteen hatte zunächst eine rein akustische Version des Lieds eingespielt, aber dann der härteren Rock-Version mit voller Bandbesetzung den Vorzug gegeben. Auf seinem Live-Mitschnitt der Konzerte im Rahmen der Reunion-Tour 1999/2000 aus dem Madison Square Garden spielte er das Lied wieder solo und rein akustisch. „I had a brother at Khe Sahn, / fightin’ off the Vietcong, / they’re still there, but he’s all gone …“ Mit einem einzigen Vers, mehr noch: mit einigen gesanglich extrem gestreckten Silben „he’s all gone …“ vermag Springsteen die Wirkung eines ganzen Kriegs in einem Brennpunkt poetisch einzufangen, ohne freilich offensichtlich Partei zu ergreifen. Am 13. Mai 1985 heiratete Springsteen Julianne Phillips, Schauspielerin und Model, die er erst wenige Monate zuvor in Los Angeles kennengelernt hatte. Nachdem Springsteen jahrelang die Veröffentlichung von Konzertmitschnitten abgelehnt hatte, weil er fürchtete, die Atmosphäre seiner Konzerte könne nicht auf Plattenaufnahmen vermittelt werden, änderte er seine Meinung. Unter dem Titel "Live/1975-85" erschien im November 1986 eine Sammlung aus 40 Songs auf fünf LPs beziehungsweise drei CDs. Eine erst im Jahr 2006 veröffentlichte Aufnahme eines Konzertes 1975 in London (Hammersmith Odeon, London ’75) ist ein lebhaftes Dokument, das Springsteen und seine Band voller Spielfreude zeigt. Bootlegs anderer Auftritte sind bei Fans begehrte Sammlerobjekte und kursieren unter diesen in großer Zahl. 1987 erschien das Album "Tunnel of Love". Es beschreitet einen Mittelweg zwischen dem martialischen, „verschwitzten“ Stadion-Rock von "Born in the U.S.A." und der intimen Stimmung von "Nebraska". Die Songs wirken „entspannter“ und gehen eher etwas in Richtung einer modern klingenden Popmusik. Keyboard-Sounds dominieren gegenüber E-Gitarren, und der Drumsound klingt nicht mehr ganz so wuchtig wie beim Vorgängeralbum. Die Mitglieder der E Street Band wurden nur eingesetzt, wenn es der einzelne Song erforderte. Bei der anschließenden Tournee spielte Springsteen zum ersten Mal auch im Ostteil des damals noch geteilten Berlin. 160.000 Eintrittskarten wurden zum Konzert am 19. Juli 1988 in der Radrennbahn Weißensee offiziell verkauft. Es war zugleich Springsteens größter Live-Auftritt, den er je gegeben hat. Im September und Oktober 1988 ging er zusammen mit anderen Künstlern, Sting, Peter Gabriel und Tracy Chapman, auf eine Benefiztournee zu Gunsten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Bruce Springsteen hielt 1988 bei der Aufnahme Bob Dylans in die Rock and Roll Hall of Fame die Laudatio. Schon während der "Tunnel-of-Love"-Tournee waren Gerüchte aufgekommen, dass Springsteen mit seiner Backgroundsängerin Patti Scialfa ein Verhältnis habe. 1988 reichte Julianne Phillips schließlich die Scheidung ein, die im März 1989 vollzogen wurde. Am 25. Juli 1990 kam in Los Angeles Springsteens und Scialfas erster Sohn Evan James zur Welt, am 8. Juni 1991 heirateten sie. Am 30. Dezember 1991 wurde ihre Tochter Jessica Rae geboren, 1994 folgte noch Sam Ryan. 1992–1997: Neue Wege. Anschließend legte Springsteen die Zusammenarbeit mit den Musikern der E Street Band auf Eis, ohne die Band offiziell aufzulösen. Es folgten zwei gleichzeitig veröffentlichte Alben im Jahre 1992, "Human Touch" () und "Lucky Town", die Springsteen mit verschiedenen weltbekannten Musikern der Session-Szene von Los Angeles, wie dem Schlagzeuger Jeff Porcaro von Toto, dem Trompeter Mark Isham und den Sängern Bobby King und Sam Moore einspielte, welche ihn auch auf der anschließenden Tournee begleiteten. Die beiden Alben wurden wegen ihrer „zu kommerziellen Ausrichtung“ von eingefleischten Springsteen-Fans als musikalischer Tiefpunkt seiner Karriere gewertet, unter anderem auch, weil Fans und Kritiker monierten, man wolle damit der Verkaufsstrategie von Guns N’ Roses nacheifern, die ein paar Wochen zuvor ebenfalls gleichzeitig die beiden Platten "Use Your Illusion I & II" herausbrachten. Springsteen erklärte beide Alben als grundsätzlich eigenständig und unterschiedlich. Rückblickend erscheint dies glaubhaft, zumal gerade "Lucky Town" sehr selbstkritische und persönliche Texte enthält, die auf "Human Touch" fehlen. Die Verkäufe gingen im Vergleich zu den beiden vorausgehenden Studio-Alben deutlich zurück. Am 11. November 1992 gab Springsteen in Los Angeles ein Konzert in der Reihe "MTV Unplugged", in dem er nur den Starter "Red Headed Woman" unplugged spielte. Das Album erhielt den Titel "In Concert/MTV Plugged". 1995 erschien sein zweites Solo-Album "The Ghost of Tom Joad", inspiriert von der gleichnamigen Figur aus John Steinbecks Roman "Früchte des Zorns". Hier überträgt er das von Steinbeck beschriebene Schicksal der vor ökonomischen und klimatischen Katastrophen fliehenden Okies während der Depressionszeit mit dem Schicksal der lateinamerikanischen Immigranten in den heutigen USA. Auf dem Album spielt Springsteen fast alle Instrumente selbst. Akustische Gitarre und Mundharmonika dominieren () und werden nur vereinzelt von Schlagzeug, Bass und Keyboards unterstützt. Er präsentierte das Album mit einer Solo-Tournee. Kurz darauf coverte die politisch aktive Band Rage Against the Machine sein Lied "The Ghost of Tom Joad" und kleidete es musikalisch neu ein. Sie spielten es oft live, bevor es im Jahr 2000 auf ihrem Album Renegades erschien. Zahlreiche Springsteen-Songs fanden ihren Weg in Kino-Soundtracks. Für "Streets of Philadelphia" aus dem Film "Philadelphia" erhielt er einen Oscar für den besten Original-Song, für den Titelsong zum Todesstrafen-Drama "Dead Man Walking" wurde Springsteen zum zweiten Mal für den Oscar nominiert. Auf die Bitte von Mickey Rourke hin schrieb Springsteen Anfang 2008 "The Wrestler" als den Titelsong zu dem gleichnamigen Kinofilm, der im Dezember 2008 veröffentlicht wurde. Springsteen verlangte hierfür keine Tantiemen von der Produktionsgesellschaft und veröffentlichte den Song Ende Januar 2009 auch selbst, als Bonus-Track auf "Working on a Dream". Für die Harry-Potter-Filmreihe reichte er den Song "I’ll Stand by You Always" ein, der jedoch in keinem der Filme Verwendung fand. 1998–2000: Wiedervereinigung. Im November 1998 erschien "Tracks", ein Vier-CD-Set mit zahlreichen Aufnahmen aus Springsteens Gesamtwerk, von denen die meisten bis dahin offiziell nicht erschienen waren. Erwähnt sei beispielhaft die Urversion von "Born in the U.S.A.", die klanglich sehr viel näher am "Nebraska"-Album liegt. Springsteen entschloss sich dann, mit der E Street Band wieder auf Tournee zu gehen. Sie feierten ein grandioses Comeback: Von April bis Juni 1999 spielten sie zunächst in großen Hallen und Stadien in Europa, bevor im Juli 1999 eine ausgedehnte US-Tournee begann, die (mit Unterbrechungen) fast ein Jahr dauerte und mit einer Serie von zehn Konzerten im New Yorker Madison Square Garden endete. Mit dem Song "American Skin (41 Shots)" thematisierte Springsteen im Jahr 2000 den Fall des Immigranten Amadou Diallo, der im Jahr zuvor Opfer eines Zwischenfalls mit der New Yorker Polizei geworden war. Vier weiße Polizisten hatten bei einer nächtlichen Polizeikontrolle auf den ebenso unbescholtenen wie unbewaffneten Diallo insgesamt 41 Schüsse abgegeben, von denen ihn 19 trafen und schließlich töteten. Der durch Springsteens Lied publik gemachte Fall löste in den USA eine heftige Kontroverse über rassistisch motivierte Übergriffe der Polizei aus. New Yorker Polizeibeamte initiierten daraufhin eine Boykott-Kampagne gegen Springsteen, die ihm jedoch nicht geschadet hat. 2001–2004: The Rising. Im Juli 2002 erschien das Album "The Rising", das unter dem Eindruck der Ereignisse des 11. September 2001 entstanden war. Die Kritik war zunächst gespalten, es gab auch Verrisse in den Medien. Der Ton der Rezensenten änderte sich aber bald und manch einer, wie zum Beispiel Der Spiegel, legte nach einer negativen Beurteilung nur kurze Zeit später eine positive Besprechung nach. Auf "The Rising" werden zusätzlich die im Rock eher unüblichen Instrumente Violoncello und Violine eingesetzt. Asif Ali Khan und seine Gruppe steuern arabische Klänge bei. Springsteen erhielt für "The Rising" drei Grammys, davon einen in der Kategorie „Bestes Rockalbum des Jahres“. "The Rising" ist eine vordergründig unpolitische Reflexion der Gefühlslage nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Erneut schloss sich eine ausgedehnte Tournee an, diesmal durch Europa, Australien, Neuseeland und die Vereinigten Staaten. Schon während dieser Tour wurde Springsteen deutlich politischer. Er kritisierte offen George W. Bush wegen des Irak-Krieges und setzte sich im Herbst 2004 gemeinsam mit anderen Musikern wie R.E.M., John Mellencamp, Pearl Jam und Bright Eyes mit der „Vote for change-Tour“ für die Wahl John Kerrys zum US-Präsidenten ein. Außerdem wurde der Springsteen-Titel "No Surrender" von Kerry als Wahlkampfsong verwendet. 2005: "Devils & Dust". Am 25. April 2005 erschien Springsteens Album "Devils & Dust", das von der Kritik positiv aufgenommen wurde, die Fangemeinde aber wie das zehn Jahre zuvor erschienene "The Ghost of Tom Joad" spaltete. Das eher ruhige Album besteht etwa zur Hälfte aus Liedern, die sich im Laufe der Jahre bei Springsteen angesammelt hatten, die er aber zurückhielt, weil sie seiner Meinung nach nicht auf Veröffentlichungen wie zum Beispiel "The Rising" gepasst hätten. Der Titelsong "Devils & Dust" entstand unter den Eindrücken des Irak-Krieges. Textlich versuchte Springsteen, behutsam neue Wege zu erforschen. In den Titeln "Reno", der den Oralverkehr mit einer Prostituierten beschreibt: „She slipped me out of her mouth. ‚You’re ready,‘ she said …“, und "Long time comin" werden sexuelle Dinge im Gegensatz zu früher offen angesprochen. Die Folge war ein Warnhinweis „Adult advisory warning sticker“ auf den CDs in den USA. Die darauf folgende Welttournee, die ihn im Juni 2005 auch nach Deutschland führte, bestritt er ohne Band, allein mit akustischer Gitarre, Klavier und Harmonium, in der ruhigen Atmosphäre des Albums. Die Kritiken waren äußerst positiv, wenngleich die als übertrieben hoch empfundenen Ticketpreise von bis zu knapp 100 € bei den Fans für erhebliche Verstimmung sorgten. 2006–2007: "The Seeger Sessions". Einen weiteren Rückgriff auf die Folk-Wurzeln, die Springsteen immer beeinflusst haben, stellt das im April 2006 erschienene Album "" dar, das sich auf den Anfang 2014 94-jährig gestorbenen Folk-Musiker Pete Seeger bezieht, der zahlreiche traditionelle Folkstücke unverändert oder verändert aufgenommen und damit für folgende Generationen archiviert hat. Im Jahre 1997 kam Springsteen zum ersten Mal intensiv mit Seegers Werk in Kontakt, als er das Lied "We Shall Overcome" für die Seeger-Tribute-CD "Where have all the flowers gone" aufnahm. Zusammen mit Musikern aus New York City, die er durch die E Street-Geigerin Soozie Tyrell kennengelernt hatte und die bei einem Fest auf seiner Farm spielten, nahm er spontan 1997, 2005 und 2006 in nur drei eintägigen Aufnahmesessions im Wohnzimmer und Flur seines Farmhauses ein Album mit den alten Folkstücken und Traditionals auf, die durch Seeger bekannt wurden. Das Album wurde live mit vorwiegend akustischen Instrumenten (Banjo, Fiddles, Gitarren, Bläser, Waschbrett etc.) eingespielt und wirkt dadurch lebhaft und natürlich. Auf der zugehörigen DVD sind die Aufnahmesessions als Film zu sehen. Obwohl die Ankündigung, Springsteen werde ein Album ausschließlich mit Fremdkompositionen und ohne die E Street Band veröffentlichen, bei vielen Fans Irritationen auslöste, wurde die CD von der Kritik gelobt und ist auch kommerziell erfolgreich. Die Auswahl der Stücke sollte einerseits traditionelle US-amerikanische Lieder zum Leben erwecken, nachdem im August 2005 die Stadt New Orleans, die als Wiege der amerikanischen Musik gilt, durch den Hurrikan Katrina zu großen Teilen zerstört worden war. Sie kann aber auch als Kritik an der amerikanischen Politik gedeutet werden. „We Shall Overcome“ ist – wie schon in Seegers Version in den 1960er Jahren – ein Beispiel für ein Protestlied; ebenfalls auf dem Album findet sich mit "Bring ’em Home" („Bringt sie nach Hause“) ein Song von Pete Seeger aus den 1960er Jahren für die Kampagne gegen den Vietnamkrieg geschrieben, den Springsteen nun auf den Irak-Krieg bezog. Im Frühjahr präsentierte Springsteen das Album mit einer 17-köpfigen Band live. Der offizielle Tourstart war beim Jazzfest in New Orleans. Außer Springsteen, seiner Ehefrau Patti Scialfa und Geigerin Soozie Tyrell war kein Mitglied der E Street Band auf der Bühne. Sein einziges Deutschland-Konzert auf dieser Tour fand am 17. Mai 2006 in der Festhalle Frankfurt statt. Das Programm bestand vornehmlich aus den Seeger-Stücken, nur wenige eigene Titel kamen – vollkommen neu arrangiert – in dem zweieinhalbstündigen Set vor. Auf seiner zweiten Europatournee mit der Seeger Sessions Band (1. Oktober – 21. November 2006) trat Springsteen in der Color Line Arena in Hamburg und in der Kölnarena auf. Beide Konzerte waren innerhalb von 20 Minuten ausverkauft. Das Abschlusskonzert wurde aufgezeichnet und 2007 als Album und DVD unter dem Namen "Live in Dublin" veröffentlicht. 2007–2008: "Magic". Am 28. September 2007 erschien Springsteens Album Magic, das erste mit der E Street Band seit The Rising aus dem Jahr 2002 und Springsteens Rückkehr zur gitarrenlastigen Rockmusik. Produziert wurde das Album erneut vom ehemaligen Pearl-Jam-Produzenten Brendan O’Brien. Eine erste Vorabsingle, "Radio Nowhere", feierte am 26. August 2007 ihre Radioweltpremiere. Mit dieser Single knüpft Springsteen nicht nur musikalisch, sondern auch textlich an das erste Jahrzehnt seiner Karriere an. Einsamkeit, Sehnsucht und die Suche nach Erlösung stehen im Vordergrund. Weitere Singles, für die auch Videos gedreht wurden, sind "Long walk home" und "Girls in their summer clothes". Das Album enthält elf auf dem Cover dokumentierte Lieder sowie ein zwölftes Stück, "Terry’s Song", das Springsteens verstorbenem ehemaligen Leibwächter und Freund gewidmet ist. Im Oktober 2007 begann Springsteen mit der E Street Band in den USA die "Magic"-Welttournee, die ihn im Dezember 2007 auch für zunächst zwei Konzerte nach Deutschland (Mannheim und Köln) führte. Im Juni 2008 folgten im Zuge dieser Tournee zwei weitere (Düsseldorf und Hamburg), von denen das Hamburger Konzert bereits Mitte Januar 2008 ausverkauft war. Bei der Fortsetzung der Magic-Tour im Jahr 2008 ließ Springsteen aus dem Publikum Schilder einsammeln, auf die Musikwünsche geschrieben waren. So wurde beispielsweise in Hamburg das bis zu diesem Konzert überhaupt erst einmal in der Silvesternacht 1980/1981 gespielte "Held up without a gun", das auf der dritten CD der "Essential Bruce Springsteen Box" veröffentlicht wurde, gespielt. In späteren Konzerten folgten weitere Raritäten und/oder Oldies. Die Magic-Tour endete offiziell am 24. August 2008 im "Sprint Center" in Kansas City. Am 30. August 2008 fand noch eine weitere Show – offiziell außerhalb der Magic-Tour – im "Roadhouse at the Lakefront" (Milwaukee, WI) statt, es handelte sich dabei um eine "Harley Davidson Celebration Show". 2008–2011: "Working on a Dream". Das Album "Working on a Dream", das dem 2008 verstorbenen Keyboarder der E Street Band Danny Federici gewidmet ist, erschien in Deutschland am 23. Januar 2009. Auf seiner Website erklärte Springsteen, dass es „den Schwung der "Magic"-Sessions aufnehme“. Drei Songs wurden vorab über verschiedene Download-Dienste veröffentlicht: zuerst der Titelsong "Working on a Dream", den Springsteen bereits im Herbst 2008 in einer akustischen Version bei Wahlkampfauftritten des damaligen demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten und späteren Wahlgewinners Barack Obama gespielt hatte. Danach folgten "My Lucky Day" und der Bonus-Track "The Wrestler" vom Soundtrack des gleichnamigen Films. Springsteen erhielt für diesen Song im Januar 2009 den Golden Globe Award für den „Best Original Song“. Auf der Special Edition der Album-CD, die eine DVD mit dem Titel "Working on a Dream – The Sessions" enthält, ist neben verschiedenen Sessionaufnahmen zusätzlich der Song "The Jersey Devil" enthalten. "Working on a Dream" erreichte schnell die Spitze Internationaler Charts, in den USA, in England und Deutschland gelang dem „Boss“ der Sprung auf Platz eins der Verkaufs-Hitliste. Nach "Born in the USA" (1984), "Greatest Hits" (1995), "The Rising" (2002) und "Devils & Dust" (2005) ist es seine insgesamt fünfte Nummer-eins-Platzierung in Deutschland. "Working on a Dream" kam in 16 Ländern auf Platz eins in den Charts. Im Rahmen einer Welttournee 2009 spielten Bruce Springsteen und die E Street Band unter anderem in den Stadien von Wien, München, Frankfurt und Bern. Das Konzert im Londoner Hyde Park wurde gefilmt und 2010 auf DVD und Bluray veröffentlicht. Als Eröffnungssong brachte Springsteen den Clash-Klassiker "London Calling". 2012–2013: "Wrecking Ball". Das Album "Wrecking Ball" (deutsch: Abrissbirne) erschien Anfang März 2012 und ist dem verstorbenen Saxophonisten der E Street Band Clarence Clemons gewidmet. Anders als bei dem optimistischen Vorgängeralbum "Working on a Dream" geht es diesmal mit deutlich kritischerem Unterton um die Reflexion der US-Wirtschaftskrise und Kritik am Bankensystem. Die erste Single-Auskopplung des Albums, "We Take Care of Our Own", wurde passend dazu schnell zu einer Art Hymne der Occupy-Wall-Street-Bewegung. Im Rahmen der "Wrecking Ball"-World Tour 2012/2013 spielten Springsteen und die E Street Band erneut zahlreiche Konzerte in Europa, darunter Wien, Zürich, Frankfurt, Köln und Berlin. Die letzte Station des ersten Europa-Legs der Tour war in Helsinki, dort spielten sie mit 4 Stunden und 6 Minuten das längste Konzert der Bandgeschichte. 2014: "High Hopes". Anfang Januar 2014 erschien das neue Album von Springsteen mit dem Titel "High Hopes". Gastmusiker ist Tom Morello, der in den Songs "High Hopes", "Harry’s Place", "American Skin (41 Shots)", "Just Like Fire Would", "Heaven’s Wall", "Hunter of Invisible Game" sowie "The Ghost of Tom Joad" mitwirkt. Springsteen über Morello: "Die E Street Band ist ein großes Haus, aber wenn Tom auf der Bühne steht, baut er einen neuen Raum an". Das Album war im Voraus im Stream von Spiegel Online zu hören. 2015–heute: "The River 2016 Tour" und "Springsteen on Broadway" 2017–2018. 1980 erschien das Doppelalbum The River. Zum 35-jährigen Jubiläum des Albums wurde die The-River-Box "" veröffentlicht. Aus diesem Anlass ging Bruce Springsteen mit seiner "E-Street Band" auf Welttournee und spielte rund 75 Konzerte. Im Zeitraum vom 3. Oktober 2017 (Preview) bis 15. Dezember 2018 gab der Musiker unter dem Titel "Springsteen on Broadway" im "Walter Kerr Theatre" in New York 236 ausverkaufte Solo-Konzerte, in denen er sang sowie Gitarre und Piano spielte, Anekdoten aus seiner Autobiographie "Born to Run" und andere Erinnerungen zum Besten gab. Springsteens Ehefrau Patti Scialfa trat bei fast allen Konzerten mit auf. Die Konzerteinnahmen betrugen 113 Millionen US-Dollar. 2019 erschien das Soloalbum "Western Stars" mit großem Orchester und Anleihen an Western Music und den Soundtracks der klassischen Westernfilme. 2020 folgte mit "Letter to You" wieder ein Album mit der "E-Street Band" und dem typischen Sound, das auch drei bereits in den 1970ern komponierte Titel enthält. Am 22. Februar 2021 wurde bekannt gegeben, dass auf Spotify ein Podcast mit dem Titel "Renegades: Born in the USA" veröffentlicht wird, der aus Gesprächen zwischen Springsteen und Barack Obama besteht. Am 26. Oktober 2021 erschien das gleichnamige Buch. Im Dezember desselben Jahres verkaufte Springsteen die Rechte an seiner Musik an Sony. Der Verkaufspreis wurde dabei nicht bekanntgegeben. Doch beträgt der Wert der Rechte ≥ 500 Millionen US-Dollar. Musik. Bruce Springsteen schöpft seine musikalischen Einflüsse aus dem Reservoir der traditionellen US-amerikanischen populären Musik, Folk, Blues und Country. Von Anfang an war Rock ’n’ Roll der prägende Einfluss. Auf seiner Debüt-LP ist der Folk-Einfluss deutlich zu hören. Ein Beispiel für den Einfluss dieser Musikgattung auf Springsteens Musik ist der stilistisch an Woody Guthrie angelehnte Titel "This Hard Land" (siehe Noten und), den er 1995 auf seinem Greatest-Hits-Album veröffentlichte. Er erweiterte das Spektrum seiner musikalischen Mittel auf seiner zweiten LP "The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle". Elemente lateinamerikanischer Musik, Jazz-, Soul- und Funk-Einflüsse sind zu hören, beim Stück "New York City Serenade" sogar ein an die Musik George Gershwins erinnerndes Intro. Das liegt zum Teil an dem nur auf den ersten beiden Platten beteiligten schwarzen Pianisten David Sancious, der später jahrelang bei Sting spielte. Die Musik dieser Zeit spiegelt die ethnische und kulturelle Vielfalt New Jerseys und New Yorks wider, in der Springsteen aufwuchs. Im weiteren Verlauf seiner Karriere konzentrierte sich Springsteen mehr auf die Rock-Elemente seiner Musik. Er verdichtete zunächst den Sound und entwickelte ab "Darkness on the Edge of Town" ein ebenso schnörkelloses wie prägnantes musikalisches Idiom, für das einfache Riffs und klar zu erkennende Songstrukturen prägend sind. Seine Musik wird in den USA auch zur Kategorie des sogenannten Heartland Rock gezählt, als dessen typische Vertreter außer Springsteen John Fogerty, Tom Petty, Bob Seger und John Mellencamp gelten. Diese Musik hat einen textlichen Bezug zum US-amerikanischen Alltag. Sie geht über reine Unterhaltung hinaus, indem sie soziale und gesellschaftliche Probleme thematisiert. Die Musik ist eher einfach und direkt gehalten. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung mit Springsteens Erfolgsalbum "Born in the U.S.A." und dort speziell im Titelsong, der auf einem sich ständig wiederholenden, fanfarenartigen Keyboard-Riff und einem hämmernden Drum-Beat aufbaut. Passend dazu klingt in diesem Stück Springsteens Stimme; sie schreit dem Hörer die unsentimentale Geschichte der ebenso desillusionierten wie zornigen Figur, die Springsteen darstellt, geradezu ins Gesicht. Dass er auch mit ruhigen Songs Charterfolge verbuchen kann, zeigen Titel wie "My hometown" und "I’m on fire" (), bei dem die Schlagzeug-Linie von dezenten Hi-Hat-Schlägen sowie Rim-Klicks (Schlag auf die Kante der Snare-Drum) gebildet wird. In den vergangenen Jahren hat Springsteen seine Musik weiter verändert. Es sind vermehrt Folkelemente bis hin zum Gospel zu hören. Auf seinem letzten Soloalbum "Devils and Dust" beeindruckt er nicht nur durch komplexes Songwriting, sondern auch als ausdrucksstarker und sensibler Sänger. Auf dem Album "We Shall Overcome – The Seeger Sessions" coverte Springsteen Folk-Klassiker. Bei den Konzerten zum Album transformierte er auch eigene Songs wie "Growin’ Up" in die für ihn neue, eigentlich ziemlich alte Sprache. 2007 wirkte das Album "Magic" wie eine Besinnung auf die alte Stadionrock-Attitüde. Mit seinen satten Arrangements war es geradezu darauf angelegt, große Stadien zu begeistern, was auf der entsprechenden Tournee auch gelungen ist. 2011 wirkte er als Gastmusiker bei dem Lied Peg o’ My Heart der Folk-Punk-Band Dropkick Murphys auf deren Album "Going Out In Style" mit. 2017 und 2018 hatte Bruce Springsteen eine eigene Show am Broadway in New York. Bis Dezember 2018 fanden mehr als 230 Shows statt. Im Juli 2018 verkündete das Management von Bruce Springsteen, dass die Show an den Streamingdienst Netflix verkauft wurde. Die Erstausstrahlung auf Netflix fand am 15. Dezember 2018 statt. Texte. Bruce Springsteen gilt als aufmerksamer Beobachter und Chronist des US-amerikanischen Alltags. Er porträtiert in seinen Songs das Leben des „kleinen Mannes“ mit all seinen Träumen, Sehnsüchten und Freuden, aber auch seinem Scheitern an der Realität. Dabei begleitet er die Figuren auf ihrem Lebensweg: Auf seinen ersten Platten sind dies vor allem Jugendliche, die sich die Hörner abstoßen und von einer glücklichen Zukunft träumen. Springsteen besingt die Helden seiner frühen Lieder in geradezu überschwänglich romantischer Weise und neigt zu ausufernden Wortkaskaden im Stile des stream of consciousness. Kritiker fühlten sich zum Teil an die Metaphern der frühen Lieder von Van Morrison und Bob Dylan erinnert. Auf seinen späteren Alben wurden Springsteens Texte deutlich nüchterner, knapper im Ausdruck und präziser in der Beobachtung. Im Laufe seiner Karriere wurden die von ihm beschriebenen Charaktere zunehmend hoffnungslos und verbittert. Die Helden oder Anti-Helden seiner Lieder sind die Gestrauchelten und Gestrandeten mit ihren enttäuschten Hoffnungen und geplatzten Träumen. Springsteen erzählt von gescheiterten Beziehungen (vor allem auf dem Album "Tunnel of love)", Arbeitslosigkeit "(Youngstown", "Johnny 99)", Kriminalität "(Murder Incorporated)", Fremdenfeindlichkeit "(Galveston Bay)", wirtschaftlicher Ausbeutung von Fremdarbeitern "(Sinaloa Cowboys)", Rassenunruhen "(My Hometown)", Resignation "(Downbound Train)", dem Rückblick auf bessere, vergangene Tage "(Glory Days", "Bobby Jean)", aber auch von den Ausbruchsversuchen der Protagonisten aus ihrer trostlosen Existenz "(Thunder Road", "Hungry Heart)". Am ausgeprägtesten ist diese fatalistische Grundstimmung auf seinen Solo-Alben, wie etwa "Nebraska", die eine fast depressive und gespenstische Atmosphäre hat. Sein wohl bekanntester Song "Born in the U.S.A." wurde (und wird) gelegentlich als Jubelhymne auf den "amerikanischen Traum" fehlgedeutet, tatsächlich handelt er aber von den Erfahrungen eines US-amerikanischen Vietnam-Heimkehrers, der, zurück in der Heimat, keinen Platz mehr in der Gesellschaft findet. Springsteen hatte in seiner Jugend den Vietnamkrieg auf dem Fernsehschirm mitverfolgt und erleben müssen, wie junge Männer aus seinem Bekannten- und Freundeskreis als Soldaten in Vietnam fielen oder als gebrochene Menschen heimkehrten. Bruce Springsteen nimmt in seinen Liedern fast nie direkt politisch Stellung. Obwohl er Missstände in der US-amerikanischen Gesellschaft thematisiert, geht er nicht so weit, Ursachen zu benennen, Schuldige anzuklagen oder nach Lösungen zu suchen. Er beschränkt sich darauf, die Folgen sozialer Missstände und wirtschaftlicher Krisen anhand fiktiver und verallgemeinert dargestellter Einzelschicksale exemplarisch zu erzählen. Dabei stellt er nur gelegentlich und ansatzweise das US-amerikanische Gesellschaftsmodell an sich in Frage: „Down here it’s just winners and losers and don’t get caught on the wrong side of that line“. Beinahe schon klassische Motive der US-amerikanischen Popularkultur wie "The Road" oder "The River" tauchen in seinen Liedern immer wieder auf. Auch Autos spielen in seinen Songs oft eine wichtige Rolle "(Climb in back, heaven’s waiting on down the tracks" aus "Thunder road)". Ist das Motiv des "Fahrens" anfangs beinahe ein Symbol für "Freiheit", so erfüllt dieses Bild in späteren Liedern eher die Funktion der Flucht oder der verzweifelten Suche nach einem Ausweg. Er streift in seinen Texten manchmal durchaus die Grenze zum Klischee, etwa mit Zeilen wie "I had a job, I had a girl / I had something going, mister, in this world" "(Downbound Train)". Ihm gelingen gerade in der überzeichneten Darstellung seiner Figuren prägnante, typische Abbilder des Lebens eines großen Teils der US-amerikanischen Gesellschaft. Seine Texte geben damit häufig interessante Einblicke in die aktuellen US-amerikanischen „Befindlichkeiten“. Der Ich-Erzähler in Springsteens Texten stellt sich dabei immer auf die Seite des Verlierers. US-amerikanische Autoren wie Jim Cullen und Bryan K. Garman (siehe Literaturliste) haben den nicht unumstrittenen Versuch gemacht, eine Linie von Walt Whitman, Ralph Waldo Emerson und Mark Twain über Woody Guthrie zu Springsteen zu ziehen. In den Texten mancher Songs tauchen religiöse Motive auf, wie sie allgemein sehr stark in die US-amerikanische Alltagssprache einfließen. Hier zeigt sich der Einfluss seiner christlichen Erziehung. So bezieht sich der Titel "Adam raised a Cain" auf die biblische Geschichte von Kain und Abel "(In the Bible Cain slew Abel, and East of Eden he was cast. You’re born into this life paying for the sins of somebody else’s past)." Der Titel "Across the border" scheint an den Auszug des israelitischen Volkes aus Ägypten in das "gelobte Land" angelehnt "(Where pain and memory, pain and memory have been stilled. There across the border. For what are we without hope in our hearts, that someday we’ll drink from God’s blessed waters)." Auf dem Album "The Rising" treten die religiösen Bezüge stärker in den Vordergrund. Springsteen neigt hierbei nicht dazu – wie etwa Bob Dylan während seiner „christlichen Phase“ – missionarischen Eifer zu entwickeln und sich als Prediger zu betätigen. Über die Verbindung von Glaube und Musik sagt Springsteen: "Es gibt keinen besseren Brunnen als die Mythen des Katholizismus. Alles ist da drin." Anders als in den meisten anderen Popsongs gibt es in Springsteens Liedern keinerlei Glücksversprechen oder irgendeine Aussicht auf Erlösung. Das heißt nicht, dass er nicht auch fröhliche Lieder schreibt. Viele seiner Stücke sind sogar durchaus tanzbar. Glückliche Momente sind bei ihm nie von Dauer, sondern bestenfalls Träumereien oder von vornherein zum Scheitern verurteilte Fluchtversuche vor den Realitäten des Lebens. Ebenso wenig kommt erfüllte Liebe in seinen Liedern vor. Dennoch – oder gerade deshalb – sind seine Figuren, in einem typischen US-amerikanischen Motiv, getrieben von der Sehnsucht, ihr scheinbar unvermeidliches Schicksal zu überwinden, und dem Willen, sich niemals geschlagen zu geben. Die enorme Popularität Springsteens liegt sicher nicht zuletzt darin begründet, dass ein großer Teil seines Publikums sich in seinen Liedern wiedererkennt. Von zahlreichen eingefleischten Fans wird er teilweise wie ein Volksheld verehrt. Bruce Springsteen hat eine sehr charismatische Bühnenpräsenz. Er vermittelt seinem Publikum die Gefühle, die er selbst als Jugendlicher beim Hören und Spielen von Musik empfunden hat. Seine Konzerte haben eine fast kathartische Wirkung auf seine Zuhörer. Sie werden daher sogar oft mit Gottesdiensten verglichen, nicht zuletzt deshalb – wie sehr gut auf den beiden ersten Platten von "Live/1975 – 85" zu hören –, weil er in der Vergangenheit zu fast jedem Lied eine fesselnde, unterhaltsame und oft auch sehr persönliche Geschichte zu erzählen hatte. Auszeichnungen (Auswahl). Springsteen erhielt während seiner fast 50-jährigen Karriere etliche Preise und Auszeichnungen, unter anderem 20 Grammy Awards und 1994 einen Oscar für den Song "Streets of Philadelphia" der zur Musik des Films Philadelphia gehört. 2009 erhielt er den Kennedy-Preis für sein Lebenswerk, 2013 wurde er zum Mitglied der American Academy of Arts and Sciences gewählt. 2016 erhielt er die Presidential Medal of Freedom, die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten von Amerika. Rezeption. Henry Edwards in der New York Times von 1975: “His melodies [are] either second-hand or undistinguished and his performance tedious. Given such flaws there has to be another important ingredient to the success of Bruce Springsteen: namely, vigorous promotion.” („Seine Melodien [sind] entweder aus zweiter Hand oder gewöhnlich und seine Auftritte langweilig. Bei solchen Schwächen muss es eine andere wichtige Zutat zum Erfolg Bruce Springsteens geben: und zwar lebhafte Werbung.“) Die Zeitschrift Hifi Vision zu den Alben "Lucky Town" und "Human Touch": „Reichlich Western-Flair und Country-Seligkeit, einige packende Balladen und atmosphärische Stücke, auffällig viel einfach gestrickte Gebrauchslyrik, aber auch treffend skizzierte Bilder.“ Die Zeitschrift Rolling Stone 1982 zum Album "Nebraska": “Nebraska is an acoustic triumph, a basic folk album on which Springsteen has stripped his art down to the core. It’s as harrowing as Darkness on the Edge of Town, but more measured. Every small touch speaks volumes: the delicacy of the acoustic guitars, the blurred sting of the electric guitars, the spare, grim images.” („Nebraska ist ein akustischer Triumph, ein grundlegendes Folkalbum auf welchem Springsteen seine Kunst bis ins Mark zerlegt. Es ist so erschütternd wie Darkness on the Edge of Town, doch gemäßigter. Jede einzelne Nuance spricht Bände: die Delikatesse der akustischen Gitarren, der verschwommene Stich der E-Gitarren, die spärlichen, düsteren Bilder.“) Konrad Heidkamp in der Zeit zu "The Rising": „Es scheint ebenso unmöglich, die Ereignisse des 11. September angemessen in Noten und Töne zu fassen, wie man sie nicht mit Worten erklären kann. Und doch liegt der Schnittpunkt von Rockmusik und Politik genau darin, die Toten Amerikas, die Opfer des Attentats zu ehren und zugleich, mit einer leisen, brüchigen Stimme, jene Melodien zu singen, in denen alle Fehler und Niederlagen der USA nachklingen.“ Der Stern zum Album "Devils & Dust": „Bei der Instrumentierung hat sich der ‚Boss‘ eine strikte Bescheidenheit auferlegt. ‚Ich wollte alles bewusst rau und unverfälscht halten. Ich denke, dass es genau das ist, was der heutigen Country-Musik häufig fehlt. Dieser gewisse Sound, der unter die Haut geht‘, erklärt Springsteen. Und so hat jeder Song nur das bekommen, was er unbedingt braucht. Das Grundgerüst bildet dabei stets Springsteens schlichtes und zugleich eindringliches Gitarren- und Mundharmonikaspiel.“ Bei der Wahl der 500 besten Alben aller Zeiten der Zeitschrift Rolling Stone im Jahre 2003 wurden acht Springsteen-Alben gewählt. Erfolgreicher waren nur die Beatles mit elf sowie Bob Dylan und die Rolling Stones mit jeweils zehn Platzierungen. Die Alben des „Boss“ nebst Platzierungen waren: Daneben wurde Springsteen als Künstler in vier Listen des "Rolling Stone" aufgenommen:
Lucas Ordoñez Martín-Esperanza (* 1. Mai 1985 in Madrid) ist ein spanischer Automobilrennfahrer. Er startete 2015 in der japanischen Formel-3-Meisterschaft. Karriere. Ordóñez begann seine Motorsportkarriere im Kartsport. Allerdings musste er die Kartsportkarriere 2001 im Alter von 16 Jahren aufgrund fehlenden Budgets beenden. Er widmete sich anschließend einem Studium. 2008 nahm er an der GT Academy teil, einem Wettbewerb von Sony und Nissan, die virtuelle Autorennen auf der PlayStation austrugen und als Preis die Teilnahme an einem echten Autorennen versprachen. Ordoñez setzte sich mit einem weiteren Teilnehmer gegen 25.000 Kandidaten durch und erhielt ein „echtes“ Renncockpit beim 24-Stunden-Rennen von Dubai 2009. Bei diesem war unter anderem der ehemalige Formel-1-Pilot Johnny Herbert sein Teamkollege. Er trat anschließend zwei Saisons im GT4 Europacup an. Bereits am ersten Rennwochenende erzielte er eine Podest-Platzierung. Die erste Saison beendete er zusammen mit seinem Teamkollegen Alex Buncombe auf dem zweiten Platz in der Meisterschaft. Die beiden gewannen zwei Rennen. 2010 bildete er ein Team mit Jordan Tresson, der ein Jahr nach ihm die GT Academy gewonnen hatte, und erzielte mit ihm zusammen den vierten Gesamtrang. 2010 debütierte Ordoñez zudem im Le-Mans-Prototypen. Er nahm an einem Rennen der Le Mans Series in der LMP2-Klasse teil. 2011 erhielt Ordoñez bei Signatech-Nissan ein LMP2-Cockpit in einem Oreca 03-Nissan im Intercontinental Le Mans Cup. Zusammen mit Soheil Ayari und Franck Mailleux gewann er bei den ersten vier Rennen jeweils die LMP2-Wertung des Intercontinental Le Mans Cups. Eines dieser vier Rennen war das 24-Stunden-Rennen von Le Mans 2011. Dort erzielten sie den neunten Gesamtrang und wurden Zweiter in der LMP2-Wertung. Da das vor ihnen gelegene Fahrzeug in der LMP2 jedoch nicht im Intercontinental Le Mans Cup eingeschrieben war, wurden sie in dieser Serie als Sieger der LMP2-Wertung dieses Rennens gewertet. Beim Saisonfinale gewann Ordoñez mit Mailleux und Jean Karl Vernay ein weiteres Mal die LMP2-Wertung des Intercontinental Le Mans Cups. In der LMP2-Wertung erzielte ihr Team den Gesamtsieg. Mailleux und Ordoñez waren die Piloten, die die meisten Punkte in der LMP2-Wertung erzielt hatten. Ordoñez wurde zudem Rookie des Jahres. 2012 wechselte Ordoñez zu Greaves Motorsport in die European Le Mans Series (ELMS). Er bildete dort ein Team mit Alex Brundle und Tom Kimber-Smith und trat in einem Zytek Z11SN mit Nissan-Motor an. Für die dritte und letzte Veranstaltung wurde er durch Buncombe ersetzt. Darüber hinaus startete er für Greaves Motorsport zusammen mit Alex und Martin Brundle bei zwei Rennen der FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC). Im Oktober 2012 nahm er zusammen mit Gunnar Jeannette im DeltaWing am Petit Le Mans teil. Er beendete das Rennen auf dem fünften Platz. Ferner ging Ordoñez zu einem Rennen der Blancpain Endurance Series an den Start. 2013 bestritt Ordoñez die gesamte Saison der Blancpain Endurance Series für das Nissan GT Academy Team RJN. Dabei hatte er wechselnde Teamkollegen. Bei einem Rennen gewann er zusammen mit Buncombe und Peter Pyzera die Pro-Am-Wertung. Am Saisonende entschied er die Pro-Am-Wertung für sich. Darüber hinaus absolvierte er vier von fünf Rennen der FIA-GT-Serie und wurde Zehnter in der Pro-Am-Wertung. Weitere GT-Rennen bestritt er in diesem Jahr in der Pirelli World Challenge, der Super GT und der VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring. Im LMP2-Fahrzeug kam Ordoñez 2013 für Greaves Motorsport beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans zum Einsatz, das zur FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft zählte. Zusammen mit Michael Krumm und Jann Mardenborough erzielte er den neunten Platz. 2014 fuhr Ordoñez für NDDP Racing with B-MAX in der Super GT. Mit Kazuki Hoshino gewann er einmal die GT300-Wertung. Die Saison beendeten Ordoñez und Hoshino auf dem vierten Platz der GT300-Wertung. Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans bestritt er für Nissan Motorsports in einem Experimentalfahrzeug, das in keiner Klasse gewertet wurde. 2015 blieb Ordoñez bei B-MAX und debütierte im Formelsport. Er ging in der japanischen Formel-3-Meisterschaft an den Start. Zu einer Veranstaltung trat er nicht an. Mit drei zweiten Plätzen als beste Resultate erreichte er den fünften Gesamtrang. Darüber hinaus begann Ordoñez die Saison in der Super GT für Kondo Racing in der GT500-Klasse. Nach dem dritten Rennen wurde er von Krumm abgelöst. Ferner erhielt Ordoñez ein Nissan-LMP1-Werkscockpit beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans.
Der Edison-Richardson-Effekt (auch glühelektrischer Effekt, Glühemission, thermionische Emission, Edison-Effekt oder Richardson-Effekt) beschreibt die Aussendung von Elektronen aus einer geheizten Glühkathode (meist im Vakuum). Die Mindesttemperaturen liegen oberhalb von 900 K und hängen stark vom Material der Oberfläche ab. Allgemeines. Die Elektronen überwinden aufgrund ihrer thermischen Energie die charakteristische Austrittsarbeit des Metalls bzw. der Oxidschicht. Werden die freien Elektronen nicht durch ein elektrisches Feld abgesaugt, bilden sie um die Glühkathode im Vakuum eine Raumladungswolke aus und laden in der Nähe befindliche Elektroden gegenüber der „Kathode“ negativ auf. Dieser Effekt kann zur direkten Umwandlung thermischer in elektrische Energie genutzt werden. Der Wirkungsgrad dieses thermionischen Generators ist allerdings gering. Für technische Anwendungen ist man bestrebt, die erforderliche Temperatur der Glühkathode möglichst gering zu halten, indem Materialien mit geringer Austrittsarbeit verwendet werden. Dies führte zur Entwicklung der Oxidkathode. Geschichte. Der Effekt wurde erstmals 1873 von Frederick Guthrie beschrieben. Er entdeckte, dass ein positiv geladenes Elektroskop entladen wird, wenn man ein geerdetes, glühendes Metallstück in die Nähe brachte. Bei negativ geladenem Elektroskop passiert nichts, woraus folgte, dass glühendes Metall nur negative Ladung abgeben kann. Thomas Edison hat diese Erscheinung im Jahr 1880 bei Experimenten mit Glühlampen wiederentdeckt und meldete 1883 eine darauf beruhende Anwendung zum Patent an. Julius Elster und Hans Friedrich Geitel untersuchten zwischen 1882 und 1889 systematisch die von einem heißen Draht abgegebene Ladung. Die Sättigungsstromdichte wurde 1901 von Owen Willans Richardson rechnerisch in der Richardson-Gleichung erfasst, wofür er 1928 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Richardson-Gleichung. Die Richardson-Gleichung beschreibt die Stromdichte "J" der aus einem Metall bei hohen Temperaturen austretenden Elektronen. Sie lautet hierbei ist "T" die absolute Temperatur, "W"e die Auslösearbeit für Elektronen, "k"B die Boltzmann-Konstante und "A" die "Richardson-Konstante". Die Auslösearbeit für Elektronen liegt im Allgemeinen etwa 1 bis 6 eV. Die Richardson-Konstante hängt vor allem vom verwendeten Metall und von der Oberflächenbeschaffenheit ab und liegt bei knapp formula_2. Für Metalloxide liegt sie weitaus niedriger. Nach Saul Dushman (1883–1954) kann die Richardson-Konstante wie folgt abgeschätzt werden: Dabei sind "m" und "e" die Elektronenmasse beziehungsweise Elementarladung und "k"B und "h" die Boltzmann- beziehungsweise Planck-Konstante. Die Gleichung wird auch als Richardson-Dushman-Gleichung bezeichnet. Ein Korrekturterm zur Austrittsarbeit ergibt sich bei sehr hoher Feldstärke durch den Schottky-Effekt. In diesem Arbeitsbereich spricht man von "Schottky-Emission". Anwendungen. Die Glühemission wird zur Erzeugung freier Elektronen in Elektronenröhren verwendet. Darin fließt in einem hochevakuierten Gefäß zwischen der direkt oder indirekt beheizten Glühkathode und der Anode ein (Elektronen-)Strom, der ggf. durch dazwischenliegende Gitter gesteuert werden kann. Elektronenröhren ermöglichen die Verstärkung von elektrischen Signalen, im Tonfrequenzbereich und im Hochfrequenzbereich, bei Sendern und Empfängern. Mit Elektronenröhren wurde es möglich, nicht nur Morsezeichen, sondern auch Sprache, Musik und Bilder zu übertragen. Die Elektronenstrahlröhre (braunsche Röhre) besteht aus einer Elektronenstrahl-Quelle mit anschließendem Ablenksystem. Anwendungen: Leuchtstofflampen mit heißer Kathode benutzen ebenfalls Glühemission. Bei vielen anderen Gasentladungslampen und auch Kohlenbogenlampen erhitzen sich die Elektroden durch die Entladung ebenfalls so weit, dass Glühemission eine Rolle spielt. "Nicht" der Fall ist dies jedoch bei Kaltkathodenröhren wie Leuchtröhren oder Glimmlampen sowie bei Blitzröhren. Glühemission wird weiterhin bei Thyratrons, Magnetrons, Klystrons, Wanderfeldröhren und Vakuum-Fluoreszenzanzeigen verwendet. Auch hier dient sie der Erzeugung freier Elektronen. Mit Hilfe der Glühemission kann die Austrittsarbeit bestimmt werden. Durch das elektrische Feld, welches benötigt wird, um die Elektronen von der Kathode zu entfernen, wird diese aber beeinflusst, sodass man den gemessenen Strom auf Feldstärke formula_5 extrapolieren muss. Nachteilige Auswirkungen der Glühemission. Glühemission ist bei Steuergittern von Elektronenröhren (wenn also das Gitter aufgrund von Erhitzung glüht) dagegen unerwünscht, hier führt sie zur sogenannten Gitteremission und zu hinderlichem Gitterstrom, der den Arbeitspunkt verschieben kann. Leistungsröhren erhalten darum meist Kühlfahnen (Strahlungskühlung) an den Enden der Gitter-Trägerstäbe; letztere sind zur guten Wärmeleitung meist aus Kupfer.
Manuel da Silva Vieira Pinto (* 8. Dezember 1923 in São Pedro de Aboim; † 30. April 2020 in Porto) war ein portugiesischer Geistlicher und römisch-katholischer Erzbischof von Nampula in Mosambik. Leben. Manuel da Silva Vieira Pinto studierte Theologie am Diözesanseminar in Porto und empfing am 7. August 1949 in der Kathedrale von Porto durch Agostinho de Jesus e Sousa, Bischof von Porto, die Priesterweihe. Er war in der Seelsorge tätig und engagierte sich für die Katholische Aktion. 1955 wurde er Spiritual des Diözesanseminars. 1958 musste er aufgrund der politischen Situation in Portugal ins Exil nach Rom gehen. Er war als Assistent des Konzilstheologen Vítor Feytor Pinto Teilnehmer der letzten Sitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Papst Paul VI. ernannte ihn am 21. April 1967 zum Bischof von Nampula. Der Apostolische Nuntius in Portugal, Maximilien Kardinal de Fürstenberg, weihte ihn am 29. Juni desselben Jahres zum Bischof; Mitkonsekratoren waren Florentino de Andrade e Silva, Weihbischof in Porto, und Manuel Marilla Ferreira da Silva, Weihbischof in Goa und Daman. Manuel Vieira Pinto war wesentlich eingebunden in die Neuorganisation der katholischen Kirche in Mosambik. 1975 wurde er zum Präsidenten der Bischofskonferenz von Mosambik (CEM) gewählt. Am 4. Juni 1984 wurde er durch Papst Johannes Paul II. zum Erzbischof ernannt und am 12. Dezember 1992 zum Apostolischen Administrator von Pemba. Von diesem Amt trat er am 18. Januar 1998 zurück. Am 16. November 2000 nahm Johannes Paul II. seinen altersbedingten Rücktritt an. Wirken. Die politischen und antihumanen Verhältnisse in Mosambik zur Zeit der portugiesischen Kolonialherrschaft wurden von Vieira Pinto öffentlich kritisiert. Dafür verwiesen ihn die Behörden in den 1960er Jahren des Landes. Er zählte zu den wenigen inländischen Kritikern in seinem Kreise, die den Repressionen der PIDE entgegentraten. Während seiner Präsidentschaft der Bischofskonferenz von Mosambik (CEM) setzte er sich aktiv für die Beendigung des Krieges zwischen Frelimo und Renamo ein, dessen Gräueltaten öffentlich angeprangert wurden. Wegen seiner antifaschistischen Haltung gegenüber der Estado Novo, der autoritären Diktatur in Portugal, wurde er in den ersten Tagen nach der Nelkenrevolution am 25. April 1974 von General António de Spínola, dem Präsidenten der Übergangsregierung Junta de Salvação Nacional, zum Staatsrat eingeladen, eine Einladung, die er jedoch ablehnte. Zuvor wurde er von der geheimen Staatspolizei Polícia Internacional e de Defesa do Estado (PIDE) festgenommen und 1958 nach den Präsidentschaftswahlen, zu denen General Humberto Delgado kandidierte, von der Regierung Salazar, Staatsführer der autoritären Diktatur des sogenannten Estado Novo, ins Exil gezwungen. In Rom beschäftigte er sich mit der Bewegung für eine bessere Welt (Movimento per un mondo migliore) des Jesuiten Riccardo Lombardi SJ. Manuel Vieira Pinto war es denn auch, der diese Geistliche Gemeinschaft in Portugal bekannt machte. Manuel Vieira Pinto galt für das portugiesische faschistische Regime als Persona non grata, weil er sich beispielsweise gegen den Kolonialkrieg engagierte. 1992 wurde er vom damaligen Präsidenten der Portugiesischen Republik, Mário Soares, mit dem Ordem da Liberdade (Orden der Freiheit, Großkreuz), dem portugiesischen Freiheitsorden, für sein Wirken der Verteidigung für die Werte der Zivilisation zugunsten der Würde des Menschen und für die Sache der Freiheit ausgezeichnet. 2001 erfolgte die Auszeichnung mit dem Orden des Infanten Dom Henrique (Großkreuz).
Als Tübinger Fehde wird der Konflikt von 1164 bis 1166 zwischen Welf VI. und Welf VII. einerseits und dem Pfalzgrafen Hugo II. von Tübingen andererseits bezeichnet. Sie umfasste den gesamten schwäbischen Raum und konnte nur durch mehrmalige Intervention Kaiser Friedrich Barbarossas gelöst werden. Geschehen. Ursache. Die Quellen (Historia Welforum, Otto von St. Blasien) berichten, dass Hugo mehrere Straßenräuber ("latrones") aufgriff, wobei er die eigenen Ministeriale frei ließ, die welfischen jedoch hinrichtete und deren Burg Möhringen bei Stuttgart zerstörte. Daraufhin sandte Welf VI. eine Klage ("querimonia") an Hugo, die dieser unterwürfig beantwortete und so zunächst einer Fehde entging. Die Welfen vergaßen die Vorfälle jedoch nicht, und so erneuerte Welf VII. die Klage 1164, während sein Vater in Italien weilte. Angeblich von Herzog Friedrich IV. von Schwaben aufgestachelt, gab Hugo eine trotzige Antwort, was nach Gerd Althoff einer ritualisierten Zustimmung zur gewaltsamen Lösung des Konflikts entsprach. Die ältere Forschung (v. a. Karl Schmid) vermutet tiefere Ursachen und findet diese in einem Streit um das Erbe von Hugos Schwiegervater, des Grafen Rudolf von Bregenz. In der neueren Forschung bezeichnet Gerd Althoff diese Vermutung als „sehr problematisch“, da das Vorgehen Hugos gegen die welfischen Gefolgsleute „einen überaus plausiblen Fehdegrund“ bten. Dies entspreche zudem der Sicht aller zeitgenössischen Quellen. Dennoch kann der hohe Grad der Eskalation nur im Kontext der Konkurrenz der drei Herzöge (Berthold von Zähringen, Friedrich von Schwaben und Welf von Spoleto), genauso wie der expansiven Territorialpolitik Hugos gesehen werden. Ein weiterer Aspekt ist der alte Feindschaftskomplex zwischen Welf und König Konrad III. bzw. dessen Sohn Friedrich (IV.) von Rothenburg, dem Herzog von Schwaben, der mit welfischer Hilfe bei den Thronfolgeregelungen 1152 übergangen wurde und durch die Geburt des ersten Sohnes Kaiser Friedrich Barbarossas 1164 keine Aussicht mehr auf den Königstitel hatte. Verlauf. Nachdem Hugo sich nicht einsichtig zeigte und keine "satisfactio" leisten wollte, berichtete Welf VII. seinen Verwandten, Freunden und Getreuen von dem ihm angetanen Unrecht und schmiedete so eine mächtige Allianz, der die Bischöfe von Augsburg, Speyer und Worms, Herzog Berthold von Zähringen und 15 Grafen, darunter die Grafen Gottfried und Rupert von Ronsberg, angehörten. Am 5. September 1164 rückten Welf und seine Verbündeten mit einem gewaltigen Heer von 2200 Mann vor die Burg Tübingen, in deren Schutz sich Pfalzgraf Hugo und Herzog Friedrich mit 1100 Mann verschanzt hatten. In der folgenden Nacht suchten Unterhändler einen friedlichen Ausgleich zu erzielen. Am Sonntag, dem 6. September 1164, entwickelte sich aus einem Scharmützel jedoch ungeplant eine regelrechte Schlacht, in der die welfische Seite unterlag. Die Partei Pfalzgraf Hugos konnte 900 Gegner gefangen nehmen, während Welf VII. sich laut der "Historia Welforum" mit nur drei Begleitern in die Burg Achalm retten konnte. Die Rückkehr Welfs VI. aus Italien und ein kaiserlicher Hoftag in Ulm im November 1164 sorgten zunächst für eine Waffenruhe und die Auslösung der Gefangenen. Die Kämpfe flammten jedoch zum Jahresende 1165 erneut auf. Welfischen Truppen gelang dabei die Zerstörung der pfalzgräflichen Burgen in Kellmünz an der Iller, Hildrizhausen und Pfalzgrafenweiler sowie der befestigten Kirche in Gültstein, die nach Schiffer (s. Literatur) allesamt Vorposten der tübingischen Expansion waren. Hugo konterte, indem er den Herzog von Schwaben bat, mittels seiner verwandtschaftlichen Beziehungen Hilfe vom böhmischen Herzog (König) Vladislav II. zu erhalten. Mithilfe dieser böhmischen Truppen verwüstete er zu Jahresanfang 1166 die welfischen Besitzungen in Oberschwaben und zwang die Welfen, sich in ihre Burg Ravensburg zurückzuziehen. Ende. Nach dem gescheiterten Waffenstillstand vom November 1164 verlangten die wiederaufflammenden Kämpfe im Frühjahr 1166 erneut eine Einmischung des Kaisers. Auf dem Hoftag in Ulm Anfang März musste sich Pfalzgraf Hugo auf kaiserlichen Befehl dreimal vor Welf VII. in Anwesenheit aller beteiligter Adliger (auch Friedrich von Rothenburgs) niederwerfen und wurde dann gefesselt in Gefangenschaft abgeführt. Bis zum Tod des jungen Welfs 1167 verbrachte er so inhaftiert eineinhalb Jahre auf einer welfischen Burg in Churrätien. Unterwerfungsrituale waren im Hochmittelalter gängige öffentliche Zeichen und lösten so manchen Konflikt. Eine offene Frage bleibt, warum Herzog Friedrich von Schwaben nicht bestraft wurde. Hansmartin Schwarzmaier führt dies auf die Unterstützung durch seinen Schwiegervater, Herzog Heinrich den Löwen, sowie seine Tante, die byzantinische Kaiserin Bertha von Sulzbach, zurück.
Das Zeitrad (ungarisch: "Időkerék") ist die größte Sanduhr der Welt. Sie steht unweit des Heldenplatzes, am Rande des Stadtwäldchens in Ungarns Hauptstadt Budapest. Mit ihr feierte Ungarn am 1. Mai 2004 den Beitritt zur Europäischen Union. Der Erfinder des Zeitrades ist János Herner. Technische Beschreibung. Das Zeitrad ist ein Rad mit einem Durchmesser von 8 m, bei einer Breite von 2,5 m. Als Materialien wurden Edelstahl, Sicherheitsverbundglas und roter Granit verwendet. Das Gesamtgewicht der Uhr beträgt 60 Tonnen. Eine mit 6 m Höhe von der Größe vergleichbare Sanduhr steht nur im Sandmuseum der japanischen Stadt Nima. Die Laufzeiten betragen jeweils ein Jahr. Eingefasst wird es von einem blauen Ring aus Edelstahl, welcher bereits als Transportschutz die auftretenden Kräfte aufnehmen sollte und den Granit zu schützen hatte. Des Weiteren sorgt er für die Stabilität des Rades, welches aus verschiedenen Steinelementen mit einer Dicke von 22 cm zusammengesetzt ist. Insgesamt wurden 30 Tonnen indischer Granit für das Monument verbraucht. Die zwei Behälter, die die 4,5 Kubikmeter Glasgranulat beinhalten, wurden aus Verbundglas gefertigt. Der Vorteil des Granulats gegenüber normalem Sand besteht darin, dass die gleich großen Körner die Oberfläche der Behälter nicht beschädigen und eine genau definierte "Rieselgeschwindigkeit" aufweisen. Dieses gleich große, reine, absolut trockene und schlagfeste Granulat bewegt sich in unter Druck stehendem Stickstoff. Etwa 137 mm³ Granulat rieseln pro Sekunde vom oberen Behälter in den unteren. Um den Durchfluss zu steuern, sitzt im Mittelpunkt des Zeitrades ein Regelmechanismus. Dieser ermöglicht Witterungseinflüsse auszugleichen und die Uhr an Schaltjahre anzupassen. Durch einen Hebel wird die Uhr jährlich in der Silvesternacht, nachdem das letzte Sandkorn um 24:00 Uhr durch die Uhr gerieselt ist, durch zwei Menschen um 180° gedreht, und damit wieder in Gang gesetzt. Entstehung. Die Idee für ein Zeitrad hatte der Kulturhistoriker und Erfinder "János Herner" bereits im Jahre 1983. Seinen Entwurf beschrieb er so: "„Ursprünglich sollte sie sich sogar bewegen“. „Ziel war, die Zeit auch plastisch, in der Entfernung darzustellen, deshalb sollte die 60 Tonnen schwere Sanduhr nicht einfach nur aufgestellt werden, sondern wäre auch langsam gerollt – daher auch die Form. Innerhalb von 87 Jahren wäre das Zeitrad von der Kunsthalle bis zur Ajtósi Dürer fasor gewandert“." 1998 erhielt er schließlich die Erlaubnis der Stadtverwaltung von Budapest, die Uhr in dieser Form aufzustellen. Allerdings stellte sich bald heraus, das unter der Straße eine Tiefgarage errichtet werden sollte. Durch dieses Vorhaben war es nicht mehr gesichert, dass die Asphaltdecke der Straße die Last der Uhr aushalten würde. Man entschloss sich, das Zeitrad hinter die Kunsthalle zu verlagern und es fest im Boden zu verankern.<br> Die in Üröm ansässige Steinmetzfirma „Renaissance“ erhielt den Auftrag für den Bau des Monumentes, da sie durch Restaurierungsarbeiten an der St.-Stephans-Basilika und dem Parlamentsgebäude in Budapest bereits über Erfahrungen mit Großprojekten gesammelt hatte. Besonders schwierig war die Verbindung von Stein und Stahl. Außerdem war es schwierig einen Mechanismus zu entwickeln, der es ermöglichte, die riesige Sanduhr mit dem Gewicht einer Diesellokomotive einmal jährlich allein durch Menschenkraft drehen zu können.<br> Die Füllung der Uhr zelebrierte man am Rande der Kunsteisbahn in der Nähe des Heldenplatzes. Dazu wurde ein mit Fahnen der Europäischen Union dekorierter, großer Trichter aufgestellt, in den jeder einen Löffel „Sand“ einfüllen konnte. "János Herner" beschrieb es mit den Worten: "„Hier können Interessenten einen Löffel Sand und damit einen Löffel ihrer eigenen Zeit eingeben.“" In der ersten Woche nahmen rund 30.000 Menschen dieses Angebot wahr, darunter auch viele Politiker und Diplomaten aus den verschiedenen Länderbotschaften. Jeder, der einen Löffel Sand in die Uhr einfüllte, erhielt dazu eine Urkunde, auf der ein Code und die genaue Uhrzeit eingetragen war, an der sie/er den Sand in den Behälter gefüllt hatte. Nach der Einweihung sollte jeder mit seinem Code im Internet sehen können, „wie es um seine Zeit in der Sanduhr steht“. Auch andere Länder, wie Deutschland und China, bezeugten ihr Interesse an dem Zeitrad. So fragte die Chinesische Regierung an, ob man eine Lizenz erwerben könne, um eine eigene Uhr in Peking aufzustellen. Kritik. Besonders in der Budapester Bevölkerung gab es viel Kritik zu dem "Monumentalwerk". Unter anderem befand man die "überdimensionierte Sanduhr" als viel zu teuer. Das Kanzleramt in Budapest veröffentlichte eine Kalkulation in folgender Form: Viele Ungarn und Budapester waren und sind der Meinung, dass niemand dieses Monument benötigt und dass es schlichtweg ein Prestigeobjekt der Regierung in Budapest war. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass die Uhr fehlerhaft war und häufig gewartet werden musste. Bereits bei der ersten Inbetriebnahme, zur Einweihung des Zeitrades, bedurfte es der ersten Reparatur. Später, bei Wartungsarbeiten zur Silvesterfeier 2005 hieß es, man habe festgestellt, die Uhr wäre stehengeblieben, weil ein "„Sandkorn“" in das Getriebe geraten sei. Als Ursache hierfür wurde gemutmaßt, Wasser sei in die Uhr gesickert, und habe das Granulat in eine zähe und nicht mehr rieselfähige Masse verwandelt.<br> Der Vorstandschef der für den Unterhalt des Zeitrades verantwortlichen "Khronos Stiftung" wies darauf hin, dass man, um einem solchen Effekt vorzubeugen, gerade auf Sand verzichtet und dem Glasgranulat den Vorzug gegeben habe. Auch wurden diese Gerüchte von offizieller Stelle zurückgewiesen. Man erklärte, die Uhr sei absichtlich angehalten worden. Dazu der Erfinder János Herner: "„Nach den Regenfällen mussten wir Wasser aus dem Schacht pumpen. Dafür mussten wir die Uhr anhalten. So haben wir dann gemerkt, dass das Zeitrad undicht ist und das Gas, das die Dunstbildung im Zeitrad verhindern sollte, ausgeströmt war. Deshalb haben wir das Uhrwerk auch nicht wieder sofort in Gang gesetzt. Wenn die Reparaturen und die planmäßigen Wartungsarbeiten abgeschlossen sind, wird das Zeitrad wieder einwandfrei funktionieren.“" Er erklärte weiter: "„Man wird nicht einmal eine Verzögerung merken, per Computer werden wir die Verspätung wieder wettmachen,“"<br> Was ebenfalls ein Kritikpunkt war, ist die Tatsache, dass sich das Gelände um das Zeitrad nach anhaltenden Regenfällen in einen "matschigen Sumpf" verwandelte, wodurch die Besucher nur noch aus der Ferne das Monument betrachten konnten. Später verschwanden sogar die Informationsschilder, was zur Folge hatte, dass zahlreiche Touristen mit ratlosen Blicken über den Sinn des Monuments davor standen.
Die Geschichte von Neferkare und Sasenet (manchmal auch "Der Kläger von Memphis" genannt) ist ein nur bruchstückhaft erhaltenes Werk der altägyptischen Literatur. Die Erzählung thematisiert eine homosexuelle Beziehung des Pharaos Neferkare (Pepi II.) mit seinem General Sasenet. Überlieferung. Die Erzählung ist nur auf drei Textzeugen überliefert: Einer Holztafel aus der 18. oder 19. Dynastie (jetzt im Oriental Institute der University of Chicago, OIC 13 539), einem Ostrakon der 20. Dynastie aus Deir el-Medine (O DeM 1214) und aus einem Papyrus der 25. Dynastie (Papyrus Chassinat I = Papyrus Louvre E 25351; jetzt im Louvre, Paris). Alle drei enthalten nur Teile der gesamten Erzählung. Die eigentliche Entstehungszeit der Geschichte ist nicht mit letzter Sicherheit zu bestimmen. Sie wird in der Forschung teilweise ins Neue Reich, teils aber auch bereits ins Mittlere Reich eingeordnet. Inhalt. Der Beginn der Geschichte ist nur sehr lückenhaft erhalten. Es ist die Rede von einem Fürsten, der über die Liebe des Königs zu General Sasenet Bescheid weiß. Daraufhin wechselt das Geschehen zu Sasenet selbst. Dieser spaziert durch die Totenstadt von Memphis, als ihm plötzlich der Geist des verstorbenen Pharaos Teti II. erscheint. Von den Einzelheiten der Begegnung ist nichts erhalten, es folgen einige Textfetzen, in denen Sasenet offenbar mehrere hohe Beamte aufsucht. Wesentlich besser erhalten ist der Mittelteil, in dem ein anonymer Kläger auftaucht. Er kommt an den Königshof, um Neferkare eine Klage vorzubringen, wird von diesem aber nicht angehört. Stattdessen lässt Neferkare den Kläger mit lauter Musik und Gesang übertönen, bis dieser schließlich enttäuscht wieder geht. Anschließend wird er von den Höflingen verspottet. Dieses Geschehen wiederholt sich mehrmals, worauf sich der Kläger an seinen Freund Tjeti, Sohn des Henet, wendet. Tjeti sind Gerüchte über den König zugetragen worden und er beschließt nun, diesen zu beschatten. Er stellt fest, dass Neferkare des Nachts allein den Palast verlässt. Tjeti folgt ihm heimlich und bemerkt so, dass sich der König zum Haus seines Generals Sasenet begibt und dort vier Stunden lang verweilt. Als diese Zeit verstrichen war („Nachdem der König mit ihm [sc. dem General] getan hatte, was er wünschte“), begab er sich wieder zum Palast und auch Tjeti ging wieder nach Hause. Das ganze Geschehen wiederholt sich nun jede Nacht, dann bricht der Text ab. Das Ende der Erzählung ist nicht erhalten. Interpretation. Als recht schwierig erweist sich die Bewertung der homosexuellen Beziehung des Königs Neferkare zu seinem General Sasenet. So wurde das Thema in der älteren Literatur entweder umgangen oder aber in die Beziehung eine unmoralische Handlung des Königs hineininterpretiert. Dies wird aber in neueren Werken abgelehnt, da in der Erzählung selbst an keiner Stelle eine Wertung vorgenommen wird. Nicht eindeutig geklärt ist auch die genaue Zuordnung der Geschichte in ein bestimmtes Genre. So setzt etwa Georges Posener das Hauptaugenmerk auf die Figur des Tjeti und rückt die Erzählung deshalb in die Nähe der modernen Detektivgeschichte. Jacobus van Dijk hingegen kommt zu einem ganz anderen Schluss. Ausgangspunkt für seine Überlegungen ist die in der Geschichte beschriebene Einteilung der Nacht in drei mal vier Stunden. Nach van Dijk handelt es sich bei der Geschichte um eine Parodie religiöser Texte, namentlich der Vereinigung der beiden Götter Re und Osiris während der vier mittleren Nachtstunden. Neferkare übernimmt somit die Rolle des Re und Sasenet die des Osiris.
Die Metro Montreal (',') ist das wichtigste öffentliche Verkehrsmittel in Montreal. Die von der Verkehrsgesellschaft Société de transport de Montréal (STM) betriebene Metro wurde 1966 eröffnet und ist damit nach der Toronto Subway das zweitälteste U-Bahn-System in Kanada. Das aus vier Linien bestehende Netz ist 69,2 Kilometer lang und umfasst 68 Stationen. Erschlossen werden das Zentrum der Île de Montréal sowie die benachbarten Städte Laval und Longueuil. Mit durchschnittlich 1.111.700 Fahrgästen werktäglich (1. Quartal 2011) ist die Metro die meistfrequentierte U-Bahn des Landes. Im Jahr 2010 nutzten 296,3 Millionen Fahrgäste die Metro (Umsteiger nicht miteingerechnet). Besonderheiten sind der Einsatz von gummibereiften Zügen, das vollständig unterirdische Streckennetz und die Gestaltung zahlreicher Stationen mit Kunstwerken. Geschichte. Gescheiterte Projekte und Vorplanungen. Die Geschichte des öffentlichen Nahverkehrs in Montreal begann 1861 mit der Inbetriebnahme der ersten Pferdebahn in der Rue Saint-Jacques. 1892 verkehrte die erste elektrische Straßenbahn und bald darauf erstreckte sich das Netz über das gesamte Stadtgebiet. Doch der stark zunehmende Verkehr begann sich negativ auf die Pünktlichkeit der Straßenbahnen auszuwirken. Mehrmals gab es Vorschläge, dieses Problem durch den Bau einer U-Bahn zu lösen. 1910 wollte die "Montreal Central Terminal Co." einen Tunnel unter dem Sankt-Lorenz-Strom errichten, was aber am Widerstand der etablierten Bahngesellschaften scheiterte. Einen ähnlichen Vorschlag unterbreitete 1912 die "Montreal Underground and Elevated Railway Co." Der Straßenbahnbetreiber "Montreal Tramways Co." (MTC) schlug 1913 erstmals eine konventionelle U-Bahn-Linie vor. Sie sollte von der Rue Craig entlang der Rue Bleury und der Avenue du Parc bis zur Avenue du Mont-Royal führen; später wäre eine Verlängerung entlang dem Boulevard Saint-Laurent hinzugekommen. Das Projekt kam nicht zustande, zunächst wegen der Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, danach aufgrund der Schuldenkrise der Stadt, die eine vorübergehende Treuhandverwaltung durch die Provinzregierung zur Folge hatte. Nachdem F. S. Williamson 1924 ein Projekt vorgestellt hatte, zog Paul Seurot 1925 nach. Letzterer erarbeitete vier Jahre später im Auftrag der MTC eine darauf aufbauende Studie. Die Weltwirtschaftskrise, von der Montreal besonders stark betroffen war, machte weitere Fortschritte zunichte. 1944 legte die MTC der Stadtverwaltung erneut ein U-Bahn-Projekt vor. Die erste Linie sollte unter der Rue Sainte-Catherine zwischen Square Cabot und Avenue Papineau verlaufen, die zweite unter der Rue Saint-Denis von Jean-Talon nach Notre-Dame und von dort unter der Rue Saint-Jacques bis zur Rue Guy. Auch aus diesen Plänen ergab sich nichts, da die Stadt erneut unter Treuhandverwaltung geriet. Nachdem die Stadt 1950 die privaten Straßenbahngesellschaften übernommen hatte, legte sie bis 1959 sämtliche Strecken still. Deren Ersatz durch eine U-Bahn ließ aber weiterhin auf sich warten. Die städtische Verkehrsgesellschaft legte 1953 eine umfangreiche Studie vor. Sie schlug den Bau einer Linie unter der Rue Sainte-Catherine, der Rue Saint-Jacques und dem Boulevard Crémazie vor, ergänzt durch später zu bauende Erweiterungen. Bau des Grundnetzes. Jean Drapeau gewann die Bürgermeisterwahl von 1960 unter anderem mit dem Versprechen, das U-Bahn-Projekt endlich voranzutreiben. Am 20. Oktober 1961 präsentierte er das Vorprojekt, das mit dem heutigen Netz zwar in den Grundzügen übereinstimmte, jedoch auch bedeutende Abweichungen aufwies. Unter anderem war vorgesehen, den bisher von Eisenbahnen genutzten Mont-Royal-Tunnel als Teil der Linie 3 miteinzubeziehen. Der Stadtrat genehmigte am 3. November 1961 einen Kredit für die Errichtung des Grundnetzes. Am 23. Mai 1962 erfolgte der Spatenstich, die Bauarbeiten standen unter der Leitung von Chefingenieur Lucien L’Allier. Im November 1962 erhielt Montreal den Zuschlag für die Ausrichtung der Weltausstellung Expo 67, was mehrere Projektänderungen zur Folge hatte. Da die Verhandlungen mit der Canadian National Railway über die Nutzung des Mont-Royal-Tunnels gescheitert waren, verzichtete man auf den Bau der Linie 3. Stattdessen wurde das Netz um die neue Linie 4 unter dem Sankt-Lorenz-Strom in den Vorort Longueuil ergänzt. Den Aushub verwendete man zur Landgewinnung: Im Sankt-Lorenz-Strom vergrößerte man die Île Sainte-Hélène und schuf die Île Notre-Dame völlig neu. Auf diesen beiden Inseln befand sich der größte Teil des Weltausstellungsgeländes. Am 14. Oktober 1966 erfolgte die Eröffnung der Montrealer U-Bahn mit zwei Linien. Die grüne Linie 1 führte zunächst von Atwater nach Papineau, die orange Linie 2 von Place-d’Armes nach Henri-Bourassa. Die Fertigstellung kleinerer Abschnitte verzögerte sich um einige Monate. Am 19. Dezember 1966 wurde die grüne Linie von Papineau nach Frontenac verlängert, zwei Tage später kam die Zwischenstation Beaudry hinzu. Die orange Linie wurde um zwei Teilstrecken ergänzt; am 6. Februar 1967 von Place-d’Armes nach Square-Victoria–OACI, am 19. Februar weiter bis Bonaventure. Den Abschluss des Grundnetzes bildete die am 31. März 1967 eröffnete gelbe Linie 4 von Berri-UQAM nach Longueuil–Université-de-Sherbrooke, die am 28. April 1967 um die Zwischenstation Île-Sainte-Hélène (heute Jean-Drapeau) ergänzt wurde. Erweiterungen. Im Mai 1970 erhielt Montreal den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 1976. Um die zahlreichen Besucher zum Olympiapark befördern zu können, begannen 1971 die Arbeiten an der nordöstlichen Verlängerung der grünen Linie. Die Eröffnung des Teilstücks Frontenac – Honoré-Beaugrand erfolgte am 6. Juni 1976, sechs Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele. Etwas mehr als zwei Jahre später, am 3. September 1978, wurde die grüne Linie südwestwärts von Atwater nach Angrignon verlängert, womit sie ihre endgültige Ausdehnung erhielt. In den 1980er Jahren folgten nacheinander mehrere Verlängerungen am Westast der orangen Linie. Den Anfang machte am 28. April 1980 das Teilstück Bonaventure – Place-Saint-Henri. Von dort aus wurde die Strecke am 7. September 1981 bis Snowdon verlängert, am 4. Januar 1982 bis Côte-Sainte-Catherine, am 29. Juni 1982 bis Plamondon, am 9. Januar 1984 bis Du Collège und schließlich am 27. Oktober 1986 bis Côte-Vertu. Ebenfalls in den 1980er Jahren begann der Bau der blauen Linie 5. Deren erstes Teilstück zwischen Saint-Michel und De Castelnau wurde am 16. Juni 1986 eröffnet. Es folgten die Abschnitte De Castelnau – Parc am 15. Juni 1987 und Parc – Snowdon am 4. Januar 1988. Schließlich wurde am 28. März 1988 die Zwischenstation Acadie eröffnet. Die frühen 1990er Jahre waren von großen Staatsdefiziten in Kanada und insbesondere in der Provinz Québec geprägt. Dies führte dazu, dass diverse Ausbauprojekte keine gesicherte Finanzierung mehr hatten und es über mehrere Jahre hinweg zu einem Moratorium kam. Erst 2002 nahm man den Streckenbau wieder auf. Es entstand eine Verlängerung der orangen Linie unter den Rivière des Prairies hindurch in die Nachbarstadt Laval. Die Eröffnung des Teilstücks Henri-Bourassa – Montmorency erfolgte am 28. April 2007. Linien. Das aktuelle Metronetz Montreals besitzt 68 Stationen und ist 69,2 Kilometer lang. Es gibt derzeit vier Linien; diese werden hauptsächlich durch ihre Farbe unterschieden, aber auch durch ihre Nummer und ihre Endstationen. Die Fahrtrichtung wird stets mit der Bezeichnung der Endstation angegeben. Die längste und am stärksten genutzte Linie ist die grüne, die am wenigsten genutzte die blaue, die als einzige nicht durch das Stadtzentrum verläuft. Kürzeste Linie ist die gelbe. Diese und die orange Linie verlassen auch die Île de Montréal. Es existiert keine Linie 3. Sie hätte auch oberirdisch verkehren und die Trasse einer Vorortbahn nutzen sollen, wurde aber zugunsten der Linie 4 zurückgestellt und schließlich aufgegeben. Betrieb. Der U-Bahn-Betrieb beginnt um 5:30 Uhr und endet an Werk- und Sonntagen um 1:00 Uhr. An Samstagen wird der Betrieb eine halbe Stunde später eingestellt. Aufgrund der geringeren Fahrgastzahlen endet der Betrieb auf der blauen Linie bereits um 0:15 Uhr. Während der Hauptverkehrszeit (HVZ) verkehren die Züge auf der grünen und orangen Linie alle 2 bis 4 Minuten, sonst alle 5 bis 10 Minuten. Auf der gelben Linie wird während der HVZ alle 4 bis 6 Minuten gefahren, zu den übrigen Zeiten alle 10 Minuten. Die blaue Linie verkehrt in der HVZ alle 4 bis 5 Minuten, sonst alle 6 bis 10 Minuten. Die Metro wird von der Société de transport de Montréal (STM) betrieben, die auch für den Busbetrieb auf der Île de Montréal zuständig ist. Abgegrenzt werden die Stationen durch Sperren, die nur mit einer Magnetkarte oder einer Kontaktloskarte durchschritten werden können. Die Metro ist vollständig in das Tarifsystem der ARTM eingebunden. Technik und Züge. Die Montrealer U-Bahn fährt – nach einem Vorbild bei der Pariser Metro – auf Gummireifen. Dies ist allerdings nicht der Grund, warum sie komplett im Untergrund fährt. Vielmehr ist das System für oberirdische Fahrten nicht ausgelegt. So ist die technische Ausrüstung der Züge nicht vor Wasser geschützt. Außerdem senken die Gummiräder die Fahrgeräusche erheblich und erleichtern das Überwinden von Höhenunterschieden im Vergleich zu metallbereiften Zügen. Beispielsweise sind die Gummiräder bei der gelben Linie zwingend notwendig, da die zur Unterquerung des Sankt-Lorenz-Stroms eingebauten Steigungen mit Metallreifen-Zügen gar nicht überwunden werden können. Zudem wollte das frankophone Montreal eine gewisse Verbundenheit mit Frankreich unterstreichen, was ebenso die Systemwahl beeinflusst hat. Alle Linien außer der gelben sind mit automatischer Zugsteuerung ausgestattet. Die Signaleinrichtungen senden Daten an die Züge, die mit Antennen ausgestattet sind. Die Züge fahren dadurch mit „optimierter“ Geschwindigkeit. Im Falle einer manuellen Steuerung zeigt der Geschwindigkeitsmesser nur die zulässige Höchstgeschwindigkeit an. Die Züge halten an den Bahnsteigen sehr genau, es gibt nur Abweichungen im Fünf-Zentimeter-Bereich. Dies wird durch ein Ortungsgerät bestimmt, das exakt die Länge des Bahnsteigs und des Zuges berechnet. In Montreal werden derzeit zwei Zugtypen eingesetzt. Der Typ "M-63" wurde ab 1963 von Canadian Vickers ausgeliefert. Die 336 Wagen dieses Typs verkehren auf der grünen und der gelben Linie. Der Zugtyp "M-73", ab 1973 von Bombardier ausgeliefert, kommt auf der orangen und blauen Linie zum Einsatz; vorhanden sind 423 Wagen. Hinzu kommen insgesamt 83 Spezialfahrzeuge für betriebliche Zwecke. Die Züge haben sich als ausgesprochen zuverlässig und langlebig erwiesen, da sie aufgrund der komplett unterirdischen Führung der Metro kaum Witterungsbedingungen ausgesetzt sind. Mittlerweile gelten sie jedoch als veraltet, weshalb die STM die Provinzregierung Québecs aufgefordert hat, Mittel in die Beschaffung neuer Züge zu investieren. 2010 fiel der Beschluss zum Kauf neuer moderner Züge. Ab 2014 wurde der Zugtyp MPM-10 des Konsortiums Bombardier-Alstom ausgeliefert. Die 468 Wagen dieses Typs ersetzten die M-63-Wagen. Seit dem 7. Februar 2016 war der erste Zug auf der orangen Linie zu Testzwecken im Fahrgastbetrieb im Einsatz. Am 16. Januar 2017 nahm die STM alle zwölf eingesetzten AZUR-Einheiten aus dem Betrieb, nachdem ein Schleifschuh am 14. Januar Signalanlagen beschädigt und zu einer mehrstündigen Betriebsstörung auf der orangen Linie geführt hatte. Zur genauen Untersuchung der Ursache wurde ein Zug mit Kameras ausgerüstet, um das Verhalten der Schleifschuhe zu beobachten. Nach Arbeiten an den Gleisanlagen und Änderungen bei der Wartung der Schleifschuhe, gingen die Züge ab dem 28. Januar 2017 schrittweise wieder in Betrieb. Architektur. Die U-Bahn in Montreal genießt für ihre Stationsarchitektur große Anerkennung. Unter der Leitung des damaligen Bürgermeisters Jean Drapeau wurde ein kanadischer Architektenwettbewerb ausgeschrieben, so dass jede Station anders gestaltet werden konnte. Beispielsweise ist die Station Berri-UQAM sehr vom Stil der Moderne geprägt. Ähnlich der Stockholmer Tunnelbana gehörte die Montrealer Metro zu den ersten U-Bahnen in den westlichen Staaten, die damit begannen, öffentliche Kunst in den U-Bahn-Stationen auszustellen. Vorher war dies aus den Ostblockländern bekannt. Zu den wichtigsten Werken gehört ein Glasbild in der Station Champ-de-Mars, ein Meisterwerk der Québecer Künstlerin Marcelle Ferron. Bemerkenswert ist auch ein Guimard-Eingang an der Station Square-Victoria–OACI. Es handelt sich dabei um ein Geschenk der RATP, des Betreibers der Pariser Metro, da diese bei der Konstruktion der U-Bahn in Montreal behilflich war. Es ist einer der äußerst seltenen originalen Guimard-Eingänge außerhalb von Paris. Das Design der Montrealer Metro ist sehr auf die örtlichen harten Winterverhältnisse abgestimmt. Im Gegensatz zu anderen U-Bahn-Städten sind die meisten Eingänge relativ schmal und besitzen Schwenktüren, so dass Wind und Schnee möglichst aus der Station herausgehalten werden. Mehrere Stationen in der Innenstadt sind durch Fußgängertunnel mit benachbarten Gebäuden verbunden und bilden einen Teil der weitläufigen Montrealer Untergrundstadt. Ausbauplanungen. Im Dezember 2011 veröffentlichte die "Agence métropolitaine de transport" (AMT, heutige Autorité régionale de transport métropolitain) die Studie "Vision 2020". Bis zum Jahr 2020 waren neben zahlreichen anderen Angebotsverbesserungen unter anderem drei Erweiterungen des Metronetzes geplant. Zum anvisierten Zeitpunkt war jedoch keine davon im Bau und es gab seither mehrere Anpassungen. Gilles Vaillancourt, der Bürgermeister von Laval, schlug 2007 vor, die beiden Enden der orangen Linie miteinander zu verbinden, wodurch eine Ringlinie entstünde. 2011 stellte er das Stadtentwicklungsprogramm "ÉvoluCité" vor, zu dem explizit der Ausbau der Metro in der Stadt Laval gehörte. Im Frühjahr 2013 reichte die STM beim Projektbüro für die Métro-Erweiterung einen Streckenvorschlag ein, der drei Stationen in Montreal (Poirier, Bois-Franc und Gouin) und fünf Stationen in Laval (Souvenir, Saint-Martin, Le Carrefour, Notre-Dame und Chomedey) vorsah. Gemäß der "Vision 2020" soll die Linie 4 weiter in die Stadt Longueuil hinein bis zum Boulevard Rolland-Therrien geführt werden. Die vier bis sechs neuen Stationen würden dabei Wohngebiete, Einkaufszentren und mehrere Schulen anbinden. Da die Linie 1 zwischen den Stationen Berri-UQAM und McGill in Spitzenzeiten stark beansprucht wird, schlug die Stadtverwaltung Montreals im April 2008 vor, die Linie 4 dorthin zu verlängern, um diesen Abschnitt zu entlasten. Die Linie 5 soll von Saint-Michel aus um 5,8 km in nordöstlicher Richtung ins Arrondissement Anjou geführt werden. Vorgesehen sind fünf neue Stationen; die Endstation würde sich beim Einkaufszentrum "Galeries d’Anjou" befinden, in unmittelbarer Nähe eines Autobahnkreuzes. Die Premierminister Kanadas und Québecs, Justin Trudeau und Philippe Couillard kündigten am 9. April 2018 an, dass die Detailplanungen begonnen hätten und die Finanzierung der Baukosten in der Höhe von 3,9 Milliarden Dollar gesichert sei. Die Bauarbeiten sollen im Laufe des Jahres 2021 beginnen und 2026 abgeschlossen sein. Auf unbestimmte Zeit zurückgestellt wurde hingegen die Verlängerung der Linie 5 von Snowdon aus in Richtung Südwesten. Seit 2018 im Bau ist das Schienenverkehrssystem Réseau express métropolitain (REM), das zwar in technologischer Hinsicht Ähnlichkeiten mit der Metro aufweist, von dieser aber betrieblich unabhängig sein wird. Es handelt sich dabei um eine fahrerlose Leicht-U-Bahn, die überwiegend in Ost-West-Richtung ein 67 km langes Streckennetz befahren wird. Sie wird den Gare Centrale mit Brossard, Deux-Montagnes, Sainte-Anne-de-Bellevue und dem Flughafen Montreal-Trudeau verbunden. Den Kern des Systems bildet die über hundertjährige Deux-Montagnes-Strecke der Vorortbahn von exo mit dem 4,8 km langen Mont-Royal-Tunnel. Die Eröffnung des REM soll etappenweise in den Jahren 2022 bis 2024 erfolgen. Kultur. Die Metro diente auch schon als Filmkulisse unter anderem für: Literatur. Deutsch Französisch
Isenbeck ist eine ursprünglich aus Hamm stammende Biermarke, die von der Warsteiner Brauerei Ende 1990 übernommen wurde. Die Brauerei Isenbeck stand in der Hammer Innenstadt auf dem Gelände des heutigen Allee-Centers Hamm. Heute wird Isenbeck in Deutschland nur noch als regionale Marke vertrieben. Von der ehemaligen Vielfalt sind zeitweise nur noch „Das Premium Pils“ und „Das Premium Dark“ geblieben. Im Jahr 2007 wurde das Produktportfolio der Marke um ein Malz-Erfrischungsgetränk namens „iSi Malta“ erweitert. Geschichte. Hammer Brautradition. Die Hammer Brautradition reicht bis ins Mittelalter zurück. In zahlreichen Bürgerhäusern war es üblich, selbst Brot zu backen und dann Teile davon in Wasser aufzuweichen und zu Bier zu vergären. 1444 verlieh Graf Gerhard von der Mark zu Hamm den Brauern und Bäckern im Amt Hamm das Gewerbemonopol für Bier und Brot. Die Bäcker wurden deshalb mit dem Privileg des Bierbrauens bedacht, weil sie das für den Braubetrieb notwendige Getreide verarbeiteten und deshalb in zunehmendem Maße das zunächst auf jedem Hausgrundstück ruhende Braurecht (sogenannte „Braugerechtsame“) ausübten. Die Verleihung dieses Privilegs hatte zur Folge, dass in den ländlichen Gebieten das gewerbemäßige Backen und Brauen verboten war und nur in der Stadt selbst Brot und Bier verkauft werden durfte. 1517 beschwerte sich deshalb die Stadt Unna darüber, dass ihr Bier nach gut 300-jährigem Handel mit der gesamten Grafschaft Mark im Amt Hamm nicht mehr abgesetzt werden durfte. Künftig wurde in vielen kleinen Bäckereien und Mühlen Bier gebraut. 1719 gab es in Hamm neben neuen Brauereien noch 61 Braustellen in Bürgerhäusern, in denen das damals vielgerühmte Hammer Bier produziert wurde, der sogenannte „Hammsche Koit“. Der Hammer „Koit“ (auch: „Keut“) war neben Leinen einer der wichtigsten Handelsartikel der Stadt und wurde auch in die Nachbarstaaten ausgeführt. Anfang des 20. Jahrhunderts waren nur noch wenige Brauereien übrig geblieben, die in Hamm produzierten. Zu ihnen gehörten die Kloster-Brauerei Pröpsting, Asbeck und Isenbeck. Isenbeck. Der Name „Isenbeck“ lässt sich bis ins Jahr 1385 zurückverfolgen. Die Familie war über Jahrhunderte hinweg im Besitz eines Hofes am kleinen Fluss „Isenbeeke“. Das Stammhaus der Brauerei Isenbeck ist allerdings nicht dieser Hof, sondern die Bäckerei, Brauerei und Brennerei einer Familie namens Cramer. Diese lag an der heutigen Rödinghauser Straße (damals Wallstraße)/Ecke Westenwall. Albert Isenbeck „von Biermanns Hofe“ aus Bönen war der Schwiegersohn der Witwe Cramer, dem sie das Unternehmen im Jahre 1769 übertrug. Die Brauerei erhielt schließlich seinen Namen, „Isenbeck“. Der Ursprung der Marke Isenbeck geht also bis in das Jahr 1769 zurück. Die Betriebsanlagen erweiterten sich stetig, so dass Haus Isenbeck schließlich an der Wallstraße entlang bis zur Ritterstraße im Süden und der Nordstraße im Osten reichte. Dort grenzte es an die spätere Brauerei Friedrich Pröpsting Nachfolger (nicht identisch mit der Kloster-Brauerei Pröpsting). Mit dem Siebenjährigen Krieg verschwanden auf Befehl Friedrichs des Großen die Wall- und Befestigungsanlagen der Stadt, so dass der Platz frei wurde für eine Verlagerung der Brauerei von der Südseite des Westenwalls auf dessen Nordseite. Eine Karte aus dem Jahr 1828 zeigt gegenüber der Einmündung der Wallstraße in den Westenwall auf dessen Nordseite ein zur Brauerei gehörendes Gebäude, dem sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte weitere Nebenbauten anschlossen. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Hammer Brauereien nicht nur regional, sondern auch weithin überregional bekannt und das Bier wurde bis weit über die Stadtgrenzen hinaus exportiert. Zu dieser Zeit gehörte die Brauerei Wilhelm Isenbeck, nach dessen Tod im Jahre 1861 das Unternehmen an seine drei Söhne Wilhelm, Carl und Albert ging. Diesen gelang es, das Unternehmen weiter zu vergrößern. 1863 konnte die Brauerei erweitert und nach dem damals aktuellen Dickmaischverfahren aus Bayern eingerichtet werden. 1897 schlossen sich Isenbeck und die benachbarte „Brauerei Friedrich Pröpsting Nachfolger“ zur „Brauerei W. Isenbeck u. Comp. AG“ zusammen. Zu dieser Zeit befand sich ein Großteil des Betriebs schon jenseits der Grenzen des Westenwalls. Alte und neue Teile waren durch eine Straßenüberbrückung miteinander verbunden. Der Ausbau des Betriebes wurde von der neu gegründeten Aktiengesellschaft vor allem auf der Nordseite des Westenwalls fortgesetzt. Außerdem konnte gegen Ende des 19. Jahrhunderts der ursprüngliche Gebäudekomplex um das neogotische Kellereigebäude ergänzt werden. Nicht lange nach der Jahrhundertwende verkaufte Isenbeck das ehemalige Grundstück der Brauerei Friedrich Pröpsting Nachfolger. Zwischen 1911 und 1913 wurde der Lippe-Seitenkanal gebaut. Da ein Teil des Brauereigeländes für den Bau des Kanals und der Hafenstraße benötigt wurde, musste Isenbeck einen Teil seines Grundstücks abgeben. In der Folge verschwanden die Eisteiche der Brauerei auf dem heutigen Richard-Matthaei-Platz, so dass man sich auf die künstliche Eiserzeugung verlegen musste. Isenbeck vergrößerte und modernisierte das Unternehmen, eine Entwicklung, die allerdings durch den Ersten Weltkrieg gehemmt wurde und erst danach fortgesetzt werden konnte. 1922 wurde ein 1899 als Wohnhaus konzipiertes Gebäude am Holzkamp zum Verwaltungsgebäude umfunktioniert. Im gleichen Jahr verkaufte man das Mälzerei-Grundstück an der Ecke Rödinghauser Straße. Somit lag nur noch das einstige Bürohaus (heute Ritterpassage; ehemals Hefefabrik Asbeck und City-Center) auf der Südseite des Westenfalls. Die weitere Expansion des Betriebs führte schließlich bis zu einem Jahresausstoß von 72.000 Hektolitern Bier. Im Zweiten Weltkrieg, genauer gesagt am 23. März und am 22. April 1944, wurde die Brauerei durch Luftangriffe der Alliierten zu 85 % zerstört. Der Wiederaufbau begann gleich bei Kriegsende. Die weitläufigen Zerstörungen machten einen Neubau der gesamten Anlage erforderlich. Das Gelände wurde dabei völlig neu beplant. Es wurde ein schlichter Funktionsbau errichtet, der auf die nach damaligem Stand neuesten Standards des Brauereiwesens ausgerichtet war. Dadurch etablierte sich Isenbeck lange Zeit als eine der modernsten Brauereien in der Bundesrepublik Deutschland. Wiederum gelang es dem Unternehmen die Expansion. Hierzu gehörten der Bau eines neuen Kühl- und Kellereihochhauses, eines neuzeitlichen und vergrößerten Sudhauses und Flaschenkellers, eines Malzsilos, der bis zu 600 Tonnen fasste, einer Transformatorstation, eines Dampfkesselgebäudes samt Kohlenbunker und maschinentechnischer Einrichtung und ein neuer Gär- und Lagerkeller. Schließlich wurde noch ein Verwaltungsgebäude am Richard-Matthaei-Platz errichtet. 1963 betrug der Jahresausstoß des Unternehmens über 227.000 Hektoliter. Im Geschäftsjahr 1967/68 konnte er auf 366.000 Hektoliter erhöht werden. Ende der sechziger Jahre unternahm Isenbeck einen aufwendigen Versuch, Kwas auf dem deutschen Markt zu etablieren. Im Jahr 1971 kaufte die Brauerei Isenbeck AG, inzwischen zur bekanntesten Brauerei Hamms aufgestiegen, die Kloster-Brauerei GmbH, die ihren Namen nach dem alten Franziskaner-Kloster trug. Die Produktion an der Oststraße wurde in diesem Jahr eingestellt. Das Gelände, auf dem sich früher die Kloster-Brauerei befand, heißt heute Klosterdrubbel. Die Brauerei Isenbeck am Nordenwall produzierte bis 1988/1989 vor allem ein feinherbes Pils, hinzu kam ein Exportbier und das übernommene "Kloster-Alt", außerdem zeitweise ein "Isenbeck Privat" genanntes Bier und eine eigene Handelsmarke namens "Westfalenpils". Im Jahr 1973 wurde "ISI 08" (nach dem damaligen herabgesetzten Wert der Promillegrenze) erstmals gebraut, welches vermutlich das erste alkoholarme Bier in Europa gewesen ist, sich aber damals nicht durchsetzen konnte. Konzentrationstendenzen am Biermarkt und fehlende Expansionsmöglichkeiten der Brauerei führten schließlich zu einer Entscheidung gegen den Standort Hamm; die Produktion von Isenbeck-Bier in Hamm wurde nach 220 Jahren eingestellt. Die damalige Hauptaktionärin der Isenbeck Privatbrauerei Nies AG, die Nies-Gruppe, verlegte den Braubetrieb nach Paderborn, wo sie eine eigene Braustätte unterhielt. Die Bierproduktion in Hamm wurde eingestellt und die Brauerei im Jahre 1990 abgerissen. Am 12. Mai 1990 wurden die seit mehreren Monaten geräumten Gebäude der Brauerei dem Erdboden gleichgemacht. Das Sudhaus, das Malzsilo und das Hauptgebäude (Produktionsgebäude) mit den Abfüllanlagen wurden gesprengt. Die typische grüne Ummantelung wurde wegen des hohen Asbestgehaltes und der Gefahr umherfliegender Trümmerteile vor der Sprengung demontiert. Auf diesem Gelände befindet sich nun ein Einkaufszentrum, das „Allee-Center“. Ende 1990 übernahm dann die Warsteiner-Brauerei mit dem Braustandort Paderborn auch die Marke Isenbeck, die die Warsteiner-Brauerei mit der Produktion in Argentinien und Kamerun als ihre zweite internationale Marke aufbaut. Die 1994 gegründete und 1996 in Zárate, einem Vorort von Buenos Aires (Argentinien) errichtete Brauerei C.A.S.A. Isenbeck hat etwa 300 Mitarbeiter und produziert neben Warsteiner auch Isenbeck-Biere. Im Jahre 2002 etwa betrug der Ausstoß mehr als eine Million Hektoliter Bier, die auf dem südamerikanischen Markt vertrieben wurden. 2009 lag er noch bei 600.000 Hektolitern. Aber auch von Deutschland aus wird die Marke Isenbeck noch in über 15 Länder exportiert. Zum 23. November 2010 verkaufte die Warsteiner Gruppe ihre argentinische Brauerei C.A.S.A. Isenbeck an die SABMiller plc., eines der größten Brauereiunternehmen der Welt, das mit der Akquisition seine Expansion auf dem südamerikanischen Biermarkt fortsetzte. Ausgenommen von dieser Transaktion wurde das von Warsteiner in Argentinien betriebene Weingeschäft. Beide Partner trafen eine langfristige Lizenzvereinbarung, um Produktion und Vertrieb der Premiummarke Warsteiner in Argentinien sicherzustellen. Das Isenbeck-Glas. Das überschäumende Pils-Glas, das seit den 1960er Jahren als Leuchtreklame am Kühlturm der Brauerei angebracht und schon von weitem zu sehen war, wurde vor der Sprengung im Jahr 1990 demontiert und eingelagert. Es wurde von der Abbruchfirma aufbewahrt, bis es einem Brand in der Lagerhalle zum Opfer fiel. Der Hut des Reiters wurde von den Flammen verschont. Seit dem 5. September 2004 ist eine von der "Neon-Licht Werbung Redeker GmbH & Co. KG" gefertigte Rekonstruktion des Isenbeck-Glases am Universa-Hochhaus an der Südstraße installiert. Es markiert den Weg zur Kneipenstraße Meile. Die Leuchtreklame ist mit Ausmaßen von zehneinhalb Meter Höhe und dreieinhalb Meter Breite der originalen exakt nachempfunden. Das Logo von Isenbeck, ein Reiter mit Kind auf einem sich aufbäumenden Pferd, hat die Geschichte Hamms lange Zeit begleitet und ist in der Stadt gelegentlich noch heute zu finden. Der befrackte Reiter soll der Legende nach ein kurfürstlicher Bote sein, der seinen Herrn mit Hammer Bier versorgt. Tatsächlich war Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg im Jahre 1648 zur Vorbereitung des Westfälischen Friedens von Münster, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, mehrfach in Hamm zu Gast. Am 22. Februar 1649 bestellte er beim Rentmeister Ludovici acht Fässer des Hammer Keut. Isenbeck im Ausland. Isenbeck Pils ist seit 1994 ein beliebtes Bier in Argentinien. Die „C.A.S.A. Isenbeck“ liegt in Zárate, das sich ungefähr 90 Kilometer nordwestlich von Buenos Aires befindet. Seit 1999 wird es auch in Kamerun gebraut. Die dortige Isenbeck-Werbung steht in der Kritik, da sie Klischees aus der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun bediene.
Die Magnolien ("Magnolia") sind eine Pflanzengattung in der Familie der Magnoliengewächse (Magnoliaceae). Sie enthält über 200 Arten, die alle aus Ostasien oder Amerika stammen. Die Gattung wurde nach dem französischen Botaniker Pierre Magnol (1638–1715) benannt. Einige Magnolien-Arten und ihre Sorten sind beliebte Ziergehölze. Beschreibung. Vegetative Merkmale. Magnolien-Arten sind Sträucher oder Bäume, die sommer- oder immergrün sind. Die Laubblätter sind wechselständig angeordnet, manchmal an den Enden der Zweige gehäuft. Die Blattspreite ist immer einfach und der Blattrand ist glatt. Nebenblätter sind vorhanden und fallen bald nach dem Entfalten des zugehörigen Blattes ab. Die Form der Nebenblätter ist ein wichtiges Bestimmungsmerkmal der Magnolien. Generative Merkmale. Die Blüten sitzen endständig an den Zweigen, seltener auch an Kurztrieben in den Blattachseln. Die Blüten werden bei einigen Arten schon in der vorhergehenden Vegetationsperiode angelegt und blühen im Frühling auf, bevor die ersten Blätter erscheinen, was die Pflanzen als Ziergehölze besonders attraktiv macht. Die Blüten sind azyklisch aufgebaut, das heißt, sie sind nicht in Blütenblattkreise gegliedert, und die Blütenblätter stehen nicht in Wirteln zusammen, sondern alle Blütenteile stehen schraubig angeordnet an einer Blütenachse. Pro Blüte gibt es viele Blütenhüllblätter, viele Staubblätter und viele Fruchtblätter (in unbestimmter Anzahl). Im Falle erfolgreicher Bestäubung entstehen an der verlängerten Blütenachse, schraubig angeordnet, viele balgförmige Früchtchen. Deren rote Samen hängen an langen, zähen Fäden aus der reifen "Frucht" herunter. All dies sind sehr ursprüngliche Merkmale. Giftstoffe, Wirkung und Symptome: Magnolien gelten als nur leicht giftig, das Alkaloid Magnoflorin findet sich hauptsächlich in der Rinde und im Holz. Vergiftungserscheinungen können Haut- und Schleimhautblasen sowie Krämpfe sein. Bestäubung. Magnolien-Arten werden durch Käfer bestäubt. Die Gattung reicht bis in die Kreidezeit (über 100 Mio. Jahre) zurück. Gefährdung. Die Bournemouth University teilte am 4. April 2007 mit, die Rote Liste der Magnoliengewächse führe 132 von insgesamt 245 Arten als gefährdet. Als Hauptursachen der Bedrohung werden die Zerstörung der natürlichen Lebensräume der Magnolien für die Landwirtschaft sowie deren übermäßige Ausbeutung angesehen. Nutzung. Magnolien werden vor allem aufgrund ihrer großen, auffälligen Blüten als Ziergehölze sehr geschätzt. Einige Arten wie "Magnolia officinalis" werden arzneilich in der Traditionellen chinesischen Medizin verwendet oder dienen als Nahrungsmittel, so die Arten "Magnolia cylindrica" und "Magnolia hedyosperma". In Mitteleuropa kultivierte Arten und Hybriden. Es gibt zahlreiche Magnolien-Hybriden, die aus gärtnerischer Kultur hervorgegangen sind. Sie wurden nach wünschenswerten Merkmalen wie Habitus, Blütengröße und Blütenfarbe ausgelesen. Das Ergebnis sind rosa, weinrote und gelbe Blütenfarben, die sich in Größe und Form von "Magnolia" ×"soulangeana" unterscheiden. Systematik. Die folgende Darstellung der Systematik der Gattung folgt Figlar & Nooteboom: "Notes on Magnoliaceae IV." Blumea 49: 87–100, 2004. Dabei wurden die früheren Gattungen "Magnolia", "Manglietia", "Michelia", "Talauma", "Aromadendron", "Kmeria", "Pachylarnax", "Alcimandra" zu einer Gattung zusammengefasst; das sind alle Gattungen des früheren Umfangs der Familie der Magnoliaceae, die der heutigen Unterfamilie der Magnolioideae entspricht; es bleibt also lediglich die zwei Arten umfassende Gattung "Liriodendron", also die Unterfamilie Liriodendroideae, außen vor. Die "Magnolia" sind nun die einzige Gattung der Unterfamilie Magnolioideae. Die Gattung wird gegliedert in drei Untergattungen, zwölf Sektionen und einige Untersektionen: Weitere Arten ohne Zuordnung zu einer Sektion (neu beschrieben seit 2016): Symbolische Bedeutung. Die Magnolie ist ein Nationalsymbol Nordkoreas, abgebildet meist in Form der Sommer-Magnolie. Der amerikanische Bundesstaat Mississippi wird als „Magnolienstaat“ bezeichnet.
Magnus Malm (* 26. Dezember 1951 in Rogberga, Jönköping) ist ein schwedischer christlicher Redakteur, Publizist und Leiter von Einkehrzeiten. Leben und Wirken. Malm kam aus einem freikirchlichen Hintergrund und war Redakteur des christlichen Magazins "Nytt Liv" in Schweden und Verlagsgründer. Nach einer persönlichen Krise zog er sich zu einem Sabbatjahr zurück und leitet seither Einkehrzeiten in verschiedenen Zentren der lutherischen Kirche Schwedens. Solche Zeiten sind geprägt von seinen Erfahrungen, ignatianischer Spiritualität und der ökumenischen Bewegung "Korsvej" (deutsch: "Kreuzweg"), mit der er verbunden ist. Zentral sind für ihn die Gemeinschaft mit Christus, Gerechtigkeit und ein einfacher, aufs Wesentliche reduzierter Lebensstil, um sich und andere Menschen gut führen zu können. Zur Konzentration verzichtet Malm bewusst auf elektronische Medien. Privates. Malm ist verheiratet mit Elisabeth, sie haben vier Kinder, einige Enkelkinder und leben in der Nähe von Alingsås bei Göteborg. Lehre. Für Malm ist es äußerst wichtig, zwischen Schein und Sein, zwischen Schale und Kern bei den Menschen zu unterscheiden. Härte und zu große Nachgiebigkeit würden oft auf Unsicherheit und mangelnde innere Stärke einer Persönlichkeit hinweisen. Vollmacht, echte Stärke und gute Leiterschaft zeigen sich dagegen darin, dass eine Führungsperson einen befreienden Einfluss auf andere Menschen ausüben könne. Ein solcher Mensch habe eine Vorbildrolle, ohne diese zu missbrauchen und andere in Abhängigkeit zu führen und zu halten. Weitere Hinderungsgründe für eine gesunde Entwicklung zu einer erwachsenen, starken Persönlichkeit seien ein vererbtes geringes Selbstwertgefühl, seelische Verletzungen, Enttäuschungen und Verluste. Wenn jemand solche Ereignisse nicht verarbeite und darüber nicht trauern könne, blieben Wunden zurück, die nicht heilen wollen. Erwachsen werden heiße, seinen Egoismus und seine Scham zu überwinden und Hilfe holen, sich bei einem Seelsorger oder einem geistlichen Wegbegleiter aussprechen und sich im Namen Jesu von ungesunden Loyalitäten lossagen. Dieses Vorgehen vertreibe auf wundersame Weise die bösen Mächte und führe in eine neue Freiheit und Kraft hinein. Werke. Gott braucht keine Helden. Sein bekanntestes Werk "Gott braucht keine Helden" erschien 1997 in deutscher Sprache. Darin zeigte er auf, dass Narzissmus, wie ihn schon Christopher Lasch 1979 beschrieben hatte, auch unter Christen und christlichen Leitern weit verbreitet sei. Solche Personen hätten ein aufgelöstes und unsicheres Ich, weshalb sie so auf sich selbst fixiert sein müssten. Sie achteten mehr auf Image und Schein als auf Substanz und Wirklichkeit, sie seien abhängig vom Beifall anderer und ihr Ziel sei vor allem die eigene Befriedigung. Als Geliebter Gottes dagegen spiegle man seine Liebe und erhalte von ihm eine stabile Identität und kann andern Menschen zweckfrei dienen. Die Hauptaufgabe eines Pfarrers sei nicht zu predigen, sondern auf das Wort Gottes zu hören und es weiterzugeben. Deshalb seien regelmäßige Zeiten des Hörens, der Stille und Ruhe so wichtig. Gott wolle von uns primär Liebe, Treue und Ehrlichkeit und nicht Leistung und Erfolg, weil letztlich er und nicht wir für die Ergebnisse zuständig seien. Veröffentlichungen. Malm hat mehrere Bücher geschrieben, die teilweise auch ins Deutsche übersetzt wurden, worin er seine Lebens- und Glaubenserfahrungen reflektiert und für andere nutzbar gemacht hat.
Elisabeth Kohn (geboren 11. Februar 1902 in München — ermordet am 25. November 1941 bei Kaunas (Fort IX)) war eine deutsche Rechtsanwältin aus einer jüdischen Familie. Neben ihrem Beruf engagierte sie sich auf vielfältige Weise sozial, so für die SPD, die pazifistische Deutsche Liga für Menschenrechte, den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund und die SPD-Zeitung "Münchener Post". Im November 1941 wurde sie zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester, der Künstlerin Maria Luiko, auf Grund der rassistischen NS-Judenverfolgung in der Shoah deportiert und fünf Tage später im damals deutsch besetzten Litauen ermordet. Leben. Elisabeth Kohn war eine Enkelin des Salomon Kohn, geboren am 19. April 1830 in Wassertrüdingen, der sich 1859 als Gerbermeister und Lederhändler in München niederließ und 1880 starb. Ihr Vater, der Kaufmann Heinrich Kohn, geboren 1866 in München, hatte von 1875 bis 1880 das Münchner Maximiliansgymnasium besucht und betrieb später einen Großhandel mit Getreide und Futtermitteln. Nach seinem Tod, 1933, übernahm seine Ehefrau Olga, geborene Schulhöfer (* 1878 in Würzburg), die Firma, musste sie jedoch 1938 auf Betreiben der nationalsozialistischen Verwaltung abmelden. Elisabeth wuchs mit den Geschwistern Mathilde (* 1861; verh. Pfeiffer) und Emanuel in München auf und absolvierte hier ein Humanistisches Gymnasium. Anschließend nahm sie als eine der wenigen Frauen an der Universität München ein Studium der Rechtswissenschaften, Philosophie, Psychologie und Pädagogik auf. Am 24. Juli 1924 (Tag der mündlichen Prüfung) wurde sie aufgrund der Dissertation "Meinongs Wertlehre in ihrer Entwicklung" zum Doktor der Philosophie promoviert, 1925 legte sie die Erste Juristische Staatsprüfung für den Höheren Justiz- und Verwaltungsdienst ab. Ihr Referendariat absolvierte sie unter anderem in der Kanzlei von Hans Fröhlich. Nach der Zweiten Juristischen Staatsprüfung erhielt sie am 7. November 1928 ihre Zulassung als Rechtsanwältin bei den Landgerichten München I und II und beim Oberlandesgericht München. Kohn trat in die Kanzlei der Anwälte Max Hirschberg, Philipp Loewenfeld und Ludwig Regensteiner ein, die sich in der Weimarer Republik einen Namen durch eine Reihe politische Strafprozesse erworben hatten. In den fünf Jahren, in denen Kohn für die Kanzlei tätig war, vertrat sie die Interessen jüdischer Bürger und die südbayerische SPD. Auch die Rote Hilfe Deutschlands, deren Mitbegründerin sie Ende 1924 war, verteidigte sie. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde Kohn am 5. August 1933 mit einem Berufsverbot belegt. Ihr Gesuch auf Aufhebung lehnte das Justizministerium unter anderem mit der Begründung ab, „sie sei jung und ledig und könne in irgendeinem Frauenberuf unterkommen“. In den folgenden Jahren arbeitete Kohn in der Fürsorgeabteilung des Wohlfahrtsamtes der Israelitischen Kultusgemeinde von München. Mit Rücksicht auf ihre Mutter verzichtete Kohn zusammen mit ihrer Schwester, der Malerin Maria Luiko, auf die Emigration aus Deutschland, half aber unter dem Dach der Zionistischen Ortsgruppe, andere Juden auf ihre Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Ab November 1940 arbeitete sie als Hilfskonsulin bei Julius Baer, wo sie jüdische Flüchtlinge und Auswanderer beriet. Ab 1939 war ihre Familie zunehmend den Schikanen der Behörden ausgesetzt. Sie mussten 1939 ihre Wohnung verlassen und innerhalb der folgenden beiden Jahre in immer kürzer werdenden Abständen vier Mal umziehen. Im November 1941 wurde Kohn in eine Pension einquartiert und schließlich am 20. November 1941 zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester ins Ghetto Riga deportiert. Fünf Tage später wurden sie zusammen mit 997 weiteren als Juden verfolgten Münchenerinnen, -ern bei Kowno (dt. Kaunas), Litauen ermordet. Erinnerung. Auf Anregung des Münchener Aktionskünstlers Wolfram P. Kastner wurde im Juli 2003 im Gebäude der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität am Eingang zum Lesesaal der Bibliothek ein Denkzeichen angebracht, das die Erinnerung an 205 jüdische Anwälte wachhalten soll, die in München lebten oder studierten, sich für die Rechte anderer einsetzten und während der Zeit des Nationalsozialismus entrechtet, vertrieben oder ermordet wurden. Es zeigt großformatig das Porträt Elisabeth Kohns und daneben in einem Schaukasten eine Texttafel mit den Namen der Anwälte. Ihr Name ist auch auf der Gedenktafel der Anwaltschaft zu den NS-Berufsverboten im Münchner Justizpalast verzeichnet. Mit Beschluss vom 9. Dezember 2004 wurde zudem im Neubaugebiet an der Ackermannstraße im Münchener Stadtbezirk Schwabing-West eine Straße nach ihr benannt und entsprechend die „Schule an der Elisabeth-Kohn-Straße“ eingerichtet. In Kowno gibt es seit November 2000 eine offizielle Inschrift durch die Stadt München:
Der Rotbüffel ("Syncerus nanus"), auch Waldbüffel genannt, ist eine Art aus der Familie der Hornträger. Er stellt den kleinsten Vertreter der afrikanischen Büffel ("Syncerus") dar, der etwa nur halb so groß wird wie der bekannte Kaffernbüffel. Sein Verbreitungsgebiet liegt im zentralen und westlichen Afrika, wo er die tropischen Regenwälder der Tiefländer bewohnt. Die Lebensweise des Rotbüffels ist allgemein nur wenig untersucht. Generell sind die Tiere zwar als Waldbewohner anzusehen, die mit einer geringeren Körpergröße und grazileren Hornbildungen Anpassungen an diesen Lebensraum besitzen, doch zeigen sie gleichzeitig eine gewisse Abhängigkeit von offenen Landschaften in direkter Angrenzung an die Wälder. Dies drückt sich unter anderem in der speziellen Ernährungsweise aus, die wie bei den in offenen Landschaften lebenden afrikanischen Büffeln zu einem Großteil auf Gräsern basiert. Der Rotbüffel lebt in gemischten Herden mit vergleichsweise geringer Individuenzahl. Die einzelnen Herden unterhalten jeweils Aktionsräume, die neben Wäldern auch einen gewissen Anteil an offenen Arealen und Feuchtgebieten einschließen. Jedes dieser unterschiedlichen Habitate wird von den Herden je nach Jahreszeit oder Bedürfnis auf verschiedene Weise genutzt. Über die Fortpflanzung liegen kaum Informationen vor. Die Art wurde 1785 wissenschaftlich eingeführt. Das dabei verwendete Typusmaterial diente in den darauffolgenden knapp 80 Jahren zur Aufstellung von zwei weiteren wissenschaftlichen Artnamen des Rotbüffels. Vor allem im Verlauf des 20. Jahrhunderts galt er als Unterart des Kaffernbüffels, aufgrund stark abweichender morphologischer Merkmale wird er seit Beginn des 21. Jahrhunderts als eigenständige Art geführt. Der Gesamtbestand des Rotbüffels ist seit dem Ende der 1990er Jahre stark zurückgegangen. Merkmale. Habitus. Der Rotbüffel ist der kleinste Vertreter der afrikanischen Büffel ("Syncerus"). Er erreicht eine Kopf-Rumpf-Länge von 180 bis 220 cm, zuzüglich eines rund 60 bis 90 cm langen Schwanzes, und eine Schulterhöhe von 100 bis 130 cm. Das Körpergewicht der Tiere beträgt 265 bis 320 kg. Dadurch wirkt der Rotbüffel weniger massig als sein Verwandter, der Kaffernbüffel ("Syncerus caffer"). Individuen aus Westafrika sind im Durchschnitt etwas größer als solche aus Zentralafrika. Der Sexualdimorphismus erscheint weniger ausgeprägt als bei den anderen, eher offene Landschaften bewohnenden Vertretern von "Syncerus". Das Fell besitzt eine vielfältige Schattierung, die von rötlich bis bräunlich reicht, teilweise treten schwarze Markierungen an den Beinen und an der Schulter auf. Es kommen gelegentlich aber auch vollständig schwarz gefärbte Individuen vor. Der Kopf ist robust, das Maul breit und die Nase nackt und feucht. Die Hörner sind kürzer als bei den anderen afrikanischen Büffeln, zudem zeigen sie nicht die typische seitliche Abwärtsbiegung. Vielmehr ragen die Hörner beim Rotbüffel schräg nach hinten auf, etwa in Fortsetzung der Stirnlinie. Sie sind dabei leicht nach außen gekrümmt, so dass sie eine Art Halbmond bilden. Die Länge der Hörner über die Krümmung gemessen ist größer als ihre Spannweite. Bei zentralafrikanischen Tieren erreichen sie eine Länge von 41 bis 69,0 cm bei einer Spannweite von 34,1 bis 65,5 cm. Bei westafrikanischen Tieren ist die Diskrepanz weniger deutlich entwickelt. Hier variiert die Hornlänge von 34,5 bis 72 cm, die Spannweite liegt zwischen 35,0 und 63,5 cm. Abweichend von den anderen afrikanischen Büffeln sind an der Hornbasis keine besonderen Verdickungen ausgebildet. Die langen und sehr prominenten Ohren fallen zusätzlich durch kräftige Fransen an der inneren Längsseite auf. Die Ohrmuschel ist außerdem dicht mit Haaren bewachsen, zwei Streifen aus langen, weißlichen Haaren verlaufen über die Ohrmuschel bis zu Ohrwurzel. Der Schwanz endet in einem auffälligen Quaste. Wie beim Kaffernbüffel fehlen Drüsen zum Absetzen von Sekreten. Schädel- und Gebissmerkmale. Der Schädel erreicht eine Gesamtlänge von 39,4 bis 49,2 cm und eine Breite am Warzenfortsatz des Schläfenbeins von 13,7 bis 27,6 cm. Wie bei den anderen afrikanischen Büffeln fehlt die Voraugengrube (Fossa praeorbitalis) und die Siebgrube (Fossa ethmoidalis). Das Gebiss besitzt die typische Anzahl der Zähne der Hornträger und weist somit folgende Zahnformel auf: formula_1. Die Backenzähne sind hochkronig ("hypsodont") und mit scharfen Zahnschmelzleisten ausgestattet. Verbreitung und Lebensraum. Der Rotbüffel kommt in Zentral- und Westafrika vor, sein Verbreitungsgebiet ist mehr oder weniger zweigeteilt. Der Hauptteil reicht vom südlichen Nigeria, dem südlichen und zentralen Kamerun und dem Süden der Zentralafrikanischen Republik über weite Teile des Kongobeckens, einzelne Bestände im westlichen und zentralen Angola sind isoliert vom Hauptverbreitungsgebiet. Zuzüglich leben einzelne Populationen auf den Inseln von São Tomé und Príncipe, auf der Insel Bioko ist der Rotbüffel heute allerdings ausgestorben. Vom Hauptteil des Verbreitungsgebietes abgetrennt erstreckt sich das zweite Vorkommen entlang der Küste des weiteren westlichen Afrikas etwa von Guinea-Bissau bis ins südwestliche Ghana, möglicherweise sind die Tiere dort aber ebenfalls ausgestorben. Prinzipiell bewohnt der Rotbüffel die tropischen Regenwälder des Tieflandes. Die Gebiete zeichnen sich durch einen jährlichen Niederschlag von wenigstens 1500 mm aus. Dort bevorzugen die Tiere offene, grasreiche Areale wie Lichtungen, Wasserläufe oder anthropogene Waldöffnungen wie etwa Verbindungsstraßen. Sie sind dabei sowohl in den Regenwald-Savannen-Übergangszonen als auch in primären und sekundären Wäldern anzutreffen. Wälder mit geschlossenem Kronendach werden häufig gemieden. Nach Untersuchungen in den Küstengebieten des westlichen Gabuns gehören auch Gebüschlandschaften zum genutzten Habitat, dagegen sind Rotbüffel dort nicht in primären Wäldern anzutreffen. Im Dzanga-Ndoki-Nationalpark in der Zentralafrikanischen Republik halten sich die Herden häufig auf Lichtungen oder in Waldgebieten mit hohen Bäumen, aber nicht geschlossenem Kronendach auf. Die Populationsdichte ist aufgrund der Lebensweise in Wäldern schwer zu bestimmen, wird aber als eher gering angenommen. In den Küstengebieten Gabuns liegt sie in Sekundärwäldern mit Übergang zu offeneren Gebieten bei 0,43 bis 0,9 Individuen je Quadratkilometern, kann aber wie im Réserve de Faune du Petit Loango auf bis zu 1,75 Tiere je Quadratkilometer ansteigen. Im Campo-Ma’an-Nationalpark im südlichen Kamerun schwankt sie zwischen 0,01 Individuen auf einer vergleichbar großen Fläche in dichten Wäldern und 0,4 im Übergang zu offeneren Gebieten wie an Verbindungsstraßen. Mit bis zu 7,4 Tieren auf einem Quadratkilometer ist die Individuendichte in mosaikartigen Regenwald-Savannen-Gebieten im Lopé-Okanda-Schutzgebiet in Gabun dagegen vergleichsweise hoch, sie nimmt aber in den umliegenden Wäldern wieder stark ab und beträgt hier nur 0,4 Tiere auf einem Quadratkilometer. Lebensweise. Territorialverhalten. Allgemein ist die Lebensweise des Rotbüffels schwerer zu dokumentieren als die seiner Verwandten in den offenen Savannen. Wie diese lebt der Rotbüffel in Herden, die mit 3 bis 25 Individuen aber deutlich kleiner sind als die der Offenlandarten. Während einer länger andauernden Untersuchung im Zeitraum von 2002 bis 2004 im Dzanga-Ndoki-Nationalpark in der Zentralafrikanischen Republik wurde eine einzelne Herde beobachtet, die anfangs 16 Individuen umfasste, zwei Jahre später durch Geburten auf 24 angewachsen war. Bei einer anderen Studie in einem annähernd gleichen Zeitraum in einem 72 km² Areal im Lopé-Okanda-Schutzgebiet in Gabun wurden insgesamt 342 Rotbüffel dokumentiert, die 18 verschiedenen Herden mit Größen von 3 bis 24 Individuen angehörten. Die gesamtdurchschnittliche Herdengröße lag dabei bei 12 Tieren, wobei frühere Analysen in der gleichen Region nur 5,8 Tiere je Herde ermittelten. In der Regel setzt sich eine Herde aus mehreren Kühen mit ihren Jungtieren und einem oder zwei Bullen zusammen. An Rast- oder Ruheplätzen auf Lichtungen nimmt in der Regel der Bulle eine zentrale Position ein, während Kühe und Kälber eher im mittleren bis peripheren Bereich innerhalb der Herde zu finden sind, die genaue Lokalisierung eines Individuums in einer Herde hängt zumeist vom Alter und Geschlecht ab. Bei einer Rast in waldreicheren Gebieten streut die Herde weiter auseinander, was möglicherweise mit dem dichten Baum- und Buschstand zusammenhängt, die individuelle Position eines Tieres ist so schwerer zu bestimmen. Männliche Tiere sind selten auch allein anzutreffen, sie formen aber im Gegensatz beispielsweise zum Kaffernbüffel niemals Junggesellengruppen. Es wird angenommen, dass die eher geringe Gruppengröße als Fortpflanzungsvorteil in dichten Wäldern dient. Die Gruppengröße ist in der Regel stabil. Allerdings kommt es im Verlauf des Jahres teilweise zur Aufsplittung von vor allem größeren Herden. Diese daraus hervorgehenden Untergruppen bestehen aus wenigstens einem Weibchen und mehreren Jungtieren mit im Minimum 3 Individuen und vereinen sich zumeist nach nur wenigen Tage wieder mit der Hauptgruppe. Sehr selten verlassen Herdenmitglieder ihre angestammte Gruppe vollständig und wechseln zu einer anderen über. Während der Zwei-Jahres-Studie im Lopé-Okanda-Schutzgebiet schloss sich lediglich ein weibliches Tier einer neuen, in diesem Fall kleineren Herde an. Das Phänomen tritt damit wesentlich seltener auf als beim Kaffernbüffel. Die einzelnen Herden unterhalten Aktionsräume, die deutlich kleiner sind als bei den Büffeln der Savannen und Offenlande. Da die Bullen abweichend von den anderen afrikanischen Rindern in der Herde leben, deckt sich deren Revier vollständig mit dem der Herde. Im Dzanga-Ndoki-Nationalpark wurde der Aktionsraum für eine Herde mit 8 km² ermittelt, im Lopé-Okanda-Schutzgebiet variierten die Größen bei den 18 beobachteten Herden von 2,3 bis 7,64 km². Die Aktionsräume von benachbarten Herden überlappen sich dabei nicht. Ähnlich wie die Herde bleiben die Territorien relativ stabil und nehmen die gleiche Region mit den gleichen Rast- und Fressplätzen über mehrere Jahre ein. Sie schließen verschiedene Vegetationstypen ein, die von Wäldern über offene Landschaften wie Lichtungen und Savannenfragmente bis hin zu Feuchtgebieten wie Sümpfe oder Flussauen reichen und zumeist fleckenhaft verteilt sind. Wälder bedecken dabei weniger als 50 % der Fläche, der Anteil an offenen Bereichen nimmt mit der Herdengröße zu. Innerhalb der Aktionsräume nutzen die Tiere die verschiedenen Habitate recht unterschiedlich. Lichtungen und Savannenbereiche dienen zur Nahrungsaufnahme, während Wälder als Schutz gesucht und Feuchtgebiete zur Abkühlung genutzt werden. Die Weidegebiete liegen häufig nur wenige hundert Meter auseinander, sie werden von der Herde in einen Rotationssystem aufgesucht. Aufgrund dieser kurzen Distanzen legt die Herde täglich nur kurze Wegstrecken von 500 bis 1000 m zurück, die längste beobachtete Wanderung innerhalb eines Tages überbrückte etwa 4000 m. Es gibt eine gewisse jahreszeitliche Bevorzugung bestimmter Gebiete wie wasserreiche Landschaften in der Trockenzeit oder Wälder in der Regenzeit, ansonsten gibt es nur wenige Unterschiede in der jährlichen Nutzung. Der Rotbüffel folgt den gleichen allgemeinen Aktivitätsmustern, die auch bei anderen Hornträgern feststellbar sind. So werden Phasen der Nahrungsaufnahme von solchen der Ruhe und des Wiederkäuen abgelöst. Beides findet sowohl tagsüber wie auch nachts statt, tagsüber verbringt der Rotbüffel etwa 38 % mit Ruhe und mehr als 30 % mit der Nahrungsaufnahme. Im Lopé-Okanda-Schutzgebiet fressen die Tiere überwiegend vormittags zwischen 09:30 und 12:00 Uhr. Auffällig ist, dass Kühe durchschnittlich länger weiden als Bullen. Die größte Hitze des Tages verbringen die Tiere mit Ruhe. Hierbei gehören unter anderem Schlammbäder zum Komfortverhalten. Interaktionen innerhalb der Herde beschränken sich häufig zwischen den Alttieren und ihren Nachwuchs. Submissives Verhalten wurde bisher nur selten beobachtet. Es besteht darin, dass das unterwürfige Tier seinen Kopf zwischen die Hinterbeine des dominanten steckt, ähnlich wie es beim Kaffernbüffel belegt ist. Ernährung. Über die Ernährung des Rotbüffels liegen nur wenige, spezifische Informationen vor, sein überwiegendes Vorkommen in den tropischen Regenwäldern lässt annehmen, dass Gräser als Nahrungspflanzen nicht ganz so dominant sind wie bei seinen Verwandten in den offenen Savannen. Im Campo-Ma’an-Nationalpark im südlichen Kamerun besteht die Hauptnahrung des Rotbüffels zu 43 % aus Süßgräsern, allein 15,1 % der Menge an aufgenommenen Gräsern wird durch Vertreter von "Leptochloa" gedeckt, weniger häufig durch solche von "Chrysochloa", "Otochloa" oder "Setaria". Neben Süßgräsern spielen mit rund 21 % Commelinagewächse wie etwa "Palisota" eine wichtige Rolle. Der Rest, knapp 33 %, umfasst überwiegend Kreuzblütler, Hülsenfrüchtler, Hanfgewächse, Weinrebengewächse und andere Zweikeimblättrige sowie Moose. Eine ähnliche Zusammensetzung der Nahrung zeigen Untersuchungen im Lopé-Okanda-Schutzgebiet in Gabun. Hier ernähren sich die Rotbüffel überwiegend von Süß- und Riedgräsern, während Pfeilwurzgewächse und Zweikeimblättrige den übrigen Teil ausmachen. Dabei sind jahreszeitliche Unterschiede feststellbar, da der prozentuale Anteil der Gräser mit rund 87 % in der Trockenzeit und rund 97 % in der Regenzeit deutlich variiert. Unter den Süßgräsern konnten unter anderem "Leersia" und "Schizachyrium" identifiziert werden. Die Studien zeigen auf, dass der Rotbüffel überwiegend an offenen Stellen wie Lichtungen weidet und Grasnahrung weitgehend bevorzugt. Ein Tier muss täglich etwa 6,5 kg Nahrung zu sich nehmen. Wie seine Offenlandverwandten ist der Rotbüffel ein sehr effizienter Graser, der mit einem breiten Maul und mobiler Zunge erhebliche Mengen auf einmal vertilgen kann. Fortpflanzung. Die Fortpflanzung des Rotbüffel wurde kaum untersucht, sie dürfte aber weitgehend den Charakteristiken bei den Büffeln der Offenlandschaften entsprechen. Während der Zwei-Jahres-Studie im Lopé-Okanda-Schutzgebiet wurde nur ein Paarungsakt beobachtet, der im August stattfand. Die Geburt des einzelnen Jungtiers trat dann im folgenden Juli ein, was eine Tragzeit von etwa 11 Monaten annehmen lässt. Für die Geburt entfernt sich das Muttertier von der Herde und kehrt wenige Tage später zurück, wenn das Kalb laufen kann. Neugeborene Kälber im gleichen Gebiet wurden vom August bis Dezember und vom März bis April registriert, womit die Fortpflanzung höchstwahrscheinlich nur wenig oder kaum jahreszeitlich gebunden ist. Von sechs Kälbern während der Zwei-Jahres-Studie im Lopé-Okanda-Schutzgebiet starben insgesamt vier noch vor dem vierten Monat, was einer Sterblichkeit von etwa 67 % entspricht. Während der anderen länger andauernden Untersuchung im Dzanga-Ndoki-Nationalpark wuchs eine Herde innerhalb von zwei Jahren durch acht Geburten von 16 auf 24 Individuen an. Jungtiere haben generell ein dichteres und rötlicheres Fell als Alttiere. Das Kalb verbleibt zumeist zwei Jahre beim Muttertier, der Zeitraum zwischen zwei Geburten kann mit wenigstens 16 Monaten angenommen werden. Die Lebenserwartung in freier Wildbahn beträgt etwa 18 bis 20 Jahre, das Höchstalter eines Rotbüffels in menschlicher Obhut betrug etwa 28 Jahre. Fressfeinde und Feindverhalten. Der Rotbüffel hat nur wenige Fressfeinde, gelegentlich erlegen Leoparden einzelne Tiere. Im Lopé-Okanda-Schutzgebiet erbrachten von 196 untersuchten Kothaufen des Beutegreifers nur 14 Reste des Rotbüffels, was einem Anteil von 7,1 % entspricht. Die konsumierte Biomasse erreicht dabei einen Anteil von 13 %. Großteils handelte es sich um Überreste von Jungtieren. In anderen Regionen des Verbreitungsgebiets des Rotbüffels wurde dieser nur äußerst selten als Opfer der Großkatze nachgewiesen. Möglicherweise hängt die stärkere Bejagung auch mit der höheren Populationsdichte der Hornträgerart in den Mosaiklandschaften des Schutzgebietes zusammen. Zum Feindverhalten gehören größere Gruppenbildungen beim Grasen oder in offenen Gebieten mit größerer Entfernung zu Waldrändern und ein engeres Zusammenrücken beim Wandern. Bei der Flucht führt die Gruppe in der Regel eine Kuh an, während der Bulle den Abschluss bildet. Parasiten. Parasiten und Krankheitserreger des Rotbüffels konnten bisher nur vereinzelt belegt werden, generell ist aber von einer vergleichbaren Anfälligkeit wie beim Kaffernbüffel und anderen Rindern auszugehen. Dies betrifft unter anderem die Maul- und Klauenseuche und die Tuberkulose, die aber aufgrund der in den Regenwaldgebieten nur wenig verbreiteten Hausrinder bisher beim Rotbüffel nicht nachgewiesen wurden. An äußeren Parasiten sind unter anderem Zecken der Gattungen "Rhipicephalus" und "Amblyomma" dokumentiert. Zu den inneren Parasiten zählen Fadenwürmer wie "Carmyerius" und Oozysten wie "Eimeria". Darüber hinaus konnte mit "Paramphistomum" auch ein Vertreter der Saugwürmer anhand von Dungresten identifiziert werden. Systematik. Der Rotbüffel ist eine Art aus der Gattung "Syncerus" und der Familie der Hornträger (Bovidae). Die Gattung "Syncerus" schließt die afrikanischen Büffel ein, ihre nächsten Verwandten bilden die Asiatischen Büffel ("Bubalus"). Beide Gattungen zusammen formen die Untertribus der Bubalina innerhalb der Tribus der Bovini und der Unterfamilie der Bovinae. Laut molekulargenetischen Untersuchungen trennten sich die afrikanischen und die asiatischen Büffel im Oberen Miozän vor etwa 7,3 bis 5,1 Millionen Jahren. Über einen langen Zeitraum bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts hin wurde die Gattung "Syncerus" als monotypisch betrachtet. Sie enthielt damit als einzige Art den Kaffernbüffel ("Syncerus caffer"), der über weite Teile Afrikas verbreitet war. Innerhalb der Art unterschied man mehrere Unterarten, deren genaue Anzahl aber umstritten war, in zahlreichen moderneren Systematiken meist jedoch zwischen zwei und fünf schwankte. Der Rotbüffel stellte dabei eine von den meisten Forschern als eindeutig anerkannte Unterart des Kaffernbüffel dar. Eine Revision der Hornträger aus dem Jahr 2011, die von Colin Peter Groves und Peter Grubb durchgeführt wurde, erhob insgesamt drei weitere Unterarten auf Artniveau an. Neben dem Kaffernbüffel gelten demnach der Rotbüffel, der Sudan-Büffel ("Syncerus brachyceros") und der Virunga-Büffel ("Syncerus matthewsi") als eigenständige Arten. Eine fünfte, häufig angenommene Unterart, "S. c. aequinoctialis", ist morphometrisch und forschungsgeschichtlich identisch mit dem Sudan-Büffel. Die Aufteilung der Gattung "Syncerus" in vier Arten ist aber nicht vollständig anerkannt. Der Kaffern- und der Rotbüffel sind anhand morphometrischer und äußerlicher Merkmale gut voneinander abtrennbar, sie repräsentieren zwei unterschiedliche Ökomorphotypen: der Kaffernbüffel als große, kräftige Art mit massigen Hörnern einen Savannentyp, der Rotbüffel als grazilerer Vertreter mit kleineren Hörnern einen Waldtyp. Die beiden anderen Arten, die die Offenlandschaften der Sahel und die Bergregionen Ostafrikas bewohnen, stehen in ihrem Aussehen eher intermediär zwischen diesen beiden. Die hohe morphologische Variationsbreite von "Syncerus" spiegelt sich nicht in einer genetischen Vielfalt wider, wie molekulargenetische Studien aufzeigen. Es lassen aber zwei deutlich voneinander getrennte Kladen erkennen, die einerseits die Populationen von West- und Zentralafrika (Rot- und Sudan-Büffel), andererseits die von Ost- und Südafrika betreffen (Kaffernbüffel). Sie unterscheiden sich um etwa 6,6 % ihres Erbgutmaterials, die Trennung der beiden Linien erfolgte im Mittleren Pleistozän vor etwa 450.000 bis 145.000 Jahren. Bemerkenswert ist dabei das vereinzelte Auftreten genetischer Merkmale der einen in der jeweiligen anderen Linie, was auf einen gewissen Genfluss in der Vergangenheit hindeutet. Die Größenordnung des Genflusses dürfte sich dabei in der Vermischung von durchschnittlich fünf Individuen je Generation belaufen. Möglicherweise kam es in der geologischen Vergangenheit zu einer Expansion beider Linien, die die Hybridisierung begünstigte, im Fall des Rotbüffels könnte dies mit einer Ausdehnung der Regenwälder unter feuchteren klimatischen Bedingungen während einzelner Abschnitte des Pleistozäns einhergegangen sein. Die Herkunft des Rotbüffels wird im Ergebnis der genetischen Studien aus den westafrikanischen Savannenformen von "Syncerus" vermutet, was sich möglicherweise auch in der speziellen Ernährungsweise der Art zeigt. Die erste wissenschaftliche Benennung des Rotbüffels erfolgte im Jahr 1785 durch Pieter Boddaert, er verwendete die Bezeichnung "Bos nanus". Boddaert gab als Herkunftsregion Marokko an. Das Typusmaterial umfasst ein Hornpaar, das bereits 1686 von Nehemiah Grew als Bestandteil der Sammlung des Gresham College in London vorgestellt worden war, im Jahr 1771 bildete Thomas Pennant die Hörner in seinem Werk "Synopsis of Quadrupeds" ab und bezeichnete das Tier als "Dwarf Ox" („Zwergochse“). Im Jahr 1792 wies Robert Kerr das gleiche Hornpaar der Art "Bos pumilus" zu und gab Azafie in Marokko als Herkunft an. Edward Blyth wiederum stellte im Jahr 1863 unter Zuhilfenahme des Typus-Hornpaares die Art "Bos reclinis" auf. Beide Namen gelten heute als synonym zu "Syncerus nanus". Richard Lydekker meinte später, dass die Herkunft des Typusmaterials unbekannt sei, verwies aber auf das Kongobecken als eigentliches Verbreitungsgebiet des Rotbüffels. Er sah auch 1914 erstmals den Rotbüffel als Unterart des Kaffernbüffel an. Gefährdung und Schutzmaßnahmen. Der Rotbüffel wird von der IUCN als Unterart ("Syncerus caffer nanus") geführt, der Gefährdungsstatus ist daher nur für alle Vertreter der Gattung "Syncerus" als „ungefährdet“ ("least concern") angeben. In den 1990er Jahren wurde der Gesamtbestand des Rotbüffels auf etwa 60.000 Tiere geschätzt, von denen sich 75 % in geschützten Gebieten befanden. Seitdem ist der Gesamtbestand vermutlich stark zurückgegangen, aus einigen Ländern wie Liberia, der Elfenbeinküste, Ghana oder Togo ist die Art wahrscheinlich schon verschwunden. Ursachen für den Rückgang der Gesamtpopulation liegen vor allem in der extensiven Jagd für den Bushmeat-Markt. Allein in der im südwestlichen Gabun gelegenen Stadt Gamba wurden Ende der 1990er jährlich 54 Rotbüffel auf dem lokalen Markt angeboten, was einer Menge von 22,7 kg je Quadratkilometer und Jahr aus den umliegenden geschützten Gebieten entspricht. Von 30 angebotenen Tierarten auf dem Markt von Gamba stellte der Rotbüffel die vierthäufigste dar, was von Experten als nicht nachhaltig angesehen wird. Weitere negative Einflüsse entstehen durch den Raubbau an den tropischen Wäldern, aber auch durch länger anhaltende Trockenperioden. Die Größe der heutigen Population des Rotbüffels ist unbekannt, er ist aber in zahlreichen Naturschutzgebieten vertreten. Der Fortbestand der Art hängt vor allem von gut verwalteten Schutzgebieten ab, in denen ein Augenmerk auf Lichtungen oder mosaikartike Savannen-Wald-Areale gelegt wird, die den speziellen Nahrungs- und Lebensbedürfnissen der Tiere entsprechen.
Burkhard Blienert (* 30. März 1966 in Braubach) ist ein deutscher Politiker der SPD. Er war von 2013 bis 2017 Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Seit dem 12. Januar 2022 ist er Beauftragter für Sucht- und Drogenfragen der Bundesregierung. Ausbildung und Beruf. Nach dem Abitur am Theodorianum in Paderborn leistete Blienert seinen Zivildienst beim AWO-Kreisverband Paderborn. An der Universität Münster erlangte er den Magister in Politik, Neuerer Geschichte und Soziologie. Sein Erstes Staatsexamen für die Sekundarstufe I legte er in den Fächern Sozialwissenschaften und Geschichte ab. Vor seiner Zeit als Mitglied des Bundestages wirkte Burkhard Blienert seit 1992 in verschiedenen Funktionen in der SPD oder deren Organisationen. Während des Wahlkampfs 2009 war er Referent im Büro des damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Zwischen 2010 und September 2013 war Blienert Referent für Schule und Weiterbildung, Sport und Petitionen bei der SPD-Landtagsfraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen. Politische Laufbahn. Von 2002 bis 2011 war Blienert stellvertretender Kreisvorsitzender der SPD im Kreis Paderborn, 2011 wurde er zum Kreisvorsitzenden gewählt. Seit 2008 ist Blienert zudem Mitglied im SPD-Regionalvorstand für Ostwestfalen-Lippe, ferner ist er stellvertretendes Mitglied im SPD-Parteikonvent. Zur Bundestagswahl 2013 trat Blienert im Bundestagswahlkreis Paderborn – Gütersloh III als Direktkandidat an, er zog über die Landesliste in den 18. Deutschen Bundestag ein. Bei den Bundestagswahlen 2017 und 2021 verpasste er den Einzug in den Bundestag. Am 12. Januar 2022 wurde er auf Vorschlag von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zum "Beauftragten für Sucht- und Drogenfragen" der Bundesregierung ernannt. Blienert gilt als Verfechter einer Legalisierung von Cannabis, eines im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition vorgesehenen Vorhabens. Bereits 2015, in seiner Zeit als Mitglied des Bundestages, verantwortete er eine Publikation des SPD-Arbeitskreises Drogenpolitik, die „Eckpunkte einer sozialdemokratischen Drogenpolitik“ absteckte und ein Ende der Prohibition forderte. Abgeordneter. Er war in der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags ordentliches Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und im Ausschuss für Kultur und Medien sowie ständiges stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss. Schwerpunktmäßig arbeitete er im Bereich Gesundheit zu den Themen Haushalt, Drogen und Sucht sowie Männergesundheit. Im Bereich Kultur und Medien hatte er die Funktion des filmpolitischen Sprechers seiner Fraktion inne. Zu seinen weiteren Arbeitsschwerpunkten gehören der Denkmalschutz, Buch/Verlag/Literatur, kulturelle Bildung sowie die soziale Absicherung der Kultur- und Medienschaffenden. Er ist Mitglied des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt Berlin, Mitglied des Hörfunkrates und des Wirtschafts- und Finanzausschusses des Deutschlandradios, Mitglied des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische Bildung sowie stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Nationalbibliothek. Ebenso ist er Mitglied des deutschen Vereins von Law Enforcement Against Prohibition, einem Verein der sich für eine Reform der Drogenpolitik einsetzt. Ferner war Blienert Mitglied in der deutsch-polnischen, der deutsch-niederländischen und der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe. Persönliches. Blienert lebt seit 1968 mit Unterbrechungen in Delbrück. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Mehmet Kubaşık (1. Mai 1966 in Hanobası, Landkreis Pazarcık – 4. April 2006 in Dortmund) war ein deutscher Einzelhändler türkischer Herkunft und kurdischer Abstammung. Er wurde von Mitgliedern der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) erschossen und war das achte Todesopfer ihrer NSU-Mordserie. Bis zur Selbstenttarnung des NSU im November 2011 verdächtigten die Ermittlungsbehörden fälschlich Kubaşık selbst krimineller Machenschaften und seine Familie der Beteiligung an der Tat. Herkunft und Familie. Geboren im Dorf Hanobası, wuchs der Kurde und türkische Staatsbürger Kubaşık in Südostanatolien auf und arbeitete dort im Landwirtschaftsbetrieb seines Vaters. Er heiratete seine Jugendliebe Elif gegen den Willen der Eltern; sie bekamen 1986 die gemeinsame Tochter Gamze und lebten in Hanobası. 1987 wurde Kubaşık zum 18-monatigen Militärdienst einberufen, den er gemeinsam mit dem sechsten Opfer der NSU-Mordserie İsmail Yaşar ableistete. Wegen der zunehmend bedrohlichen Lage für die Familie, die der verfolgten religiösen Minderheit der Aleviten angehört, floh Mehmet Kubaşık mit Frau und Tochter 1991 in die Bundesrepublik Deutschland und beantragte gemeinsam mit seiner Familie Asyl, und zwar – auf Vermittlung eines Bekannten – in Dortmund. Nach einem zwischenzeitlichen Aufenthalt in der Schweiz und knapp zwei Jahren in einer Flüchtlingsunterkunft wurde seinem Antrag stattgegeben. Mit seiner Ehefrau Elif hatte er neben der Tochter zwei in Deutschland geborene Söhne; alle Familienangehörigen nahmen 2003 die deutsche Staatsangehörigkeit an. Seine Frau Elif nannte das „eine bewusste Entscheidung“: „Deutschland fühlte sich als Heimat an.“ Arbeitsleben. Kubaşık begann als Hilfsarbeiter in einem Großhandel für Obst und Gemüse und arbeitete dann als Bauarbeiter, bevor er einen Schlaganfall erlitt. Als er sich davon erholt hatte, machte er sich selbständig; er eröffnete einen Kiosk in der Mallinckrodtstraße in der Dortmunder Nordstadt (). Er hatte den Kiosk zwei Jahre lang mit Hilfe seiner Familie betrieben und kürzlich beschlossen, das Geschäft aufzugeben, da die Arbeit das Familienleben aufzehrte, als Kubaşık am Mittag des 4. April 2006 erschossen wurde. Tod und Ermittlungen. Kubaşık wurde gegen 13 Uhr von einer Kundin in einer Blutlache liegend hinter dem Tresen seines Kiosks aufgefunden; Zeugen der Tat gibt es nicht. Laut einer Fallanalyse des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg von 2007 suchten die Täter den Kiosk zwischen 12 und 13 Uhr auf und schossen mit derselben Pistole der Serie Česká 83, die bei allen als NSU-Mordserie bezeichneten Tötungsdelikten benutzt wurde, viermal auf ihn und trafen zweimal. Es wurde nur eine Patronenhülse gefunden. Einen Tag nach dem Tod Kubaşıks begannen die Befragungen seiner Angehörigen, da die Ermittlungsbehörden fälschlich davon ausgingen, dass die NSU-Mordserie eng mit dem familiären Hintergrund der Opfer zusammenhänge. Witwe und Kinder wurden getrennt voneinander nach vermeintlichen Drogengeschäften, Mafia- und PKK-Kontakten des Vaters befragt und lange selbst der Tat verdächtigt. Da der Verdacht gegen Mehmet Kubaşık bald öffentlich bekannt wurde, wurde die Familie daraufhin über Jahre stigmatisiert. Wegen der zufälligen und kurzen Bekanntschaft mit İsmail Yaşar vermuteten die Ermittler, beide hätten eine politische Organisation in der Türkei mitfinanziert und seien deswegen umgebracht worden. In Richtung einer rechtsterroristischen Motivation wurde – wie bei fast allen anderen Fällen der NSU-Mordserie – erst im November 2011 ermittelt. Dazu kam es durch die Selbstenttarnung der Terrorzelle und den folgenden erweiterten Suizid der beiden Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, und nachdem Beate Zschäpe, das dritte Mitglied der Terrorzelle, Bekennervideos versandt hatte. Aufarbeitung und Gedenken. Die Angehörigen beteiligten sich – wie auch die Familie des ersten NSU-Opfers Enver Şimşek – am 6. Mai 2006 an einem Schweigemarsch mit 2000 Personen in Kassel, den die Familie Yozgat, deren Sohn Halit zwei Tage nach Kubaşık Opfer des NSU geworden war, organisiert hatte. Bei einem weiteren Schweigemarsch einen Monat später in Dortmund nahmen 200 Menschen teil. Kubaşıks Tochter Gamze wurde zu einem der öffentlichen Gesichter der Familien der NSU-Opfer. So sprach sie gemeinsam mit Semiya Şimşek, der Tochter Enver Şimşeks, bei der zentralen Gedenkveranstaltung der Bundesrepublik im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt Anfang 2012. Erst ab Ende 2011 wurde gegen Beate Zschäpe und mehrere mutmaßliche Gehilfen ermittelt. Das Bundeskriminalamt geht wegen einer Postkarte vom September 2005, die laut Schriftgutachten von Uwe Böhnhardt geschrieben, in Dortmund abgestempelt und an die damalige Zwickauer Wohnung des NSU-Trios adressiert worden war, davon aus, dass Böhnhardt den Kiosk zuvor ausspähte. Kurz vor dem Mord, zuletzt am 3. April 2006, wurden am Rechner in der NSU-Wohnung Ausschnitte des Dortmunder Stadtplans mit Hilfe eines Routenplaners ausgedruckt, die mit mehreren Markierungen versehen wurden (allerdings nicht vom Tatort). In den Resten der NSU-Wohnung fanden Ermittler im November 2011 auch Dutzende Adressen von politischen Gegnern sowie muslimischen und jüdischen Einrichtungen in Dortmund. Am 3. April 2006, einen Tag vor dem Mord an Kubaşık, war auf den Namen Holger Gerlach – dessen Identität sich Böhnhardt häufig zur Tarnung zu eigen machte – in Chemnitz „sehr kurzfristig“ ein Wohnmobil gemietet worden, das am 7. April 2006, einen Tag nach dem Mord an Halit Yozgat, wieder abgegeben worden war. Die Tat ist dem NSU zuzurechnen, weil sie im von Zschäpe versandten Bekennervideo als Teil ihrer „Deutschlandtour“ genannt wird und im Schutt der letzten NSU-Wohnung in deren Pressearchiv ein Artikel zum Mord an Kubaşık gefunden wurde. Eine Zeugin sah vor dem Kiosk im zeitlichen Zusammenhang mit der Tat zwei Männer mit Fahrrad, die sie als „Junkies oder Nazis“ beschrieb und deren Körperbau und Alterzuschreibung auf Mundlos und Böhnhardt passen. Im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München waren ab 2013 Zschäpe als Mittäterin des Mordes und vier Gehilfen angeklagt. Die Familie Kubaşık gehörte dort zu den Nebenklägern und wurde von neun Rechtsanwälten vertreten, die jeweils unterschiedliche Komplexe bearbeiteten. Diese drangen darauf, über die Anklageschrift des Generalbundesanwalts hinaus die möglichen Hintermänner, insbesondere mutmaßliche lokale Kontaktpersonen der Angeklagten, in Dortmund ins Blickfeld zu nehmen. Es werden Verbindungen des NSU zur Dortmunder Neonazi-Szene vermutet; sie waren mutmaßlich mit der rechtsextremen Band Oidoxie und der örtlichen gewaltbereiten Gruppe des Combat 18 bekannt. Der Tatort war wenige hundert Meter von der damaligen Wohnung des Neonazis Siegfried Borchardt und vom Neonazi-Treff „Deutscher Hof“ entfernt. Bei den Schlussvorträgen des Prozesses im November 2017 plädierten Elif und Gamze selbst. Im Juli 2018 wurde Zschäpe wegen Mittäterschaft unter anderem am Mord an Kubaşik zu lebenslanger Haft verurteilt, ohne selbst am Tatort anwesend gewesen zu sein. Ralf Wohlleben und Carsten Schultze wurden wegen Beihilfe zum Mord unter anderem an Kubaşik zu zeitigen Haftstrafen verurteilt, weil sie die Tatwaffe beschafft hatten. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Ab Januar 2016 befasste sich der NSU-Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags mit diesen Umständen. Dabei wurde die These erwogen, Kubaşık sei möglicherweise deshalb als Opfer ausgewählt worden, weil sich der Kiosk in der Nähe des Todesortes des von der NS-Propaganda als „Blutzeugen“ bezeichneten SA-Mitglieds Adolf Höh befunden habe, der 1930 bei gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen umgebracht worden war. Der Ausschuss kam in seinem Schlussbericht 2017 zum Ergebnis, dass die Ermittlungen nach dem Mord im Umfeld der Familie den Blick verstellt hätten und von Vorurteilen geleitet gewesen seien. Grüne und Piratenpartei kamen in ihren Sondervoten zum Schluss, die Familie sei durch die Art der Ermittlungen stigmatisiert und kriminalisiert worden; Polizei und Staatsanwaltschaften müssten in Hinblick auf strukturellen Rassismus untersucht werden. Zudem legte der Abschlussbericht die engen Verbindungen der Dortmunder Neonaziszene nach Kassel offen, die jedoch nach Ansicht der Grünen noch nicht ausreichend aufgeklärt sind. Mehmet Kubaşık wurde in der Türkei in der Provinz Kahramanmaraş begraben. In den Bürgersteig vor dem früheren Kiosk Kubaşıks wurde im September 2012 zu seinen Ehren ein Gedenkstein eingelassen. In der Nähe des Dortmunder Hauptbahnhofs wurde im Juli 2013 in Anwesenheit von Kubaşıks Witwe ein Mahnmal für alle zehn Todesopfer des NSU – entsprechend ähnlichen Orten in anderen betroffenen Städten – eingeweiht. Dortmunder Neonazis haben immer wieder versucht, das Gedenken zu stören. Wiederholt wurde Kubaşık mit Kundgebungen und Ehrungen gedacht; zum zehnten Todestag erinnerten die Fußballfans von Borussia Dortmund in Anwesenheit der Angehörigen bei einem Heimspiel mit einem Spruchband an den Ermordeten. Am 5. Februar 2019 beschloss die Bezirksvertretung Innenstadt-Nord, den Platz im Karree „Münsterstraße/Mallinckrodtstraße/Kleine Burgholzstraße“ nach Mehmet Kubaşık zu benennen. Die Umbenennung erfolgte am 8. November 2019.
Sławomir Konrad Peszko [] (* 19. Februar 1985 in Jedlicze, Woiwodschaft Krosno) ist ein polnischer Fußballspieler. Vereinskarriere. Anfänge. Peszko begann seine Karriere in der Jugendmannschaft von "Nafta Jedlicze". Er kam 2001 in die Jugendmannschaft von "Orlen Płock" (ab 2002 Wisła Płock) und wurde am 28. August 2002 im polnischen Pokal gegen Jagiellonka Nieszawa zum ersten Mal ins Profiteam eingewechselt. Zur Rückrunde wurde er fest in den Kader der ersten Mannschaft integriert, am 5. April 2003 kam er bei Widzew Łódź zu seinem ersten Einsatz in der Ekstraklasa. In der Hinrunde der Saison 2003/04 wurde er Stammspieler und erzielte am 29. Oktober 2003, wiederum gegen Widzew Łódź, sein erstes Profitor. Mit Wisła gewann er 2006 den polnischen Pokal und den polnischen Supercup. International kam er für Wisła in der UEFA-Cup-Qualifikation der Saison 2005/06 zum Einsatz. Sein erstes Spiel hatte er am 11. August 2005 gegen Grasshoppers Zürich, als er bei der 0:1-Niederlage in Zürich in der 66. Minute für Adrian Mierzejewski eingewechselt wurde. 2007 stieg Peszko mit Wisła ab, er hatte in 26 Spielen der Saison 2007/08 in der II. Liga 16 Tore erzielt. Lech Posen. Am 30. Juni 2008 endete sein Vertrag bei Wisła Płock und er wechselte wieder in die höchste polnische Spielklasse zu Lech Posen. Er bekam die Nummer 17 und setzte sich auf Anhieb als Stammspieler im rechten offensiven Mittelfeld durch. Am 19. Mai 2009 gewann er mit Lech den polnischen Pokal; er erzielte den entscheidenden Treffer im Finale gegen Ruch Chorzów zum 1:0-Sieg. Ein Jahr später wurde er mit Lech polnischer Meister; er hatte 14 Torvorlagen in 28 Spielen gegeben und acht Tore erzielt. Lediglich sein Mannschaftskollege Robert Lewandowski hatte mehr Scorerpunkte vorzuweisen. 1. FC Köln. Zur Rückrunde der Saison 2010/11 wechselte Peszko in die deutsche Bundesliga zum 1. FC Köln. Er unterschrieb einen Vertrag bis zum Saisonende mit einer Option auf Verlängerung, die er auch nutzte. Leihe nach England. Nach dem Abstieg wurde er im Sommer 2012 an den englischen Zweitligisten Wolverhampton Wanderers ausgeliehen, der sich auch eine Kaufoption sicherte. So folgte er seinem Ex-Trainer Ståle Solbakken. FC Parma und Rückkehr zum 1. FC Köln. Nach dem Abstieg der Wanderers ging Peszko im Sommer 2013 zurück zum 1. FC Köln. Es wurde ein Wechsel zum FC Parma in die Serie A vermeldet, wobei er in der Saison 2013/14 für den 1. FC Köln auf Leihbasis auflaufen sollte. Am 20. August 2013 einigten sich schließlich alle Parteien darauf, dass Peszko nun doch für ein Jahr an den 1. FC Köln ausgeliehen wird. Seinen ersten Treffer bei seinem Comeback erzielte er am 1. September 2013 gegen Erzgebirge Aue per Kopfball zum 4:1-Endstand. Nach dem Aufstieg des 1. FC Köln in die Bundesliga und starken Leistungen des Polen einigte man sich darauf, dass Peszko ab der Saison 2014/15 vom 1. FC Köln fest unter Vertrag genommen wird. Er unterschrieb am 9. Mai 2014 bis zum Sommer 2016. Lechia Gdańsk. Kurz vor Ende der Transferperiode im Sommer 2015 unterschrieb Peszko einen Vertrag in seiner Heimat bei Lechia Gdańsk, um Spielpraxis für eine mögliche EM-Teilnahme im Jahr 2016 seines Heimatlandes zu sammeln und sich für selbige zu empfehlen. Sein erstes Tor für Lechia erzielte er am 13. Februar 2016 im Spiel gegen Podbeskidzie Bielsko-Biała. Peszko markierte mit seinem Treffer den 5:0-Endstand. Wieczysta Krakau. Nachdem Peszkos Vertrag 2020 bei Lechia ausgelaufen ist, wechselte er ablösefrei zu dem polnischen Amateurverein Wieczysta Krakau. Nationalmannschaft. Peszko bestritt drei Länderspiele für die polnische U-21-Auswahl. Sein Debüt in der A-Nationalmannschaft gab der Mittelfeldspieler am 19. November 2008 im Freundschaftsspiel gegen Irland. Peszko wurde in der 70. Minute für Rafał Boguski eingewechselt, das Spiel endete 3:2 für die Polen. Seinen ersten Treffer für Polen erzielt er am 17. Januar 2010 bei der 1:3-Niederlage gegen Dänemark. Obwohl er in der Folge zahlreiche Freundschaftsspiele bestritt, schaffte er es dennoch bei der Heim-Europameisterschaft 2012 nicht in den polnischen Kader. Es folgte eine, auch verletzungsbedingt, längeren Pause und danach vereinzelte Einsätze. Beim 1:1 im EM-Qualifikationsspiel gegen Irland am 29. März 2015 spielte er erstmals wieder fast über die volle Spielzeit und erzielte zudem sein zweites Tor im Nationaltrikot. Anschließend wurde er erstmals in das EM-Aufgebot Polens aufgenommen. Dreimal kam er im Turnier als Einwechselspieler in den Schlussminuten zum Einsatz: im Auftaktspiel gegen Nordirland und gegen Deutschland in Spiel 2 sowie im Achtelfinale gegen die Schweiz in der Verlängerung. Das Team erreichte das Viertelfinale und schied aus. Bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland gehörte er zum polnischen Aufgebot. Er wurde in einem Gruppenspiel eingesetzt und schied mit der Mannschaft nach der Gruppenphase aus. Sonstiges. Die Nacht vom 7. auf den 8. April 2012, kurz nachdem der 1. FC Köln 1:1 gegen Werder Bremen im Abstiegskampf gespielt hatte (Fußball-Bundesliga 2011/12/29. Spieltag), verbrachte Peszko in einer Ausnüchterungszelle in Köln-Kalk, nachdem er angetrunken in einem Taxi und später auf der Polizeistation Stolkgasse randaliert hatte. Dies zog eine Geldstrafe (rund 25.000 Euro) und die Suspendierung für das Auswärtsspiel beim 1. FSV Mainz 05 zwei Tage später nach sich.
Detlef Nakath (* 10. November 1949 in Berlin; † 3. Oktober 2021) war ein deutscher Historiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät sowie Autor und Herausgeber. Leben. Nach dem Abitur und dem nachfolgenden Grundwehrdienst absolvierte Nakath in der DDR ein Studium der Geschichtswissenschaften und des Völkerrechts an der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB). Er schlug eine akademische Laufbahn ein und war ab 1977 zunächst als wissenschaftlicher Aspirant, Assistent, später als Oberassistent für deutsche Zeit- und DDR-Geschichte ebenfalls an der Humboldt-Universität tätig. 1981 verteidigte er seine Dissertation A mit dem Titel "Die Gestaltung der Außenhandelstätigkeit der DDR zur Abwehr des imperialistischen Wirtschaftskrieges der BRD gegen die DDR 1955 bis 1961". Seine Promotion B zum Doktor der philosophischen Wissenschaften (Dr. sc. phil.) folgte 1988 mit dem Dissertationstitel "Zur Geschichte der Handelsbeziehungen zwischen der DDR und der BRD in den Jahren zwischen 1962 und 1975." 1989 wurde Nakath als Hochschuldozent für Geschichte berufen. In den Jahren 1990 bis 1992 war er zum stellvertretenden Direktor des Instituts für Geschichtswissenschaften der HUB gewählt worden. 1993 ging seine Dozentur an der Humboldt-Universität zu Berlin per „Abwicklung“ zu Ende. Nach dem Ende seiner Dozententätigkeit war er von 1994 bis 2000 an zwei Forschungsprojekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft beteiligt. Ab den frühen 1990er Jahren war Nakath als Autor und Herausgeber dem Karl Dietz Verlag Berlin verbunden. Er veröffentlichte zu den Themen DDR, SED und den deutsch-deutschen Beziehungen. Er war Mitglied der "Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg," von 1996 bis 2006 Mitglied im Vorstand, darunter viele Jahre stellvertretender Vorsitzender, und schließlich in den Jahren 2006 bis 2015 ihr Geschäftsführer. Dort hatte er bereits 1997 mit dem „Außen- und Deutschlandpolitischen Kolloquium“ eine Veranstaltungsreihe initiiert, welche die Diskurse über Zeitgeschichte und Geschichtspolitik reflektierte. Ab 2003 war Nakath wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berliner Landesstiftung „Helle Panke e. V.“ und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, zunächst in Berlin sowie ab 2006 bis 2015 als Geschäftsführer der Landesstiftung in Brandenburg. Von 2014 bis 2019 gehörte er dem Vorstand der Bundesstiftung Rosa-Luxemburg an. Am 3. Oktober 2021 starb Dr. sc. phil. Detlef Nakath. Würdigung. Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin hatte Detlef Nakath 2004 mit der Wahl zum Mitglied für originelle Forschungsergebnisse, editorisches Können und erworbene wissenschaftliche Reputation hoch gewürdigt. 1996 erhielt Nakath gemeinsam mit Gerd-Rüdiger Stephan den Wissenschaftspreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Im Nachruf des Politikjournals "WeltTrends," dessen wissenschaftlichen Beirat Detlef Nakath angehörte, heißt es: „Sein wissenschaftlicher Hauptverdienst während all der Jahre lag auf der Herausgabe wichtiger Quelleneditionen, insbesondere zur Geschichte der späten DDR und SED sowie zu den deutsch-deutschen Beziehungen, meist gemeinsam erarbeitet mit Gerd-Rüdiger Stephan … So bleibt Detlef Nakath einer jener aus der DDR kommenden Gesellschaftswissenschaftler, auf deren Schultern die Nachgeborenen sicher stehen können.“ Gerd-Rüdiger Hoffmann (Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg) schrieb in seinem Nachruf:„Er war einer der wichtigsten Historiker des Landes, wenn es darum ging, die Geschichte der beiden deutschen Staaten nach 1945 frei von Mythen, Ideologien, nostalgischer Verklärung oder siegesbewusster Belehrung zu behandeln. … Wenn die Rosa-Luxemburg-Stiftung als etablierte Institution mehr und mehr anerkannt wurde, nicht nur in Hauptstädten, dann war das maßgeblich mit seinem Namen verbunden. … [Es] darf nicht vergessen werden, Detlef war ein guter Mensch – zuverlässig, freundlich, humorvoll (nicht witzig) und auch meinungsstark, wenn es um die Sache ging.“ In der Zweiwochenschrift "Das Blättchen", die in der Tradition der "Weltbühne" steht, würdigte Wolfram Adolphi ihn mit den Worten: „Die deutsche Geschichtswissenschaft hat einen bedeutenden Historiker und herausragenden Organisator kollektiven Forschens verloren.“ Die gewichtige Nakath-Monographie "Deutsch-deutsche Grundlagen" veranlasste ihn, seinen Nekrolog mit „Detlef Nakath – Der Mann der Grundlagen“ zu titeln. Zugleich verwies Wolfram Adolphi auf zwei Nakath-Broschüren mit internationalen Autoren: „Stimmen aus Polen, Finnland, Israel und den USA finden sich dort ebenso wie Gedanken von Jean Mortier aus Paris, mit dem Nakath jahrzehntelang verbunden gewesen ist.“ Und jener französische Historiker Jean Mortier schrieb schrieb in seiner Hommage im „Notizbuch“ der Germanisten französischer Universitäten über dieses Buch, dass „praktisch keines der nützlichen Dokumente zur Geschichte der SED-PDS fehlt. … Damit stellte er [Nakath] den Forschern die Materialien zur Verfügung, die für eine aufrichtige Niederschrift der Geschichte der Regierungspartei und damit der Geschichte der DDR notwendig waren. … Detlef Nakath war ein Freund.“
Der Burchan Chaldun () ist ein hoher Berg in der Mongolei. Er wird als heiliger Berg verehrt und gilt als Grabstätte des Dschingis Khan, der der Überlieferung zufolge auch nahe dem Burchan Chaldun geboren wurde. 2015 wurde der Burchan Chaldun und die umgebende Landschaft in die Liste des UNESCO-Welterbes eingetragen. Geographie. Der Burchan Chaldun ist der höchste Berg im östlichen Teil des Chentii-Gebirges im Norden der Mongolei. Er ist Bestandteil der Wasserscheide zwischen dem nördlichen Eismeer und dem Pazifik. An seinen Flanken entspringen mehrere Flüsse, darunter Onon, Cherlen und Tuul, die wie der Berg als heilig betrachtet wurden. Die Landschaft am Burchan Chaldun weist eine reichhaltige Flora auf und ist bis in eine Höhe von 2.000 Meter von üppiger, sumpfiger Taiga geprägt. Oberhalb der Waldgrenze überwiegen felsiger Boden und Schotterfelder, unterhalb des Gipfels flache Wiesen. Der Gipfelaufbau wird von einer zehn Meter hohen Schotterpyramide gebildet. Aufgrund seiner Abgeschiedenheit in weglosem Gelände und der steilen Hänge ist der Gipfel nur schwer und mühsam erreichbar. Der Berg ist Bestandteil des "Khan Khentii"-Naturschutzgebietes. Mythologische Bedeutung. Der Name "Burchan Chaldun" bedeutet „Göttliche Weide“ und verweist auf die lange Verehrung, die dem Berg bereits vor den Zeiten Dschingis Khans entgegengebracht wurde. Hier lebten Geister, die den Menschen Wasser und Fruchtbarkeit brachten und denen zu bestimmten Anlässen und Festtagen geopfert wurde. Die Borjigin, die Sippe Dschingis Khans, bestattete hier ihre Toten. Die Ahnen wurden mit den Geistern gleichgesetzt, sie sollten durch die Bestattung an diesem heiligen Ort innerhalb der Sippe bleiben. Besondere Bedeutung erfuhr die Verehrung des Burchan Chaldun, als Dschingis Khan, nahe dem Berg am Ononfluss geboren, hier auf der Jagd Rast hielt und verfügte, dass er hier begraben werden solle. Der Geheimen Geschichte der Mongolen zufolge soll er am Berg, nachdem er sich hier vor seinen Feinden versteckt und entkommen war, in einer mystischen Vision die Kraft des Berges gespürt und gelobt haben: Nach seinem Tod soll er tatsächlich hier bestattet worden sein. Die genaue Lage des Grabes ist jedoch unbekannt, da solche Gräber zumeist versteckt und verheimlicht und angeblich manchmal sogar alle Eingeweihten getötet wurden. Auch Dschingis Khans Sohn Tolui Khan und dessen Nachkommen sind hier begraben, insgesamt wurden rund um den Berg mehr als 800 Gräber gefunden. Kublai Khan, Sohn von Tolui Khan führte einen umfangreichen Dschingis-Khan-Kult ein. Unter Timur Khan, Enkel und Nachfolger Kublai Khans, wurde dieser Kult noch ausgeweitet und auf dem Gipfel ein Tempel errichtet. Kamala, der Bruder Timur Khans, der in dessen Auftrag den Kult verwaltete, ließ weiters acht Jurten aufstellen, in denen persönliche Gegenstände des Dschingis Khan als Reliquien aufbewahrt wurden. Hier vor diesen Jurten wurden an Festtagen Kulthandlungen vorgenommen, hier fanden auch die Inaugurationen der neuen Großkhane statt. Im Lauf dieser Entwicklung wurde der Berg vom Heiligtum einer lokalen Sippe zu Zentrum eines gesamtmongolischen identitätsstiftenden Kultes. Im 15. Jahrhundert verlor das Heiligtum an Bedeutung, das Zentrum der Dschingis-Khan-Verehrung verlagerte sich nach Süden hin und die acht Jurten wurden am Ordos-Plateau neu errichtet. Von dort und anderen Orten aus wird der Berg bis heute sogar in Form von Staatsakten verehrt. Am Burchan Chaldun selbst blieb in erster Linie ein nur lokal bedeutsamer Kult bestehen, der sich nicht auf Dschingis Khan und den Sippenkult der Borjigin bezieht. Insbesondere wurden vajrayana-buddhistische Berggötter verehrt. Bis heute ist am Gipfel ein Obo, ein kultisches Steinmännchen, mit alten Opfergaben zu finden.
Stanisław Ignacy Witkiewicz oder Witkacy (* 24. Februar 1885 in Warschau; † 18. September 1939 in Jeziory, Polen, heute Welyki Osera im Rajon Dubrowyzja, Ukraine) war ein polnischer Schriftsteller, Maler, Fotograf und Philosoph. Geschichte. Witkacy wurde in Warschau geboren, wuchs aber in Zakopane auf, das damals zum österreichischen Teilungsgebiet gehörte. Sein Vater, Stanisław Witkiewicz, war Künstler und seine Mutter Musikerin, so dass er bereits in der Kindheit stark von künstlerischen Einflüssen, v. a. durch das so genannte Junge Polen ("Młoda Polska"), geprägt wurde. Um den Sohn frei zu erziehen, schickte der Vater ihn auf keine Schule, sondern unterrichtete ihn selbst. Trotz allem konnte er ein Abitur ablegen und studierte kurzzeitig an der Kunstakademie in Krakau. Nach dem Freitod seiner Verlobten 1914 reiste er zusammen mit seinem Freund Bronisław Malinowski nach Australien. Im Herbst desselben Jahres begab sich Witkiewicz nach Petersburg zum Pawlowski-Regiment. Nach seiner Ausbildung begann er sich 1915 der Kunst zuzuwenden und erlebte die Russische Revolution in Petrograd. Nach Polen zurückgekehrt, gab er sich seinen Künstlernamen "Witkacy" und konzentrierte sich nun vollständig auf die Kunst. Allein 1920 schrieb er zehn Theaterstücke. 1922 heiratete er Jadwiga von Unrug, die Enkelin des polnischen Malers Juliusz Kossak. Seine Frau lebte allerdings in Warschau, während er in Zakopane weilte. Um seinen Geldmangel zu beseitigen, gründete er in Zakopane das Unternehmen „S. I. Witkiewicz“ und malte dort Porträts. Diese zeichnete er oft unter dem Einfluss von Drogen. Ob er auch abhängig von Drogen war, ist umstritten. Die Art der Drogen vermerkte er stets (anhand ihrer chemischen Formel) auf den Bildern. Je nach seiner Laune fielen die Bilder sehr unterschiedlich aus. So wurden Kommentare eingearbeitet, aber auch die Darstellung der Bilder an sich variierte. Möglicherweise entstand aber gerade dadurch seine große Popularität. Als Polen 1939 von den Deutschen angegriffen wurde, meldete er sich zur Mobilmachung. Sein Alter und seine Gesundheit führten aber zur Ablehnung. Daher floh er zusammen mit seiner Geliebten Czesława Oknińska in den Osten Polens. Als die Übergabe der Gebiete an die Sowjetunion stattfand, tötete er sich selbst mit Schlaftabletten und dem Aufschneiden der Pulsadern. Seine Geliebte, die mit ihm in den Tod gehen sollte, überlebte ihren Selbstmordversuch. Während des Krieges gingen viele seiner Werke verloren. 1988 wurde sein vermeintlicher Leichnam nach Zakopane gebracht und dort bestattet. Später stellte sich allerdings heraus, dass der Leichnam der einer unbekannten ukrainischen Frau war. Rezeption. Anerkennung für seine geschriebenen Werke erhielt er zu Lebzeiten nicht. Sowohl Kritiker als auch das breite Publikum zeigten seinen Werken gegenüber meist Ablehnung und völliges Unverständnis. So wurden etwa seine Schriften als Zukunftsdeutungen aufgefasst, als Warnungen vor Diktaturen und der Einschränkung der Freiheit der Menschen etc. Nichts liegt Witkiewicz ferner. In seiner Sicht stehen die Barbaren nicht vor den Toren. Sie werden nicht kommen; sie sind schon in der Stadt. Die Häuser werden nicht brennen; sie brennen schon. Und mitten im Getümmel dreht Witkiewicz mit einer billigen Handkamera seinen Dokumentarfilm. Die Bilder sind – notwendigerweise – verwackelt und nie im Fokus. Aus unmöglichen Blickwinkeln heraus entstehen verrückte Zerrbilder. Die Aussagen sind jedoch immer klar und für alle Leser leicht verständlich. Am Ende von "Unersättlichkeit" erhalten die polnischen Offiziere bei der Siegesfeier der Chinesen Rattenschwänze in Wanzensauce vorgesetzt und zum Nachtisch zerstampfte Kakerlaken. Eindeutig (und einmalig) auch die Schlussworte von "Abschied vom Herbst": "Trotzdem ist alles bestens, alles ist bestens. Wie? Etwa nicht? Es ist bestens, verdammt noch mal, und wer das leugnet, kriegt eins aufs Maul!" Heute gilt Witkacy neben Witold Gombrowicz und Bruno Schulz als einer der wichtigsten Schriftsteller der polnischen Moderne und wird als solcher auch international wahrgenommen. Im Polen der Nachkriegszeit stand vor allem der Künstler und Dramatiker Tadeusz Kantor (Theater des Todes) stark unter dem Einfluss Witkacys. In seinem Hauptwerk "Unersättlichkeit" erfand Witkiewicz die „Murti-Bing-Pillen“, die angeblich in kondensierter Form eine Weltanschauung enthalten sollen. Wer die Pillen schluckt, übernimmt angeblich diese Weltanschauung ohne jede Einschränkung, wird heiter und zufrieden und gegen jede Form metaphysischer Bedenken immun. Czesław Miłosz verwendet die Murti-Bing-Pillen in seiner Analyse "Verführtes Denken" als zentrale Metapher. Literarische Werke. a) Wichtige Dramen: Dt.: "Stücke". Übers. und hrsg. von Henryk Bereska. Berlin (Ost) 1962. b) Romane: Stanislaw Ignacy Witkiewicz Preis. Diese Auszeichnung wird jedes Jahr vom Polnischen Institut des Internationalen Theaterinstituts für "herausragende Errungenschaften bei der Förderung von Polnischer Theater in der Welt" verliehen.
Er (Originaltitel: "Él") ist ein mexikanisches Liebesdrama in Schwarzweiß aus dem Jahr 1953 von Luis Buñuel. Er verfasste zusammen mit Luis Alcoriza auch das Drehbuch, welches auf dem gleichnamigen Roman von Mercedes Pinto beruht. Zum ersten Mal wurde der Film 1953 im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele von Cannes gezeigt. In Deutschland wurde er am 7. Juli 1970 im Programm des Ersten Deutschen Fernsehens (ARD) erstmals ausgestrahlt. Handlung. Während eines Gottesdienstes, wo Fußwaschungen vorgenommen werden, fällt dem reichen Francisco Galvan de Montemayor eine attraktive Frau auf. Er möchte sie unbedingt wiedersehen und wartet deshalb täglich in der Kirche auf sie und begegnet ihr tatsächlich wieder. Er wird aber von Gloria, so ihr Name, abgewiesen, obwohl auch sie sich von ihm angezogen fühlt. Gloria ist bereits verlobt – mit einem Geschäftsfreund von Francisco, wie dieser später herausfindet. Er lädt den Geschäftsfreund mit Gloria und deren Mutter zu sich zum Essen ein und spannt die Verlobte seines Freundes noch am gleichen Abend aus. Nach der Eheschließung bröckelt Franciscos bürgerliche Fassade zunehmend und es wird immer offensichtlicher, dass er unter Wahnvorstellungen leidet. Zufällig trifft Gloria ihren ehemaligen Verlobten Raul wieder und erzählt ihm, wie es ihr in der Zwischenzeit ergangen ist: Harmlose Begegnungen seiner Frau mit flüchtigen Bekannten wertet Francisco als deutliche Zeichen von Glorias Untreue. Groteske Eifersuchtsszenen seiner Frau gegenüber sind die Folge. Er sperrt Gloria monatelange zu Hause ein. Ihre Mutter und ein Priester glauben ihr nicht, als sie bei ihnen Hilfe sucht. Ein aussichtsloser Rechtsstreit, in den Francisco verwickelt ist, verschlimmert seinen Zustand noch zusätzlich. Er versucht, Gloria von einem Glockenturm, den sie besuchen, hinunterzustossen. Nur das Eingreifen der Hausangestellten verhindert kurz danach, dass Francisco seine Frau nachts im Schlaf umbringt. Gloria flieht vor ihrem Ehemann und kehrt zu ihrem früheren Verlobten zurück. Rasend vor Wahnsinn und Eifersucht sucht Francisco Gloria in der ganzen Stadt, so auch in der Kirche, wo sie sich einst kennengelernt hatten. Dort glaubt Francisco, der Priester und die Schar der Gläubigen würden ihn verhöhnen, weil ihm seine Frau davongelaufen ist. Francisco halluziniert, dass sowohl die Gesichter der Kirchenbesucher als auch das Gesicht des Pfarrers sich in hässliche Fratzen verwandeln; ein höllisches Gelächter umgibt Francisco, bis er vollends die Kontrolle verliert und versucht den Priester zu erwürgen. Daraufhin wird er überwältigt, in ein Sanatorium gebracht und danach in eine klösterliche Ordensgemeinschaft aufgenommen. Francisco wird nach einigen Jahren von seiner inzwischen von ihm geschiedenen Frau zusammen mit ihrem Sohn – mit Namen "Francisco" – und ihrem jetzigen Ehemann, dem früheren Verlobten Raul, besucht. Die Frage eines Mönchs nach der Vaterschaft des Knaben beantwortet Gloria nicht. Franciscos Heilung hat offensichtlich nur unvollständig stattgefunden: Er entfernt sich mit bizarren Schrittbewegungen über eine Treppe. So hatte er bereits früher zu Hause im Zustand größter Erregung die Treppe bestiegen. Kritik. Das Lexikon des internationalen Films enthält sich einer Wertung. Es skizziert lediglich die Handlung und bemerkt lapidar, bei dem Werk handle es sich um ein „surrealistisch gefärbtes Melodram aus Buñuels mexikanischer Periode“. Der Evangelische Film-Beobachter fasst seine Kritik so zusammen: „Eindrucksvolle Studie des spanischen Regisseurs Buñuel, aggressiv und zuweilen kritisch überspitzt gegenüber bürgerlichen Konventionen. Sehenswert für Erwachsene.“
Das Fallschirmsprungabzeichen der Nationalen Volksarmee (NVA) wurde am 22. Dezember 1966 mit Befehlsnummer 82/66 vom Minister für Nationale Verteidigung Heinz Hoffmann für die NVA eingeführt. Verleihungsbedingungen. Das Fallschirmsprungabzeichen konnte an Fallschirmspringer verliehen werden, wenn diese: Die erstmalige Verleihung des Fallschirmsprungabzeichens fand im Oktober 1967 statt. Neben dem Abzeichen konnte auch ein Sprunganhänger (Anzahl der absolvierten Fallschirmsprünge) verliehen werden, den es in folgenden Nummern gab: 15, 25, 30, 40, 50, 75, 100, 150, 200, 300, 500, 800, 1000 und 1500. Veränderte Verleihungsbedingungen. Am 19. September 1973 wurde mit Befehlsnummer 148/73 vom Minister für Nationale Verteidigung Heinz Hoffmann die Verleihungsbedingungen des Fallschirmsprungabzeichens sowie die Ausführung des Abzeichens geändert. Nunmehr konnte das Abzeichen verliehen werden für: Die schon vorher eingeführte Anhänger zum Fallschirmsprungabzeichen wurde erweitert, so dass es zu diesem Zeitpunkt folgende Anhänger gab: 10, 15, 25, 30, 40, 50, 75, 100, 150, 200, 300, 400, 500, 600, 700, 800, 900, 1000, 1200, 1500, 2000, 2500 und 3000. Letzte Verleihungsbedingungen. Am 21. November 1982 wurden erneut veränderte Verleihungsbedingungen bekannt gegeben. Nunmehr konnte das Fallschirmsprungabzeichen verliehen werden für: Die Anhänger zum Fallschirmsprungabzeichen erfuhren abermals eine Erweiterung, so dass es nun folgende Anhängerzahlen gab: 10, 15, 25, 30, 40, 50, 75, 100, 200, 300, 400, 500, 600, 700, 800, 900, 1000, 1500, 2000, 2500, 3000, 3500, 4000, 4500 und 5000. Aussehen und Trageweise. Das Fallschirmsprungabzeichen besteht aus Buntmetall, ist 40 mm hoch und 22 mm breit. Es zeigt großflächig ein hellblau emailliertes nach oben hin spitz zulaufendes Hauptfeld, das einen geöffneten Fallschirm zeigt. Der Rand sowie die Fangleinen des Fallschirmes waren anfangs silberfarben, später bronzefarben. Der spitz zulaufende Kegel des Fallschirmendes vereint sich im unteren Teil des Abzeichens mit dem farbig emaillierten Hoheitszeichen der DDR, welches links und rechts von einem gebogenen Eichenlaubzweig flankiert wird. Zwischen seinen Enden ist eine Maschinenpistole aufgelegt. Die Anhänger zum Fallschirmsprungabzeichen sind ebenfalls bronzefarben und zeigen die absolvierte Anzahl der Sprünge in schwarzer Schrift, umgeben von zwei unten gekreuzten Eichenlaubzweigen, die den Anhänger nahezu rund umschließen. Die Rückseite des Abzeichens zeigt neben der Haltenadel mit Gegenhaken auch die Haltedrähte für die Anhänger. Getragen wurde das Abzeichen über der rechten Brusttasche der Uniform in der Reihenfolge der vorher bereits verliehenen Bestenabzeichen oder allein mittig.
Anton Bamberger (* 4. April 1886 in Mitwitz, Oberfranken; † 28. Dezember 1950 in New York City) war ein deutsch-amerikanischer Unternehmer, ein Firmengründer und ein Pionier des US-amerikanischen Plastik-Recyclings. Familie. Er war der zweite Sohn des Kaufmanns und Unternehmers Philipp Bamberger (1858–1919) und der letzte Bürger jüdischer Abstammung, der in Mitwitz geboren wurde, ebenso wie sein älterer Bruder in Haus Nr. 23. Sein älterer Bruder war der Kaufmann und Unternehmer Otto Bamberger (1885–1933), seine jüngeren Brüder der promovierte Chemiker und Unternehmer Hugo Bamberger (1887–1949) sowie der Kaufmann und Unternehmer Ludwig Bamberger (1893–1964). Anton Bamberger wuchs zusammen mit seinen Brüdern im oberfränkischen Lichtenfels bei Bamberg auf, nachdem seine Familie etwa in der Zeit kurz nach seiner Geburt aufgrund der Verlagerung ihres Familienunternehmens "D. Bamberger" dorthin umgezogen war, außerdem mit seinem Cousin Alfred (1890–1956), dem Sohn seines Onkels Fritz (1862–1942). Sein Großvater David Bamberger (1811–1890), der Gründer dieses Unternehmens, zog per 1. Juli 1887 nach Lichtenfels. Die Familie war nicht religiös. Anton Bamberger heiratete am 10. November 1919 in Hannover Else „Elsie“ (* 11. April 1894 in Bocholt; † 24. August 1986 in New York City), geborene Magnus. Diese war eine Tochter des Ivan Magnus (1850–1916) und der Ida Cohen (1866–1920). Aus der Ehe des Anton Bamberger gingen zwei Kinder hervor, Vera (* 18. März 1924, später verheiratete Hirtz) und Gerhard Franz Philipp (* 20. September 1925; † 2. Dezember 2013 in Sarasota, Florida), beide in Hannover geboren. Wirken. Anton Bamberger wuchs im oberfränkischen Lichtenfels bei Bamberg auf und ging um etwa 1905 bei "Meyer Cohen & Co." (benannt nach Adolph Meyer und Alexander Abraham Cohen) in Hannover-Linden in die Lehre, ein Unternehmen, das auf Gummi- und chemische Nebenprodukte fokussierte. Im Jahr 1911 wurde er als Manager in dessen Filiale nach New York City berufen. Mit der "George Washington" des "Norddeutschen Lloyd" fuhr er von Bremerhaven aus am 13. November 1911 auf der Nordatlantikroute nach New York City, wo er die englische Sprache erlernte. Schon 1914 kehrte er jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges nach Deutschland zurück und diente in der Armee des Deutschen Kaiserreiches als Unteroffizier bei der Artillerietruppe an der Ostfront. 1915 wurde er mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet. Nach Kriegsende kehrte er nach Hannover zurück, heiratete und erwarb dort zusammen mit Partnern sein früheres Ausbildungsunternehmen, das zu "Jacobowitz & Co., G.m.b.H." umfirmierte. Das Unternehmen wuchs rasch, möglicherweise zu rasch, denn während der Hyperinflation 1923 geriet es in erhebliche Schwierigkeiten und war 1924 bankrott. Unmittelbar danach begründete Anton Bamberger zusammen mit seinem Partner Hermann Bolte ein neues Unternehmen, das unter "Bolte & Co., K.G." ("Bolco"-Logo) firmierte, das bis in die 1950er Jahre am Markt war. Dieses handelte mit Chemie- und chemischen Nebenprodukten und war in Hannovers Innenstadt ansässig, in der Hinüberstraße 18, in der Nähe des Hauptbahnhofes. Anton Bamberger spezialisierte sich dabei auf Abfallprodukte, für die er weltweit nach Abnehmern suchte. Dabei pflegte er intensive Geschäftskontakte mit den "Continental Gummiwerken" in Hannovers Vahrenwalder Straße. Auch mit Ölraffinerien stand er in geschäftlicher Verbindung und eröffnete nahe dem eigenen Firmengebäude eine freie Tankstelle. Nach der Machtabtretung an die Nationalsozialisten 1933 wurde ihm das berufliche und private Leben zunehmend erschwert. Sein Hobby, die Jagd, zusammen mit weiteren jüdischen Geschäftsleuten im nahegelegenen Revier von einem Jagdhaus aus betrieben, musste er einstellen. Juden durften keine Jagdwaffen mehr besitzen, ihnen wurden auch keine Jagdhunde oder Räumlichkeiten mehr überlassen. 1936 wurde Anton Bamberger durch die „Arisierung“ ohne Kompensation aus dem Unternehmen vertrieben, konnte seine zahlreichen guten Geschäftsverbindungen zunächst jedoch weiter nutzen und arbeitete vom heimischen Wohnzimmer aus mit einer Sekretärin weiter. Am 15. Januar 1938 reisten er und seine Ehefrau Else mit der "S.S. Manhattan" der "United States Lines" in die USA zu seinem Onkel Gustav „Gus“ Bamberger (1864–1943) nach Cleveland, um die Emigration seiner Familie vorzubereiten, und erhielt von diesem ein Affidavit, das er am 4. Juni 1938 für seine Familie nutzte, um über das niederländische Rotterdam mit der "TSS Veendam" der "Holland-America Line" nach New York City zu emigrieren. Dort handelte Anton Bamberger zunächst mit chemischen Nebenprodukten, bevor er die "A. Bamberger Corporation", eines der ersten Plastik-Recyclingunternehmen der USA, einen Pionier der Aufbereitung und Wiederverwertung von Plastikwertstoffen, gründete. Sein Sohn Gerald Francis (Gerhard Franz Philipp) Bamberger (1920–2013) arbeitete vom ersten Tag an mit. Zu diesem neu entstehenden Marktsegment war er durch Herbert Hoffman inspiriert worden, einen ehemaligen Studenten der Technischen Hochschule in Hannover, den Anton Bamberger und dessen Ehefrau in den 1920er Jahren in Hannover kennengelernt hatten. Dieser betrieb mittlerweile in Brooklyn ein Unternehmen. Durch den Zweiten Weltkrieg wuchs der Bedarf an der Wiederverwertung und Weiterverarbeitung dieser Rohstoffe immens. Als Hoffman kurze Zeit später verstarb, übernahm Anton Bamberger Anfang der 1940er Jahre dessen Betrieb und firmierte diesen als "American Molding Powder & Chemical Corporation" mit dem Markennamen "Ampacet". Ende der 1940er Jahre wurde Anton Bamberger in die "Plastics Pioneers Association" berufen. Anton Bambergers Markenname "Ampacet" wird noch heute durch ein weltweit aktives Nachfolgeunternehmen dieses Namens genutzt. Per 1. Januar 1943 nahm Anton Bamberger seinen im September 1942 aus gesundheitlichen Gründen aus der US-Armee entlassenen Neffen Claude P. (Klaus Philipp) Bamberger (1920–2008) in seinen Betrieb auf. Nach der Rückkehr seines Sohnes Gerald aus dem Kriegsgeschehen in Europa arbeitete dieser wieder im Unternehmen mit und übernahm nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1950 die Firmenleitung, bis er es im Jahr 1955 an die 1929 gegründete und in Staten Island im US-Bundesstaat New York ansässige "Ansbacher Siegle Corporation" verkaufte, die 1957 durch "Sun Chemical" übernommen wurde. Anton Bamberger verstarb im Alter von 64 Jahren, seine Ehefrau Else im Alter von 92 Jahren. Beide wurden auf dem "Ferncliff Cemetery" in Hartsdale, Westchester County, New York, beigesetzt.
Ludwig Freiherr von Pulz (* 18. August 1822 in Ungarisch-Brod in Mähren; † 1. September 1881 in Mödling bei Wien) war Feldmarschallleutnant, Kommandierender General von Kaschau, Temeswar und Agram, Ritter des Militär-Maria-Theresien-Ordens, des Ordens der Eisernen Krone und des Leopold-Ordens. Leben und Wirken. Pulz wurde am 13. September 1838 als Regimentskadett zum Infanterieregiment Nr. 60 assentiert. Anschließend absolvierte er einen dreijährigen Kurs in der k. k. Kadettenkompagnie in Graz."Am 16. September 1841 wurde er als Regimentskadett zum Chevauxlegers-Regiment Nr. 7 (danach Ulanenregiment Nr. 11) transferiert. Am 16. Juli 1844 erfolgte seine Beförderung zum Unterleutnant. Am 4. April 1848 avancierte er zum Oberleutnant. Die Revolution von 1848/1849 im Kaisertum Österreich hatte auch Wien ergriffen und Pulz machte die Belagerung und Einnahme von Wien vom 12. bis 31. Oktober, sowie das Treffen bei Schwechat mit. Am ungarischen Feldzug 1848–1849 nahm Pulz als Regimentsadjutant an fast allen Gefechten teil und zeichnete sich besonders in der Schlacht bei Kápolna am 26. und 27. Februar und in den Gefechten bei Hatvan am 2. bis 5. April aus. Am 26. April 1849 rettete er den schwer verwundeten Oberst Kißlinger des 5. Kürassierregiments im Gefecht bei Puszta-Harkaly vor der sicheren Gefangenschaft. In Anerkennung seiner Leistungen in diesem Feldzug wurde Pulz, der am 20. Mai 1849 außertourlich zum Rittmeister 2. Klasse befördert worden war, durch die Verleihung des Ordens der Eisernen Krone 3. Klasse ausgezeichnet. Am 15. Januar 1851 erfolgte seine Transferierung zum Husarenregiment Nr. 2 bei gleichzeitiger Beförderung zum Rittmeister 1. Klasse. Im Jahr 1852 nahm Pulz an der Mission des Generals Brudermann in Arabien teil, arabische Vollblutpferde bester Qualität für die österreichischen Staatsgestüte anzukaufen. Pulz brachte einen solchen Transport von Damaskus nach Österreich. Am 1. Mai 1856 wurde Pulz zum Adjutantenkorps transferiert und dort am 28. Februar 1857 zum Major befördert. Gleichzeitig erhielt er seine Ernennung zum Corps-Adjutanten beim 3. Armeecorps und machte als solcher den Feldzug 1859 in Italien mit, in dessen Verlauf er am 22. Mai 1859 zum Oberstleutnant avancierte. Auch in diesem Feldzug nahm er an einer Reihe von Gefechten teil, unter anderen an der Schlacht von Magenta am 4. Juni und Solferino am 24. Juni, und wurde für sein tapferes Verhalten in letztgenannter Schlacht mit dem Ritterkreuz des Leopold-Ordens ausgezeichnet. Nachdem mit Beschluss vom 17. Januar 1860 aus den vierten Divisionen der Ulanenregimenter Nr. 1, 2, 8 und 10 das freiwillige Ulanenregiment Nr. 13 aufgestellt worden war, wurde Pulz am 22. Januar 1860 zum Kommandanten des Regiments ernannt, worauf am 15. August desselben Jahres seine außertourliche Beförderung zum Obersten erfolgte. In Krieg mit Italien 1866 war er Kommandant einer Kavalleriebrigade. In der Schlacht bei Custozza kommandierte er die aus zwei Kavalleriebrigaden gebildete Reserve-Kavallerie der Südarmee. Auf Grund seiner ausgezeichneten Leistungen in diesem Feldzug wurde Oberst Pulz am 26. Juni 1866 zum Generalmajor im Großen Generalstab ernannt und am 29. August mit dem Ritterkreuz des Militär-Maria-Theresien-Ordens ausgezeichnet, worauf im Jahr 1867 seine Erhebung in den Freiherrenstand erfolgte. Nach dem Feldzug erhielt Pulz das Kommando einer Infanteriebrigade in Prag und blieb dort bis zum 22. Juni 1871. Anschließend wurde er zum Kommandanten der 17. Infanterietruppendivision in Großwardein ernannt. Mit 28. April 1872 erfolgte seine Beförderung zum Feldmarschallleutnant, am 6. März 1878 seine Ernennung zum Militärkommandanten in Kaschau. Am 8. November desselben Jahres wurde Pulz Militärkommandant in Temeswar. Auch hier zeichnete er sich bei den großen Überschwemmungen in den Jahren 1879 und 1881 aus, wo Feldmarschallleutnant Freiherr von Pulz persönlich die Truppen leitete und sich durch die Rettung mehrerer Menschen vom Tode des Ertrinkens große Verdienste erwarb. Von Seiner Majestät wurde er hierfür durch Verleihung des Kommandeurkreuzes des Leopold-Ordens ausgezeichnet. Vom 8. November 1872 bis zum 2. August 1881 war er Kommandierender General im Banat. Am 20. August 1879 erhielt er die Würde eines Wirklichen Geheimen Rates, am 2. August 1881 wurde er zum kommandierenden General in Agram ernannt. Hier zog er sich bei den Rettungsarbeiten im inundierten Theiß- und Körösgebiet eine Krankheit zu. Im Jahr 1881, wo er bei den Überschwemmungen das Leben seiner Mitmenschen rettete, zog er sich den Anfang einer Krankheit zu, der er bereits am 1. September 1881 zu Mödling bei Wien erlag. Erzherzog Albrecht sagte über ihn: „Reiterführer wie Pulz sind unbezahlbar.“ Freiherr von Pulz ist auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt (Gruppe 13A, Reihe 1, Nr. 3). Wappen. Das Wappen des Ludwig Freiherrn von Pulz war:"Geteilt; oben in Rot ein abgeledigter geharnischter Arm, ein blankes Schwert am Griffe schwingend; unten in Gold ein galoppierndes Pferd." Dieses Wappen war, versehen mit Freiherrenkrone, der Darstellung von Kriegstropähen und den Insignien seiner höchsten österreichischen Auszeichnungen, als Metallrelief auch am Grabstein des Ludwig Freiherrn von Pulz angebracht.
Die Fürst Anselm Allee in Regensburg ist eine Baumallee im Stil englischer Landschaftsgärten, die dem Verlauf der ehemaligen mittelalterlichen Stadtmauer folgt. Die Anlage der Allee wurde veranlasst von Fürst Karl Anselm von Thurn und Taxis, der den Bau der Allee zwischen 1779 und 1781 auch finanziert hat. Die zweireihige Baumallee entstand auf dem Geländestreifen der verfallenen Vorwerke der damals noch vollständig erhaltenen, landseitigen Stadtbefestigungsanlagen. Der Verlauf der Allee zeigt deshalb den Verlauf der Stadtmauer an. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Allee erweitert und durch den Bau von einigen Denkmälern aufgewertet. Nach dem Abriss der Stadtmauer und dem Neubau des Bahnhofs musste die Allee nach Durchbrüchen neuer Straßen Richtung Bahnhof erste Verluste hinnehmen. Im Umfeld der Allee kam es in den Folgejahren mit dem Bau von Gartenvillen und Wohnhäusern zur Ansiedlung von Bürgern. Im 20. Jahrhundert musste die Allee Substanzverluste durch Baumaßnahmen und zunehmenden Verkehr verkraften. Heute wird die ca. 3 km lange Allee im westlichen Teil nach dem ehemaligen Vorort Prebrunn als "Prebrunnallee" bezeichnet, im südlichen Abschnitt beim Schloss Thurn und Taxis als "Fürstenallee" und im östlichen Abschnitt schlicht als "Ostenallee". Zusammen ergeben die drei Abschnitte der Fürst-Anselm-Allee die Gebietsgrenze des Weltkulturerbes Altstadt von Regensburg mit Stadtamhof. Damit ist die Fürst-Anselm-Allee zu Recht auch Teil des Weltkulturerbes, denn sie hat die bauliche Entwicklung der Stadt Regensburg maßgeblich beeinflusst. Anlage der Allee. Im Jahr 1779 entschloss sich Fürst Karl Anselm von Thurn und Taxis zum Nutzen und Vergnügen der Einwohnerschaft von Regensburg, zur Zierde der Stadt und zur Gesundheit der Bevölkerung eine doppelreihige Baumallee vom Jakobstor im Westen bis zum Ostentor auf eigene Kosten anlegen zu lassen. Auch wenn beim Fürsten der Wunsch nach einer dauerhaften Denkmalsetzung für sich selbst vorhanden war, so liegt dem Entschluss im Sinne der Aufklärung auch eine bewusste Absicht zur Verschönerung der Stadt und ein Mäzenatentum der besonderen Art zu Grunde, das eine fürsorgliche Gesundheitsmaßnahme für alle Bürger im Auge hatte. Erbaut wurde die Allee zunächst auf dem Gelände der kleineren, bereits teilweise verfallenen und von Bewuchs überwucherten zehn Vorwerke vor den Befestigungsanlagen. Die zwei größeren Vorwerke beim Prebrunntor und beim Peterstor blieben zunächst ausgespart und wurden erst später nach 1803 in die Allee bzw. in die damals neu entstehende Parkanlagen wie den Herzogspark und Schlosspark eingebunden. Zur Anlage der Allee mussten die Wälle und Reste der Vorwerke eingeebnet bzw. beseitigt und vorhandene Gräben und entstandene Tümpel durch Erdbaumaßnahmen ausgeglichen werden. Für diese vorbereitenden Erdarbeiten waren 50 Mann und 4 Fuhrleute zwei Jahre lang beschäftigt. Die Gesamtkosten betrugen über 12.000 Gulden. Die neue Allee sollte vor dem Stadtgraben und vor dem Zwingergelände und damit ca. 40–50 m vor der der damals noch vollständig erhaltenen Stadtmauer verlaufen. Die mit Zahlen belegbare Anzahl der damals gepflanzten Bäume beträgt 1500, davon allein ca. 1000 Linden und weitere verschiedene Baumarten, wie Vogelbeere, Lärche, Ahorn, Pappel, Weide, Weißbuche, Eiche, Akazie und auch Obstbäume wie Nuss-, Apfel- und Kirschbäume. Die tatsächlich gepflanzte Anzahl von Bäumen wird als deutlich höher eingeschätzt. 1781 am Ende der Baumaßnahmen war eine schmale zweireihige Baumallee entstanden, die von einem zeitgenössischen Betrachter aber noch als ziemlich schmal empfunden wurde. Aber bereits in den Jahren nach 1803 wurde die Allee verlängert und im mittleren Abschnitt zwischen Jakobstor und Maximilianstraße, dort wo auch das Schloss Thurn und Taxis lag, so ausgebaut, dass sie in Stadtführern erwähnt und hoch gelobt wurde. Der Rat der Stadt Regensburg ließ den Münzmeister eine Gedenkmedaille mit dem Brustbild des Fürsten prägen, gerahmt von der Umschrift „Carl Anselm, des Heiligen Römischen Reichs Fürst von Thurn und Taxis, der Kaiserlichen Majestät kaiserlicher Prinzipalkommissar am Reichstag“. Die Rückseite trug die lateinische Inschrift: „Aus Anlass der Errichtung einer öffentlichen Allee für die Stadt, einer neuen Zierde, hat diese Münze dem fürstlichen Spender, der sich so oft schon um das Vaterland verdient gemacht hat, 1779 anfertigen lassen.“ Ein Ratsdekret verfügte noch im gleichen Jahr, dass die Allee forthin mit dem Namen des Fürsten benannt werden und für die Erhaltung der Allee aufmerksame Sorge getragen werden solle. Die Sorge um den Erhalt der neuen Allee war berechtigt, denn die Bürger der Stadt waren seit Jahrzehnten daran gewöhnt, den nun nicht mehr zugänglichen Bereich der Allee für ihre Zwecke zu nutzen. Bisher wurde auf dem Gelände gefahren, geritten, Vögel gefangen, Holz, Laub und Früchte gesammelt und nicht zuletzt auch Wäsche getrocknet und gebleicht. Sogar Viehzucht mit Schafen und Ziegen wurde betrieben und Schweine zur Suhle getrieben. Dementsprechend gab es in den ersten Jahren der Allee große Schäden durch das Befahren der Wege mit Karren und Pferden, durch Fraßschäden an jungen Bäumen und immer wieder auch Schäden durch Abholzungen. Der Rat der Stadt verhängte zwar drastische Strafen, jedoch blieb die Nutzung der Allee als Weidefläche weiterhin üblich, bis der Rat drohte die Weidetiere abzuschießen. Ausbau und Nutzung der Allee. Beginn von Bebauung und Nutzung. 1803 begann die Regierungszeit des aufgeklärten Landesherren Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg, der sich von vornherein vorgenommen hatte, seine Residenzstadt Regensburg durch die Erweiterung der Allee zu verschönern. Als Freund und Gönner der bereits 1790 gegründeten Botanischen Gesellschaft überließ er der Gesellschaft das an die Allee angrenzende große Gartengelände von Kloster Emmeram, um dort einen botanischen Garten anzulegen. Heute ist dieses Gelände Teil des Thurn und Taxis Schlossparks. 1804 traf Dalbergs Hofgärtner aus Aschaffenburg in Regensburg ein und begann mit Planungen zur Erweiterung der Allee. Im Bereich vor dem Peterstor und dem Jakobstor wurden zusätzliche Grundstücke angekauft und Dalberg selbst gewährte jährlich 2.000 Gulden aus seiner Privatkasse zum Unterhalt der Allee. In dieser Zeit der beginnenden Wertschätzung der Allee kam es auch zu ersten privaten Initiativen von wohlhabenden Bürgern und sogar von einigen Gesandten am Immerwährenden Reichstag. Am südlichen Rand der Allee, auf dem Gelände der heutigen Albert- und Margaretenstraße wurden Grundstücke erworben, Gärten angelegt und mit dem Bau von Sommerhäusern begonnen. Die damals vor dem Bau von Bahnhof und Bahnlinien noch völlig freie Lage, die Nähe zur Stadt und die Nähe der Baumallee veranlassten Regensburger Bürger, hier Gärten anzulegen und Sommerhäuser und kleine Villen zu bauen. Mehrere Jahrzehnte später wurden diese Sommerhäuser zu großen Villen ausgebaut. Besonders aktiv und engagiert war Kaspar Maria von Sternberg, der 1800 zum Domherrn in Regensburg ernannt worden war und 1802 als Stellvertreter des Fürsten Karl Alexander von Thurn und Taxis in der politischen Verwaltung des Fürstbistums Regensburg mitwirkte. Er nutzte Amt und Stellung, um das Grundstück des großen, verfallenen Außenwerkes vor dem Peterstor zu erwerben, das dem geplanten Garten der botanischen Gesellschaft östlich benachbart war. 1806 ließ Sternberg in Sichtweite des Obelisken für den 1805 verstorbenen Fürsten Karl Anselm und mit Aussicht auf das in Planung begriffene Kepler-Denkmal und die im Mittelalter entstandene Predigtsäule als zusätzliche Attraktion und als Treffpunkt für botanisch interessierte Bürger und Naturwissenschaftler ein Gartenpalais errichten, das die Schaufront zum Alleenweg hatte. Vorübergehende sollten die Inschrift über dem Portikus lesen können: "Das Schöne in Verbindung mit dem Guten". Dieses Gartenpalais wurde zu einem Treffpunkt der Mitglieder der botanischen Gesellschaft. Im April 1809 wurden im Verlauf der napoleonischen Kriege der botanische Garten und auch das Gartenpalais und einige anderen Anlagen der Allee im April 1809 schwer beschädigt. Das erst im Dezember 1808 eingeweihte Kepler-Denkmal blieb jedoch von den Kämpfen verschont, ebenso wie die Predigtsäule. 1810 fiel das Fürstentum Regensburg und damit auch das gesamte Gelände der Allee einschließlich des Gartenpalais mit seinen Anlagen an das Königreich Bayern. Das Gartenpalais und die zugehörigen Gartenanlagen wurden bereits 1813 für 6.000 Gulden von Karl Alexander von Thurn und Taxis aufgekauft und bilden heute den Schlosspark. Der Fürst ließ das teilzerstörte Gartenpalais renovieren und zum Alterssitz Theresens Ruh für seine Ehefrau, die Fürstin Therese von Thurn und Taxis umgestalten. Das Gelände der die Stadt umschließenden Allee kam erst in der Amtszeit von Bürgermeister Oskar von Stobäus Ende des 19. Jahrhunderts wieder in das Eigentum der Stadt Regensburg. Häuser, Villen und andere Bauwerke im Umfeld der Allee. Bereich der Fürstenallee. Ein wichtiges Bauwerk für die Fürst-Anselm-Allee war und ist noch heute das Emmeramer Tor, das 1809 bei den napoleonischen Kämpfen nicht zerstört wurde. Das Tor bot der in der östlichen Altstadt wohnenden Bevölkerung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, solange die Stadtmauer noch bestand, den einzigen schnellen Zugang zur Allee. Auch nach dem Abbruch der Stadtmauern blieb das Emmeramer Tor erhalten, kam aber in den Privatbesitz des Fürstenhauses Thurn und Taxis. Danach erfolgte der Zugang zur Allee über das 1907 neu erbaute Helenentor und über die auf Kosten des Fürstenhauses neu angelegte Helenenstraße, die mit Bäumen bestückt zu einem Teil der Allee wurde. Im Gegensatz zum Emmeramer Tor wurde das Peterstor bei den napoleonischen Kämpfen stark beschädigt, ebenso wie das klassizistische Gartenschlösschen im Bereich der Allee, das Kaspar Maria von Sternberg hatte erbauen lassen. Während das Peterstor nach 1875 völlig abgebrochen wurde, kam das Gartenschlösschen 1813 in den Besitz des Hauses Thurn und Taxis. Es wurde renoviert und zur Gartenvilla Theresens Ruh für die Ehefrau des Fürsten, Therese zu Mecklenburg umgebaut. Dieses architektonische Schmuckstück der Allee überlebte im Schlosspark des Emmeramer Schlosses nur bis 1945, als es beschädigt von einem Bombentreffer abgebrochen wurde. Albertstraße, Margaretenstraße, Kumpfmühlerstraße. Die Albertstraße und in Verlängerung die Margaretenstraße verlaufen am südlichen Rand der Fürst-Anselm-Allee und verbinden den Ernst-Reuter-Platz mit der Kumpfmühlerstraße. Die drei genannten Straßen sind erst ab 1812 im Stadtplan nachweisbar. Einige Häuser ihrer heutigen Bebauung sind durch Erweiterungen und Umbauten früh entstandener Gartenhäuser entstanden, andere entstanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Neubauten. Alle im Folgenden genannten Häuser sind in der Liste der Baudenkmäler in Regensburg-Bahnhofsviertel eingetragen. Wittelsbacherstraße. Die "Wittelbacherstraße" trägt ihren Namen erst seit 1885. Vorher wurde sie "Allee vor dem" "Jakobstor" genannt. Das zeigt, dass diese Straße dazu diente, das östliche Stadttor, dem Verlauf von Stadtmauer und Allee folgend, an die nach Süden führende "Kumpfmühler Straße" anzuschließen. Auch an dieser von Bäumen umgebener Straße boten sich Grundstücke zum Bau von Villen an. Hier entstanden nach 1860 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zehn Villen, die in die Liste der Baudenkmäler in Regensburg-Westenviertel aufgenommen wurden. Alle Villen waren mit ihrer Schauseite auf den Verlauf der Fürst-Anselm-Allee und damit auf den Grüngürtel und den einstigen Stadtmauerverlauf ausgerichtet und können deshalb zu den denkmalgeschützten Ensembles in Regensburg gezählt werden. Bereich Maximilianstraße, D. Martin-Luther-Straße. Beim Neubau der Maximilianstraße fungierte das 1808 in der Fürst-Anselm-Allee errichtete Kepler–Monument als der südliche Fixpunkt dieser für Regensburg ungewöhnlichen, schnurgerade verlaufenden Straße. 1859 musste das Monument nach dem Bau des Bahnhofs wegen der erforderlichen Verlängerung der Maximilianstraße westlich versetzt werden, blieb aber von Bäumen umgeben weiterhin eine Attraktion. Nach Abbruch der südlich des Dachauplatzes verlaufenden Stadtmauer ab 1860 wurde eine Verlängerung der Klarenangerstraße nach Süden möglich. Es entstand ein neuer Stadtausgang in Richtung Bahnhof und die neue Straße musste ebenso wie die nicht weit westlich entfernte Maximilianstraße die Fürst-Anselm-Allee zwangsläufig durchschneiden. Der neue Straßenzug, der erst 1934 den heutigen Namen D. Martin Luther-Straße erhielt, bot auf seiner Westseite im Bereich der Allee attraktive Bauplätze für Stadtvillen. Dort hatte man umgeben von Bäumen den freien Blick auf den weiteren Verlauf der Allee nach Osten (Ostenallee). Die geschilderten Nachkriegsbaumaßnahmen waren schwere Eingriffe in die Substanz der Fürst-Anselm-Allee. Der Verlauf der Mauer und die Sichtbeziehungen von der Fürstenallee zur Ostenalle wurden dauerhaft stark gestört. Die Eingriffe wurden noch dadurch verschlimmert, dass auch im Boden befindlichen Reste der Römermauer und der mittelalterlichen Stadtmauer, die in diesem Abschnitt einen identischen Verlauf hatten, betroffen waren. Dem Einsatz eines Regensburger Bürgers – dem heute vor Ort auf einer Hinweistafel gedankt wird – ist es zu verdanken, dass die Mauerreste im Bereich zwischen den beiden damals neu entstandenen Hochhäusern erhalten wurden. Heute beginnt hier ein ausgeschilderter Weg zur Entdeckung der weiteren Reste der Römermauer im Bereich der Altstadt, darunter auch ein großer Abschnitt der Römermauer im Untergeschoss des Verwaltungsgebäudes der Industrie- und Handelskammer. Bereich Ostenalle, Von-der-Tann-Straße. Die "Von-der-Tann-Straße", benannt nach dem bayerischen Infanterie-General Ludwig von der Tann, verbindet die "D.-Martin-Luther-Straße" mit der "Gabelsbergerstraße". Sie erhielt ihren Namen erst 1885, denn erst zu dieser Zeit zeichnete sich ab, dass nach dem Abbruch der Stadtmauer hier eine Straße entstehen konnte, wo vorher hinter der Stadtmauer nur ein schmaler Feldweg verlief, den man wegen der vielen im Umfeld vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen zum Anbau von Kohl "Krautererweg" nannte. Nach dem Abbruch der Stadtmauer waren hier viele große Grundstücke vorhanden, die zur Bebauung mit großen, Wohn- und Geschäftshäusern gut geeignet waren, weil zur Fundamentierung der Neubauten die im Boden verbliebenen Fundamente von Stadtmauer und Zwingermauer genutzt werden konnten. Auf dem Gelände des ehemaligen Stadtgrabens konnten Gärten angelegt werden und die parallel verlaufende Ostenallee bot mit ihren Bäumen für die Bewohner einen reizvollen Anblick. Die Bebauung mit fast ausnahmslos herrschaftlichen, mehrgeschossigen Jugendstil-Mietshäusern mit Großwohnungen begann nach 1900. In dieser Zeit entstanden elf große Wohn- und Geschäftshäuser, die in die Liste der Baudenkmäler in Regensburg-Ostnerwacht aufgenommen wurden. Bereits 1897 begann hier an der Ostenallee auch der Bau der Von-der-Tann-Schule nach Plänen von Adolf Schmetzer. Bereich Prebrunn-Allee. Die Anlage der Baumallee im westlichen Abschnitt vor der Altstadt zwischen dem Jakobstor und der Prebrunnbastei mit dem Prebrunntor am Donauufer verzögerte sich und wurde zu Lebzeiten von Fürst Karl-Anselm von Thurn und Taxis nur eingeschränkt verfolgt. Die Stadtbestigungsanlagen in diesem Abschnitt und die Vorwerke waren im Verlauf des 30-jährigen Krieges schwer beschädigt worden. Auch der hier vor dem Jakobstor bereits um 1511 entstandene "Lindenpark" – ein Vorläufer des späteren Stadtparks – war vollständig zerstört. Die Wiederherstellung der beiden Friedhöfe und der Parkanlagen, die auch von Schützengesellschaften genutzt und mit speziellen Anlagen und Häusern für Schützen bebaut wurden, brachte es mit sich, dass die Anlage der Allee in diesem Bereich nur nach und nach erfolgte. Beeinträchtigt wurde die Anlage der Allee zusätzlich dadurch, dass der Verlauf der Wege und Straßen in diesem Bereich häufig verändert werden musste. Die am Ende der Stadtmauer an der Donau liegende Prebrunnbastei hatte sich im 30-jährigen Krieg nicht bewährt und wurde nach dem Krieg um 1656 erheblich vergrößert. Danach war das Prebrunntor für Fußgänger und Fuhrwerke nicht mehr passierbar. Deshalb mussten die Verläufe der Wege und Straßen mit denen der Vorort Prebrunn zu Fuß und mit Fuhrwerken erreichbar war, verändert werden. Für die in Prebrunn tätigen Handwerker und auch für die ab Ende des 18. Jahrhunderts wachsende Anzahl von Besuchern des als Badeort zunehmend beliebten Vorortes Prebrunn musste ein besonderer Zugang zur Stadt – das sog. "Prebrunn-Türl" – geschaffen werden, das den Durchgang durch die Stadtmauer ermöglichte. Für die Fuhrwerke der Ziegeleien in Prebrunn musste das Jakobstor auf einem befestigten Weg gut erreichbar sein. 1804 erwarb der Thurn und Taxische Hofrat Georg Friedrich von Müller vom damaligen Landesherrn Fürstbischof Karl Theodor von Dalberg, der den Weiterbau der Allee tatkräftig und finanziell unterstützte, das gesamte Gelände der Prebrunnbastei und zusätzlich auch noch mehrere südöstlich angrenzende Grundstücke, dabei auch Zwinger-Grundstücke der noch vorhandenen Stadtbefestigungsanlagen. Müller ließ die militärischen Einrichtungen der Prebrunnbastei schleifen und das Gelände zu einer hügeligen Gartenanlage umgestalten aus der sich der Herzogspark entwickelte, der heute als Endpunkt der Fürst-Anselm-Allee im Westen bezeichnet wird. Südöstlich anschließend an die Gartenanlage ließ Müller 1804–1806 das noble Württembergische Palais erbauen, wofür der Turm XXXVII der Stadtmauer abgebrochen werden musste. Nach dem Tod von Müller erwarb Fürst Maximilian Karl von Thurn und Taxis Gebäude und Gartenanlage für seine Schwester, die sich Herzogin von Württemberg nannte. Dem verzögerten Ausbau der Prebrunn-Allee entsprechend erfolgte die Bebauung mit attraktiven Wohnhäusern im Bereich der baumbestandenen Prebrunnallee und im Bereich des etwas abseitiger gelegenen und nicht von Bäumen umgebenen Stahlzwingerwegs erst gegen Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts.
Ein GPCR-Oligomer ist ein als Oligomer bezeichneter Verband oder Komplex aus mehreren G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, die unmittelbar Kontakt zueinander haben und durch Atombindungen bzw. zwischenmolekulare Kräfte zusammengehalten werden. Rezeptoren innerhalb des Verbandes heißen Protomere, während unverbundene Rezeptoren als Monomere bezeichnet werden. Rezeptor-Homomere sind aus gleichen, Heteromere aus ungleichen Protomeren zusammengesetzt. Rezeptorenverbände, welche als solche, nicht aber in Gestalt ihrer Stammmonomere, nativ zur Reizübertragung fähig sind, werden als konstitutive Rezeptoren bezeichnet. Rezeptoren, die nur mittelbar miteinander in Verbindung stehen, werden nicht als Oligomere bezeichnet. Die funktionelle Wirkung einer Ligandbindung, die von einem Protomer auf ein oder mehrere andere Protomere übertragen wird, heißt Übersprechen. Die spezifische Art des funktionellen Zusammenwirkens von Liganden, die sich durch die Bindung an zwei oder mehr Protomere eines Komplexes ergibt, drückt sich als Kooperativität aus. Die Existenz von Rezeptor-Oligomeren ist eine allgemeine Erscheinung, welche die lange Zeit vorherrschende paradigmatische Vorstellung von der Funktion von Rezeptoren als reine Monomere aufgehoben hat und deren Entdeckung weitreichende Folgen für das Verständnis von neurobiologischen Krankheiten sowie für die Entwicklung von Arzneistoffen hat. Rezeptor-Oligomere und ihre Funktion im Interaktom werden ihrer Bedeutung entsprechend intensiv beforscht. Die Oligomerisierung ist nicht beschränkt auf G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, sondern wird auch an anderen Zielproteinen beobachtet, wie z. B. plasmalemmalen Transportern und Ionenkanälen. Eine gruppenübergreifende funktionelle Interaktion ist möglich. Entdeckungsgeschichte. Lange Zeit ging man davon aus, Rezeptoren übermittelten Wirkungen ausschließlich in ihren funktionellen Grundformen – als Monomere. Der erste Hinweis auf die Existenz von GPCR-Oligomeren geht zurück auf das Jahr 1975. Lefkowitz und Mitarbeiter hatten an beta-Adrenozeptoren ein Verhalten beobachtet, das als negative Kooperativität bekannt ist und das auf der Existenz von Rezeptordimeren oder -oligomeren beruht. Zu Beginn der 1980er Jahre wurde die Hypothese aufgestellt, Rezeptoren könnten größere Verbände, sogenannte Mosaike, ausbilden oder zwei Rezeptoren könnten direkt miteinander interagieren. Massenbestimmungen von beta-Adrenozeptoren (1982) und Muskarinrezeptoren (1983) zeigten, dass die Rezeptoren in homodimeren oder -tetrameren Formen vorkommen können. 1991 wurden Erscheinungen beobachtet, die als Übersprechen interpretiert werden können und somit auf eine Rezeptor-Heteromer-Expression hinwiesen. Gegenstand der Untersuchung waren Adenosin A2A- und Dopamin D2-Rezeptoren. Maggio und Mitarbeiter zeigten 1993 die Fähigkeit zweier G-Protein-gekoppelter Rezeptoren zu heteromerisieren, indem sie Chimären von Muskarin-M3-Rezeptoren und α2C-Adrenozeptoren einsetzten. Im Jahr 2005 wurde der Beweis erbracht, dass Rezeptoroligomeren im lebenden Organismus funktionelle Bedeutung zukommt. Die Kristallstruktur eines CXCR4-Dimers wurde im Jahr 2010 veröffentlicht. Eigenschaften der Oligomere. Auswirkung der Oligomerisierung. GPCR-Oligomere bestehen aus Dimeren, Trimeren, Tetrameren oder Verbänden höher Ordnung. Die Oligomere sind als Entitäten anzusehen, die Eigenschaften aufweisen, die sich mehr oder weniger und in vielerlei Hinsicht von denen der Monomeren unterscheiden. Der funktionelle Charakter eines Rezeptors ist abhängig von seiner tertiär- bzw. quartärstrukturellen Gestalt. Berühren sich Rezeptoren auf einer größeren Fläche oder an sensiblen Stellen, dann wirken Kräfte ein, die die Gestalt wie auch die innere Beweglichkeit der nunmehrigen Protomere verändern; kurzum, Protomere wirken als allosterische Modulatoren aufeinander ein. Dies hat Konsequenzen für: Es ist gegenwärtig unklar, ob alle Rezeptoroligomere eine funktionelle Bedeutung in der Signalübertragung haben.
Der Braunohrspecht ("Pardipicus caroli") ist eine Vogelart aus der Familie der Spechte (Picidae). Diese kleine Spechtart besiedelt das westliche Zentralafrika und kleine Areale in Westafrika. Sie bewohnt in erster Linie den Tropischen Regenwald des Flachlandes, aber auch dichten Sekundärwald, mosaikartig zusammengesetzte Wald-, Busch- und Graslandschaften sowie seltener flussbegleitende Galeriewälder. Die in der gesamten Baumschicht gesuchte Nahrung besteht vorwiegend aus Ameisen sowie anderen Insekten und deren Larven. Die Art ist wenig häufig bis lokal häufig. Der Bestand ist wahrscheinlich rückläufig, der Braunohrspecht wird von der IUCN aber noch als (="least concern" – nicht gefährdet) eingestuft. Beschreibung. Braunohrspechte sind kleine und insgesamt sehr dunkle Spechte mit recht langem und an der Basis schmalem Schnabel. Der Schnabelfirst ist nach unten gebogen. Die Körperlänge beträgt etwa 18 cm, das Gewicht 50–68 g, sie sind damit etwas kleiner und deutlich leichter als ein Buntspecht. Die Art zeigt bezüglich der Färbung einen nicht sehr auffallenden Geschlechtsdimorphismus. Bei Männchen der Nominatform ist die Oberseite einschließlich Bürzel, Oberschwanzdecken und Oberflügeldecken fast einfarbig grün. Der obere Rücken zeigt meist einen Bronzeton und ist gelegentlich undeutlich gelb gefleckt. Bürzel und Oberschwanzdecken sind häufig weiß gefleckt. Die Schwingen sind braun mit grünen Säumen und hell gebändert. Auf den Basen der Innenfahnen sind die hellen Binden breit und verschmelzen häufig zu einem hellen Feld. Die Schwanzoberseite ist schwärzlich mit grünen Säumen, die äußeren Steuerfedern sind grünlich gebändert oder gefleckt. Die gesamte Unterseite des Rumpfes ist auf olivfarbenem bis düster grünem Grund kräftig beige-weißlich gefleckt, zum Schwanz hin wird die Fleckung eher bindenartig. Die Unterflügel sind gelblich weiß, der Unterschwanz ist gelblich schwarz. Stirn, Ober- und Hinterkopf sind oliv bis schwärzlich oliv; die Federn auf dem hinteren Oberkopf haben kurze rote Spitzen, die Federn des Hinterkopfes breite rote Spitzen. Die Ohrdecken sind braun. Ein schmaler beiger und oliv gestrichelter Überaugenstreif beginnt am hinteren Augenrand und zieht sich nach hinten um die Ohrdecken. Halsseiten und Nacken sind olivgrün mit heller Fleckung; Zügel, Kinn und Kehle sind auf olivem Grund weißlich beige gefleckt. Diese weißliche Färbung ist häufig durch Verschmutzung grün. Der Oberschnabel ist grauschwarz, der Unterschnabel zeigt einen oliven oder grünlichen Ton. Beine und Zehen sind gräulich bis olivgelb. Die Iris ist rötlich bis braun, der Augenring gräulich bis oliv. Beim Weibchen fehlen nur die roten Kopfpartien; diese Bereiche sind wie der übrige Kopf oliv bis schwärzlich oliv. Lautäußerungen. Der häufigste Ruf ist ein undeutliches „kwaa-kwaa-kwaa“, weitere Rufe sind bisher offenbar nicht bekannt. Systematik. Winkler et al. erkennen zwei recht gut differenzierte Unterarten an: "Campothera caroli budongoensis", 1921 wird heute als Synonym zur Nominatform betrachtet. Verbreitung und Lebensraum. Das offenbar disjunkte Verbreitungsgebiet des Braunohrspechts umfasst mehrere kleine Areale in Westafrika und das westliche Zentralafrika. In Westafrika kommt die Art in Guinea-Bissau, von Sierra Leone bis zur Elfenbeinküste sowie in Benin und im Süden Nigerias vor. Das viel größere zentralafrikanische Areal reicht in West-Ost-Richtung von Kamerun bis in den Südwesten des Sudan, Uganda und in den Westen Kenias. Nach Süden erstreckt sich die Verbreitung bis in den Nordwesten Angolas, den mittleren Süden von Zaire, Nordwest-Sambia, den Westen Burundis, Ruanda und Nordwest-Tansania. Möglicherweise ist die Art noch weiter verbreitet. Die Größe des Gesamtverbreitungsgebietes wird auf 3,39 Mio. km² geschätzt. Die Art bewohnt in erster Linie den Tropischen Regenwald des Flachlandes, aber auch dichten Sekundärwald, mosaikartig zusammengesetzte Wald-, Busch- und Graslandschaften sowie seltener flussbegleitende Galeriewälder. Die Tiere bleiben unter 1800 m Höhe. Lebensweise. Braunohrspechte sind scheu und wenig auffällig, sie werden daher häufig übersehen. Sie schließen sich gelegentlich gemischten Vogeltrupps an. Die in der gesamten Baumschicht gesuchte Nahrung besteht vorwiegend aus Ameisen sowie anderen Insekten und deren Larven. Nahrungsobjekte werden durch Hämmern, Sondieren und Ablesen erlangt. Die Art brütet zwischen August und Februar, die Höhlen werden in Bäumen angelegt. Die Gelege umfassen zwei bis drei Eier, weitere Angaben zur Brutbiologie liegen bisher nicht vor. Bestand und Gefährdung. Angaben zur Größe des Weltbestandes sind nicht verfügbar. Die Art ist wenig häufig bis lokal häufig. Aufgrund der anhaltenden Zerstörung der primären Regenwälder ist der Bestand wahrscheinlich rückläufig, der Braunohrspecht wird von der IUCN aber noch als ungefährdet ("least concern") eingestuft.
Disaster Movie ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 2008 von Jason Friedberg und Aaron Seltzer, die auch für die Filme "Date Movie" (2006), "Scary Movie" (2001–2006), "Fantastic Movie" (2007) und "Meine Frau, die Spartaner und ich" (2008) verantwortlich zeichnen. Der Film wurde von der Kritik sehr schlecht aufgenommen, spielte bei einem Budget von 20 Mio. US-Dollar Erlöse von 14,8 Mio. US-Dollar ein und ist in dieser Hinsicht der am wenigsten erfolgreiche Film des Autorenduos. "Disaster Movie" startete in den USA am 29. August 2008. In Deutschland sollte der Film ursprünglich am 2. Oktober 2008 anlaufen, der Starttermin wurde jedoch kurzfristig abgesagt. Stattdessen erschien der Film am 19. Februar 2009 direkt auf DVD. Handlung. Im Jahr 10.001 v. Chr. stößt ein Urmensch auf "Amy Winehouse", die prophezeit, dass die Menschheit am 29. August 2008 vor ihrer Auslöschung steht und ein oranger Kristallschädel irgendwie damit verbunden sein wird. Am 29. August 2008 wacht Will morgens auf und hat von den Geschehnissen mit Amy Winehouse geträumt. Er stellt fest, dass ein Schädel im Kalender am heutigen Tag gekennzeichnet ist. Er versucht es seiner Freundin Amy zu erzählen, welche ihn seit längerer Zeit betrügt. Diese glaubt es ihm allerdings nicht. Noch am selben Tag, bei seiner "Super Duper Sweet Sixteen"-Party zum 25. Geburtstag, beginnt die Erde zu beben und im Radio wird vom Ende der Welt berichtet. Kurz darauf bringen Meteore und Erdbeben die Stadt in Gefahr, und Will stellt fest, dass es immer kälter wird. Gemeinsam mit Calvin, Lisa und Juney macht er sich auf den Weg die Stadt zu verlassen, wo sie mit ansehen müssen, wie Hannah Montana von einem Meteor erschlagen wird. Sie suchen ein Versteck, doch müssen sie zuerst die "Sex and the City"-Girls von dort vertreiben. Amy ruft Will von ihrer Arbeit aus an und teilt mit, dass sie in einem Museum ist und prüfen will, ob auch alles an seinem Platz ist. Will möchte nach Amy sehen, doch Lisa weigert sich mit Will, Juney und Calvin mitzugehen und wird kurz darauf ebenfalls von einem Meteor erschlagen, was ein harter Schlag für Calvin ist, der dadurch seine große Liebe verliert. Doch nicht lange, denn die verwunschene Prinzessin kommt aus der Kanalisation gekrochen und verliebt sich in Calvin. Die neue Truppe muss sich nun vor Tornados in Sicherheit bringen. Im "sicheren" Versteck wird Juney jedoch von tollwütigen Chipmunks gefressen und für Will läuft allmählich die Zeit ab. Er wird von Amy angerufen, dass sie sich nicht bewegen kann, da eine Statue sie am Boden festhält. Im Museum angekommen werden die Prinzessin und Calvin von Kung Fu-Panda getötet. Es stellt sich heraus, dass Amy den Kristallschädel entwendet und unter ihrem Rock versteckt hat und ihm zu einem Altar bringen will. Vorher liefern sie sich noch einem Kampf mit Beowulf, den sie aber gewinnen. Beim Altar angekommen treffen sie auf Wills Vater: Indiana Jones. Will schafft es den Schädel zurück zum Altar zu bringen und so das Ende der Menschheit zu verhindern. Der Film endet mit einer Hochzeit von Amy und Will im "Love Guru"-Stil – gefolgt von einem Lied vom kompletten Cast, in dem sie darüber singen, dass sie sich alle gegenseitig "gedatet/gefickt" haben. Rezeption. Die Kritiken von "Disaster Movie" fielen durchweg schlecht aus. Der Film bekommt in der Wertung von Rotten Tomatoes nur zwei Prozent. Josh Levin von Slate nennt die Macher „Scharlatane“ und spricht ihnen das Recht ab, Filmemacher genannt zu werden. "Disaster Movie" befand sich zeitweise auf Platz 1 der Liste der 100 schlechtesten Filme, welche von der Internet Movie Database geführt wird. Der Film erhielt sechs Nominierungen für die Goldene Himbeere in den Kategorien "Schlechtester Film", "Schlechteste Nebendarstellerin", "Schlechtestes Prequel, Neuverfilmung, Abzocke oder Fortsetzung", "Schlechteste Regie" und "Schlechtestes Drehbuch". In der Kategorie "Schlechteste Nebendarstellerin" wurde sowohl Carmen Electra als auch Kim Kardashian nominiert. Insgesamt erhielt der Film keine „Auszeichnung“.
Die pornographische Phantasie (in moderner Rechtschreibung: Die pornografische Phantasie; engl. Originaltitel: "The Pornographic Imagination") ist ein Essay, den Susan Sontag erstmals 1967 in der März/April-Ausgabe der Zeitschrift "Partisan Review" veröffentlicht hat. Sie begründet darin ihre Auffassung, dass pornografische Texte ernsthafte und sogar gehobene Literatur sein können. Im Anschluss an diese Überlegungen plädiert sie für eine generelle Erweiterung des Literaturbegriffs. "Die pornographische Phantasie" ist nicht Sontags erster Versuch, einem marginalisierten literarischen Genre bei Literaturwissenschaftlern und Literaturkritikern verstärkte Aufmerksamkeit zu verschaffen. Bereits in ihrem Essay "Anmerkungen zu „Camp“" (1964) hatte sie ihre Überzeugung vorgetragen, „dass die Erlebnisweise der hohen Kultur keinen Alleinanspruch auf Kultur hat“. Jedoch zählt Sontag zu den Ersten, die den Literaturbegriff auf solche literarischen Genres ausdehnen wollte, die von der Kritik meist als „trivial“ geschmäht wurden, und ging damit u. a. denjenigen Intellektuellen voran, die später den Begriff der "Paraliteratur" geprägt und diese gegen die etablierte Literaturkritik verteidigt haben. Inhalt des Essays. Voraussetzungen. Wichtig für das Verständnis des Essays ist heute, dass zum Zeitpunkt seiner Entstehung „Pornografie“ in den Vereinigten Staaten hauptsächlich pornografische "Fotografie" oder "Literatur" bedeutete. Eine industrielle Produktion von Pornofilmen begann in den USA aufgrund der bis dahin strengen Zensur erst nach 1969 („Golden Age of Porn“). Bis 1969 waren selbst in amerikanischen Männermagazinen wie "Playboy" niemals Medien abgedruckt worden, auf denen auch nur Schamhaar, geschweige denn Genitalien oder sexuelle Handlungen zu sehen gewesen wären. Eines der vielen Motive, das den Essay "Die pornographische Phantasie" – ebenso wie auch Sontags essayistisches Gesamtwerk – wie ein roter Faden durchzieht, ist ihr Grimm über das anglo-amerikanische Geistesleben, dessen Proponenten nach ihrer Diagnose allzu wenig in fremde Länder und insbesondere nach Frankreich schauen, wo viele – insbesondere literarische – Diskurse nach ihrer Auffassung auf unvergleichlich viel höherem Niveau geführt werden als in Großbritannien oder den USA. Diese Haltung zeigt sie bereits in ihrem ersten je publizierten Essay, "Psychoanalysis and Norman O. Brown’s Life Against Death" (1961), in dem sie etwa D. H. Lawrence vorwirft, dass er – bei allem Anstoß, den die prüde anglo-amerikanische Welt an "Lady Chatterley’s Lover" genommen hat – immer noch unterschätzt habe, wie sehr Liebe eine Sache nicht des Trostes, der Ego-Stabilisierung und des Schutzes vor Einsamkeit, sondern der Sexualität und des Körpers ist. Bereits in diesem Essay hält sie den britischen und amerikanischen Autoren die Franzosen entgegen, die auf eine ungleich viel ältere Tradition des ernsthaften Nachdenkens über Sexualität zurückblicken (de Sade, Fourier, Cabanis, Enfantin, Sartre, Blanchot, Desclos, Genet). Grundbegriffe. Sexualität und Transgression. In seinem 1961 veröffentlichten Essay "Pornography, Art, and Censorship" hatte Paul Goodman über den Unterschied zwischen gesunder und kulturell deformierter Sexualität diskutiert. Sontag argumentiert dagegen, dass der sexuelle Appetit des Menschen "immer", also etwa auch ganz ohne christliche Repressionen, das Potenzial berge, im menschlichen Bewusstsein als „dämonische Kraft“ zu wirken, die Menschen zur Verletzung von Tabus und anderem sozial nicht tolerierten Verhalten treibt. Selbst Phantasien über Widerwärtiges, physische Gewalt oder die Auslöschung des eigenen Bewusstseins stuft Sontag nicht als Pathologien, sondern als Phänomene ein, die im genuinen Spektrum der menschlichen Sexualität liegen – selbst wenn die meisten Menschen ihre Sexualität in deutlich gemäßigteren Bereichen erleben mögen. Die Metapher vom „kranken Tier“ verweist auf Nietzsche. Sontag widerspricht hier insbesondere den Freudomarxisten (Wilhelm Reich, Neue Linke), die davon überzeugt gewesen waren, dass der Mensch, wenn man nur seine Sexualität nicht unterdrücke, mit sich selbst notwendig im Einklang sei. Das Obszöne. In ihrem Essay unternimmt Sontag auch eine Analyse des Obszönen, eines Begriffs, den Goodman in seinem Text verwendet, aber nicht vertieft hatte. Konventionell werde „Obszönität“ – so beobachtet Sontag –, so gedeutet, dass die sexuellen Funktionen und in deren Gefolge auch das sexuelle Vergnügen in einer zutiefst sexualfeindlichen Kultur stets als widerwärtig empfunden werden. Dem hier eingeschlossenen Gedanken, dass Obszönität nur existieren könne, wo Sexualität unterdrückt wird, tritt Sontag mit der These entgegen, dass das Obszöne vielmehr ein grundlegendes Konzept des menschlichen Bewusstseins ("a primal notion of human consciousness") sei, das im Menschlichen tief verankert und weitaus mehr sei als nur das „Kielwasser der Leibfeindlichkeit einer kranken Gesellschaft“. Das Obszöne gehört nach Sontag zum Menschsein, wie die Transgression des sozial Gebilligten zur Sexualität gehört. Verwirklicht sieht Sontag das – in diesem Sinne verstandene – Obszöne in einer von de Sade ausgehenden Traditionslinie der französischen Pornografie, deren Vertreter die Transgression radikal zum Prinzip erheben: Lautréamont, Bataille, Declos und C. Robbe-Grillet. Gemeinsam ist deren Arbeiten unter anderem, dass sie gar nicht so sehr von der Lust erzählen, sondern – offen oder verdeckt – vielmehr vom Tode: Die Psychoanalytikerin und Feministin Jessica Benjamin kam bei ihrer Deutung von "Geschichte der O" 1988 zu ähnlichen Auffassungen. Während Sontag den Roman als eine Geschichte der (im Tode gipfelnden) Befreiung gelesen hatte, hielt Benjamin O jedoch im Gegenteil für eine Scheiternde. Pornografie als Literatur. Goodmans Position zur Pornografie war zwiespältig gewesen. Zwar schloss er nicht aus, dass es eine legitime Funktion von Kunst sein könnte, den Leser sexuell zu erregen; jedoch hieltt er Pornografie selbst im besten Falle nur für ein Therapeutikum, mit dem Menschen sich Triebabfuhr verschaffen können, denen in einer sexuell repressiven Gesellschaft dafür keine adäquateren Mittel zu Gebote stehen. Da Goodman hier kurz davor steht, aus psychologischen Gedanken ästhetische Schlussfolgerungen zu ziehen, was schon vom Ansatz her abwegig ist, stellt Sontag gleich zu Beginn ihres Essays klar, dass die ästhetische Dimension von Pornografie von der psychologischen (ebenso wie von der sozialgeschichtlichen) sauber getrennt betrachtet werden müsse. Nachdem sie klarstellt, dass sie Pornografie strikt aus ästhetischer Sicht behandeln wird, legt sie ihre Hauptthese vor: Einige Werke der Pornografie halten den Kriterien für Hochliteratur stand und müssen darum als solche eingestuft werden. Diese These war nicht vollkommen neu und z. B. 1964 bereits von Wayland Young vorgetragen worden. Dennoch befand Sontag sich damit zu den meisten Teilnehmern des Pornografiediskurses in den USA und in Großbritannien im Gegensatz. Diese diagnostiziertene Pornografie vor allem als ein Übel ("malady"), und zwar unabhängig davon, ob sie Pornografiegegner oder Liberale waren. Die Pornografiegegner, darunter George P. Elliott und George Steiner, suchten die Öffentlichkeit vor schmutzigen Büchern zu schützen; die Liberalen wie Goodman lehnten Pornografie nicht minder ab, duldeten sie aber dennoch, weil die Zensur ihnen als ein noch schlimmeres Übel erschien. Pars-pro-toto-Fehlschluss. Sontag stellt nicht in Abrede, dass ein Großteil der pornografischen Literatur ästhetisch minderwertig ist, und kritisiert selbst die Lächerlichkeit und Pathos, die selbst in hochwertigen Beispielen noch zu finden sind. Das im Durchschnitt niedrige Qualitätsniveau hat viele Kritiker jedoch zu dem Pars-pro-toto-Fehlschluss verleitet, dass Pornografie "niemals" Literatur sein könne. Sontag wendet dagegen ein, dass der Hinweis auf die Existenz von Schund in einem gegebenen literarischen Genre niemals ein valides Argument gegen das Genre selbst bilde oder dessen ästhetisch hochwertige Beispiele kompromittieren könne. Die Behauptung, dass Literatur und Pornografie einander zwingend ausschließen, werde von der Literaturkritik jedoch als Rechtfertigung dafür herangezogen, dass sie auf eine Untersuchung individueller Werke der pornografischen Literatur von vornherein verzichtet, wodurch die falsche Ausgangsthese auf fatale Weise wasserdicht gemacht werde. Den letzten Grund dafür, dass Literaturkritiker zwischen Pornografie und Literatur selbst dann immer wieder ein Ausschlussverhältnis zu konstruieren versuchen, wenn sie sich dabei in Widersprüchen verheddern, sieht Sontag darin, dass alles, was mit Sexualität zu tun hat, in unserer Gesellschaft stets als „Spezialfall“ behandelt werde. Figurengestaltung. Das wohl schwerwiegendste Argument, das vorgebracht worden ist, um Pornografie aus der Literatur kategorisch auszuschließen, besteht im Hinweis darauf, dass in pornografischen Texten die Beziehungen zwischen Menschen sowie ihre Gefühle, ihre Motive und ihre gesamte psychologische und soziale Charakteristik verkürzt und grob vereinfacht dargestellt werden; Pornografie erzähle immer nur von den „motivlosen unermüdlichen Transaktionen depersonalisierter Organe.“ Sontag hält diesem und allen nachfolgend aufgeführten Argumenten entgegen, dass ihre Vertreter im Grunde den Anbruch der Moderne nicht zur Kenntnis genommen haben und von einem verkürzten Literaturbegriff ausgehen, der für den realistischen Roman des 19. Jahrhunderts angemessen sein mag, nicht aber für Werke wie "Ulysses" oder die Arbeiten des deutschen Expressionismus und des französischen Surrealismus, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Literatur der Westlichen Welt neu begründet haben und denen später Bewegungen wie der Nouveau roman und Autoren wie Stein, Bely, Nabokov und Burroughs gefolgt sind. Jacques Rivière hatte, aus denselben Gründen wie Sontag, eine Revision des Literaturbegriffs bereits 1924 angemahnt. Sontag selbst hatte sich auch in früheren Essays schon mehrfach für marginalisierte Genres eingesetzt (Pornografie, Film, Undergroundfilm, Camp, Happenings, Science-fiction-Film). Sontag argumentiert weiter, dass die Anwesenheit realistisch gezeichneter Figuren in einem literarischen Werk nicht einen Wert für sich bilde oder auch nur notwendig sei, um etwa die moralische Sensibilität der Leser anzusprechen. Figuren sind, wie schon Henry James erkannt hat, für den Autor nicht mehr als eine „schriftstellerische Ressource“ ("a compositional ressource") und können auf ganz unterschiedliche Weise verwendet werden; eine pralle Dreidimensionalität der Darstellung von Personen und Personenbeziehungen ist vom Autor gar nicht immer gewünscht. Als Beispiel führt Sontag hier den Fall von James Joyces "Ulysses" an, in dem es vollkommen verfehlt wäre, sich in die Psychologie oder die persönlichen Motive der Figuren einfühlen zu wollen; vielmehr handelt der Roman von transpersonalen Bezügen, für welche die Figuren lediglich als Medien fungieren. Grenzland-Erkundung. Eng mit dem vorgenannten Begründungsansatz verwandt ist das Argument, dass Werke wie die de Sades oder auch "Geschichte der O" deshalb keine Literatur seien, weil sie nicht die „normale“ Erfahrungswelt „normaler“ Menschen, sondern Extremsituationen und die pathologischen Obsessionen von Autoren abbilden, die mit der Mehrzahl der Leser keine Berührungspunkte haben. Wie das vorgenannte Argument führt Sontag auch dieses auf ein eingeschränktes Verständnis von Literatur zurück, die mit „lebensnaher“ Literatur im Sinne des Realismus des 19. Jahrhunderts gleichgesetzt wird, in der nur wirklichkeitsgetreue Menschen gezeigt wurden und dies stets in Situationen, die den Lesern vertraut waren. Sontag plädiert mit ihrem Essay dafür, den Literaturbegriff radikal zu erweitern und jeden Text als „Literatur“ gelten zu lassen, der der Phantasie entspringt. Diese Erweiterung schließt für sie unter anderem auch solche Werke ein, in denen Ideen und andere Dinge ausgelotet werden, die über den thematischen Rahmen des Realismus hinausgehen: Obwohl wir extreme Bewusstseinszustände im täglichen Leben zu unterdrücken suchen, existiere, so argumentiert Sontag, kein ästhetisches Prinzip, das es verbietet, solche Bewusstseinszustände in der Kunst zu behandeln. im Gegenteil: „Wirkliche Kunst hat die Eigenschaft, uns nervös zu machen“, hatte Sontag 1964 geschrieben, und die Vorstellung vom Künstler als einem freischaffenden Erforscher spiritueller Gefahren habe der Kunst in der letzten 100 Jahre einen fast sakramentalen Rang verschafft, wobei der Künstler – bei aller Exzentrizität – ein sensibles Gespür dafür haben müsse, was das Publikum von ihm erwartet: Pornografie und Wahrheit. Trotz dieses Pathologieverdachts und obwohl sie einräumt, dass das Überschreiten von Grenzen, die dem Bewusstsein konventionell gesetzt sind, tendenziell gefährlich und zerstörerisch ist, verteidigt Sontag die Literatur und insbesondere die pornografische Literatur leidenschaftlich gerade dort, wo sie Grenzen überschreitet und damit – im Geiste Hegels – Wissen über Bereiche des Menschseins zugänglich macht, die der Erkenntnis gewöhnlich verschlossen blieben: Noch expliziter als im Essay selbst hat Sontag die Art der Wahrheit, von der Texte wie "Geschichte der O" sprechen, in einem 1975 veröffentlichten Interview benannt: Sontag erklärt Os Entscheidung, sich René und später Sir Stephen zu unterwerfen, so, dass "„das Bedürfnis von Menschen, ‚das Persönliche‘ zu transzendieren […] nicht weniger tief verankert [sei] als das Bedürfnis, eine Person, ein Individuum zu sein“". Dieses Problem findet sich keineswegs nur in der pornografischen, sondern auch in der zeitgenössischen anerkannten Hochliteratur, markant und ebenfalls mit einem weiblichen Beispiel etwa in Paul Bowles’ Roman "The Sheltering Sky" (1949). Distanz vs. Involviertheit des Künstlers. Ein drittes Argument, das sich mit dem vorgenannten in direkter Nachbarschaft befindet, ist die These, dass echte Kunst vom Betrachter in einem seelischen Zustand der Ruhe und Abgeklärtheit aufgenommen werde. Noch in ihrem 1964 veröffentlichten Essay "Über den Stil" hatte Sontag diese Auffassung – wenn auch bereits mit Einschränkungen – selbst geteilt. Selbst solche Kritiker, die Literatur über Lust zumindest theoretisch dulden, schließen die Lust aus dem Spektrum denkbarer literarischer Themen "faktisch" aus, indem sie fordern, dass die Autoren davon aus geziemender „Distanz“ erzählen sollen. Sontag hält Distanz nicht für ein valides Kriterium für Kunst und verweist dabei auf das Werk von van Gogh, dessen künstlerischer Rang im 20. Jahrhundert über jeden Zweifel erhaben ist, obwohl es konsequent die von der Norm sehr stark abweichende Sichtweise seines Schöpfers repräsentiert. Nicht innerer Gleichmut mache jemanden zum Künstler, sondern Originalität, Gründlichkeit, Authentizität und die Kraft, die aus seinem aufgewühlten irregulären Bewusstsein strömt und die er in seinem Werk einfängt; uneingeschränkt gelte dies auch für Literatur, in der extreme sexuelle Obsessionen dargestellt werden. Appell an die sexuelle Reaktion. Ein viertes Argument, das gegen die Literarizität von Pornografie immer wieder herangezogen wird, ist der Hinweis auf ihre Intention, die Leser sexuell zu erregen, die noch dazu oftmals als die einzige Absicht erkennbar ist. Ebenso wie Goodman bestreitet Sontag, dass die sexuelle Reaktion sich von anderen emotionalen Reaktionen (Gelächter, Weinen, Empörung usw.) so kategorisch unterscheide, dass Kunst zwar auf die letzteren, nicht aber auf die erstere zielen dürfe. Die Heuchelei, die bei diesem Argument oft im Spiel sei, offenbare sich etwa dann, wenn Kritiker bei bestimmten Werken (von Chaucer bis D. H. Lawrence), die sie als Hochliteratur anerkannt sehen wollen, über deren pornografische Qualitäten geflissentlich hinwegsehen. Sontag bestreitet nicht nur, dass der Appell an die sexuelle Reaktion einen Text ästhetisch entwerte, sie arbeitet auch heraus, wie hochwertige pornografische Literatur Absichten verfolgt, die über die bloße sexuelle Erregung der Leser weit hinausgehen, etwa Konversion (siehe weiter unten). Dramatische Gestalt. Ein fünftes Argument, mit dem unter anderen Theodor W. Adorno der Pornografie eine Literarizität aberkannt hat, ist jenes, dass pornografische Texte keinen dramatischen Aufbau mit Anfang, Mitte und Schluss haben. Sontag macht dagegen geltend, dass einige hochwertige pornografische Werke, etwa "Die Geschichte des Auges" und "Das Bild" durchaus eine konventionell lineare Erzählstruktur aufweisen und in einen sorgfältig motivierten Schluss münden. Umgekehrt gibt es ausgewiesene Hochliteratur wie z. B. die Arbeiten von Gertrude Stein oder William S. Burroughs, in denen überhaupt keine Erzählstruktur zu erkennen ist. Noch schwerer wiegt Sontags Argument, dass die Pornografie als selbstständiges Genre ihre "eigene" Erzählstruktur habe, die nun einmal durch serielle sexuelle Begegnungen und einen abrupten Handlungsabbruch definiert sei. Sprache und Stil. Sechstens schließlich wurde als Argument gegen Pornografie als Literatur geltend gemacht, dass die Autoren der sprachlichen Ausgestaltung oft wenig Aufmerksamkeit widmen und dass der Sprache – als bloßem Instrument zur Evokation von außersprachlichen Phantasien – insgesamt kein hoher Stellenwert eingeräumt werde. Sontag führt hier als Gegenbeispiel den Roman "Geschichte der O" an, dessen Sprachniveau gehoben und geradezu keusch sei. Gemeinsamkeiten von Pornografie und anderen Genres. Science-Fiction. Beiläufig weist Sontag in ihrem Essay auf, dass zwischen Pornografie und Science-Fiction – einem Genre, über das sie bereits 1965 geschrieben hatte – mehrere Parallelen bestehen. So teilen beide Genres das Schicksal, dass die überwältigende Mehrzahl der Arbeiten zu Recht als Schundliteratur eingestuft wird, was im oben bereits dargestellten Pars-pro-toto-Fehlschluss oft dem Genre selbst vorgeworfen wird. Eine weitere Parallele besteht darin, dass in beiden Genres die Imagination so anschwillt, dass die daraus hervorgehende Fiktion einer harten Plausibilitätsprüfung oft kaum standhalten würde. Der Darstellung von astronomisch Unrealistischem und physikalisch Unmöglichem in der Science-Fiction entsprechen in der Pornografie Darstellungen von unrealistischen Sexualorganen und von unrealistischen Sexualakten, die von realen Menschen oft weder ausgeführt noch tatsächlich genossen werden könnten. Sontag verteidigt solche Exzesse der Phantasie mit dem Hinweis, dass die Verwendung von genretypischen Topoi einen Text nie zur Nicht-Literatur machen könne, sondern im Gegenteil ein anerkanntes Merkmal von Literarizität sei. Eine dritte Gemeinsamkeit sieht Sontag daran, dass zumindest die anspruchsvollsten Werke in beiden Genres – über alle anderen Ziele, die darin verfolgt werden, hinaus – letztlich auf eine Desorientierung, auf seelische Verwirrung ("at disorientation, at psychic dislocation") zielen. Komödie. Eine wichtige Parallele sieht Sontag auch zwischen Pornografie und Komödie. So werden in beiden Genres die Figuren gewöhnlich nur von außen und mit wenig Tiefe dargestellt werden. Selbst in den bizarrsten Situationen bleiben sie emotional scheinbar unberührt (in der klassischen Filmkomödie z. B. Buster Keaton). Ebenso wie in Komödien die Komik oft aus einem grotesken Gegensatz von frenetisch bewegter Situation und erstarrtem Gefühlsausdruck der beteiligten Figuren entsteht, entsteht in der Pornografie – so meint Sontag – für das Publikum die erotische Spannung gerade aus demselben Gegensatz, also gerade daraus, dass die in außerordentlichen sexuellen Aktivitäten begriffenen Personen möglichst wenig Gefühle erkennen lassen. Religiös inspirierte Literatur. Ein drittes literarisches Genre, in dem Sontag Parallelen zu Strukturprinzipien der Pornografie findet, ist die religiös inspirierte Literatur. Wie die Sexualität, so ist auch die Religion eine der menschheitsgeschichtlich ältesten Ressourcen, aus denen Menschen schöpfen, um Zustände von Ekstase zu erreichen. In den von Sontag untersuchten pornografischen Werken suchen die Hauptfiguren weitaus mehr als nur sexuelle Triebabfuhr: Sie leben ihre sexuellen Obsessionen mit der Unbedingtheit und Zielstrebigkeit aus, die in anderen literarischen Werken für Figuren charakteristisch ist, die von religiösen Obsessionen angetrieben werden. Sontag lehnt es strikt ab, hier von Krypto-Religiosität zu sprechen; doch verwenden Werke wie "Geschichte der O" nicht nur religiöse Metaphern, sondern zielen ihrer Auffassung nach in gewissen Sinne auch darauf ab, Menschen zu bestimmten Einstellungen zu bekehren. Als weiteres Bindeglied zwischen Pornografie und religiöser Literatur nennt Sontag die "Absolutheit" beider Genres. So gehe es in der pornografischen Literatur stur um sexuelle Absichten und um sexuelle Aktivitäten; anderes finde hier grundlegend keinen Platz: Auch in vielen religiös inspirierten Werken wird sämtliches Geschehen in religiöse Dichotomien (heilig vs. profan usw.) übersetzt. Sontag schließt daraus, dass Absolutheit kein valides Kriterium sein könne, um aus einem Text Nicht-Literatur zu machen. Die im Essay erwähnten literarischen Werke. Zur Veranschaulichung ihrer Argumentation zur pornografischen Phantasie zieht Sontag verschiedene Autoren und Einzelwerke der (meist erotischen) Literatur heran, darunter beiläufig das dem Earl of Rochester zugeschriebene Drama "Sodom" (1684), John Clelands Roman "Fanny Hill" (1748), Oscar Wildes "Teleny" (1895) und Apollinaires "Les Onze Mille Verges" (1907), die sie, ebenso wie den nachfolgend aufgeführten Roman "Candy", ungeachtet der hohen Reputation der meisten der Autoren allesamt als ästhetisch minderwertig einstuft. Charakteristisch für die von Sontag am höchsten bewerteten Titel ist, dass diese im englischsprachigen Raum erst sehr spät Verbreitung erlangt haben: Marquis de Sade: "Die 120 Tage von Sodom", "Justine". Sontag geht in ihrem Essay auf zwei Romane von de Sade ein: In seinem 1787 verfassten, aber erst 1904 veröffentlichten, nur skizzenhaft ausgeführten Roman "Die 120 Tage von Sodom" berichtet de Sade in strenger Systematik und Choreografie von den sadistischen Orgien, die vier reiche Franzosen an 48 ausgewählten Sexualobjekten vollziehen, von denen die meisten dabei ums Leben kommen. Der 1787 geschriebene und 1797 veröffentlichte Roman "Justine" erzählt die Geschichte einer in Armut geratenen tugendhaften jungen Frau, die einer langen Reihe von grausamen Verfolgungen und Erniedrigungen unterworfen wird und am Ende ebenfalls ums Leben kommt. Während de Sade im englischsprachigen Raum auch zum Zeitpunkt der Entstehung von Sontags Essay noch in erster Linie als eine Figur der Geschichte der Psychopathologie galt, wurde er in Frankreich schon von vielen Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts (besonders Baudelaire, Flaubert, Breton und den Surrealisten) enthusiastisch rezipiert und nach dem Zweiten Weltkrieg von Schriftstellern und Intellektuellen wie Paulhan, Bataille, Leiris, Lély, Klossowksi, Blanchot und Beauvoir in seiner Bedeutung als ernstzunehmender radikaler Denker autoritativ bestätigt. Sontag erwähnt de Sade in ihrem Essay erstens, weil er für die moderne Pornografie wesentliche Grundlagen geschaffen hat, und zweitens, weil sein Werk und die davon beeinflusste jüngere pornografische Literatur der wichtigste Bezugspunkt in der Intertextualität des Romans "Geschichte der O" ist, den Sontag in diesem Essay ebenfalls als beispielhaft behandelt. Deutlich erkennbar sind die Anleihen, die die "Geschichte der O" bei de Sade macht, nicht nur beim sadomasochistischen Thema, sondern auch bei den anachronistischen und stereotypen Kulissen, in denen die Autorin die Folterszenen der Haupthandlung ansiedelt. Damit enden die Querverbindungen zwischen de Sade und "Geschichte der O" aber auch schon. Charakteristisch ist für de Sades Werk – ebenso wie für einen Großteil der Pornografie überhaupt –, dass es mit Figuren bevölkert ist, die weder einen Willen noch Intelligenz noch ein Erinnerungsvermögen erkennen lassen. Um sexuelle Begegnungen in extremer Reinkultur darzustellen, liquidiert de Sade daraus alles Persönliche, die Teilnehmer sind vollkommen austauschbar. Dabei gilt sein Interesse gar nicht der Lust als solcher, sondern der Lust an der Transgression, die er bis ins letzte Extrem auszuloten sucht. Sontag beschreibt "Die 120 Tage von Sodom" als eine intellektuelle Odyssee, die de Sade in die Transgression unternimmt, als eine Summa, ein Kompendium der pornografischen Phantasie. Weil der Transgressionspassion eine endgültige Erfüllung grundlegend verwehrt bleibt (jede Transgression könnte durch eine noch ungeheuerlichere überboten werden), kommt de Sade in dem Roman freilich zu keinem Schluss; statt zu kulminieren, besteht die Handlung aus endlosen Variationen immer neuer blutrünstiger Exzesse, die das Publikum, wie Sontag kritisiert, in ihrem schematischen, mechanistischen Charakter letztlich ermüde. Mit de Sade hatte Sontag sich, eher beiläufig, bereits 1965 in ihrer Marat/Sade-Rezension ("Marat/Sade/Artaud") beschäftigt. Pierre Louÿs: "Drei Schwestern und dazu die Mutter". Der bereits um 1910 entstandene, aber erst 1926, postum veröffentlichte Roman "Trois filles de leur mère", der als Pierre Louÿs’ Meisterwerk gilt, erzählt von den heiteren erotischen Abenteuern, die der sexuell unersättliche zwanzigjährige X mit der Prostituierten Teresa und ihren drei Töchtern Charlotte, Mauricette und Lili erlebt. Sontag zieht das Beispiel heran, weil dieses Werk, das nach ihren Kriterien zweifellos Hochliteratur ist, im Gegensatz zu den anderen von ihr untersuchten Arbeiten nicht dem Tode zugewandt, nach Sontags Definition also nicht "obszön" ist. James Joyce: "Ulysses". James Joyce’s 1922 veröffentlichter Roman "Ulysses" gilt, weil er mit grundlegenden Konventionen des literarischen Realismus des 19. Jahrhunderts – etwa dem Prinzip, dass Figuren als individuelle Persönlichkeiten konzipiert sein müssen – auf künstlerisch äußerst anspruchsvolle Weise radikal bricht, als für die literarische Moderne richtungsweisend. Beide weiblichen Figuren des Romans, Molly Bloom und Gerty MacDowell, sind an explizit dargestellten sexuellen Handlungen beteiligt, was den Roman, bevor Gerichtsentscheidungen die Publikation ermöglicht haben, sowohl in Großbritannien als auch in den USA mit den Zensurbehörden in Konflikt gebracht hatte. Georges Bataille: "Die Geschichte des Auges", "Madame Edwarda". Bataille schrieb seine pornografischen Werke unter Pseudonym, darunter "Histoire de l'œil" (1928, als „Lord Auch“) und "Madame Edwarda" (1941, als „Pierre Angélique“). Der kurze Roman "Histoire de l'œil" erzählt in losen Episoden die erotisch leidenschaftliche Liebesgeschichte, die der Erzähler einst mit seiner Freundin Simone hatte. Beide Teenager haben eine Vorliebe für ausgefallene Sexualpraktiken, die im Handlungsverlauf immer weitere Steigerungen erreichen. Die mit Blasphemien spielende Erzählung "Madame Edwarda" handelt von einer verrückten Bordellprostituierten, die behauptet, Gott zu sein. Sontag zieht das Beispiel von "Histoire de l'œil" heran, um zu illustrieren, wie dieses künstlerisch radikale Werk in den USA und in Großbritannien nur aus dem einen Grunde als „reine“ Pornografie und als „unerklärlich ausgefallener Schund“ ("inexplicably fancy trash") hat eingestuft werden können, weil nämlich im englischsprachigen Raum jene schwierige Neubestimmung des Litarizitätsbegriffs ausgeblieben ist, die in Frankreich für die Entstehung von Werken wie "Histoire de l'œil" überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen hat. Kennzeichnend für Batailles erotische Arbeiten ist deren Düsterheit. Wie de Sade begibt Bataille sich darin auf eine alles vereinnahmende Suche nach Transgression. Während de Sade seine Leser mit grellen Akten von Schändung und Besudelung geradezu überschüttet, setzt Bataille Transgressionen jedoch weitaus sparsamer, subtiler, konzentrierter und treffsicherer ein, womit er, wie Sontag findet, eine ungleich stärkere und ungeheuerlichere Wirkung erzielt. Zur Kompaktheit und hohen Dichte von Batailles Werkes trägt auch bei, dass die Figuren bei ihm nicht austauschbar sind. Grundlegender als alle anderen Autoren, die Sontag untersucht hat, hat Bataille in seinem pornografischen Werk das herausgearbeitet, was Sontag als das "Obszöne" bezeichnet, eine Erotik der Agonie (siehe weiter oben). Ein weiteres grundlegendes künstlerisches Problem der Pornografie, für das Bataille – anders als de Sade – eine Lösung gefunden hat, ist der Schluss. Die Handlung von "Histoire de l'œil" ist hoch strukturiert mit einer Parade absichtsvoll ausgewählter Objekte (beginnend mit einem Ei und endend mit einem menschlichen Augapfel), die die Stationen der Befriedigung einer erotischen Obsession markieren, wobei die Transgression jedes Mal gesteigert wird und ihren Höhepunkt im letzten Objekt findet, das gleichzeitig nur eine andere Version des ersten ist. Jean Genet: "Notre-Dame-des-Fleurs", "Wunder der Rose". Jean Genets autobiografisch inspirierter Debütroman "Notre-Dame-des-Fleurs" (1944) erzählt die in der schwulen Pariser Unterwelt angesiedelte Geschichte der Drag Queen Divine, wobei sexuelle Inhalte so stark hervortreten, dass Sartre das Werk als „das Epos der Masturbation“ ("l'épopée de la masturbation") bezeichnet haben soll. Genets zweiter Roman, "Miracle de la Rose" (1946) spielt unter jungen schwulen Gefangenen in einer französischen Strafkolonie. Sontag erwähnt diese beiden Romane in ihrem Essay deshalb, weil sie zwar reich an expliziten Darstellungen sexueller Handlungen sind, diese von den meisten Lesern aber nicht als pornografisch bzw. als sexuell erregend empfunden werden. Sontag erklärt das damit, dass der Autor, auch nach eigenem Bekunden, beim Schreiben selbst erregt war und seine Figuren zu emotional aufgewühlt dargestellt hat, um seinen Lesern ausreichend Freiraum für ihre eigene Erregung zu lassen, was Sontag für eine "conditio sine qua non" jeder echten Pornografie hält (vgl. dazu den Abschnitt zu Pornografie und Komödie). Anne Desclos: "Geschichte der O". Der unter dem Pseudonym "Pauline Réage" veröffentlichte sadomasochistische Roman "Histoire d’O" (1954) von Anne Cécile Desclos erregte zum Zeitpunkt seines Erscheinens unter anderem deshalb besonderes Aufsehen, weil er als Darstellung weiblicher Unterwerfung von einer Frau geschrieben war. Das mit dem Prix des Deux Magots ausgezeichnete Werk erzählt die Geschichte einer erfolgreichen Pariser Fotografin, die sich aus Liebe zu zwei Männern und um vollkommene sexuelle und persönliche Erfüllung zu finden, zur Sub ausbilden lässt. Sontag zieht das Beispiel dieses Romans vor allem heran, um aufzuweisen, wie ein einschlägiges Werk der Pornografie die ästhetischen Kriterien für Hochliteratur erfüllen kann. So reiht "Geschichte der O" nicht einfach nur Szenen aneinander, an denen die Leser sich sexuell erregen können, sondern bietet eine kunstvoll ausgearbeitete Narration mit Anfang, Mitte und Schluss. Die Sprache ist elegant und sorgfältig ausgearbeitet. Die Figuren werden von intensiven Emotionen (wenn diese Emotionen auch obsessiv und unsozial sein mögen) und von Motiven angetrieben (wenn diese Motive auch keine psychiatrisch und sozialen „normalen“ sein mögen). Sie folgen einer „Psychologie“ (wenn dies auch eine von der Psychologie der Lust abgeleitete Psychologie sein mag). O und ihre Partner werden (wenn sie auch hauptsächlich in sexuellen Situationen dargestellt werden mögen) als Persönlichkeiten nicht verkürzter dargestellt als die Figuren in vielen anderen Werken der zeitgenössischen Literatur. Beiläufig weist Sontag auf, dass das Werk nicht einmal durch seine Bezugnahme auf Schundliteratur Schaden nimmt. Die Intertextualität von "Geschichte der O" umfasst außer dem Werk de Sades und dessen Rezeption bis hin ins 20. Jahrhundert auch die Potboilerliteratur des französischen "Roman libertin" des 19. Jahrhunderts mit ihren brutalen englischen Aristokraten, die in den reich ausgestatteten Folterkammern ihrer finsteren Schlösser ihren sadomasochistischen Vorlieben nachgehen; zu den offensichtlichsten Verweise der "Geschichte der O" auf den "Roman libertin" zählen die anachronistischen Kulissen der Haupthandlung und die Figur des Sir Stephen. Zum Werk de Sades weist "Geschichte der O", wie Sontag in ihrem Essay herausarbeitet, neben Gemeinsamkeiten auch wichtige Unterschiede auf. So folgt die Handlung, statt dem Prinzip eines Katalogs oder einer Enzyklopädie, einer Logik der Ereignisse. O und René (später: O und Sir Stephen) bilden, was für pornografische Literatur eher ungewöhnlich ist, ein "Paar". O hat sowohl ein Bewusstsein als auch Gefühle (wenn letztere auch stets bei einem Thema bleiben mögen), die aus ihrer Perspektive und mit Sorgfalt beschrieben werden. Während bei de Sade alle Sexualpartner austauschbar sind, reagiert O auf unterschiedliche Personen unterschiedlich. Während de Sades Sexualobjekte, z. B. Justine, aus stereotyper männlicher Perspektive als immer gleich perplexe Opfer dargestellt werden, deren Bewusstsein von dem, was ihnen zustößt, weder geformt noch beeinflusst wird, befindet O sich auf eine aktiven Suche; sie lernt, leidet und verändert sich. Sie nimmt Schmerz und Angst in Kauf, weil sie in ein Mysterium eingeweiht werden will: das Mysterium des Verlustes und der Transzendenz ihres Selbst. Während de Sades sich an der Austilgung der Persönlichkeit vom Standpunkt von Macht und Freiheit interessiert, geht es bei "Geschichte der O" letztlich jedoch um eine Suche nach Glück. Sontag bezweifelt, dass die in dem Roman weithin verwendeten religiösen Metaphern wirklich religiös gemeint sind, und stuft ihn als reines erotisches Buch ein. Sontag zieht "Geschichte der O" schließlich auch als Beispiel für ein pornografisches Werk heran, das Parallelen zur literarischen Tragödie aufweist. So wird die tiefreligiöse, ernste Grundstimmung des Romans kaum aufgehoben und die Hauptfigur strebt, selbst wenn sie nicht tatsächlich stirbt, im Sog der inneren Handlungsdynamik unausweichlich dem Tode zu. Catherine Robbe-Grillet: "Das Bild". Der unter dem männlichen Pseudonym "Jean de Berg" von Catherine Robbe-Grillet publizierte kurze Roman "L'image" (1956) erzählt aus der Perspektive des Ich-Erzählers Jean von dessen Dreiecksbeziehung zu zwei Frauen, der Fotografin Claire, und Anne, die Claires Sub ist. Zwar überlässt Claire ihm Anne als Sub, doch beschränkt Jean sich zunächst weitgehend auf die Rolle eines Voyeurs und folgt erst allmählich Claires suggestiven Anleitungen, Anne als Top aktiv zu dominieren. Nach vielen rätselhaften und erotisch stark aufgeladenen Interaktionen zwischen allen drei Figuren erweist Anne sich im letzten Kapitel als das Spiegelbild von Claire, die das eigentliche Ziel von Jeans Liebe ist und die ihm, bevor sie seine Geliebte wird, keineswegs bloß ein erotisches Spielzeug, sondern vielmehr eine Projektion ihrer selbst geschickt hat, um ihn zu lehren, wie er sie lieben soll. Sontag zieht auch dieses Beispiel wegen seiner außergewöhnlich hohen literarischen Qualität heran, die sich unter anderem im komplexen Spiel mit der Metapher des „Bildes“, aber auch in der anspruchsvollen Handlungsführung mit gleichzeitig überraschendem und dramatisch zwingendem Schluss ausdrückt, wobei der Roman – anders als "Geschichte der O" – nicht als Tragödie, sondern als Komödie, nämlich mit einem glücklichen Handlungsausgang angelegt ist. Terry Southern, Mason Hoffenberg: "Candy und die sexte der Welten". Terry Southern und Mason Hoffenbergs 1958 unter dem Pseudonym "Maxwell Kenton" veröffentlichter Roman "Candy" erzählt die pikaresken Abenteuer einer attraktiven jungen Frau, deren naiver Altruismus von lüsternen Männern ausgebeutet wird, sodass sie von einer burlesken sexuellen Situation in die nächste stolpert. Das Werk erwies sich unfreiwillig als Projektionsfläche für einige Kritiker, die darin einen intertextuellen Bezug zu Voltaires Satire "Candide oder der Optimismus" zu erblicken glaubten, der von den Autoren jedoch keineswegs beabsichtigt gewesen war ("„Es ist, als ob du in die Gosse kotzt und alle fangen an zu sagen, dass das die großartigste neue Kunstform sei.“"). Das Buch erwies sich als Bestseller und wurde nicht nur in mindestens 14 weitere Sprachen übersetzt, sondern 1968 auch als Film adaptiert. Sontag erwähnt "Candy" als Beispiel für solche pornografische Literatur, die – hier: trotz einer Hype um angebliche künstlerische Qualitäten – den Standards für Hochliteratur "nicht" genügt. Weitere Entwicklung des Diskurses. Ästhetische Perspektive: Paraliteratur. Sontag wurde mit diesem Essay zu einer der Initiatorinnen einer ganzen Bewegung zur Rehabilitierung literarischer Genres, die ohne rechte Begründung von Literaturwissenschaft und Literaturkritik stets marginalisiert worden sind. Erstes Momentum erreichte diese um 1970, als der französische Essayist Jean Tortel und der frankokanadische Literaturwissenschaftler Marc Angenot den Begriff „Paraliteratur“ als wertfreien Sammelbegriff für solche Literatur in den kulturellen Diskurs eingeführt haben, die aufgrund ihrer oft geringen ästhetischen Qualität gewöhnlich als irrelevant eingestuft wird. Noch weitere Publizität erlangte der Begriff, als 1991 Fredric Jameson in seinem Werk "Postmodernism" darüber schrieb. Medienpsychologische Perspektive: Die "Feminist Sex Wars". Sontag hatte bei ihrer Parteinahme für die Pornografie nicht nur konsequent ästhetisch argumentiert, sondern diese Perspektivenwahl auch schon in der Einleitung des Essays ausdrücklich zu ihrem Programm erklärt. Damit distanzierte sie ihre Überlegungen zur Pornografie explizit von einer sozialgeschichtlichen, einer psychologischen und von jeder anderen Betrachtungsweise. Was sie 1967 noch nicht hatte vorhersehen können, war eine vierte Betrachtungsweise, die den gesellschaftlichen Pornografiediskurs um 1980 im Gefolge der zweiten Welle der Frauenbewegung zu prägen begann: eine feministisch ausgerichtete medienpsychologische Perspektive, deren zentraler Gegenstand die Frage war, ob Pornografie Frauenfeindlichkeit zum Ausdruck bringe und lehre. Da Sontag Medienwirkungsfragen in ihrem Essay weitestgehend ausgespart hatte, wurde dieser in der zweiten Welle der Frauenbewegung höchstens am Rande rezipiert. Bis weit in die 1970er Jahren blieb der ästhetische Blick auf Pornografie zunächst noch verbreitet. So deutete Andrea Dworkin, die später als Radikalfeministin hervortrat, den Roman "Geschichte der O", der sie bei aller Kritik unübersehbar faszinierte, in einer 1974 veröffentlichten Rezension noch als jüdisch-christliches und spirituelles Ritual. Die britische Schriftstellerin Angela Carter folgte Sontag 1979 in deren Verteidigung de Sades, indem sie argumentierte, dass de Sades weibliche Ikonografie insofern wegweisend gewesen sei, als er im radikalen Bruch mit den patriarchalischen Stereotypen seiner Zeit herausgestellt habe, dass die Ehre der Frau nicht in ihrer Vagina, sondern in ihrem Geiste lokalisiert sei. Die Lage änderte sich grundlegend nach Beginn der Institutionalisierung der feministischen Forschung und der sogenannten Feminist Sex Wars. So gelangte die Philosophin und Mitbegründerin des Ökofeminismus Susan Griffin in ihrem 1981 veröffentlichten Buch "Pornography and Silence" zu einer Position der bedingungslosen Ablehnung von Pornografie. Griffin beschrieb Pornografie in diesem Werk als "„einen Ausdruck nicht von menschlichen erotischen Gefühlen und Sehnsüchten, und nicht von einer Liebe oder einem Leben des Körpers, sondern von einer Angst vor körperlicher Erkenntnis und einem Wunsch, den Eros zum Schweigen zu bringen“". 1982 ließ sie eine Rezension von "Geschichte der O" folgen, in der sie eine Kritik am Sadomasochismus vorstellte, der nach ihrer Auffassung die faschistische Rache der (als männlich verstandenen) Kultur an der (als weiblich verstandenen) Natur repräsentiert. Bereits 1981 hatte auch Dworkin ihre Auffassung vorgetragen, dass Pornografie Frauen entmenschliche und Gewalt gegen Frauen fördere, wobei die letztere im Anschluss an Brownmiller als ein Mittel gedeutet wird, mit dem in patriarchalischen Gesellschaften männliche Dominanz auf exemplarische Weise – also als Signal an "alle" Frauen – durchgesetzt werde, eine Position, der auch innerhalb des Feminismus widersprochen worden ist (z. B. Ann J. Cahill). Aus dem Sex-positiven Feminismus entstand zur gleichen Zeit eine pro-pornografische Strömung. In Deutschland vertraten Feministinnen wie Alice Schwarzer (PorNO-Kampagne) später ähnliche Positionen wie Dworkin, ohne sich allerdings mit einzelnen Werken der erotischen Literatur so detailliert auseinandergesetzt zu haben, die dies Dworkin und Griffin getan hatten. Einzelnachweise. Alle Seitenangaben im Artikel beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf den Abdruck von "The Pornographic Imagination" in der amerikanischen Originalausgabe des Sammelbands "Styles of Radical Will" von 1969.
Dümpten ist eine alte bäuerliche Streusiedlung, die in der nördlichsten Spitze des bergischen Landes zwischen den Ruhrhöhen und der Emscherniederung liegend, sich erst im Zuge der Industrialisierung zu einem Industriestandort entwickelte. Im Zuge einer Neuordnung des Raumes wurde Dümpten teilweise Mülheim und teilweise Oberhausen zugeordnet. Hier wird der Mülheimer Stadtteil behandelt. Lage. Der nördlichste Mülheimer Stadtteil des Stadtbezirks Rechtsruhr-Nord grenzt an Heißen, Altstadt II und Styrum. Weiterhin grenzt er an die Oberhausener Stadtteile Styrum und Dümpten und die Essener Stadtteile Bedingrade und Schönebeck. Die A 40 durchschneidet den Stadtteil. Der größte Teil liegt nördlich der Autobahn A40. Geschichte. Dümpten gehörte zusammen mit dem Oberhausener Stadtteil im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit zur bergischen Herrschaft Broich, zuletzt zur Bürgermeisterei Styrum. Bis etwa zum Ende des 19. Jahrhunderts bestand die Gemeinde Dümpten aus verstreut liegenden Höfen, die durch Wege verbunden waren, zum Beispiel die Denkhauser Höfe oder den alten Zehntweg. Am Rande der Ruhrhöhen führt die Mellinghofer Straße entlang und teilt die Bauerschaft in Oberdümpten und Unterdümpten. Der Stadtausbau entwickelte sich vor allem entlang dieser Straße. 1904 wurde Dümpten von der Bürgermeisterei Styrum gelöst und bildete dann bis 1910 eine eigene Bürgermeisterei. Das repräsentative Gebäude an der Mellinghofer Straße, Ecke Beutherstraße, heißt heute noch Bürgermeisteramt. Es beherbergt noch öffentliche Einrichtungen. Die kurze Beutherstraße ist nach dem einzigen Dümptener Bürgermeister benannt. Der am 1. April 1910 nach Mülheim eingemeindete Stadtteil Dümpten besteht im Wesentlichen aus Oberdümpten. Da dem damaligen Mülheimer Bürgermeister Paul Lembke der nördliche Teil von Unterdümpten zu dicht besiedelt und auch zu stark vom Bergbau und Zechenkolonieen geprägt war, lehnte er dessen Eingemeindung ab und überließ ihn der Stadt Oberhausen. So gehört die Mellinghofer Straße wenig jenseits der Autobahn und das Gebiet der ehemaligen Zeche Roland zu Oberhausen-Dümpten. Lange Zeit noch griffen die Kirchengemeinden in MH-Dümpten auf Oberhausen-Dümptener Gebiet aus. Die Dümptener pflegen die Erinnerung an ihre Eigenständigkeit und nennen den Ort gerne "Königreich Dümpten". Auf der Trasse der jetzigen A 40 verlief "die Zechenbahn" gradlinig von der Zeche Vereinigte Sellerbeck am Rande Oberdümptens über Zeche Roland zum Bahnhof Oberhausen. Alte Straßennamen erinnern an die Bergbaugeschichte der Gegend. Kirchen. Die evangelische Kirche in Oberdümpten wurde 1892, fünf Jahre nach der Konstituierung der evangelischen Gemeinde, vom Wuppertaler Architekten Gerhard August Fischer erbaut (bis 1922 mit spitzem 50 m hohem Turm, heute 32 m). Sie wurde im November 1944 durch einen Bombenangriff erheblich zerstört. Erst im April 1952 konnte sie nach Wiederaufbau neu eingeweiht werden. Seit 1988 steht sie unter Denkmalschutz. Die Orgel stammt von der Vlothoer Orgelbaufirma Steinmann. Sie wurde 1980 umgebaut und zuletzt 2003/4 von der Firma Hans van Rossum aus Andel, Niederlande, umfassend restauriert. Seit Sommer 2018 trägt sie den Namen "Matthäuskirche". Für die Katholiken wurde 1887 eine einfache Kirche erbaut, die ebenfalls in der Nacht zu Allerheiligen 1944 den Bomben zum Opfer fiel. 1954/5 konnte durch den Architekten Alfons Leitl aus Trier die neue Kirche erbaut werden. Sie ist der Schutzheiligen der Bergleute, der Heiligen Barbara, gewidmet (→ St. Barbara (Dümpten)). Für sonstige Sehenswürdigkeiten siehe Liste der Baudenkmäler in Dümpten Verkehr. Der Stadtteil wird durch die Mellinghofer Straße (Landesstraße 450 in der westlichen Umgehung dann Mannesmann-Straße) erschlossen und an das Stadtzentrum sowie an die A 40 angebunden. Auf der Mellinghofer Straße verkehrt auch, von Oberdümpten her kommend, die Straßenbahnlinie 102 (→ Straßenbahn Mülheim/Oberhausen). Freizeit. In Dümpten betreibt das Hotel "Kämpkens Hof" zwischen der A 40 und der Oberdümptener Haupterschließungsstraße, den Denkhauser Höfen, neben Tennisanlagen ein Freibad und einen durch Quellwasser gespeisten Angelteich.
Philipp Brandin (* um 1535 in Utrecht; † 1594 in Nykøbing in Dänemark) war ein niederländischer Architekt, Baumeister und Bildhauer der Renaissance. Biografie. Über die Lebensdaten Brandins und seine Tätigkeit in den Niederlanden ist wenig bekannt. Er soll einen Teil seiner Ausbildung beim Antwerpener Bildhauer Cornelis Floris II. (1514–1575) absolviert haben, bevor er mit anderen niederländischen Künstlern auswanderte. Erst mit seinem Dienst für die mecklenburgischen Herzöge Johann Albrecht I. in Schwerin und Ulrich in Güstrow wurden seine Arbeiten aktenkundig. Es wird davon ausgegangen, dass Brandin mit anderen niederländischen Künstlern durch Herzog Johann Albrecht I. nach Schwerin berufen wurde, um hier bei der Ausgestaltung des Schlosses mit den herzoglichen Wohnräumen und der Schlosskirche mitzuarbeiten. Von 1563 bis 1569 vollendete er in Schwerin die Innengestaltung der von Johann Baptista Parr begonnenen Schlosskirche. Er gestaltete das Taufbecken und schuf mehrere Marmorreliefs mit Historiendarstellungen. Spätestens seit 1567 war Philipp Brandin mit seiner Familie in Wismar ansässig; es wird sogar vermutet, dass er hier seit Beginn seiner Tätigkeit in Mecklenburg Haus und Werkstatt hatte. Für 1577 ist der Erwerb des Hauses Krämerstraße 19 nachgewiesen; das Nachbarhaus befand sich damals bereits zehn Jahre im Besitz des aus Antwerpen stammenden Malers Peter Boeckel. Auch in der Bademutterstraße und an der Frischen Grube hatte Brandin für einige Zeit Hausbesitz. Seine Ehefrau Anna Giese starb 1595 in Wismar, sie hatten vier Kinder. Von Wismar aus erfüllte Philipp Brandin als freier Meister anfänglich auch andere Aufträge. So wurde 1569–1571 nach seinen Plänen eine Brauerei zum Wohnhaus des Ratsherrn und späteren Wismarer Bürgermeisters Hinrich Schabbell an der Schweinsbrücke umgebaut. Das Schabbellhaus, in dem sich heute das Stadtgeschichtliche Museum befindet, ist ein typisches Beispiel eines Profanbaus der Renaissancezeit in Norddeutschland. Brandins Schaffensperiode in Güstrow begann um 1574. Hier entwarf er Pläne für die Domschule am Domplatz. Dieser älteste Schulbau Mecklenburgs wurde 1575 errichtet. Ab 1578 ist seine Mitarbeit als Steinmetz am Güstrower Schloss belegt. Von 1579 bis 1582 wohnte Brandin wieder in Wismar im Haus an der Frischen Grube 15/15A. Durch den Bau des Schabbellhauses bekannt geworden, bekam er mehrere Aufträge als Baumeister. So beauftragte der Wismarer Rat Brandin mit der Herstellung eines "steinernen Wasserkasten." Um 1580 lieferte er die Entwürfe für den wohl bekanntesten Pavillon dieser Zeit, die Wasserkunst auf dem Wismarer Marktplatz. Mit dem für die Wasserversorgung der mittelalterlichen Stadt so wichtigen steinernen Bauwerk wurde aber erst 1594 begonnen. Als "obere Wasserkunst" wurde sie auf dem Markt als architektonisches Kleinod ein Wahrzeichen der Stadt. Durch den Lübecker Steinmetz wurde sie 1602 fertiggestellt und blieb bis 1897 noch in Betrieb. Von 1580 bis 1583 baute Brandin im Stil der niederländischen Backstein-Renaissance für den Geheimrat und Hofmarschall Joachim von der Lühe auf Püttelkow in Güstrow das Haus am Domplatz 16, das auch als "Wallensteins Hofgericht" und "Schauenburgsches Haus" bekannt ist. Die größte Aufgabe in Güstrow war der Bau des Nord- und Ostflügels des Schlosses. 1587 übernahm er diese Aufgabe von den Brüdern Parr und wurde als Architekt und Steinbildhauer eingesetzt. Da am Fürstenhof eine angespannte Finanzlage herrschte, war Brandin zu strenger Sparsamkeit angehalten und musste seine Pläne ändern. Brandin wurde von seinem Dienstherren auch zu anderen Arbeiten herangezogen. 1586 fertigte er für die Dobbertiner Klosterkirche eine Sandsteinfünte, stilistisch als typisches Werk der mecklenburgischen Renaissance niederländischer Prägung. Sie ist in Vasenform, kelchförmig und plastisch reich verziert mit Hermenpilastern, Fruchtgehängen und Beschlagwerk. Die Inschrift der Kartusche lautet: JOACH. V. D. LVHE. FFT. Gestiftet wurde der Taufstein 1586 durch den Geheimrat und Hofmarschall des Herzogs Ulrich, Joachim von der Lühe auf Püttelkow, der von 1570 bis 1588 Klosterhauptmann in Dobbertin war. 1590 wurde in Brandins Werkstatt für die Klosterkirche Ribnitz ein Wandgrabmal der letzten Äbtissin Ursula, Herzogin von Mecklenburg hergestellt. Im Wesentlichen arbeitet Brandin mit seinen Gesellen in Güstrow an der Neuausstattung des Güstrower Doms, dessen Restaurierung schon 1565 begonnen hatte. Brandin schuf die Epitaphe und Grabdenkmäler aus weißem Alabaster der Herzogin Dorothea und des Fürsten Heinrich Borwin II. Sein Hauptwerk im Dom sind die lebensgroßen knienden Figuren des Herzogs Ulrich mit seinen Ehefrauen Elisabeth von Dänemark und der Herzogin Anna von Pommern. Die Figuren sind ebenfalls in weißem Alabaster gefertigt. Bevor das Epitaph fertig gestellt war, reiste 1590 Philipp Brandin im Auftrag des Herzogs zu dessen Tochter Sophie, die nach dem Tod ihres Mannes, des dänischen Königs Friedrich II., nach Nykøbing auf die Insel Falster vertrieben worden war. Dort leitete Brandin die Umbauarbeiten am königlichen Schloss, besoldet wurde er aber weiterhin von Herzog Ulrich. Vor Abschluss der Arbeiten verstarb Brandin in Dänemark. Seine Gesellen Claus Midow und Bernd Berninger vollendeten das Epitaph im Güstrower Dom, übernahmen die Werkstatt ihres verstorbenen Meisters und erwiesen sich in der Folgezeit als dessen erfolgreiche Nachfolger. Ehrungen. Durch Herzog Ulrich zu Mecklenburg als Hofdiener "mit Hofgesinde außerhalb des Hofes" und einem jährlich festem Gehalt von 50 Thaler ernannt.
Graf Modest Modestowitsch von Korff (, * 30. Juni 1842; † 9. November 1933 in Basel) war Hofmarschall und Zeremonienmeister am russischen Zarenhof von Kaiser Alexander III. Er gehörte zur Gemeinschaftsbewegung in Russland. Leben und kirchengeschichtliche Zeitumstände. Korffs Vater war ein hoher Staatsbeamter unter Nikolaus I. und Alexander II. Er selbst trat mit 18 Jahren in den Staatsdienst ein und wurde mit 19 Jahren als Kammerjunker an den russischen Hof in Sankt Petersburg berufen. Während eines Aufenthalts in Paris im Jahr 1867 kam Korff in Kontakt mit der British and Foreign Bible Society, mit der er einige Jahre zusammenarbeitete. 1870 verteilte er auf Kosten des Heiligen Synods 62.000 russische Evangelien. Unter dem englischen Lord Radstock kam es ab 1874 zu einer geistlichen Erweckungsbewegung in Sankt Petersburg, der sich viele Russen anschlossen und die weit über die Stadt hinaus bekannt wurde. Überall bildeten sich private Kreise, in denen die Bibel gelesen und gebetet wurde. Die Standesunterschiede verschwanden; in den herrschaftlichen Sälen der Adligen trafen sich täglich auch Kutscher und Stallknechte zum Gebet. Man spottete deshalb über den Stallgeruch in den Salons der gläubigen Grafen. Fjodor Michailowitsch Dostojewski hat in seinem Tagebuch eines Schriftstellers auf diese Petersburger Erweckung Bezug genommen. Auf Bitte von Radstock kam der Evangelist und Missionar Friedrich Wilhelm Baedeker nach Russland, um die Neubekehrten im christlichen Glauben zu unterrichten, zu denen auch Korff gehörte. Korff entfaltete zusammen mit anderen Mitgliedern aus dem hohen russischen Adel eine rege evangelistische und soziale Tätigkeit. Er war befreundet mit Oberst Paschkow, einem der reichsten Gutsbesitzer Russlands, Flügeladjutant des Zaren und Begründer der Paschkowianer, mit dem Verkehrsminister Graf Bobrinskij und mit Fürstin Lieven, der Frau des Oberzeremonienmeisters am kaiserlichen Hof Paul von Lieven (1821–1881). Um die Gläubigen in der christlichen Lehre unterrichten zu lassen, lud Paschkow den deutschen Pfarrer und Evangelisten Otto Stockmayer und den Waisenhausleiter Georg Müller aus Bristol ein. In den ersten Jahren erfuhr die Erweckungsbewegung keinen Widerstand, doch 1881 wurde verbreitet, es handele sich hierbei um eine gefährliche sozialistische Partei unter der Maske des Christentums. Große Versammlungen wurden verboten, und so wurden in einzelnen Stadtteilen Sankt Petersburgs zwei Jahre lang Nähabende zur Verbreitung des Evangeliums durchgeführt, die vom Innenminister genehmigt werden mussten. 1876 wurde die "Gesellschaft zur Förderung geistlich-sittlicher Lektüre" mit Oberst Paschkow als Vorsitzendem und Korff als Stellvertreter gegründet, die über eine Million christliche Traktate druckte und kostenlos verteilte. Die Russisch-Orthodoxe Kirche und insbesondere der Ober-Prokurator des Heiligen Synods sahen diese Schriften als gefährlich an, weil darin die Lehren Luthers, Calvins, Zwinglis und Wesleys vertreten würden. Am 1. April 1884 versammelten sich über 70 Vorsitzende verschiedener evangelischer Kreise in Russland zu einer Konferenz in Sankt Petersburg. Nachdem die Polizei alle zugereisten Brüder für einige Stunden verhaftet hatte, wurden alle weiteren Versammlungen verboten. Am 24. Mai 1884 wurde die von Paschkow und Korff gegründete Traktatgesellschaft geschlossen. Der unter polizeilicher Aufsicht stehende Korff wurde vor die Entscheidung gestellt, seine evangelistische Arbeit und die Zusammenkünfte in seinem Haus zu beenden oder Russland zu verlassen. Zusammen mit seiner hochschwangeren Frau wurde er 1884 aus Russland ausgewiesen. Von dort ging er nach Paris, dann nach Baden und später in die Schweiz, wo er das Evangelium verkündete und mit 91 Jahren starb. Nach Korffs Verbannung aus Russland fanden die Versammlungen im Haus der Fürstin Lieven statt.
Turckheim (deutsch: "Türkheim") ist eine französische Gemeinde mit Einwohnern (Stand) im Département Haut-Rhin in der Region Grand Est (bis 2015 Elsass). Die frühere Reichsstadt gehört zum Arrondissement Colmar-Ribeauvillé und zum Kanton Wintzenheim. Geografie. Das Stadtzentrum liegt sechs Kilometer westlich von Colmar auf 232 m über dem Meer an der Fecht. Das Fechttal, das auch als Münstertal bezeichnet wird (nach der Stadt Munster) tritt hier aus den Vogesen in die Oberrheinebene ein. Das Gemeindegebiet ist Teil des Regionalen Naturparks Ballons des Vosges. Die Westhälfte der Gemeinde wird von dicht bewaldeten Höhen der Vogesen bestimmt, die eine maximale Höhe von 840 m Meereshöhe erreichen. Zu Turckheim gehört auch ein Teil des hochgelegenen Weilers "Trois-Épis" im Nordwesten. Der einstige Wallfahrtsort ist heute ein Zentrum für medizinische Versorgung, Kur- und Nachsorgeeinrichtungen. Nachbargemeinden von Turckheim sind Niedermorschwihr und Ammerschwihr im Norden, Ingersheim im Nordosten, Wintzenheim im Osten und Süden, Zimmerbach und Walbach im Südwesten sowie Labaroche im Nordwesten. Geschichte. Aufgrund römischer Funde wird angenommen, dass die Gegend von Turckheim bereits in römischer Zeit besiedelt war. Als germanische Stämme über den Rhein ins Römische Reich einfielen, ließ sich der Stamm der Thüringer hier nieder, der dem Ort zu seinen Namen "Thorencohaime" bzw. "Thuringheim" verholfen haben dürfte. Im frühen Mittelalter gehörte "Thuringheim" zum Teil zur Abtei Münster, zum Teil zur Herrschaft Hohlandsberg. 1312 wurde Turckheim "Freie Reichsstadt", erhielt 1354 bereits Markt- und Stadtrechte und schloss sich im gleichen Jahr dem Elsässischen Zehnstädtebund, der Dekapolis, an. Die drei Tortürme und die Befestigung stammen aus dieser Zeit. Im Westfälischen Frieden erhielt die französische Krone die Habsburger Besitzungen im Elsass zugesprochen und bemühte sich in der Folge um die Herrschaft über die Städte der Dekapolis. 1675 wurde das Heer des Kaisers und das des Großen Kurfürsten durch Turenne in der Schlacht bei Türkheim vor den Toren des Ortes geschlagen, die daraufhin das Elsass endgültig räumen mussten. Die Stadt wurde geplündert. Diese Ereignisse richteten sich besonders auf das nahegelegene, bedeutendere Colmar. Von 1871 bis 1918 und von 1940 bis 1944 gehörte die Stadt – wie auch der Rest des Elsass – wieder zum Deutschen Reich (Reichsland Elsass-Lothringen bzw. Gau Baden-Elsass). Zwischen 1899 und 1937 verkehrte eine elektrische Kleinbahn zum Wallfahrtsort "Trois Épis" ("Drei Ähren"). Denkmäler und Sehenswürdigkeiten. Drei viereckige Türme, die Porte du Brand, die Porte de Munster und die zur Rheinebene weisende Porte de France sind neben Resten der Stadtmauer Zeugnisse der Stadtbefestigung aus dem 14. Jahrhundert. Wie in Obernai wurde auch in Turckheim die Kirche aus dem 12. Jahrhundert abgebrochen. Nur der Turm der Kirche St. Anna blieb neben dem Rathaus ("Hôtel de ville") bestehen. An Turckheims ehemaligem Marktplatz, dem Place Turenne, stehen alte Häuser, die Bürgerstube ("Corps de Garde"), vor der ein sehenswerter Brunnen mit Marienfigur steht. Eines der eindrucksvollsten Fachwerkhäuser Turckheims ist das „Gasthaus zu den zwei Schlüsseln“ ("Hôtel des deux-clefs"), das einen mit geschnitzten Figuren verzierten Erker mit schönen Butzenscheibenfenstern besitzt, der auf einer steinernen Säule ruht. Zwischen Mai und Oktober zieht ein Nachtwächter ("le veilleur de nuit") mit Hellebarde, Laterne, Horn und Gesang um 22 Uhr durch die Gassen. Ein kleines Museum mit Uniformteilen, Handfeuerwaffen und anderen Exponaten informiert über die Kämpfe am Ende des Zweiten Weltkriegs um den „Poche de Colmar“. Wirtschaft und Infrastruktur. Turckheims wirtschaftliche Basis beruht auf einem der wenigen Elsässer Weine, die durch ihre Lage bekannt geworden sind: dem "Türkheimer Brand". Nachdem früher die Textil- und Papierindustrie eine wichtige Rolle spielten, ist heute der Tourismus Haupterwerbszweig in Turckheim. Daneben pendeln viele Einwohner in die Gewerbegebiete des Verdichtungsraumes Colmar. Die Gemeinde besitzt seit 1868 einen Bahnhof an der Bahnstrecke Colmar–Metzeral.
Holzminden ist eine Stadt im südlichen Niedersachsen. Das Mittelzentrum ist die Kreisstadt des Landkreises Holzminden in der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg. Sie beherbergt einen Campus der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Die im Zentrum des Weserberglands an der Weser gelegene Kleinstadt wird als „Stadt der Düfte und Aromen“ beworben, Symrise und Stiebel Eltron sind die wichtigsten Arbeitgeber der Stadt. Geographie. Lage. Holzminden liegt im oberen Weserbergland am Nordwestrand des Sollings im Oberen Wesertal. Etwas weiter nördlich befindet sich der Vogler und jenseits von diesem der Ith. Bis zur niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover sind es auf Bundesstraßen etwa 80 km. Die Stadt, die sich am östlichen Ufer der Oberweser befindet, wird in Südost-Nordwest-Richtung von der Holzminde durchflossen, in die im Stadtgebiet die von Osten kommende Dürre Holzminde einmündet; in diese wiederum fließt im östlichen Stadtteil Pipping der von Osten kommende Hasselbach. Direkt nach der Durchquerung des Stadtgebiets mündet die Holzminde am westlichen Stadtrand in die von Süden kommende Weser, die in einigen Holzmindener Stadtbereichen die Grenze zum westlich gelegenen Bundesland Nordrhein-Westfalen bildet. Unmittelbar angrenzende bzw. nahe gelegene nordrhein-westfälische Ortschaften sind Lüchtringen, Stahle und Höxter. An der westlichen Uferseite der Weser liegt etwas weiter südlich von Holzminden und flussaufwärts das Kloster Corvey. Nachbargemeinden. Beginnend im Norden im Uhrzeigersinn grenzen an die Stadt Holzminden die Samtgemeinde Bevern mit dem Flecken Bevern und die gemeindefreien Gebiete Holzminden und Merxhausen (Landkreis Holzminden), das gemeindefreie Gebiet Solling (Landkreis Northeim), die Samtgemeinde Boffzen mit der Gemeinde Derental und das gemeindefreie Gebiet Boffzen (wiederum Landkreis Holzminden), sowie schließlich im Westen der zu Nordrhein-Westfalen gehörige Kreis Höxter mit seiner Kreisstadt Höxter. Stadtgliederung. Überblick Die Stadt Holzminden besteht neben der Kernstadt und dem Ortsteil Allersheim aus den früheren Gemeinden Neuhaus im Solling und Silberborn. Diese Stadtteile kamen im Zuge der Gebietsreform 1973 hinzu. Sie liegen östlich der Kernstadt im Solling und bilden je eine Ortschaft mit Ortsrat. Auch die frühere Gemeinde Mühlenberg, die ebenfalls im Solling liegt, ist ein Holzminder Stadtteil und bildet eine Ortschaft mit Ortsvorsteherin oder Ortsvorsteher. Durch die im Vergleich zu anderen Städten geringe Zahl an Ortsteilen resultiert die Gesamtbevölkerung nur zu etwa zehn Prozent aus eingemeindeten Ortschaften. Stadtteile Die wesentlichen Holzminder Stadtteile haben diese Flächen: Geschichte. Siedlungskern Altendorf. Erstmals erwähnt wurde Holzminden 832 in mehreren Corveyer Schenkungsregistern und Urkunden unter dem Namen "Holtesmeni", "Holtesmini", "Holtesmynne". Nach Jacob Grimm bedeutet der Name soviel wie „Waldgeschmeide“, während Edward Schröder den zweiten Namensteil in seinem Werk „Deutsche Namenkunde“ von 1938 von einer alten germanischen Bezeichnung für einen Bach ableitet: "menni" = Bach. Hierbei wird aber nicht der Ort der heutigen Kreisstadt, sondern ursprünglich das 1922 eingemeindete Altendorf (1275 antiqua villa) bezeichnet, eine Siedlung am Hellweg, der hier die Weser überschritt. Neben der Siedlung Altendorf entstand vermutlich zwischen 1197 und 1202 als Markt- und Zollstädte der Grafen von Everstein die nova plantatio (neue Gründung), deren planmäßige Anlage im Grundriss noch deutlich erkennbar ist. Stadtanlage und Entwicklung im Mittelalter. Im Jahre 1245 erhielt "Holtesminne" (Holzminden) die Bestätigung seines wichtigen Stadtrechtes durch "Otto von Everstein"; seit 1240 war dieser auch im Besitz der Burg Holzminden an der Weser. Otto verkaufte die Stadt 1285 an den Kurkölner Erzbischof Siegfried. Mit Hilfe seines Marschalls Johann I. kam die Stadt an den Lipper Grafen Simon III. Im Jahre 1384 wurde sie vom Mindener Bischof niedergebrannt und ca. zehn Jahre später von einem Bündnis bestehend aus dem Corveyer Bischof, dem Eversteiner Grafen, dem Homburger Edelherren und Herzog Otto I., dem Lipper Grafen wieder abgerungen. In dieser kriegerischen Zeit befand sich vermutlich im 14. und 15. Jahrhundert bei Holzminden auf einer Weserinsel die Wehrstätte Weddelfort. Die Insel selbst verschwand erst im Laufe des 17. Jahrhunderts. Im Jahre 1394 wurde zwischen Corvey und Everstein ein "Borchfrede to Holtesmynne" geschlossen, der ihre Auseinandersetzungen mit dem Haus Braunschweig-Wolfenbüttel und den Homburger Edelherren dokumentierte. Mit der Eversteiner Fehde und Güterübertragungen der Gandersheimer Äbtissin Agnes II. setzte sich Braunschweig-Wolfenbüttel in der Region durch und die Stadt gelangte in ihren Besitz. In einem Mandat an den Abt zu Corvey vom 18. April 1540 wurde das "Stettlin Holzmin" von Kaiser Karl V. in Schutz genommen. Die Befestigungsanlagen der Stadt wurden allerdings nicht, wie es für die Mehrzahl der Städte zutrifft, zu einer mit Türmen bewehrten Ummauerung ausgebaut, sondern man begnügte sich mit der Beibehaltung der anfänglichen einfachen Hafenbefestigung (Wall und Palisade). Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Burg Holzminden aufgegeben; deren Ruinen wurden erst 1860 endgültig abgebrochen. Im Jahre 1565 wurde im westlichen Teil des noch heute bestehenden Marktes ein spitzgiebeliges Rathaus errichtet, welches das Stadtgericht, die Kämmerei, einen Hochzeits- und Gildensaal und einen Ratskeller beherbergte. Es überstand zahlreiche Kriegswirren und Altstadtbrände und musste erst 1821 wegen Baufälligkeit abgerissen werden. 17. und 18. Jahrhundert. In der Folgezeit unternommene Versuche, ihre wirtschaftliche Stellung gegenüber dem benachbarten Höxter zu stärken (unter anderem erster Holzbrückenbau 1619, der durch Eisgang 1620 zerstört wurde), erstickte der Dreißigjährige Krieg. Holzminden wurde 1640 von kaiserlichen Truppen zerstört und niedergebrannt und erholte sich davon nur langsam. Maßgeblich an dem Aufbau der Stadt beteiligt waren auch Handwerker aus Kroatien. Schon vor 1700 hat eine Kaiserliche Thurn und Taxissche Post bestanden. Die braunschweigische Landespost bestand in Holzminden auch schon vor 1743, denn schon vor der Fahrpost Braunschweig – Holzminden im Jahre 1743 gab es eine Route des reitenden Postboten von Braunschweig über Gandersheim, Holzminden weiter nach Paderborn. In lebhafte Bewegung kam Holzminden erst wieder seit Mitte des 18. Jahrhunderts infolge zielbewusster baulicher und wirtschaftlicher Förderung, unter anderem Gründung eines Eisenwerkes 1745 durch den 1742–1763 amtierenden Oberbürgermeister Johann Georg von Langen (1699–1776) und durch die Verbindung der Klosterschule von Amelungsborn mit der Stadtschule. In geistiger Hinsicht setzte sich die lebhafte Bewegung fort mit dem Wirken des Stadtpfarrers und Titularabtes von Amelungsborn von 1775 bis 1779 Johann Friedrich Ludwig Häseler, der als rationalistischer Theologe und Mathematiker Bedeutung erlangte. Bis heute internationale Bedeutung und Beachtung erlangte Georg Ludwig Albrecht von Rantzau, geb. am 21. März 1714 in Holzminden, gest. 1786 als Feldmarschall in französischen Diensten. Er berichtet in seinen 1741 auf Französisch erschienenen Memoiren neben seinen Erlebnissen an den Höfen Europas sehr ausführlich über einen längeren Holzminden-Aufenthalt von Samuel Jacob Falk, berühmt als Baal Shem of London, welchem Georgs Vater Alexander Leopold Anton von Rantzau, General und Reichsgraf, in seinem Domizil in Holzminden Zuflucht vor Verfolgung gewährt hatte. Diese Memoiren sind im französischen Original sehr rar, wurden als einzigartiges Kulturgut mikroverfilmt, sind weltweit katalogisiert und werden im Ausland als Buch nachgedruckt. Im April 1754 wurde ein „Herzogliches Leyhaus“ in der Stadt gegründet, aus dem 1765 die Braunschweigische Staatsbank entstand, die zwei Jahrhunderte später 1970 durch Fusion in der NORD/LB aufging. Im Siebenjährigen Krieg wurde die Stadt am 15. Juli 1757 von den französischen Truppen unter Marschall Louis-Charles-César Le Tellier ohne Widerstand eingenommen und die Häuser geplündert. Im Jahre 1831 wurde in der Stadt die erste deutsche und damit älteste Baugewerkschule durch den Kreisbaumeister Friedrich Ludwig Haarmann gegründet, aus der im Jahr 2000 die Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen hervorging. 19. Jahrhundert. 1800–1849. Von 1811 bis Januar 1814 wurde die Stadt von Franzosen unter Napoleon Bonaparte besetzt und dem Königreich Westphalen angegliedert. Ab 1814 kam Holzminden zum Herzogtum Braunschweig. Im Jahre 1817 befuhr erstmals ein Lastdampfschiff mit Namen „Die Weser“ den gleichnamigen Fluss. 1821 wurde das baufällige Rathaus auf dem Marktplatz abgerissen. Am 1. Januar 1833 wurde die Stadt Sitz der Verwaltung des Kreises Holzminden des Herzogtums Braunschweig mit den Ämtern Holzminden, Eschershausen, Stadtoldendorf, Ottenstein und Thedinghausen. In der Literatur ist Holzminden bekannt durch Wilhelm Raabe (1831–1910), der hier Kindheitsjahre (bis 1845) verlebte, und dessen Erzählungen teilweise hier spielen. Ab 1840 bis in die 1960er Jahre produzierte die "Holzwarenfabrik Fritz Ulrich GmbH". Am 10. Oktober 1843 wurde der Personenschiffsverkehr auf der Weser aufgenommen. Das Schiff „Hermann“ fuhr erstmals von Hameln nach Hannoversch Münden. Besonders der Senator "Friedrich-Wilhelm Meyer" aus Hameln entwickelte den zunehmenden Reiseverkehr mit der Gründung der "Oberweser-Dampfschiffahrtgesellschaft (OWD)" mit den späteren kohlebefeuerten Raddampfern „Kaiser Wilhelm“, „Kronprinz Wilhelm“, „Fürst Bismarck“ und „Graf Moltke“. 2002 musste die OWD, die von den Anrainer-Kommunen mitgetragen wurde, Insolvenz anmelden. Am 19. Oktober 1845 erfolgte die Einweihung des neuen Schulgebäudes in der Neuen Straße, das nach dem Bau der Schule in der Karlstraße 1876/77 zum Rathaus der Stadt umgebaut wurde. Vom 15. Januar bis zum 20. Mai 1849 war Wilhelm Erdmann Florian von Thielau Abgeordneter für Holzminden in der Frankfurter Nationalversammlung. 1849 gründete sich der heute noch bestehende Verein "MTV 49 Holzminden e. V." 1850–1899. Im Jahre 1865 erhielt die Stadt, die zu der Zeit 4788 Einwohner hatte, einen Anschluss an die Bahnstrecke Altenbeken–Kreiensen. Durch die Verbindung der Braunschweigischen Südbahn (Herzoglich Braunschweigische Staatseisenbahn) mit der Königlich-Westfälischen Eisenbahn-Gesellschaft entstand eine wichtige Fernverbindung in das rheinisch-westfälische Industriegebiet und ab 1868 über Magdeburg nach Berlin. Die einst zweigleisige Hauptstrecke verlor durch die Verlagerung von Verkehrsströmen mehr in Nord-Süd-Richtung als Folge der deutschen Teilung nach 1945 an Bedeutung. Sie wurde in Abschnitten auf eingleisigen Betrieb zurückgebaut. 1871 betrug die Einwohnerzahl 5932 Bürger. Im Jahre 1874 wurde die Geruchs- und Geschmackstoff-Firma Haarmann & Reimer gegründet, in welcher das künstliche Vanillinaroma erfunden wurde. Dazu kam 1919 in derselben Branche das Dragoco-Werk. Im Jahre 2002 fusionierten die beiden Firmen zu dem Unternehmen Symrise. Noch heute gilt Holzminden als Zentrum der deutschen Riechstoff-Industrie. Im Oktober 1876 wird die Bahnstrecke Holzminden–Scherfede eröffnet, die für den Personenverkehr bis 1984 in Betrieb blieb und 2006 auch den Güterverkehr einstellte. 1876 wird die Brauerei Hodapp gegründet (1906 umbenannt in Brauerei Ferdinand Hodapp, ab 1912 Firmierung als Brauerei Hodapp & Decker) und ging 1928 in Konkurs. Von 1878 bis 1890 war Holzminden Sitz eines braunschweigischen Landgerichts. 1878 erfolgte auch die Gründung der "Richard Henne KG", einer Spezialfabrik für Asphalt- und Teermaschinen und 1879 gründete der Tischlermeister "Heinrich Koschel" am Hafendamm 3 eine Möbelfabrik. Sie wurde in den 1950er Jahren unter dem Namen "Möbelfabrik Richard Koschel & Co. KG" („RiKO“) weitergeführt. Später kam ein Möbeleinrichtungshaus an der Allersheimer Straße hinzu. 1881 gründete der Architekt und ehemalige Lehrer der Baugewerkschule in Holzminden, Bernhard Liebold eine Zement- und Betonwarenfabrik auf der Wilhelmshütte in Holzminden. Ihm gehörte seit 1873 die "Vorwohler Zementbaugesellschaft B. Liebold & Co." in Vorwohle (heute zur Gemeinde Eimen), die erste Fabrik Portlandzement herstellende Fabrik in Niedersachsen. Das Unternehmen fusionierte später mit dem Unternehmen "Habermann & Guckes" in Kiel und führte bis 1940 den Namen "Habermann-Guckes-Liebold AG", danach "Habermann & Guckes AG". Im Juli 1884 wurde mit dem Bau einer Weserbrücke im Verlauf der späteren Reichsstraße 64 zwischen Holzminden und Stahle begonnen; die Kosten waren auf 287.500 Mark veranschlagt. Am 30. September 1885 wurde die Weserbrücke durch Bürgermeister Hermann Schrader dem Verkehr übergeben und der Betrieb der Fähre eingestellt. Im gleichen Jahr wurde die Holzwarenfabrik "Fritz Ulrich" am Pipping gegründet. 1895 gründete "Carl Reese" eine Blechwarenfabrik für Dauerkonserven in der Allersheimer Straße. 1897 wird das Speditionsunternehmen "Carl Balke", 1899 das Kaufhaus Kösel und 1900 die Spedition "Wilhelm Grote" gegründet. 1894 gründete sich der "Turnverein Deutsche Eiche Holzminden von 1894 e. V." und 1897 der "Männerturnverein MTV Altendorf e. V." 20. Jahrhundert. 1900–1932. Im Jahre 1900 wurden am Sylbecker Berg die "Glashüttenwerke Holzminden" gegründet, die Hohlglasprodukte auf mechanischem Wege herstellen und die "Wasser und Licht Installationsgroßhandlung eG". Außerdem existierte seit Ende des 19. Jahrhunderts noch das Unternehmen "I. Kornberg OHG" des Eigentümers "Israel Kornberg", der einen Altwaren- und Metallhandel betrieb und 1928 auch die Tochtergesellschaft "J. Kornberg jun." für das Kunststeinwerk gründete. Die "I. Kornberg OHG" erzielte 1930 einen Umsatz von 240.000 Reichsmark. Im Jahre 1901 erfolgte die Gründung "Raiffeisenbank Holzminden eG" in Altendorf (ab 1922 zu Holzminden), die 2003 mit der Volksbank Weserbergland eG fusionierte. Im Jahre 1904 wurde die "Hafenbahn" angelegt, die eine Verbindung vom Weserkai zur Bahnlinie Altenbeken-Kreiensen herstellt und anfangs dem Umschlag einer Zuckerfabrik diente, später dem Getreidesilo. Im Jahre 1906 folgte in der Sparenbergstraße die Gründung der Firma "Heyne & Penke" durch "Benno Heyne" und "Heinrich Penke". Die Firma begann anfangs mit der Herstellung imprägnierter Papiere aus Öl und Paraffin. Im Jahre 1910 lebten 11.474 Einwohner in der Stadt. Am 18. April 1913 wurde mit dem VfB Holzminden der erste Fußballverein gegründet, dieser erhielt Ende der 1940er Jahre den Namen Tuspo Holzminden. Im Jahre 1917 übernahm die Maschinenbau Aktiengesellschaft (MAG) Balcke ein Dampfsägewerk in Holzminden. Am 6. August 1913 wurde das III. Bataillon des Preußischen Infanterieregiments 164 Hameln nach Holzminden verlegt und am Lindenhof in Baracken untergebracht. Im Jahre 1914 wurde es an die Front verlegt und hierfür das Infanterieregiment 174 nach Holzminden verlegt. Im Ersten Weltkrieg befanden sich zwei Kriegsgefangenenlager in der Stadt. Zum einen bei den ersten Kasernen an der Bodenstraße für rund 550 Offiziere und 150 Soldaten aus England, Australien und Südafrika. Es unterstand der Kontrolle des Infanterie-Regiments 174 unter dem Kommandanten "Karl Niemeyer". Schon ab 1914 wurden Gefangene aus feindlichen Ländern (unter anderem Osbert Crawford) dort interniert, ebenso wie unerwünschte Deutsche. Die Lebensverhältnisse waren erträglich, obwohl die Gefangenen an Isolation, Mangel und Strafen litten. Die Disziplin und die Strafen waren sehr strikt. Übliche Strafe: „der Mast“. Der Mann wurde zwei Stunden lang am Mast festgebunden. Diese ersten Geiseln wurden 1917 in ihre Länder zurückgeschickt. Anders verlief die zweite Deportation von 1000 Gefangenen im Juli 1918. Die Frauen, welche ebenfalls nach Holzminden kamen, waren schrecklichen, verschlechterten Bedingungen ausgesetzt: Hygienemangel, unendliches Stehen im Regen beim Appell und Versorgungsmangel. Im Juli 1918 kam es in dem Kriegsgefangenenlager für Offiziere zum größten Ausbruchsversuch des Ersten Weltkriegs. 75 britische und australische Offiziere (unter anderem "Captain Stanley Purves" und "Private Dick Cash") nahmen daran teil. Nachdem 29 Gefangenen der Ausbruch durch einen Tunnel gelang, wurde die weitere Fortführung von dem Wachpersonal bemerkt und unterbunden. Zehn Offizieren gelang es später, die Niederlande zu erreichen. Der englische Offizier "Hugh George Durnford", der an dem Tunnelausbruch beteiligt war, schrieb hierzu 1920 das bekannte Buch „The Tunnelers of Holzminden“. Das größere Kriegsgefangenenlager befand sich im Osten der Stadt am Rande des Sollings. Die Wachmannschaft bestand aus einem Landsturm-Infanterie-Reserve-Bataillon unter der Führung von Oberst von Gallus. Im September 1914 kamen fast 400 belgische Kriegsgefangene nach Holzminden und wurden für Baumaßnahmen eingesetzt. Die militärische Führung mit Generalmajor Pflugradt hatte ihren Stab im 1909 gegründeten Landschulheim am Solling. In dem Kriegsgefangenenlager befanden sich bis Kriegsende 1918 rund 2.500 Soldaten, 300 Frauen und 90 Kinder. Im Jahre 1919 eröffnete die Schauburg, ein Lichtspielhaus an der Neuen Straße. Inhaber in den 1930er Jahren war Heinrich Räcker. Ab 1952 war die Inhaberin Margarethe Klein von Diepholt. Die Schauburg existierte bis 1962. Im Jahre 1919 erfolgte die Gründung der "Notbohm Bau GmbH", die 2002 in Konkurs ging. Am 1. Oktober 1921 gründete die Firma "Wilhelm Rosencrantz" die "Wiro-Werke AG" zur Herstellung von Möbeln. Im Dezember 1930 erfolgte die Umbenennung in "Hanseatische Industrie- und Handels-AG" und die Sitzverlegung nach Hamburg. Ebenfalls 1921 wurde die "Dr. Heinr. Abbes und Co., A. G." zur Herstellung von Holzriemenscheiben gegründet und ging im Oktober 1925 in Konkurs. Im Jahre 1922 wurde die unmittelbar angrenzende Ortschaft Altendorf als Ortsteil der Stadt Holzminden eingemeindet. Die Gemeinde Altendorf versuchte dies durch eine Klage gegen den Freistaat Braunschweig und die Stadt Holzminden wegen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes vom 10. Mai 1921 vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich im Januar 1922 zu verhindern, unterlag aber im Rechtsstreit. Im Jahre 1925 wurde in der Fürstenberger Straße das Holzpflaster- und Sägewerk "Ernst Otto Becker" gegründet, dem früher auch ein Baustoff- und Kohlenhandel angegliedert war. Firmeninhaber Ernst Otto Becker war 1932 zugleich Stadtverordneter für die NSDAP. Am 1. Oktober 1927 gründete "Otto Sasse" die gleichnamige GmbH zur Produktion von Sperrholz. Im gleichen Jahr erfolgte die Gründung der "Buch- und Offsetdruckerei Koch". Im Jahre 1928 gründeten "Peter Bachmann" und "Otto Becher" die "Weser-Spannholzwerke GmbH" mit einem Werk in Holzminden und eines in Eschershausen. Im Jahre 1950 beschäftigte das Unternehmen an beiden Standorten 560 Mitarbeiter. Im Jahre 1928 eröffnete Werner Somborn in der Fürstenberger Straße die "Central-Drogerie Somborn", und im gleichen Jahr erfolgte die Gründung des Tennisclub Holzminden von 1928 e. V. Im Jahre 1931 erfolgte die Firmengründung der "Erich Pannecke Maschinenbau-Dreherei GmbH". Am 1. Dezember 1932 erfolgte die Gründung des "Vorschußvereins Holzminden eGmbH", der am 20. März 1939 zur "Volksbank Holzminden eGmbH" umbenannt wurde und ab 1970 nach weiteren Expansionen den Namen Volksbank Weserbergland annahm. Durch eine Anfang der 1930er Jahre gegründete Bürgerinitiative entstand eine Stiftung mit dem Zweck, ein Krankenhaus im evangelischen Geiste zu führen. Das Evangelische Krankenhaus Holzminden wurde daraufhin am 19. März 1933 eröffnet und löste das Städtische Krankenhaus am Hafendamm ab. 1933–1945. Im Jahre 1933 wurde von den Nationalsozialisten ein Thingplatz im Stadtpark errichtet und am 22. September 1934 offiziell eingeweiht. Dieser dient heute als Grill- und Spielplatz und befindet sich unterhalb des 1908 errichteten Kaiser-Wilhelm-Turms. Im Jahre 1934 wurde in dem ehemaligen Krankenhaus am Hafendamm ein Lager des Reichsarbeitsdienstes (RAD) für rund 216 Mann aus den bisherigen Lagern im Kreisgebiet zusammengezogen und bildete die Abteilung 1/185, die den Phantasienamen „Ernst August von Everstein“ führte. Der Arbeitsdienst wurde zur Erschließung von Siedlungsgelände in den heutigen Straßen Grimmenstein, Weiße Breite und Kapellenbrink eingesetzt sowie beim Bau von Forstwegen im Solling. Ebenfalls im Jahre 1934 erfolgte die Gründung der "Otto Künnecke Metallbau GmbH", später auch die "Otto Künnecke Maschinenbau- und Anlagentechnik GmbH", der Firmengründer wurde später zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Im Jahre 1936 wurde der für „volkswirtschaftlich wichtige“ dritte große chemische Betrieb in Holzminden mit staatlichen Subventionen aufgebaut. Die "Braunschweigische Holzverzuckerungs KG W. Grotrian-Steinweg" übernahm die Holzverzuckerungsgesellschaft mbH und errichtete 1938 eine Holzspiritusanlage mit übergroßen Perkolatoren und Destillationsanlagen auf dem Gelände der ehemaligen "Bärtlingschen Essigfabrik". Aus Sägemehl der zahlreichen holzverarbeitenden Industrien der Stadt wurde unter Zusatz verdünnter Schwefelsäure nach dem Scholle-Verfahren Zucker und aus diesem nach Vergärung und Destillation Alkohole verschiedener Sorten von bis zu 400.000 Litern monatlich hergestellt. 1950 beschäftigte das Unternehmen 230 Mitarbeiter. In der Reichspogromnacht 1938 wurde auch die 1838 erbaute Synagoge nahe dem Katzensprung zerstört und 1968 abgebrochen. Eine Tafel im Städtischen Torhaus erinnert seit dem 9. November 1999 daran. Von der ersten Synagoge in Holzminden überhaupt sowie deren Rabbiner wird bereits für die Zeit um 1736 von Feldmarschall und Reichsgraf Georg Ludwig Albrecht von Rantzau berichtet. Am Weserkai wurde von 1939 bis 1941 das kriegswichtige Getreidesilo (Reichsnährstandsilo) in Form eines getarnten 14stöckigen Hochhauses (55 m hoch) erbaut. Bewirtschaftet wird das bis heute größte Bauwerk der Stadt von der "Rudolph Leopold Rieke GmbH & Co", heute "RLR Logistik" als moderner Getreidespeicher mit 45 Silozellen. Am 22. Juni 1941 stürzt zwischen der Allersheimer Straße und Allersheim ein Militärflugzeug vom Typ Bücker Bü 131 ab. Der Pilot Gefreiter "Dieter Reinhard" von der Flugzeugschule in Berlin-Gatow kommt dabei ums Leben. Am 1. November 1941 wird die Stadt wie der ganze Landkreis Holzminden vom Land Braunschweig an Preußen umgegliedert (siehe Freistaat Braunschweig#Gebietsänderung 1941). Am 1. März 1943 verhaftet die Kriminalpolizei acht Sinti in Holzminden, die in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht werden. Im Zweiten Weltkrieg bombardieren und zerstören britische Kampfflugzeuge am 17. Mai 1943 die Edertalsperre und die Möhnetalsperre, dabei fließen über 172.000.000 Kubikmeter Wasser in das Wesertal ab. Die Innenstadt von Holzminden und die Getreidefelder um die Stadt herum werden dabei überflutet. Im Sommer 1943 verlegt das Unternehmen Stiebel Eltron die Produktion vom zerstörten Berlin nach Holzminden. Die Fertigung von Rüstungsgütern wurde mit Mitarbeitern des Stammpersonals aus Berlin, neuen Mitarbeitern aus Holzminden und Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter (überwiegend aus Italien), ab 1. April 1944 am Lüchtringer Weg fortgeführt. Im August 1943 stürzt nahe dem Stadtpark ein Militärflugzeug vom Typ Heinkel He 111 ab. Dabei kommt die Besatzung ums Leben. Es kommt zu weiteren Abstürzen von deutschen (zwei Messerschmitt Bf 109 am 10. Oktober 1943) und alliierten Flugzeugen nahe Holzminden unter anderem durch zunehmende Luftkämpfe mit alliierten Flugzeugen. Im Februar 1944 wird ein US-amerikanisches Jagdflugzeug vom Typ P-38 Lightning durch einen Wehrmachtsoldaten am Standortübungsplatz abgeschossen und stürzt nahe der Einbecker Straße ab. Der US-Pilot verstirbt an der Absturzstelle. Am 31. März 1945 erfolgt ein alliierter Angriff auf das Bahngelände, dabei verfehlen die Bomben ihr Ziel und zerstören zwei Wohnhäuser. Sieben Personen darunter fünf Kinder werden getötet. Am Osterdienstag, 3. April 1945 kamen 158 Menschen bei Bombenangriffen des "XXIX Tactical Air Command" der United States Army Air Forces (mit rund 230 Bombern der Typen B-26, A-20 und A-26) auf die Bahnanlagen ums Leben. Die Flugzeuge starteten vom Flugplatz Clastres und Denain/Prouvy in Frankreich zum Angriff auf die Stadt. In der Folge brannte die Bauwerkschule nach der Explosion von Munition vollständig aus. Die Weserbrücke wurde am 6. April 1945 von deutschen Pioniertruppen gesprengt. Das 3. Bataillon des 331. US-Infanterieregiments (331st Regimental Combat Team) der 83. US-Infanteriedivision nahm am 9. April 1945 von Bevern und Allersheim kommend die Kreisstadt ein. Nach US-Angaben starben 18 Deutsche und über 75 wurden gefangen genommen. Im Zweiten Weltkrieg starben insgesamt über 305 Soldaten mit Geburtsort Holzminden. Auf den Friedhöfen in Neuhaus im Solling (Friedhof Mädchenberg) und in Mühlenberg wurden zwischen 1942 und 1945 ausländische Zwangsarbeiter begraben, die in den Zivilarbeiterlagern der Stadtverwaltung, der Reichsbahn und im Lager in der Liebigstraße in Holzminden untergebracht waren. Auf dem städtischen Friedhof in der Allersheimer Straße befinden sich 182 Einzelgräber und ein Sammelgrab mit 24 Kriegsgefangenen aus Russland, Polen und Ungarn. Zwei Gedenksteine erinnern an die hohe Zahl der ausländischen Toten. Am 15. Mai 1945 wird das US-amerikanische Flugabwehrbataillon "556th Antiaircraft Artillery Automatic Weapons Battalion (Mobile)" mit Hauptquartier in Holzminden stationiert. Es setzt je eine Batterie in Holzminden, Neuhaus im Solling, Deensen und Meinbrexen ein und wird am 2. Juni 1945 nach Antwerpen verlegt. 1946–1999. Nach Kriegsende wurden hier bis zu 10.000 Ostvertriebene, vor allem aus der schlesischen Gemeinde Rębiszów (deutsch: Rabishau) bei Mirsk, einquartiert und integrierten sich nach und nach in die alteingesessene Bevölkerung. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam Holzminden zur britischen Besatzungszone mit einer Militärregierung in Hildesheim. Neben der Einquartierung von britischen Soldaten wurden bis Frühjahr 1948 auch rund 270 norwegische Soldaten der 471. Brigade in Holzminden als Besatzungsmacht stationiert. 1946 wird das vierte chemische Unternehmen der Stadt, die kleinere "Bohnsack & Goseberg GmbH (BOGO)" in der Sollingstraße gegründet und stellte Aromenkonzentrate, Likör- und Feinkostessenzen und Öle her. Im gleichen Jahr entstand auch die "Möbelfabrik Hermann Fischer" in der Rumohrtalstraße. 1948 errichtet das 1880 in Leipzig gegründete Unternehmen "A. Brockmann KG" eine selbstständige Niederlassung in Holzminden zur Herstellung von Futterkalk („Zwergmarke“). 1947 erfolgt die Gründung des GSV (Gymnastik-Sport-Verein) Holzminden, der ursprünglich den Namen Gymnasialsportverein erhielt. 1948 gründet sich der noch heute bestehende Verein "SV Wasserfreunde Holzminden e. V." 1948 erfolgt auch die Gründung des Unternehmens "Druckguß Eberhard Schlicht GmbH & Co. KG", und es wird zu einem Zulieferer der Automobilindustrie. 1949 verlegt die Britische Rheinarmee (BAOR) die in Holzminden aufgestellte 1st Division Engineers (unter anderem mit dem 21 Field Engineer Regiment) von 1950 bis 1952 nach Nienburg. Am 22. Dezember 1949 eröffnet Kurt Krause aus Alfeld (Leine) im Hillebrechtschen Saal in der Niederen Straße mit dem „Capitol“ das zweite Kino der Stadt mit 300 Plätzen. 1949 flüchten die Kaufhausinhaber "Waltraut und Werner Schwager" aus Eisenach nach Holzminden und gründen im Oktober in der Oberen Straße 3 das Textilhaus SCHWAGER GmbH. Am 18. April 1959 folgt die Eröffnung des neuen „Kaufhaus am Markt“. Nach dem Abriss eines Gebäudes in der Neuen Straße, das ein Schauburg-Kino beherbergte, erfolgte 1968 der Neubau des Kaufhauskomplexes, welches 1974 nochmals erweitert wurde. Heute wird das Unternehmen mit rund 170 Mitarbeitern von "Ralf-Hartmut Schwager" geleitet. Am 5. April 1950 eröffnet der Filmkaufmann "Hellmuth Kind" (1897–1975) mit seiner Ehefrau "Gertrud" das Union-Theater (UT) am Markt 4 im Tanzsaal des Hotels „Reichskrone“ (heute Sport-Schwager) mit 450 Plätzen. Es war nach Schauburg und Capitol das dritte Kino in Holzminden und bestand bis 1979. Die Eheleute Kind eröffneten am 14. April 1960 zudem ein weiteres Lichtspielhaus, das Roxy-Kino in der Fürstenberger Straße mit zunächst einem großen Saal mit 535 Plätzen. Dies wurde 1979 an die Firma Brockstedt verkauft, welche das Kino in drei Säle aufteilte. 2012 wurde das zuletzt von K-Motion mit Sitz in Hamburg betriebene Roxy-Kino zunächst geschlossen. Im Mai 2014 erfolgte nach einer Grundrenovierung und Umgestaltung die Neueröffnung des Roxy-Kinos, neue Betreiber erweitererten das Kino im März 2016. Am 14. Oktober 1950 erfolgte die offizielle Brückenweihe der neuen Weserbrücke, nachdem im April 1945 die vorherige zum Ende des Zweiten Weltkriegs gesprengt wurde. 1950 erfolgt die Gründung der "Hamann Speditionsgesellschaft mbH & Co. KG", 1952 der "Druckerei Erwin Simon" und 1953 des "Karosseriefachbetriebes Rüger GmbH". 1954 zieht die "Bernd Laabs Möbelfabrik" (heute: Laabs GmbH) aus Gollnow in Westpommern nach Holzminden unter anderem bekannt durch die ehemalige Traditionsmarke WILAGO. 1960 wurden die Firmen "Hans-Georg Beyer Maschinenbau- und Antriebstechnik" im Lüchtringer Weg und "Florida Chemie Wilhelm Wnuck GmbH" unter anderem als Zulieferer der Bundeswehr (Dekontaminationsmittel, Trinkwasserkonserven), heute "Gregor Chemie GmbH" gegründet. Ein Jahr später folgt am Schlehenbusch durch Kurt Schön die Gründung der "SKM Elektronik KG" für elektronische Baugruppen und gedruckte Schaltungen, die in den 1980er Jahren nach Spittal an der Drau in Österreich verlagert wurde. 1964 schließt das bekannte Kolonialwarengeschäft Paul Otto in der Bahnhofstraße, das der Edeka (früher Eveko) angehörte. 1965 gab es auf der Weser noch einen regen Güterverkehr. Lastkähne, unter anderem der "Bremen-Mindener Schiffahrts-AG (BREMSAG)" und der "Westfälischen Transport-Actien-Gesellschaft (WTAG)" (heute: Rhenus AG & Co. KG), sowie die "Privatschiffervereinigung Oberweser" transportierten zahlreiche Güter weserabwärts. Die Reste der 1938 in der Reichspogromnacht zerstörten Synagoge der "jüdischen Gemeinde Holzminden" in der Oberbachstraße wurden 1968 abgerissen. An ihrer Stelle wurde teilweise das neue "Kaufhaus Schwager" errichtet. Ein Sandsteinkapitell, Pfeilerreste von 1837 und eine Gedenktafel sind im Katzensprung, der Tordurchfahrt des ehemaligen städtischen Museums zu finden. 1969 wird das Ackerbürgerhaus "Düsterdieck-Kumlehn" (Vierständerhaus), erbaut 1677 in der Mittleren Straße, abgebaut und befindet sich seit 1987 aufgebaut im Westfälischen Freilichtmuseum Detmold. Seit 1971 ist die Stadt Sitz der Kreisvolkshochschule (KVHS). Im selben Jahr fand unter großem Sicherheitsaufwand der 5. Parteitag der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands in Holzminden statt. 1971 wurde zudem die „Staatliche Ingenieurschule für Bauwesen“ in Holzminden und die „Königliche Baugewerkschule Hildesheim“ (gegr. 1900) zur „Fachhochschule Hildesheim/Holzminden“ fusioniert. Als überregionale Serviceeinrichtung gründete sich 1976 die Aktion Tonband-Zeitung für Blinde e. V. in Holzminden, als eine der größten Dienstleistungszentralen zur Vervielfältigung und den Versand von Hörzeitungen für viele Regionen Deutschlands. 1977 kam es zum Ausbau des Gewerbegebietes Bülte und es siedelte sich ein Real-Kauf-Warenhaus (Anfang 2008 Übernahme durch Kaufland) und ein Praktiker-Baumarkt an. 1978 wurde die Frachtschifffahrt auf der Weser endgültig eingestellt. 1985 nahm das Albert-Schweitzer-Therapeutikum, eine Fachklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, seinen Betrieb auf. Im Mai 1991 wurde erstmals das Internationale Straßentheaterfestival Holzminden veranstaltet. 21. Jahrhundert. Im Juli 2004 war Holzminden Ausrichter des Landesfestes Tag der Niedersachsen. Im Februar 2008 berichtete das Jugend- und Sozialamt der Stadt von steigender Kinderarmut. Rund 7000 Bürger erhalten demnach Hartz IV-Leistungen und werden von der Arbeitsgemeinschaft zur Arbeitsvermittlung (AzA) betreut. Darunter sind 2000 Kinder unter 15 Jahren mit einer Hartz-IV-Regelleistung. 26,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen (bis 18 Jahre) in der Stadt Holzminden leben in Familien, die Arbeitslosengeld II erhalten. Am 2. März 2008 kam es zum erneuten Bürgerentscheid für den Erhalt der kommunalen Stadtwerke im Bereich Gas- und Wasserversorgung in Holzminden, der von verschiedenen Parteien und Organisatoren unterstützt wurde, allerdings entgegen den Parteien der Ratsfraktionen mit Ausnahme Der Grünen. Beim ersten Bürgerbegehren am 18. September 2005 – zeitgleich mit den Bundestagswahlen – stimmten 87,2 Prozent der Bürger der Stadt für den Erhalt der Stadtwerke in kommunaler Hand, bei einer Wahlbeteiligung von 58,2 Prozent. Das Bürgerbegehren scheiterte indes ganz knapp, da mit 4003 Ja-Stimmen nur 176 Stimmen bzw. 1,05 Prozent der Wahlberechtigten fehlten. 529 Bürger stimmten dagegen. Von den abgegebenen Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 27,3 Prozent sprachen sich damit 88,3 Prozent für den Erhalt der Stadtwerke Holzminden in kommunaler Hand aus. Im November 2008 gab das niedersächsische Justizministerium bekannt, die offene Vollzugsabteilung des Gefängnisses am Amtsgericht in Holzminden, die zur Justizvollzugsanstalt Rosdorf gehört, zu schließen. Hier gibt es derzeit 40 Plätze und neun Bedienstete. Eingemeindungen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1962 wurden durch das „Neuhausgesetz“ vom 13. Dezember 1961 die drei Gemeinden Fohlenplacken (Landkreis Holzminden), Neuhaus (Landkreis Holzminden) und Preußisch Neuhaus (Landkreis Northeim) zur neuen Gemeinde Neuhaus im Solling mit dem Ortsteil Fohlenplacken zusammengeschlossen und dem Landkreis Holzminden zugeordnet. Am 1. Januar 1973 wurden die Gemeinden Mühlenberg, Neuhaus im Solling und Silberborn eingegliedert. Ausgliederungen. Am 1. Oktober 1971 erfolgte nach einem Gebietsänderungsvertrag zwischen den Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen die Eingliederung des vormals auf Holzmindener Seite gelegenen Otterbach-Gebietes zur Stadt Höxter (Ortsteil Lüchtringen) im Tausch gegen Gebiete am Stahler Ufer. Dadurch wurden 112 Einwohner Neubürger der Stadt Höxter. Politik. Stadtrat. Der Rat der Stadt Holzminden besteht aus 32 Ratsfrauen und Ratsherren. Die 32 Ratsmitglieder werden durch eine Kommunalwahl für jeweils fünf Jahre gewählt. Die aktuelle Amtszeit begann am 1. November 2021 und endet am 31. Oktober 2026. Stimmberechtigt im Rat der Stadt ist außerdem der hauptamtliche Bürgermeister Christian Belke (parteilos). Die letzte Kommunalwahl am 12. September 2021 führte zu folgendem Ergebnis: Nach der Wahl 2016 kam es in der größten Fraktion, der CDU, zur „Asche-Affäre“: Eberhard Asche kandidierte zugleich für die CDU (im Stadtrat) und für die Unabhängige Wählergemeinschaft UWG (im Kreistag). Dies hatte zur Folge, dass von zwölf CDU-Abgeordneten neun aus der CDU-Fraktion traten. Sie bildeten anschließend die neue Fraktion „WIR“. Acht gaben zudem ihr CDU-Parteibuch zurück. Die CDU stellte daraufhin folglich nur noch drei Abgeordnete. Auch in der SPD kam es zum Eklat, aufgrund dessen ein Abgeordneter austrat. Die SPD stellte in der konstituierenden Sitzung damit – wie WIR – neun Abgeordnete. Bürgermeister. Hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Holzminden ist Christian Belke (parteilos). Bei der Kommunalwahl am 12. September 2021 wurde Belke als Nachfolger des parteilosen Jürgen Daul erstmals zum neuen Bürgermeister gewählt. Im ersten Wahlgang erhielt Belke 61,4 % der gültigen Stimmen, die Wahlbeteiligung lag bei 50,2 %. Belke trat seine Amtszeit am 1. November 2021 an. Ehemalige Stadtdirektoren Wappen, Flagge, Dienstsiegel. Das Wappen der Stadt zeigt auf blauem Grund drei aus Quadern gefügte, von roten Spitzdächern mit goldenen Spitzen gekrönte Türme. Die beiden schlanken, seitlichen Türme mit je einem Rundbogenfenster überragen den mittleren, der zwei Fenster aufweist. Im Vordergrund erhebt sich ein Palisadenzaun. Die Flügel des in der Mitte befindlichen Rundbogentores sind weit nach außen geöffnet. In der blauen Türöffnung schreitet ein weißer, gold gekrönter und rot gezüngelter Löwe aufrecht nach rechts. Das Wappen entstand aus dem ältesten Siegel der Stadt von 1535. Es stellt bereits ein geöffnetes Stadttor dar, das von zwei seitlichen Türmen flankiert wird. Die Farben der Flagge sind weiß-blau. Vor 1905 waren die Stadtfarben rot-weiß. Das Dienstsiegel enthält das Wappen und die Umschrift „Stadt Holzminden“. Kultur und Sehenswürdigkeiten. Natur. Auf dem Gebiet der Stadt liegen die Naturschutzgebiete Mecklenbruch, Torfmoor, Stuckenstein-Eichen, Teiche am Erz- und Finkenbruch im Solling, der größte Teil des Vogelherds sowie Teile der Naturschutzgebiete Ahlewiesen, Kleines Bruch und Düsteres Bruch und Hellental. Die Naturdenkmäler in Holzminden und im gemeindefreien Gebiet Holzminden sind in der Liste der Naturdenkmale im Landkreis Holzminden aufgeführt. Wirtschaft und Infrastruktur. Wirtschaft. Während einst überwiegend die bodenständige Verarbeitung von Holz und Sollingsandstein eine beträchtliche Rolle in der Stadt spielte, sind es heute verschiedenartige Industrien und ein internationales Zentrum der Riech- und Geschmackstoffindustrie. Den Grundstein für diesen Industriezweig legte Wilhelm Haarmann 1874 mit der Firma Haarmann & Reimer, die zusammen mit der auch in Holzminden ansässigen Firma Dragoco hier allein mehr als 2000 Mitarbeiter beschäftigte. Aus der Fusion beider Unternehmen ging 2003 Symrise hervor und beschäftigt im Jahr 2015 in der Stadt rund 2.500 Mitarbeiter. Der Stammsitz und das Hauptwerk des Haus- und Systemtechnikunternehmens Stiebel Eltron befinden sich ebenfalls in Holzminden. Der Hersteller von Elektro-, Warmwasser- und Heizgeräten beschäftigt weltweit etwa 3.000 Mitarbeiter, davon etwa 1.200 in Holzminden. Verpackungsglas für die Spirituosen- und Nahrungsmittelindustrie erzeugen die O-I glasspack Glashüttenwerke Holzminden mit etwa 500 Mitarbeitern. Im Ortsteil Allersheim ist die gleichnamige 1854 gegründete Brauerei Allersheim ansässig. Die Sparkasse im Ort ist seit dem 1. Januar 2008 die Braunschweigischen Landessparkasse, die zur NORD/LB gehört. Die Marktführerschaft der NORD/LB im Gebiet des früheren Herzogtum Braunschweig, zu dem auch Holzminden lange gehörte, ist geschichtlich bedingt und lässt sich bis in das Jahr 1754 zurückverfolgen. Außerdem existieren Filialen der Commerzbank AG, der Deutschen Bank AG und der 1932 gegründeten Volksbank Weserbergland eG, die später mit der im Ortsteil Altendorf beheimateten und 1901 gegründeten Raiffeisenbank Holzminden eG fusionierte. Die Industrie- und Gewerbestruktur Holzmindens wird darüber hinaus von weiteren zum Teil international bekannten Firmen der Elektroindustrie, Elektronik, Glasverarbeitungsindustrie, des Maschinenbaues und der Druckindustrie zusammen mit einer großen Anzahl leistungsstarker mittelständischer Handwerks-, Dienstleistungs- und Einzelhandelsbetriebe entscheidend mitbestimmt. Militär. Bereits 1770 wurde Holzminden zur Garnisonsstadt. 1909 sollten im Deutschen Kaiserreich 28 Garnisonen neu errichtet werden; 1.350 Städte bewarben sich. Am 1. Oktober 1913 wurde Holzminden auf Betreiben der Stadtverwaltung und mit Hilfe des jüdischen Kommerzienrates "Albert Katzenstein" Garnisonsstadt des 3. Bataillons „Die Katzensteiner“ des 4. Hannoverschen Infanterie-Regiments Nr. 164 aus Hameln mit 641 Soldaten. Das Regiment gehörte zur 20. Division der preußischen Armee. 1914 wurde das Bataillon abgelöst durch das Infanterie-Regiment 174, und Kasernengebäude wurden erbaut. Während des Ersten Weltkrieges wurde ein Kriegsgefangenenlager für alliierte Soldaten eingerichtet. Im Juli 1918 kam es hier zum größten Ausbruchsversuch des Ersten Weltkriegs. In den 1920er Jahren waren in den Kasernengebäuden zunächst eine Polizeischule, ein Mädchen-Lyzeum und das Finanzamt untergebracht. Am 1. Oktober 1934 verlegte das in Minden aufgestellte Pionierbataillon der 19. Infanteriedivision unter Führung von Major "Hans von Donat" (1891–1992) nach Holzminden. Am 15. Oktober 1935 erfolgte die Bezeichnung "Pionierbataillon 19", und es übernahm 1937 die Tradition des 2. Elsässischen Pionierbataillon 19 aus Straßburg. Bis 1936 wurden die heutigen Kasernen am Grimmenstein und an der Bodenstraße fertiggestellt und erhielten den Namen „Generalmajor-Unverzagt-Kaserne“, benannt nach dem General der Pioniere der 7. Armee, der als Major in einem der beiden Elsässischen Pionierbataillone gedient hatte. Zudem wurde ein Land- und Wasserübungsplatz an der Weser errichtet. 1938 wurde die Villa Haarmann an den Teichen übernommen und zum Offiziersheim umgebaut. 1938 wurde das Pionierbataillon mit 830 Soldaten an den Westwall verlegt und nahm 1939 am Überfall auf Polen teil. Im August 1939 wurde das "Pionier-Ersatz-Bataillon 4" in Holzminden aufgestellt. Das Bataillon tauschte am 1. September 1940 seine Kennnummer mit dem Pionier-Ersatz-Bataillon 19 in Magdeburg. Während des Zweiten Weltkrieges waren in Holzminden auch Kriegsgefangenenlager für britische Offiziere eingerichtet. Von 1945 bis 1949 dienten die Kasernen den Besatzungstruppen aus Großbritannien und Norwegen. 1949 wurde hier die Bautechnische Bundesgrenzschutzabteilung B Mitte aufgestellt. Nach der Gründung der Bundeswehr im Juli 1956 bildeten die Bautechnische Abteilung des BGS und Teile des BGS aus Hangelar weitgehend das "Pionierbataillon 2" der 2. Grenadierdivision mit Sitz des Stabes in Kassel. Am 17. Oktober 1956 hatte das Bataillon eine Stärke von 600 Soldaten. Im Oktober 1957 erfolgte eine Umbenennung in "Pionierbataillon 7", das zur 7. Panzergrenadierdivision in Unna gehörte. Im Februar 1959 kam es zu einem Zwischenfall. Zwei junge Soldaten des Pionierbataillons 7 haben in Holzminden den Kaufmann Robert Poock mit einer Holzkeule niedergeschlagen und ausgeraubt. Der Kaufmann verstarb an den Folgen des Überfalls. Zum 1. April 1960 wurde das Bataillon der 1. Panzergrenadierdivision (später 1. Panzerdivision) in Hannover unterstellt und in "Pionierbataillon 1" umbenannt. Aus der 4. Kompanie wurden zuerst die Panzerpionierkompanie 210 und danach die Panzerpionierkompanie 10 gebildet. Am 19. August 1964 erhielt die bisherige Pionierkaserne den neuen Namen „Medem-Kaserne“, benannt nach Gerhard Hans Medem, General im Zweiten Weltkrieg, Kommandeur der Pionierschule in Dessau und zeitweise ehrenamtlicher Richter am Volksgerichtshof. Medem wurde 1953 wegen Kriegsverbrechen in der Sowjetunion zum Tode verurteilt. Zum 1. Oktober 2002 wurde das Pionierbataillon 1 zum Panzerpionierbataillon 1 umgegliedert und umfasste 700 Soldaten. Das Bataillon wurde erneut der 7. Panzerdivision unterstellt und anschließend der Pionierbrigade 100 in Minden, die dem Heerestruppenkommando unterstellt war. In diesem Zuge wurde die 5. Kompanie des Pionierbataillon 1, in der sich die Masse der Baumaschinen befanden, aufgelöst. Das Personal des umgegliederten Verbandes rekrutierte sich aus großen Teilen des Pionierbataillon 1, der aufgelösten Panzerpionierkompanie 210, dem aufgelösten Panzerartilleriebataillon 15 aus Stadtoldendorf, Teilen der Instandsetzungsbataillon 71 und der umgegliederten Spezialpionierkompanie 300 aus Höxter. Am 1. April 2003 wurde das Regionale Instandsetzungszentrum Holzminden aufgestellt und dem Panzerpionierbataillon 1 truppendienstlich und wirtschaftlich unterstellt. Im August 2003 wurde die seit 1959 bestehende Panzerpionierkompanie 10 aufgelöst. Am 1. April 2004 wurde dem Bataillon eine Betreuungsstelle für bis zu 100 Lehrgangsteilnehmer im Rahmen der Zivilen Aus- und Weiterbildung (ZAW) angegliedert. Am 1. Juli 2007 wurde das Pionierbataillon 1 zu einem Regiment der Eingreifkräfte und umgegliedert dem Pionierregiment 100 in Minden und der 1. Panzerdivision in Hannover unterstellt. Im September 2008 erfolgte die Indienststellung des nicht aktiven Pionierbataillons 902 Ergänzungstruppenteil 2 als Reserveeinheit in Holzminden. Am 22. Februar 2013 wurde die "Medem-Kaserne" in "Pionierkaserne am Solling" umbenannt. Am 20. April 2013 wurde die erste von drei in Niedersachsen geplanten Kompanien der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte in Dienst gestellt. Die "RSUKp Solling" umfasst dabei 123 Reservisten. Medien. Das 1777 gegründete Unternehmen "Druck-Verlagshaus Hüpke & Sohn Weserland-Verlag GmbH", kontrolliert durch die "Hüpke & Sohn Verwaltungs-GmbH & Co. KG" in Holzminden, ist Herausgeber der Tageszeitung Täglicher Anzeiger Holzminden (Auflage 2014: 9907 Exemplare), zu der auch die Anzeigenblätter „Schaufenster“ und „Weserbote am Samstag (WAS)“ gehören. Der Medienkonzern Verlagsgesellschaft Madsack GmbH & Co. KG (VGM) in Hannover ist mit 30 Prozent beteiligt. Gesundheitswesen. Das Agaplesion Evangelisches Krankenhaus Holzminden mit 183 Planbetten liegt nahe der Innenstadt. Am Krankenhaus befinden sich neben der Rettungswache (RW) des Landkreises Holzminden auch die Zentrale Notfallpraxis (ZNP) für den hausärztlichen Notfalldienst, drei Medizinische Versorgungszentren (MVZ) für Chirurgie, Gynäkologie und Radiologie sowie das MVZ Erwin-Böhme-Straße und das MVZ Sollingstraße. Des Weiteren gibt es das Albert-Schweitzer-Therapeutikum, eine Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Bildung. Die Orientierungsschule wurde 2004 aufgelöst. Verkehr. Straßenverkehr. Holzminden liegt an den Bundesstraßen 64, 83 und 497 sowie am Europaradwanderweg R1 und am Weserradweg. Im Mai 2019 wurden die neuen Tempo-30-Zonen in Betrieb genommen. "Siehe auch:" Liste der Straßen und Plätze in Holzminden Schienenverkehr. Der Bahnhof "Holzminden" liegt an der Bahnstrecke Altenbeken–Kreiensen (–Goslar). Der westliche Abschnitt wird im Stundentakt von der RB 84 „Egge-Bahn“ Paderborn–Altenbeken–Ottbergen–Holzminden befahren. Betreiber ist die NordWestBahn. Seit Dezember 2013 wird auch der Abschnitt nach Kreiensen von der NordWestBahn bedient. Zum Einsatz kommen Dieseltriebzüge des Typs „Talent“ (DB-Baureihe 643) Das "Bahnbetriebswerk Holzminden" (Kurzform "Bw Holzminden") war ein Bahnbetriebswerk der Deutschen Bundesbahn (DB) und wurde 1978 aufgelöst. Es hatte zwei Ringlokschuppen. Einer der Lokschuppen wird von der Regionalbus Braunschweig zur Wartung und Abstellung von Bussen genutzt. Der Bahnhof, der noch über große, aber weitgehend stillgelegte Betriebsanlagen verfügt, war ursprünglich ein Grenzbahnhof zwischen dem Braunschweiger und dem preußischen Netz, daher stehen zwei historische Bahnhofsgebäude nebeneinander, zu Bahnzwecken wird heute nur noch das preußische genutzt. Heute liegt er im Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen an der Grenze zum Nahverkehrsverbund Paderborn-Höxter. Im Dezember 2007 wurden im Bahnhof neue Lichtsignale, sogenannte Ks-Signale aufgestellt, welche seit Oktober 2008 die alten, mechanisch bedienten Formsignale nebst den Stellwerken vor Ort ersetzen. Die Weichen- und Signaltechnik wird seitdem von einem elektronischen Stellwerk in Göttingen aus fernbedient. Von 1876 bis 2006 gab es die Bahnstrecke Holzminden–Scherfede, welche für den Personenverkehr bis 1984 betrieben wurde und seit 2006 nicht mehr befahrbar ist. Zwischen 1904 und 2008 gab es innerhalb der Stadt eine als "Hafenbahn" bezeichnete Güterverkehrsstrecke, die der Verbindung vom Weserkai zur Bahnlinie Altenbeken-Kreiensen und anfangs dem Umschlag einer Zuckerfabrik diente, später der Bedienung eines Getreidesilos. Die letzten Fahrten dorthin fanden im September 2003 statt. In Gegenrichtung verlief die Hafenbahn am Lüchtringer Weg entlang bis wenige Meter vor die Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen. Dorthin belieferte bis Aufgabe der Standorts durch den Eigentümer die Ilmebahn Druckgaskesselwagen an ein Gaslager. Das Anschlussgleis des Unternehmens Symrise und der dahinter liegenden Bundesmonopolverwaltung für Branntwein wurden im Sommer 2008 ebenfalls abgebaut. Der ursprünglich ab 1927 geplante Bau einer "Wesertalbahn" unter Führung des Elektrizitätswerks Wesertal und nach dem Vorbild der gebauten Extertalbahn mit einer Streckenführung von Holzminden über Bevern, Polle, Rühle nach Bodenwerder und im weiteren Verlauf bis Hameln kam im Bereich von Holzminden nicht über das Planungsstadium hinaus. ÖPNV. Für den gesamten öffentlichen Personennahverkehr im Kreis Holzminden gilt der Tarif des Verkehrsverbunds Süd-Niedersachsen (VSN), der hier an den Nahverkehrsverbund Paderborn-Höxter grenzt. Die RBB Regionalbus GmbH (Tochter der Deutschen Bahn) setzt hier den "Südniedersachsenbus" auf verschiedenen Strecken ein: In der Kernstadt gibt es einen Stadtbusverkehr, der einen Nordring (Linie 501) und Südring (Linie 502) von insgesamt 40 Haltestellen im festen Ein-Stunden-Takt anfährt. Schifffahrt. Holzminden liegt an der Weser, die als Bundeswasserstraße ausgewiesen ist. Während die Frachtschifffahrt auf der Oberweser ab 1978 fast völlig zum Erliegen gekommen ist, spielt die Personenschifffahrt noch eine Rolle für den Tourismus. Holzminden wird seit 2009 auch wieder durch die Flotte Weser im Linienbetrieb angefahren. Luftfahrt. Der Flugplatz Höxter-Holzminden liegt etwa 4,5 km Luftlinie südwestlich von Holzminden und ist mit dem Auto über Höxter-Brenkhausen (etwa 15 km) zu erreichen. Persönlichkeiten. Söhne und Töchter der Stadt. "(als allgemein bekannt zuzuordnende Personen, die in Holzminden geboren wurden)"
Die von Anton Michael Herzog im Jahr 1845 in Markranstädt bei Leipzig als Kleinstbetrieb gegründete Rauchwaren-Zurichterei und -Färberei A. Herzog entwickelte sich zu einem weltbedeutenden Unternehmen der Pelzfärberei. Eine besondere Spezialität der mitältesten Firma der Branche war das Schwarzfärben, insbesondere von Persianerfellen. Firmengeschichte. Der Zurichter "Anton Michael Herzog" machte sich 1845 in Markranstädt mit einer kleinen Pelzzurichterei selbständig. In Markranstädt befand sich die größte Anzahl der in den Orten um Leipzig versammelten, den Pelzhandelsplatz Leipziger Brühl bedienenden, Pelzveredlungsbetriebe. Der Leipziger Rauchwarengroßhandel war in den 1920er Jahren der größte Steuerzahler der Stadt. Im Vergleich zu späteren Unternehmen der Veredlungssparte war der Betrieb „mehr als kümmerlich“. Das Betriebsgebäude war ein einfacher Stall, die Einrichtung bestand aus einigen Fässern und der Kürschnerbank zum Entfleischen der Felle. Gewaschen und gespült wurden die Felle in einem benachbarten Teich. Anfangs traute man sich noch nicht, auch das Färben der Felle zu übernehmen und beschränkte sich auf das Gerben von Wildwaren aller Art. Mit der industriellen Entwicklung Deutschlands verbesserten sich auch die Exportmöglichkeiten ganz erheblich. Auch die Firma A. Herzog entwickelte ein erhebliches Auslandsgeschäft nach dem Balkan und spezialisierte sich auf die in Rumänien, Serbien, Montenegro, auch in Griechenland und Bulgarien sehr begehrten gelockten Lammfelle. Damals war in dieser Fellart Ein- und Verkauf sowie die Veredlung noch nicht in verschiedenen Branchensparten spezialisiert, so dass das gesamte Geschäft, beginnend mit dem Einkauf der Rohfelle über die Veredlung bis zum Verkauf auf dem Balkan in den Händen der Firma lag. Diese hatte sich bald erheblich vergrößert und nahe an dem Flüsschen Luppe ein eigenes größeres Fabrikationsgebäude errichtet (In dem abschließend aufgeführten Aufsatz aus dem Jahr 1868 ist als Gründungsjahr das spätere 1845 angegeben, wohl das Jahr, in dem der Firmensitz nach Leipzig-Lindenau in die Angerstraße verlegt wurde). Auf der Angerstraße befanden sich weitere Betriebe der Branche, davon sechs direkt nebeneinander. Ebenfalls bedeutend waren dort die Firmen Friedrich Erler und Theodor Thorer, aber auch der Leipziger Schlachthof war dort bis 1977 mit einem Betrieb zur Herstellung von Fleisch- und Wurstwaren ansässig. Für den starken Lammfellbedarf der Länder wurden zunächst die verschiedenen gelockten Lammfelle europäischer Lämmer, sogenannte "Schmaschen", herangezogen. Sie kamen vor allem aus Rumänien, Ungarn, Holland, auch Deutschland, später kamen die argentinischen "Buenos-Aires-Schmaschen" dazu, außerdem die edlen Persianerfelle vom Lamm des Karakulschafes. Nach dem Balkan gingen auch als Spezialität der Firma schwarzgefärbte Pudelmützenfelle aus dafür besonders geeigneten kleingelockten italienischen Moirés oder südamerikanischen Schmaschen. Den ersten Anstoß, sich mit einer künstlichen Farbverbesserung zu befassen, war die Rotspitzigkeit der eigentlich naturschwarzen lockigen Schaffelle. Die Ursache der Rotspitzigkeit lag in der Einwirkung von Sonne und Wetter auf das Fell, die beim Schaf die Haarspitzen mehr oder weniger stark ausbleichen ließ, so dass sie nach dem Zurichten einen rötlichen Schimmer annahmen, der durch Färben überdeckt werden musste. Allmählich wurde die Kunst der Blauholzfärberei, bei der das Leder nicht mehr wie bisher geschädigt wurde, so weit entwickelt, dass der schwarze Persianer einer der wichtigsten Artikel der Pelzmode wurde. Der Erfolg der Pelzfärberei währte erst so kurze Zeit, dass auch Branchenangehörige über die Zukunft dieses Produktionszweiges sehr unsicher waren. So sträubte sich der Inhaber der Firma A. Herzog trotz der Arbeitsfülle heftig dagegen, seine Söhne in das Unternehmen aufzunehmen. Die Söhne lernten das Uhrmacherhandwerk und sollten nach Ansicht ihres Vaters ruhig dabei bleiben, weil er meinte, „wenn in einigen Jahren einmal genügend Lammfelle schwarz gefärbt sind, wird sie kein Mensch mehr haben wollen“. – Die ganz große Zeit der Persianermode, insbesondere in der Farbe Schwarz, begann dann nach dem Zweiten Weltkrieg und dauerte etwa vierzig Jahre an. Überhaupt ist das Färben von Fellen bis heute ein wesentliches Element der Pelzmode. Als sich Anfang des 20. Jahrhunderts eine Pelzmode entwickelte, bei der Pelz nicht mehr nur für wärmende Fellfutter und als schmückende Verbrämung von Textilkleidung verwendet wurden, gelangte das flache, gelockte Persianerfell zunehmend mit in den Vordergrund. Ursprünglich in Russland und später in Afghanistan beheimatet, machte man Anfang des 20. Jahrhunderts den Versuch, die Karakulschafzucht auch in Deutschland einzuführen. Treibende Kraft dabei war dabei der Leipziger Pelzveredler und Rauchwarenhändler Paul Thorer. Dieser, aber auch die Firma A. Herzog beteiligen sich daran mit erheblichen Mitteln. Letztlich führte dies zu einer bedeutenden Karakulzucht im damaligen deutschen Südwestafrika, heute Namibia, das von seinen klimatischen und landschaftlichen Bedingungen besser für die Schafzucht im großen Stil geeignet war. In der Blütezeit der Persianermode hatten die flachen, durch Zuchtauswahl jetzt nicht mehr gelockten, sondern glänzend moirierten Persianer aus Südwest den russischen Persianer fast völlig vom Weltmarkt verdrängt. Auch als es schon reichlich Aufträge gab, blieb der Färbereibetrieb anfangs noch reines Handwerk. Trotz der Einführung der Dampfmaschine führte man zum Beispiel keine mechanischen Rührwerke ein, soweit notwendig, wurden die Felle den ganzen Tag von Hand gerührt. Mussten Felle besonders gründlich gefettet werden, so fuhr man mit dem Hunde- oder Eselsgespann nach Schkeuditz zu einer Lohnwalkerei, die diese Arbeit für den ganzen Leipziger Bezirk ausführte. Ein preiswertes Fellmaterial, das dem Breitschwanzfell ähnlich ist, sind die so genannten „Bueno-Breitschwänze“. Schert man die Felle schon etwas älterer Lämmer einer südamerikanischen Schafrasse bis fast auf das Leder hinunter, entsteht ein sehr attraktives Moiré, das ein wenig an eine Harfe erinnert. Als die Firma A. Herzog dieses neue Produkt auf den Markt brachte, wurde sie anfangs verspottet. Teils schoren Familienangehörige das Fell mit der Schere, teils der benachbarte Friseur. Erst viel später erlangten sie Anerkennung und Bueno-Breitschwanz wurde ein wichtiger Artikel der Pelzbranche. Im Jahr 1934 bot A. Herzog als Neuheit merzerisierte Skunkfelle an. Durch den Hochglanz und die Weichheit des Haares wurde „aus dem geringwertigen südamerikanischen Skunks etwas wirklich Wertvolles und unleugbar Dauerhaftes für Pelzzwecke geschaffen“. Fast alle um Leipzig herum angesiedelten Pelzveredler unterhielten ein Büro im Leipziger Pelzviertel. Das Fachverzeichnis der Branche aus dem Jahr 1938 weist für das Kontor der Zurichterei & Färberei A. Herzog die Adresse Nikolaistraße 39/45 aus; als Betriebsadresse W 33, Angerstraße 26/28. Im wohl ersten Nachkriegsverzeichnis, erschienen 1950, ist die Firma nicht mehr aufgeführt. In der um 1875 errichteten Fabrik Angerstraße 26–28 befand sich nach dem Krieg die "VEB–Kolloidchemie Leipzig", die unter anderem den Büroleim „Ligament“ und die Haarentfernungs-Creme „Eva“ produzierte (2016 im Handelsregister gelöscht). Das inzwischen sanierte Gebäude gehört heute zur Wohnanlage „Pelz-Manufaktur“. Eine Firmenbeschreibung aus dem Jahr 1897. "Weiter ist hier die Firma A. Herzog in Lindenau zu erwähnen, deren Rauchwarenzurichterei und Färberei 1868 gegründet wurde, und die sich vorherrschend mit der Bearbeitung von Schaffellen befaßt, von denen jährlich etwa 600.000 fertig gemacht werden. An Hilfsmaschinen und maschinellen Einrichtungen waren vorhanden im Jahre 1887: 4 große Läutertonnen, 2 kleine desgl., 3 Schütteltonnen, 2 Wasch- und 3 Entfettungstonnen, ferner 1 Gallusbrenner und 2 Dampffärbefässer. Zum Betrieb der Maschinen dient eine Dampfmaschine von 12 Pferdestärken und 2 Kessel von 73 qm. Heizfläche, die auch den Dampf für die Färberei, wie für die Trocknerei zu liefern hatten. Die Zahl der in dem Herzogschen Etablissement beschäftigten Leute betrug 70." "Die Bearbeitung dieser Felle geschieht auf eigene Rechnung, während das Färben der Astrachan-Felle auf fremde Rechnung vorgenommen wird. Der Wert der gefärbten Treibel (Astrachan) betrug im Jahre 1894 ca. 3 Millionen Mk. für ca. 1 Million gefärbter Felle. Selbstverständlich ist die Zahl der Arbeitskräfte und Maschinen in Folge dieser vermehrten Produktion bedeutend gewachsen. Buenos-Ayres Schmassen, englische und römische Schmassen werden in Leipzig nur von dieser Firma bearbeitet." "In der Dampfzurichterei von A. Herzog in Leipzig-Lindenau werden also Schaf- und Lammfelle aus Buenos-Ayres und England zugerichtet und gefärbt. Außerdem Treibel, Schaffelle aus Rußland. Doch sind diese schon zugerichtet und werden nur gefärbt und zwar auf Rechnung der Besteller, während die anderen Felle auch auf eigene Rechnung gefärbt werden. Von den Fellen aus Buenos-Ayres werden jährlich 150 bis 200 Ballen à 1680 Stück verarbeitet, von den englischen, welche bedeutend teuerer sind, da oft an 20 % eingehen, 40–70.000 Stück jährlich. Doch werden diese Zahlen in gewissen Jahren, wenn die Ernten günstig fallen, bedeutend überschritten, so daß eine Gesamt-Produktion von 600.000 Stück jährlich kaum ausreichen wird." "Die Arbeitsmethode ist folgende: Die Felle werden zuerst in einer großen Wanne eingeweicht, kommen sodann in Waschtonnen, von welchen in dem Etablissement zwei im Betrieb sind, und werden dann an der Fleischbank, gewöhnlich 200 – 250 Stück von einem Arbeiter täglich bearbeitet, d. h. es werden die Felle vermittels der Fleischbank von den daranhaftenden Fleischteilen befreit. Nachdem die Felle drei bis vier Tage in Salzwasser gelegen haben, werden sie in großen Trockenräumen mit Dampfheizung getrocknet, darauf in Läutertonnen, von denen fünf im Betrieb sind, und zuletzt in Schütteltonnen gereinigt. Die Wasch-, Läuter- und Schütteltonnen werden von einer Dampfmaschine (Bedienung 2 Mann) in Betrieb gesetzt, welche ihrerseits von zwei geräumigen Kesselräumen ihren Dampfbedarf erhält. Die Läutertonnen sind mit Sägespähnemehl gefüllt. Die Felle werden zugeschnitten und von Frauen, 42 an der Zahl, (welche Zahl jedoch häufig, d. h. in gewissen Jahren oder Teilen des Jahres nicht ausreichen dürfte), im Verlagssystem genäht. Dann werden sie vermittels Kratzmaschinen, deren die Fabrik drei besitzt, von Frauen gereinigt. Ist dies geschehen, so werden sie gefärbt, was durch bloßes Eintauchen in die betr. Flüssigkeit bewerkstelligt wird, und in trockenen Schütteltonnen getrocknet. (Treibel werden auf andere Weise gefärbt.) Nach dem Färben werden sie vom Sortierer, welcher in diesem wie in den meisten anderen Fällen Kürschner ist, sortiert. Zum Schluß werden sie gestreckt. Ebenso wie die Felle aus Buenos-Ayres und England werden die Römer behandelt. Der ganze Arbeitsprozeß nimmt drei bis vier Wochen in Anspruch." "Die Fabrik beschäftigt fünfzig Arbeiter und dreißig Arbeiterinnen, insgesamt achtzig Personen. Die Arbeitszeit dauert von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends mit ½ Stunde Frühstücks-, 1 Stunde Mittags- und ½ Stunde Vesperpause." "Die an der Fleischbank beschäftigten Zurichter werden im Stücklohn bezahlt, die anderen erhalten Wochenlohn." "Den Frauen ist ein besonderer freundlich aussehender Raum zum Ankleiden und Essen angewiesen, ebenso den Männern, wird aber von letzteren nur wenig benutzt."
Das Fashion Island ist ein großes Einkaufszentrum in Newport Beach im US-Bundesstaat Kalifornien. Auf dem Gelände befinden sich Vertretungen mehrerer Kaufhausketten und zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte. Das Fashion Island strahlt weit über das Orange County hinaus eine hohe Anziehungskraft aus. Das auf noble Marken spezialisierte Einkaufszentrum zählt jährlich rund 13 Millionen Besucher. Die Verkaufsfläche der etwa 200 Läden beläuft sich momentan auf rund 120.700 Quadratmeter. Lage und Anfahrt. Das Fashion Island liegt in Corona del Mar, einem Stadtteil von Newport Beach. Das Einkaufszentrum bildet den Mittelpunkt eines Geschäfts- und Vergnügungsviertels, das den Namen Newport Center trägt. Der weitläufige Komplex liegt auf einem Hügel, von dem aus man die Newport Bay mit dem Hafen und den Pazifischen Ozean überblicken kann. In unmittelbarer Umgebung befindet sich mit dem Orange County Museum of Art (OCMA) eines der kulturellen Aushängeschilder der Stadt. Der Newport Center Drive umschließt das Fashion Island kreisförmig. Um die Gebäude herum stehen Parkplätzen zur Verfügung. Die palmengesäumte Haupteinfahrt befindet sich an der California State Route 1 (Pacific Coast Highway), die an der südlichen Grenze des Geländes verläuft. Zwei hohe Säulen weisen auf die Einfahrt zum Newport Center und dem Fashion Island hin. Die Orange County Transportation Authority (OCTA) unterhält fünf Buslinien, die am Fashion Island halten. Alle Haltestellen liegen verteilt um das Einkaufszentrum am Newport Center Drive. Geschichte. Das Fashion Island wurde im Jahre 1967 als Teil des neuen Newport Centers errichtet. Zu diesem Zeitpunkt bestand es lediglich aus vier Einzelhandelsgeschäften. Die Architekten des ursprünglichen Gebäudes waren William Pereira und Welton Beckett. Letzterer hatte bereits bei der Gestaltung des nahegelegenen South Coast Plaza, eines weiteren Einkaufszentrums, mitgewirkt. Die Bauwerke waren im Stile spanischer Kolonialarchitektur gehalten. Am südwestlichen Eingang ist ein bronzenes Windspiel des Künstlers Tom Van Sant zu bewundern. Bei der Einweihung des Fashion Island 1967 wurde es als größtes seiner Art ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Kurz nach der Eröffnung zog die Nobelkaufhauskette Neiman Marcus ein. Nach einem kleineren Umbau in den 1980er-Jahren entstand das sogenannte "Atrium Court". Unter der Regie des Architekten Jon Jerde folgte schließlich 1988 die erste große Erweiterung des Areals. Sie umfasste die Errichtung dreier neuer Einkaufsstraßen, des "Terrace Food Court" und eines Kinos. Im Innenhof wurde zudem ein Brunnen installiert, dessen Fontäne bis zu neun Meter in die Höhe schießen kann. In den 1990er-Jahren herrschte ein reges Kommen und Gehen: Geschäfte schlossen und machten neuen Läden Platz. Bekannte Kaufhausketten wie Macy’s siedelten sich hier an. Eine der ersten Filialen von Bloomingdale’s an der Westküste der USA öffnete 1996 ihre Pforten. Nach 2000 wurden am Fashion Island erneut Renovierungsarbeiten durchgeführt. Für das Jahr 2010 ist der Einzug einer Filiale von Nordstrom vorgesehen. Weihnachtsbaum. Alljährlich wird Anfang November vor dem Fashion Island ein riesiger Weihnachtsbaum aufgestellt. Die Tanne misst stets eine Höhe von rund 35 Metern und wird von mehr als 17.000 Lämpchen erleuchtet. Der Baum wird in einem Waldgebiet in der Nähe des Mount Shasta geschlagen. Aufgrund der Länge muss er in mehrere Teile zerlegt zum Bestimmungsort transportiert werden, wo er dann wieder zusammengesteckt wird. In Kunst und Medien. Das Einkaufszentrum hat sich im Laufe der Zeit als eine feste Größe in Südkalifornien etabliert. Das Fashion Island tauchte daher schon in einigen bekannten Film- und Fernsehproduktionen auf, unter anderem in:
Schmelzklebstoffe, auch Heißklebestoffe, Heißkleber, Hotmelt oder (in der Schweiz) Heissleim genannt, sind lösungsmittel- bzw. wasserfreie und bei Raumtemperatur mehr oder weniger feste Produkte, die im heißen Zustand als viskose Flüssigkeit vorliegen und auf die Klebefläche aufgetragen werden. Beim Abkühlen verfestigen sie sich reversibel und stellen eine feste Verbindung her. Diese Gruppe von Klebstoffen sind thermoplastische Polymere, die auf verschiedenen chemischen Rohstoffen basieren. Geschichte. Der wahrscheinlich erste systematisch hergestellte Klebstoff der Menschheitsgeschichte war ein Schmelzklebstoff: Sowohl Neandertaler als auch moderne Menschen ("Homo sapiens" der Cro-Magnon-Epoche) verwendeten schon vor mindestens ca. 45.000 Jahren Birkenpech, um Stein und Holz ihrer Waffen und Werkzeuge miteinander zu verbinden. Der älteste Beleg für die Verwendung von Birkenpech stammt aus Campitello in Italien und ist etwa 200.000 Jahre alt. Birkenpech wurde aus Birkenrinde durch Trockendestillation gewonnen. Der 1991 als Gletschermumie aufgefundene – Ötzi genannte – steinzeitliche Mann, der um 3340 v. Chr. auf dem Similaun starb, befestigte die Spitzen seiner Pfeile aus Feuerstein an den Schäften aus dem Holz des Wolligen Schneeballs mittels Pflanzenfasern und Birkenpech. Einteilung. Die Schmelzklebstoffe lassen sich in physikalisch und chemisch abbindende Klebstoffe unterteilen. Die physikalisch abbindenden Klebstoffe sind Thermoplaste, die chemisch abbindenden bilden Duroplaste, d. h. dreidimensionale Netzwerke. Eine andere Einteilungsart ist bezüglich des Verfestigungsmechanismus. Dabei werden die Schmelzklebstoffe in amorphe Polymere, teilkristalline Polymere, hochmolekulare Polymere eingeteilt, wobei bei den beiden ersten die Glastemperatur oberhalb der Raumtemperatur und bei letzterem die Glastemperatur unterhalb der Raumtemperatur liegt. Die wichtigsten für physikalisch abbindende Schmelzklebstoffe eingesetzten Polymere sind Polyamidharze, gesättigte Polyester, Ethylen-Vinylacetat-Copolymerisate (EVA), Polyolefine, Blockcopolymere (Styrol-Butadien-Styrol oder Styrol-Isopren-Styrol) und Polyimide. Polyamide, Polyester und Polyimide werden in so genannten Hochleistungs-Schmelzklebstoffen, Ethylen-Vinylacetat-Copolymere und Polyolefine in so genannten Massen-Schmelzklebstoffen verwendet. Inhaltsstoffe. Die eigentlichen Eigenschaften der Klebschicht in Bezug auf Adhäsion, Kohäsion und Temperaturverhalten werden von den Basispolymeren bestimmt, wobei zur Gewährleistung der Funktionalität oder zur Erzielung weiterer spezieller Eigenschaften verschiedene Zusätze benötigt werden. Harze dienen der Erhöhung der Klebrigkeit der Schmelze bei Verarbeitungstemperatur. Langkettige (Dibutyl- oder Nonyl-) Phthalsäureester dienen als Weichmacher für nicht ausreichend flexible Polymere. Aromatische Amine oder Phenole dienen als Stabilisatoren oder Antioxidantien während der Verarbeitung der Schmelze unter Sauerstoffeinfluss. Kreide, Schwerspat oder Titandioxid dienen der Festigkeitserhöhung und als Streckmittel zur Kostenreduzierung und Wachse dienen als Viskositätsregulanzien. Nukleierungsmittel. Nukleierungsmittel können zur Modifizierung teilkristalliner Kunststoffe zugegeben werden. Sie sorgen dafür, dass die Kristallbildung bei höherer Temperatur eintritt. Somit lassen sich beispielsweise bei Polypropylen die Taktzeiten um bis zu 30 % reduzieren und die Kristallstruktur optimieren. Nebeneffekt ist eine stärkere Schwindung. Eigenschaften. Naturgemäß kann eine Verbindung durch einen Schmelzklebstoff ohne Nachvernetzung nur bis maximal zu seiner Erstarrungstemperatur wärmebeständig sein. Meist liegt die Wärmefestigkeit einer solchen Verbindung noch unterhalb seiner Erweichungstemperaturbereiches. Die Verarbeitungstemperaturen sind von der Art des Grundstoffs abhängig und liegen im Bereich zwischen 120 und 240 °C. Hochschmelzende Schmelzklebstoffe auf der Basis von Polyimiden haben eine Verarbeitungstemperatur von über 260 °C. Typische Viskositäten bei den Verarbeitungstemperaturen von Schmelzklebstoffen liegen zwischen 20 Pas (Polyamid) und 10000 Pas (Ethylen-Vinylacetat-Copolymere). Eine Steigerung der Festigkeit und auch der Langzeitbeständigkeit von Schmelzklebstoffen kann erreicht werden, wenn diesen durch Zusätze oder speziellen Aufbau der Polymere die Eigenschaft gegeben wird, nach Erreichen der Schmelztemperatur weiterhin zu vernetzen. Dies gelingt sowohl mit Epoxidharz-Systemen als auch mit den heute am weitesten verbreiteten Polyurethan-Schmelzklebstoffen mit Nachvernetzung, in denen die nachträgliche chemische Reaktion durch von außen einwirkende Feuchtigkeit initiiert wird. Diese nachvernetzenden Schmelzklebstoffe können bei relativ geringen Temperaturen (ca. 60–80 °C) aufgebracht werden und widerstehen im ausgehärteten Zustand Temperaturen von bis 120–150 °C. Anwendung. Die Materialien werden je nach Anwendungsgebiet bezüglich der Haftungseigenschaften auf den Substraten, der Verarbeitungstemperatur, der Wärmestandfestigkeit, der chemischen Beständigkeit und der Härte ausgewählt. Lieferung. Schmelzklebstoffe werden als Granulat, als Pulver, als Folie, als Hobbock, als Vlies, als Fässer oder als Stangen („Kerzen“) angeboten. Haft-Schmelzklebstoffe, wie man sie u. a. auf Briefumschlägen findet, werden in Blockform geliefert. Hier ist der Klebstoff zur besseren Handhabung bis zur Verarbeitung mit einer Folie umgeben, die sich während des Aufschmelzens mit dem Klebstoff vermischt. Diese Folie hat so gut wie keinen Einfluss auf die Verarbeitung oder die Klebeeigenschaften. Polyester- und Polyesteramid-Schmelzklebstoffe werden zum Teil aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt und sind im Prinzip kompostierbar. Verarbeitung. Die Verarbeitungstemperaturen liegen meist im Bereich zwischen 120 und 240 °C, wobei eine für die optimale Benetzung notwendige Viskosität vorliegt jedoch noch keine thermische oder oxidative Schädigung der Schmelze auftritt. Je nach Lieferform bzw. Gebindeform des Klebstoffes kommen unterschiedliche Versorgungssysteme (z. B. Extruder, Tank, Fass-Schmelzanlagen) zum Einsatz. In der Industrie erfolgt die Applikation durch temperaturgeregelte Heißleimgeräte mit Heizschläuchen und Auftragsköpfen mit Düsen. Schmelzklebstoffe eignen sich für das Low-Pressure-Molding-Verfahren, in dem das heiße, flüssige Material bei niedrigem Druck, typischerweise 5 bis 25 bar, in ein relativ kaltes Formwerkzeug eingebracht wird. Aufgrund des niedrigen Einspritzdrucks eignet sich dieses Verfahren für empfindliche Bauteile wie Leiterplatten und Sensoren. Für den gelegentlichen Gebrauch und den Heimwerkerbereich werden Heißklebepistolen angeboten. Das sind einfache Handgeräte mit Temperaturregelung durch Kaltleiter, die Heißklebepatronen in Stangenform (auch „Kerzen“ oder „Sticks“ genannt) verarbeiten. Insbesondere beim Kleben von Metallen ist darauf zu achten, dass wegen der guten Wärmeleitfähigkeit der Fügeteile der Schmelzklebstoff im Grenzschichtbereich nicht zu schnell erstarrt und damit die vollständige Benetzung der Oberflächen verhindert wird. Typische Einsatzbereiche. Seit Anfang der 2000er Jahre werden für den Papier und Verpackungsbereich Schmelzklebstoffe eingesetzt, die schon bei Temperaturen um 100 °C verarbeitet werden können und damit die thermische Belastung reduzieren. Weitere Spezialanwendungen sind UV-reaktiver Schmelzklebstoffsysteme aus UV-härtenden Polyacrylatenzur Etiketten- und Klebebandproduktion, bei denen durch Regulierung der Intensität der UV-Bestrahlung sehr unterschiedliche Adhäsions- und Kohäsionseigenschaften erreicht werden können. Für wieder verwendbare Kunststoffflaschen sind wasserlösbare Schmelzklebstoffe für Etiketten entwickelt worden. Trivia. Auch Siegellack, Kolophonium, Bernstein und Schellack sind zu den Schmelzklebstoffen zu rechnen. Schmelzklebstoffe (meist Ethylen-Vinylacetat-Copolymere) können auch als Heißsiegel-Klebstoffe verwendet werden.
Die spanischen Parlamentswahlen 2008 fanden am 9. März 2008 statt. Dabei wurden beide Kammern der Cortes Generales neu gewählt. Zum zweiten Mal nach den Wahlen von 2004 standen sich der amtierende spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero von der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) und Oppositionsführer Mariano Rajoy von der Volkspartei (PP) gegenüber. Insgesamt haben sich 108 Parteien um Mandate im Kongress "(Congreso de los Diputados)" und im Senat "(Senado)" beworben. In der abgelaufenen VIII. Legislatur waren 14 von ihnen im Parlament vertreten. Wahlberechtigt waren 35 Millionen Spanier. Ausgangslage. Vor den Wahlen von 2004 regierte José María Aznar (Kabinett Aznar II) von der Volkspartei (PP). Aznar hatte jedoch bereits bei seinem Wahlsieg 1996 angekündigt, für maximal 2 Legislaturperioden zur Verfügung zu stehen. Dennoch sprachen die meisten Umfragen für einen Wahlsieg der PP. Nur drei Tage vor der Wahl, am 11. März, kam es zu den Terroranschlägen im Madrider Bahnhof Atocha mit 191 Toten. Die Regierung Aznar versuchte, ohne Anhaltspunkte dafür zu haben, die Urheberschaft der baskischen Terrororganisation ETA zuzuschreiben. Schnell wurde klar, dass islamistische Terroristen diesen Anschlag verübt hatten, um gegen den Irak-Einsatz der spanischen Armee zu protestieren, der in der spanischen Öffentlichkeit nie einen großen Rückhalt hatte. Diese Ereignisse führten zu einem Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit und werden als Hauptgrund für die Wahlniederlage der PP angesehen. Aus den Wahlen vom 14. März 2004 gingen die Sozialisten (PSOE) als stärkste Kraft hervor und gewannen 164 der 350 Sitze im spanischen Kongress. Im Senat wurde die PSOE mit 81 Sitzen nur zweitstärkste Partei hinter der Volkspartei mit 102 Senatoren. Mit den Stimmen der Vereinigten Linken ("Izquierda Unida", IU) wurde José Luis Rodríguez Zapatero zum Ministerpräsidenten gewählt. Im Anschluss bildete er das Kabinett Zapatero I, das von Anfang an nur aus Mitgliedern seiner eigenen Partei bestand. Die bestimmenden Themen der VIII. Legislatur (2004–2008) waren der Rückzug der spanischen Truppen aus dem Irak, die inzwischen gescheiterten Friedensverhandlungen mit der ETA, die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und der daraus resultierenden scharfen Auseinandersetzung mit der Katholischen Kirche, mehrfache Legalisierungen des Aufenthaltsstatus großer Zahlen illegaler Einwanderer sowie die Stärkung der Autonomen Gemeinschaften (inklusive der Anerkennung Kataloniens als Nation innerhalb des spanischen Staates). Diese Projekte wurden mit wechselnden Mehrheiten durchgesetzt. Außerdem war die VIII. Legislatur durch Verschwörungstheorien hinsichtlich der Urheberschaft der Attentate vom 11. März 2004 geprägt, die von der PP nahestehenden Medien (vor allem "El Mundo") verbreitet wurden. Gestützt auf unbedeutende Ungereimtheiten in den Untersuchungen wurde versucht, eine Beteiligung der ETA zu konstruieren. Der Wahlkampf war wie die gesamte vorangegangene Legislatur von einer außergewöhnlichen Schärfe in der politischen Auseinandersetzung geprägt. Dies führte – neben den Umfragen, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen der großen Parteien PSOE und PP prognostizierten – dazu, dass sich die Berichterstattung der Medien in der Wahlkampagne auf diese beiden Kräfte und ihre Spitzenkandidaten Zapatero und Rajoy konzentrierte, was von den kleinen Parteien kritisiert wurde. Parteien und Parteienkoalitionen. PSOE. Die Regierungspartei PSOE (Sozialdemokraten) stellte den bisherigen Ministerpräsidenten Zapatero als Spitzenkandidaten auf. Der Slogan für die Kampagne 2008 war „Con Z de Zapatero“ („Mit Z wie Zapatero“) und nimmt selbstironisch Bezug auf das eigenartige Lispeln des Spitzenkandidaten. Zapatero versprach, die Vermögenssteuer zu senken, weil dies v. a. den Haushalten mit mittlerem Einkommen zugute komme und die gehobeneren Einkommensklassen ohnehin Mittel und Wege kennen, diese zu umgehen. Ferner versprach er, die Renten auf 850 Euro für Personen mit Partnern und 700 Euro für verwitwete anzuheben. Der Mindestlohn soll bei seiner Wiederwahl auf 600 Euro und bis zum Ende seiner zweiten Legislatur (2012) auf 800 Euro steigen. Er spricht sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Homophobie aus. Partido Popular. Die Volkspartei (PP) schickte zum zweiten Mal Mariano Rajoy als Herausforderer von Zapatero ins Rennen. Rajoy versprach, die Einkommen von Arbeitnehmern und Rentnern mit weniger als 16.000 Euro im Jahr von der Einkommensteuer zu befreien. 2008 lag diese Freigrenze in Spanien bei 8.000 Euro (Deutschland: 7.664 Euro im Jahr, Österreich: 10.000 Euro im Jahr, Schweiz: kantonal unterschiedlich). Außerdem wollte er 2,2 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen und die Beschäftigungsquote bei den Frauen bis 2011 auf 68 % anheben. Dafür sollten 400.000 Kindertagesplätze geschaffen werden. Nach französischem Vorbild wollte er einen „Vertrag für die Einwanderer“ schaffen, der Migranten aus außereuropäischen Drittländern offenstehen sollte, die sich in Spanien endgültig niederlassen wollen und zur Integration bereit sind. Sie sollten sich verpflichten, die spanischen Gesetze zu achten, ggf. Spanisch zu lernen und die spanischen Sitten und Gebräuche anzunehmen. Allerdings wurde nur undeutlich umschrieben, was die „spanischen Sitten und Gebräuche“ sein sollten (genannt wurden z. B. das Verbot der weiblichen Beschneidung und das Verbot der Polygamie). Spanien erlebt seit Jahren eine starke Einwanderung aus Afrika (v. a. aus Nordafrika) und Lateinamerika, die besonders in der Landwirtschaft und im spanischen Bausektor den aufgrund des Wirtschaftsbooms von 2003 bis 2008 dringenden Bedarf an Arbeitskräften deckt. Die Volkspartei entschied vor den Wahlen, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Gleichgeschlechtlichen Ehe abzuwarten, bevor über die genauen Umstände einer Rücknahme dieses Gesetzes zu diskutieren sei. In der Gesundheitspolitik sollte die Wartezeit auf chirurgische Operationen auf 30 Tage gesenkt werden, und die zahnmedizinische Behandlung sollte weiterhin kostenfrei bleiben. Izquierda Unida. Die Izquierda Unida (Vereinigte Linke) ist ein Parteienbündnis aus unterschiedlichen linken, kommunistischen und linksökologischen Parteien. Größte Partei im Bündnis ist der PCE, die Kommunistische Partei Spaniens. Sie ist die drittgrößte politische Kraft im Land. Sie stützte die bisherige Minderheitsregierung der Sozialdemokraten und geht mit Gaspar Llamazares als Spitzenkandidat in die Wahl. Themen ihres Wahlprogramms sind die Verankerung des Laizismus in der Erziehung, ein Beitrag von 0,7 % des BIP an Entwicklungsländer, der Ausbau des Sozialstaates und "demokratische Reformen". Convergència i Unió (CiU). Die Convergència i Unió (CiU) (Konvergenz und Einheit) ist ein katalanisches Parteienbündnis von liberalen und christdemokratischen Parteien. Sie ist die einzige rechtsliberale Kraft in Spanien. In der VIII. Legislatur war CiU in Fraktionsstärke im "Congreso" vertreten. Spitzenkandidat der CiU ist Josep Antoni Duran i Lleida. Esquerra Republicana de Catalunya (ERC). Die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) (Republikanische Linke Kataloniens) ist eine katalanische Mitte-links-Partei. Sie tritt für die Unabhängigkeit Groß-Kataloniens ein (d. h. einschließlich Valencias und der katalanischen Gebiete in Frankreich). Die Partei ist Teil der Regierungskoalition in Katalonien. Mit ihren 8 Abgeordneten stützte sie die Regierung Zapatero. Spitzenkandidat ist Joan Ridao. Partido Nacionalista Vasco (PNV). Die Baskische Nationalistische Partei (PNV) ist eine christlich-konservative, bürgerlich-nationalistische baskische Partei, die eine stärkere Autonomie des Baskenlandes befürwortet. Sie führt in der Autonomen Gemeinschaft Baskenland eine Minderheitsregierung an, an der außerdem Eusko Alkartasuna (EA) und die IU beteiligt sind. Übrige bisher im Parlament vertretene Parteien. Eine Reihe weiterer Parteien gewann 2004 Sitze im Parlament. Diese traten alle nur regional an und bildeten, mit Ausnahme der ICV, die Gemischte Fraktion ("Grupo Mixto") im "Congreso". Folgende Parteien oder Bündnisse treten an: Coalición Canaria (CC) zusammen mit dem Partido Nacionalista Canario (PNC), Iniciativa per Catalunya Verds (ICV) zusammen mit der Esquerra Unida i Alternativa (EUiA), Bloque Nacionalista Galego (BNG), Chunta Aragonesista (CHA), Eusko Alkartasuna (EA) und Nafarroa Bai (Na-Bai) Attentat vom 7. März 2008. Nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen der Regierung Zapatero mit der baskischen Untergrundbewegung ETA erklärte diese schon im Vorfeld die Wahlen vom 9. März 2008 für illegal. Am 7. März 2008, nur zwei Tage vor der Wahl, erschoss die ETA in Mondragón in der baskischen Provinz Gipuzkoa den ehemaligen PSOE-Stadtrat Isaías Carrasco vor den Augen seiner Frau und seiner Tochter. Sämtliche Parteien erklärten daraufhin den Wahlkampf für beendet. Am Abend des 7. März versprach der Oppositionsführer Rajoy anlässlich eines Solidaritätsbesuches in Mondragón, mit der ETA ein für alle Mal aufzuräumen. Zapatero forderte die Verantwortlichen des Attentates an einer Medienkonferenz in Madrid auf, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen und sich der Justiz zu stellen. Am 8. März 2008 mittags fand auf dem Rathausplatz von Mondragón in Anwesenheit der 19-jährigen Tochter des Ermordeten eine Solidaritätskundgebung statt. Sie gab hier eine bewegende Erklärung ab. Dabei bezeichnete sie die Mörder als „Feiglinge“ und „Hurensöhne“. Weiter sagte sie: „Wer sich mit unserem Schmerz solidarisieren will, soll am Sonntag zur Wahl gehen. […] Wir werden keinen Schritt zurückweichen.“ Ergebnisse. Wahlbeteiligung. Die beiden Spitzenkandidaten Zapatero und Rajoy gaben am Vormittag des 9. März gegen 10 Uhr 30 in Madrid ihre Stimmen ab. Zapatero sagte dabei in Hinblick auf den Terroranschlag von Freitag: „Die Demokratie wird gestärkt, wenn alle Bürger zu den Wahlen gehen.“ Rajoy forderte die Spanier auf zu wählen, und „dabei an sich selbst und an die Zukunft ihres Landes zu denken, welches Spanien ist.“ Der Kandidat der Vereinigten Linken, Llamazares, der ebenfalls vormittags in Madrid seine Stimme abgab, zeigte sich überzeugt, dass die Bürger Spaniens mit ihrer Wahl der „ETA eine Lektion erteilen“ werden. Insgesamt haben 75,33 % der wahlberechtigten Spanierinnen und Spanier ihre Stimmen abgegeben. Damit lag die Wahlbeteiligung um 0,33 Prozentpunkte tiefer als vor 4 Jahren. Congreso de los Diputados. Der Spanische Kongress (Congreso de los Diputados) ist das Unterhaus ("Cámara Baja") des spanischen Parlamentes (ähnlich dem Deutschen Bundestag und dem Österreichischen und Schweizer Nationalrat). Er ist die Volksvertretung und wird alle vier Jahre in freien und geheimen Wahlen von den spanischen Bürgerinnen und Bürgern innerhalb und außerhalb Spaniens gewählt, dabei kommt eine Form der Verhältniswahl zur Anwendung, die große Parteien und Regionalparteien begünstigt (siehe Spanisches Wahlsystem). Der Kongress wählt den Ministerpräsidenten mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang oder mit einfacher Mehrheit im zweiten Wahlgang. Ergebnisse nach Provinzen. Wahlergebnisse nach Provinzen, geordnet nach Autonomen Gemeinschaften Parteien im Einzelnen. Der stark polarisierende Wahlkampf brachte das erwartete Ergebnis: die beiden großen gesamtspanischen Parteien PSOE und PP verzeichneten Zuwächse (PSOE in relativen Zahlen leicht, PP stark). In Bezug auf die Sitzverteilung veränderte sich der Vorsprung der PSOE jedoch nicht. Die bürgerliche Regionalpartei CiU, die nur in den vier Provinzen Barcelona, Girona, Lleida und Tarragona der Autonomen Gemeinschaft Katalonien antrat, erreichte dort 20,98 % und konnte ihr Ergebnis von 2004 leicht verbessern. Sie erreichte nach der "Partit dels Socialistes de Catalunya" (PSC) (45,33 %, +5,86 Prozentpunkte), dem katalanischen Ableger der Sozialisten, Platz zwei. Die "Esquerra Republicana de Catalunya", eine separatistische Mittelinkspartei, trat nur in den beiden autonomen Gemeinschaften Katalonien und Valencia an. Valencia wird von den Anhängern des katalanischen Linksnationalismus als Teil Groß-Kataloniens angesehen. In beiden Gemeinschaften erlitt sie Verluste. In Katalonien – wo sie zum Wahlzeitpunkt noch in einer Koalition mitregierte – stürzte sie von 15,89 % auf 7,86 % ab und verlor 5 ihrer 8 Sitze. In Valencia ging sie von ohnehin schon unbedeutenden 0,50 % auf 0,24 % zurück. Die beiden kleinen gesamtspanischen Parteien, nämlich das Linksbündnis "Izquierda Unida" (IU) und die neugegründete "Unión Progreso y Democracia" (UPD), bekamen die Strukturen des spanischen Wahlsystems negativ zu spüren. Zwar wird nach Verhältniswahlrecht gewählt, jedoch sind die Wahlkreise, die den Provinzen entsprechen, sehr klein. Das D’Hondt-Verfahren verschlechtert die Chancen der dritten bzw. vierten Partei in einem Wahlkreis weiter. Ohne regionale Hausmacht ist es für sie schwer, Mandate zu gewinnen. Die Kongressmandate der IU wurden mehr als halbiert. Als Konsequenz aus dem Wahlergebnis kündigte ihr Vorsitzender ("Coordinador General") Gaspar Llamazares noch am Wahlabend an, nicht erneut für den Parteivorsitz zu kandidieren. Die UPD, die zum ersten Mal antrat und sich als liberale Alternative der Mitte zur PP auf der rechten und zur PSOE auf der linken Seite versteht, errang dennoch mit einem Mandat (Wahlkreis Madrid, 3,76 %) einen Achtungserfolg. Durch die Größe des Wahlkreises Madrid mit 35 Mandaten ist es hier auch entsprechend einfacher ein Mandat zu erreichen, reicht doch ein 1/35 der Wählerstimmen für ein Mandat. In kleinen Provinzen mit nur vier Mandaten, benötigt eine Partei jedoch 25 % der Wählerstimmen. Die baskischen Nationalisten (EAJ-PNV) und die linksnationalistische baskische Partei "Eusko Alkartasuna" wurden vom Wähler abgestraft. Inwieweit dies eine Reaktion auf das Attentat vom 7. März war oder ob das Ergebnis nur den allgemeinen Trend gegen baskischen Parteien widerspiegelt, ist nicht klar. Die Wahlbeteiligung im Baskenland war jedoch sehr niedrig. Senat. Der Spanische Senat ("Senado") ist das Oberhaus des spanischen Parlamentes und die Territorialvertretung ähnlich dem Deutschen und Österreichischem Bundesrat und dem Schweizer Ständerat. 208 Senatoren wurden am 9. März 2008 direkt vom Volk gewählt. Hinzu kommen weitere von den Parlamenten der Autonomen Gemeinschaften Spaniens in den Senat entsandte Mitglieder (ein Senator je eine Million Einwohner). Dies sind in der IX. Legislatur 56. Die Direktwahl erfolgt in Wahlkreisen, die mit den Provinzen übereinstimmen (bis auf die Balearen und Kanaren, wo Wahlkreis die einzelnen Inseln sind). In den Provinz-Wahlkreisen werden jeweils – unabhängig von der Bevölkerungszahl – vier Senatoren gewählt, wobei jeder Wähler drei Personenstimmen vergeben und jede Partei drei Kandidaten benennen kann. Der Anhänger einer Partei wird in der Regel seine Stimmen den drei Kandidaten „seiner“ Partei geben. Dies führt normalerweise dazu, dass die drei Kandidaten der stärksten Partei in der Provinz mehr Stimmen erhalten als der bestplatzierte Kandidat der zweitstärksten Partei. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle wird daher die stärkste Partei drei Senatoren und die zweitstärkste Partei einen für die Provinz stellen. Bei den Wahlen 2008 war dies in allen Provinzen bis auf Ciudad Real der Fall. Es liegt daher eine Form der Mehrheitswahl vor. Die Zusammensetzung der von den Regionalparlamenten entsandten Senatoren kann sich während der Legislatur ändern (wenn während der Legislaturperiode neue Regionalparlamente gewählt werden), deshalb wird im Folgenden nur die Zusammensetzung des Senats zu Beginn der Legislatur im März 2008 wiedergegeben: Regierungsbildung. Am 11. April 2008 wurde Rodríguez Zapatero im zweiten Wahlgang, bei dem die einfache Mehrheit ausreichte, vom Angeordnetenhaus zum Ministerpräsidenten gewählt. Wahlen in der Autonomen Gemeinschaft Andalusien. In der Autonomen Gemeinschaft Andalusien wählten am 9. März 2008 6.234.104 Bürger (davon 144.007 im Ausland) das Regionalparlament. Der Präsident Andalusiens Manuel Chaves errang dabei mit seiner PSOE trotz Verlusten erneut die absolute Mehrheit und kann nach 18 Jahren im Amt weiterregieren. Die PSOE erreichte 56 (−5) der 109 Sitze, die PP erreichte 47 (+10). Die Listenverbindung "Izquierda Unida-Los Verdes-Convocatoria por Andalucía" erreichte 6 Sitze. Die regionalistische "Coalicíon Andalusista" verlor alle ihre 5 Sitze und ist nicht mehr im Regionalparlament vertreten.
Das Ensemble Ostrower Damm 1–3 Tuchfabrik C.S. Elias in Cottbus (Brandenburg) mit den Fabrikgebäuden und zwei Fabrikantenvillen ist an der Ostseite des Ostrower Damms zwischen Ostrower Steg und Inselstraße zu finden. Die Fabrikgebäude sind zwischen den Villen mit ihren Gärten angeordnet. Geschichte. Carl Samuel Elias, dessen Vater Johann Samuel Elias 1800 die Tuchmacherdynastie gründete, hatte bereits seit 1831 eine Fabrik geführt, die er schon 1869 mit einem Dampfwerk betrieb. Im Jahr 1870 wurde, noch unter der Adresse Spremberger Vorstadt 31b, die erste Bauerlaubnis für ein Fabrikgebäude zur Aufstellung von Spinn-, Web- und Zwirnmaschinen, ein Maschinen- und Kesselhaus und Remisen- und Lagergebäude am Westufer des Inselgrabens erteilt. Im Jahr 1874 gehörte das zu einem Vollbetrieb mit Färberei, Spinnerei, Walkerei, Appretur und 141 Beschäftigten ausgebaute Unternehmen zu den drei größten Cottbuser Tuchfabriken. Ernst Elias übernahm 1880 die Firma von seinem Vater und ließ in den Folgejahren im Zuge der Erweiterung weitere Fabrikationsgebäude errichten. Die Tuchfabrik existierte bis in die 1930er-Jahre. Von 1942 bis 1945 produzierten die Focke-Wulf-Werke Bremen hier Flugzeugteile. Nach dem Krieg war die Fabrik vorübergehend wieder ein Tuchproduktionsstandort – als die VEB Wollwarenfabrik Werk 3. Ab Mitte der 1950er-Jahre war hier unter anderem eine Zweigstelle der VEB Geräte- und Reglerwerks Teltow untergebracht. Anfang der 1990er-Jahre erfolgte eine Instandsetzung zum Firmensitz eines Geschäftsbereichs des ABB Automatisierungsanlagen Cottbus GmbH. Villen und Gärten. Villa Ostrower Damm 1: Die Villa Ostrower Damm 1 entstand 1874 als Wohnhaus für die Witwe Klingmüller und wurde später von C.S. Elias als Direktorenwohnsitz übernommen. Im Jahr 1899 erfolgte eine Neugestaltung des Inneren und der Fassade durch das Baugeschäft Hermann Pabel & Co. 1965 wurde die Villa zu einer Kinderkrippe umgebaut, dabei wurde der östliche Söller aufgestockt. Bei der Modernisierung 1992/93 wurde unter anderen der straßenseitige Dreiecksgiebel durch einen modernen Rundgiebel ersetzt. Im Zuge dieser Restaurierung wurde auch das Innere gravierend aus- und umgebaut. Die Villa ist ein zweigeschossiger Putzbau mit Satteldach. Das Erdgeschoss ist mit einer Putzbänderung überzogen, die Hausecken sind durch genutete Lisenen mit aufgesetzten Maskenkonsolen akzentuiert. Die Fenster unterschiedlicher Form sind mit variierenden Rahmungen versehen. An der Straßenfassade befindet sich ein Mittelrisalit mit Rundbogenfenstern und einem Altananbau, auf dessen Eckpfosten des Brückengeländers sich Putti befinden, die Fruchtkörbe tragen. Die Obergeschossfenster des Risalits sind üppig verziert; der Scheitelpunkt jeweils mit stark plastischer Kartusche, darüber Blendfelder; zwischen ihnen Masken und Feston-Verzierung. Heute sind in der Villa Praxen und Büros untergebracht. Der Garten der Villa ist südlich von den Fabrikgebäuden, westlich vom Ostrower Damm, nördlich und östlich von der Spree begrenzt. In unmittelbarer Nähe der Villa war er als Ziergarten gestaltet worden. Daran schloss sich östlich ein Obst- und Nutzgartenbereich an, in dem gerade Wege die Bäume in Reihen und die Beete in Rechtecke unterteilten. Am Spreeufer entlang führte ein von Baumreihen begleiteter Promenadenweg. Heute ist ein Großteil des Ziergartens mit Betonpflaster befestigt und dient als Parkplatz. Villa Ostrower Damm 3: C.S. Elias ließ diese Villa 1885 an der Südseite des Fabrikhofs erbauen. Sie ist ein zweigeschossiger Bau mit abgewalmtem Terrassendach. Das Erdgeschoss des Gebäudes ist von Putzbändern überzogen, die Fensterstürze sind dort mit einer Quaderung verziert. Ein Gurtgesims leitet zum Obergeschoss mit reich dekorierten Eckpilastern über. Hier sind die Fenster durch Gesims- oder Dreiecksverdachung hervorgehoben. Der Fassadenabschluss ist eine Kombination aus Zahnschnitt- und Konsolgesims, die von Profil- und Bandleisten begleitet wird. An der Westseite des Gebäudes befindet sich ein flacher Eingangsmittelrisalit, dessen Obergeschoss durch hohe Rundbogen-Treppenhausfenster mit Pilastern und Ornamentfeldern abgeschlossen ist. An der Südseite ist ein Altan mit großer Freitreppe einem dreiachsigen Mittelrisalit vorgesetzt. Auch hier sind die Rundbogenfenster im Obergeschoss schmuckvoll zusammengefasst. Die Villa befindet sich heute in Privatbesitz und wurde teilweise saniert. Der Garten dieser Villa war ein reiner Ziergarten und auf der von Inselgraben und Spree gebildeten Halbinsel gelegen. Dem Eingang gegenüber befand sich ein kreisförmiges Beet mit rundem Bassin und einem Springbrunnen in der Mitte. Ein von Bäumen begleiteter Rundweg führte die Ufer entlang, wobei auf der südlichen Seite eine Öffnung zwischen den Bäumen den Ausblick auf die Spree erlaubte. Der Bereich zwischen dem Rundweg war mit einer Vielzahl von geschwungenen Wegen versehen. Heute ist der Garten durch einen öffentlichen Weg und eine Fernwärmeleitung von der Villa getrennt, verfügt aber über den größten Teil seines ursprünglichen Baumbestandes. Fabrikgebäude. Hauptgebäude: Das große viergeschossige Gebäude mit L-förmigem Grundriss wurde um 1870 erbaut und ist mit seiner Langseite zum Ostrower Damm ausgerichtet. Seine Fassadengliederung ist durch geschosstrennende Gesimsfriese, die Fenster verbindende Sohlbankgesimse und ein mehrfach getrepptes Traufgesims betont. An der Hofseite befindet sich außerdem ein fünfgeschossiger Treppenhausvorbau, dessen zinnenartiger Traufabschluss mit polygonalen Eckpfeilern im Stil der Tudorgotik verziert ist. Das Gebäude bietet heute 1950 Quadratmeter Bürofläche mit Speisesaal und Küche. Kesselhäuser: Beidseitig der Färberei befinden sich zwei ehemalige Kesselhäuser, die in ihrem Erscheinungsbild stark verändert wurden. An dem linken Kesselhaus ist der Schornstein aus Ziegelmauerwerk erhalten geblieben. Der quadratische untere Querschnitt des Schornsteins ist mit einem Gesims abgeschlossen. Das östliche Kesselhaus dient heute als Garage. Färberei: Die zweigeschossige, sechsachsige Färberei (Baujahr 1885) entstand direkt über dem Inselgraben, wobei das Erdgeschoss höher gebaut ist als das Obergeschoss. Sie dient heute als Lager- und Werkhalle mit Büros. Produktionsgebäude: Das viergeschossige Produktionsgebäude wurde 1885 erbaut und durch ähnliche Gesims- und Fensterordnung der Ansicht der älteren Gebäude angepasst. Seine Fassade ist außerdem mit Ecklisenen bereichert. Es hat einen Treppenhausrisalit und einen kleinen Anbau, die beide von Lisenen gerahmt und von einem getreppten Giebelgesims verkröpft sind. Der Bau dient heute als Büro- und Lagergebäude. Der Anbau ist zu einer Garage umgebaut worden. Wollwäscherei: Die Wollwäscherei entstand in mehreren Bauabschnitten (unter anderem 1899) und weist ebenfalls eine Fassadengliederung durch Lisenen und Gesimse auf. Sie dient heute als Büro- und Lagergebäude und schließt den Hof im Osten ab. Spinnerei: Die Spinnerei wurde 1890 fertiggestellt. Vier der ursprünglich sechs Sheddächer wurden zu Satteldächern umgebaut. Sie dient heute als Werk- und Lagerhalle. Dekatur und Stopferei: Analoge Erweiterung der Spinnerei zur Unterbringung einer Dekatur und Stopferei, sie erfolgte wohl noch vor 1914. Die Erweiterung dient heute ebenso als Werk- und Lagerhalle. Remisen- und Lagergebäude: Giebelständig zum Ostrower Damm aufgeführtes dreigeschossiges Remisen- und Lagergebäude. Es wurde 1999 saniert und dient heute als Bürohaus. Die ehemalige Stallung an der Ostseite des Baus wurde zu einer Garage umgebaut. Bedeutung. Die Fabrik C.S. Elias gehörte über siebzig Jahre lang zu den bedeutenden Textilproduktionsstätten in Cottbus und ist Zeugnis dafür, in welchem Maße sich dieser Industriezweig seit 1860 expandierend entwickelte und zu einem Hauptwirtschaftsfaktor der Stadt wurde. Das Baudenkmalensemble ist nicht nur eines der größten, sondern auch die einzige nahezu komplett erhalten gebliebene Cottbuser Tuchfabrik jener Zeit, an der damalige Produktionsabläufe ablesbar sind. Damit gehört sie zu den erhaltenswerten Beispielen Cottbuser Industriearchitektur der Gründerzeit. Baugeschichtlich bemerkenswert ist dabei, dass die zeittypisch zurückhaltende Ausführung der Bauten bis ins Detail erhalten worden ist. Die Villen zeugen mit dem Kontrast zu den schlichten Industriegebäuden vom Reichtum und Anspruch ihrer Besitzer. Die Villa Ostrower Damm 3 verkörpert mit ihrer kubischen, durch Risalite aufgelockerten Grundform und dem Bauschmuck den klassischen Typus der Neurenaissance. Bei der Villa Ostrower Damm 1 kombinierte der Architekt das historische Formenrepertoire mit vom Jugendstil beeinflussten Elementen wie Putzreliefs und Masken. Die Villengärten waren typische Beispiele der in der Gründerzeit vorherrschenden künstlerischen Auffassung zur Gestaltung solcher. Sie bilden heute ein Teilstück einer Aufeinanderreihung von Grünanlagen entlang der Spree. Dieser nach ästhetischen und stadtökologischen Gesichtspunkten angelegte Grünweg wurde vor allem durch den 1872 gegründeten Verschönerungsverein gefördert. Mit ihrer Gestaltung und den alten Baumbeständen sind die Gärten von gartenhistorischem Interesse. Die Gesamtanlage dominiert außerdem architektonisch diesen Teil der Stadt. Die bis heute erlebbare Atmosphäre des Ostrower Damms und der Flusslandschaft wird maßgeblich von der Beziehung zwischen den Gebäuden und Grünanlagen der Gärten getragen.
Der Begriff Multitasking [] (engl.) bzw. Mehrprozessbetrieb bezeichnet die Fähigkeit eines Betriebssystems, mehrere Aufgaben (Tasks) (quasi-)nebenläufig auszuführen. Im Allgemeinen bietet der Prozessor hierzu auch unterstützende Hardware-Strukturen. Die verschiedenen Prozesse werden in so kurzen Abständen immer abwechselnd aktiviert, dass der Eindruck der Gleichzeitigkeit entsteht. Multitasking ist somit eine Variante eines "Zeit-Multiplexverfahrens". Besitzt ein Computer mehrere CPU-Kerne, so dass er mehrere Aufgaben "echt-gleichzeitig" ausführen kann, so spricht man von Multiprocessing. In modernen Computern werden beide Verfahren kombiniert eingesetzt. Zweck des Multitasking. Multitasking kann bei verschiedenen Anforderungen nützlich sein, insbesondere bei der Optimierung der Auslastung und für eine je nach Zielsetzung ausgeglichene oder prioritätsbasierte Ressourcenverteilung. Der Grundgedanke hinter der „Optimierung der Auslastung“ ist der, dass in einem durchschnittlichen Rechner der überwiegende Teil der Rechenzeit nicht genutzt werden kann, weil häufig auf verhältnismäßig langsame, externe Ereignisse gewartet werden muss (beispielsweise auf den nächsten Tastendruck des Benutzers). Würde nur ein Prozess laufen (zum Beispiel die wartende Textverarbeitung), so ginge diese Wartezeit komplett ungenutzt verloren (siehe „aktives Warten“). Durch Multitasking kann jedoch die Wartezeit eines Prozesses von anderen Prozessen genutzt werden. Ist ein Rechner bzw. seine Rechenzeit demgegenüber größtenteils ausgelastet, beispielsweise durch einzelne rechenintensive Prozesse, so können dennoch mehrere Benutzer oder Prozesse anteilige Rechenzeit erhalten, anstatt auf das Ende eines anderen Prozesses warten zu müssen. Dies kommt insbesondere auch der Interaktivität zugute. Da das System zugleich für die verschiedenen Prozesse Prioritäten berücksichtigen kann, ist eine entsprechende Gewichtung möglich, je nach Zielsetzung. Ein Server kann zum Beispiel die Dienste bevorzugen, welche er anbieten soll, jedoch direkte Benutzer-Interaktionen niedrig priorisieren. Ein Desktop-PC wird umgekehrt vor allem die Ein- und Ausgaben von/an den Benutzer bevorzugen, und dafür Hintergrund-Prozesse etwas zurückstellen. Vorläufer und Entwicklung. Multiprogrammierung und TSR-Programme. Vorläufer des Multitasking ist die Multiprogrammierung mit dem Ziel einer höheren CPU-Auslastung im Gegensatz zur sequenziellen Ausführung der Aufgaben bei Stapelverarbeitung. Bei der Multiprogrammierung findet der Kontextwechsel der Programme mit dem Zugriff auf periphere Geräte statt, da dabei zwangsläufig Wartezeit entsteht. Erste Ansätze basieren auf dem Konzept von Christopher Strachey aus dem Jahr 1959. Praktisch umsetzen ließen sich solche Konzepte aber erst mit leistungsfähiger Hardware, bei der mit der Interruptsteuerung die Entwicklung von TSR-Programmen möglich wurde. Allgemeiner Ablauf. Der technische Ablauf beim Multitasking ist im Prinzip immer gleich. Als wichtige Grundvoraussetzung des Multitaskings gilt im Allgemeinen, dass ein Prozess, der zugunsten eines anderen unterbrochen wird, nichts über diesen anderen (oder ggf. auch mehrere andere) „wissen“ muss. Dies wird meist erreicht, indem jeder Prozess einen eigenen sogenannten "Prozesskontext" besitzt, der seinen Zustand beschreibt. Ein Prozess ändert immer nur seinen eigenen Prozesskontext, niemals den eines anderen Prozesses. In der Regel wird der gesamte Prozesskontext (der Zustand des Prozesses) beim Unterbrechen gespeichert, z. B. auf dem Stapelspeicher (). Er bleibt so lange gespeichert, bis der betreffende Prozess wieder Rechenzeit erhalten soll. Unmittelbar bevor dieser Prozess wieder aktiv wird, wird der gespeicherte Zustand wieder geladen, sodass es für den Prozess so erscheint, als sei er überhaupt nicht unterbrochen worden; unabhängig davon, ob, wie viele und was für Prozesse in der Zwischenzeit ausgeführt worden sind. Dieses Umschalten zwischen einzelnen Prozessen wird als „Taskwechsel“ bezeichnet. So kann ein Prozess bei der weiteren Ausführung nach der Unterbrechung wieder seine definierte Umgebung vorfinden, auch wenn zwischenzeitlich andere Prozesse ausgeführt wurden. Beim kooperativen Multitasking ähnelt der Taskwechsel stark dem Aufruf von Prozeduren bzw. Funktionen in der prozeduralen Programmierung. Kooperatives Multitasking. Beim „kooperativen Multitasking“ wird das Multitasking durch eine zentrale Prozessverwaltung im Systemkernel realisiert: ein einfacher, sogenannter Scheduler. Der Scheduler sichert den Prozesskontext des gerade unterbrochenen Tasks, wählt den nächsten Prozess aus, der Rechenzeit erhalten soll, stellt dessen Prozesskontext her und gibt den Prozessor dann an diesen neuen Prozess ab. Der Scheduler kann Listen mit verschieden priorisierten Tasks führen, und niedrig priorisierte entsprechend selten aufrufen. Dabei kann auch die bereits verbrauchte Rechenzeit eines Tasks berücksichtigt werden. In der Regel werden Betriebssystem-interne Aufgaben zuerst erledigt, bevor ein neuer Task den Prozessor erhält. Es ist jedem Prozess selbst überlassen, wann er die Kontrolle an den Kern zurückgibt; in der Regel wird zumindest jede Dienst-Anforderung an das Betriebssystem mit einem Taskwechsel verbunden. Vorteil dieser Methode ist, dass viele Systemfunktionen (z. B. die Ausgabe) nicht wiedereintrittsfähig sein müssen und daher nicht synchronisiert sein müssen, was eine erhebliche Vereinfachung für den Hersteller bedeutet. (Unterbrechungsroutinen müssen jedoch stets dieses Problem lösen.) Diese Form des Multitasking hat ebenso wie das TSR-Konzept den Nachteil, dass Programme, die nicht kooperieren, das restliche System zum Stillstand bringen. Gründe für solches Programmverhalten können sein: Das Konzept wurde zum Beispiel eingesetzt Diese Form des Multitasking ist prinzipiell schnell und ressourcenschonend, sowie technisch verhältnismäßig einfach realisierbar. Für multiuserfähige Großrechner war es nie eine praktikable Alternative und wurde z. B. unter Unix nie eingesetzt, da ja ein Benutzer mittels unkooperativem Programm alle anderen blockieren könnte. Auch in den neueren Windows-Betriebssystemen der NT-Linie und in Mac OS X wird diese inzwischen als veraltet geltende Technik nicht eingesetzt. Teilweise unterstützen sie ähnliche Funktionalität begrenzt zum Beispiel als User Mode Threads, jedoch in jedem Fall nur eingebettet in präemptivem Multitasking. Präemptives Multitasking. Basis der heutzutage standardmäßig angewendeten Methode ist das "präemptive Multitasking": Der gerade laufende Prozess wird nach einer bestimmten Abarbeitungszeit (seinem „Zeitschlitz“, auch "Zeitscheibe", engl. "time slice") durch den Interrupt eines Hardware-Timers unterbrochen. Die Interrupt Service Routine (Teil des Betriebssystems) unterbricht den Prozess und sichert seinen Prozesskontext – der Prozess wird „schlafen gelegt“; dann übergibt sie an den Scheduler – das Betriebssystem hat (wieder) die Kontrolle erlangt. Sofern kein Betriebssystem-eigener Ablauf ansteht, wählt der Scheduler nun einen rechenbereiten Prozess aus (ggf. denselben, der gerade unterbrochen wurde), stellt dessen Prozesskontext wieder her, startet den Hardware-Timer und übergibt dann an den Prozess. Meist wird jedem Prozess eine „absolute“ Zeitscheibe zugewiesen (alle Zeitscheiben haben die gleiche, feste Dauer; üblicherweise wenige Millisekunden); alternativ wird ihm pro definierter Zeiteinheit ein bestimmter Prozentteil dieser Zeiteinheit zugewiesen (z. B. abhängig von seiner Priorität), den er höchstens nutzen kann (die Länge der Zeitscheibe wird also jedes Mal neu bestimmt). Sollte er bereits vor Ablauf seiner Zeitscheibe eine Funktion des Betriebssystems benötigen, so wird er sogleich angehalten und als „nicht rechenbereit“ markiert, bis das Betriebssystem den gewünschten Dienst erbracht hat. Nur als „rechenbereit“ markierte Prozesse erhalten Prozessorzeit-Zuteilungen. Auswahl des nächsten Prozesses. Eine beliebte Umsetzung des präemptiven Multitaskings ist die Verwendung einer Vorrangwarteschlange in Verbindung mit der Round-Robin-Scheduling-Strategie. Es gibt auch die Prozessorzuteilung abhängig von der Taskpriorität, vor allem bei Echtzeitsystemen z. B. MicroC/OS-II. Für das Multitasking spielt das nur eine untergeordnete Rolle, da präemptives Multitasking die Kernel- bzw. Prozessorkontrolle über die Prozesse beschreibt. Notwendige Hardware-Unterstützung. Hardwareseitig benötigt präemptives Multitasking im Gegensatz zur kooperativen Variante (vergl. TSR-Programm als Vorläufer) zwingend einen Interrupterzeuger (meist ein Zeitgeber) im geeigneten Prozessor, da das System softwareseitig keine Möglichkeit hat, Prozessen die Kontrolle über den Prozessor zu entziehen. Der Zeitgeber sendet regelmäßig oder nach Ablauf einer eingestellten Zeit ein Signal (Interrupt) an die CPU, was sie zur Unterbrechung des aktuell laufenden Tasks und zur Ausführung der Betriebssystem-Interrupt-Service-Routine veranlasst. Speicherschutz. Moderne Betriebssysteme arbeiten darüber hinaus mit einem Speicherschutz, der verhindert, dass verschiedene Prozesse sich im Speicher gegenseitig beeinflussen oder gar überschreiben. Diese Schutzfunktion übernimmt im PC die Memory Management Unit (MMU), welche die Virtualisierung des Hauptspeichers und verschiedene Berechtigungslevel (Ringe) oder auch Modi (Kernel-Mode versus User-Mode) ermöglicht und so dem Betriebssystem erlaubt, verschiedene parallele Prozesse innerhalb des Rechners voneinander strikt abzukapseln. Im PC kam die MMU erstmals in Rechnern mit i286-Prozessoren von Intel zum Einsatz. Diese Technik ist aber für Multitasking im engeren Sinne nicht zwingend notwendig. Geschichte. Die ersten weit verbreiteten Computersysteme, die präemptives Multitasking beherrschten, waren der Sinclair QL (1984) und der Commodore Amiga (1985) im Heimbereich (beim Amiga ohne Speicherschutz/Privilegierung und somit „aushebelbar“), sowie zuvor die unter Unix betriebenen Großrechenanlagen. Windows beherrscht erstmals in den 3.x-Versionen teilweise präemptives Multitasking, dort allerdings nur für DOS-Programme und das auch nur dann, wenn sie auf einem System mit einem i386-kompatiblen Prozessor ausgeführt werden, da dieser in solchen Fällen hardwareseitige Virtualisierung ermöglicht. Moderne Betriebssysteme, die präemptives Multitasking vollständig unterstützen, sind Windows NT (und alle Nachfolger), QNX, BeOS und alle auf Unix basierenden Systeme wie Linux, HP-UX, Solaris, macOS u.v.m. Abgrenzung zum Time-Sharing. Außerdem muss man zwischen Time slicing (Zeitscheiben-Verfahren) und Time-Sharing unterscheiden, letzteres gestattet mehreren Benutzern bzw. deren Prozessen (z. B. auf Datenbankservern oder Großrechnern mit Terminalzugriff) sich automatisch anteilig die verfügbare Rechenzeit zu teilen. Während sich also beim Multitasking mehrere Prozesse eines einzelnen Users die Rechenzeit teilen können, wird beim Time-Sharing die Zeit eines Prozesses auf mehrere Benutzer verteilt. Präemptibles Multitasking. Eine Sonderform des präemptiven Multitasking ist das weniger bekannte Präemptible Multitasking (englische Schreibweise Preemptible Multitasking), das erstmals im Betriebssystem OS/2 implementiert wurde. Viele Betriebssystem-eigene Kernel-Routinen werden als Scheduler-Threads geführt; somit können Anwendungsprozesse auch Zeitschlitze erhalten, während eigentlich eine Betriebssystem-Aktion ausgeführt wird (mit Ausnahmen für atomare OS-Prozesse). Das Konzept ermöglicht schnellere Reaktionszeiten. Mit Version 2.6 hat es auch in den Linux-Kernel Eingang gefunden.
Die Messestadt Riem ist ein Stadtviertel im Osten Münchens. Die Messestadt Riem, Teil des Stadtbezirks 15 Trudering-Riem, befindet sich komplett auf dem Gelände des 1992 stillgelegten Flughafens München-Riem und beherbergt heute neben einem Wohnviertel für 16.000 Menschen zahlreiche Bürogebäude sowie die Neue Messe München und das Einkaufszentrum Riem Arcaden. Geschichte. Die Messestadt Riem ist nach Freiham der zweitjüngste Stadtteil Münchens. Nachdem der Flugbetrieb 1992 zum neuen Flughafen Franz-Josef-Strauß verlegt wurde, konnten in den Folgejahren die alten Flughafengebäude in Riem abgebrochen und ab Mitte der 1990er Jahre mit dem Bau der Neuen Messe München und der entsprechenden U-Bahn-Anbindung begonnen werden. 1998 konnte die Messe endlich aus ihren zu eng gewordenen Messehallen auf der Theresienhöhe in den großzügigen Neubau in der Messestadt umziehen. Zahlreiche Firmen siedelten sich ebenfalls auf dem ehemaligen Flughafengelände an. Unmittelbar westlich des Eingangs West wurde der "Messesee" angelegt, der 390 m lang (Nord-Süd) und 46 bis 94 m breit (Ost-West) ist, bei einer Wasserfläche von 2,6 ha. Er wird in der Mitte durch eine Brücke der Joseph-Wild-Straße überspannt, die an ihrer Ostseite am Messe-Eingang West endet. Der See ist begrenzt durch die "Olof-Palme-Straße" (West), "Am Messesee" (Ost) und durch die "Willy-Brandt-Allee" (Süd). Im südlichen Teil des ehemaligen Flughafens ist ein Neubaugebiet mit Miet- und Eigentumswohnungen am Stadtrand entstanden. Mit den Riem Arcaden befindet sich dort auch ein Einkaufszentrum. Auf Grund von zahlreichen verkehrsberuhigten Zonen, vielen Kindergärten sowie drei Grundschulen ist die Messestadt ein geeigneter Wohnort für junge Familien. Seit 1998 gibt es hier die ersten Projekte für Autofreies Wohnen in München. Das erste Mehrfamilien-Passivhaus und das erste Mehrfamilien-Nullenergiehaus Münchens sind hier entstanden. Der Sportclub der Messestadt, SC Arcadia Messestadt München e.V., wurde im November 2006 gegründet und ist im Osten der Messestadt zu Hause. Riemer Park. Südlich des Wohngebietes befindet sich der Riemer Park. Im Jahre 2005 fand hier die Bundesgartenschau statt, nachdem München den entsprechenden Wettbewerb im Jahr 2000 gewonnen hatte. Zu diesem Zweck wurde seit 2002 ein großer Landschaftspark errichtet und nach der Bundesgartenschau als Riemer Park und drittgrößte Parkanlage der Landeshauptstadt München der Öffentlichkeit als Erholungsgebiet übergeben. Mit großem Aufwand wurde in seinem Zentrum ein See angelegt, der unter dem Namen "Buga-See" bekannt wurde (offiziell Riemer See). Der See ist von Osten nach Westen 800 m lang, 150 m breit, 10 ha groß, bis zu 18 m tief und enthält 100.000 m3 Wasser. Es handelt sich um einen gehobenen Grundwassersee, der auch zum Baden genutzt werden kann. Weil der Wasserspiegel in dem Gelände zu niedrig liegt und überdies saisonal stark schwankt, wurde für den See eine Betonwanne angelegt, in die drei Pumpen konstant jeweils 40 Liter Wasser pro Sekunde pumpen. Damit sich das fließende Grundwasser an der Betonwand des Sees nicht staut und Keller in Wohngebäuden unter Wasser setzt, wurde u. a. ein Abflussrohr unter dem See verlegt. Am Ostufer befindet sich ein Badestrand, während am Westufer, wo eine Fußgängerbrücke über den See führt, eine Verlandungszone mit Wasserpflanzen angelegt wurde. Unmittelbar vor dem Westufer finden sich zwei weitere, seichte Verlandungsbecken mit Wasserpflanzen, die nur 1100 bzw. 800 m² groß sind. Im Park liegt ein 20 Meter hoher Hügel. Kirchen. Im Westen der Messestadt wurde 2005 ein ökumenisches Kirchenzentrum mit der evangelischen Sophien- sowie der katholischen St. Florianskirche geweiht und eröffnet. Verkehrsanbindung. Im öffentlichen Personennahverkehr ist die Messestadt mit den U-Bahnhöfen Messestadt West und Messestadt Ost der U-Bahn-Linie U2 sowie den Buslinien 139, 183, 186, 190, 234, 263, 264 und N74 an das Nahverkehrssystem der Stadt angeschlossen. Über einen Anschluss der S-Bahn München direkt an das Messegelände (Messestadt Nord) wird im Rahmen des "Erdinger Ringschlusses" diskutiert. Damit könnten deutlich kürzere Fahrzeiten zwischen Flughafen und Messestadt erzielt werden. Auch führt die A 94 im Norden an der Messestadt vorbei.
Der Bahnhof Greiz liegt in der gleichnamigen thüringischen Stadt Greiz sowie an der Bahnstrecke Gera Süd–Weischlitz, die heute noch in Betrieb ist, und an der dort abzweigenden Bahnstrecke nach Neumark, die seit 1999 stillgelegt ist. Damit war die Station bis zur Stilllegung der Zweigstrecke ein Bahnknotenpunkt von lokaler Bedeutung. Geschichte. Obwohl schon in den 1830er Jahren erstmals über eine Strecke durch das Elstertal nachgedacht wurde, erhielt Greiz erst 1865 mit der Bahnstrecke Neumark–Greiz der privaten Greiz-Brunner Eisenbahn-Gesellschaft einen Eisenbahnanschluss. Diese Strecke endete allerdings am Elstertal und lag weit außerhalb des Stadtzentrums. Daher wünschte man sich noch in den 1860er Jahren einen direkteren Bahnanschluss. Die Sächsisch-Thüringische Eisenbahngesellschaft erhielt daher 1872 die Konzession für die Bahnstrecke Wolfsgefärth–Weischlitz. Der Abschnitt Wolfsgefärth–Greiz wurde am 17. Juli 1875 eröffnet, der Bahnhof war somit für rund sechs Wochen Kopfbahnhof, ehe der zweite Streckenabschnitt bis zum unteren Bahnhof in Plauen am 8. September 1875 eröffnet wurde. Da Greiz Landeshauptstadt des Fürstentums Reuß älterer Linie war, wurde hier der zweitgrößte Bahnhof der Bahnstrecke gebaut. Ursprünglich mit zwei Bahnsteigen und fünf Gleisen ausgestattet, wurde der Bahnhof ab 1878 umgebaut, da die 1876 von Sachsen gekaufte Greiz-Brunner Eisenbahn-Gesellschaft bis zum unteren Bahnhof verlängert wurde. Insgesamt wurden zusätzlich 29 Weichen sowie 5,6 km Gleis verbaut. In den 1880er Jahren wurden weitere Um- und Ausbauten durchgeführt, so entstand u. a. eine Bahnsteigüberdachung. Zusammen mit Erweiterungen bis in die 1920er Jahre – es wurde beispielsweise ein rund 200 m langer neuer Güterschuppen errichtet – blieb der Bahnhof im Wesentlichen bis in die 1990er Jahre unverändert. Nach der politischen Wende 1989/90 und den damit verbundenen wirtschaftlichen Veränderungen brach der bis 1990 bedeutende Güterverkehr fast völlig weg. Der Güterverkehr nach Neumark wurde 1995 beendet, Personenverkehr wurde noch bis 1997 durchgeführt. 1999 wurde die Strecke Neumark–Greiz stillgelegt, mit den Verkehrseinstellungen ging nochmals ein Bedeutungsverlust der Greizer Bahnhofs einher. Um 2000 wurden bei der Sanierung die Verbindung zu fast allen Gütergleisen gekappt. Neben drei durchgehenden Gleisen sind heute nur noch zwei Stumpfgleise vorhanden. Auf den Stumpfgleisen stellt die DB Regio, die den Personenverkehr auf der Bahnstrecke Gera Süd–Greiz gemeinsam mit der Vogtlandbahn durchführt, heute Triebwagen ab. Auf dem Gelände der Gleise Richtung Neumark befindet sich seit 2003 der neugebaute Busbahnhof. Das ehemalige Güterbahnhofsgelände wurde teilweise mit der B 92 überbaut. Auf dieser Fläche ist zudem ein Flutkanal als Hochwasserschutzmaßnahme geplant. Bahnbetriebswerk Greiz. Im Zusammenhang mit der Verstaatlichung der Greiz-Brunner Eisenbahn-Gesellschaft und der damit verbundenen Verlängerung der Strecke von Neumark bis zum „unteren“ Bahnhof in Greiz wurden hier Lokbehandlungsanlagen errichtet. 1878 konnte das Heizhaus eingeweiht werden, der zweigleisige Rechteckschuppen wurde bereits im Folgejahr um zwei Stände erweitert. Da die Abstellmöglichkeiten nicht ausreichten, wurde um 1890 ein weiteres Heizhaus samt 13 m-Drehscheibe neben das bestehende Gebäude gebaut. Beide Gebäude wurden 1912 durch einen Zwischenbau verbunden, zugleich wurde der Ringlokschuppen um zwei Stände erweitert sowie die 13 m-Drehscheibe durch eine 18 m-Drehscheibe ersetzt. Zunächst anderen Dienststellen unterstellt, wurde der Lokbahnhof Greiz 1937 zum selbstständigen Bahnbetriebswerk (Bw) erhoben. Allerdings blieb Greiz stets ein kleines Bw, größere Fahrzeugreparaturen wurden deshalb immer andernorts ausgeführt. Am 1. Januar 1962 wurde das Bw Greiz als selbstständige Dienststelle aufgelöst und dem Bahnbetriebswerk Reichenbach unterstellt, dieses gab die Einsatzstelle aber am 30. September 1962 an das Bahnbetriebswerk Gera ab. Zwischenzeitlich gehörte das Personal aber nochmals zum Bahnbetriebswerk Reichenbach. Mit dem Zusammenschluss zwischen der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Bundesbahn wurde das Bahnbetriebswerk Gera 1994 in den "Betriebshof Gera" umgewandelt, die Zugehörigkeit zur neubezeichneten Dienststelle blieb aber bestehen. Die verbliebene Triebfahrzeugeinsatzstelle wurde schließlich 1995 ganz aufgelöst. Die Gebäude wurden 2015 abgerissen, das Gelände, in Besitz der Deutschen Bahn AG, liegt seitdem brach. Lokomotiveinsatz. Anfangs waren nur die Lokomotiven "Greiz" und "Brunn" (später in der Gattung I T geführt) der Greiz-Brunner Eisenbahn-Gesellschaft in Greiz stationiert. Nach deren Ausmusterung kam die Gattung V T nach Greiz. Später kamen noch die Gattungen XII H2 (spätere Baureihe 38.2–3) sowie XI HT (später Baureihe 94.19–21) von Greiz aus zum Einsatz. Erst in den 1930er Jahren wurden andere Länderbahnbaureihen in Greiz stationiert. Obwohl nur eine unbedeutende Dienststelle – es wurden zumeist nur ältere Fahrzeuge in Greiz stationiert – erhielt man 1932 als eine der ersten Lokeinsatzstellen fabrikneue Einheitslokomotiven der Baureihe 86. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Baureihen 38.2–3, 55.25–56, 58.10–21, 75.5, 91.3–18 und 94.19–21 vorhanden. Hinzu kam nach Kriegsende recht bald die Baureihe 38.10–40, die bis in den 1960er Jahren von Greiz aus eingesetzt wurden. Gegen Jahresende 1963 wurden zahlreiche Loks der Baureihe 58.10–21 an andere Dienststellen abgegeben, als Ersatz erhielt man die Baureihen 58.30 und 65.10. Da die 18-m-Drehscheibe für alle Loks der Baureihe 58 zu klein war, konnten diese nur die Schuppengleise 4 und 6 benutzen. Mit der Stationierung der Triebwagen der Baureihe VT 2.09 begann 1968 der Traktionswandel, um 1970 wurden erstmals auch Diesellokomotiven der Baureihen V 60, V 100, V 180 und V 200 hier stationiert. Abgeschlossen wurde der Traktionswandel im Dezember 1975, als die letzten Loks der Baureihe 50 abgegeben wurden. Verkehrsanbindung. Der Bahnhof Greiz ist Endstation einer Regionalexpress-Linie von Erfurt über Gera, die mit Zügen der Baureihe 612 der DB Regio bedient wird. Zwischen Gera und Weischlitz über Greiz und Plauen fährt ebenfalls im Zweistundentakt die Vogtlandbahn, die meisten Fahrten werden nach Adorf weitergeführt. Zum Einsatz kommen hier Dieseltriebwagen vom Typ RegioShuttle. Im Abschnitt Greiz – Gera besteht somit im Wechsel mit der DB ein Stundentakt. Zusätzlich besteht in Greiz an manche dort endenden Züge der DB Regio Anschluss an die Vogtlandbahn. Hierbei enden und wenden beide Züge in Greiz. Die Verstärkerzüge der Vogtlandbahn werden intern als Linie 4b aufgeführt. Außerdem verkehrt an einigen Wochenenden im Herbst ein historischer Dampfzug unter dem Namen "Elstertal-Express" zwischen Gera und Cheb. Im März 2018 fuhr zudem einmalig der "Halloren-Express" von Greiz nach Halle. Im Fahrplanjahr 2022 wird der Bahnhof Greiz von folgenden Linien bedient: Die durchfahrenden und endenden Züge der Vogtlandbahn halten in der Regel an Bahnsteig 2. Die nur bis Greiz verkehrenden Züge der Deutschen Bahn fahren dagegen auf Gleis 1 ein und halten vor dem Übergang zu Bahnsteig 2. Durch die Elektrifizierung der Mitte-Deutschland-Verbindung zwischen Weimar, Gera und Gößnitz wird Greiz voraussichtlich den durchgehenden Anschluss von Gera nach Erfurt verlieren. Die Entwürfe zum Deutschland-Takt sehen vor, die Züge der Elstertalbahn dann stündlich direkt zwischen Weischlitz und Leipzig über Greiz, Gera und Zeitz verkehren zu lassen.
Der Klein-Nishina-Wirkungsquerschnitt ist der Wirkungsquerschnitt, der die Winkelverteilung von Photonen angibt, die an ruhenden, punktförmigen, geladenen Teilchen gestreut werden (Compton-Streuung). Er wurde 1929 von Oskar Klein und Yoshio Nishina für das Elektron berechnet und war eines der ersten Ergebnisse der Quantenelektrodynamik. Er stimmt mit den experimentellen Ergebnissen überein. In diesem Artikel wird die Rechnung für das Elektron nachvollzogen; für andere punktförmige Teilchen sind die Elementarladung formula_1 und die Elektronenmasse formula_2 durch entsprechende Parameter abzuändern. Die nun folgenden Formeln sind nicht im SI-System, sondern in einem für die Teilchenphysik angepassten natürlichen Einheitensystem angeschrieben, in dem gilt: Definition. Bei der Photon-Teilchen-Streuung legen in einer halbklassischen Rechnung Energie- und Impulserhaltung fest, wie die Energie formula_4 des gestreuten Photons vom Streuwinkel formula_5 und der ursprünglichen Photonenenergie formula_6 abhängt (siehe Compton-Effekt): Aus den Erhaltungssätzen folgt aber "nicht", wie häufig dieser oder jener Streuwinkel auftritt. Diese Häufigkeit wird durch den differentiellen Wirkungsquerschnitt formula_8 angegeben. Er lautet im Laborsystem für unpolarisierte Photonen: mit Eine Integration über den differentiellen Wirkungsquerschnitt liefert den totalen Wirkungsquerschnitt: mit der Abkürzung formula_14. Grenzfälle. Niederenergetischer Grenzfall. Für Photonenergien, die klein gegen die Ruheenergie des Elektrons sind, gilt aufgrund der Masselosigkeit des Photons formula_15 und somit dann geht der Klein-Nishina-Wirkungsquerschnitt gegen den Thomson-Wirkungsquerschnitt, den Joseph Thomson für die Streuung einer elektromagnetischen Welle an einer Punktladung berechnet hatte: mit dem Polarisationsfaktor formula_18. Für kleine Energien ist Rückwärtsstreuung des Photons also genauso wahrscheinlich wie Vorwärtsstreuung (vgl. Abbildung); erst bei höheren Energien wird Vorwärtsstreuung wahrscheinlicher (s. u.). Für niederenergetische Photonen ist der totale Wirkungsquerschnitt nach einer Integration über den Raumwinkel formula_19 bis auf einen Faktor 8/3 die Fläche einer Kreisscheibe, deren Radius der klassische Elektronenradius formula_20 ist: mit der Elektronenmasse formula_22. Hochenergetischer Grenzfall. Der totale Wirkungsquerschnitt im hochenergetischen Grenzfall formula_23 ergibt sich aus einer Entwicklung im Parameter formula_24 zu Er fällt demnach bei hohen Photonenenergien mit der Energie ab. Herleitung. Der fundamentale Prozess, der zum Klein-Nishina-Wirkungsquerschnitt führt, ist die Compton-Streuung formula_26. Bezeichnet formula_27 den Impuls des einlaufenden Elektrons und formula_28 den des ein(aus)laufenden Photons (der Impuls des auslaufenden Elektrons formula_29 ist durch den Energie-Impuls-Erhaltungssatz bestimmt und keine unabhängige Größe), so lautet das Spin-gemittelte quadrierte Matrixelement der Streumatrix: Für die Berechnung des differentiellen Wirkungsquerschnitts aus dem lorentzinvarianten Matrixelement muss ein Bezugssystem gewählt werden, im Fall des Klein-Nishina-Wirkungsquerschnitts das Ruhesystem des Elektrons. Weiterhin können die Koordinaten so gewählt werden, dass das einfallende Photon in formula_31-Richtung propagiert. Dann gilt mit formula_32 und formula_33 sowie formula_34 für das Matrixelement Den Quotienten der Energien von gestreutem und einfallenden Photon erhält man über den Energie-Impuls-Erhaltungssatz mittels wie bereits obig postuliert, zu Der differentielle Wirkungsquerschnitt ergibt sich nun quantenfeldtheoretisch nach mit den Energien formula_39 der Streupartner, der Geschwindigkeitsdifferenz formula_40 sowie dem Phasenraum-Integral wobei formula_42 für die Viererimpulse der eingehenden (ausgehenden) Teilchen stehen und die Delta-Distribution die Energie-Impuls-Erhaltung sichert. Im Fall der Compton-Streuung ergibt sich das Phasenraumintegral schließlich zu sowie aufgrund der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit trivialerweise formula_44. Alles zusammengefügt und mithilfe des Energie-Impuls-Erhaltungssatzes teilweise vereinfacht, ergibt dies schließlich den Klein-Nishina-Wirkungsquerschnitt
Hans Kaufmes (auch Johann Kaufmes oder John Kaufmes, * 29. August 1897 in Brenndorf, Siebenbürgen, Königreich Ungarn; † 23. November 1971 in Corvallis (Oregon), Vereinigten Staaten von Amerika) war Landwirtschaftsfachmann, „Landesbauernführer“ der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ (DViR), Leiter des „Landesbauernamtes“ der DViR und von 1940 bis 1944 Vizebürgermeister in Kronstadt (heute Brașov). Leben. Kaufmes studierte Agrarwissenschaft (B.S.) in Rumänien und schloss sein Studium 1922 an der Universität Hohenheim in Stuttgart als Diplom-Landwirt (M. Agr.) ab. Von 1923 bis 1938 arbeitete er als Direktor der Ackerbauschule im Marienburg (heute Feldioara). Er unterzeichnete als Dritter die gegen den Bischof der Evangelischen Landeskirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien Viktor Glondys am 21. Juli 1934 gerichtete Erklärung führender Nationalsozialisten in Rumänien „Zur Klarstellung der Lage. Ein Wort an alle deutschen Volksgenossen“. 1938 vertrat er als „Landesbauernführer“ die „Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumänien“ in der „Front der Nationalen Wiedergeburt“ und nahm an den Gesprächen zur Gleichschaltung der Deutschen in Rumänien mit Edit von Coler teil. 1940 bis 1944 war Kaufmes Vizebürgermeister in Kronstadt (Brașov). Am 16. November 1940 unterzeichnete er die mit dem Siebenbürgisch-sächsischen Landwirtschaftsverein getroffene „Vereinbarung“, diesen in den Rahmen des "Gaubauernamtes Siebenbürgen" einzugliedern. Am 8. Mai 1942 wurde Hans Kaufmes als der Landesbauernführer der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ auf fünf Jahre zum Mitglied im Ständigen Rat der Landwirtschaft ernannt. 1942 reiste er in einer Abordnung des rumänischen Landwirtschaftsministeriums auf Einladung des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft nach Deutschland. Im Oktober 1943 wurde er zusammen mit dem Delegationsführer der rumänischen Studienkommission Călniceanu vom rumänischen Gesandten Gheorghe in Berlin empfangen. Mitte März 1944 heiratete Kaufmes’ Tochter Adele den Volksgruppenführer Andreas Schmidt. Kaufmes forcierte den nationalsozialistischen Genossenschaftsgedanken, nach dem die Wirtschaft im Dienste der Gemeinschaft zu stehen habe und die Gesetze der Blutsgemeinschaft denen der Wirtschaft übergeordnet sein müssten. Den Bauern sollte durch das Genossenschaftswesen die Sorge um Absatz, Beschaffung und Preisgestaltung weitgehend abgenommen werden, ihre Kräfte müssten für die Produktion frei werden. Unter diesen Gesichtspunkten entstanden im Buchenland die Hauptgenossenschaft „Bauernwerk“, in Bessarabien die Hauptgenossenschaft „Bauernsegen“ und in Siebenbürgen die „Bauernhilfe“. Nach dem Königlichen Staatsstreich in Rumänien am 23. August 1944 weilte eine Anzahl Familien führender Amtswalter der Volksgruppe auf Urlaub in der Nähe von Reps (). Noch zu Beginn September 1944 wurde Kaufmes durch eine Frontlücke zu diesen Familien geschickt. Er hinterließ ihnen einen Geldbetrag, die Familien selbst aber verblieben entsprechend der Weisungen der Volksgruppenführung im feindbesetzten Südsiebenbürgen, gemeinsam mit der Mehrzahl der übrigen Mitglieder der Volksgruppe. Kaufmes hingegen flüchtete nach Österreich, wo er sich in Innsbruck als Student einschrieb und 1946 zum Dr. phil. promovierte. Bis 1949 war er im landwirtschaftlichen Dienst Tirols als Landwirtschaftslehrer an der Lehranstalt in Rotholz beschäftigt. Kaufmes beschloss darauf nach Australien auszuwandern, stellte aber 1950 in Hamburg fest, dass die Voraussetzungen für ihn in den USA günstiger waren. Hier war er zunächst als Hilfsarbeiter beim Tierzuchtinstitut der Oregon State University in Corvallis tätig, ab 1956 bekleidete er dort bis 1969 die Funktion eines "Research Associate (Assistant Professor) for Animal Science". Veröffentlichungen. Auswahl: Zitat. In Kaufmes’ Veröffentlichung "Deutscher Bauer, halte die Heimatfront" heißt es 1942 unter anderem:
Die Hölle von Macao ist ein deutsch-französisch-italienischer Abenteuerfilm aus dem Jahr 1967 mit Robert Stack und Elke Sommer in den Hauptrollen. Handlung. Während er verbotene Aufnahmen von rotchinesischen Bewachern einiger Mädchen bei der Feldarbeit nahe der Grenze zur portugiesischen Kolonie Macau macht, wird der amerikanische Fotoreporter Cliff Wilder von einem der bewaffneten Chinesen entdeckt. Man eröffnet das Feuer auf ihn. Cliff flieht. An der Küste sieht er ein kleines Motorboot, das einem Danny Mancini gehört. Verfolgt von einem schnellen Küstenwachboot der Chinesen entkommen die beiden Westler und tauchen im Schiffsgewirr des nahe liegenden Hafens von Macau unter. Dort lädt Cliff zum Dank Danny zu einem Drink in der Hafenspelunke ein. Danny fühlt sich offensichtlich von einem blonden Typen europäischer Herkunft verfolgt, denn als dieser sich der Bar nähert, drückt er Cliff etwas Eingewickeltes in die Hand und entflieht durch die Hintertür. Dannys Verfolger kommt in die Bar gestürmt und folgt diesem durch die Hintertür. In seinem Hotelzimmer will Cliff gerade ein Bad nehmen, da hört er, wie jemand in sein Zimmer eindringt. Es ist eine junge Blondine, die sich als Lily Mancini vorstellt, die Frau seines Retters. Sie möchte von ihm das Päckchen haben, dass Danny ihm auf der Flucht in die Hand gedrückt hat. Cliff gibt sich ahnungslos und lässt sich auch nicht auf ihre Forderung ein, als Lily einen Revolver zückt. Cliff entwaffnet sie und wirft sie aus seinem Zimmer, nicht bevor er die schöne Unbekannte geküsst hat. Am Abend will sich Cliff wie verabredet mit Danny in einem Nachtclub treffen. Dannys blonder Verfolger vom Tage, ein gewisser Hugo, ist auch schon da. Eine Tänzerin mit bunten Federboas tanzt Cliff an und sagt ihm en passant, wo er Danny treffen könne. Cliff geht zu diesem Treffpunkt, doch dort erwartet ihn nicht etwa der kurz zuvor verschleppte Danny, sondern zwei chinesische Schläger, die ihn beseitigen wollen. Plötzlich taucht Dannys blonder Verfolger wieder auf und hilft Cliff, will ihn aber offensichtlich selber entführen. Cliff kann mit dem Wagen des Blonden entkommen und fährt zurück zur Tänzerin, um sie sich vorzuknöpfen. Doch diese Jasmine umgarnt ihn, einzig allein in der Absicht, um herauszubekommen, wo Cliff das Päckchen Dannys hat. Als dieser behauptet, er habe es der Barchefin Madame Vulcano gegeben, rastet Jasmine aus. Kaltlächelnd verlässt Cliff das Zimmer. Währenddessen foltern mehrere Chinesen Danny mit einem Schneidbrenner, um herauszubekommen, wo er das Päckchen versteckt habe. Wieder zurück auf seinem Zimmer erwartet Cliff dort ein weiterer Mann. Er stellt sich als Francis Pinto vor, ist seines Zeichens Polizeichef von Macau und hat einige Fragen an Cliff. Als beide wenig später erneut die Bar aufsuchen, um mit Jasmine zu sprechen, liegt diese in ihrem Zimmer: ermordet. Anschließend erfüllt Polizeichef Pinto Cliffs Wunsch, ihn endlich zu Mancini zu bringen. Doch der liegt aufgebahrt in einem Beerdigungsinstitut, durch schwere Brandwunden ums Leben gekommen. An seinem Sarg steht die trauernde Witwe Lily. In einem Moment des Unbeobachtetseins, steckt Cliff dem Toten im Sarg heimlich das schmale Päckchen, das ihm der Tote am Tag zuvor zugesteckt hatte, ins Jackett. Dann kommen zwei Institutsangestellte und schrauben den Sarg zu. Wieder in seinem Büro, erklärt Inspektor Pinto, worum es hier eigentlich geht: Ein Medaillon mit einem chinesischen Drachen, das als seit 2000 Jahren verloren gegolten hatte, sei plötzlich wieder aufgetaucht. Es sei ungeheuer wertvoll, da es der Schlüssel zu einem gewaltigen Schatz eines früheren Chinesenkaisers sei. Von nun an lassen ihn die verschiedenen Parteien, die fest davon überzeugt sind, dass sich Cliff im Besitz dieses Medaillons befinde, keine Sekunde mehr aus dem Auge. Eine mysteriöse Frau, eine gewisse Tina, bittet Cliff zu sich. Die attraktive Chinesin residiert in einem palastartigen Anwesen am Rande Macaus. Cliff ahnt, dass sie wohl kaum einen amerikanischen Fotografen zu sich bitten würde, nur um für 500 Dollar die Stunde Aufnahmen von sich machen zu lassen. Nach erstem vollen Körpereinsatz wird Cliff klar, dass es auch dieser Person einzig um Mancinis verschwundenes Medaillon gehen könne. Tina ist die Anführerin einer Chinesenbande, die in ihren Mitteln nicht eben zimperlich ist. Vor Cliffs Augen wird derjenige Chinese, der Mancini zu Tode gefoltert hat, wiederum selbst gefoltert: mit aus einem kleinen Maskenmedaillon herabträufelnder Säure. Als plötzlich Pinto auf der Bildfläche erscheint, wird dem Amerikaner klar, dass dieser irgendwie in der Sache drinhängt. Dennoch erweist sich seine Anwesenheit als Vertreter der Polizei als Rettung, und Cliff verlässt im Schutz Pintos das für ihn gefährlich werdende Ambiente. Am Abend besucht Cliff das schwimmende Casino Macaus. Dort trifft er erneut auf Lily Mancini, die hier als Croupière arbeitet. Chef des Casinoschiffs ist ein gewisser Brandon, der wiederum die „weiße“ Gangsterbande auf der Jagd nach dem Medaillon anführt. Sein Mann fürs Grobe ist der Cliff bereits bekannte Blonde zu Beginn der Geschichte, Hugo. Ohne Umschweife bietet Cliff Brandon das Medaillon an, wenn dieser ihm im Gegenzug eine halbe Million Dollar zahle. Beim Handschlag der beiden schlägt Cliff ihn für all die durch ihn und Seinesgleichen in der letzten Zeit erlittenen Unbilden kurzerhand nieder, wird aber von weiteren Aktionen durch den bewaffneten Hugo abgehalten. Wilder wird an den Händen gefesselt und zu einer nächtlichen Badetour ganz besonderer Art vor die Haustür gebracht. Ein Motorboot schleift ihn durch das Hafenwasser, um ihn zum Reden zu bringen. Während der von Brandon spöttisch so genannten „Royal Tour“ verschwindet Cliff in der Nacht. Man hört einen Schuss, das Motorboot kehrt zurück, kracht in die Hafenanlage und explodiert. Wilder hingegen ist nicht mehr auffindbar. Er wurde von Tinas Leuten „befreit“ und zugleich gekidnappt. Denn auch sie verlangt, unter dem Hinweis, es handele sich dabei um ein „nationales, chinesisches Erbe“, von Cliff das Medaillon. Als er nicht sofort spurt, lässt jedoch auch sie die Fäuste ihrer Schläger für sie sprechen. Dabei ersticht Cliff Tinas ‘rechte Hand‘ mit einem Kamerastativ. Plötzlich tauchen in der Villa auch Brandons Halunken auf. Es kommt zu einer wüsten Schlägerei und Messerwerferei, bei der die Gegner der verschiedenen Gangsterbanden sich gegenseitig dezimieren. Auch Cliff bekommt dabei einiges ab. Mit einem beherzten Sprung ins Freie entkommt er jedoch. Reichlich derangiert erscheint Cliff Wilder im Boudoir von Lily Mancini und fällt ihr direkt vor die Füße. Lily kümmert sich um Cliff, pflegt seine Wunden und päppelt ihn auf. Wieder zu Kräften gekommen, eilt Cliff zum Friedhof, wo Danny beerdigt wurde. Doch er muss feststellen, dass das Grab freigeschaufelt und der Sarg geöffnet wurde. Das über Dannys Brust verstaute Medaillon ist verschwunden. Dafür ist Pinto mit einer halben Hundertschaft seiner Leute angerückt. Während Cliff beim nächsten Treffen Lily beschuldigt, das Artefakt an sich genommen zu haben, hat Pinto zu einem Gipfeltreffen aller drei Interessensparteien -- er, Brandon und Tina -- eingeladen. Man schließt einen vorübergehenden Burgfrieden, um gemeinsam das verschwundene Kleinod aufzuspüren. Tina sagt zu, sich um Lily „kümmern“ zu wollen, da sie davon ausgehe, dass die Witwe das Medaillon an sich genommen haben muss. Tatsächlich hat Lily das Schmuckstück am Grabstein des Nachbargrabes versteckt und dies dem wütenden Cliff gebeichtet. Ehe das Medaillon in die Hände der Konkurrenz geraten kann, schleicht sich Cliff in der folgenden Nacht erneut auf den Friedhof und nimmt es an sich. Bis in die Morgenstunden hinein zeichnet Cliff das Medaillon auf einem Stück Papier nach und geht anschließend in Lilys Wohnung. Diese ist aufgebrochen und verwüstet, Lily verschwunden. Der Amerikaner stürmt daraufhin zum Casinoschiff und verprügelt dort erst einmal Brandons Männer, in der Annahme, dass diese hinter Lilys Verschwinden stecken. Doch Lily befindet sich längst in Tinas Folterkammer, wo sich die Hausherrin mit Brandon und Pinto zu einem fröhlichen Stelldichein zusammengefunden haben. Madame Tina gedenkt, die benötigten Informationen durch ihre bewährte Säure-Tröpfchen-Methode herauszukitzeln. Da stürmt plötzlich Cliff ins Geschehen — in der einen Hand eine Pistole, in der anderen das Medaillon. Im Gegenzug zu Lilys Freilassung wirft Cliff Tina das Medaillon herüber. Dann verlassen das junge Paar und die drei Ganoven das Anwesen in unterschiedliche Richtungen. Rasch beginnen sich die Verbündeten auf Zeit zu misstrauen, zumal Pinto zusammen mit Wilder gesichtet wurde. Pinto, Cliff und Lily sind des Nachts unterwegs, um mit der Medaillonzeichnung in einem Tempel den eigentlichen Schatz aufzuspüren. Anhand der Zeichnung erkennen die Drei, welchen Stein sie aufmeißeln müssen und steigen schließlich in ein unterirdisches Gewölbe herab. Als Cliff, Lily und Pinto einen gewaltigen goldenen Reiter vor sich sehen, wissen sie, dass sie die Schatzkammer erreicht haben. Die Freude über die prall gefüllte Schatztruhe währt nur kurz, da erschallt ein Schuss: Brandon und Tina sind eingetroffen. Zwischen Cliff und Brandon kommt es zum Kampf. Ein Schuss löst sich, die Halteseile der Schatzkammersperren-Verankerungen zerbersten, und alle sind nunmehr eingeschlossen. Cliff will nicht aufgeben und buddelt sich, mit Brandons Hilfe, ein Loch ins Freie. Dann müssen Brandons Gefangene die Truhe an die Erdoberfläche schleppen. Zu spät bemerken alle Beteiligten, dass sie sich auf rotchinesisches Territorium herausgebuddelt haben. Während Cliff, Lily und Pinto fliehen, liefern sich die bewaffneten Tina und Brandon mit den heranstürmenden, rotchinesischen Soldaten ein Feuergefecht. Dabei wird Tina getötet. Brandon schießt wild um sich und wirft eine Handgranate. Da er nicht mehr entkommen kann, zerrt er die Schatztruhe wieder zurück in die Grabkammer. Inzwischen haben die chinesischen Soldaten das Loch im Erdboden entdeckt und werfen gleichfalls Handgranaten hinein. Dies bringt die gesamte Schatzkammer zum Einsturz. Brandon wird mit all den Schätzen unter den Trümmern begraben. Wie zu Beginn der Geschichte kann Cliff, mit Lily und Pinto im Schlepptau, in letzter Sekunde den Rotchinesen entfliehen und ins sichere Macau entkommen. Pinto, der nie den Tod aber stets die Armut gefürchtet hat, bleibt nur noch das wertlos gewordene Medaillon, das ihn Tina mit spöttischem Kommentar in der Schatzkammer „geschenkt“ hatte. Erschöpft und ausgelaugt wirft er es enttäuscht hinter sich fort. Doch ganz arm ist er nicht: Pinto hat in weiser Voraussicht drei Edelsteine — zwei blaue und einen roten — mitgehen lassen und teilt sie brüderlich mit Lily und Cliff. Produktionsnotizen. Der von Artur Brauners CCC-Filmkunst produzierte Streifen wurde zwischen dem 19. August und dem 9. November 1966 abgedreht. Die Uraufführung fand am 20. Januar 1967 in Stuttgart statt. Während die Innenaufnahmen in den Berliner CCC-Studios aufgenommen wurden, entstanden die Außenaufnahmen in Hongkong. Peter Hahne hatte die Produktionsleitung. Die Bauten stammen von Hans-Jürgen Kiebach und Ernst Schomer, die Kostüme von Paul Seltenhammer. Die Produktionskosten beliefen sich auf rund fünf Millionen DM. Um den Streifen international besser vermarkten zu können, sprachen alle Beteiligten vor der Kamera Englisch. In den USA wurde "Die Hölle von Macao" unter den Titeln "The Corrupt Ones" und "The Peking Medallion" vertrieben.
Quemchi ist eine Gemeinde ("Comuna") im Süden von Chile auf der Insel Chiloé in der Región de los Lagos. Es ist der Geburtsort des chilenischen Schriftstellers Francisco Coloane, außerdem steht in Quemchi eine Kirche, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Lage und Größe. Die Gemeinde Quemchi liegt an der Nordostküste der Insel Chiloé und bedeckt eine Fläche von 440,3 km². Die Entfernung nach Castro, der Hauptstadt der Provinz Chiloé, beträgt 67 km. Zur Gemeinde gehört die vorgelagerte Insel Caucahué sowie die Inselgruppe Islas Chauques, die aus Mechuque (15 km²), Añihué, Voigue, Cheñiao, Butachauques, Tac und Aulín besteht. Die Gemeinde Quemchi wird von der gleichnamigen Stadt sowie folgenden Dörfern gebildet: Bevölkerung. Die Volkszählung von 2002 ergab für die Gemeinde eine Einwohnerzahl 8 689 Einwohnern, von denen 1 665 (19,2 %) in der Stadt Quemchi und 7 024 (80,8 %) in den zur Gemeinde gehörenden Dörfern wohnten. Von 1992 bis 2002 stieg die Einwohnerzahl um 6,1 % (501 Menschen). Geschichte. Der Ortsname Quemchi wurde erstmals 1810 urkundlich erwähnt, als Gründungsjahr der Stadt gilt jedoch das Jahr 1882. 1810 bestand der Ort aus nur vier Häusern, von denen eines einer Familie mit Namen Coloane – den Vorfahren des 1910 hier geborenen Schriftstellers – gehörte. 1875 wurde die erste Kirche in Quemchi gebaut. Sie fiel 1934 zusammen mit 40 weiteren Gebäuden einem Großbrand zum Opfer und wurde in den 1940er Jahren neu gebaut. Bei dem Erdbeben von 1960 wurden die am Meer stehenden Pfahlbauten zerstört. Der chilenische Schriftsteller Francisco Coloane, der Quemchi "Gemeinde der tausend Landschaften" nannte, wurde 1910 in Huite geboren und besuchte hier die Schule. Während anfangs Forstwirtschaft, Holzverarbeitung und die Verschiffung des in der Umgebung der Stadt geschlagenen Holzes die wirtschaftliche Grundlage Quemchis bildeten, hat seit den 1990er Jahren mit der Besserung der Gesamtwirtschaft Chiles der Fremdenverkehr in Quemchi und Umgebung stark an Bedeutung zugenommen. Mit der Asphaltierung der wichtigsten Zufahrtsstraße nach Quemchi im Jahr 2000 wurden die Verkehrsverbindungen und die Wirtschaftslage der Gemeinde erheblich verbessert. Bauwerke. Die Kirche "Iglesia de San Antonio" in der Ortschaft Colo ist eine der 16 Holzkirchen auf Chiloé, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Sie wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts erbaut und 1996 sowie 2005 restauriert. Die Kirche, die hauptsächlich aus dem Holz der Coihue-Südbuche und der Zypresse auf einem steinernen Sockel erbaut wurde, ist eine der kleinsten Kirchen der Insel Chiloé. Ihr Turm hat eine Höhe von 16,50 m, während das Kirchenschiff 23 m lang ist. Im Innern der Kirche sind u. a. zwei Gemälde beachtenswert, die Maria bzw. den Namenspatron der Kirche, Antonius von Padua, darstellen. Am 10. August wurde die Kirche zum Nationalen Kulturgut erklärt. Das Museum der Stadt ist der Stadtgeschichte sowie dem Leben und Werk Francisco Coloanes gewidmet. Das Mausoleum seiner Familie auf dem alten Friedhof im Stadtkern ist eine viel besuchte Sehenswürdigkeit, ebenso die Uferstraße "Calle Centenario". Umgebung. An der Bucht von Quemchi liegt 4 km südlich der Stadt das Dorf Aucar mit der vorgelagerten Isla Aucar, die über eine fast 600 m lange hölzerne Brücke zu erreichen ist und die vollständig von einem Friedhof mit dazugehöriger Kapelle eingenommen wird. Francisco Coloane nannte die Insel "Insel der seefahrenden Seelen". Die Insel Caucahué wird wegen ihrer Seelöwenkolonie und ihrer zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbauten Kirche besucht. Auf der Insel Mechuque mit ihren 1090 Einwohnern (2002), der mit einer Fläche von 15 km² größten Insel der Gruppe Islas Chauques, leben viele Menschen in Häusern auf Pfählen, und auch die 2004 zum Nationalen Kulturgut ernannte Schule ist in einem Pfahlbau untergebracht. Für die Gemeinde Quemchi hat der Fremdenverkehr als Wirtschaftsfaktor seit den 1990er Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Das Dorf Lliuco, 14 km nördlich der Stadt Quemchi, ist wegen seines feindsandigen Badestrandes – eines der längsten Strände Chiloés – bekannt, der vielfältige Möglichkeiten für Wassersport bietet. Auch die Laguna Popetán, an der das Dorf Montemar (8 km) liegt, wird wegen Wassersports viel besucht.
U 163 war ein deutsches U-Boot vom Typ IX C, das im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Kriegsmarine eingesetzt wurde. Technik und Geschichte. "U 163" war ein Tauchboot für ozeanische Verwendung. Es war ein U-Boot vom Zweihüllentyp und hatte eine Wasserverdrängung von 1.120 t über und 1.232 t unter Wasser. Es hatte eine Länge von 76,76 m, eine Breite von 6,76 m und einen Tiefgang von 4,70 m. Mit den beiden 2.200 PS MAN-Neunzylinder-Viertakt Dieselmotoren M 9 V 40/46 mit Aufladung konnte eine Höchstgeschwindigkeit über Wasser von 18,3 kn erreicht werden. Bei 10 kn Fahrt konnten 12.000 Seemeilen zurückgelegt werden. Die beiden 500 PS SSM-Doppel-E-Maschinen GU 345/34 hatten 62 × 62 Akku-Zellen AFA Typ 44 MAL 740 W. Es konnte eine Höchstgeschwindigkeit unter Wasser von 7,3 kn erreicht werden. Bei 4 kn Fahrt konnte eine Strecke von 64 Seemeilen zurückgelegt werden. Aus 4 Bug- und 2 Hecktorpedorohren konnten 22 Torpedos oder bis zu 44 TMA oder 66 TMB-Minen ausgestoßen werden. Die Tauchtiefe betrug 100 – 200 m. Die Schnelltauchzeit betrug 35 Sekunden. Es hatte ein 10,5-cm Utof L/45 Geschütz mit 180 Schuss und 1 × 3,7-cm Fla-Waffe mit 2.625 Schuss, 1 × 2-cm-Fla-MK mit 4.250 Schuss. Ab 1943/44 erfolgte bei diesem Bootstyp der Ausbau der 10,5-cm-Kanone und Einbau von 4 × 2-cm-Zwillings-Fla-Geschützen mit 8.500 Schuss. Die Besatzungsstärke konnte aus vier Offizieren und 44 Mannschaften bestehen. Die Kosten für den Bau betrugen 6.448.000 Reichsmark. Der Auftrag für das Boot wurde am 25. September 1939 an die Seebeckwerft, Geestemünde vergeben. Die Kiellegung erfolgte am 8. Mai 1940, der Stapellauf am 1. Mai 1941, die Indienststellung unter Korvettenkapitän Karl-Eduard Engelmann fand schließlich am 21. Oktober 1941 statt. "U 163" gehörte vom 21. Oktober 1941 bis zum 31. Juli 1942 als Ausbildungsboot der 4. U-Flottille in Stettin und vom 1. August 1942 bis zu seiner Versenkung am 13. März 1943 als Frontboot der 10. U-Flottille in Lorient an. Es absolvierte drei Feindfahrten, auf denen es drei Schiffe mit 15.011 BRT sowie ein Kanonenboot mit 2.000 t versenken konnte. "U 163" wurde am 13. März 1943 in der Biscaya durch kanadische Seestreitkräfte versenkt. Es gab keine Überlebenden. Einsatzstatistik. Erste Feindfahrt. Das Boot lief am 21. Juli 1942 um 7.20 Uhr von Kiel aus. "U 163" operierte im Mittelatlantik, in der Karibik, vor Trinidad. Am 22. Juli 1942 lief "U 163" um 22.25 Uhr in Kristiansand zur Versorgung mit Brennstoff ein. Es lief am 23. Juli 1942 um 7.00 Uhr wieder dort aus. Am 4. September 1942 wurde "U 163" auf dem Rückmarsch im Mittelatlantik von "U 462" mit Trinkwasser und Proviant versorgt. Nach 58 Tagen auf See und einer zurückgelegten Strecke von 9.670 sm über und 257 sm unter Wasser lief "U 163" am 16. September 1942 um 9.30 Uhr in Lorient ein. Es hatte auf dieser Unternehmung keine Schiffe versenkt oder beschädigt. Zweite Feindfahrt. Das Boot lief am 17. Oktober 1942 um 17.30 Uhr von Lorient aus. "U 163" operierte im Mittelatlantik, dem Westatlantik, der Karibik, vor Trinidad. Am 27. Dezember 1942 wurde "U 163" auf dem Rückmarsch, im Mittelatlantik, von "U 463" mit 42 m³ Brennstoff versorgt. Nach 81 Tagen auf See und einer zurückgelegten Strecke von 12.083 sm über und 326 sm unter Wasser, lief "U 163" am 6. Januar 1943 um 12.45 Uhr wieder in Lorient ein. Es hatte auf dieser Unternehmung drei Schiffe mit 15.011 BRT sowie ein Kanonenboot mit 2.000 t versenkt. Dritte Feindfahrt. Das Boot lief am 10. März 1943 um 16.30 Uhr von Lorient aus und operierte zunächst in der Biscaya. Verbleib. "U 163" wurde am 13. März 1943 ca. 315 Seemeilen (580 km) nordwestlich von Kap Ortegal im Marine-Planquadrat BE 9159 auf der Position durch Wasserbomben der kanadischen Korvette "HMCS Prescott (K161)" versenkt. Es gab keine Überlebenden (57 Tote).
Volksmehr (,,) und Ständemehr (,,) sind Begriffe aus dem schweizerischen Bundesstaatsrecht. Zur Annahme einer Abstimmungsvorlage muss in bestimmten Fällen zusätzlich zum Volksmehr (der Mehrheit der gültig abstimmenden Bürger) auch die Mehrheit der Stände (d. h. der Kantone) einer Vorlage zustimmen. Als Standesstimme gilt das Ergebnis der entsprechenden Volksabstimmung in einem Kanton. Wurzeln des Ständemehrs. Die Wurzeln des Ständemehrs liegen in der historischen Autonomie der Kantone in der Alten Eidgenossenschaft. Einziges eidgenössisches Organ war bis zum Franzoseneinfall 1798 die Tagsatzung, in der jeder Stand ungeachtet seiner Einwohnerzahl eine Stimme hatte. Eidgenössische Belange wurden in dieser Zeit ausschliesslich durch das Ständemehr entschieden. Nach dem Franzoseneinfall und dem Scheitern der zentralistisch organisierten Helvetischen Republik wurde mit der Mediation 1803 die Tagsatzung wieder eingeführt. Auch hier wurde nach Ständen abgestimmt; allerdings hatten die Standesstimmen der sechs grössten Kantone doppeltes Gewicht. Nach der Niederlage Napoleon Bonapartes wurde die Tagsatzung im Bundesvertrag von 1815 wiederum einziges gesamteidgenössisches Organ. Auch unter dem Bundesvertrag war allein das Ständemehr in Abstimmungen entscheidend; die Stimmen aller Stände waren erneut gleichwertig. Bei der Schaffung des Bundesstaats 1848 wollten die Kantone nach den Erfahrungen mit der Helvetischen Republik sichergehen, dass es nicht ein weiteres Mal über ihren Kopf hinweg zu einer zentralistischen Verfassung käme, weshalb ein zweikammriges Parlament aus Volks- und Kantonsvertretung eingerichtet wurde. Auf diese Weise sollte dem Prinzip des Föderalismus Rechnung getragen werden. Bereits in der ersten Bundesverfassung von 1848 war das Ständemehr deshalb doppelt verankert. Einerseits war für die Gesetzgebung die Zustimmung beider Parlamentskammern notwendig, das heisst, die Mehrheit der Kantonsvertreter im Ständerat musste zustimmen (Art. 77). Die Kantonsvertretung im Ständerat war jedoch insofern abgeschwächt, als die Ständeräte sich nicht wie in der Tagsatzung an Instruktionen ihrer Kantone zu halten hatten (Art. 79). Anderseits war für den Fall einer Verfassungsrevision eine Volksabstimmung vorgesehen, in der die Mehrheit der Kantone einer neuen Verfassung zustimmen müsste, damit diese in Kraft treten könne (Art. 114). 1891 wurde die Möglichkeit einer Teilrevision der Bundesverfassung durch das Parlament oder auf Initiative der Stimmbürger eingeführt. Mit Art. 121 der Bundesverfassung von 1874 erhielt das Ständemehr die heute wichtigste Funktion bei Volksabstimmungen über Verfassungsänderungen. Erst die Bundesverfassung von 1999 erweiterte das Ständemehr auch auf den Beitritt zu Organisationen kollektiver Sicherheit oder supranationalen Gemeinschaften (Art. 140). Geltungsbereich. Das Ständemehr ist gemäss Art. 140 Abs. 1 Bundesverfassung (BV) in folgenden Fällen zusätzlich zum Volksmehr nötig: Bei fakultativen Referenden genügt das Volksmehr zur Annahme der Vorlage, da diese immer Gesetze und nie die Verfassung betreffen. Ermittlung des Ständemehrs. Die sechs ehemaligen Halbkantone Obwalden, Nidwalden, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden haben aus historischen Gründen je eine halbe Standesstimme (Art. 142 Abs. 4 BV), die übrigen 20 Kantone jeweils eine ganze Standesstimme. Somit ergeben sich 23 Standesstimmen. Das Ständemehr bei einer Vorlage ist erreicht, wenn eine Mehrheit der Standesstimmen erreicht ist. Ein Gleichstand, also 11,5 zu 11,5 Standesstimmen (11 zu 11 vor Gründung des Kantons Jura 1979), zählt als Ablehnung. Am Anfang des modernen Bundesstaates 1848 konnte jeder Kanton selbst entscheiden, wie seine Standesstimme ermittelt wird. So galt etwa im Kanton Tessin die Regel, dass das Kantonsparlament, der «Grosse Rat», ein eigenes Votum abgab, das nicht unbedingt mit der Volksmehrheit übereinstimmen musste. Mittlerweile gilt die bundesrechtliche Regelung, dass die Standesstimme mit der Mehrheit des Volksvotums im betreffenden Kanton identisch ist: Stimmt eine Mehrheit der abstimmenden Bürger einer Vorlage zu, so gilt dies als zustimmende Standesstimme. Lehnt die Mehrheit der Abstimmenden die Vorlage ab, so wird dies als ablehnende Standesstimme gewertet (Art. 142 Abs. 3 BV). Auswirkungen in der Praxis. Da für Verfassungsänderungen eine Mehrheit von Volk und Ständen erforderlich ist, kann das Ständemehr ein zustimmendes Volksmehr aufheben. Umgekehrt kann eine Vorlage auch abgelehnt werden, wenn sie in der Mehrheit der Kantone befürwortet wird, sie jedoch kein Volksmehr erreicht. Das bisher grösste Volksmehr, das am Ständemehr scheiterte, lag bei 55,4 Prozent und das bisher grösste Ständemehr bei ablehnendem Volksmehr bei 16,5:6,5 (siehe unten). In der Praxis stimmen Volks- und Ständemehr nur selten nicht überein. Ist dies jedoch der Fall, so bevorteilt ein Stände-Nein die kleinen, ländlichen und eher konservativ geprägten Kantone der deutschsprachigen Zentral- und Ostschweiz gegenüber den grossen städtischen Agglomerationen und gegenüber der französischsprachigen Schweiz. Im Gegensatz dazu bevorzugt ein Volks-Nein die grossen Agglomerationen und Kantone gegenüber den kleinen ländlichen Kantonen (wobei in den grossen Städten und in der französischsprachigen Schweiz oft ähnlich abgestimmt wird). Ein demokratierechtliches Problem liegt darin, dass beim Ständemehr eine Stimme aus dem Kanton Appenzell Innerrhoden (15'000 Einwohner, eine halbe Standesstimme) 40,95-mal mehr Gewicht hat als eine aus dem Kanton Zürich (1'228'600 Einwohner, eine Standesstimme). Obwohl diese Tatsache immer wieder kritisiert wird, besteht weitgehend Konsens, dass am Ständemehr als einem Grundpfeiler des schweizerischen Föderalismus nicht gerüttelt werden soll. Da ausserdem jede Änderung des gegenwärtigen Zustandes bei der abschliessenden Abstimmung auf das Erreichen des Ständemehrs angewiesen wäre, ist eine Abschaffung dieser Regelung unrealistisch.
Die Point-Klasse ist eine Baureihe von Mehrzweck-RoRo-Schiffen, die dem britischen Ministry of Defence (MoD) unterstellt sind. Die sechs Schwesterschiffe entstanden 2001 bis 2003 für britische Rechnung auf Basis des Schiffsentwurfs "RoRo 2700" der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft und dienen dem strategischen Transport von überwiegend rollender militärischer Ladung. Geschichte. Während der Militäroperationen der 1990er Jahre (Zweiter Golfkrieg, Bosnienkrieg u. a.) machte das Ministry of Defence (MoD) die Erfahrung, dass es kurzfristig keine geeignete Schiffstonnage für den vom Joint Rapid Reaction Forces geforderten schnellen Transport von militärischen Ausrüstungen und die notwendige weltweite Versorgung der Truppen chartern konnte. Nachdem der Schiffsbedarf im Juli 1998 auf vier neuzubauende RoRo-Containerschiffe taxiert worden war, erhöhte sich der Bedarf im April 1999 mit dem Beschluss, die bis 2002/03 laufenden Chartern der vorher eingesetzten RoRo-Schiffe RFA "Sea Crusader" (A96), RFA "Sea Centurion" (A98) und "Dart 10" nicht zu verlängern, auf sechs Schiffe. Das Neubauprogramm sollte im Rahmen eines "Private Finance Initiative" (PFI), ähnlich dem "builder-and-charter"-System des U.S. Military Sealift Command abgewickelt werden, welches außerhalb von Militäroperationen einen normalen Betrieb als Handelsschiff zulässt. Das Neubauprogramm wurde nach EU-Recht ausgeschrieben und von den Firmen NOVOMAR, Maersk, A.W.S.R. Shipping Ltd und Sealion beboten. Die britische Reederei A.W.S.R. Shipping erhielt am 26. Oktober 2000 den Zuschlag, die sechs Schiffe zu bauen und für 25 Jahre zu betreiben. Nach langwierigen Verhandlungen zwischen AWSR und Harland & Wolff und zahlreichen Verzögerungen wurden die Bauverträge erst Mitte 2001 unterschrieben. Das erst im Juni 2002 unterzeichnete endgültige Gesamtvertragswerk über Bau und Betrieb der Fahrzeuge bis 2024 umfasste rund 950 Millionen Pfund. AWSR Shipping, inzwischen Foreland Shipping sind für die Besetzung, die Wartung und den Betrieb der nicht als Kriegsschiffe geführten Fahrzeuge verantwortlich. Dabei erfolgt die Besetzung im Auftrag des MoD ausschließlich mit britischem Personal, dass nach einer Einlernphase auch für Reservezwecke zur Verfügung steht, während in der übrigen Zeit auf multinationale Besatzungen zurückgegriffen wird. Der georderte Schiffstyp basiert auf dem Ro-Ro-2700-Schiffsentwurf der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft, die auch vier der sechs Einheiten in Flensburg baute. Zwei weitere Schwesterschiffe baute die Werft Harland & Wolff im nordirischen Belfast, um eine frühzeitige Lieferung der Baureihe zu gewährleisten. Der Baubeginn des ersten Schiffs erfolgte im Herbst 2001 ebenfalls in Belfast, die erste Kiellegung dort erfolgte am 8. Oktober 2001. In Flensburg folgte die erste Kiellegung am 21. Januar 2002. Am 16. August 2002 konnte in Flensburg mit der "Hurst Point" das erste Schiff der Baureihe übergeben werden. Das erste Harland & Wolff-Schiff folgte am 21. Oktober 2002. Die "Anvil Point" beschloss am 31. März 2003 den Bau der Serie. Zivile Nutzung. Da die Schiffe nicht durchgehend vom britischen Ministry of Defense eingesetzt werden, sind einige von ihnen an zivile Firmen verchartert, können jedoch stets kurzfristig für militärische Operationen abgezogen werden. Die "Longstone" und die "Beachy Head" waren von 2003 bis 2009 für die finnische Reederei Transfennica im Einsatz. Seit Januar 2009 wird die "Longstone" in Charter der ebenfalls in Finnland ansässigen Reederei Finnlines als "Finnmerchant" in der Ostsee eingesetzt, die "Beachy Head" fährt als "Williamsborg" für das dänische Unternehmen Nordana. Technische Einzelheiten und Ausstattung. Die Ladungsdecks der Schiffe erstrecken sich über drei Decks bis direkt unter die Wohneinrichtungen im Deckshaus, was zum charakteristischen Aussehen beiträgt. Die Schiffe besitzen umfangreiche Ladungseinrichtungen. Zum Ladungsumschlag verfügen die Schiffe über Heckrampen und ein internes Rampensystem zur Verbindung der Ladungsdecks. Außerdem verfügt jedes Schiff über einen auf der Steuerbordseite mittschiffs vor dem Deckshaus angebrachten Deckskran, der bis zu 40 t heben kann. Ausgehend vom zivilen auf den Transport von Sattelaufliegern, allgemeinen Ro-Ro-Ladungen, Mafi-Trailern, Containern und Panzern ausgelegten Ro-Ro-2700-Entwurf wurden die Schiffe der Point-Klasse auf die Erfordernisse des MoD abgestimmt. Die Schiffe der Point-Klasse sind daher auf die Mitnahme von 25 Challenger-2-Panzern, 24 Warrior-Schützenpanzern, selbstfahrenden 155-mm-Panzerhaubitzen, sowie weiteren Fahrzeugen und Trailern ausgelegt. Auf den Trailerdecks finden jeweils 189 12,6 Meter lange Sattelauflieger Platz. Es stehen 485 Spurmeter auf dem unteren Ladungsdeck und 975 Spurmeter auf dem Hauptdeck zur Verfügung. Insgesamt besitzen die Schiffe mit dem Platz auf dem Wetterdeck jeweils 2606 Spurmeter. An Bord sind 60 Anschlüsse für Kühlcontainer vorhanden. Auf einem Entwurfstiefgang von 6,6 Meter transportieren die Schiffe rund 10.000 Tonnen mit bis zu 22 Knoten Geschwindigkeit. Es sind aber höhere Tiefgänge und Zuladungen möglich. Die normale Dienstgeschwindigkeit ist auf 18 Knoten veranschlagt. Die Schiffe sind größtenteils mit zwei Viertakt-Dieselmotoren des Typs MaK 7M 43 ausgerüstet, die auf zwei Verstellpropeller wirken. Die "Eddystone" ist mit zwei MaK-Dieselmotoren mit jeweils 8100 kW Leistung ausgerüstet. Die zuletzt abgelieferte "Beachy Head" verfügt über ebenfalls leistungsstärkere Motoren des Typs 9M 43. Die Schiffe verfügen über ein elektrisch angetriebenes Bugstrahlruder mit 1400 kW Leistung. An Bord der Schiffe ist Platz für 22 Besatzungsmitglieder. Die Besatzungsgröße beläuft sich üblicherweise auf 18 Personen.
Axolotl Overkill ist ein deutsches Filmdrama von Helene Hegemann, das am 20. Januar 2017 im Rahmen des World Cinema Dramatic Competition des Sundance Film Festivals seine Weltpremiere feierte. Hegemann übernahm die Regie und schrieb für den Film auch die Drehbuchadaption ihres Debütromans "Axolotl Roadkill" aus dem Jahr 2010. Handlung. Die 16-Jährige Mifti ist die Tochter eines reichen Vaters und wohnt seit dem Tod ihrer Mutter gemeinsam mit ihren älteren Halbgeschwistern Annika und Edmond in einer Wohngemeinschaft in Berlin. Dort führt sie ein Partyleben, schwänzt die Schule und kommt früh mit Sex und – auch wegen ihrer drogensüchtigen Freundin Ophelia – mit Drogen in Kontakt. Die Erwachsenen, auf die sie trifft, scheinen alle frustriert, verzweifelt oder von Dingen besessen zu sein, mit denen sie selbst überhaupt nichts anfangen kann. So interessiert sich ihr Vater viel mehr für Kunst als für Menschen. Andere glauben, dass bald die Welt untergeht, und wieder andere verzweifeln bereits, wenn sie nicht wissen, was sie anziehen sollen. Mifti legt sich mit jedem Erwachsenen an, der versucht, ihr Vorschriften zu machen, und daher beschließt sie auf eigene Faust erwachsen zu werden und ihren eigenen Weg zu gehen. Bisher hat sie jedoch nur für ihr Haustier, ein Axolotl, Verantwortung übernommen – einen Lurch, der nicht erwachsen werden kann – und sich nur wenig um andere Menschen und die Schule gekümmert, was sie eigentlich hätte tun sollen. Doch eines Tages entwickelt Mifti eine Obsession für Alice, eine Frau, die viel älter ist als sie. Nach einer Affäre mit der Fotografin, die bereits eine Reihe von Straftaten begangen hat und eine sehr rätselhafte Person ist, driftet Mifti immer weiter in die Welt der Berliner Technoclubs ab und greift schließlich auch zu Heroin. Produktion. Literarische Vorlage und Stab. Es handelt sich bei "Axolotl Overkill" um das Spielfilmregiedebüt von Helene Hegemann, die auch das Drehbuch zum Film schrieb. Hierfür adaptierte Hegemann ihr Buch "Axolotl Roadkill" aus dem Jahr 2010. Nur drei Wochen nach der Veröffentlichung hatte der Debütroman der damals Siebzehnjährigen Kultstatus erreicht und war auf Platz sechs der meistverkauften Bücher in Deutschland gelandet. Dass Hegemann ihren Erfolgsroman verfilmen will, war bereits 2011 bekannt geworden. Der titelgebende Axolotl ist ein eigentlich in Mexiko beheimateter Schwanzlurch, der die Geschlechtsreife erreicht, ohne seine äußere Larvengestalt zu verändern, also sozusagen nicht erwachsen wird. Besetzung. Im Film ist Jasna Fritzi Bauer in der Hauptrolle der 16-jährigen Mifti zu sehen. Laura Tonke und Julius Feldmeier spielen ihre Halbgeschwister Annika und Edmond. Die Rolle der Femme fatale Alice wurde mit der spanischen Schauspielerin Arly Jover besetzt, und Hans Löw spielt ihren Ex-Mann. Die Schauspielerin Mavie Hörbiger übernahm die Rolle von Ophelia. Weitere Rollen übernahmen Nikolai Kinski und Sabine Vitua. Dreharbeiten und Finanzierung. Die Dreharbeiten fanden im August und September 2015 statt. Gedreht wurde unter anderem im Berliner Techno-Club Tresor. Der Film erhielt Förderungen vom Deutschen Filmförderfonds, von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und von der Filmförderungsanstalt, die den Film mit 200.000 Euro förderte. Für die Produktion und die Projektentwicklung steuerte das Medienboard Berlin-Brandenburg insgesamt 350.000 Euro bei. Marketing und Veröffentlichung. Vor der Premiere des Films wurde ein in englischer Sprache untertitelter Trailer veröffentlicht. Der Film feierte am 20. Januar 2017 im Rahmen des World Cinema Dramatic Competition des Sundance Film Festivals seine Weltpremiere. Das Sydney Film Festival 2017 nahm den Film in seine Reihe "Festival Award Winners" auf. Im Juni 2017 wurde der Film beim Tel Aviv LGBT Film Festival im offiziellen Wettbewerb vorgestellt. Am 29. Juni 2017 kam der Film in die deutschen Kinos. Ab 30. Juni 2017 wurde er beim Filmfestival Karlovy Vary gezeigt. Rezeption. Altersfreigabe. In Deutschland ist der Film FSK 12. In der Freigabebegründung heißt es: „Die Geschichte bietet aufgrund der eher auf Distanz bleibenden Protagonistin und des artifiziellen Settings wenig Anknüpfungspunkte für ein junges Publikum. So besteht nicht die Gefahr, dass der dargestellte Drogenkonsum und das auffällige Verhalten der Hauptfigur zur Nachahmung anregen. Einzelne Szenen, die teils rüde Sprache sowie die Atmosphäre des Films können Kinder unter 12 Jahren irritieren und überfordern, doch bereits 12-Jährige sind in der Lage, sich ausreichend zu distanzieren.“ Kritiken. Der Film konnte bislang 64 Prozent der Kritiker bei Rotten Tomatoes überzeugen. Die Zuschauerbewertung liegt mit 14 % deutlich unter den Kritikerbewertungen. Jordan Mintzer von "The Hollywood Reporter" sagt, Hegemann trete mit ihrem Film in die Fußstapfen von Larry Clark oder Gus Van Sant. Mintzer meint, auch wenn Hegemanns durch die Augen eines Teenagers erzählte Roman "Axolotl Roadkill" es geschafft habe, ein großes Publikum zu erreichen, gehe diese Kühnheit in einem Film verloren, der an vielen Stellen überzogen wirke. Jessica Kiang von "Variety" spricht von einem formal betrachtet eindrucksvollen, jedoch thematisch schlüpfrigen Regiedebüt, in dem die Parallelen zwischen Mifti und dem Axolotl deutlich würden, und es stelle sich die Frage, inwieweit die beiden zukunftslosen und absolut egozentrischen Individuen zu beneiden seien. Kiang erkennt im Film einen deutschen Surrealismus wieder, durch den zuletzt auch Filme wie "Toni Erdmann" und in geringerem Maße auch "Die Blumen von gestern" gekennzeichnet gewesen seien. Jens Balzer von "Zeit Online" erklärt, im Film gelingt es Mifti an keiner Stelle, wirklich loszulassen und mit einer ravenden Menge, einer euphorischen Situation, zu verschmelzen. Immer bleibe sie an dem haften, was sie aus der Welt in die Partyräume mit hineingebracht hat, seien es Begleiterinnen oder Begleiter oder die allgemeine Last ihres Daseins. Von der Deutschen Film- und Medienbewertung wurde "Axolotl Overkill" mit dem Prädikat "Besonders wertvoll" versehen. In der Begründung heißt es: „Miftis Suche, ihre Verzweiflung und Wut sind fast körperlich spürbar im Film, und auch ihre defekte Wahrnehmung im Wahn der Partynächte überträgt sich direkt auf den Zuschauer durch eine teils nonlineare Erzählweise. Sämtliche filmische Mittel, wie hier und im gesamten Film die herausragende Montage, konzentrieren sich darauf, Ausdruck für Miftis Gemütszustand zu sein. Dieser formalen Konsequenz ist es sicherlich zu verdanken, dass es in keinem Moment des Films um eine Wertung geht, ob irgendwer Drogen nehmen darf oder nicht, ob Mifti verführt wird oder nicht, ob sie irre ist oder nicht – all diese Ambivalenzen bedürfen keiner didaktisch motivierten Klärung, sondern verdichten sich zu einem enorm vielschichtigen und deshalb wunderbar gelungenen Porträt.“ Nominierungen und Auszeichnung. Preis der deutschen Filmkritik 2017 Romy 2018 Sundance Film Festival 2017
Bruji (vom Burgenlandkroatischen "brujati" auf deutsch "es brummt, es dröhnt") ist eine im Burgenland (Österreich) gegründete Musikgruppe welche laut eigener Definition „Krowodn-Rock“ macht. Ihre Lieder sind zu einem Großteil auf Burgenlandkroatisch oft aber auch gemischtsprachig, also Deutsch und Burgenlandkroatisch. Durch ihr Auftreten, ihre Konzerte und Platten trugen und tragen Bruji einen wesentlichen, identitätsstiftenden Beitrag zum Selbstbewusstsein der Burgenlandkroaten bei. Geschichte. Entstehung. Bruji gingen aus der Coverband "The Brew" (gegründet 1969) in einem relativ fließenden Prozess hervor, welcher sich auch in der Zusammensetzung der Gruppe widerspiegelt. The Brew wurden 1968 von den drei Borištofci/Warasdorfern Rudi und Poli Berlaković, sowie Joža Linzer gegründet. Danach holte die Gruppe sich Joško Vlasich als Gitarristen und Ignac Karall um an der Orgel zu spielen. Nach dem Ausscheiden von Poli Berlaković kam Berti Šolić zur Band, wobei auch intern Instrumente getauscht wurden. 1975 trat Hansi Palatin an die Stelle des, an schwerer Krankheit, verstorbenen Joža Linzer. Einen entscheidenden Einfluss auf die Gruppe spielte der Schlager "Marijana", den sie im Wurlitzer beim "Zidor", einem der zwei Gasthäuser in Veliki Borištof/Großwarasdorf, fanden. Es inspirierte Bruji dazu auch Lieder aus dem damaligen Jugoslawien in ihr Programm aufzunehmen – was in Österreich einmalig war. Mit ihrer ersten Single "Rozmarija raste" (zu deutsch "der Rosmarin wächst"), einer Neuinterpretation eines burgenlandkroatischen Volksliedes, im Jahr 1976 schuf die Gruppe ein Ethno-Pop-Stück. Interessant daran war, dass dies noch deutlich früher geschah, als im damaligen Jugoslawien, wo es später, allen voran von den Bijelo dugme, ebenfalls aufgegriffen wurde. Aus "The Brew" werden "Bruji". Im Laufe der zweiten Hälfte der 1970er änderte sich die Besetzung der Gruppe (damals noch "The Brew") abermals. Für Ignac Karall und Hansi Palatin kamen der Unterpullendorfer Toni Perušić und der Oberpullendorfer Josef Sari. Mit diesem Wechsel kamen auch neue Ideen und Ziele – der "Krowodn-Rock" wurde geboren und, dem neuen Konzept entsprechend, 1980 der neue Name "Bruji" gewählt. Der letzte Besetzungswechsel fand ebenfalls in dieser Phase statt, als Rudi Berlaković (seit 2012 Bürgermeister der Gemeinde Großwarasdorf), Bert Šolić und Hansi Palatin die Gruppe verließen und an ihrer Stelle Werner und Rudi Karall, sowie Klaus Bittner gefunden werden konnten. Die neuen Krowodn-Rock Lieder wurden jetz kritischer und lauter, wie z. B. "Gemma Krowodn schaun", worin der acht- und respektlose Umgang mit der Minderheit der Burgenlandkroaten besungen wird oder das Lied "Nema Problema" (dt.: "Es gibt (eh) kein Problem") welches die bewusste Assimilierungspolitik der österreichischen Politik anprangert. Diese Texte und Musik trafen den Nerv des aufkeimenden Selbstbewusstseins und der politisch engagierten, jungen Burgenlandkroaten, die diese Lieder bald zu inoffiziellen Hymnen werden ließen. Aktuelle Zusammensetzung. Aktuell setzt sich die Band aus den fünf Mitgliedern Klaus Bittner (Schlagzeug), Werner Karall (Bass), Rudi Karall (elektrische Gitarre), Toni Perušić (Keyboard / Tasten-Akkordeon) und dem Frontman Joško Vlasich (Vokal) zusammen, wobei die Instrumente bei Unplugged-Auftritten auch variieren können. Es kommen dann zum Teil Tamburica-Instrumente zum Einsatz. Musikalische Kooperationen. Als prominenteste Gäste auf ihren Alben konnten Toni Stricker und Willi Resetarits gewonnen werden, wobei ersterer die Geige auf dem neu gestalteten und extrem melancholischen Volkslied "Gusla mi se j' potrla" (auf deutsch in etwa "Meine Geige ist gebrochen") spielte, und von Willi Resetarits das Lied "Muž kod puž" (dt.: "Ein Mann wie eine Schnecke") mit einspielt wurde. Soziales Engagement statt kommerziellem Erfolg. Einen echten kommerziellen Durchbruch konnte die Gruppe nie feiern, obwohl sie es mit der zweisprachigen Singleauskopplung "Sviraj brate, Tambure" (zu deutsch etwa "Spiel mir auf der Tambure, Bruder!") in den 1980-ern bis in die Ö3 Charts schafften. Dennoch gelangten Bruji mit ihrer Musik deutlich über den musikalischen Tellerrand des Burgenlandes und der Burgenlandkroaten hinaus. Sie tourten durch Österreich und traten bei zahlreichen Konzerte in ganz Europa (u. a. sogar in der DDR auf dem "Festival des politischen Liedes") auf. An ihrem (relativen) Bekanntheitsgrad nicht ganz unbeteiligt dürfte auch das, in ihren Wurzeln liegende, soziale Engagement gewesen sein. So spielten Bruji unter anderem 1993 am SOS-Lichtermeer, der größten Demonstration der Zweiten Republik. Ein Beleg für diese soziale Engagement findet sich in einer Rede Peter Wagners, in welcher er 1995, anlässlich der CD-Präsentation von "simo tamo - hin und her", diese besonders betont & hervorgehoben hat. Einen weiteren Beleg kann man in den zwei Gastauftritten auf Benefiz-CDs & Konzerten finden. Ein weiterer Beleg für das gesellschaftspolitische Engagement der Gruppe sind die Lebensläufe der (ehemaligen) Mitglieder. So ist das Gründungsmitglied Rudi Berlaković seit 2012 Bürgermeister der Gemeinde Großwarasdorf/Veliki Borištof, während Joško Vlasich von 2000 bis 2010 als Abgeordneter im Burgenländischen Landtag saß. Außerdem wurde das Kulturzentrum "KUGA" ("Ku"lturna Zadru"ga", auf deutsch "Kulturelle Vereinigung") im Dunstkreis der Bruji gegründet und, maßgeblich von Joško Vlasich, auf eine institutionelle Basis gehoben. Die KUGA ist inzwischen ein überregional bekanntes Kulturzentrum in dem sowohl Kabaret, Popmusik und Festivals mit (inter)nationalen Größen (Roland Düringer, Alfred Dorfer, The Dubliners, Russkaja, Momčilo Bajagić Bajaga, Stefan Hantel, Tony Wegas, Hans Söllner, Hans Theessink, Kurt Ostbahn, uvm.) als auch "lokale" Veranstaltungen und Bälle abgehalten werden, sowie soziale Aktivitäten, die zu eine Gemeinschaftsgefühl beitragen (VHS-Kurse, Sportkurse, Kinderbetreuung in den Sommerferien …). Diskografie. In den mehr als 30 Jahren ihres Bestehens haben Bruji bis 1998 fünf LPs/CDs und zwei Singles produziert (in chronologischer Reihenfolge): Gastauftritte. Lieder der Bruji finden sich auch auf zwei weiteren (Benefiz-)CDs, auf denen sie neben Größen der österreichischen Popmusik, wie der EAV, Wolfgang Ambros, Georg Danzer, Kurt Ostbahn, Hubert von Goisern, Hans Theessink, S.T.S., den Zillertaler Schürzenjägern, uva. zu hören sind:
Gunther Behnke (* 19. Januar 1963 in Leverkusen) ist ein ehemaliger deutscher Basketballnationalspieler. Größter Erfolg des 2,21 Meter großen Centers war der Gewinn der Europameisterschaft 1993. Laufbahn. Behnke, der als Jugendlicher in Pulheim bei Köln mit dem Basketball begann, wurde 1981 mit TuS 04 Leverkusen deutscher Meister der A-Jugend. 1982 wurde der Erfolg wiederholt. Er debütierte Anfang der 1980er Jahre für die Leverkusener in der Bundesliga. Im Sommer 1982 nahm er mit der bundesdeutschen Auswahl an Junioren-Europameisterschaft teil und war mit 14,3 Punkten hinter Detlef Schrempf zweitbester Korbschütze der BRD-Mannschaft. Bei der Junioren-EM 1983 erzielte Behnke 17,8 Punkte je Begegnung, wieder wurde er mannschaftsintern nur von Schrempf übertroffen. Behnke schloss die Schule mit dem Abitur ab und durchlief im Bayer-Konzern anschließend eine Lehre zum Informationselektriker. Mitte April 1984 verkündete die US-amerikanische University of Kentucky Behnke als Neuzugang für die Saison 1984/85. Der Deutsche weilte aber nur kurzfristig bei der Hochschulmannschaft, fühlte sich dort nicht wohl und ging Ende August 1984 in sein Heimatland zurück. Er blieb Bayer Leverkusen bis 1992 treu und gewann in dieser Zeit fünf Deutsche Meisterschaften (1985, 1986, 1990–1992) sowie vier Mal den DBB-Pokal-Wettbewerb (1986, 1987, 1990, 1991). Mit 317 Einsätzen ist Behnke Rekordspieler der Bayer-Bundesligamannschaft. die 2008 den Spielbetrieb einstellte. 1985 wurde er, im gleichen Jahr wie sein ehemaliger Mannschaftskollege Schrempf von den Cleveland Cavaliers in der fünften Runde an achter Stelle des NBA-Draftverfahrens ausgewählt. Er spielte aber nie in der NBA, sondern weiterhin in Leverkusen. 1989 wurden die Rechte an Behnke an die neugegründete NBA-Mannschaft Minnesota Timberwolves abgegeben, von denen er jedoch nie verpflichtet wurde. 1989 errang er mit der bundesdeutschen Studentenauswahl die Bronzemedaille bei der Universiade in Duisburg. In den Jahren 1992 bis 1994 setzte Behnke seine Bundesliga-Karriere beim TuS Bramsche fort. Dort erhielt er deutlich mehr Einsatzzeit als zuvor in Leverkusen. Anschließend wechselte er zu Alba Berlin. Er gehörte zum Berliner Kader, der 1995 den Korać-Cup und damit als erste deutsche Mannschaft einen europäischen Vereinswettbewerb gewann. Im ersten Korać-Cup-Endspiel blieb Behnke ohne Punkte, im Rückspiel erzielte er zehn. In der Bundesliga brachte es der Innenspieler in den Berliner Farben in der Saison 94/95 auf Mittelwerte von 9,0 Punkten und 7,7 Rebounds (Mannschafthöchstwert), im Spieljahr 95/96 waren es 5,7 Punkte und 5,0 Rebounds je Bundesliga-Begegnung. Seine letzte Profistation waren ab 1996 die Telekom Baskets Bonn, mit denen er zwei Mal das Play-off-Finale um die Deutsche Meisterschaft erreichte, aber jeweils gegen seinen früheren Klub Alba Berlin verlor. Bei seinem Abschied aus der Bundesliga war Behnke der dienstälteste Spieler der Liga. In der Bundesliga erzielte er insgesamt 5002 Punkte. Im Anschluss an die Saison 1999/2000 wechselte er nach Köln zu den 99ers, für die er noch in der Regionalliga West zusammen mit Stephan Baeck spielte und Meister wurde. Zwischen 1983 und 1995 absolvierte Behnke insgesamt 146 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft, wobei er 702 Punkte erzielte. Er nahm an den Olympischen Spielen 1992, zwei Weltmeisterschaften und vier Europameisterschaften teil. Während der EM 1993, bei der er mit Deutschland Europameister wurde, erzielte Behnke 6,9 Punkte pro Turnierspiel. Sein bestes Spiel bei der EM 1993 zeigte Behnke gegen im wichtigen zweiten Gruppenspiel gegen Belgien (16 Punkte), als sich die deutsche Mannschaft nach der Auftaktniederlage gegen Estland wieder aufrichtete. Behnke war einer der längsten Spieler, die je in der Bundesliga auf dem Parkett standen. Seine Spezialität war das Blocken von gegnerischen Würfen. Laut eigener Aussage hat er inzwischen „mit Basketball abgeschlossen“.
Bronislaw Wladislawowitsch Kaminski (; * 16. Juni 1899 in Witebsk; † 28. August 1944 in Litzmannstadt) war der Befehlshaber eines von der deutschen 2. Panzerarmee um die Jahreswende 1941/42 eingerichteten „Selbstverwaltungsbezirkes“ mit der russischen Stadt Lokot () als Zentrum und der Kommandeur der zu dessen Verteidigung aufgestellten Miliz aus kollaborationswilligen sowjetischen Staatsbürgern. Das im Zuge der Bekämpfung der anwachsenden sowjetischen Partisanenbewegung gestartete deutsche „Experiment“ erwies sich aus Sicht seiner Initiatoren als überaus erfolgreich, da Kaminski mit seiner Streitmacht, die nach ihm "Brigade Kaminski" benannt wurde, das ihm übertragene Gebiet und damit das Hinterland der 2. Panzerarmee dauerhaft „befrieden“ konnte. Als Sohn eines Angehörigen eines laut NS-Rassentheorie als „Untermenschen“ klassifizierten Volkes stieg Kaminski zu einem der wichtigsten einheimischen Verbündeten der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion auf und vereinigte in seiner Hand eine wohl einmalige Machtfülle. Als die Wehrmacht 1943 den „Selbstverwaltungsbezirk Lokot“ vor der anrückenden Roten Armee zu räumen gezwungen war, wurde Kaminskis Streitmacht mitsamt den Familienangehörigen nach Weißrussland evakuiert, wo sie abermals zur „Partisanenbekämpfung“ eingesetzt wurde. Wie zuvor bereits in Russland und danach im Rahmen ihres „Einsatzes“ bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes war Kaminskis Brigade auch hier für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem Ausmaß verantwortlich, das nur von wenigen anderen Einheiten in deutschen Diensten erreicht wurde. Noch während des Warschauer Aufstandes wurde Kaminski schließlich unter nicht genau bekannten Umständen von den Deutschen hingerichtet. Aus seiner bereits zuvor in die Waffen-SS inkorporierten Brigade sollte nun die "29. Waffen-Grenadier-Division der SS „RONA“ (russische Nr. 1)" gebildet werden – ein Vorhaben, das aber nicht mehr realisiert wurde. Die Reste von Kaminskis Brigade gingen schließlich in der Armee des russischen Kollaborateurs Andrei Wlassow auf. Leben. Herkunft, Jugendzeit und Verfolgung durch das stalinistische System. Die Informationen über Bronislaw Kaminskis Leben vor dem Zweiten Weltkrieg sind eher spärlich, zum Teil auch widersprüchlich. Fest steht, dass Kaminskis Vater ein Pole, seine Mutter hingegen eine Volksdeutsche war, und dass Kaminski dreisprachig aufwuchs: mit Deutsch, Polnisch und Russisch. Als relativ wohlhabende Gutsbesitzer konnten die Eltern ihrem 1899 geborenen Sohn eine gute Erziehung angedeihen lassen und Kaminski soll bis 1917/1918 auf dem Gut seiner Eltern gelebt haben. Danach wurde die Familie in die Wirren des Russischen Bürgerkrieges verstrickt, an dem Kaminski auf Seiten der Roten Armee teilgenommen haben soll. Diese Angabe erscheint insofern plausibel, als es ihm in den 1920er Jahren möglich war, am Staatlichen Polytechnischen Institut in Sankt Petersburg Chemie zu studieren und anschließend als Chemieingenieur in der Farbenindustrie zu arbeiten. Im Juli 1935 wurde Kaminski verhaftet und als angebliches Mitglied der Bucharingruppe zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die er in einem sowjetischen Arbeitslager verbrachte. Bereits nach fünf Jahren wurde er jedoch entlassen und im Gebiet von Lokot zwangsangesiedelt, wo er fortan in einer Schnapsbrennerei arbeitete. Warum Kaminski freigelassen wurde, bleibt im Dunkeln, möglich ist aber, dass seine Freilassung in einem Zusammenhang mit seiner Anwerbung durch den NKWD stand, von der russische Quellen berichten. Welche Aufgabe Kaminski als Agent oder Informant des NKWD zu erfüllen hatte, ist jedoch nicht bekannt. Tätigkeit während des Zweiten Weltkriegs. Die „Republik Lokot“. Die Anfänge. Im Spätherbst 1941, nachdem die 2. Panzerarmee das Gebiet um Lokot erreicht hatte, begann hier jenes deutsche „Experiment“, das Kaminski zu einem der wohl bekanntesten, gleichzeitig aber auch berüchtigtsten Kollaborateure Sowjetrusslands werden ließ. Welche Umstände und Entscheidungen im Einzelnen zur Einrichtung des „Selbstverwaltungsbezirkes“ Lokot führten, der dem Jargon der Zeit entsprechend oft auch als „Republik Lokot“ () bezeichnet wurde, ist unbekannt. Als gesichert gilt, dass diese im Zusammenhang mit der Rekrutierung einheimischer Kräfte zur Bekämpfung der stark anwachsenden Partisanenbewegung im "Rückwärtigen Armeegebiet" der 2. Panzerarmee stand, zu dem auch das abgelegene Gebiet um Lokot gehörte. Aus eigener Machtvollkommenheit und unter Außerachtlassung aller sonst üblichen rassenideologischen Prämissen wurde dem Bezirksbürgermeister von Lokot, Konstantin Woskobojnikow (auch "Woskobojnik", "Voskoboinikov" oder "Voskoboinik" geschrieben), vom neuen Oberbefehlshaber der 2. Panzerarmee, Generaloberst Rudolf Schmidt, die Einrichtung einer weitgehend selbstständigen russischen Verwaltung und die Aufstellung eigener Polizeikräfte gestattet. Als Woskobojnikow am 8. Januar 1942 getötet wurde, „beerbte“ ihn Bronislaw Kaminski, der offenbar schon bisher als seine rechte Hand, zumindest aber als einer seiner wichtigsten Untergebenen fungiert hatte, in seinem Amt. Kaminskis Machtbereich und seine Organisation. Kaminskis Herrschaftsgebiet, dessen „Sitz“ die 41.000-Einwohner-Stadt Lokot war, umfasste schließlich acht Rajons der heutigen Oblaste Brjansk, Orjol (damalige Schreibweise „Orel“) und Kursk. Das Gebiet, das in etwa von den Städten Nawlja, Sewsk, Dmitrijew und Dmitrowsk samt ihrem Umland begrenzt wurde, umfasste rund 1,7 Millionen Einwohner und war damit durchaus einem der baltischen Staaten vergleichbar. In seinem Machtbereich konnte Kaminski nahezu völlig autonom schalten und walten und vereinte politische, militärische und wirtschaftliche Befugnisse in seiner Hand. Eine Maßnahme, die ihn besonders populär machte, war die Abschaffung des Kolchossystems und die Übereignung von Landbesitz und Vieh an die lokalen Bauern sowie an verdiente Kämpfer gegen das Sowjetsystem. Als private Produzenten waren sie nunmehr sowohl vor Übergriffen und Zwangsrequisitionen durch sowjetische Partisanen oder deutsche Einheiten geschützt und erwirtschafteten deutliche Überschüsse, die es Kaminski ermöglichten, seine Ablieferungsquoten an landwirtschaftlichen Produkten und Gütern gegenüber seinen deutschen Partnern zu erfüllen. Kaminskis Maßnahmen, zu denen auch die Aufrechterhaltung des Schulwesens und kultureller Einrichtungen zählten, ließen ihn in den Augen „seiner“ Untertanen zweifellos als einen mit den Deutschen auf gleicher Höhe stehenden Machtträger erscheinen. Auf diese Weise war er bei der Ausübung seiner Herrschaft nicht nur auf brutale Gewalt angewiesen, die er ohnehin jederzeit rücksichtslos einzusetzen bereit war, sondern konnte sich anfangs auch eines gewissen Maßes an echter Sympathie und bereitwilliger Unterstützung seitens der von ihm Beherrschten erfreuen. Obwohl vonseiten deutscher Offiziere und Dienststellen sowie den von ihnen mit Besatzungsaufgaben betrauten verbündeten Nationen stets Vorbehalte gegen Kaminski bestehen blieben, die durch dessen Arroganz und Unverschämtheit zusätzlich genährt wurden, galt Kaminskis Selbstverwaltungsgebiet deutscherseits als mustergültig und wurde im Vergleich zum sonst üblichen System der Besatzungsverwaltung als „weit überlegen“ angesehen, wie aus einem Bericht vom August 1942 hervorgeht. Die Deutschen tolerierten auch die Gründung einer russischen NS-Partei durch Kaminski, die als eine Art Ersatz für die KPdSU gedacht war und die von ihm beherrschte Bevölkerung auch politisch-ideologisch zusammenführen sollte. Zwar vertrat er russisch-völkische Anschauungen, an ideologischen Fragen hatte Kaminski aber kein wirkliches Interesse, weswegen seine Parteigründung letztlich „ein Phantom und ohne politische Auswirkungen“ blieb. Die "Brigade Kaminski". Wichtigstes Machtinstrument Kaminskis war und blieb seine Selbstverteidigungsmiliz, bei deren Rekrutierung ihm deutscherseits beträchtliche Freiheiten gelassen wurden, sodass er sogar in den deutschen Gefangenenlagern geeignete Männer anwerben durfte. Ob den Kern dieser Truppe tatsächlich jene schwer bewaffneten Kämpfer bildeten, auf die mit der Reparatur der Schienenstränge beauftragte deutsche Einheiten gestoßen waren, muss offenbleiben. Diesen Darstellungen zufolge hätte eine von Kaminski kommandierte Streitmacht schon in den Wochen vor dem Eintreffen der 2. Panzerarmee im Raum Brjansk den Kampf gegen die Rote Armee und die roten Partisanen aufgenommen. Ein Emissär Kaminskis sei dann in das Hauptquartier der 2. Panzerarmee nach Orel eskortiert worden und habe den Deutschen dort versichert, dass dessen Truppe, die im Frühjahr 1942 bereits 1.400 Mann umfasst haben soll, in der Lage sei, die sowjetischen Partisanen sowohl militärisch als auch propagandistisch zu bekämpfen. Problematisch erscheinen Darstellungen wie diese insofern, als sie die Rolle Woskobojnikows mit keinem Wort erwähnen; auch lassen sie unbeantwortet, wie Kaminskis Truppe in dieser kurzen Zeit in der Lage gewesen sein soll, einen derartigen Organisationsgrad zu erreichen und warum die Deutschen einem ihnen Unbekannten, der über eine gut bewaffnete Streitmacht verfügte, die – angesichts des akut werdenden Partisanenproblems – aus deutscher Sicht nahezu zwangsläufig als gefährlich einzustufen gewesen wäre, von Anfang an ein solches Vertrauen geschenkt haben sollten. Demgegenüber erscheint es wesentlich plausibler, von einem quasi organischen Wachstum von Kaminskis Streitmacht auszugehen, deren Nukleus sich noch unter seinem Vorgänger Woskobojnikow bildete. Fest steht, dass diese im Laufe des Jahres 1942 eine rasante personelle Aufstockung erfuhr. Diese stand vor allem mit der zunehmenden Tätigkeit der Partisanen im Zusammenhang, die nicht nur das Hinterland der 2. Panzerarmee zu destabilisieren drohten, sondern auch eine existentielle Bedrohung für Kaminskis soeben errungene Machtstellung darstellten. Kaminskis Truppe wurde schließlich dem im Februar 1942 eingesetzten "Kommandanten des Rückwärtigen Armeegebiets" ("Korück") der 2. Panzerarmee unterstellt, der im April dieses Jahres die Bezeichnung "Korück 532" (Generalleutnant Friedrich-Gustav Bernhard) erhielt und der "Heeresgruppe Mitte" unterstand. Bereits Mitte 1942 zählte die "Brigade Kaminski", die sich selbst als „Russische Volksbefreiungsarmee“ (– "Russkaja Oswoboditelnaja Narodnaja Armija", abgekürzt "POHA" bzw. "RONA") bezeichnete und als Abzeichen ein Georgskreuz auf weißem Grund mit den Initialen "POHA" trug, rund 5.000 Mann, und im Frühjahr 1943 erreichte sie mit ungefähr 10.000 Mann ihre Höchststärke. Die Uniformierung der 15 Bataillone der Brigade war ein buntes Sammelsurium, die Ausrüstung bestand überwiegend aus sowjetischen Beutewaffen. Als Unterstützung der Truppe kamen ferner eine Artillerieabteilung und sowjetische T-34-Beutepanzer hinzu. Kaminskis Kombination von befestigten Dörfern als defensives und der eigenen Streitmacht "(Sturm-)Brigade Kaminski" als offensives Element diente zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit in seinem Machtbereich bzw. zur „Bandenbekämpfung“. Nach einer deutschen Einschätzung der „Bandenlage“ war Ende 1941 nahezu das gesamte rückwärtige Gebiet der 2. Panzerarmee „Bandengebiet“ und geschätzte 7.000 Partisanen bedrohten die Bahnverbindung von Brjansk nach Kursk. Ein Jahr später galt die Bahnlinie ebenso wie das gesamte Lokoter Gebiet als „bandenfrei“. Kaminskis Truppe soll den Partisanen Verluste von über 2.000 Mann beigebracht und insgesamt 12.531 als unzuverlässig geltende „Zivilisten“ aus dem betreffenden Gebiet „entfernt“ haben. Demgemäß konnte sich die deutsche Präsenz im Selbstverwaltungsgebiet Lokot auf einige wenige Angehörige der Wehrmacht, darunter einen Verbindungsoffizier des Korück und einen taktischen Berater, sowie gelegentlich anreisende Inspektionsoffiziere beschränken. Eigenen Angaben zufolge wurde die Wehrmacht bei ihren Sicherungsaufgaben durch Kaminski im Umfang von mindestens einer Division entlastet. Dank der Sicherheitslage im Gebiet Lokot konnte schließlich Kaminskis Streitmacht außerhalb ihres angestammten Bereiches operieren. Zwischen Mai und Juli 1943 nahm die Brigade im Zusammenwirken mit deutschen Sicherungseinheiten und anderen einheimischen Kontingenten an mehreren „Großunternehmen“ zur „Bandenbekämpfung“ teil. Ihrem üblen Ruf wurden Kaminskis Kämpfer bei diesen Unternehmen, denen vor allem die Zivilbevölkerung zum Opfer fiel, einmal mehr gerecht. Bei den Angehörigen der Brigade waren Plünderungen, Vergewaltigungen, die Erpressung von Aussagen durch Folter sowie die unterschiedslose Ermordung aller, die der Zusammenarbeit mit den Partisanen verdächtigt wurden, an der Tagesordnung. Da Kaminski seinen Männern bei ihren „Einsätzen“ freie Hand ließ, war er bei ihnen äußerst beliebt und konnte auf ihre Loyalität zählen. Im Gegensatz zur militärischen „Praxis“ liegen aber über die soziale Zusammensetzung der „Russischen Volksbefreiungsarmee“ und die Motivation ihr beizutreten, keine verlässlichen Daten vor. Für die in der Literatur und diversen Internetquellen oft wiederholten Behauptungen, dass sie sich überwiegend aus russischen und ukrainischen „Nationalisten“, einer Anzahl von Kalmücken und sogar Juden rekrutiert habe, lassen sich keine entsprechenden Quellen finden. Gesichert ist nur, dass Kaminskis Männer größtenteils Sowjetbürger waren. „Partisanenbekämpfung“ in Weißrussland. Als die Wehrmacht das Gebiet von Lokot im Herbst 1943 räumen musste, wurden Kaminskis Brigade und die ihr angehörenden Zivilisten – insgesamt zwischen 30.000 und 50.000 Menschen – nach Lepel in Weißrussland evakuiert, wo sie bis zum Juni 1944 laut internen Berichten der SS und Wehrmacht „sehr erfolgreich“ gegen Partisanengruppen im „Generalbezirk Weißruthenien“ vorgingen. Lepel und Umgebung waren dabei wie bereits die Gegend um Lokot Kaminski als „Herrschaftsgebiet“ überlassen worden. Seine Einheit ging auch hier mit gnadenloser Brutalität gegen Partisanen und ihre vermeintlichen Unterstützer vor und erledigte vielfach die „Drecksarbeit“ der deutschen Polizeieinheiten. Je deutlicher sich die deutsche Niederlage abzeichnete, umso mehr verrohte Kaminskis Einheit, da ihre Mitglieder als Landesverräter in der Sowjetunion keine Gnade zu erwarten hatten. Statt des ursprünglichen Widerstandes gegen das sowjetische Regime stand die Selbstbereicherung auf Kosten der weißrussischen Bevölkerung nun immer stärker im Vordergrund. Nach den empfindlichen Verlusten von Kaminskis Brigade im Januar 1944 bei Kämpfen gegen brigadestarke Partisaneneinheiten entschied sich das Oberkommando der 3. Panzerarmee (Generaloberst Georg-Hans Reinhardt), in deren Hinterland Kaminski wohl schon seit einiger Zeit zu ihrer Unzufriedenheit tätig war, zu einer Intervention, um Kaminski wieder besser unter Kontrolle zu bekommen. Auf Kaminskis Entrüstung über diese „Einmischung“ in seine Angelegenheiten reagierte Reinhardts Verbindungsoffizier nur mit Geringschätzung, was Kaminskis Eitelkeit erheblich verletzte und letztlich dazu führte, dass sein Verhältnis zur Wehrmacht immer mehr abkühlte und er sich der SS anzubiedern begann. Nachdem diese die Agenten der Partisanenbekämpfung zunehmend stärker an sich zu ziehen begonnen hatte, war man dort bereits auf Kaminski aufmerksam geworden und sah nun eine Chance, den eigenen Machtbereich auf Kosten der Wehrmacht auszuweiten. Auf Geheiß des Reichsführers SS Heinrich Himmler wurde Kaminski am 27. Januar 1944 mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet (unter Überspringung der II. Klasse). Im März dieses Jahres wurde seine Brigade in "Volksheer-Brigade Kaminski" umbenannt und im folgenden Monat der "Kampfgruppe von Gottberg" unterstellt, an deren Seite sie an einer Reihe von „Bandenkampfunternehmen“ beteiligt war. Dank der Protektion Kaminskis durch die SS wurde schließlich seine Kampftruppe im Juni 1944 als "Waffen-Sturm-Brigade „RONA“" vollständig in die Waffen-SS eingegliedert. Wie der Name ausdrückte, galt sie aber noch nicht als vollwertige Kampfdivision der Waffen-SS. Dennoch wurde Kaminski, der nie eine militärische Ausbildung absolviert hatte, am 1. August 1944 zum "Waffen-Brigadeführer" der SS befördert und stand damit im Rang eines Generalmajors. Warschauer Aufstand und Todesurteil. Während der sowjetischen Sommeroffensive flohen Kaminski und seine Brigade samt Angehörigen im Juli 1944 vor der Roten Armee von Lepel nach Polen. Dort fanden sie plötzlich wesentlich vermögendere Menschen vor, als sie bisher auf dem Gebiet der Sowjetunion zu Gesicht bekommen hatten. Der von Heinrich Himmler persönlich erteilte Auftrag, an der Niederschlagung des am 1. August ausgebrochenen Warschauer Aufstands teilzunehmen, bot den dazu abkommandierten 1700 Mann der Kaminski-Brigade unter Major Jurij Frolow ideale Möglichkeiten, ihrem gewohnten „Handwerk“ weiter nachzugehen. Diese Truppe „kämpfte“ vom 3. bis 27. August in den Warschauer Distrikten Ochota und Wola und danach bis 4. September in der Umgebung Warschaus. Die Kaminski-Männer brachten vor allem im Rahmen des Massakers von Wola zahlreiche Bewohner der Stadt um, vergewaltigten, folterten und plünderten in einem Ausmaß, das den Deutschen als nicht mehr tolerierbar erschien, weswegen die möglichst rasche Entfernung der Kaminski-Brigadisten verlangt wurde. Der anhaltende Protest deutscher Militärs über die Übergriffe der Kaminski-Männer, speziell in einem Fall, bei dem angeblich zwei dem BDM oder der Organisation KdF angehörende Mädchen vergewaltigt und ermordet wurden (andere Quellen sprechen auch von der Ermordung von Angehörigen der Wehrmacht), brachte Kaminski letztlich vor ein deutsches Standgericht. Am 28. August 1944 wurde er in dem zu dieser Zeit Litzmannstadt genannten Łódź zum Tode verurteilt und erschossen. Gegenüber Kaminskis Untergebenen wurde indes behauptet, ihr Kommandeur sei einem Partisanenattentat zum Opfer gefallen. Mögliche Gründe für Kaminskis Hinrichtung. Die wahren Hintergründe für Kaminskis Erschießung sind nicht restlos geklärt, die Verurteilung Kaminskis ist aber sicher nicht als eine Ahndung der von seiner Einheit begangenen Kriegsverbrechen zu werten. Möglicherweise wurde Kaminski hingerichtet, weil seine Plünderungsorgien Besitztümer betrafen, die die SS für sich beanspruchte, oder weil man auf diese Weise einen lästigen Zeugen der im Raum Warschau begangenen Verbrechen beseitigen wollte. Außerdem hatte er nicht wie Oskar Dirlewanger, der Kommandeur der nach ihm benannten berühmt-berüchtigten SS-Sondereinheit, der in Warschau die Verantwortung für mindestens ebenso zahlreiche und grausame Verbrechen an der polnischen Zivilbevölkerung trug, einen mächtigen Fürsprecher, der sich stets für ihn einsetzte. Spekuliert wurde auch, dass Kaminski als potentieller Rivale des mittlerweile von deutschen Dienststellen favorisierten Generals Wlassow und seiner "Russischen Befreiungsarmee" angesehen wurde. Gegen diese Annahme sprechen allerdings Kaminskis schlechter Ruf und die Tatsache, dass Wlassow den Großteil der Männer Kaminskis, die er verächtlich als „Söldner“ bezeichnete, ablehnte, als man sie ihm für seine neu aufzustellende Befreiungsarmee anbot. Eine mögliche weitere Erklärung für den Tod Kaminskis wäre auch, dass er quasi „versehentlich“ als Plünderer erschossen wurde, als er mit Uhren und Juwelen aus Warschau beladen auf dem Weg nach Litzmannstadt von der Gestapo gestoppt wurde. Nachleben. In Kreisen der russischen extremen Rechten wurde Kaminski zu Beginn des 21. Jahrhunderts wegen seines Kampfes gegen die Bolschewiken als Vorbild gerühmt. 2005 wurden Kaminski und Woskobojnikow von der „Russischen Katakombenkirche der wahren orthodoxen Christen“ ("Русская катакомбная церковь истинно православных христиан"), einer von der Kirchenführung nicht anerkannten Sekte, heiliggesprochen.
Unter einer Erweiterungsinvestition versteht man in der Betriebswirtschaftslehre Investitionen im Sachanlagevermögen, die der Erweiterung der betrieblichen Kapazität dienen. Allgemeines. Sachinvestitionen lassen sich nach ihrem Zweck in Gründungs-, Erweiterungs-, Ersatz- oder Rationalisierungsinvestition einteilen. Von diesen Investitionszwecken ist die Erweiterungsinvestition neben der Gründungsinvestition die risikoreichste, weil die übrigen Arten die Betriebsgröße nicht verändern und mehr oder weniger unausweichlich sind. Außerdem ist mit ihnen eine Erhöhung der Kapitalbindung verbunden. Erweiterungs- und Gründungsinvestitionen haben jedoch kapazitätserhöhende Wirkung, wodurch sich die Unternehmenserlöse und Gesamtkosten verändern. Arten. Erweiterungsinvestitionen können betrieblich zu nutzende Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte, Gebäude, technische Anlagen und Maschinen, Geräte oder Betriebs- und Geschäftsausstattung betreffen. Ihr Erwerb verursacht Anschaffungskosten, die als Investitionskosten in die Anlagenbuchhaltung einfließen. immaterielle Investitionen (etwa in Konzessionen, Lizenzen, Patente, Schutzrechte, Marken, entgeltlich erworbene Firmenwerte oder Forschung und Entwicklung) oder Finanzinvestitionen (etwa Kapitalbeteiligungen) sind zum weiteren Begriff der Erweiterungsinvestitionen zu rechnen. Gründe. Ein Unternehmen wird in die Erweiterung seiner Anlagen nur dann investieren, wenn nachfragebedingt Wachstum eingetreten ist oder erwartet wird (Marktpotenzial) und dadurch günstige Absatz- und Gewinnerwartungen vorliegen, ein degressiver Gesamtkostenverlauf erzielt werden kann, Preissteigerungen für Investitionsgüter zu erwarten sind oder das Zinsniveau für Fremdfinanzierungen steigt. Erweiterungsinvestitionen können neben der Kapazitätserweiterung für bestehende Produkte auch der Herstellung neuer Produkte dienen, die mit den vorhandenen Produktionsanlagen nicht hergestellt werden können. Die Grenzleistungsfähigkeit des eingesetzten Kapitals bildet die eigentliche Grundlage von Investitionsentscheidungen. Ein Unternehmen wird nur dann investieren, wenn die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals den aktuellen Marktzins übersteigt. Erzielt eine Investition eine höhere Rendite als eine alternative Geldanlage, wird investiert und umgekehrt. Bei erwarteter Lebensdauer einer zu erwerbenden Maschine von 2 Jahren ergibt sich folgende Formel: Hierin sind formula_2 Anschaffungskosten der Investition formula_3 Nettoeinnahmen der Investition im ersten Jahr formula_4 Nettoeinnahmen der Investition im zweiten Jahr formula_5 Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (Investitionsrendite) Kostet beispielsweise eine Maschine 1.000 Euro bei zwei Jahren Lebensdauer und erwartet der Unternehmer im ersten Jahr 500 Euro und im zweiten Jahr 540 Euro Nettoeinnahmen durch die Maschine, so ergibt sich eine Grenzleistungsfähigkeit von 8 %. Liegt der Marktzins bei 7 %, wird investiert, liegt er über 8 %, unterbleibt die Investition. Diese Grenzleistungsfähigkeit wurde von John Maynard Keynes erstmals im Februar 1936 in seiner Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes vorgestellt. Wirtschaftliche Aspekte. Erweiterungsinvestitionen verstärken die Quantität der Produktionsfaktoren bei gleichbleibender Qualität und können eingetretene Engpässe beseitigen oder erwartete vermeiden. Sie betreffen im Regelfall die Sachanlagen (Faktor Betriebsmittel), bei personalintensiven Unternehmen das Personal (Faktor Arbeit). In der Regel geht mit einer Vergrößerung der Betriebsmittel auch eine Erhöhung der Personalkapazität einher, weil Maschinen von Menschen zu steuern oder überwachen sind. Die durch die Erweiterungsinvestition entstehenden zusätzlichen Fixkosten (Abschreibungen, fixe Personalkosten) müssen durch die Deckungsbeiträge der zusätzlich produzierten Menge (Grenzerlöse) gedeckt werden. Weitere Folge von Erweiterungsinvestitionen kann ein Ansteigen der Vorräte an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sein, wenn sich die Produktionsmenge erhöht. Die Erweiterungsinvestition ist in der Betriebswirtschaftslehre das Resultat des Lohmann-Ruchti-Effektes, da angesammelte Abschreibungen bereits vor dem Ausscheiden alter Maschinen in zusätzliche Anlagen reinvestiert werden. Von der Bedeutung der Erweiterungsinvestition unterscheidet man operative und strategische Erweiterungsinvestition, bei letzteren überschreiten die Bruttoinvestitionen 20 % der bestehenden Anlagen. Strategische Erweiterungsinvestitionen beinhalten ein höheres Investitionsrisiko mit der Gefahr einer Fehlinvestition als operative. Bilanziell führen Erweiterungsinvestitionen zu einer Bilanzverlängerung, weil sie die Aktiva erhöhen und die für die Investitionen erforderlichen Eigen- und Fremdfinanzierungen gleichzeitig die Passiva vergrößern. Einzelnachweise.
Edwin Vurens (* 6. Juni 1968 in Stompwijk) ist ein niederländischer ehemaliger Fußballspieler und heutiger Trainer. Er spielte in der Eredivisie für Sparta Rotterdam, den FC Twente und Roda JC; später war er in der Nationalliga A beim FC St. Gallen aktiv und wurde mit Servette FC Genève Schweizer Meister und Pokalsieger. Er machte außerdem ein Länderspiel in der niederländischen Nationalmannschaft. Vereinskarriere. Vurens begann seine Laufbahn in seinem Heimatdorf bei den "Stompwijkse Boys" und kam über die "RKAVV" aus Leidschendam 1986 zu Sparta Rotterdam, wo er in der Saison 1987/88 sein Profidebüt gab und in 15 Spielen 2 Tore erzielte. Seine torreichste Saison in Rotterdam war 1991/92; 14-mal traf der im Sturm oder im offensiven Mittelfeld eingesetzte Vurens in 32 Spielen in den gegnerischen Kasten. Nach zwölften und 13. Plätzen in der Eredivisie erreichten die Spartaner 1993 den achten Platz, woran Vurens mit fünf Treffern in 18 Spielen der Hinrunde seinen Anteil hatte. Er erregte die Aufmerksamkeit des Ligakonkurrenten FC Twente, wohin er in der Winterpause 1992/93 wechselte. Bei den Enschedern machte er in zweieinhalb Jahren 80 Ligaspiele, in denen er 21 Tore erzielte. Twente wurde mit ihm dreimal Fünfter und spielte zwei Saisons im UEFA-Pokal, schied jedoch jeweils in der ersten Runde aus; Vurens erzielte 1993 gegen Bayern München und 1994 gegen Kispest Honvéd FC jeweils ein Tor. In dieser Zeit wurde er auch Nationalspieler. In der Saison 1995/96 machte er noch ein Pokalspiel mit dem FC Twente, ehe er zu Roda JC nach Kerkrade wechselte. Mit Roda spielte er unter Trainer Huub Stevens ebenfalls zwei Saisons im UEFA-Pokal; 1996 erzielte er dabei ein Tor gegen den späteren UEFA-Pokalsieger Schalke 04. In der Ehrendivision erreichte er 1996 mit Roda Platz vier. Nachdem Stevens den Verein verlassen hatte, wechselte auch Vurens den Arbeitgeber; er ging in die Schweiz zum FC St. Gallen, wo er in der Saison 1996/97 noch sechs Spiele absolvierte. Mit St. Gallen erreichte er 1998 das Schweizer Cupfinal, in dem er zwei Treffer zur 2:0-Führung erzielte. Nachdem Vurens anschliessend einen Penalty verschoss, konnte Lausanne-Sports ausgleichen und gewann das Finale nach Penaltyschiessen. Mit Servette, wohin er während der folgenden Saison wechselte, wurde er gleich in der Spielzeit 1998/99 Schweizer Meister. In seiner letzten Saison 2000/01 in Genf konnte er verletzungsbedingt nur zwölfmal auflaufen, wurde aber mit Servette Pokalsieger. Anschliessend beendete Vurens seine aktive Laufbahn. Stationen. als Profifußballer Nationalmannschaft. Im Februar 1995 erhielt der gerade als Bondscoach verpflichtete Guus Hiddink acht Absagen von Ajax-Spielern, die er zum Freundschaftsspiel gegen Portugal berufen hatte, da deren Spielkalender zu voll war. Einen der Ersatzleute fand er beim FC Twente: Edwin Vurens. Am 22. Februar 1995 durfte Vurens in der Startformation der "Elftal" auflaufen und gab damit in diesem Spiel ebenso sein Debüt in "Oranje" wie Frank Verlaat und Michel Kreek. Den Endstand von 0:1 stellten die Portugiesen schon in der 8. Minute her. Vurens, im Verein meist auf der linken Seite, spielte auf der ungewohnten Rechtsaußenposition. In der Halbzeit wurde er gegen den ebenfalls erstmals in der Nationalmannschaft eingesetzten Kerkrader Eric van der Luer ausgewechselt. Die 45 Minuten gegen Portugal blieben sein einziger Länderspieleinsatz. Allerdings durfte er später noch einmal "gegen" die Nationalmannschaft spielen – in einem Testspiel der Niederlande gegen Servette. Trainer. Vurens hat nach seiner aktiven Laufbahn mehrere niederländische Amateurvereine betreut, so in der Saison 2005/06 den FC Zoetermeer und ab 2007 in der Hoofdklasse, der dritten Liga der Niederlande, den "VUC" aus Den Haag. In der Saison 2009/10 ist er ebenfalls in der höchsten Amateurklasse Trainer der "SVARC" in Alphen aan den Rijn; sein Vertrag dort läuft bis 2012.
Herbert Friedrich Durwen (* 9. September 1954 in Mendig) ist ein deutscher Neurologe, Geriater und Psychotherapeut. Leben. Nach Abschluss seiner schulischen Ausbildung und Erlangung der Hochschulreife 1973 am Staatlichen Kurfürst-Salentin-Gymnasium in Andernach nahm Durwen ein Studium der Humanmedizin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn auf, welches er 1980 mit dem dritten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung abschloss. Im gleichen Jahr erhielt er seine Approbation als Arzt. Zum Doktor der Medizin promovierte er im Jahre 1981 mit Magna cum Laude zum Thema "Komplikationen ventriculo-atrialer Liquordrainagen bei Hydrocephalus. Eine retrospektive 10 Jahres Studie an 171 Patienten". 1980 legte er das "Educational Commission for Foreign Medical Graduates (ECFMG)"-Examen und 1981 das "Visa Qualifying Examination (VQE)"-Examen ab, um in der Folge mit Hilfe eines Deutschen Forschungsgemeinschafts (DFG)-Stipendiums von 1981 bis 1983 als Research Fellow in Neurologie an die Harvard Medical School, Beth Israel Hospital und Boston Children´s Hospitals in Boston zu gehen. Dort widmete er sich vor allem der kognitiven Neurologie und Neuropsychologie. Zum Abschluss seines Aufenthaltes erlangte er die Ermächtigung zur ärztlichen Berufsausübung im US-Bundesstaat Massachusetts. 1983 kehrte er nach Deutschland zurück und begann seine Tätigkeit am Nervenzentrum des Universitätsklinikums Bonn. Nach Zwischenstation an der Neurologischen Abteilung des Universitätsklinikums Düsseldorf und Anerkennung als Facharzt für Neurologie 1990 wurde er im Jahre 1991 Oberarzt an der Neurologischen Universitätsklinik, Knappschafts-Krankenhaus, des Universitätsklinikums Bochum. 1994 habilitierte sich Durwen mit einer Arbeit zum Thema "Funktionen des Verbalgedächtnisses bei therapieresistenten Epilepsiepatienten mit komplex-fokalen Anfällen temporalen Ursprungs" und erhielt die Venia Legendi für das Fachgebiet Neurologie. 1997 folgten die Anerkennungen zum Führen der Bezeichnung „Psychotherapie“ sowie der fakultativen Weiterbildung „Klinische Geriatrie“. Seit 2000 ist er Chefarzt der Klinik für Akut- und Neurogeriatrie in Düsseldorf, die er im Laufe der Jahre zu einer der größten und modernsten Einrichtungen ihrer Art entwickelt und ausgebaut hat. Die Schwerpunkte seiner klinischen und wissenschaftlichen Arbeiten sind Fragestellungen zu Kognition und Demenz, Bewegungsstörungen und Dysphagie (Schluckstörungen). Seit 2002 ist er auch Lehrbeauftragter der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie seit 2006 Mitglied der Düsseldorfer Gesundheitskonferenz. Durwen ist ferner als Gutachter für Gerichte und andere Auftraggeber tätig und Co-Autor verschiedener Buchprojekte. Zudem ist er Vorstandsmitglied im Landesverband Gerontopsychiatrie und -psychologie (LVGPP) sowie der Alzheimer-Gesellschaft Düsseldorf. Darüber hinaus war er über viele Jahre hinweg Herausgeber der von ihm gegründeten Zeitschrift "Neurogeriatrie" und ist Mitglied des Editorial Board der Zeitschrift "Geriatrie-Report". Tätigkeitsprofil. Die klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte sind im Wesentlichen auf die neuropsychologische Differenzierung kognitiver Auffälligkeiten, v .a. bei Störungen des Schläfenlappens, die kognitiven und psychosozialen Einschränkungen bei Demenz, die Depression im Alter, sowie auf die Beeinträchtigung von Bewegungsabläufen und einzelnen motorischen Funktionen unter besonderer Berücksichtigung der Parkinson-Syndrome gerichtet. Darüber hinaus wurde in den vergangenen Jahren eine besondere Expertise für den Bereich der Dysphagie (Schluckstörungen) sowie der geriatrischen Schmerztherapie, auch unter Einsatz von Cannabis-Präparaten, entwickelt.
Smedley Darlington Butler (* 30. Juli 1881 in West Chester, Pennsylvania; † 21. Juni 1940 in Philadelphia) war Generalmajor beim United States Marine Corps. Er wurde zweimal mit der Medal of Honor ausgezeichnet. Er wurde auch "The Fighting Quaker" und "Old Gimlet Eye" genannt. Leben. Butler war der älteste von drei Söhnen einer Quäkerfamilie; sein Vater Thomas S. Butler war von 1897 bis 1928 Abgeordneter im Kongress der Vereinigten Staaten. Er verließ im Alter von knapp 17 Jahren die Schule, um sich dem United States Marine Corps anzuschließen. Seinen ersten echten Kampfeinsatz hatte er im Boxeraufstand in China, in dessen Verlauf er zwei Mal verwundet wurde, darunter bei der Bergung eines Verwundeten unter feindlichem Feuer. Er wurde noch im Lazarett in den Brevet-Rang eines Hauptmanns befördert. Seine nächsten Einsätze hatte er in Honduras und der US-Militärintervention in Nicaragua, an der er am 3. und 4. Oktober 1912 an der Schlacht von Coyotepe bei Masaya im Kampf gegen Benjamín Zeledón teilnahm. 1914 wurde der inzwischen zum Major beförderte Butler bei der Besetzung von Veracruz 1914 eingesetzt, wofür er seine erste Medal of Honor erhielt. Im darauf folgenden Jahr erhielt er die zweite Medal of Honor für seinen Einsatz während der US-Militärintervention in Haiti 1915–1934, bei der er als haitianischer Generalmajor die Gendarmerie d'Haïti kommandierte. Noch während des Ersten Weltkrieges wurde er in den Rang eines Brigadegenerals befördert. Nach Ende des Krieges wurde er Kommandant eines Militärstützpunktes in Virginia. Von 1924 bis 1925 diente Butler auf Wunsch des US-amerikanischen Präsidenten Calvin Coolidge als Zivilist als oberster Polizeichef von Philadelphia. Nach seiner Rückkehr in den Militärdienst wurde er erneut in China eingesetzt und 1929 zum Generalmajor ernannt. Im darauf folgenden Jahr hätte ihm aufgrund der Rangfolge eigentlich die Beförderung zum Commandant of the Marine Corps zugestanden, ihm wurde aber General Ben H. Fuller vorgezogen. Daraufhin nahm Butler seinen Abschied. 1933 publizierte Butler in Zusammenarbeit mit dem auch in Deutschland sehr bekannten Journalisten Lowell Thomas seine Memoiren unter dem Titel "Old Gimlet Eye: The Adventures of Smedley D. Butler as told to Lowell Thomas". Als Zivilist begann Butler mit dem Schreiben, sein erstes Buch "War Is a Racket" wurde 1935 veröffentlicht. Er lehnte Angriffskriege per se darin kategorisch ab. 1932 bewarb er sich, unterstützt von Pennsylvanias Gouverneur Gifford Pinchot, um die Nominierung der Republikanischen Partei als US-Senator, unterlag aber dem Amtsinhaber James J. Davis. Butler zeigte sich 1932 solidarisch mit den Massendemonstration der Bonus Army, die eine Verbesserung der Lage von Kriegsveteranen forderte. 1934 meldete er angebliche Putschpläne gegen Präsident Franklin D. Roosevelt an den Vorläufer des Komitees für unamerikanische Umtriebe. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet, doch reichten die Kompetenzen des Komitees nicht für eine vollständige Untersuchung. In der Fernsehverfilmung "Novemberplan" ("The November Plan", USA 1977, Regie Don Medford) wurde Butler von Lloyd Nolan dargestellt. Butler starb 1940. General Douglas MacArthur bezeichnete Butler als „einen der wirklich großen Generäle der amerikanischen Geschichte“ und benannte die Militärbasis in Okinawa nach ihm. Außerdem wurde 1941 nach ihm der Zerstörer USS Butler (DD-636) benannt, der 1948 außer Dienst gestellt wurde.
Ronald Hans Anton Plasterk (* 12. April 1957 in Den Haag) war vom 5. November 2012 bis zum 26. Oktober 2017 der niederländische Minister für Inneres und Überseegebiete im Kabinett Rutte II. Vom 22. Februar 2007 bis zum 23. Februar 2010 war er der niederländische Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft. Plasterk ist Mitglied der Partij van de Arbeid (PvdA), ist Molekularbiologe, Unternehmer und schrieb verschiedene Zeitungs-Kolumnen. Leben. Nach seinem Abitur studierte Ronald Plasterk zunächst an der Universität Amsterdam Wirtschaftswissenschaften, wechselte aber nach dem Vordiplom zum Biologiestudium an die Universität Leiden. In dieser Fachrichtung legte er 1981 sein Examen ab und promovierte anschließend in Leiden mit seiner Arbeit „Inversion of the G segment of bacteriophage Mu, analysis of a genetic switch“. Anschließend war er als Post-Doktorand am California Institute of Technology sowie am Labor für Molekularbiologie des britischen MRC in Cambridge, wo er mit dem späteren Nobelpreisträger John E. Sulston am Modellorganismus C. elegans forschte. Ab 1987 bis zum Jahr 2000 war er am "Antoni-van-Leeuwenhoek-Krankenhaus" Gruppenleiter des niederländischen Krebsforschungsinstituts. Zugleich war er zunächst ab 1993 bis 1997 Stiftungsprofessor für Molekularbiologie an der Freien Universität Amsterdam und anschließend wurde er zum Professor für Molekulargenetik der Universität Amsterdam berufen. Im Jahr 2000 wurde er zum Direktor des Hubrecht-Laboratoriums am Niederländischen Institut für Entwicklungsbiologie (KNAW) in Utrecht ernannt. 1999 erhielt er den höchsten niederländischen Wissenschaftspreis, den Spinoza-Preis. Er ist Mitglied der European Molecular Biology Organization (EMBO). Ab dem 11. Oktober 1982 war Ronald Plasterk für zwei Jahre, bis zum 1. September 1984, als Mitglieder der PvdA Stadtrat in Leiden. 1995 begann er mit dem Schreiben von Kolumnen für die Zeitschrift "Intermediair" und ab 1999 für die Tageszeitung "de Volkskrant". Eine am 30. Oktober 2013 von Plasterk getätigte falsche Aussage im Zuge der NSA-Affäre zum Umfang der Geheimdienstoperationen der niederländischen Geheimdienste führte zu einem Misstrauensvotum, welches er jedoch knapp überstand. Anfang Juli 2016 musste er sich einer Herz-Operation unterziehen. Seit Januar 2019 ist er Vorstandsvorsitzender (CEO) einer Amsterdamer Firma für Krebstherapien („Frame Therapeutics“), welche er mit zwei weiteren Geschäftspartnern im Dezember 2018 gründete. Werk. Seine Dissertation befasste sich mit der Rekombination von Bakteriophagen, wobei er ein dabei aktives Enzym entdeckte. Am Caltech entdeckte er, dass ein Bakterium (der Parasit "Borrelia hermsii"), dass durch ständige Änderung seiner Oberflächen-Antigene dem Immunsystem entging, statt wie üblich kreisförmige Plasmide lineare hatte, was eine schnellere Neuanordnung (Rekombination) des Genmaterials ermöglichte. Als Gruppenleiter am niederländischen Krebsforschungszentrum untersuchte er mit seiner Gruppe systematisch Transposition im Genom von C. elegans, einem der Standard-Modelltiere der Biologie, und erstellte so eine Mutationskarte, die die Funktion der einzelnen Gene aufzeigt (insgesamt hat der Fadenwurm 19.000 Gene). Er studierte auch die für den Einbau des Genmaterials des Aids-Virus in das Wirtsgenom verantwortliche Enzyme (HIV-Integrase) und studierte deren Struktur (das Enzym bietet Ansatzpunkte für Medikamente gegen Aids in Form von Integrase-Inhibitoren). Neben der genetischen Analyse der Transposition befasste er sich auch mit der Biochemie der beteiligten Enzyme. Religion. Plasterk wurde römisch-katholisch sozialisiert und besuchte das Gymnasium der "Paters van het Heilig Hart van Jezus" in Den Haag, das heutige "Sint Jans-College". Er wurde jedoch später zum überzeugten Atheisten. Er sagt, mit 13 Jahren zu der Überzeugung gelangt zu sein, dass Gott nicht existiert, dass er jedoch nicht nach einem definitiven Atheismus strebe. 1997 verwendete Plasterk in seiner Kolumne in dem Wochenblatt "Intermediair" erstmals seinen Begriff des "Ietsismus", von ihm kreierter Neologismus aus niederl. "iets" = "etwas". Damit bezeichnete er den von ihm ausgemachten Glauben derer, die weder klar an den Gott einer Offenbarung glauben, noch vom Glauben abschwören, sondern eben seiner Meinung nach an "etwas" glauben, eine höhere Macht o. ä. Als er seine Wortschöpfung mehrfach im sozial-politischen TV-Programm "Buitenhof" erwähnte, erlangte der Terminus beim niederländischen Publikum größere Bekanntheit. Zunächst äußerte er sich scharf ablehnend über die von ihm ausgemachte Haltung, sie sei eine armselige und ärgerliche Zeiterscheinung, äußerte sich indes später in einer Kolumne für Buitenhof wesentlich versöhnlicher: Plasterk ist entschiedener Gegner von Kreationismus und "Intelligent Design". 2005 bekundete die damalige Bildungsministerin Maria van der Hoeven öffentlich ihr Interesse an Intelligent Design und verkündete auf ihrem persönlichen Weblog, eine Parlamentsdebatte darüber initiieren zu wollen, ob Intelligent Design nicht an Schulen unterrichtet werden könne. Er fuhr sie darauf hin ungewohnt scharf an, in den Curricula öffentlich-rechtlicher Schulen dürften keinerlei Inhalte Raum greifen, die nicht hinreichend wissenschaftlich belegt seien. Zeitens des Kabinetts Balkenende IV sagte er, keinerlei Probleme damit zu haben, mit christlich orientierten Ministerkollegen zusammenzuarbeiten. Schriften (Auswahl). Populärwissenschaftlich:
Unter dem Namen Ourang Medan kursiert seit den 1940er Jahren die Geschichte von einem angeblichen Dampfschiff dieses Namens, dessen Besatzung auf offener See starb und das anschließend in Brand geriet und sank. Ein passendes Schiffswrack ist jedoch unbekannt und der Name "Ourang Medan" in Schiffsregistern nicht auffindbar. Zum angeblichen Zwischenfall existieren mehrere Theorien, aber nur dürftige Quellen. So wird vermutet, dass die "Ourang Medan" – wenn ein solches Schiff existiert hat – als Schmuggelschiff Schwefelsäure, Zyankali und Nitroglycerin geladen haben könnte, was durch Undichtigkeiten sowie eingedrungenes Salzwasser zu einer Blausäurevergiftung geführt haben könnte. Auch der Transport eines chemischen Kampfstoffes der japanischen Einheit 731 für eine der Weltmächte im beginnenden Kalten Krieg, getarnt in einem alten Dampfer, wurde als mögliche Erklärung ins Spiel gebracht. Quellen. Berichte über das angebliche Unglück sind seit 1940 in der Presse nachweisbar. Ein Bericht erschien 1948 in einer dreiteiligen Serie der niederländisch-ostindischen Tageszeitung "De locomotief" aus Semarang (Teil eins der Serie als Faksimile unter #Literatur). Diese dürfte Hauptquelle des deutschen Abenteuerautors Otto Mielke gewesen sein, dessen Geschichte "Dampfer Ourang Medan – Das Totenschiff in der Südsee" 1954 in der Anker-Hefte veröffentlicht wurden. Bereits zwei Jahre zuvor, im Mai 1952, hatte die US-amerikanische Fachzeitschrift "Proceedings of the Merchant Marine Council" über das Unglück berichtet, datierte es jedoch bezeichnenderweise in den Februar 1948, den Monat des ersten Zeitungsartikels, der seinerseits den Juni 1947 nannte, was später auch Mielke so wiedergab und damit der US-Zeitschrift widersprach. Außerdem verortete sie das Unglück ganz abweichend von "De locomotief" in der nur maximal 200 Meter tiefen Straße von Malakka, statt „400 Seemeilen südöstlich der Marshallinseln“. Neben diesen Unklarheiten blieb vor allem der Name "Ourang Medan" trotz historischer Nachforschungen in Schiffsregistern bisher unauffindbar. Gleiches gilt für das Wrack, nach dem allerdings womöglich noch nicht gesucht wurde. Schließlich fehlen in den Akten des US-amerikanischen Schiffes "Silver Star," das den Havaristen angeblich in einer Rettungsfahrt noch hatte aufsuchen können, bevor es in Brand geriet und sank, jegliche Notizen zu dem spektakulären Vorfall. Demnach ist nicht auszuschließen, dass es sich um eine Legende auf Basis von Seemannsgarn handelt. Die US-Zeitschrift "Proceedings of the Merchant Marine Council" schrieb unter anderem: Rekonstruktion nach Otto Mielke. In Otto Mielkes Version sendete die "Ourang Medan" am 27. Juni 1947 in der Südsee einen SOS-Ruf und forderte gleichzeitig einen Arzt an. Diese Kombination zweier Notrufe galt als sehr ungewöhnlich. Der Notruf wurde sowohl vom Dampfer "City of Baltimore" als auch vom amerikanischen Dampfschiff "Silver Star" aufgefangen. Nach der Antwort der "Silver Star" gab die "Ourang Medan" in einem erneuten Funkspruch ihre Position mit an und teilte außerdem mit, dass der Dritte Offizier tot auf der Brücke liege und der Kapitän und der Ingenieur des Schiffes ebenfalls tot seien sowie wahrscheinlich die gesamte Mannschaft des Maschinenpersonals. Während des Funkspruchs brach die Verbindung ab. Es gelang dem unbekannten Funker jedoch noch einmal, Kontakt zur "Silver Star" herzustellen mit den Worten „Ich sterbe“. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die "Silver Star" gut 210 Seemeilen südöstlich der von der "Ourang Medan" gemeldeten Position, gut 19 Stunden Fahrtzeit von dem Havaristen entfernt, der nach eigenen Angaben trieb und keine Fahrt mehr machte. Die "Silver Star" nahm sofort neuen Kurs auf. Alle Versuche, einen erneuten Funkkontakt herzustellen, scheiterten. Die "City of Baltimore," die einen Arzt an Bord hatte, setzte nach Absprache mit der "Silver Star" ihren Kurs fort, da sie über 800 Seemeilen von der gemeldeten Position des Havaristen entfernt stand. Am nächsten Tag, dem 28. Juni 1947, gegen 9 Uhr Ortszeit wurde die "Ourang Medan" gesichtet. Der Schornstein zeigte keinen Rauch, auch veränderte der Dampfer seine Position nicht. Eine Flagge war nicht gesetzt. Die "Silver Star" umkreiste den Havaristen in einer Entfernung von einigen hundert Metern und betätigte mehrmals die Schiffssirene, doch an Bord des Havaristen waren keine Personen zu erkennen. Die "Ourang Medan" hatte leichte Schlagseite nach Steuerbord, aber kein sichtbares Leck. Die Schiffsführung der "Silver Star" vermutete, dass die Schlagseite auf schlecht gestaute Ladung oder ungleichmäßigen Kohlenverbrauch zurückzuführen war. Beim Umrunden des Dampfers stellte man auf der "Silver Star" fest, dass auf der Steuerbordseite ein Rettungsboot fehlte. Die Taljen des fehlenden Boots mit den Leinen für die Kutterläufer hingen noch von der Bordwand des Havaristen, der einen absolut seetüchtigen Eindruck machte. Da auch ein Ruf mit einem Megaphon keine Reaktion hervorrief, setzte die "Silver Star" ein Boot mit dem Ersten Offizier und neun Mann aus, die die "Ourang Medan" untersuchen sollten. Vier Mann enterten über die Taljenläufer auf und begannen mit der Inaugenscheinnahme des Schiffes. Aufgrund der Größe des Dampfers schätzten die Amerikaner, dass sich gut 40 Mann Besatzung auf dem Schiff befinden müssten. Schon auf dem Oberdeck fanden die Männer der "Silver Star" die ersten Leichen. Die Besatzungsmitglieder der "Ourang Medan" schienen unter großen Qualen verstorben zu sein, wiesen aber keine äußeren Verletzungen auf. Nirgendwo fanden sich Blutspuren. Bei dem Schiffspersonal schien es sich sämtlich um Asiaten zu handeln. Im Funkraum wurde der Funker, der mit ihnen den Kontakt hergestellt hatte, ebenfalls tot aufgefunden. Die Hoffnung, bei der Durchsuchung der Brücke und der Kapitänskajüte auf das Logbuch des Dampfers zu stoßen, erfüllte sich nicht. Sämtliche Schiffspapiere schien die Besatzung des fehlenden Boots mitgenommen zu haben. Schon frühzeitig nahmen die vier Männer der "Silver Star" einen eigenartigen Geruch an Bord wahr. Plötzlich wurde Rauch entdeckt, der auf ein Feuer im Schiff schließen ließ. Der Erste Offizier befahl sofort das Verlassen des Havaristen. Als das Ruderboot die halbe Wegstrecke zur "Silver Star" zurückgelegt hatte, ereigneten sich an Bord der "Ourang Medan" mehrere schwere Explosionen, die das Schiff jedoch nicht zerstörten, sondern lediglich in Brand setzten. Die "Silver Star" beobachtete noch stundenlang den brennenden Dampfer, der sich schließlich auf die Seite legte und sank. Die Meerestiefe beträgt an dieser Stelle gut 5000 Meter. Der Kapitän der "Silver Star" hatte für den Vorfall keine Erklärung, vermutete aber, dass die "Ourang Medan" Chemikalien und Munition und/oder Sprengstoff geladen hatte. Er machte im Logbuch eine Eintragung über den Vorfall, um ihn bei der Rückkehr im Heimathafen den Behörden zu melden. Am 12. Juli 1947, gut drei Wochen später, wurde auf der Insel Taongi, die zur Gruppe der Marshallinseln gehört, ein Rettungsboot angeschwemmt. Von den sieben Passagieren waren sechs bereits verstorben; der letzte, noch lebende Insasse wurde von einem Missionar gepflegt. Es handelte sich bei der Person angeblich um den Zweiten Offizier der "Ourang Medan," der sich Jerry Rabbit nannte. Nach seinen Angaben hatte die "Ourang Medan" am 7. Juni 1947 in Ballast Shanghai angelaufen, wo Rabbit angeworben wurde. Die Schiffsführung des Dampfers wollte von ihm jedoch auffälligerweise keine Papiere sehen. Der nunmehrige Zweite Offizier vermutete, dass ein großer Teil der Besatzung auf ähnliche Weise angeworben worden war. Nach Rabbits Angaben handelte es sich um einen ursprünglich chinesischen Dampfer, der möglicherweise zum Kulitransport oder auch als Truppentransporter eingesetzt worden war. In Shanghai wurden nachts angeblich 7000 Kisten mit unbekannten Materialien übernommen. Das Schiff lief am Morgen des 9. Juni 1947 Richtung Süden aus. In einem kleinen Hafen, gut 80 Seemeilen südlich von Shanghai, wurden noch einmal gut 8000 Kisten an Bord genommen. Rabbit vermutete, dass es sich bei der gesamten Ware um Schmuggelgut handelte. Zielort der "Ourang Medan" war angeblich die Küste von Costa Rica, wo die Ladung auf See einem anderen Schiff übergeben werden sollte. Die "Ourang Medan" sollte angeblich anschließend in Panama-Stadt abgewrackt werden. Der Kurs des Dampfers war so angelegt, dass die üblichen Schifffahrtsrouten vermieden wurden, und führte durch die Marianen- und Karolinen-Inseln. Nach zehn Tagen, also vermutlich um den 21. Juni 1947 herum, begann das Heizerpersonal zu erkranken; ein Heizer starb sofort. Der Kapitän stellte als Todesursache Hitzschlag fest, was der Zweite Offizier für unwahrscheinlich hielt, wenn auch im Kesselraum angesichts des tropischen Klimas extrem hohe Temperaturen herrschten. Wenige Tage später begann nach und nach das gesamte Maschinenpersonal zu erkranken und klagte über starke Magenschmerzen bzw. Magenkrämpfe. Bei der Durchsicht der Schiffspapiere entdeckte Rabbit, dass die "Ourang Medan" 15.000 Kisten mit Schwefelsäure und Zyankali und 20 Kanister mit Nitroglycerin geladen hatte. Rabbit vermutete, dass einige der Kisten undicht geworden waren und sich Blausäuredämpfe gebildet hatten. Da der Kapitän sich weigerte, einen Notruf abzusetzen, setzte Rabbit zusammen mit sechs Besatzungsmitgliedern auf eigene Faust ein Rettungsboot aus und entfernte sich von dem nun treibenden Dampfer, da das Heizerpersonal ausgefallen war und die Schiffsmaschine stillstand. Da das Beiboot weder mit Wasser noch mit Proviant ausgestattet war, verstarben die sechs anderen Bootsinsassen des Beiboots aufgrund der starken Hitze innerhalb weniger Tage. Auch Jerry Rabbit verstarb wenige Tage nach seiner Rettung an Erschöpfung. Unklar ist, ob und wie die "Silver Star" den Vorgang bei ihrer Rückkehr in die USA den Behörden oder der Reederei übermittelte. Da die "Ourang Medan" offenbar nicht mehr registriert war, konnte selbst in dem Fall, dass die Schiffsführung der "Silver Star" amerikanischen Behörden den Vorfall korrekt gemeldet hatte, kein Seeamtsverfahren eingeleitet werden.
Barbora Špotáková (* 30. Juni 1981 in Jablonec nad Nisou, ČSSR) ist eine tschechische Leichtathletin und Speerwerferin. Mit zwei Olympiasiegen sowie drei Weltmeistertiteln gehört sie zu den erfolgreichsten Leichtathletinnen der Gegenwart. Zudem hält sie seit 2008 mit 72,28 m den Weltrekord im Speerwurf. Sportliche Laufbahn. Zu Beginn ihrer sportlichen Karriere war Barbora Špotáková zunächst Siebenkämpferin und versuchte sich auch im Zehnkampf, bis sie sich schließlich auf ihre stärkste Disziplin konzentrierte, den Speerwurf. 2000 nahm sie im Siebenkampf an den Juniorenweltmeisterschaften in Santiago de Chile teil und belegte dort mit 5689 Punkten den vierten Platz. 2002 nahm sie erstmals an den Europameisterschaften in München teil und schied dort im Speerwurf mit einer Weite von 51,71 m in der Qualifikation aus. Im Jahr darauf wurde sie bei den U23-Europameisterschaften in Bydgoszcz mit 56,65 m Sechste und anschließend erreichte sie bei der Sommer-Universiade im südkoreanischen Daegu mit 55,31 m Rang vier. 2004 versuchte sie sich im Zehnkampf für Frauen und stellte in Talence mit 6749 Punkten eine nationale Bestleistung auf. 2005 nahm sie erstmals an den Weltmeisterschaften in Helsinki teil, schied dort aber mit einer Weite von 58,74 m in der Qualifikation aus, siegte aber im Anschluss bei den Studentenweltspielen in Izmir mit 60,73 m. 2006 gewann sie bei den Europameisterschaften in Göteborg mit 65,64 m die Silbermedaille und musste sich dabei nur der Deutschen Steffi Nerius geschlagen geben. Im Anschluss stellte sie beim World Athletics Final in Stuttgart mit 66,21 m einen neuen Landesrekord auf und löste damit Nikola Brejchová als Rekordhalterin ab. 2007 gewann Špotáková bei den Weltmeisterschaften in Osaka die Goldmedaille, wobei sie im Finaldurchgang zweimal ihren eigenen tschechischen Landesrekord von 66,21 m auf 67,07 m. Sie war damit zu dieser Zeit erst die siebte Frau, die weiter als 67 m geworfen hat. 2008 qualifizierte sie sich erstmals für die Olympischen Spiele in Peking, bei denen sie mit 71,42 m im Finale einen neuen Europarekord aufstellte und damit die Goldmedaille vor der Deutschen Christina Obergföll und Goldie Sayers aus dem Vereinigten Königreich gewann. Beim 6. IAAF Weltfinale in Stuttgart am 13. September 2008 stellte Špotáková einen neuen Weltrekord auf. Sie warf 72,28 m und überbot damit die alte Bestmarke der kubanischen Speerwerferin Osleidys Menéndez um mehr als einen halben Meter. Im Jahr darauf war sie Topfavoritin für den Sieg bei den Weltmeisterschaften in Berlin, musste sich dort aber mit 66,42 m der Deutschen Nerius geschlagen geben und gewann die Silbermedaille. Auch bei den Europameisterschaften 2010 in Barcelona musste sie sich mit 65,36 m den Deutschen Linda Stahl und Christina Obergföll geschlagen geben und gewann die Bronzemedaille. 2011 gewann Špotáková bei den Weltmeisterschaften in Daegu mit 71,58 m ursprünglich die Silbermedaille hinter der Russin Marija Abakumowa. Dieser wurde 2018 aber die Goldmedaille wegen zahlreicher Dopingvergehen aberkannt und die Goldmedaille somit verspätet der Tschechin zugesprochen. 2012 wiederholte sie bei den Olympischen Spielen in London ihren Olympiaerfolg von Peking und siegte mit 69,55 m im Finale überlegen vor den beiden Deutschen Obergföll und Stahl. Zudem war sie neben der Deutschen Ruth Fuchs erst die zweite Speerwerferin, die ihren Olympiasieg wiederholen konnte. Am 28. Oktober 2012 wurde sie schließlich vom damaligen Präsidenten Václav Klaus mit der Verdienstmedaille ausgezeichnet. Zudem wurde sie bereits zum sechsten Mal als Tschechiens Leichtathletin des Jahres ausgezeichnet. Nach der Geburt ihres Sohnes Janek im Mai 2013 kehrte sie im September in den Sport zurück und warf auf Anhieb wieder über 60 Meter. Im Jahr darauf sicherte sie sich schließlich bei den Europameisterschaften in Zürich mit 64,41 m die Goldmedaille und siegte somit bei allen großen Leichtathletik-Meisterschaften. Anschließend siegte sie auch beim IAAF-Continental-Cup in Marrakesch mit einer Weite von 65,52 m. 2015 gelangte sie bei den Weltmeisterschaften in Peking bis in das Finale, in dem sie mit einem Wurf auf 60,08 m auf Rang neun gelangte. Im Folgejahr belegte sie bei den Europameisterschaften in Amsterdam mit 62,66 m den fünften Platz. Anschließend visierte sie bei ihren dritten Olympischen Spielen in Rio de Janeiro ihren dritten Titel an, musste sich aber mit 64,80 m im Finale der Überraschungssiegerin Sara Kolak aus Kroatien sowie der Südafrikanerin Sunette Viljoen geschlagen geben. Im Jahr darauf kehrte sie aber zu alter Stärke zurück und siegte bei den Weltmeisterschaften in London mit einer Weite von 66,76 m im Finale vor den beiden Chinesinnen Li Lingwei und Lü Huihui. Wegen der Geburt ihres zweiten Kindes unterbrach sie bis Herbst 2018 ihre sportliche Karriere. 2019 qualifizierte sie sich ein weiteres Mal für die Weltmeisterschaften in Doha und gelangte dort auch bis in das Finale, in dem sie mit 59,87 m auf Rang neun gelangte. 2003, von 2005 bis 2012 sowie 2017 und 2019 wurde Špotáková tschechische Meisterin im Speerwurf. Mit fünf Erfolgen in der Diamond League (2010, 2012, 2014, 2015, 2017) ist sie eine der erfolgreichsten Athletinnen der Veranstaltung. In ihrer Heimat ist sie sehr populär: 2008 und 2012 wurde sie zum "besten Sportler Tschechiens" gewählt und in den Jahren 2007 bis 2012 zum Athleten des Jahres. 2012 wurde sie zur Ehrenbürgerin ihrer Geburtsstadt Jablonec nad Nisou ernannt.
Leo Siberski (* 1969 in Hannover) ist ein deutscher Dirigent, Musiker (Pianist und Trompeter) und Generalmusikdirektor. Leben und Werdegang. Siberski wurde 1969 in Hannover geboren und nahm erstmals 1974 Klavier- und 1975 Trompetenunterricht. Von 1981 bis 1991 war er Mitglied in mehreren nationalen sowie internationalen Jugendorchestern, darunter im Gustav Mahler Jugendorchester unter der Leitung von Claudio Abbado. 1989 war er als Solo-Trompeter an der Niedersächsischen Staatsoper Hannover tätig, bevor er von 1990 bis 1997 Mitglied des Bayreuther Festspielorchester wurde. Ebenfalls als Solo-Trompeter engagierte sich Siberski von 1992 bis 2003 an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Ab 1996 begann er sein Dirigierstudium bei Rolf Reuter an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, was er 2003 abschloss und debütierte 1997 als Dirigent an der Staatsoper Unter den Linden. Als Folge dessen wurde er von 1997 bis 1999 Dirigent des Sibelius Orchester Berlin, ist seit 1997 Künstlerischer Leiter der Kammerphilharmonie Berlin und seit 1998 Dirigent des Metropolis Filmorchesters. Von 2000 bis 2001 war er erster Kapellmeister vom Mitteldeutschen Landestheater Wittenberg. Von 2001 bis 2002 war Siberski an verschiedenen Produktionen vom Theater Plauen-Zwickau beteiligt, bis er 2003 seine Tätigkeit als Orchestermusiker beendete. 2003 und 2004 war er als Musikalischer Assistent an der Staatsoper Unter den Linden tätig, wobei er 2003 ebenfalls Konzerte mit dem Landesjugendorchester Brandenburg spielte. Im selben Jahr führte er "Der Liebestrank" von Gaetano Donizetti am Theater Görlitz, "Der Troubadour" von Giuseppe Verdi am Nationaltheater Iași in Rumänien auf und war Assistent und Dirigent des Glyndebourne Festival Opera. 2004 wurde er Associate Conductor an der Los Angeles Opera und führte Konzerte mit den Bremer Philharmonikern auf, bevor er eine CD-Produktion mit dem Radio-Sinfonieorchester Bratislava hatte. Nach wie vor hatte Siberski mehrere Konzerte mit dem Landesjugendorchester Brandenburg. Ebenfalls 2004 bekam er seinen Sohn Lorenzo Elia. 2005 wurde er Assistent am Teatro Claudio Abbado in Ferrara, Italien und hatte eine Konzert- und Fernsehaufzeichnung mit dem Rundfunksinfonieorchester Saarbrücken sowie ein Konzert an der Komischen Oper Berlin. Des Weiteren spielte er auch ein Konzert mit der Deutschen Kammerakademie Neuss und dem Landesjugendorchester Brandenburg. Ebenfalls in diesem Jahr wurde er Assistent beim NDR Elbphilharmonie Orchester. 2006 hatte Siberski mehrere Auftritte mit dem Münchner Rundfunkorchester und erneut dem Landesjugendorchester Brandenburg. Vorstellungen an der Semperoper in Dresden hatte er dann 2007 bezüglich der "Zauberflöte" von Wolfgang Amadeus Mozart. Auch 2007 führte er "Der Sturm" von Zdeněk Fibich am Theater Bielefeld sowie Hamlet von Ambroise Thomas an der Deutschen Oper am Rhein und abermals "Der Liebestrank" an der Kammeroper Rheinsberg auf. Ebenfalls hatte er ein Konzert mit den Düsseldorfer Sinfonikern. Von diesem Jahr an war er bis 2011 als erster Kapellmeister und stellvertretender Generalmusikdirektor am Theater Bielefeld tätig, wobei er jährlich an drei Musiktheater-Neuproduktionen, Opern-Nachdirigaten und Sinfoniekonzerten beteiligt und Verantwortlicher für die Kinderkonzert-Reihe war. 2008 begann er dann an der Württembergischen Philharmonie Reutlingen aktiv zu werden und leitete zur Spielzeiteröffnung der Wuppertaler Bühnen und des Sinfonieorchesters das Stück "Lakmé" von Léo Delibes. Noch im selben Jahr stellte er "La Bohème" von Giacomo Puccini an der Staatsoper Hannover vor. Im Zeitraum von 2009 bis 2011 war Siberski außerdem Mitglied von "Soulfood". Ebenfalls 2009 leitete er "La Bohème" am Tiroler Landestheater Innsbruck und hatte mehrere Auftritte mit den Jungen Sinfonikern Bielefeld. 2010 spielte er dann ein Konzert mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, führte Manon Lescaut von Giacomo Puccini am Tiroler Landestheater Innsbruck auf und übernahm die Leitung des Sinfonieorchesters der Musik- und Kunstschule Bielefeld mit den Projekten "John Adams Tanzabend" und "Sinfonieorchester in der Disco". 2011 spielte er ein Konzert mit den Jenaer Philharmonikern, der Württembergischen Philharmonie Reutlingen und mehrere Konzerte mit den Jungen Sinfonikern Bielefeld, bis er seit 2011 zum ersten Kapellmeister und stellvertretenden Generalmusikdirektor am Theater Kiel wurde, wo er jährlich auch an drei Musiktheater-Neuproduktionen, Opern-Nachdirigaten und Sinfoniekonzerten beteiligt war. 2012 leitete er dann ein Konzert mit dem Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg und dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie Koblenz. Eine Vorstellung und mehrere Konzerte hatte Siberski dann 2013 an der Staatsoper Kutaisi/Georgien und mit den Neubrandenburger Philharmonikern. 2013 gründete er auch die deux arts [gru:p], spielte mehrere Konzerte mit dem Landesjugendorchester Schleswig-Holstein und führte Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach an der Kammeroper Rheinsberg auf. 2014 arbeitete er dann am Projekt "Baby I’ve been thinking – eine Janis Ian Retrospektive" und ging auf Konzerttournee mit der Nordwestdeutschen Philharmonie, bis er 2015 schließlich mehrere Konzerte mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, den Neubrandenburger Philharmonikern und ein Konzert mit dem Sinfonieorchester des SWR Stuttgart hatte. 2015 beteiligte er sich am Projekt "Villa Kunterband" und "...gewiss in seinem Sinne" am Clara-Schumann-Abend am Theater Kiel. 2016 hatte Siberski dann Vorstellungen von "Mahagonny" von Kurt Weill am Opernhaus Kiel, ein Konzert mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt Kiel, der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, dem Sinfonieorchester des SWR Stuttgart und der Südwestfälischen Philharmonie. Ebenfalls wurde er Chefdirigent der Kammerphilharmonie Lübeck und beteiligte sich an zwei Produktionen der Eutiner Festspiele. 2017 leitete er mehrere Konzerte mit dem South Denmark Philharmonic Orchestra, dem Philharmonischen Orchester Plauen-Zwickau und ebenfalls bei den Eutiner Festspielen, unter anderem die Uraufführung des eigenen Musiktheaterabends "Die Wolfsschlucht". Im selben Jahr gründete er das Projekt "Hexacore Fusion Department" und wurde Generalmusikdirektor des Theater Plauen-Zwickau und des Philharmonischen Orchesters Plauen-Zwickau. 2018 leitete er mehrere Konzerte der Kammerphilharmonie Lübeck und hatte eine Aufnahme mit der Südwestfälischen Philharmonie sowie eine Produktion und ein Konzert bei den Eutiner Festspielen. 2019 führte er mehrere Konzerte mit dem South Denmark Philharmonic Orchestra auf. Auszeichnungen. Von 1981 bis 1987 gewann er fünfmal den ersten Preis im Bundeswettbewerb "Jugend musiziert" und einen Preis beim Grotrian-Steinweg-Klavierwettbewerb.
Poruba ("Poremba", "Poręba") ist ein Ortsteil der Stadt Orlová im Okres Karviná in Tschechien. Geschichte. Das Dorf wurde am wahrscheinlichsten von Benediktinern gegründet, die sich 1268 in Orlau ansiedelten und wurde im Jahr 1447 als "Porombka" erstmals erwähnt, später "Poremba". Die lechische bzw. polnische Form des Ortsnamens, dh. mit dem Nasalvokal dominierte lange Zeit in tschechischsprachigen sowie deutschsprachigen Urkunden, die tschechische Form ohne dem Nasalvokal — "Poruba" tauchte im Jahr 1724 auf. In beiden Sprachen ist der Ortsname weit verbreitet und bezeichnet eine „Waldlichtung“, „Kahlschlag“. Seit 1327 bestand das Herzogtum Teschen als Lehensherrschaft des Königreichs Böhmen, seit 1526 gehörte es zur Habsburgermonarchie. Im Jahre 1573 entstand die Freie Standesherrschaft von Freistadt, der das Dorf unterstand. In der Beschreibung Teschener Schlesiens von Reginald Kneifl im Jahr 1804 (meistens Stand aus dem Jahr 1799) war "Poremba", ein zur Minder-Standesherrschaft Reichenwaldau gehöriges Dorf im Teschner Kreis, es hatte 37 Häuser mit 267 Einwohnern mährisch-schlesischer Mundart (siehe Lachische Sprache), die der Pfarrei in Orlau, in einem polnisch-schlesischsprachiger Ort, eingepfarrt waren. Nach dem Breslauer bischöflichen Schematismus 1847 gab es 402 Dorfbewohner (393 Römisch-Katholiken, 9 Lutheraner) polnischer Sprache. Nach der Aufhebung der Patrimonialherrschaften bildete Poremba ab 1850 eine Gemeinde in Österreichisch-Schlesien, Bezirk Teschen und ab 1868 im Bezirk Freistadt. Derweil nahm die ethnographische Gruppe der schlesischen "Lachen" (Untergruppe der Schlesier) deutliche Gestalt an, wohnhaft in Poremba, traditionell Teschener Mundarten sprechend. Die moderne Geschichte des Orts wurde von einigen örtlichen Zechen aus dem späten 19. Jahrhundert geprägt, u. a. Alpinenschacht und Sofienschacht. Nach der Eröffnung der Montan-Bahn (1870) und der Kaschau-Oderberger Bahn (1871), sowie dem Gründerkrach aus den 1870er Jahren kam dazu in die Gegend eine große Welle von Einwanderern aus Westgalizien, in geringeren Maße aus Mähren. Poremba lag jedoch in der Nähe der sprachlichen Grenze zu der mährischen Lachischen Sprache und im Grenzbereich der Wechselwirkungen der tschechischen und polnischen Nationalbewegungen, und wurde z. B. schon von Reginald Kneifl als mährisch-schlesischsprachiger Ort bezeichnet, dann als polnischsprachiger Ort im Schematismus. Die Pfarrer in Orlau, die nach dem Jahr 1718 immer aus dem böhmischen Broumov designiert wurden, förderten oft tschechisches Nationalbewusstsein unter den örtlichen „Wasserpolaken“, jedoch ohne Erfolg in Poremba bis zum späten 19. Jahrhundert. Außerdem siedelte sich Tadeusz Reger, hervorragender, polnischer, sozialistischer Politiker (später Abgeordneter des Österreichischen Abgeordnetenhauses und des Sejm), im Jahr 1895 in Poremba an. Erst ab dem frühen 20. Jahrhundert, als allen Ernstes ein nationaler Konflikt zwischen Polen und Tschechen entflammte, dessen Kulmination der Polnisch-Tschechoslowakische Grenzkrieg im Jahr 1919 war, deklarierten viele national unentschiedene Bewohner ihre Umgangssprache in den Volkszählung im Jahr 1910 Böhmisch (=Tschechisch) (fast 40 % gegen 4 % im Jahr 1900). 1918, nach dem Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie, wurde das Gebiet von Teschen strittig. Am 5. November laut dem Vergleich zwischen polnischen und tschechischen Nationalräten wurde Poremba ein Teil Polens, im Gegensatz zum Pfarrsitz Orlau. Die tschechoslowakische Regierung erkannte den Vergleich nicht an. Nach dem Polnisch-Tschechoslowakischen Grenzkrieg, einer nicht verwirklichten Volksabstimmung, sowie der Entscheidung des Botschafterrats der Siegermächte am 28. Juli 1920 wurde der Ort unter dem Namen "Poruba" ein Teil der Tschechoslowakei und des Bezirks Karviná. 1938 wurde es als "Poręba" an Polen angeschlossen und kam im Jahr darauf nach der Besetzung Polens kam es zum Deutschen Reich (Landkreis Teschen). 1946 wurde Poruba nach Orlová eingemeindet. In den 1960er Jahren begann der Bau des neuen sozialistischen Orlová im Stadtteil Lutyně, Poruba wurde jedoch nicht so entvölkert wie das alte Orlová oder Lazy.
Philip McCord Morse (* 6. August 1903 in Shreveport, Louisiana; † 5. September 1985 in Concord, Massachusetts) war ein US-amerikanischer theoretischer Physiker, Wissenschaftsorganisator und Pionier des "Operations Research". Leben und Werk. Morse wuchs in Lakewood in Ohio und Cleveland (Ohio) auf und studierte an der "Case School of Applied Science" (Bachelor 1926), u. a. bei Dayton C. Miller. Schon als Jugendlicher hatte er mit zwei Freunden einen Radio-Laden, mit dem er später sein Studium finanzierte. Seine Diplomarbeit schrieb er über Astrophysik mit dem Thema Sternbewegung, veröffentlicht im "Astrophysical Journal". Danach wechselte er zur "Princeton University" unter Edward Condon und Karl Taylor Compton, wo er 1929 promoviert wurde und danach Dozent war. Noch während des Studiums schrieb er mit Condon ein Quantenmechanik-Lehrbuch, wofür er das "Jakobus Fellowship" erhielt. 1930 traf er an der "University of Michigan" Enrico Fermi und Paul Ehrenfest, die als Gastprofessoren dort waren. 1930/1 studierte er mit einem Rockefeller-Stipendium bei Arnold Sommerfeld an der Ludwig-Maximilians-Universität München (gleichzeitig waren dort u. a. Linus Pauling und William Lawrence Bragg) und danach Sommer 1931 an der Universität Cambridge bei Nevill F. Mott, H. S. W. Massey und Julius Stratton. Zurück in den USA trat er der Fakultät des "Massachusetts Institute of Technology" (MIT) als Assistenz-Professor bei. Während des Zweiten Weltkriegs war er kurz am "MIT Radiation Laboratory" „MIT Strahlungslabor“, organisierte dann aber unter Compton die Militär-Forschung (National Research Council, NRC). Er richtete indes Akustiklabors an der "Harvard University" ein: unter Beranek ein Elektro-Akustik-Labor, eines für Psycho-Akustik unter S.Stevens, welche die Kommunikation zwischen Militärfahrzeugen verbesserten. 1942 erfand er eine Vorrichtung zum Schutz von Begleitzerstörern vor deutschen akustischen Minen, bei der eine Geräuschquelle hinter den Schiffen hergeschleppt wurde. 1946 erhielt Morse die Verdienstmedaille der Vereinigten Staaten für seine Arbeit im Zweiten Weltkrieg, 1973 die ASA-Goldmedaille. Ferner organisierte er die "Anti Submarine Operations Research Group" „Anti-U-Boot-Operation-Forschungsgruppe“ (ASWORG, später ORG) der US-Navy. Er gründete auch das Akustiklabor ("Acoustic Laboratory") und Rechenzentrum ("Computation Center") am MIT und war 1946 bis 1948 erster Direktor des "Brookhaven National Laboratory". 1949 war er der erste Forschungsdirektor der "Weapons Systems Evaluation Group" „Waffensystembewertungsgruppe“ (WSEG) des US-Generalstabs, bevor er 1950 zum MIT zurückkehrte. Weiterhin war er 1950/1 Präsident der "Acoustical Society of America" (ASA) und der "American Physical Society" (APS). 1952 gründete er die "Operations Research Society of America" „Amerikanische Operationsforschungsgesellschaft“ (ORSA), 1956 das "Operations Research Center" „Operationsforschungszentrum“ am MIT, dessen Direktor er bis 1968 war. 1969 emeritierte er. Morse führte das nach ihm benannte Morse-Potential in die Quantenmechanik ein, das Anwendungen bei Molekülen hat. Außerdem beschäftigte er sich mit mathematischer Physik und theoretischer Akustik. Er schrieb das erste US-Lehrbuch über "Operations Research" „Operationsforschung“ und mit Herman Feshbach ein zweibändiges umfangreiches Handbuch über Methoden der mathematischen Physik mit den klassisch analytischen Methoden der Sommerfeld Schule. Überdies war er Mitglied der Leitungskomitees der "RAND Corporation" und des "Institute for Defense Analyses". Morse war ebenfalls Mitglied der "American Academy of Arts and Sciences" (1934) und seit 1955 der National Academy of Sciences.
Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm (Arbeitstitel: "Brechts Dreigroschenfilm") ist ein deutsch-belgischer Spielfilm von Joachim A. Lang aus dem Jahr 2018 mit Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung und Robert Stadlober in den Hauptrollen. Der Film soll den Versuch der Umsetzung des künstlerisch und politisch radikalen Verfilmungskonzepts von Bertolt Brecht für seine „Dreigroschenoper“ darstellen. Die Rahmenhandlung, die in den 1920er Jahren spielt, zeigt die Drehbuchentwicklung vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden Nationalsozialismus. Veranschaulicht werden Brechts Vorstellungen durch die Auseinandersetzung mit dem Filmproduzenten, dem er etappenweise sein Konzept vorführt. Die Premiere erfolgte am 28. Juni 2018 im Rahmen des Filmfests München, wo die Produktion als Eröffnungsfilm gezeigt wurde. Der Film kam am 13. September 2018 in die deutschen Kinos. Handlung. Der Film beginnt mit einem ersten Satzzitat aus dem Werk Bertolt Brechts, dem noch etliche weitere Zitate folgen: Aufgrund des großen Erfolges der im August 1928 in Berlin uraufgeführten "Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht mit der Musik von Kurt Weill soll der Stoff verfilmt werden. Brechts Werk ist wider Erwarten zum erfolgreichsten Theaterstück der 1920er Jahre geworden. Das verblüffte Publikum tobt, begeistert vom Anspielungsreichtum des Stücks, seiner überbordenden Musikalität und vor allem den Frechheiten, die sich der Regisseur über damalige Konventionen hinweg herausnimmt. Gemeinsam mit seinem engsten Kreis feiert Brecht den Erfolg. Dazu gehören – neben seiner Frau Helene Weigel – Kurt Weill und Elisabeth Hauptmann, Weills Ehefrau Lotte und die gefeierte Schauspielerin Carola Neher. Die Presse interessiert sich für die Entstehungsgeschichte der Oper und fragt nach Hauptmanns Anteil an ihr, denn sie hatte unter anderem durch ihre kenntnisreiche Übersetzung – der The Beggar’s Opera von John Gay und Johann Christoph Pepusch aus dem Englischen – Brechts „Dreigroschenoper“ erst ermöglicht. Noch bevor das Stück zum Welterfolg wird, fragt die Presse zudem Brecht herausfordernd, warum er es nicht auf die Leinwand bringe. Obwohl er grundsätzlich das Kino liebt, antwortet er schneidend: Ein Angebot des Produzenten Seymour Nebenzahl, die Oper zu verfilmen, kommt nicht überraschend. Brecht beabsichtigt aber keineswegs, sein Stück eins zu eins für die Kinoleinwand adaptieren zu lassen. Seine Vorstellungen, wie der Stoff als Film aussehen könnte, weichen stark von denen Nebenzahls ab. Der Filmproduzent strebt an, größtmöglichen Profit ohne Risiko aus der Produktion zu schlagen. Er will den Filmkonsumenten dabei nur das geben, was sie ohnehin gewohnt sind. Brechts Absicht ist dagegen, explizit mit Zuschauergewohnheiten zu brechen. Er will keine Abbildung der Realität, sondern den Blick dahinter und formuliert dies so: Vor dem geistigen Auge des Produzenten lässt Brecht eine überraschende Filmidee vorüberziehen, die den Kampf des Londoner Gangsterbosses Macheath mit dem Kopf der Bettelmafia, Peachum, so anschaulich entspinnt, dass dieser fiktive Film für beide tatsächlich in bewegten Bildern zu sehen ist: Der Gangster, der auch unter dem Namen „Mackie Messer“ gefürchtet ist, verliebt sich Hals über Kopf in Peachums minderjährige Tochter Polly. Dieser ist entsetzt, als er erfährt, dass seine Tochter diese Liebe erwidert. Verschärfend kommt hinzu, dass er enorm viel Geld in die Ausstattung seiner Tochter investiert hat und erwartet, dass sie einmal eine gute Partie macht und damit sein Auskommen im Alter sichert. Als Brecht in der Verfilmung alle Register seines Epischen Theaters ziehen will, erschrickt der Filmproduzent, da er zum einen die Filmzensur und zum anderen die enormen Produktionskosten für die Ausstattung der ausufernden Story fürchtet. Sein Plan zu einer Filmverwirklichung sieht angeblich die „angesehensten Schauspieler“ vor und einen der „größten Regisseure seiner Zunft“ – der die Dreigroschenoper allerdings „rein optisch“ und „wie ein Märchen“ sieht. Brecht jedoch hält so etwas für unfortschrittlich und „Schund“, der lediglich den bisherigen „verblödeten Zuschauergeschmack“ bediene. Er will die „Vorgänge hinter den Vorgängen“ zeigen und so Gesellschaftskritik üben. Er will auch die Brutalität der SA und des „Anstreichers“ Adolf Hitler entlarven. Er beabsichtigt, von den sechs Millionen Arbeitslosen zu berichten, die der rücksichtslose Kapitalismus zu verantworten hat. Die Weltwirtschaftskrise hat diese Massenarbeitslosigkeit zur Folge und immer mehr Menschen sind von Verelendung bedroht. Für diese Menschen will Brecht nicht Schund, sondern Kunst machen, die ihnen hilft. Für ihn muss daher ein „Attentat auf die bürgerliche Ideologie“ auf der Leinwand erfolgen. Die im Aufstreben begriffene Filmindustrie ist für ihn noch ohne künstlerischen Anspruch und steht für Kleingeistigkeit. Die Räuberführer in seiner Dreigroschenverfilmung sollen so bürgerlich sein wie die Bürger, die sie berauben, haben gefüllte Sparbücher, kopieren großbürgerlichen Stil und ihre Spießigkeit. Bürger und Ganoven werden ununterscheidbar. Es gilt allgemein das Motto: Brecht führt Nebenzahl durch schillernde Szenarien seiner Filmphantasien: Den Macheath seines Films stellt er sich als ambitionierten Geschäftsmann vor, der allgemeinen Legalitätsanschein erwecken will und von großbürgerlichem Wohlstand und Ansehen träumt. Macheath entdeckt aber auf der Straße Polly, die mit ihrer Mutter durch die Stadt flaniert. Ihm springt sofort Pollys wohlgeformtes Hinterteil ins Auge. Noch bevor er das erste Wort mit ihr gesprochen hat, beschließt er, diese Frau zu ehelichen. Er flirtet mit ihr im Beisein ihrer Mutter, lädt beide zum Tanz ein und bringt Polly dazu, mit ihm zu gehen. Sie kennen einander nur vier Stunden, da sind sie schon vermählt. Eine Ganoven-Hochzeit wird gefeiert, in der großbürgerliche Vermählungspraxis von diesen zu kopieren versucht wird. Anwesend ist die ebenso brutale wie sittenlose Bande des Bräutigams wie auch seine „Freunde“ aus der etablierten Gesellschaft. Der Produzent empfindet Brechts Äußerungen dazu als zynisch und die Handlung als vulgär. Er will den klingenden Namen der „Dreigroschenoper“ einfach nur in wirtschaftlichen Erfolg umsetzen. Zwar versucht ihn Brecht zu beschwichtigen, aber die Ideen, die der Produzent als anstößig empfindet, sprudeln weiterhin aus ihm heraus. Sein Dilemma ist dabei: Er weiß im Grunde, dass er nicht von seiner Vision, einer politisch und ästhetisch radikalen Filmversion, abweichen will. So fährt er sich in seinen „Verhandlungen“ mit der Filmfirma fest, denn seine Vorstellungen will Nebenzahl in dem Film, für dessen Rechte er bezahlt hat, keinesfalls realisieren. Der Produzent droht schließlich an, die „Dreigroschenoper“ auch ohne Brechts Mitwirkung zu drehen. Obwohl Brecht weiß, dass die Produktionsfirma sich nicht darauf einlassen wird, will er weiterhin eine gänzlich neue Art von Kino machen. Seine Vision von einem Dreigroschenfilm ist provokant, radikal, kompromisslos, politisch und pointiert. So kommt es nicht nur zum Showdown in der erzählten Filmfiktion Brechts (wie auch in der Oper), sondern auch in der Filmrealität der Grundhandlung. In der Folge verklagt Brecht die Produktionsfirma im Dreigroschenprozess und kämpft um seine künstlerische Freiheit – in einem Prozess, dessen Ausgang er bereits voraussagt, aber bewusst in Kauf nimmt. Herausfordernd sucht er die öffentliche Auseinandersetzung. Vor Gericht zieht er nur, um zu beweisen, dass die Profitgier der Produzenten am Ende siegt. Sein Kommentar dazu lautet: Er startet auch hierbei eine Inszenierung der ganz besonderen Art: Richter, Anwälte, Journalisten und alle Beteiligten sollen die Mitwirkenden eines Lehrstückes werden. Er nennt den von ihm angestrengten Prozess ein „soziologisches Experiment“. Mit dem sich ankündigenden Nationalsozialismus, dessen Menschenverachtung bereits in der bedrohten Republik Wirkung entfaltet, stellen sich nicht nur die Filmfirma, mit der er bereits zerstritten ist, sondern auch die Filmindustrie und die Kinobetreiber gegen ihn. Sie behaupten, der Stoff sei grundsätzlich sittenwidrig und somit „undeutsch“. „Auf Brecht und Weill gehört ein grober Keil“ wird vom rechten Spektrum der Politik skandiert. Er lässt sich aber nicht einschüchtern. In einem Statement lässt er keine Einschränkung zu: Die Grundhandlung des Filmes wird immer mehr zu einem Spiel mit der Wirklichkeit und den Fiktionen Brechts. Am Ende wird versucht, den Konflikt der Dreigroschenoper auf die Gegenwart zu übertragen. Produktion. Die 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin uraufgeführte und äußerst erfolgreiche „Dreigroschenoper“, vier Bearbeitungen des Opernstoffes, das Filmexposé "Die Beule – Ein Dreigroschenfilm," die theoretische Schrift „Der Dreigroschenprozeß“ und der "Dreigroschenroman" (1949) bildeten für den Regisseur Joachim A. Lang die Basis seines Werks. Die Dreharbeiten fanden vom 3. März bis zum 15. Mai 2017 in Baden-Württemberg, Berlin und Belgien statt. Zu den Drehorten in Baden-Württemberg gehörten der Ahnensaal des Rastatter Schlosses, Schloss Favorite bei Rastatt, ehemalige Fabrikgebäude von E. Holtzmann & Cie. in Weisenbach und Henning Schmiedetechnik in Metzingen, die Stadtbibliothek am Mailänder Platz in Stuttgart und die Villa Fuchs in Heilbronn. In den belgischen Großstädten Gent und Antwerpen fanden sich Motive, die das London der viktorianischen Zeit darstellten. Im Bourla-Theater in Antwerpen wurde die Anfangsszene des Films gedreht, eine Generalprobe, die realiter 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm stattfand. Auf dem Bertolt-Brecht-Platz, vor dem Theater am Schiffbauerdamm (Ort der Uraufführung Brechts "Dreigroschenoper"), wurde an einem Originalschauplatz eine Schlussszene gedreht, wobei das dortige Brechtdenkmal einbezogen wurde. Produziert wurde der Film von der deutschen "Zeitsprung Pictures GmbH," Koproduzent war die belgische "Velvet Films." Beteiligt waren der Südwestrundfunk, Arte, der Rundfunk Berlin-Brandenburg und der Norddeutsche Rundfunk. Unterstützt wurde die Produktion von der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg und dem Deutschen Filmförderfonds. Für das Kostümbild zeichnete Lucia Faust verantwortlich, für den Ton Eric Rueff, für das Szenenbild Benedikt Herforth, und für das Maskenbild Jeanette Latzelsberger. Getanzt wurde von der "Gauthier Dance Company" nach einer Choreografie von Eric Gauthier. Die Musik von HK Gruber wurde vom SWR Symphonieorchester, der SWR Big Band und dem SWR Vokalensemble aufgenommen. Hintergrund. Der Sensationserfolg des Brecht-Stückes bediente das Gefühl des „Tanzes auf dem Vulkan“ in der bedrohten Weimarer Republik. Es bot als „Anti-Oper“ mit neuer Form und neuartigem Inhalt ein überraschend hohes Potenzial aus Kunst, Unterhaltung und Gesellschaftskritik. Brechts „Dreigroschenoper“ feierte weltweit Bühnenerfolge, wurde als deutsches Kulturgut zum „Exportschlager“. Der Überraschungserfolg und die Schallplattenaufnahmen mit den Songs, die sofort nach der Uraufführung erschienen, riefen ein Dreigroschenfieber in Berlin hervor: „Dreigroschenkneipen“ eröffneten, viele Frauen verkleideten sich im Stil der Darsteller der „Dreigroschenoper“ als Prostituierte, die Männer zeigten sich in Anlehnung an die Aufführungen in einer Zuhälter- und Ganovenmode. Es gab Tanztees und Bälle untermalt mit dieser Musik, Postkarten mit Motiven der Aufführungen bis hin zu „Dreigroschentapeten“. Kein Stück erreichte ein größeres Publikum und hat zudem das Verbot und die Katastrophe des Nationalsozialismus am Ende so wirkmächtig überdauert, dass es nach Kriegsende sofort wieder auf den Bühnen in Deutschland zu sehen war. Das Bühnenstück zählt weltweit zu den bekanntesten überhaupt, Zitate daraus sind zu festen Begriffen der Alltagssprache und Literatur geworden, Musikstücke daraus zu Welthits. Die Popularität des Stoffes hält bis heute an. Der Grund liegt nicht nur an der Attraktivität der Musik, die eine Art Sound der 1920er Jahre abbildet, sondern an seiner ungebrochenen Aktualität. Dennoch gibt es nur wenige Verfilmungen des Stoffs, die letzte deutschsprachige liegt mehr als 50 Jahre zurück und hält sich – wie die anderen – sehr eng an das von Brecht für die Bühne geschaffene Theaterstück. Dass es ein Exposé "(„Die Beule“)" zur Kinoadaption vom Autor selbst gibt, wurde weiterhin übergangen. Dieser sah den Erfolg der Dreigroschenoper zunehmend zwiespältig und erkannte, dass bei einer Verfilmung des Stoffs die Gesellschaftskritik konsequenter als im Bühnenstück betont werden müsse. Das Fazit seines „soziologischen Experiments“ zog er in seiner Abhandlung "Der Dreigroschenprozeß," die unter dem Motto stand: „Die Widersprüche sind die Hoffnungen“. Der Text ist viel mehr als eine Beschreibung des Prozesses. Brecht stellt grundsätzlich seine künstlerischen Vorstellungen in Gegensatz zu den herkömmlichen Produkten der Filmindustrie. Seine Änderungen gegenüber dem Bühnenstück waren nicht in erster Linie dem neuen Kinoformat geschuldet, sondern sie stellten eine politische Verschärfung dar, die auch als Konsequenz aus der gesellschaftlichen Entwicklung entstand. Der Berliner Polizeipräsident Karl Zörgiebel (SPD) verbot im Dezember 1928 politische Versammlungen unter freiem Himmel. Dieses Verbot wurde im März 1929 von ihm auf ganz Preußen ausgedehnt. Brechts politische Haltung wurde, auch aufgrund der vielen Toten unter den protestierenden Arbeitern des folgenden „Blutmai“, radikaler. Im Oktober 1929 stürzte der Börsencrash in New York die Welt in eine Wirtschaftskrise mit furchtbaren Auswirkungen. In Deutschland beherrschten zudem ab 1930 die Aufmärsche und der Terror der "SA" in zunehmendem Maße die Straßen. Hasserfüllte Schlägertrupps sprengten nicht zuletzt auch die Veranstaltungen der Brecht-Aufführungen gewaltsam. Nach Hitlers Machtantritt und dem bald folgenden Reichstagsbrand war Brechts Leben in Gefahr. Er sah sich gezwungen, Deutschland zu verlassen, aber er rettete den Stoff. Als er, ins Exil geflohen, keine Aussicht mehr hatte, das Exposé zu verfilmen, schrieb er den „Dreigroschenroman“. Mit den vier Bearbeitungen des Dreigroschenstoffes – der Oper, dem Filmexposé, der Schrift „Der Dreigroschenprozeß“ und dem Roman – schuf Brecht umfangreiches Material, das den Grundstein legte für eine Verfilmung seines künstlerischen und politisch radikalen Konzepts. Das Exposé bildete aber nur eine rudimentäre Grundlage für „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“, denn es enthält kaum Dialoge. Aus ihm wurden nur wesentliche Handlungsstränge entnommen, dazu kamen deshalb Dialoge und Szenen aus der Oper und dem „Dreigroschenroman“. Dazu wurde eine Rahmenhandlung entwickelt, die ins Berlin der 1920er Jahre, zu einem jungen, wilden Künstlerkollektiv mit Brecht im Mittelpunkt führen und die Entstehung des Exposés vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden Nationalsozialismus zeigen sollte. „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ zeigt nun eine Filmidee, deren Verwirklichung aus verschiedensten Gründen nicht erfolgte; die Rahmenhandlung ist eine Art Making-of des verhinderten Films. Der Staub, der sich im Laufe der Jahrzehnte über das erfolgreichste und populärste deutschsprachige Stück des 20. Jahrhunderts gelegt hatte, sollte entfernt werden, es sollte in einen brisanten, aktuellen Kontext gebracht werden. Die im Text angelegten Provokationen und Frechheiten sollten wiederentdeckbar werden. Schon die ersten Verse des Eröffnungssongs gaben im Film diese Richtung vor. Dass der Haifisch seine Zähne zwar offen im Gesicht trägt, aber dabei das Messer des Räubers "Macheath" nicht zu sehen ist, ist ein Verweis darauf. Dieser sollte als Bild für den gegenwärtigen Zustand der Welt fungieren. Der Angriff des Raubfisches sollte dabei als harmlos erscheinen gegenüber den verborgenen Brutalitäten eines Systems, dessen Machenschaften die Existenzgrundlagen der Menschheit vernichten und dabei in scheinbarer Seriosität vor sich gehen. Eine Erweiterung von Möglichkeiten im Bruch mit Konventionen, in der Kunst allgemein und in der Wirklichkeit, in einer Welt, die durch frappierende soziale Ungleichheit zunehmend aus den Fugen gerät, bot sich hierbei Lang an. In Bezug auf Brecht ging es ihm um ein zurechtgerücktes Bild des Dichters, das auf neuerer Forschung beruht. Lang zufolge war Brecht kein trockener Ideologe, bei dem alles berechenbar ist, so wie er immer noch in den Medien dargestellt wird. Er war vielmehr ein provokanter, gesellschaftskritischer Autor, der unterhalten und nicht nur das Theater revolutionieren wollte. Für Lang ist er der wichtigste deutschsprachige Dichter des 20. Jahrhunderts, mit prägendem Einfluss auf die Kunst. Brecht wurde von ihm als der Genius eines Künstlerkreises (zu dem auch seine Frau Helene, seine Mitarbeiterin Hauptmann, die Schauspielerin Neher und natürlich der Komponist Weill sowie dessen Frau Lotte Lenya gehörten), dargestellt. Sie alle waren kulturelle Glanzlichter der Zeit, sorgten aber auch für Skandale, und es sah so aus, als würde die „Dreigroschenoper“ bloß einer dieser Skandale werden. Für Lang sind die 1920er Jahre die wichtigste Phase in Brechts Schaffen und einer der großen kulturellen Höhepunkte der deutschen Geschichte. Ungewohnt und neu ist, dass ein Dichter mit seinen eigenen Worten sprechen sollte, und dies ohne erfundene Orientierungsdialoge für den Zuschauer. Eine Wende in der Brechtrezeption sollte damit eingeleitet werden. Auch die anderen Künstler, die im Film dargestellt werden, sollten sozusagen mit ihrer eigenen Stimme sprechen. Lang beschreibt seinen Film nicht als einen epischen Film der Theorie Brecht zufolge, sondern eher als eine allgemein offene Form eines Films, der mit Sehgewohnheiten spielt, Überraschendes bietet und neue Möglichkeiten aufzeigt – ein Experiment. Interpretation. Der echte Brecht bereitete die perfekte Bühne für diesen filmischen Kraftakt einer Neuverfilmung des Stoffes durch den spektakulären "Dreigroschenprozess", der mit einem Vergleich endete. Seine Vorstellungen aus dem September 1930 geschriebenen Filmexposé "„Die Beule – Ein Dreigroschenfilm“" sind im Kinofilm "Die Dreigroschenoper" von 1931 weitgehend unberücksichtigt geblieben, obwohl er zunächst zumindest die „Grundlage für das Drehbuch“ liefern sollte. In seinem Kinofilmdebüt verwebt Regisseur und Drehbuchautor Joachim A. Lang die Geschichte von Brechts fehlgeschlagenem Versuch, den Stoff der im August 1928 in Berlin uraufgeführten "Dreigroschenoper" zu verfilmen, mit den Liedern und der Handlung daraus. Der neuerliche Film versucht einerseits zu zeigen, wie Brecht sein Werk nach eigenen Vorstellungen vielleicht umgesetzt hätte, andererseits das historische Umfeld in der Zeit der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden Nationalsozialismus. Realität und Fiktion werden verschmolzen, indem zwischen Brechts Auseinandersetzung mit der Filmgesellschaft und seinem geplanten, aber von ihm nicht realisierten Filmprojekt, dem Bühnenstück und der Gegenwart gewechselt wird. Brechts Aussagen im Film beruhen dabei auf Zitaten aus seinem Leben und Werk. Regisseur Lang entschied sich in seiner filmischen Umsetzung dafür, weder nur die originale "Dreigroschenoper" zu verfilmen, noch allein die Geschichte des Scheiterns einer ersten Verfilmung unter Mitwirkung Brechts darzustellen. Stattdessen beschritt er einen Mittelweg. Seine Filmstory verläuft parallel zur Geschichte des ersten fehlgeschlagenen Adaptionsversuches, um diese damit gegenüberzustellen. Zugleich führt er mit dem Film die Zuschauer in die Zeit der Weltwirtschaftskrise, der damit verbundenen Arbeitslosigkeit und des aufkommenden Nationalsozialismus ein. Dadurch entstand eine Art historischer Making-of-Film, dieser lässt aber auch zu, in Bild und Musik Brechts zu philosophieren und darüber zu spekulieren, wie er sein Werk nach eigenen Intentionen wohl umgesetzt hätte. Lang hat über die Verfilmung von Brechts epischem Theater promoviert und leitete das Brecht-Festival in Augsburg. Zehn Jahre dauerten die Vorbereitungen für seinen Film. Er will Brecht mit seinem Film rehabilitieren, denn er hält das etablierte Brecht-Bild für falsch: „Er wird oft als Dogmatiker, als Ideologe beschrieben, dabei war er damals so jung und anarchisch. Und er wollte ein Star werden.“ Lang erzählt zunächst, wie Brechts „Dreigroschenoper“ wider alle Erwartungen und Pannen zum Erfolg wurde. Der Brecht im Film sitzt trotzdem stoisch im Theater und führt Regie. Die dicke qualmende Zigarre und seine Brille mit runden Gläsern werden im Prinzip den ganzen Film Langs über beibehalten und erscheinen wie eine Maske, hinter der er sich verbirgt. Später bemüht sich Brecht, das Verfilmungs-Projekt ohne Kompromisse zustande zu bringen, stets in wortgewaltigem Kampf. Zugleich ist er mittendrin in der „Dreigroschenoper“. Zwei unterschiedliche Welten prallen aufeinander. Brecht hockt im Film zum Beispiel in der Bar, die berühmte Zigarre im Mund, und erklärt allen, wie Kunst sein müsse. Er genießt, dass er ein Star ist. Zugleich ist er seine eigene Figur und Mittelpunkt der eigenen Inszenierung. Mit frecher Sprache und genüsslich-spöttischem Grinsen, ebenso eloquent wie fundiert, lästert er über tumbe Geldgeber und das experimentierunwillige Publikum, schimpft über seine eigene gelegentliche Doppelzüngigkeit und erzeugt eine kecke Grundstimmung. Dies verhindert, dass der Film belehrend wirkt – passt gut in die Sequenzen, in denen Brecht in Richtung Kamera blickt und freudig die sogenannte vierte Wand durchbricht, um die Film-im-Film-Technik zu karikieren oder sarkastisch daran zu erinnern, dass auch die hier gebotene Nacherzählung realer Ereignisse lediglich ein Spielfilm ist. „Die Dreigroschenoper ist ein Versuch, der völligen Verblödung der Oper entgegenzuwirken“, sagt Brecht im Film nach der Uraufführung des Werks. Später sagt er zudem: „Ich möchte eine Kunst machen, die die tiefsten Dinge berührt und 1000 Jahre dauert. Sie darf nicht so ernst sein.“ Dies setzt Lang um, denn er unterhält und belehrt zugleich. In der Dichterrolle erscheint er als gewitzt, fokussiert und je nach Situation auch knallhart. Die Figur liebäugelt mit dem Publikum und zieht es ins Vertrauen, erzeugt im Zuschauer Empathie. Lang will Brechts Arbeitsprozess durchsichtig machen, ihn nur sehr zurückhaltend als kreativen Polygamisten aufzeigen – der sich auch dem Geldverdienen nicht versagte. Gegen Ende des Films ist das Gedicht "An die Nachgeborenen" – in historischer Aufnahme, von Brecht gesprochen – zu hören. Es gilt als eines der wichtigsten Texte der deutschen Exilliteratur und entstand zwischen 1934 und 1938. Das Gedicht ist das einzige aus Brechts Gedichtswerk, zu dem eine Lesung durch den Autor selbst überliefert ist. Es wurde am 15. Juni 1939 in "Die neue Weltbühne" in Paris veröffentlicht. Gleichzeitig zeigt der Film den filmischen Brecht ins Leere blickend, die Arme im Schoß gekreuzt, still und in Gedanken versunken. So als ob er in der folgenden Einblendung – des von Joseph Goebbels organisierten Fackelzugs der "SA" durch das nächtliche Berlin anlässlich Hitlers „Machtergreifung“ – aus Entfernung zusieht. Der flackernde Schein der Fackeln scheint durch das geschlossene Fenster zu ihm zu gelangen. Es wird Hitler, den Hitlergruß der langen Schlangen von Uniformierten erwidernd, filmisch eingeblendet. Der Brecht des Films beschriftet ein Foto, das ihn am Tisch sitzend zeigt, mit „Die Kisten sind gepackt“. Danach ist er als bereits über die Grenze flüchtend dargestellt. Die Sprache der historischen Aufnahme, die aus dem Off eingespielt wird, ist betont nüchtern, reimlos und rhythmisch frei gestaltet. Im politischen Gedicht beschreibt sich der Autor als einen Dichter im Exil und äußert sich sowohl zu der aufgekommenen „finsteren Zeit“ des Nationalsozialismus, als auch zu Vergangenheit und Zukunft, als eigentliche Botschaft „an die Nachgeborenen“. Langsam, gefasst und traurig wirkt das Gesprochene. Als eine „furchtbare Nachricht“ – die nicht beschönigen darf, über die nicht geschwiegen werden darf – wird es beschrieben. Nur mit augenblicklichem Glück und voller Skrupel sei er geflohen und habe mit Lebensgefahr Bedrohte zurückgelassen. Er sei nicht das, was als weise gälte, und wolle auch weiterhin seinen Kampf fortsetzen. Eine historische Nachtaufnahme zeigt am Ende des Gedichtvortrages die Bücherverbrennung 1933 in Deutschland – ein Papierbündel mit „Dreigroschenoper“ beschriftet wird mit ins Feuer geworfen. Dann kommt ein filmischer Zeitsprung in die Gegenwart und der Brechtdarsteller spielt wieder den souveränen, nicht nur ernsten, sondern auch humorvollen Helden des Films, so wie Brecht hauptsächlich im Film dargestellt wurde. Er soll, so wie es Lang darstellt, Brecht als einen angeblich ausgeprägten „Dogmatiker und Ideologen“ widerlegen. Kritiken. Manuel Brug bezeichnete den Film in der Welt als „eine Art Jack the Ripper im La-La-Land“ und schrieb: „Vergessen ist Gesellschaftskritik und linke Dichtermoral, Deutschlands beste Schauspieler schwelgen stattdessen im Musicalplüsch und genießen […] ihre melodiösen Seitensprünge. Welche sie fabelhaft absolvieren! Und deshalb muss man diesen Film sehen.“ Sidney Schering bezeichnete den Film auf Quotenmeter.de als „fordernde, kultivierte, gute Unterhaltung“ und befand, dass Brecht-Novizen von Eidingers ansprechender, launiger Darbietung als Brecht in die Theorien und Überzeugungen des Autors eingeführt würden, Brecht-Kenner könnten sich dagegen an Langs passionierter Brecht-Hommage ergötzen. Norbert Mayer befand in der österreichischen Tageszeitung Die Presse, dass der Film rasant choreografiert sei, beschwingt und schräg gesungen sowie lustvoll und gerissen gespielt, sodass selbst größte Ungerechtigkeiten nicht mehr wehtun würden, in historisierender Kulisse würde zudem reichlich Kitsch geboten. „Die Dreigroschenoper ist ein Versuch, der völligen Verblödung der Oper entgegenzuwirken“, so Brecht im Film nach der Uraufführung des Werks. Norbert Mayer meinte dazu, dass dieser Versuch auch Lang gelingt, er unterhält und belehrt zugleich. In Lars Eidinger habe er außerdem „eine ideale Besetzung für die Dichterrolle gefunden – als allwissendes Brecht-Zitat […] ist er gewitzt, fokussiert und, wenn es sein muss, knallhart.“ Ursula Scheer urteilte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Regisseur Joachim A. Lang weiß zu viel und überfrachtet sein Werk damit bis zur Ermüdung. […] Irgendwo zwischen "La La Land, Moulin Rouge" und "Babylon Berlin" wäre Lang wohl gerne gelandet mit seinem Montagewerk. Allein, es fehlt an Leichtigkeit und dem Willen zur klugen Selbstbeschränkung. Dieser "Dreigroschenfilm" erstickt an seiner Fülle.“ Anke Westphal schrieb für epd-Film: „»Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm« ist eine fiebrige Tour de Force – ein Film, der die »Dreigroschenoper« bis in den Finanzkapitalismus unserer Gegenwart hinein verlängert und dessen Aktualität hinsichtlich des damals aufkommenden Nationalsozialismus schon fast beklemmend wirkt. Es ist eine Regiearbeit, die das Publikum ebenso irritieren wie verblüffen dürfte – und ungeheuer reich beschenkt.“ Christina Bylow befand in der Vogue: „Mackie Messer — Brechts Dreigroschenfilm ist ein opulentes Gesamtkunstwerk. Es erzählt die Geschichte des erfolgreichsten Stücks der zwanziger Jahre, von Brechts Dreigroschenoper und ihrer gescheiterten Verfilmung durch den Dichter selbst. Ein Kinoereignis, das einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft den Spiegel vorhält, bild- und textgewaltig und dabei hundert Prozent Bertolt Brecht. Kein Wort im Drehbuch, das nicht aus seinen Werken stammt. Virtuos zusammengefügt von Regisseur Joachim A. Lang. Alle sind sie da, die junge Unschuld, die Bettler, die Gauner, die Huren, der Polizeichef und der triebhafte Macheath, ein Mann zum Fürchten, auch wenn der Film mit gezielten Brüchen immer wieder klarmacht: Dies ist eine Kunstfigur. Ihre Stimme aber hallt lange nach.“ Die Süddeutsche Zeitung urteilte: „Joachim A. Lang hat einen opulenten Film im Film inszeniert, der kenntnisreich und klug mit Bertolt Brechts Theorien spielt.“ Die Welt am Sonntag resümierte: „Ein als Denkstück, Zeitbild und Musical gleichermaßen famoser Film.“ Die SZ Extra befand: „Mit seiner offenen Form, der künstlichen Überhöhung und den aktuellen politischen Bezügen holt Lang die Dreigroschenoper ins 21. Jahrhundert.“ Die Berliner Morgenpost schrieb, dass dem Regisseur Joachim A. Lang mit "Mackie Messer" „ein großartiger und zugleich hochintelligenter Film“ gelingt und resümierte: „Das ist ganz großes Kino. Das seine Theaterherkunft nie verleugnet. Das vor Ideen schier birst. Und nebenbei viel erzählt über die Zensur von Kunst und einen erstarkenden Rechtsradikalismus. Was sich beides erschreckend aktuell ansieht.“ Der Deutschlandfunk urteilte: „Mit seiner vielschichtigen Inszenierung hält Joachim A. Lang ein Loblied auf den Schutz geistigen Eigentums und auf Künstler, die mutige Entscheidungen treffen. ‚Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm‘ ist selbst ein solches Werk künstlerischer Hingabe.“ Michael Schleicher schrieb im Münchner Merkur: „Die Idee vom Film ist nicht neu, doch glücken dem Regisseur und seinem Kameramann David Slama die Wechsel zwischen den Handlungsebenen tatsächlich virtuos.“ Die Madame befand: „Neue Zähne für den Haifisch: Ein grandioser Kinofilm zeigt jetzt, wie das Theatergenie Bertolt Brecht seine berühmte Dreigroschenoper auf die Leinwand gebracht haben könnte. […] Als Film im Film dreht diesen Joachim Lang. Auf dieser Ebene erlebt Brechts Meisterwerk jetzt ein Revival der ganz eigenen Art. Spektakulär choreografiert und intoniert, sehen wir eine völlig neue Dreigroschenoper.“ Auszeichnungen und Nominierungen. Der Film war eine von elf deutschen Einreichungen für die Oscarverleihung 2019 für die Kategorie des besten fremdsprachigen Films.
Als Schöninger Speere werden neun hölzerne Wurfspeere und eine ursprünglich als Speer angesehene Stoßlanze aus Holz bezeichnet, die aus der Altsteinzeit stammen. Sie wurden zwischen 1994 und 1998 am Rande von Schöningen in Niedersachsen auf einer archäologischen Ausgrabungsstätte im Tagebau Schöningen gemeinsam mit weiteren Stein- und Holzartefakten, wie einem beidseitig angespitzten Stab und dem Wurfstock von Schöningen, entdeckt. Absolute Datierungsverfahren ergaben ein Alter der Funde von 290.000 bis 337.000 Jahren. Die Ausgrabung an der Fundstelle leitete bis 2009 der Archäologe Hartmut Thieme vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege. Die Schöninger Speere sind die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Welt und ein wichtiger Beleg für die aktive Jagd des "Homo heidelbergensis". Ihr Fund hat das Bild der kulturellen Entwicklung des frühen Menschen stark verändert. Sie befinden sich in einem eigens für sie errichteten Museum, dem vormaligen paläon, "jetzt" Forschungsmuseum Schöningen. Fundstelle. Die Fundstelle der Speere (Schöningen 13 II Verlandungsfolge 4) liegt innerhalb des Braunkohletagebaus Schöningen in etwa 10 Meter Tiefe unter der ursprünglichen Geländeoberfläche. Sie befindet sich an der Tagebaukante auf einem 50 × 60 Meter großen Geländesockel, der vom Abbau durch die Braunschweigische Kohlen-Bergwerke AG ausgespart wurde. Der Sockel ragt an drei Seiten in das Tagebauloch hinein. Die auch als Speersockel bezeichnete Fläche ist eine von dreizehn altsteinzeitlichen Fundplätzen im Braunkohlentagebau Schöningen Süd, die im Zuge der Prospektion der quartären Deckschichten von 1992 bis 2009 ausgegraben wurden. Der rund 3900 m² große Grabungssockel repräsentiert einen kleinen Ausschnitt einer ehemaligen Uferzone, die über Jahrtausende – zwischen Elster- und Saaleeiszeit – von Menschen und Tieren aufgesucht wurde. Der Sockel weist fünf mächtige Schichtpakete (Verlandungszonen) auf, die durch schwankende Wasserstände des Sees und Verlandungsprozesse entstanden sind. In der Abfolge der Verlandungszonen sind Veränderungen des Klimas von einer warmtrockenen Phase mit lichten Laubwäldern zu einer Kältesteppe deutlich abzulesen. Der schnellen, luftdichten Bedeckung der Fundschichten durch Mudden ist die außergewöhnlich gute Erhaltung der organischen Materialien zu verdanken. Für die weitere Fundkonservierung sorgte die Lage unter dem Grundwasserspiegel, der erst durch den Schöninger Braunkohle-Tagebau ab 1979 künstlich gesenkt wurde. Die Speere und die weiteren Fundstücke stammen aus dem sogenannten "Speerhorizont". Das ist eine annähernd 10 Meter breite und 125 Meter lange Grabungsfläche parallel zum ehemaligen Seeufer in der "Verlandungszone 4" aus der Epoche der ausgehenden Holstein-Warmzeit. Das Alter der Funde wurde zunächst mit rund 400.000 Jahren angegeben, andere Datierungsansätze kamen hingegen auf etwa 270.000 Jahre. Spätere Thermolumineszenz- und Uran-Thorium-Datierungen geben den Funden ein Alter von 290.000 bis 337.000 Jahre. Speere. Unter den 10 gefundenen Speeren befindet sich eine hölzerne Stoßlanze mit einer Länge von 2,53 m, die ursprünglich auch als ein Speer angesehen wurde. Die Speere sind, mit einer Ausnahme, aus schlanken, geraden Fichtenstämmchen gearbeitet. Speer IV ist aus Kiefernholz gefertigt. Die Wahl von Nadelhölzern für die Herstellung ist vor allem klimatisch bedingt, da deren lokales Vorkommen im kühleren Klima am Ende des Interglazials nachgewiesen ist. Der Durchmesser der Speere liegt zwischen rund 2,5 und 5 cm bei einem Baumalter zwischen etwa 20 und 60 Jahren. Obwohl es sich bei den verwendeten Holzarten Fichte und Kiefer um Weichholz handelt, bestehen die Speere aus langsam gewachsenen, festen Hölzern, die sich unter wenig günstigen klimatischen Bedingungen gebildet haben. Die Archäologen vermuten, dass die Hölzer von einem Standort mit erschwerten Wachstumsbedingungen, wie dem Elm oder dem Harz, stammen. Die Speere weisen Längen zwischen rund 1,80 m und 2,30 m auf und sind aufgrund des auflastenden Sedimentdrucks leicht deformiert. Sie sind sehr sorgfältig bearbeitet und zeugen von hohem technologischen Können und einer handwerklichen Tradition. Wie bei heutigen Wettkampfspeeren liegt der größte Durchmesser und damit der Schwerpunkt im vorderen Drittel des Schaftes. Die Spitzenpartien sind symmetrisch aus der Basis der Stämmchen gearbeitet, wobei die Spitzenenden gezielt seitlich neben dem zentralen Mark, dem schwächsten Teil des Stammes, ausgebildet wurden. In ihren Wurfeigenschaften sind die Schöninger Holzspeere modernen Wettkampfspeeren ebenbürtig. Bei Tests konnten Sportler originalgetreue Nachbauten bis zu 70 Meter weit werfen. Forscher des University College London stellten nach Würfen von Nachbauten durch trainierte Athleten fest, dass Speerwürfe auf 20 Meter für Großwild tödlich waren. Weitere Holzwaffen. Bei einem in der Fundschicht der Speere entdeckten Holzstock ist die Funktion nicht eindeutig geklärt. Der beidseitig angespitzte Stock von 78 cm Länge wurde 1994 als erstes bearbeitetes Holzgerät gefunden. Interpretationen reichen vom Wurfholz über Grabstock bis zum Allzweckwerkzeug. Dagegen wurde ein gleichartiges, 2016 innerhalb derselben Fundschicht freigelegtes Holzgerät anhand von Gebrauchsspuren als Wurfstock identifiziert. Es ist rund 65 cm lang und hat einen Durchmesser von 2,9 cm. Die Enden des rund 260 g schweren und leicht gebogenen Stocks sind angespitzt. Wissenschaftler vermuten anhand der Knochenfunde von Schwänen und Enten an der Fundstelle eine frühere Verwendung bei der Jagd auf Wasservögel. Ebenso soll der Wurfstock zum Treiben von Beutetieren, z. B. von Pferden, bei der Jagd geeignet gewesen sein. Weitere Fundstücke. Zu den mit den Speeren vergesellschafteten Funden im Speerhorizont zählen ein angekohlter Holzstab („Bratspieß“), Steinartefakte und Skelette von Wildpferden sowie Knochen von Rindern, Hirschen, Nashörnern und Elefanten. Von den rund 12.000 gefundenen Tierknochen stammen über 90 Prozent vom Pferd, gefolgt von Rothirsch und Wisent. Die Pferdeknochen gehören zum Mosbacher Pferd und lassen auf mindestens 20 Individuen schließen. Sie weisen zahlreiche Schnittspuren von Steingeräten, aber nur geringe Spuren von Tierfraß auf. Schlagspuren an den Pferdeknochen belegen, dass sie zum Teil als Werkzeug ähnlich einem Hammer benutzt wurden. Mittels Rasterelektronenmikroskop konnte Thijs van Kolfschoten von der Universität Leiden feine Steinsplitter in einzelnen Knochen nachweisen. Bis dahin wurde die regelhafte Nutzung von derlei Knochenwerkzeugen erst für die Zeit vor etwa 40.000 Jahren angenommen. In der Fundschicht der Speere lagen rund 1500 Steinartefakte aus Feuerstein, die wegen der Steinarmut am früheren Seeufer vom Menschen dorthin verbracht sein dürften. Bei rund 30 Stücken handelt es sich um Steingeräte, wie Schaber, Spitzen und Messer. Zahlreiche Retuschierabfälle belegen das Nacharbeiten der mitgebrachten Steingeräte, und ein Teil der Feuersteinobjekte gehört zu einer Grauzone zwischen Artefakt und Naturprodukt. Vergleichsfunde. Holzartefakte aus der Altsteinzeit sind äußerst selten überliefert. Neben Schöningen sind Funde aus Clacton-on-Sea (Südengland), Torralba (Spanien), Ambrona (Spanien), und Bad Cannstatt (Baden-Württemberg) bekannt, wobei nur das als Lanzenbruchstück interpretierte Holz von Clacton-on-Sea noch erhalten ist. Die kalzifizierten Hölzer vom Fundplatz Bilzingsleben sind in ihrem Artefaktcharakter umstritten. Die ebenfalls aus Niedersachsen stammende hölzerne Stoßlanze aus Lehringen dagegen ist mit einem Alter von rund 125.000 Jahren sehr viel jünger. Mit ihr wurde wahrscheinlich ein Waldelefant erlegt, unter dessen Skelett sie gefunden wurde. 2012 berichtete ein internationales Forscherteam in der Fachzeitschrift Science, dass Funde aus Südafrika darauf hindeuten, dass Individuen der Gattung "Homo" möglicherweise bereits vor 500.000 Jahren Großwild mit aufwändig hergestellten Speeren jagten. Dies soll mittels geschärfter Steinspitzen an Holzschäften erfolgt sein. Paläoanthropologen der University of Toronto hatten rund 200 Spitzen aus eisenhaltigem Gestein untersucht, die aus einer etwa 500.000 Jahre alten Erdschicht nahe Kathu in Südafrika stammten. Mehrere Indizien sprechen dafür, dass sie als Speerspitzen gedient haben könnten. Interpretation und Bedeutung. Die Fundstelle interpretiert der Ausgräber Hartmut Thieme als Wildpferde-Jagdlager. Die Fundsituation sei Zeugnis eines oder mehrerer Jagdereignisse sowie der daran anschließenden Zerlegung und Aufbereitung der Beute mit Steinwerkzeugen. Seinen Hypothesen zufolge gab das dichte Schilf am Seeufer den Jägern Deckung, aus der die Pferde, eingekeilt zwischen Jägern und See, mit gezielten Speerwürfen erlegt wurden. Da sich unter den Pferdeknochen auch Reste von Jungtieren befinden, schließt er auf eine Jagd im Herbst. Weiter sieht er in den zwischen den Überresten der Jagdbeute zurückgelassenen Speeren Hinweise auf eine rituelle Handlung. Die Speere und der Fundplatz Schöningen haben das Bild der kulturellen und sozialen Entwicklung des frühen Menschen revolutioniert. So konnte die ehemals weit verbreitete Forschungsmeinung widerlegt werden, nach welcher der "Homo heidelbergensis" (ein naher Verwandter des "Homo erectus") und sogar noch der sehr viel jüngere Neandertaler primitive, sprachlose Wesen gewesen seien, die sich von Pflanzen und Aas ernährten. Denn die Speere und ihr Fundzusammenhang mit einer Lanze und einem Wurfstock zeugen von hohen technologischen Fähigkeiten und liefern den ersten eindeutigen Beleg für eine aktive (Großwild-)Jagd. Sie belegen, dass Frühmenschen schon vor 300.000 Jahren effektive Jäger waren und über ein breitgefächertes Arsenal an hölzernen Jagdwaffen verfügten. Eine erfolgreiche Jagd auf schnell fliehende Herdentiere ist ohne ausgefeilte Jagdstrategien, ohne komplexes Sozialgefüge und ohne entwickelte Formen der Kommunikation nicht denkbar. Schon "Homo heidelbergensis" verfügte damit möglicherweise über intellektuelle und kognitive Fähigkeiten wie das vorausschauende, planende Denken und Handeln, die zuvor erst dem modernen Menschen ("Homo sapiens") zugeschrieben wurden. Bewerbung als Welterbestätte. 2016 wurde bekannt, dass die Stadt Schöningen eine Bewerbung der Schöninger Speere als UNESCO-Welterbe anstrebte. Im Jahre 2021 nominierte das Bundesland Niedersachsen die Schöninger Speere für die deutsche Tentativliste bei zukünftigen UNESCO-Welterbeanträgen. Begründet wurde die Bewerbung damit, dass die Speere ein wichtiges Zeugnis der frühen Menschheitsgeschichte seien und sich mit ihnen erstmals die kognitiven Fähigkeiten des Frühmenschen nachweisen ließen. Nach einer Prüfung der Anträge aller Bundesländer wird die deutsche Tentativliste 2024 beim Welterbezentrum in Paris eingereicht. Forschungsgeschichte. Beginn 1983. 1979 setzte im Helmstedter Braunkohlerevier die Erschließung der sechs km² großen Fläche des Tagebaus Schöningen mit einem Süd- und einem Nordfeld ein. Zur Verstromung der geförderten Braunkohle wurde in der Nähe das Kraftwerk Buschhaus errichtet. Auf dessen Bauplatz lag das Erdwerk von Esbeck. Das Bodendenkmal wurde 1982 mit einer Rettungsgrabung vom hannoverschen Institut für Denkmalpflege archäologisch untersucht. Da auf der ausgedehnten Tagebaufläche weitere archäologische Fundstellen zu erwarten waren, initiierte der Archäologe Hartmut Thieme vom Institut für Denkmalpflege mit den Braunschweigischen Kohle-Bergwerken 1983 das Langzeitprojekt der "Archäologischen Schwerpunktuntersuchungen im Helmstedter Braunkohlerevier". Dies führte in den folgenden Jahren zur Entdeckung und Dokumentation einer Vielzahl oberflächlicher Fundstellen aus der Jungsteinzeit, der Bronzezeit, der Eisenzeit und dem Mittelalter. Speerfunde ab 1994. 1992 wurden an der Tagebaukante des Südfeldes unterhalb eiszeitlicher Ablagerungen in 10 bis 15 Meter Tiefe mit der Fundstelle 12 erstmals altpaläolithische Fundschichten entdeckt, was tief in den Untergrund einschneidende Schaufelradbagger ermöglichten. Etwa 400 Meter südlich davon wurden 1994 an der Tagebaukante, die als Fundstelle 13 bezeichnet wurde, Tierknochen und ein beidseitig angespitzter Holzstab gefunden. Da hier weitere Funde zu erwarten waren, wurde eine 50 × 60 Meter große Fläche vom Abbau ausgespart. Dadurch entstand ein Grabungssockel, auch als Speersockel bezeichnet, der in das Tagebauloch hineinragt. In diesem Bereich fanden sich die Hinterlassenschaften eines Lagers steinzeitlicher Jäger, die an einem Seeufer vor rund 300.000 Jahren Wildpferde gejagt hatten. Zu den Fundstücken zählten auch die 10 Holzwaffen in Form der Wurfspeere, der Stoßlanze und des Holzstabs. Forschungsprojekt ab 2008. 2008 entstand in einer Kooperation zwischen dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege in Hannover und der Universität Tübingen das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Forschungsprojekt Schöningen unter Leitung des Archäologen Nicholas J. Conard. Seither werden die Ausgrabungen von der Universität Tübingen, Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie, durchführt. An der Aufarbeitung und den Auswertungen der Grabungen forschen weltweit etwa 50 Wissenschaftler in 30 unterschiedlichen Institutionen. Zu den Kooperationspartnern zählen unter anderem die Rijksuniversiteit Leiden (Paläontologie), die Universität Leuphana (Palynologie), das Senckenberg Forschungsinstitut und das Naturmuseum Senckenberg in Frankfurt am Main, die Leibniz Universität Hannover (Geologie), das Labor für quartäre Hölzer Langnau (Holzanatomie) sowie das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz. Neue Kooperation ab 2016. 2016 übertrug das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur die seit 1994 anhaltende archäologische Forschung zu den Schöninger Speeren vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege an die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN) Die Forschungsabgabe wurde damit begründet, dass die Senckenberg Gesellschaft über mehr Expertise zur Steinzeit verfüge und die internationale Sichtbarkeit des Fundortes weiter ausbauen werde. Befürwortern der Forschungsübertragung zufolge sei es Niedersachsen nicht gelungen, die „ältesten Jagdwaffen der Menschheit“ angemessen zu erforschen und zu vermitteln; der große Erfolg sei ausgeblieben. Grundlage der Forschungszusammenarbeit des Landes Niedersachsen mit der SGN und der Universität Tübingen, die bereits seit 2008 in die Erforschung der Schöninger Speere eingebunden ist, wurde ein am 1. August 2016 geschlossener Kooperationsvertrag. Zur Förderung der nationalen und internationalen Kooperation in Schöningen wurde zugleich ein Wissenschaftlicher Beirat eingerichtet. Die Ausgrabungen werden von einem zehnköpfigen Team im Bereich des "Speersockels" und des "Speerhorizonts Süd" fortgesetzt. In der Hauptgrabungszeit unterstützen bis zu 10 Studierende die wissenschaftlichen Ausgrabungen. 2016 erwartete der Grabungsleiter Jordi Serangeli noch weitere wichtige Funde in Schöningen. Weitergehende Untersuchungen ab 2020. 2020 wurde bekannt, dass in einem dreijährigen Forschungsprojekt weitere Untersuchungen an den Schöninger Speeren und weiteren bearbeiteten Holzobjekten mit bildgebenden Verfahren durchgeführt werden. Sie dienen dem Erkenntnisgewinn zum Herstellungsprozess, zur Nutzung und zum Fundzusammenhang. Es handelt sich um ein Gemeinschaftsprojekt des Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege (NLD) und der Universität Göttingen. Es wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 480.000 Euro gefördert. Geleitet wird es von Thomas Terberger vom NLD und Holger Militz von der Abteilung Holzbiologie und Holzprodukte der Universität Göttingen. Fundpräsentation. Die Schöninger Speere werden im „Forschungsmuseum Schöningen“ gezeigt, das 2013 unter der Bezeichnung "paläon" als Besucherzentrum und Museum für die Ausstellung der Jagdwaffen eröffnet wurde. Die unweit der Fundstelle der Speere gelegene Einrichtung widmet sich der interdisziplinären Erforschung der Schöninger Fundstellen sowie der pleistozänen Archäologie und präsentiert in einer erlebnisorientierten Ausstellung die originalen Funde. Landschaftsbiotope, darunter eine Weide mit Wildpferden, veranschaulichen auf dem 34 Hektar großen Außengelände typische Pflanzengesellschaften der Warmzeit. Aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage wurde der Betrieb des "paläon" 2019 eingestellt und das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege strukturierte das Objekt zum „Forschungsmuseum Schöningen“ um. Ausstellungen. In den Jahren 2007 und 2008 fand mit den Speeren die Niedersächsische Landesausstellung unter dem Titel "Die Schöninger Speere – Mensch und Jagd vor 400.000 Jahren" im Braunschweigischen Landesmuseum und im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover statt. Vom 21. September 2018 bis 6. Januar 2019 wurde ein Speer in der Ausstellung "Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland" in Berlin gezeigt, die aus Anlass des Europäischen Kulturerbejahres 2018 stattfand.
Səməd bəy Sadıx bəy oğlu Mehmandarov (Eingedeutscht: Sämäd bäy Sadich bäy oglu Mehmandarow; Russisch: Самед-бек Садых-бек оглы Мехмандаров; * 16. Oktober 1855 in Lənkəran, Gouvernement Schemacha, Russisches Kaiserreich; † 12. Februar 1931 in Baku, Aserbaidschanische Sozialistische Sowjetrepublik) war ein aserbaidschanischer Militärkommandeur, General der Artillerie der Kaiserlichen Russischen Armee und Kriegsminister der Demokratischen Republik Aserbaidschan. Werdegang. Mehmandarov stammte aus einer in Şuşa ansässigen aserbaidschanischen Adelsfamilie. Die allgemeinbildende Schulausbildung erwarb er an einem Gymnasium in Baku. Seine militärische Laufbahn begann am 1. September 1873 als Junker in der Artillerieschule Konstantinow in St. Petersburg. Nach dem Abschluss wurde Mehmandarov 1875 im Rang eines Fähnrichs der 1. Turkestanischen Artilleriebrigade zugewiesen, indem er eine Gebirgstruppe der 3. Batterie befehligte. Vom November 1875 bis Februar 1876 beteiligte er sich an der Militärkampagne der zaristischen Armee zum Khanat von Kokand im Ferganathal. Für die Tapferkeit im Kampf gegen die Matschoh-Rebellen (im heutigen Tadschikistan) bekam Mehmandarov im Oktober 1876 seine erste militärische Auszeichnung, den Orden des Heiligen Stanislaus der 3. Klasse verliehen. Im Dezember desselben Jahres wurde er zum Podporutschik und ein Jahr später zum Porutschik befördert. Ab Herbst 1879 setzte Mehmandarov seinen Dienst in der in St. Petersburg stationierten 2. Artilleriebrigade fort. Wegen hervorragender militärischer Leistungen wurde ihm im März 1881 der Russischen Orden der Heiligen Anna der 3. Klasse verliehen. Im November 1882 erfolgte die Beförderung zum Stabskapitän. Im Juni 1885 wurde Mehmandarov in den Kaukasus versetzt, wo er 9 Jahre lang in der 38. Kaiserlichen Artillerieeinheit gedient hatte. Im Dezember 1890 stieg er zum Hauptmann auf. Im September wurde seine Brigade in den Warschauer Militärbezirk nach Polen verlegt. Hier avancierte Mehmandarov von einem einfachen Mitglied des örtlichen Militärgerichts 1894 zum dessen Vorsitzenden 1896. Im selben Jahr erhielt er den Russischen Orden der Heiligen Anna der 2. Klasse. Bei gleichzeitiger Ernennung zum Kommandeur der 2. Batterie der 3. Artilleriedivision wurde Mehmandarov am 1. Januar 1898 zum Oberstleutnant befördert. Angesichts der Verlagerung der 1. Batterie nach Transbaikalien und deren Umbenennung in die 2. Batterie als Bestandteil der Transbaikalischen Artilleriedivision wurde Mehmandarov im April 1898 zusammen mit seiner Einheit zum Transbaikalischen Artilleriebataillon abgeordnet. Vom Juli 1900 bis März 1901 nahm Mehmandarov an der Spitze seiner Batterie am Feldzug der Zarenarmee unter dem Kommando des Generalmajors Paul von Rennenkampff nach China (China Relief Expedition) teil, um dort den sogenannten Boxeraufstand niederzuschlagen. Für seine militärische Standhaftigkeit während dieser Kampagne rückte er im Januar 1901 zum Oberst auf. Zwischen Mai und Juli 1902 hatte er kurzfristig die Funktion des Befehlshabers der Transbaikalischen Artilleriedivision. Am 1. Februar 1903 begab sich Mehmandarov in die Offiziersartillerieschule nach Zarskoe Selo (heute die Stadt Puschkin nahe St. Petersburg), um dort eine Fortbildung durchzulaufen. Während seiner Abwesenheit wurde seine Einheit vorübergehend vom Kapitän Əliağa Şixlinski befehligt. Nachdem er die Schule mit Auszeichnung absolviert hatte, kehrte Mehmandarov im Oktober desselben Jahres nach Transbaikalien zurück und übernahm erneut das Kommando der 2. Batterie. Nur zwei Wochen später wurde ihm wegen seiner überragenden Leistungen im Kampf gegen die chinesischen Aufständischen das Goldene Schwert für Tapferkeit verliehen. Russisch-Japanischer Krieg. Mit dem Ausbruch des russisch-japanischen Krieges wurde Mehmandarov am 18. Februar 1904 zum Oberbefehlshaber der 7. Ostsibirischen Schützen-Artillerie-Division berufen. Eine besondere Stellung in seiner Militärkarriere nimmt die verlustreiche Belagerung von Port Arthur ein. Die russischen Verteidigungslinien setzten sich insgesamt aus drei Fronten zusammen. Die Artillerieeinheit vom Oberst Mehmandarov wurde mit der Defensive der östlichen Frontlinie, die von japanischen Truppen am stärksten angegriffen wurde, beauftragt. Mehmandarov selbst befand sich während der gesamten Belagerung ununterbrochen in vorderster Linie. Am 13. Oktober 1904 erlitt er bei einer Offensive der Japaner eine schwere Gehirnerschütterung. 10 Tage später wurde er noch während der aktiven Kampfhandlungen für sein Heldentum gegen Japaner zum Generalmajor befördert und mit dem Orden des Heiligen Georg der 4. Klasse ausgezeichnet. Im Dezember 1904, als die Lage der russischen Verteidiger immer aussichtslos wurde, sprach sich Mehmandarov bei einer Versammlung des Kriegsrates kategorisch gegen die Kapitulation aus. Nachdem jedoch am 20. Dezember die gesamte russische Garnison in Kriegsgefangenschaft ging, stellte die japanische Führung den russischen Generälen, Admirälen und anderen hochrangigen Offizieren eine Rückkehr in die Heimat in Aussicht. Die Bedingung dafür war, dass diese nie wieder gegen Japan in den Krieg ziehen sollten. Mehmandarov gehörte zu den sehr wenigen Offizieren, die sich freiwillig für die Kriegsgefangenschaft entschieden hatten. Vom 23. Dezember 1904 bis zum 18. November 1905 verbrachte Generalmajor Mehmandarov seine Gefangenschaft in der japanischen Stadt Nagoya. Bei eigener Abwesenheit erhielt er im Januar 1905 für sein vorbildliches Verhalten und heldenhaften Taten gegen Japaner in Port Arthur den Sankt-Stanislaus Orden der 1. Klasse. Nach der Freilassung wurde Mehmandarov im Dezember 1905 zum Kommandeur der 75. Artillerieeinheit, die kurze Zeit später in die 7. Ostsibirische Schützen-Artillerie-Brigade umbenannt wurde, ernannt. Zwischen Juli 1906 und Juli 1907 wurde er als Kommandant der 7. Ostsibirischen Infanterie-Division und des 3. Sibirischen Armeekorps eingesetzt. Während seines 6-monatigen Urlaubs in St. Petersburg ab September 1907 hatte sich Mehmandarov auf Anordnung des Kriegsministeriums an den Prozessen des Obersten russischen Militärgerichts in Hinblick auf die Übergabe der Festung Port Arthur an Japan beteiligt. Seine herausragenden Leistungen brachten Mehmandarov im Juli 1908 den Rang eines Generalleutnants, wobei er als Artilleriechef zum 3. Sibirischen Armeekorps abkommandiert wurde. Im Mai 1910 erfolgte die Berufung zum Artillerieinspekteur des 1. Kaukasischen Armeekorps. Im Dezember 1913 übernahm Mehmandarov das Kommando der 21. Infanterie-Division des 3. Kaukasischen Armeekorps. Erster Weltkrieg. Nach dem Beginn des 1. Weltkrieges wurde der 3. Kaukasische Armeekorps nach Warschau versetzt, wo Mehmandarovs Division in den verlustreichen Schlachten gelang, eigene Stellungen zu behalten und zum Gegenschlag auszuholen. Für diese Verdienste bekam er im September 1914 den Orden des Heiligen Georg der 3. Klasse verliehen. Am 11. Dezember 1914 wurde er Oberbefehlshaber des 2. Kaukasischen Armeekorps. Die Auszeichnung mit dem Orden des Heiligen Wladimir der 2. Klasse sowie mit dem Goldenen Schwert für Tapferkeit war Ausdruck außergewöhnlicher Führungsqualitäten von Mehmandarov. Nur drei Monate später wurde zum General der Artillerie befördert. Im April und Oktober 1915 bereicherte Mehmandarov seine Medaillensammlung jeweils mit dem Kaiserlich-Königlichen Orden vom Weißen Adler und dem Alexander-Newski-Orden. Nach der Februarrevolution 1917 begann der allmähliche Auflösungsprozess der Zarenarmee. Die zunehmende Fahnenflucht ging mit widerwilliger Amtsenthebung der ehemaligen kaiserlichen Befehlshaber durch selbsternannte revolutionäre Militärkomitees einher. Am 28. März 1917 wurde General der Artillerie Mehmandarov per Erlass des Offiziers- und Soldatendeputierten entlassen und in den Reservekorps des Minsker Militärbezirks aufgenommen. Doch kurze Zeit später erklärte Mehmandarov seine militärische Karriere für beendet. Dienst in der Demokratischen Republik Aserbaidschan. Nach der Proklamation der Demokratischen Republik Aserbaidschan (ADR) am 28. Mai 1918 wurde Mehmandarov im November desselben Jahres als Kriegsminister in die neu zusammengesetzte Regierung von Fətəli Xan Xoyski berufen. und Ende Dezember in seinem Amt offiziell bestätigt. Die Herausbildung der aserbaidschanischen Nationalarmee ist eng mit seinem Namen verbunden. Den Posten des Kriegsministers behielt Mehmandarov bis zur Besetzung Aserbaidschans durch die Rote Armee im April 1920. Rote Armee. Nach der gewaltsamen Niederschlagung des antisowjetischen Aufstandes in Gəncə im Anschluss an die Machtergreifung der Bolschewiki in Aserbaidschan wurde Mehmandarov gemeinsam mit Əliağa Şıxlinski und anderen hochrangigen Offizieren der untergegangenen ADR inhaftiert. Vor eventuellen Repressalien rettete sie erst die Einmischung des ersten Ministerpräsidenten der Aserbaidschanischen SSR Nəriman Nərimanov, der Lenin in einem Brief davon überzeugen konnte, diese seien nützliche Kader für sowjetische Armee. Nach der Freilassung wurde Mehmandarov Anfang August nach Moskau entsandt, wo er zunächst im Allrussischen Generalstab, anschließend in der örtlichen Artilleriekommission eingesetzt wurde. Im Juli 1921 kehrte Mehmandarov erneut nach Aserbaidschan zurück und lehrte zwischen 1924 und 1928 in der Aserbaidschanischen Kriegsschule für Kommandeure in Baku (heute Aserbaidschanische Offiziershochschule - Geidar Alijew). Am 1. Juni 1928 wurde er vom Revolutionären Kriegsrat in den Ruhestand entlassen. Mehmandarov starb im Februar 1931 in Baku und wurde im Friedhof Çəmbərəkənd (eingedeutscht: Tschämbäräkänd) beigesetzt. 1939 wurde auf dem Gelände des Friedhofs ein Freizeitpark namens Sergei Kirow (heute Allee der Märtyrer) errichtet, wodurch das Grab von Mehmandarov verloren ging.
Susan Ebrahimi (* 30. Januar in Saarbrücken) ist eine in Deutschland lebende Liedtexterin und Schlagersängerin mit persisch-österreichischen Wurzeln. Leben. Geboren und aufgewachsen in Saarbrücken, wo sie heute noch wohnt, hat Ebrahimi einen iranischen Vater ("Mahmud Ebrahimi-Nejad" (* 1939)) und eine österreichische Mutter. Ihr Vater, Abkömmling einer persischen Adelsfamilie, wurde im Jahre 1960 zu einem Medizinstudium nach Deutschland entsandt. Dort lernte er seine spätere österreichische Frau kennen. Ebrahimi bezeichnet sich als eine persische Prinzessin. Im Alter von 9 Jahren beginnend, absolvierte sie eine französische Klosterschule und danach in Deutschland eine Ausbildung zur Graphikerin. Aus dieser Zeit resultieren ihre Kenntnisse der französischen Sprache. Nach ihrer Ausbildung eröffnete Ebrahimi ihr eigenes Graphik- und Design-Studio. Durch eine Begegnung mit dem Komponisten und Musikproduzenten Willy Klüter kam sie zur Musik. Ende Juni 2009 trat sie in der Sendung "ZDF-Fernsehgarten" auf und im September 2009 war sie in der MDR-Sendung von Uta Bresan "Die Show im Zoo" zu sehen. Aus dem Congress Centrum Suhl übertrug der MDR im November 2010 in der Sendung "Schlager des Jahres 2010" einen Auftritt Ebrahimis und im Dezember des gleichen Jahres in seiner Show "Alle Jahre wieder … „Prominente Weihnachtsmänner“ packen aus" einen weiteren. Inzwischen hat Ebrahimi Texte für Klüter und Uwe Haselsteiner geschrieben. 2011 gründete Ebrahimi ihren eigenen Verlag namens "Blue Lemuria Music" und ein Jahr später 2012 mit "Klondike-Records" ihr Plattenlabel. Einige ihrer Titel erzielten bereits Erstplatzierungen in den deutschen Airplaycharts, viele wurden auf dem Schlager-Onlinemagazin "smago!" (siehe hierzu smago! Award) rezensiert. 2016 veröffentlichte sie mit "Grün" ihr sechstes Studioalbum. Neben Willy Klüter schrieben für "Grün" auch Stefan Zauner und Uwe Busse jeweils einen Song. "Grün" wurde im April 2016 bei Antenne Brandenburg in der Sendung "Sonntagsvergnügen" und beim Sender hr4 in der 21. KW/2016 als „Album der Woche“ präsentiert. Zudem war sie nach der Veröffentlichung des Albums bei den SWR4-Programmsendern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu Gast. Auch der Hörfunksender BRF2 des Belgischen Rundfunks berichtete in der Reihe "Künstlertreff" im Juli 2016. Ebenfalls im Juli 2016 war ihr eine Folge der Gute-Laune-TV-Reihe "Schlager XXL" gewidmet. Ebrahimi ist geschieden und Mutter eines Sohnes und einer Tochter. Diskografie. Singles und Kompilationsbeiträge. Zudem veröffentlichte sie zahlreiche Promo-Singles, die meisten davon bei Da Records. Einige ihrer Songs erschienen als Kompilationsbeiträge auf Schlagersämplern der Reihen "Bääärenstark!!!" (Sony Music Entertainment) und "Doppelt gut" (DA Music). 2009 erschien "Der Traum vom Fliegen" auf "Stars Singen Alexandra" (Edel Records). Auf "Bernhard Brink Präsentiert: Die Schlager Des Jahres" Folge 16 (2011; Koch Universal Music) erschien ihr Song "Wer Hoffnung hat, hat alles". Zu "Die Deutsche Schlagerparade 1/2011" (Sonocord) trug sie "Viva la danse" bei, auf "Die Schlager Hitparade – Winter" (2016; Da Music) erschien "Winter in Venedig" und auf "Der deutsche Schlager Sommer 2016" (Telamo) ein „extended dance remix“ von "Du bist wie Gold". Außer ihre eigenen Texte schrieb sie Songtexte für Vivian Lindt, Christian Anders, Jens Wagner, Xandra Hag und Axel Becker. Im Sommer 2017 erschien die Single "Überleben" (Solis Music), im Frühjahr 2018 "Keiner kann das so wie du" (Klondike Records & Songs) und Anfang 2019 "Wer Träume hat ist nie allein" (Klondike Songs / Ed. Blue Marlin) zusammen mit Daria Ebrahimi.
Der Atari 800 ist ein auf dem 6502-Mikroprozessor basierender Heimcomputer des US-amerikanischen Herstellers Atari, Inc. Der Atari 800 wurde ab Ende 1979 zunächst nur im US-amerikanischen Versandhandel angeboten und wegen seiner vielseitigen Möglichkeiten zur Erweiterung und damit Zukunftsfähigkeit massiv als „zeitloser Computer“ angepriesen. Nach verschiedenen von Atari angestoßenen Kooperationen im Bildungssektor, der Veröffentlichung von Spiele-Kassenschlagern wie "Star Raiders" und dem Ausbau des Atari-Händlernetzes gelang es, die Bekanntheit kontinuierlich zu steigern. Verkaufsfördernd kam die ab Mitte 1981 vollzogene Expansion nach Europa hinzu, die schließlich in der bis Ende 1982 währenden Marktführerschaft Ataris gipfelte. Durch den Misserfolg seines Anfang 1983 parallel eingeführten Computermodells Atari 1200XL und den seinen Höhepunkt erreichenden Preiskrieg mit anderen Herstellern, verlor Atari binnen eines Jahres wieder viele seiner Marktanteile hauptsächlich an Commodore. Etwa zeitgleich mit Ankündigung der Modelle Atari 600XL und Atari 800XL stellte man Mitte 1983 die Produktion des Atari 800 ein. Bis etwa Anfang 1985 währende Lagerverkäufe miteingerechnet wurden von den beiden Computermodellen Atari 400 und 800 zusammen insgesamt etwa zwei Millionen Einheiten verkauft. Bereits kurz nach der Veröffentlichung galt der Atari 800 als Meilenstein in der Heimcomputergeschichte: Er habe nach Meinung vieler Autoren durch seine auf Benutzerfreundlichkeit ausgelegte Konstruktion und die robuste Verarbeitung auch völlig unerfahrenen Benutzern einen leichten Einstieg in die bis dahin eher Spezialisten vorbehaltene Computertechnik eröffnet. Geschichte. Noch während der letzten Entwicklungsphase für die Videospielekonsole Atari 2600 begann Atari Anfang 1977 mit den Planungsarbeiten für ein Nachfolgemodell. Die Bemühungen der Ingenieure konzentrierten sich dabei hauptsächlich auf die Erweiterung der Grafikfähigkeiten des im Atari 2600 verbauten hochintegrierten Spezialschaltkreises "Television Interface Adapter (TIA)." Die Verbesserungen versprachen anspruchsvollere Spiele bei gleichzeitig verringertem Aufwand zu ihrer Entwicklung. Entwicklung und Prototypen. Ein noch handverdrahteter früher Prototyp des "Alphanumeric Television Interface Controller (ANTIC)" wurde der Leitung von Atari kurz darauf vorgestellt. Anschließende Machbarkeitsstudien zu möglichen Kombinationen des neuen Spezialbausteins mit weiteren elektronischen Baugruppen zeigten rasch über den Einsatz in einer reinen Spielkonsole hinausgehende Potentiale auf. So schienen eine integrierte Tastatur für Programmierzwecke und die Ansteuerung externer Geräte beispielsweise zum Datentransfer sowohl technisch als auch ökonomisch möglich. Ein modularer Aufbau und die Fähigkeit zur Programmierung waren damals lediglich den in Industrie und Forschung eingesetzten teuren Computern von IBM oder DEC und mit deutlichen Abstrichen den wesentlich günstigeren Heimcomputern wie Altair 8800, TRS-80, PET 2001 und Apple II vorbehalten. Insbesondere letztere krankten jedoch an der Umständlichkeit der Bedienung, der Unzuverlässigkeit der Technik und im Vergleich zu Spielkonsolen der damals neuesten Generation immer noch an der Höhe der Anschaffungskosten. Technisch wenig versierte, jedoch elektronischer Datenverarbeitung gegenüber aufgeschlossene Interessengruppen mit schmalem Geldbeutel blieben so außen vor. Diese Zielgruppe im Auge, verwarfen die Verantwortlichen von Atari rasch die ursprünglichen Pläne für eine auf dem ANTIC basierende neue Spielekonsole zugunsten eines eigenen, preisgünstigen und konzeptionell neuartigen Heimcomputers. Die Benutzung hatte einfach und sicher auch für Anfänger zu sein und das Gerät musste ohne technische Detailkenntnisse des Anwenders mit handelsüblichen Fernsehern betrieben werden können. Daneben sollte die Möglichkeit zum schnellen und bequemen Laden von Spielen und Anwendungsprogrammen ähnlich den von Spielekonsolen bekannten Steckmodulen vorhanden sein. Neben der angestrebten leichten Bedienbarkeit spielten insbesondere niedrige Herstellungskosten des zu entwickelnden Gerätes eine große Rolle; die zunächst geforderte Kompatibilität mit Spielen der Atari-VCS-2600-Konsole verwarfen die Verantwortlichen bereits nach kurzer Zeit. Die daraufhin von den Hauptentwicklern vorgelegten technischen Eckpunkte des neuen Systems wurden von der Firmenleitung im August 1977 für gut befunden und weitere finanzielle Mittel auch zur Aufstockung des Entwicklungspersonals zur Verfügung gestellt. Damit einhergehend erhielt das Heimcomputerprojekt den firmeninternen Codenamen "Colleen." Projekt Colleen. Mit fortschreitendem Stand der Arbeiten entschieden sich die Verantwortlichen, die Entwicklung zweier unterschiedlicher Ausbaustufen des Heimcomputers zu verfolgen: eine stark abgerüstete Variante hauptsächlich für Zwecke der Unterhaltung und ein anwendungsorientiertes Gerät mit Schreibmaschinentastatur und Möglichkeiten zur Erweiterung. Die Entwicklungsarbeiten für die erste Variante wurde im November in ein separates Projekt mit dem Namen "Candy" – dem späteren Atari 400 – ausgegliedert, die für das hochwertige Gerät unter dem Namen "Colleen" weitergeführt. Erste Entwürfe sahen 4 KB Arbeitsspeicher, zwei Steckmodulschächte, eine parallele Schnittstelle für Peripheriegeräte, eine Tastatur und diverse Erweiterungsmöglichkeiten vor. Nachdem die Konstruktion des ANTIC im Januar 1978 abgeschlossen worden war, konzentrierten sich die weiteren Bemühungen auf die Fertigstellung der Spezialbausteine "Color Television Interface Adapter (CTIA)" und "Potentiometer and Keyboard Integrated Circuit (POKEY)." Die Entwicklungsarbeiten an den als handverdrahteten Steckplatinen vorliegenden Spezialbausteinen zogen sich bis Ende März hin und kosteten insgesamt mehr als zehn Millionen US-Dollar. Die Abstimmung der Spezialbausteine auf den zwischenzeitlich ausgewählten Hauptprozessor 6502 von MOS wurden mithilfe von Cromencos Computersystem "Z-2" durchgeführt. Bis Mitte Juni konnte die Entwicklung der Leiterplatten für den neuen Computer abgeschlossen werden; letzte Arbeiten, die vor allem die Tastatur betrafen, wurden im August beendet. Das äußere Erscheinungsbild des Computers war bereits Ende April festgelegt und nur wenig später das Gehäuse nebst integrierter elektromagnetischer Abschirmung fertiggestellt worden. Parallel zu den noch verbliebenen Arbeiten an einigen mechanischen Komponenten des Computers erfolgte die Sondierung des Marktes für höhere Programmiersprachen. Die Verantwortlichen entschieden sich dabei für BASIC, eine einsteigerfreundliche Sprache, mit der das neue Computersystem durch den Benutzer für eigene Zwecke programmiert und eingesetzt werden kann. Eine Eigenentwicklung durch Atari schied wegen fehlender Kapazitäten bei einer nur kurz zur Verfügung stehenden Frist von sechs Monaten aus. Nachdem der Einsatz des damals marktbeherrschenden Microsoft BASIC an Ataris technischen Erfordernissen gescheitert war, wurde Anfang Oktober 1978 Shepardson Microsystems, Inc. mit der Erstellung eines eigenen, speziell auf die Atari-Computer zugeschnittenen BASIC-Dialektes betraut. Umbenennung in Atari 800. Nach Festsetzung der Konfiguration des Arbeitsspeichers auf marktübliche 8 KB änderte Atari im November 1978 den inoffiziellen Namen "Colleen" in den direkt an die Speichergröße angelehnten offiziellen Produktnamen "Atari 800." Die der Ziffer "8" nachgestellte Doppelnull klassifiziert dabei den Computer als Basisgerät der ihm zugehörigen Peripheriegeräte. Kurz darauf, am 6. Dezember 1978, erfolgte die Verkündung des Heimcomputerprojektes mit seinen beiden Geräten Atari 400 und Atari 800 publikumswirksam in einem Artikel der auflagenstarken "New York Times." Einen ersten Blick auf seine neue Produktlinie gewährte Atari Interessenten erstmals im Januar 1979 auf der Winter Consumer Electronics Show in Las Vegas. Der Atari 800 war dort zusammen mit dem dazu passenden Diskettenlaufwerk "Atari 810" und dem Drucker "Atari 820" zu sehen. Einem größeren Publikum war der Atari 800 erstmals im Mai im Rahmen der "4th West Coast Computer Faire" in San Francisco zugänglich. Auf der Summer CES in Chicago wurde die unverbindliche Preisempfehlung in Höhe von 1000 US-Dollar bekanntgegeben. Im Juni wurden letzte Arbeiten abgeschlossen und der Abnahmetest zur elektromagnetischen Verträglichkeit durch die US-amerikanische Federal Communications Commission im August erfolgreich absolviert – eine maßgebliche Voraussetzung zur Verkaufbarkeit des Gerätes in Nordamerika. Die Fertigung der Computer, deren Entwicklung bislang etwa 100 Millionen US-Dollar gekostet hatte, wurde Ataris Fabrik im kalifornischen Sunnyvale übertragen. Die Produktion konnte jedoch erst im Oktober 1979 aufgenommen werden, da die rasch wachsende Heimcomputerbranche ab Spätsommer 1979 unter einer anhaltenden Teileknappheit litt. Vermarktung. Bereits geraume Zeit vor dem Verkaufsstart pries der Hersteller seinen Atari 800 unter Anspielung auf die universelle Erweiterbarkeit und damit die langwährende Nutzbarkeit als „Timeless Computer“ an, der für Einsteiger und Spezialisten gleichermaßen geeignet sei („[…] can be used by people with no previous computer experience, although it doesn’t compromise capability for the sophisticated user“). Markteinführung als Bündelangebot. Die erste Serie von Geräten wurde ab November 1979 im Rahmen einer Testvermarktung sowohl in der Weihnachtsausgabe des Versandkatalogs als auch in den Fotoabteilungen einiger Ladengeschäfte der Handelskette Sears Roebuck angeboten. Neben dem Computer mit Netzteil, Anschluss- und Anleitungsmaterial erhielt der Käufer für 999,99 US-Dollar einen Programmrekorder "Atari 410" und weiteres Zubehör. Dazu zählte die Grundausstattung für das "Educational System" und die Programmiersprache BASIC beide jeweils in Form eines Steckmoduls nebst zugehörigem Anleitungsmaterial. Kurz nach dem Verkaufsstart begann Atari, seine Geräte und dazugehörige Unterhaltungssoftware wie das Spiel "Star Raiders" auf Fachmessen vorzustellen. Neben allgemeiner Produktwerbung gelang es damit auch, neue Vertriebskanäle zu erschließen. Begleitet wurden die Präsentationen ab dem zweiten Quartal 1980 durch weitere umfangreiche und langfristig geplante Werbeoffensiven. Nach einer zwischenzeitlichen Preiserhöhung auf 1080 US-Dollar änderte Atari am 1. Juni 1980 zudem die Vermarktungsstrategie für den Atari 800 weg vom Bündelangebot hin zum Einzelgerät. Programmrekorder und Educational System waren nun nicht länger im Lieferumfang enthalten, dafür wurde der ab Werk verbaute Arbeitsspeicher auf zeitgemäße 16 KB erhöht. Ab Mitte 1980 war die Bekanntheit der Atari-Computer so gestiegen, dass auch Dritthersteller vielversprechende Absatzpotentiale sowohl für Hard- als auch Software sahen und ihrerseits Produkte auf den Markt brachten. Erschließung des Bildungssektors. Ergänzend zur Herstellung und zum Vertrieb von Unterhaltungssoftware verstärkte Atari die Bemühungen zur Platzierung seiner Heimcomputer in nordamerikanischen Bildungseinrichtungen, einem bislang von Apple II und Commodore PET dominierten Bereich. Dem lag das Kalkül zugrunde, dass Schüler und Studenten im Rahmen von späteren Privatanschaffungen auf das bereits aus der Schule Bekannte und Vertraute – einen Computer von Atari – zurückgreifen würden. Neben speziellen Verkaufskonditionen für das Bildungswesen war mit der Programmreihe "Talk & Teach Cassette Courseware" bereits frühzeitig auch die passende Software aufgelegt worden. Zudem setzte Atari ab Mitte 1980 verstärkt auf die Zusammenarbeit mit der zu IBM gehörigen Organisation "Science Research Associates," die sich der Förderung des computergestützten Unterrichts verschrieben hatte und den Vertrieb für Atari im Bildungssektor übernahm. Im Rahmen dieser Kooperation finanzierte IBM einen Rabatt, der Bildungseinrichtungen von der Grundschule bis hin zur Universität beim Kauf eines Atari-800-Computers einen zusätzlichen kostenfreien Atari 400 gewährte. Atari selbst legte für Schulen wenig später eine ähnliche Preisaktion in Form des "3 for 2 deal" auf: Beim Kauf zweier Atari-800- oder Atari-400-Computer erhielt der Käufer einen weiteren Atari 400 gratis dazu. Die für die Jahre 1979 und 1980 angegebenen Verkaufszahlen für die Modelle Atari 400 und Atari 800 zusammengenommen schwanken zwischen 50.000 und 300.000 Geräten. Die Umsätze allein für 1980 beliefen sich auf etwa 20 Millionen US-Dollar. Massenvermarktung. Bereits im Laufe des ersten Halbjahres 1981 konnten sich die Atari-Computer trotz permanenter Lieferschwierigkeiten und einiger technischer Probleme bei Zubehörteilen als feste Größen auf dem bislang hauptsächlich von Tandy, Apple und Commodore beherrschten Heimcomputermarkt etablieren. Die von Ataris Computersparte erzielten Umsätze lagen Mitte des Jahres 1981 bei zehn Millionen Dollar – die Summe der durch die laufende Produktion verursachten Verluste belief sich jedoch auf einen ähnlich hohen Betrag. Zur Bewältigung der zunehmenden Nachfrage und zur zügigen Umsetzung der geplanten weltweiten Vermarktung nahm Atari im April personelle Erweiterungen im Firmenmanagement vor. Damit einhergehend führte Ataris individuell auswählbare und speziell auf Techniklaien zugeschnittene Erweiterungspakete für seine Computer ein. Diese „Starter Kits“ enthielten jeweils aufeinander abgestimmte, anschlussfertige Hard- und Software für die Einsatzbereiche Programmieren "(Atari Programmer)," Unterhaltung "(Atari Entertainer)," Bildung "(Atari Educator)" und Netzwerk-Aktivitäten "(Atari Communicator)." Nur wenig später im August 1981 gelang es bereits, den Umsatz auf 13 Millionen Dollar zu steigern, womit erstmals die Gewinnzone erreicht wurde. Außer in den Ausbau des Hardwaresektors investierte Atari auch in die Fortbildung seines Kundendienstes und der Vertragshändler sowie in die Softwareunterstützung für die Heimcomputer. Dazu zählten die beinahe monatlich erfolgenden Veröffentlichungen neuer hauseigener Programme und Spiele, die von Drittherstellern langerwartete Publikation technischer Dokumentationen und die Unterstützung unabhängiger Programmautoren. Letzteres umfasste die Ausrichtung von offenen Programmierwettbewerben mit entsprechend hoch dotierten Preisen, technische Schulungen in Ataris "Acquisition Centers" und die Gründung der Publikationsplattform "Atari Program Exchange (APX)." Durch die Gründung von APX ermöglichte Atari den betriebswirtschaftlich häufig gänzlich unerfahrenen Softwareherstellern den Vertrieb ihrer Programme durch das mittlerweile in Nordamerika voll ausgebaute Atari-Händlernetz. Internationaler Vertrieb. Im Fahrwasser der amerikanischen Verkaufserfolge startete Atari im Sommer 1981 die Erschließung des lukrativen europäischen Marktes. Wie in den USA auch wurde die Veröffentlichung in Großbritannien (645 £), Italien (1.980.000 ₤) und den Benelux-Staaten von umfangreichen Werbemaßnahmen im Printbereich und von Präsentationen auf speziellen Ausstellungen begleitet. In Frankreich dagegen begann der Verkauf (7500 F) vermutlich wegen zeitaufwendiger Hardware-Anpassungen an die SECAM-Fernsehnorm erst im September 1982. In Westdeutschland übernahm ab August 1981 die bereits seit 1980 für die Atari-2600-Vermarktung zuständige "Atari Elektronik Vertriebsgesellschaft mbH" den Vertrieb und den Kundendienst. Die Vermarktung der „Privatcomputer“, so die offizielle Bezeichnung von Atari Deutschland, erforderte erhebliche Investitionen insbesondere für die Werbung, Verkäuferschulungen und Serviceaktivitäten. Analog den Promotionsbemühungen im Videospielebereich schaltete Atari entsprechende Werbung in Printmedien. Neben dem Verkauf im Versandhandel und in Fachgeschäften waren die Rechner auch in größeren Kaufhausketten wie Horten und Karstadt erhältlich. Die unverbindliche Preisempfehlung des Atari 800 mit 16 KB Arbeitsspeicher lag bei 2995 DM, das Diskettenlaufwerk Atari 810 kostete knapp 2000 DM und das BASIC-Steckmodul konnte für 272 DM erworben werden. Vor dem offiziellen Verkaufsstart bot Telectron GmbH bereits im Jahr 1980 die US-amerikanische Ausführung des Atari 800 mit 8 KB Arbeitsspeicher für 4200 DM an. Während der internationalen Expansionsphase reagierte Atari auf die sich immer weiter zuspitzende Konkurrenzsituation vor allem in Nordamerika unter anderem mit technischen Überarbeitungen seiner Computer. Dazu zählte unter anderem ein revisioniertes Betriebssystem für Neugeräte („OS Version B“) und eine fehlerbereinigte Version der Programmiersprache BASIC. Im Geschäftsjahr 1981 konnte Atari so nach eigenen Angaben etwa 300.000 Heimcomputer absetzen, womit sich diese endgültig als Massenware etabliert hatten und Atari zum US-amerikanischen Marktführer aufsteigen ließen. Preiskriege und Marktführerschaft. Die Einführung diverser Billigcomputer wie dem Sinclair ZX81 trotzten auch Atari erhebliche Preisreduktionen ab. Einen ersten Nachlass in Höhe von 16 Prozent gewährte Atari im Januar 1982, womit der unverbindliche Verkaufspreis des Atari 800 auf 899 US-Dollar sank. Darüber hinaus erfolgte die Auslieferung fortan in einer silberfarbenen Hochglanzverpackung, wie sie für den Atari 400 bereits ein Jahr zuvor eingeführt worden war. Auch in Westdeutschland zeitigte die aggressive Preispolitik von Commodore ihre Wirkung: Atari Deutschland sah sich im August 1982 zu einer ersten aber drastischen Senkung des Verkaufspreises von 2995 auf 1995 DM gezwungen. Ab Frühherbst 1982 – vermutlich mit dem von Texas Instruments im amerikanischen Heimcomputermarkt begonnenen Preiskrieg – sah Atari von weiteren direkten Preisnachlässen ab und schwenkte vielmehr auf kaufbegleitende Rabattaktionen um: Beim Erwerb von Ataris Hard- und Software wurden den Käufern durch „Softwarecoupons“ Ersparnisse von bis zu 60 US-Dollar auf viele Produkte aus Ataris Programmsortiment ermöglicht. Daneben erhielten Käufer des Atari 800 ab Oktober zwei zusätzliche 16-KB-Speichererweiterungen gratis, womit Atari den Rechner faktisch nur noch in der höchsten Ausbaustufe mit 48 KB Arbeitsspeicher anbot. Parallel zu seinen Rabattaktionen baute Atari im Laufe des Jahres 1982 vor allem in Nordamerika den Kundendienst massiv aus. Die in den USA landesweit eingerichteten "Atari Service Center" übernahmen fortan Beratungs- und Reparaturdienstleistungen, aber auch die Umrüstung älterer Computer auf den neuen GTIA-Grafikbaustein und das revisionierte Betriebssystem. Sie ermöglichten zudem die durch Ataris Firmenleitung angestrebten profitträchtigen Verkäufe durch große Handelsketten wie J. C. Penney, Kmart und Toys “R” Us, die aufgrund fehlenden qualifizierten Personals keinerlei Beratung oder Garantiedienstleistungen anzubieten in der Lage waren. Diese mittlerweile hauptsächlich auf Massenvermarktung ausgerichtete Verkaufspolitik bescherte Atari im Laufe des Jahres 1982 annähernd 600.000 Heimcomputerverkäufe, wovon auf den Atari 800 allein etwa 200.000 Einheiten entfielen. Mit insgesamt etwa 1,2 Millionen verkauften Geräten der Modelle 400 und 800 konnte Atari damit seine Marktführerschaft erfolgreich verteidigen. Trotz Ataris weltmarktbeherrschender Stellung konnten in Westdeutschland im Laufe des Jahres 1982 nur etwa 2000 Atari-800-Computer verkauft werden. Wegen der Absatzprobleme und des damit verbundenen hohen Preisdrucks amortisierten sich die Investitionen von Atari Deutschland nur schleppend und die Heimcomputersparte entwickelte sich allmählich zum ungeliebten „Stiefkind“ des nationalen Videospiele-Marktführers. Ankündigung der Nachfolger und Ausverkäufe. Im März 1983 brachte Atari ein Nachfolgemodell mit zeitgemäßen 64 KB RAM und neuem Gehäusedesign in den Handel. Aufgrund mangelnder Kompatibilität zu seinen Vorgängern war diesem Atari 1200XL jedoch kein großer Erfolg beschieden, sodass er über eine nur sehr kurzzeitige Veröffentlichungsphase in den USA nicht hinauskam. Um so mehr schnellten die Verkäufe des Atari 800 in unerwartete Höhen, da dessen Preis mit Einführung des neuen Gerätes auf 500 US-Dollar gesenkt worden war und er zudem keine Programminkompatibilitäten befürchten ließ. Mit Ankündigung des offiziellen Nachfolgers "Atari 800XL" auf der Summer CES in Chicago und der damit verbundenen Produktionseinstellung im August beschleunigte sich der Preisverfall immer weiter; im September 1983 schließlich wurden die Geräte für 165 US-Dollar angeboten. Die Modelle 400 und 800 zusammengenommen, verkaufte Atari insgesamt etwa 2 Millionen Geräte. Moderne Nachbauten. Die überschaubare Architektur des Systems und umfangreiche Dokumentationen des Herstellers ermöglichen den miniaturisierten Nachbau der Elektronik des Atari 800 und dazu kompatibler Modelle mit heutigen technischen Mitteln bei gleichzeitig überschaubarem Aufwand. Eine solche moderne Realisierung erfolgte erstmals 2014 – wie bei anderen Heimcomputersystemen auch – als Implementierung auf einem programmierbaren Logikschaltkreis (FPGA) nebst Einbettungssystem. Die Nachbildung mittels FPGA-Technologie war zunächst lediglich als technische Machbarkeitsstudie gedacht, stellte jedoch im Nachhinein auch ihren praktischen Nutzen unter Beweis: Durch die Miniaturisierung und die Möglichkeit des Batteriebetriebs ist sie eine leicht verstaubare, zuverlässig arbeitende und transportable Alternative zur originalen schonenswerten Technik. Technische Daten. Das Gehäuse des Atari 800 enthält insgesamt drei Leiterplatten und ein stabiles Aluminiumgussgehäuse zur Abschirmung der vom Computer verursachten elektromagnetischen Störfelder. Die Hauptbestandteile der größten Platine bilden der Spezialbaustein POKEY sowie die Ein-/Ausgabebaugruppen nebst Peripherieanschlüssen. Daneben stellt sie als Bauelementeträger Steckplätze für die kleineren Platinen bereit. Diese enthalten die Prozessor-Baugruppe mit 6502-CPU (englisch "Central Processing Unit") nebst den Spezialbausteinen GTIA sowie ANTIC und die Baugruppen zur Spannungsregelung plus Fernsehsignalerzeugung. Der Festwertspeicher (ROM) wie auch der Arbeitsspeicher sind im Erweiterungsschacht in Form von Steckkarten untergebracht. Zur Grundausstattung gehörte neben dem Computer ein externes Netzteil, ein Antennenkabel nebst Antennenschaltbox und die Bedienungsanleitung für das Gerät. CPU- und 16-KB-RAM-Karte eines Atari 800. Zum Identifizieren der einzelnen Bauteile diese mit dem Mauszeiger überfahren und für weitere Informationen ggf. anklicken. Hauptprozessor. Der Atari 800 basiert auf dem 8-Bit-Mikroprozessor "MOS 6502," der häufig in zeitgenössischen Computern eingesetzt wurde. Die CPU kann auf einen Adressraum von 65536 Byte zugreifen, was auch die theoretisch mögliche Obergrenze des Arbeitsspeichers von 64 Kilobytes (KB) festlegt. Der Systemtakt beträgt bei PAL-Geräten 1,77 MHz, für solche mit NTSC-Ausgabe dagegen 1,79 MHz. Spezialbausteine zur Erzeugung von Grafik und Ton. Wesentlicher Bestandteil der Rechnerarchitektur sind die drei von Atari entwickelten Spezialbausteine "Alphanumeric Television Interface Controller (ANTIC), Graphic Television Interface Adapter (GTIA)" mit seinem Vorläufer "Color Television Interface Adapter (CTIA)" und "Potentiometer And Keyboard Integrated Circuit (POKEY)." Sie sind funktionell derart konzipiert, dass sie innerhalb ihres Aufgabenbereiches flexibel einsetzbar sind und gleichzeitig die CPU entlasten. Die beiden Grafikbausteine ANTIC und CTIA/GTIA erzeugen das am Fernseher oder Monitor angezeigte Bild. Dazu sind zuvor vom Betriebssystem oder den Benutzer im Arbeitsspeicher entsprechende Daten in der Form der „Display List“ zu hinterlegen. Der CTIA/GTIA erlaubt unter anderem das Integrieren von maximal acht unabhängigen aber jeweils einfarbigen Grafikobjekten, den Sprites. Diese im Atari-Jargon auch „Player“ und „Missiles“ genannten Objekte werden gemäß benutzerdefinierbaren Überlappungsregeln in das vom ANTIC erzeugte Hintergrundbild kopiert und einer Kollisionsprüfung unterzogen. Dabei wird festgestellt, ob sich die Sprites untereinander oder bestimmte Teile des Hintergrundbildes („Playfield“) berühren. Diese Fähigkeiten wurden – wie sich bereits anhand der Namensgebung „Playfield“, „Player“ und „Missiles“ abzeichnet – zur vereinfachten Erstellung von Spielen mit interagierenden Grafikobjekten und schnellem Spielgeschehen entwickelt. Die Fähigkeiten der beiden Spezialbausteine ANTIC und CTIA/GTIA zusammengenommen, verleihen den Darstellungsmöglichkeiten der Atari-Rechner eine von anderen damaligen Heimcomputern unerreichte Flexibilität. Im dritten Spezialbaustein POKEY sind weitere elektronische Komponenten zusammengefasst. Diese betreffen im Wesentlichen die Tonerzeugung für jeden der vier Tonkanäle, die Tastaturabfrage und den Betrieb der seriellen Schnittstelle "Serial Input Output (SIO)" zur Kommunikation des Rechners mit entsprechenden Peripheriegeräten. Durch die hochintegrierte Ausführung (LSI) vereinen die Spezialbausteine viele elektronische Komponenten in sich und senken dadurch die Anzahl der im Rechner benötigten Bauteile, was wiederum eine nicht unerhebliche Kosten- und Platzersparnis mit sich bringt. Nicht zuletzt weil ihre Konstruktionspläne nie veröffentlicht wurden, waren sie mit damaliger Technik nicht wirtschaftlich zu kopieren, womit der in der Heimcomputerbranche durchaus übliche illegale Nachbau von Computern für den Atari 800 ausgeschlossen werden konnte. Die Bildschirmnormen PAL, NTSC und SECAM werden durch unterschiedliche externe elektronische Beschaltungen der CPU, entsprechend modifizierte Spezialbausteine ANTIC (NTSC-Version mit Teilenummer C012296, PAL-Version mit C014887) und GTIA (NTSC-Version mit Teilenummer C014805, PAL-Version mit C014889, SECAM-Version mit C020120) sowie verschiedene darauf abgestimmte Versionen des Betriebssystems realisiert. Speicher und Speicheraufteilung. Der von der CPU und ANTIC ansprechbare Adressraum segmentiert sich beim Atari 800 in verschiedene Abschnitte unterschiedlicher Größe. Aus praktischen Gründen ist es üblich, für deren Adressen anstelle der dezimalen Notation die hexadezimale zu verwenden. Ihr wird zur besseren Unterscheidbarkeit üblicherweise ein $-Symbol vorangestellt. Den Adressen von 0 bis 65535 in dezimaler Notation entsprechen im hexadezimalen System die Adressen $0000 bis $FFFF. Der 32 KB große Bereich von $0000 bis $7FFF ist ausschließlich für Arbeitsspeicher vorgesehen und in der kleinsten Ausbaustufe des Atari 800 mit 16 KB RAM ausgestattet. Darüber hinaus sind Erweiterungen bis beispielsweise 48 KB möglich, wobei die belegten Speicheradressen dann bis $BFFF reichen. Nach dem Einfügen eines Steckmoduls wird der 8 KB große, inmitten des Arbeitsspeichersegments gelegene Bereich von $8000 bis $9FFF abgeschaltet und dort die im Steckmodul befindlichen ROMs eingeblendet. Damit stehen bei der Verwendung steckmodulbasierter Programme wie beispielsweise von Atari-BASIC etwa 8 KB Arbeitsspeicher weniger zur Verfügung. Die Adressen der Spezialbausteine und anderer Hardwarebestandteile befinden sich innerhalb eines von $D000 bis $D7FF reichenden Segmentes, unmittelbar gefolgt von den mathematischen Fließkommaroutinen ($D800 bis $DFFF) und dem Betriebssystem ($E000 bis $FFFF). Der Bereich von $C000 bis $CFFF ist für später durch Atari zu ergänzende Systemsoftware vorgesehen, kann aber auch durch Arbeitsspeicher oder alternative Betriebssystemkomponenten genutzt werden. Nach dem Einschalten des Rechners liest die CPU zunächst die Inhalte der ROM-Bausteine mit dem Betriebssystem aus, womit der Atari 800 nebst angeschlossenen Peripheriegeräten initialisiert wird. Sind keine Steckmodule mit ausführbaren Inhalten vorhanden, wird vom Betriebssystem das sogenannte "Memo Pad" gestartet. Es handelt sich dabei um ein rudimentäres Texteingabeprogramm ohne weitere Möglichkeiten wie etwa die des Speicherns. Schnittstellen für Ein- und Ausgabe. Als Verbindungen zur Außenwelt stehen vier Kontrollerbuchsen an der Vorderseite des Gehäuses, ein koaxialer HF-Antennenanschluss für den Fernseher, ein Schacht zur ausschließlichen Verwendung von ROM-Steckmodulen sowie eine Buchse der proprietären seriellen Schnittstelle ("Serial Input Output," kurz "SIO") zur Verfügung. Letztere dient dem Betrieb von entsprechend ausgestatteten „intelligenten“ Peripheriegeräten mit Identifikationsnummern. Dabei kommt ein von Atari speziell für diesen Zweck entwickeltes Übertragungsprotokoll und Steckersystem zum Einsatz. Drucker, Diskettenlaufwerke und andere Geräte mit zwei SIO-Buchsen können so mit nur einem einzigen Kabeltyp „verkettet“ angeschlossen werden. Dabei dient jeweils eine der beiden Buchsen zur Kommunikation des Geräts mit dem Computer "(serial bus input)" und die verbleibende zum Anschluss und Verwalten eines weiteren Geräts "(serial bus extender)." Die in vielen anderen zeitgenössischen Computersystemen verwendeten Standardschnittstellen RS-232C (seriell) und Centronics (parallel) werden durch die extra zu erwerbende Schnittstelleneinheit "Atari 850" zur Verfügung gestellt. Ein- und Ausgänge des Atari 800. Zum Identifizieren der einzelnen Bauteile diese mit dem Mauszeiger überfahren und für weitere Informationen ggf. anklicken. Peripheriegeräte. Der Atari 800 ist grundsätzlich mit allen von Atari auch später veröffentlichten Peripheriegeräten für die XL- und XE-Reihe betreibbar, die zum Anschluss nicht den bei XL- und XE-Computern herausgeführten Parallelbus benötigen. Im Folgenden wird ausschließlich auf die von Ende 1979 bis Ende 1983 erhältlichen eingegangen. Massenspeicher. In Zusammenhang mit vor allem westlichen Heimcomputern der 1980er Jahre kamen zur Datensicherung hauptsächlich Kassettenrekorder und Diskettenlaufwerke, im professionellen Umfeld bei den Personalcomputern zunehmend auch Fest- und Wechselplattenlaufwerke zum Einsatz. Die günstigste Variante der Datenaufzeichnung durch Kompaktkassetten hat im Allgemeinen den Nachteil niedriger Datenübertragungsraten und damit langer Ladezeiten, wohingegen die wesentlich schnelleren und verlässlicheren Disketten- und Plattenlaufwerke sehr viel teurer in der Anschaffung waren. Bei Veröffentlichung des Atari 800 standen ihm Kassetten- und wenig später auch Disketten- und Festplattensysteme als Massenspeicher zur Verfügung. Kassettensysteme. Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Heimcomputern wie beispielsweise dem TRS-80 oder dem Sinclair ZX81 kann der Atari 800 zum Speichern von Daten nicht mit handelsüblichen Kassettenrekordern betrieben werden. Vielmehr benötigt er ein auf seine serielle Schnittstelle abgestimmtes Gerät – den Atari-410-Programmrekorder. Die durchschnittliche Datenübertragungsrate beträgt dabei 600 Bit/s; auf einer 30-Minuten-Kassette finden 50 KB an Daten Platz. Daneben verfügt der Atari 410 noch über die Besonderheit eines Stereo-Tonkopfes, wodurch parallel zum Lesevorgang das Abspielen von Musik oder gesprochenen Benutzungsanweisungen möglich ist. Aus Gründen der Kosten- und Platzersparnis ist im Gerät kein Lautsprecher verbaut, die Audiosignale werden vielmehr über das SIO-Kabel via POKEY am Fernsehgerät ausgegeben. Auch ist keine SIO-Buchse im Atari-410-Programmrekorder verbaut, so dass er stets als letztes Glied in der Kette von Peripheriegeräten anzuschließen ist. Diskettensysteme. Zusammen mit dem Atari-410-Programmrekorder war kurz nach Markteinführung von Atari 400 und 800 auch ein auf Ataris SIO-Schnittstelle abgestimmtes Diskettenlaufwerk erhältlich, die Floppystation Atari 810. Mit dem Atari-810-Diskettenlaufwerk können 5¼″-Disketten einseitig in einfacher Schreibdichte mit 720 Sektoren à 128 Bytes beschrieben werden, womit sich pro Diskettenseite 90 KB Daten abspeichern lassen. Die mittlere Datenübertragungsrate beträgt etwa 6000 Bit/s, das Zehnfache dessen, was der Datenrekorder Atari 410 in derselben Zeit zu übertragen in der Lage ist. Während des gesamten Produktionszeitraumes wurden vom Hersteller an den Laufwerken mehrfach Änderungen vorgenommen. So existieren beispielsweise Ausführungen mit teilweise fehlerhafter Systemsoftware und solche mit verschiedenen Laufwerksmechaniken. Vorder- und Rückansicht des Diskettenlaufwerks Atari 810 in der „Garagentor“-Ausführung, d. h. mit einer Laufwerksmechanik des Herstellers Tandon. Zum Identifizieren der einzelnen Bauteile diese mit dem Mauszeiger überfahren und für weitere Informationen ggf. anklicken. Neben der Diskettenstation 810 war für kurze Zeit in Nordamerika ein weiteres Gerät in Form des wesentlich leistungsfähigeren Atari-815-Diskettenlaufwerks erhältlich. Es verfügt über zwei Laufwerksmechaniken, wobei jede zudem mit doppelter Schreibdichte operiert und so pro 5¼″-Diskettenseite 180 KB Daten gespeichert werden können. Aufgrund der damit verbundenen komplizierten Konstruktion war lediglich eine manuelle Herstellung möglich. Durch den daraus resultierenden hohen Preis von 1500 US-Dollar bei gleichzeitig großer Fehleranfälligkeit wurde das Gerät nach Auslieferung nur geringer Stückzahlen in Höhe von etwa 60 Exemplaren von Atari aus dem Sortiment genommen. Ab Mitte 1982 erschien eine Vielzahl von Atari-kompatiblen Diskettenlaufwerken diverser Dritthersteller. Dazu zählen unterschiedlich leistungsstarke Geräte von Percom, Laufwerke mit zusätzlicher Datenspuranzeige von Rana und auch Doppellaufwerke von Astra. Festplattensysteme. Etwa Mitte des Jahres 1982 stellte das US-amerikanische Unternehmen Corvus 5¼″-Festplattenmodelle mit Speicherkapazitäten von 5 bis 20 MB für den Atari 800 vor. Im Gegensatz zu Ataris Peripheriegeräten wie beispielsweise dem Diskettenlaufwerk 810 erfolgt der Anschluss nicht über die serielle Schnittstelle. Vielmehr werden zwei der vier Joystickbuchsen durch entsprechende Hard- und Software von Corvus für den Datenaustausch mit dem Festplattenlaufwerk zweckentfremdet. Durch die Verkettung von bis zu vier Corvus-Laufwerken kann eine maximale Speicherkapazität von 80 MB erreicht werden. Neben der deutlich erhöhten Speicherkapazität bieten die Festplatten im Vergleich zum Diskettenlaufwerk Atari 810 eine deutlich kürzere mittlere Zugriffszeit und eine wesentlich größere Verlässlichkeit, was ein effektiveres Arbeiten ermöglicht. Daneben erlaubt eine damals separat von Corvus vertriebene Erweiterung namens "Corvus Multiplexer local network" den gleichzeitigen Anschluss mehrerer Atari-800-Computer an ein und dieselbe Festplatte. Diese Netzwerkfähigkeit nutzten beispielsweise der computergestützte Unterricht in diversen Schulen und größere Mailboxen. Der Preis des günstigsten Corvus-Laufwerkes betrug zusammen mit der benötigten Ansteuerelektronik und Software bei Markteinführung 3195 US-Dollar. Aufgrund der damals eingesetzten vielfältigen Kopierschutzmechanismen funktionierten nur die wenigsten Programme ohne zusätzliche Modifikationen zusammen mit den Festplatten von Corvus. Das 1983 von einem weiteren Drittanbieter vorgestellte "Integrator board" behob diese Schwierigkeiten und erlaubt zudem das Benutzen der Festplattenlaufwerke, ohne zuvor deren Ansteuerungssoftware von einem Diskettenlaufwerk laden zu müssen. Ausgabegeräte. Die Bildausgabe am Atari 800 kann an einem Monitor oder via eingebautem HF-Modulator an einem handelsüblichen Farb- oder Schwarz-Weiß-Fernsehgerät erfolgen. Zur schriftlichen Fixierung von Text und Grafik dienen der Thermodrucker "Atari 822" und die nadelbasierten Modelle "Atari 820" und "Atari 825." Drucker von Fremdherstellern können nur mithilfe von Zusatzgeräten betrieben werden, da der Atari 800 nicht über entsprechende Standardschnittstellen verfügt. Abhilfe lässt sich durch die Zwischenschaltung eines Atari-850-Schnittstellenmoduls schaffen, womit RS-232- und Centronics-Drucker von Epson, Mannesmann und weiteren betrieben werden können. Daneben existieren von Fremdherstellern eine Fülle von Ausgabezusätzen: Angefangen bei der zur Sprachausgabe gedachten "The Voicebox" von The Alien Group über eine selbstzubauende 3D-Brille zum Betrachten von stereografischen Inhalten am Fernseher bis hin zum programmierbaren Robotergreifarm werden alle damals interessierenden Teilbereiche abgedeckt. Eingabegeräte. Die Schreibmaschinentastatur des Atari 800 enthält insgesamt 56 Einzeltasten, eine Leer- und vier Funktionstasten. Als Erweiterung zur Tastatur bot Atari einen externen Ziffernblock mit der Bezeichnung "CX85" zur vereinfachten Eingabe von Ziffern zum Gebrauch mit diversen Anwenderprogrammen wie beispielsweise Tabellenkalkulationen oder Buchhaltungsprogrammen an. Sämtliche weitere Eingabegeräte werden wie der Ziffernblock auch an eine oder mehrere der vier an der Vorderseite des Computergehäuses vorhandenen Kontrollerbuchsen angeschlossen. Dazu zählen Joysticks verschiedenster Hersteller, Paddle-Controller, spezielle Kleintastaturen, der Trackball-Controller von TG Products und Grafiktabletts von Kurta Corporation und Koala Technologies Corp. Erweiterungen. Der Atari 800 wurde von vornherein als erweiterbares System konzipiert. Dazu steht ein leicht zugänglicher Erweiterungsschacht mit insgesamt vier Steckplätzen zur Verfügung, wobei einer der Steckplätze durch die Karte mit dem Betriebssystem ständig belegt ist. Die restlichen drei erlauben die Aufnahme von Speicheraufrüstungen oder 80-Zeichen-Karten. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf die am häufigsten in zeitgenössischen Fachzeitschriften vorgestellten kommerziellen Produkte. Arbeitsspeicher. Mit dem anfänglich verbauten Arbeitsspeicher in Höhe von 8 KB war kaum mehr als Spielen möglich, denn bei der Benutzung von BASIC reicht der Speicherplatz nicht einmal für die Einbindung der höchstaufgelösten Grafikstufe. Wenn zum Laden und Abspeichern der erstellten BASIC-Programme ein Diskettenlaufwerk benutzt werden soll, wird mit den später ausgelieferten 16 KB RAM ebenfalls schnell die Kapazitätsgrenze erreicht. Ursächlich hierfür ist das speicherintensive Diskettenoperationssystem (DOS), das neben dem BASIC-Programm des Anwenders einen großen Teil des Arbeitsspeichers für sich beansprucht. Beim Atari 800 kann jedoch mithilfe der leicht zugänglichen Erweiterungsschächte und den von Atari bereitgestellten, mit maximal 16 KB RAM bestückten Karten problemlos auf komfortable 48 KB Arbeitsspeicher aufgerüstet werden. Der Nachteil des maximalen Speicherausbaus mit ausschließlich 16-KB-Steckkarten ist die damit verbundene vollständige Belegung des Erweiterungschachtes. Es stehen somit keine weiteren Steckplätze für beispielsweise 80-Zeichen-Karten zur Verfügung. Aus diesem Grunde brachten Anfang 1981 Dritthersteller wie Mosaic und Axlon erste 32-KB-RAM-Karten auf den Markt. Ende 1981 kamen Modelle hinzu, die mithilfe technischer Raffinessen (Speicherbankumschaltung) bis zu 128 KB Arbeitsspeicher bereitstellten. Diese RAM-Disk-Systeme emulieren ein oder mehrere Diskettenlaufwerke mit einer Datenübertragungsrate, die die des Atari-810-Diskettenlaufwerkes um das Zwanzigfache übersteigen können. 80-Zeichen-Karten. Für eine übersichtlichere und weniger ermüdende Anzeige der Bildinhalte dienen die für den Atari 800 produzierten 80-Zeichen-Karten. Aufgrund der hohen horizontalen Auflösung von 560 Bildpunkten sind diese nicht zum Betrieb mit einem Fernseher geeignet, sondern erfordern entsprechende Computermonitore. Die Ende 1982 von der Firma Bit3 veröffentlichte Karte "Full-View 80" wird im letzten der Erweiterungschächte platziert. Per Befehlsaufruf kann der 80-Zeichen-Modus aktiviert werden, wobei ANTIC und GTIA abgeschaltet werden und der auf der Steckkarte befindliche Grafikprozessor "Synertek 6545A-1" die Bilderzeugung übernimmt. Die entsprechende Software ist im Festwertspeicher der Steckkarte enthalten, im Gegensatz zu der später von Austin Franklin Associates herausgebrachten Erweiterung "Austin-80 Video Processor." Deren Ansteuerungssoftware ist auf einem für den rechten Schacht bestimmten Steckmodul untergebracht. Software. Wie bei anderen Heimcomputern der 1980er Jahre auch erfolgte der Vertrieb kommerzieller Software auf verschiedenen Datenträgern. Die insbesondere bei Spieleherstellern beliebten preiswerten Kompaktkassetten waren durch die starke mechanische Beanspruchung des Magnetbandes allerdings sehr anfällig für Fehler und ihr Einsatz war oft mit langen Ladezeiten verbunden. Zudem sind mit Datasetten bestimmte Betriebsarten wie die beispielsweise zum Betrieb von Datenbanken vorteilhafte relative Adressierung nicht möglich. Bei den in der Herstellung vielfach teureren Steckmodulen dagegen standen die darin enthaltenen Programme sofort nach dem Einschalten des Computers zur Verfügung, was insbesondere bei Systemsoftware und oft genutzten Anwendungen von großem Vorteil war. Den besten Kompromiss zwischen Ladezeit, möglichen Betriebsarten, Verlässlichkeit und Speicherkapazität erzielten die Disketten, deren Verwendung bei Veröffentlichung des Atari 800 durch das 810-Diskettenlaufwerk unterstützt wurde. Die Programmpalette für den Atari-800-Computer umfasste neben der von Atari und APX vertriebenen Auswahl kommerzieller Programme auch von Drittherstellern entwickelte und in Zeitschriften und Büchern publizierte Software (Listings) zum Abtippen. Die kommerziellen Programme wurden auf Steckmodul, Diskette und Kassette angeboten. Von der in Umlauf befindlichen Software machten illegale Kopien („Raubkopien“) stets einen großen Teil aus und stellten damit kleinere Softwareentwickler häufig vor existentielle wirtschaftliche Schwierigkeiten. Daraufhin wurden zunehmend Kopierschutzsysteme insbesondere bei Spielen als der meistverkauften Software eingesetzt. Systemprogramme. Die Initialisierung und Konfiguration der Atari-800-Hardware fällt in den Aufgabenbereich des im Festwertspeicher untergebrachten "Operating System (OS)," des Betriebssystems. Nachdem zahlreiche Fehler bekannt geworden waren, veröffentlichte Atari mit "OS-B" im Jahr 1982 eine fehlerbereinigte Version. Die Unterprogramme des 10 KB umfassenden Betriebssystems steuern verschiedene Systemprozesse, die auch vom Benutzer angestoßen werden können. Dazu gehören die Durchführung von Ein- und Ausgabeoperationen wie etwa die Tastatur- und Joystickabfrage, Fließkommaberechnungen, die Abarbeitung von Systemprogrammen nach Unterbrechungen (Interrupts) und die Bereitstellung eines Bildschirmtreibers zum Erzeugen der verschiedenen Grafikmodi. Die Startadressen der einzelnen Unterprogramme sind in einer Sprungtabelle zusammengefasst, um die Kompatibilität mit späteren Betriebssystem-Revisionen oder neuen Versionen zu wahren. Zur Abgrenzung vom Betriebssystem der später erschienenen XL- und XE-Modelle wird das OS des Atari 400 häufig auch als "Oldrunner" bezeichnet. Programmiersprachen und Anwendungsprogramme. Die Bearbeitung benutzerspezifischer Aufgabenstellungen erfordert häufig speziell darauf zugeschnittene Softwarelösungen, die Anwendungsprogramme. Existieren diese nicht oder können sie aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht eingesetzt werden, kommen geeignete Programmiersprachen zum Einsatz. Insbesondere in den ersten Jahren nach Markteinführung des Atari 800 mussten viele Programme durch den Benutzer in Eigenregie erstellt werden. Assemblersprache. Die Erstellung zeitkritischer Actionspiele und beispielsweise Anwendungen in der Regelungstechnik erforderten Anfang der 1980er Jahre eine optimale Nutzung der Hardware. Im Heimcomputerbereich war dies ausschließlich durch die Verwendung von Assemblersprache mit entsprechenden Übersetzerprogrammen, den Assemblern, möglich. Die Auslieferung von Assemblern erfolgte in vielen Fällen mit einem zugehörigen Editor zur Eingabe der Programmanweisungen („Sourcecode“), häufig auch als Programmpaket mit Debugger und Disassembler zur Fehleranalyse. Im professionellen Entwicklerumfeld kamen vielfach Cross-Assembler zum Einsatz. Damit war es möglich, ausführbare Programme für Heimcomputer auf leistungsfähigeren und komfortabler zu bedienenden Fremdcomputerplattformen zu erzeugen. Kurz nach Veröffentlichung der Atari-Computer war lediglich der auf Steckmodul ausgelieferte langsame "Assembler Editor" von Atari erhältlich. Er bot wenig Komfort und konnte daher nur für kleinere Projekte sinnvoll eingesetzt werden. Im Gegensatz zu anderen Assemblern erlaubte er jedoch das Abspeichern der erstellten Quelldateien und ausführbaren Programme auf Kassette, was insbesondere für viele Atari-800-Benutzer ohne Diskettenstation von Vorteil war und sie so über die Nachteile leicht hinwegsehen ließ. Die für professionelle Programmentwicklung benötigten Assembler standen erst später mit "Synassembler" (Synapse Software), "Atari Macro Assembler" (Atari), "Macro Assembler Editor" (Eastern Software House), "Edit 6502" (LJK Enterprises) und dem leistungsfähigen "MAC 65" (Optimized Systems Software) zur Verfügung. Programmiereinsteiger zogen in vielen Fällen die übersichtlichen und einfach zu bedienenden, dafür aber weniger leistungsfähigen Programmier-Hochsprachen vor. Interpreter-Hochsprachen. Dem von Atari veröffentlichten BASIC standen zwei weitere zur Seite: Das den damaligen Quasi-Standard bildende Microsoft BASIC und ein zum Atari BASIC abwärtskompatibles Produkt mit dem Namen "BASIC A+" von Optimized System Software. Insbesondere BASIC A+ enthält erweiterte Editiermöglichkeiten, Vereinfachungen in der Befehlsstruktur und es ergänzt viele im Atari- und Microsoft-BASIC nicht implementierte Leistungsmerkmale. Dazu zählt beispielsweise eine bequeme Benutzung der Sprites („Player-Missiles-Grafik“) durch eigens dafür bereitgestellte Befehlswörter. Im Gegensatz zum Atari 400 erlaubt der Atari 800 den gleichzeitigen Betrieb zweier, jeweils für die verschiedenen Schächte speziell ausgelegter Steckmodule. So kann beispielsweise mithilfe des Programms "The Monkey Wrench II" das Atari BASIC um verschiedene Befehle erweitert werden. Nachteilig auf die Einsetzbarkeit von BASIC-Programmen wirkten sich die in der Natur des Interpreters liegenden prinzipiellen Beschränkungen wie etwa die geringe Ausführungsgeschwindigkeit und der große Arbeitsspeicherbedarf aus. Diese Nachteile können durch spezielle Programme, BASIC-Compiler, abgemildert werden. Dabei werden ausführbare Maschinenprogramme erzeugt, die ohne BASIC-Interpreter lauffähig sind und damit häufig eine schnellere Ausführung erlauben. Für das Atari BASIC stehen mit "ABC BASIC Compiler" (Monarch Systems), "Datasoft BASIC Compiler" (Datasoft) und "BASM" (Computer Alliance) verschiedene Compiler zur Verfügung. Neben der Programmiersprache BASIC in ihren verschiedenen Dialekten war mit Verkaufsstart des Atari 800 die Interpretersprache "Logo" erhältlich. Unterstützt durch Elemente wie die "turtle graphics" (Schildkrötengrafik) ist damit eine kindgerechte und interaktive Einführung in die Grundlagen der Programmierung möglich. Ähnlich gelagert in ihren Eigenschaften ist die später in den Handel gebrachte Programmiersprache "Atari PILOT." Mit "QS-Forth" (Quality Software), "Extended fig-Forth" (APX) und "Data-Soft Lisp" (Datasoft) reihen sich weitere Programmiersprachen in die Produktpalette für den Atari 800 ein. Compiler-Hochsprachen. Als Mittelweg zwischen Interpreter-Hochsprache (langsam in der Ausführung, aber gut lesbare Sourcecodes und einfache Fehleranalyse) und Assemblersprache (schwer zu erlernen und umständlich zu handhaben, aber Anfang der 1980er Jahre alternativlos zur Erzeugung schneller und speichereffizienter Programme) etablierten sich auch im Heimcomputerbereich im Laufe der 1980er Jahre die Compiler-Hochsprachen. Die Ausführungsgeschwindigkeit der damit erzeugten Maschinenprogramme war im Vergleich zu interpretierten Programmen wie beim eingebauten BASIC sehr viel größer, reichte aber nicht ganz an die von Assemblern erzielte heran. Die Geschwindigkeitsnachteile gegenüber assemblierten Programmen wurden jedoch vielfach zugunsten eines leichter zu wartenden Quelltextes in Kauf genommen. Im Laufe der Produktlebenszeit bis Ende 1983 war für die Atari-800-Anwender als Compilersprache lediglich APX Pascal erhältlich. Anwendungssoftware. Die Programmpalette für die Atari-Computer umfasst neben den Programmiersprachen zum Erstellen eigener Applikationen eine im Vergleich zum zeitgenössischen Konkurrenten Apple II lediglich kleine Auswahl an vorgefertigter kommerzieller Anwendungssoftware. Zu den bekanntesten Anwendungsprogrammen zählen "VisiCalc" (Visicorp, Tabellenkalkulation), "The Home Accountant" (Continental Software, Buchführung), "Atari Writer" (Atari, Textverarbeitung), "Bank Street Writer" (Broderbund, Textverarbeitung) und "Letter Perfect" (LJK Enterprises, Textverarbeitung). Daneben wurde der Atari 800 auch für Online-Anwendungen eingesetzt, wozu vor allem Banking mit der Pronto-Software und der Betrieb von Mailboxen durch diverse auch selbstgeschriebene Programme zu zählen ist. Darüber hinaus ermöglichte vermutlich eigenentwickelte Anwendungssoftware einen Einsatz als offiziellen Computer der Tennisorganisation ATP, im Logistikbereich des Flugzeugträgers USS "Nimitz", zur Erzeugung von Bühnenbildern für die deutsche Musikgruppe Kraftwerk und als Simulationscomputer zur Ausbildung von Mitarbeitern eines kalifornischen Meeresforschungsinstituts. Lernprogramme. Es existiert eine Vielzahl an Programmen, die dem computergestützten Vermitteln von Lehrinhalten und seiner anschließenden interaktiven Abfrage dienen. Das zu vermittelnde Wissen wird in spielerischer Form mit ständig steigendem Schwierigkeitsgrad präsentiert, um den Lernenden anhaltend zu motivieren. Dabei wird großer Wert auf eine altersgerechte Darbietung gelegt, die von Kleinkindern bis hin zu Studenten reicht. Bei den Jüngsten kommen häufig animierte Geschichten mit comicartigen Charakteren als begleitende Tutoren zum Einsatz, bei Jugendlichen werden abzufragende Lehrinhalte in Abenteuerspiele oder actionsreiche Weltraumabenteuer gekleidet, bei den höherstufigen Lehrinhalten für Studenten und Erwachsene überwiegt hingegen meist lexikalisch präsentiertes Wissen mit anschließender Abfrage nebst Erfolgsbilanzierung. Die von der Software abgedeckten Lerngebiete erstrecken sich auf Lesen und Schreiben, Fremdsprachen, Mathematik, Technik, Musik, Geographie, Demografie, Tippschulen und Informatik. Zu den bekanntesten Herstellern zählen Atari, APX, Dorsett Educational Systems, Edufun, PDI und Spinnaker Software. Spiele. Den mit Abstand größten Teil der sowohl kommerziellen als auch frei erhältlichen Atari-Software stellen die Spiele dar. Zu den frühen Shoot-’em-up-Spielen wie etwa "Star Raiders" oder der Brettspieleumsetzung "3-D Tic-Tac-Toe" kamen bereits ein Jahr später weitere Actionspiele, Adventures und Arcade-Umsetzungen hinzu. Sowohl professionelle Hersteller als auch Hobbyprogrammierer profitierten dabei von der Veröffentlichung technischer Dokumentationen seitens Atari, den Programmieranleitungen in den Computermagazinen und -büchern sowie von den mittlerweile aufgekommenen leistungsfähigen Entwicklungswerkzeugen. Unter den publizierten Titeln befanden sich jedoch auch viele schlechte Portierungen von beispielsweise Apple-II-Spielen ohne den unverwechselbaren „Atari-Look“, nämlich eine Mischung verschiedener „farbenprächtiger“ und weichverschobener Grafiken, ergänzt um die typische POKEY-Musik nebst Geräuscheffekten. Unter den für die Atari-Computer veröffentlichten Spielen befinden sich viele, die bereits in den frühen 1980er-Jahren als Videospieleklassiker galten: "Star Raiders" (vermutlich 1979), "Asteroids" (1981) und "Pac-Man" (1982). Insbesondere das 3D-Spiel "Star Raiders" galt vielen Spieledesignern der damaligen Zeit als prägendes Erlebnis und Grund, sich für einen Atari-Computer und nicht etwa einen Apple II oder Commodore PET zu entscheiden. In der Folge entstandene Werke wie "Miner 2049er" (Bill Hogue, Big Five Software, 1982), "Eastern Front (1941)" (Chris Crawford, APX, 1982), "Capture the Flag" (Paul Edelstein, Sirius Software, 1983), "Archon" (John Freemann, Electronic Arts, 1983) und "M.U.L.E." (Daniel Bunten, Electronic Arts, 1983) zählen zu den herausragenden Titeln ihrer Zeit und ermöglichten Softwarehäusern wie beispielsweise MicroProse und Electronic Arts den raschen Aufstieg zu Branchenriesen. Zu den beliebtesten Spielen für die Atari-Computer gehören neben den Infocom-Abenteuern großteils Shoot-’em-up-Spiele wie "Crossfire" (Sierra On-Line, 1981) und "Blue Max" (Synapse Software, 1983), Rennspiele wie "Pole Position" (Atari, 1983), Kriegssimulationen wie "Combat Leader" (SSI, 1983), aber auch Grafik-Adventures wie "Excalibur" (APX, 1983) und "Murder on the Zinderneuf" (Electronic Arts, 1983). Zeitschriften. In den 1980er Jahren spielten neben den Fachbüchern die Computerzeitschriften für viele Heimcomputerbesitzer eine große Rolle. Die häufig monatlich erschienenen Ausgaben enthielten Testberichte zu Neuheiten, Programmieranleitungen und Software zum Abtippen. Sie dienten weiterhin als Werbe- und Informationsplattform sowie zur Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten. Speziell mit den Atari-Heimcomputern befassten sich die englischsprachigen Magazine "Antic, Analog Computing, Atari Connection" und "Atari Age;" gelegentliche Berichte und Programme für die Atari-Rechner veröffentlichten unter anderem auch die auflagenstarken "Byte Magazine, Compute!" und "Creative Computing." Während der Atari 800 in Deutschland verkauft wurde, waren Informationen und Programme unter anderem in den Zeitschriften "Chip, Happy Computer, P.M. Computermagazin, Computer Persönlich" und "Mein Home-Computer" zu finden. Emulation. Nach dem Ende der Heimcomputerära Anfang der 1990er Jahre und mit dem Aufkommen leistungsfähiger und erschwinglicher Rechentechnik Ende der 1990er Jahre wurden von engagierten Enthusiasten verstärkt Programme zum Emulieren von Heimcomputern und deren Peripheriegeräten entwickelt. Zum Spielen alter Klassiker verschiedenster Heimcomputersysteme reichte mithilfe der Emulatoren ein einzelnes modernes System mit Datenabbildern („Images“) der entsprechenden Heimcomputerprogramme. Das Aufkommen der Emulatoren setzte damit u. a. ein verstärktes Transferieren von sonst möglicherweise verloren gegangener Software auf moderne Speichermedien in Gang, womit ein wichtiger Beitrag zur Bewahrung digitaler Kultur geleistet wird. Als leistungsfähigste Emulatoren für Windows- und Linux-Systeme gelten "Atari++, Atari800Win Plus, Mess32" und "Altirra." Rezeption. Zeitgenössisch. Nordamerika. Das Erscheinen des Atari 400 und 800 wurde durchweg positiv aufgenommen. Die auflagenstarke Zeitschrift "Compute!" schrieb von einer neuen Generation von Computern: Von denselben Rezensenten wird zudem ausgeführt, dass die Einordnung der neuen Geräte am ehesten mit der eines Hybriden zwischen Videospiel und Computer zu umschreiben sei. Sie enthielten das Beste beider Welten, was sie damit zu einem Personalcomputer und Heimgerät gleichermaßen mache. Diese Eigenschaften prädestinierten den Atari 800 geradezu für Lern- und Unterhaltungszwecke. Da die beste Hardware ohne entsprechende Software zu ihrem Gebrauch jedoch nutzlos sei, habe Atari aus den Fehlern der Konkurrenz gelernt und dem Benutzer mit der Programmiersprache Atari BASIC einen ausgesprochen leichten Zugang zu den farbenprächtigen Grafik- und Toneigenschaften seiner Geräte zur Seite gestellt. Diese Vermarktung von aufeinander abgestimmter Hard- und Software – auch beim direkt auf die Atari-8-Bit-Computer zugeschnittenen äußerst populären Spiel "Star Raiders" – stelle ein Novum dar. Durch das modulare Konzept wären jedoch mehr Anschlusskabel als etwa beim kompakten Commodore PET vonnöten, was unter Umständen von Nachteil sein könne ebenso wie das nicht-validierende Abspeichern von Programmen auf Kassette. Ab Sommer 1980 wurden vor allem Lieferschwierigkeiten und das Ausbleiben von anwendungsorientierter Software bemängelt und den Rechnern von Adam Osborne keine große Zukunft vorausgesagt. Als sich die Atari-Computer entgegen den Voraussagen Osbornes dennoch etablieren konnten und sogar zum Marktführer aufgestiegen waren, wurden von der Fachpresse weiterhin Empfehlungen hauptsächlich für preisbewusste Haushalte ausgesprochen: Übereinstimmend mit der Fachpresse sahen auch Spieleautoren wie David Fox (Programmierer bei Lucasfilm-Games) und Scott Adams (Gründer von Adventure International) in den Ataris die grafisch und tontechnisch leistungsfähigsten Geräte des gesamten Heimcomputermarktes: Im Laufe der Zeit geriet Ataris Vermarktungskonzept aber auch in die Kritik, da die Fähigkeiten als Anwendungscomputer nicht klar genug herausgestellt und unterstützt würden. Obwohl die Atari-Computer seit ihrer Einführung einen guten Ruf auch als leistungsfähige Personal Computer genossen hätten, sei spätestens mit der Produktionseinstellung des leistungsfähigen Diskettenlaufwerks Atari 815 der Einsatzschwerpunkt der Geräte auf den Heimbereich mit besonderem Augenmerk auf den Unterhaltungs- und Bildungssektor verschoben worden. Dazu kämen Fehler bei der Wahl der Vertriebswege. Die Verlagerung des Verkaufs durch große Ladenketten hätte kleinere Fachgeschäfte mit entsprechender Kompetenz und Serviceleistungen bewogen, mangels Konkurrenzfähigkeit die Atari-Rechner aus dem Angebot zu nehmen. Damit wäre ein weiteres wichtiges Standbein zur Versorgung der Rechner mit leistungsfähiger Anwendungssoftware entfallen, so dass auch der Atari 800 letztlich nur noch als reine Spielekonsole wahrgenommen und gekauft wurde. Deutschsprachiger Raum. Kurz nach seinem Erscheinen in Deutschland wurde der Atari 800 vom damals auflagenstärksten Computermagazin "Chip" als Gerät für den fortgeschrittenen Anwender charakterisiert, „der neben seiner Hobbyanwendung auch den professionellen Bereich bei seiner Kaufentscheidung zugrundelegt.“ Positiv hervorgehoben wurden zudem die stabile Geräteausführung, die grafischen Möglichkeiten, die Farbausgabe, eine ausführliche Dokumentation, die bereits vorhandene große Programmbibliothek nebst verschiedenen Programmiersprachen wie "Atari PILOT" und "Atari Assembler." Retrospektiv. Bereits kurz nach der Ablösung durch die technisch kaum veränderten Nachfolgemodelle 600XL und 800XL wird dem Atari 800 eine exzellente Konstruktion bescheinigt, die einen neuen Standard auf dem Heimcomputermarkt gesetzt habe. Die phantastische Grafik spiegele sich vor allem in den guten Spielen wider, einer der Stärken des Atari 800. Einer der wenigen Kritikpunkte bildete nach Meinung von Michael S. Tomczyk und Dietmar Eirich der bei Einführung zu hohe Preis: Rückblickend verstand es Atari laut Bill Loguidice und Matt Barton erstmals, die Eigenschaften einer reinen Spielemaschine mit den Fähigkeiten damaliger Heimcomputer bei gleichzeitig leichter Bedienbarkeit zu kombinieren. Als einer der Hauptgründe für das Gelingen dieser anspruchsvollen Aufgabe gelten den beiden Autoren die in die Entwicklung einfließenden Erfahrungen der bereits am Bau der erfolgreichen VCS-2600-Spielekonsole beteiligten Atari-Ingenieure. Als Ergebnis waren erstmals in einem Heimcomputer elektronische Spezialbausteine zur Entlastung des Hauptprozessors zur Anwendung gekommen. Deren grafische Raffinessen in Form von beispielsweise der Player/Missile-Grafik seien wegweisend für spätere Geräte gewesen. Auch die Soundeigenschaften hätten durch Verwendung eines Spezialbausteins zur damals obersten Qualitätskategorie gehört und der Atari 400 habe den Apple II damit als besten Spiele-Computer abgelöst. Als entscheidenden Grund für die innerhalb kürzester Zeit ansteigende Popularität der Atari-Computer sehen die Autoren der Internetplattform Gamasutra die Veröffentlichung des Spiels "Star Raiders:" Für den permanenten Mangel an leistungsfähiger Anwendungssoftware macht Tomczyk Ataris ursprüngliche und umstrittene Praktiken bezüglich der Veröffentlichung technischer Dokumentationen verantwortlich: Eine spätere Änderung der restriktiven Informationspolitik hätte den bereits entstandenen Rückstand nicht mehr aufholen helfen können. So seien mit fortschreitender Zeit hauptsächlich Spiele für die Atari-Heimcomputer erschienen, womit diese nun mehr und mehr als reine Spielemaschinen wahrgenommen wurden: Durch die damit von Atari selbstgeschaffene Konkurrenz zur hauseigenen Spielekonsole VCS 2600 und hauptsächlich infolge aufkommender Konkurrenz durch Texas Instruments und Commodore mit ihren umfangreichen Programmbibliotheken im Anwendungsbereich hätten die Verkaufserfolge nicht weitergeführt werden können. Entscheidende Marktanteile wären damit ab 1983 wieder dem Apple II und vor allem dem neu erschienenen Commodore 64 zugefallen.
Die USS "Cisco" (SS-290) war ein U-Boot der US Navy. Es gehörte zur Balao-Klasse und wurde wie alle anderen Boote der Klasse nach einem Fisch benannt. Der Name "Cisco" ist die englischsprachige Bezeichnung für verschiedene Fischarten der Gattung "Coregonus". Technik und Bewaffnung. Die "Cisco" war ein diesel-elektrisches Patrouillen-U-Boot der Balao-Klasse. Die Balao-Klasse wurde gegenüber der Gato-Klasse nur geringfügig verbessert und war wie jene für lange offensive Patrouillenfahrten im Pazifik ausgelegt. Insbesondere die Tauchtiefe wurde, basierend auf den Erfahrungen während des Krieges gegen Japan, vergrößert und der Innenraum verbessert. Äußerlich und in ihren Dimensionen glichen sich die Boote beider Klassen weitgehend. Technik. Die "Cisco" war 95 Meter lang und 8,3 Meter breit, der Tiefgang betrug maximal 5,1 Meter. Aufgetaucht verdrängte sie 1526 ts, getaucht 2424 ts. Der Antrieb erfolgte durch vier 16-Zylinder-Dieselmotoren von General Motors, Modell 16-278A, die je 1000 kW Leistung hatten. Unter Wasser wurde das U-Boot durch vier Elektromotoren mit insgesamt 2740 PS angetrieben, die ihre Energie aus zwei 126-zelligen Akkumulatoren bezogen. Die Motoren gaben ihre Leistung über ein Getriebe an zwei Wellen mit je einer Schraube ab. Die Geschwindigkeit betrug aufgetaucht maximal 20,25 Knoten, getaucht schaffte die "Cisco" noch 8,75 Knoten. Die mögliche Tauchzeit betrug 48 Stunden, die maximale Konstruktionstauchtiefe lag bei 120 Metern. In den Treibstofftanks konnten 440 Kubikmeter Dieselkraftstoff gebunkert werden, damit hatte das Boot einen Fahrbereich von 11.000 Seemeilen bei 10 Knoten. Bewaffnung. Die Hauptbewaffnung bestand aus zehn 533-mm-Torpedorohren, sechs im Bug, vier achtern, für die sich 24 Torpedos an Bord befanden. Hinter dem Turm (engl.: "conning Tower") war ein 4-Zoll-Deckgeschütz mit 50 Kalibern Länge auf offener Lafette montiert. Auf dem Wintergarten waren zwei 12,7-mm-Maschinengewehre und eine 40-mm-FlaK untergebracht. Zur Ortung feindlicher Schiffe verfügte die USS "Cisco" über ein "JK/QC"- und ein "QB"-Sonar unter dem Bug, an Deck waren "JP"-Hydrophone installiert. Am ausfahrbaren Elektronikmast war ein "SD"-Radar mit 20 Seemeilen Aufklärungsreichweite zur Ortung feindlicher Flugzeuge angebracht, zusätzlich verfügte das U-Boot über ein "SJ"-Oberflächensuchradar mit etwa zwölf Seemeilen Reichweite. Im getauchten Zustand konnte über das am Periskop angebrachte "ST"-Radar mit acht Seemeilen Reichweite ebenfalls eine Ortung feindlicher Schiffe erfolgen. Geschichte. Das U-Boot wurde am 29. Oktober 1942 bei der Portsmouth Navy Yard in Kittery, Maine auf Kiel gelegt. Der Stapellauf fand am 24. Dezember 1942 statt. Die Taufe der "SS-290" auf den Namen USS "Cisco" nahm Mrs. N. Robertson vor. Am 10. Mai 1943 stellte die US Navy die "Cisco" in Dienst. Kommandant war "Commander" James W. Coe. Nach Trainingsfahrten im Nordatlantik vor der Küste Neuenglands passierte die Cisco im Sommer 1943 den Panamakanal in Richtung Pazifik und durchquerte den Südpazifik, um am 1. September den Hafen von Brisbane, Australien zu erreichen. Bis zum 18. September erfüllte das Boot Wachaufgaben in küstennahen Gewässern vor Australien. Am 20. September 1943 verließ die USS "Cisco" den Hafen von Darwin. Von ihrem Einsatz kehrte sie nicht mehr zurück. Es ist wahrscheinlich, dass die Cisco am 28. September 1943 westlich der philippinischen Insel Mindanao durch den Angriff japanischer Flugzeuge vom Typ Nakajima B5N "Kate" und der "Karatsu", einem von Japanern bei der Eroberung der Philippinen erbeutetes, ehemals US-amerikanisches Kanonenboot versenkt wurde. Entsprechende Hinweise aus japanischen Quellen bestätigen diesen Angriff. Es wird vom Angriff auf ein U-Boot gesprochen, welches bereits eine Ölspur hinter sich her zog. Eine vorhergehende Beschädigung der Cisco ist daher auch wahrscheinlich. Von der 77 Mann starken Besatzung überlebte nur ein Mann, weil er vor Fahrtantritt erkrankte und daher nicht zur letzten Fahrt mit der Cisco in See stach. 76 Seemänner gingen mit dem Boot unter.
Enkenstein ist ein Ortsteil von Schopfheim und liegt 381 Meter über dem Meeresspiegel im südlichen Schwarzwald. Es befindet sich im Landkreis Lörrach im Dreiländereck nördlich der Kernstadt Schopfheim und ist der zweitkleinste Gemeindeteil. Geographie. Die Tallandschaft im Kleinen Wiesental ist offenes Land, das vorwiegend als Wiese und Weide genutzt wird. Die Talhänge und das Bergland sind dagegen Waldland, das mit Misch- und Hochwald bestockt ist. Geographische Lage. Der Ort Enkenstein liegt auf 381 Meter ü. NN im südlichen Schwarzwald, die Gemarkung umfasst 3,66 km². Enkenstein liegt im Landkreis Lörrach am Dreiländereck in der Nähe der Grenze zur Schweiz und zu Frankreich bei Basel bzw. Hüningen. Nachbarorte. Im Süden des Dorfes liegt die Kernstadt Schopfheim und in nördlicher Richtung Tegernau. Im Osten von einem Berg abgetrennt liegt die Gemeinde Hausen, die über den Passübergang Maienberg erreicht werden kann. Außerdem grenzen die Gemarkungen von Langenau, Wieslet, und Gresgen an. Geschichte. Die erste Erwähnung des Ortsnamens fällt aufs 14. Jahrhundert. 1392 erfolgte dann die erste urkundliche Erwähnung des Ortes Enkenstein unter den Besitzungen des Klosters St. Blasien. Die 1246 begründete Deutschordenskommende in Beuggen erwarb von Verena von Baden, der Schwester des Komturs Marquart von Baden, Einkünfte und Güter im Kleinen Wiesental, darunter auch diejenigen von Enkenstein. Wegen der Entlegenheit von Beuggen tauschte die Kommende die Erwerbungen im Jahre 1400 mit Markgraf Rudolf III. von Hachberg-Sausenberg gegen den halben Teil des Kirchensatzes und den Widdumhof in Nollingen ein. Dabei erschien Enkenstein als "An dem Engen Steyn". Von hier an kamen die Einkünfte aus dem Dorf als Lehen an die Freiherren von Roggenbach. Im Jahre 1696 entschied das Oberamt Rötteln, dass den Roggenbachern alle Abgaben aus steuerbaren Gütern und landwirtschaftlichen Produkten zustand. Nach dem badischen Gesetz über die Zehntablösung wurden die in Enkenstein fälligen Abgaben auf 1729 Gulden veranschlagt, die ab 1830 von der Gemeinde eingezogen wurden. Die Kriegsjahre 1813 und 1814 brachten eine große Belastung für die Bürger mit sich, als es darum ging, die von der Fremdherrschaft Napoleons entstandenen Schäden gering zu halten. Es mussten Lebensmittel abgeliefert und Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden. 1830 wurde Enkenstein zur selbstständigen Gemeinde erhoben und von der Vogtei Langenau getrennt. Zuvor schon stand ihm schon eine weitgehende Selbstständigkeit zu, so mussten sogar Personen, die aus Langenau zuzogen, einen bestimmten Betrag entrichten. Kurz danach wurde in den Jahren 1839 und 1840 ein Rathaus mit einer Wachstube, einem Bürgergefängnis und einem Abstellraum für die Feuerwehr gebaut. 1844 lebten insgesamt 145 Menschen im Dorf mit 24 Häusern in 27 Familien, 4 Jahre später waren es bereits 160 Einwohner. Im Ersten Weltkrieg mussten fünf Bürger ihr Leben lassen; der Zweite Weltkrieg forderte insgesamt sieben Tote. Das Kriegerdenkmal auf dem Wiesleter Friedhof erinnert an die Verstorbenen. Im Zuge der Gemeindereform wurde die bisherige Gemeinde Enkenstein am 1. Juni 1974 in die Stadt Schopfheim als Stadtteil Enkenstein eingegliedert. Den ersten Ortsvorsteher erhielt Enkenstein im Jahre 1984. Die 600-Jahr-Feier am 5. und 6. September 1992 war ein großes Dorf- und Brauchtumsfest, das das ganze Dorf bewegte. Viele Enkensteiner Bürger hatten sich bereit erklärt, Altertümliches aus Landwirtschaft und Handwerk auszustellen. Unzählige Besucher aus nah und fern verfolgten diese Aufführungen. Auch das Hochwasser im Februar 1999 ging in die Geschichte des Ortes Enkenstein ein. Der Gresgerbach überflutete Enkenstein und brachte Massen von Geröll und Schlamm mit sich. Das ganze Dorf war nicht mehr passierbar. Die Freiwillige Feuerwehr und viele weitere freiwillige Helfer leisteten Schwerstarbeit, und erst nach einigen Tagen war das Dorf wieder aufgeräumt. 2001 begannen die Bauarbeiten des Maibergsaal mit angrenzendem Feuerwehrhaus. Religionen. Enkenstein gehört der evangelischen Pfarrei Wieslet an, während die Katholiken von der Kirchengemeinde Hausen im Wiesental betreut werden. Politik. Ortsvorsteher(in) / Ortschaftsrat. Zum ersten Ortsvorsteher wurde im Jahre 1984 vom damaligen Ortschaftsrat Dieter Meißner gewählt, der dieses Amt bis zum Jahre 1999 ausführte. Danach war Rainer Strittmatter Ortsvorsteher. 2010 stellte Strittmatter sein Amt zur Verfügung. Zum Nachfolger gewählt wurde Klaus Brutschin. Seit 2014 ist Eva Brutschin Ortsvorsteherin. Neben der Ortsvorsteherin gehören dem Ortschaftsrat 4 Mitglieder an. Wappen. Das ehemalige Enkensteiner Gemeindewappen wurde auf Vorschlag des Generallandesarchives Karlsruhe von der Gemeinde im Jahr 1903 angenommen. „In Silber auf dem grünen Tafelberg eine rote Burgruine zwischen je einer auf dem rechten und linken Hang wachsenden grünen Tanne, auf dem Vorderhang drei (2:1) silberne Tannen.“ Die Burg erinnert an die Rotenburg bei Wieslet, welche durch das große Erdbeben im Jahr 1356 zerstört wurde. Auf dem Dorfsiegel, das von 1830 bis 1903 bestand, sah man einen gespaltenen Schild, der zwischen einem Rankenwerk stand und mit einer großherzoglichen Krone bedeckt war. Die linke Seite enthält den badischen Schrägbalken, auf der rechten Seite sieht man zwei Rauten, die übereinander angeordnet sind. Solche hatte man auf Mauerresten der Burg Enkenstein entdeckt und sah darin einen Teil des Wappens der einstigen Besitzer. Kultur und Sehenswürdigkeiten. Bauwerke. Das im Dorfzentrum gelegene Rathaus mit seinem Glockenturm ist ein Blickfang, wenn man durch das Dorf fährt. Mit der grünen Außenanlage ist es ein Wahrzeichen des Dorfes. Früher diente es neben der Gemeindeverwaltung vor allem der Feuerwehr, der Anbau diente damals als örtliches Gefängnis. Heute wird es im zweiten Stock ausschließlich von der Ortsverwaltung genutzt, im ersten Stock befinden sich die sanitären Anlagen sowie ein Aufenthaltsraum. Der "Maibergsaal" Enkenstein wurde im Zeitraum vom August 2001 bis August 2002 gebaut und am 13. September 2002 feierlich eingeweiht. Die Enkensteiner Bürger hatten bis zu diesem Zeitpunkt keinen eigenen Veranstaltungsraum. Regelmäßige Veranstaltungen. Einmal im Jahr findet das im alemannischen Sprachraum weit verbreitete Scheibenfeuer statt. Sonstiges. Bürgle (Enkenstein) war ein vermutlicher Vorposten und Bestandteil einer Verteidigungslinie. Heimatlied. Der Mundartdichter Gerhard Jung hat das "Enkensteiner Lied" auf Alemannisch geschrieben, wie fast all seine Werke. <poem> Un wenn i amig ufegang uf d Roteburg im Wald, denk i an Zit, wo lang, scho lang vergesse, Not un Gwalt. Do freu mi, aß es anderst isch, aß Fride herrscht am deckte Tisch un nüt vo Chrieg und Händel im liebe Enkestei. Un isch e Dörfli no so chlei, als Heimet isch s groß gnueg. Mii Enkestei am Stürmerai, sell isch mer alles, lueg! Weisch, d Gärte blüehie niene so un niene singe d Lüt so froh, wie zwische Burst und Ständel im liebe Enkestei. </poem>
Die Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken (HBKsaar) ist die einzige Kunsthochschule des Saarlandes. Sie wurde 1989 gegründet und ging aus der 1924 gegründeten "Staatlichen Schule für Kunst und Kunstgewerbe" und der ab 1946 bestehenden "Schule für Kunst und Handwerk" hervor. 1971 bis 1989 war sie mit der heutigen Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes zur "Fachhochschule des Saarlandes" zusammengeschlossen. Das Bildungskonzept ist projektorientiert und interdisziplinär angelegt. Der Unterricht findet weitgehend als Atelier- und Projektarbeit mit integrierten Fach- und Theorieangeboten statt. Die auf Flexibilität setzende Bildungsstruktur sieht daher eine hohe Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Studiengängen und eigenständiges Arbeiten vor. Studiengänge. An der Hochschule werden folgende Studiengänge angeboten: Neben den Masterstudiengängen Freie Kunst, Kommunikationsdesign, Produktdesign und Media Art & Design werden an der Hochschule der Bildenden Künste Saar fünf weitere, spezialisierte Masterstudiengänge angeboten. Diese spezialisierten Masterstudiengänge – Kuratieren, Museumspädagogik, Netzkultur/Designtheorie, Public Art/Public Design – sind eng vernetzt mit dem regulären Lehrangebot der Hochschule und akzentuieren in ihrer Schwerpunktsetzung besondere berufsqualifizierende Aspekte. Abschlüsse und Regelstudienzeit. Als ersten berufsqualifizierenden Abschluss verleiht die HBKsaar in einem Bachelorstudiengang den Grad Bachelor of Arts, in einem Diplomstudiengang den Grad Diplom. Nachfolgend kann in einem Masterstudiengang der Grad Master of Arts erlangt werden. Die Studiengänge Kunsterziehung schließen mit der Ersten Staatsprüfung ab. Die Regelstudienzeit in einem Bachelorstudiengang beträgt acht Semester, in einem Diplomstudiengang zehn Semester und umfasst das Grundstudium (vier Semester) und das Hauptstudium. Die Regelstudienzeit für das Studium Kunsterziehung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen sowie für berufliche Schulen beträgt zehn Semester, für das Lehramt an Real- und Gesamtschulen und Haupt- und Gesamtschulen acht Semester. Standorte. Das Hauptgebäude der Kunsthochschule, ein historischer Barockbau, in dem ursprünglich ein Waisenhaus und später Klassenräume für das benachbarte Ludwigsgymnasium untergebracht waren, befindet sich zusammen mit dahinter liegenden Pavillonbauten hinter der Ludwigskirche im Zentrum Saarbrückens. Hier sind neben Rektorat und Verwaltung die Bibliothek und Mediathek, das Archiv, Atelier- und Seminarräume, mechanische Werkstätten, ein Fotolabor sowie eine Cafeteria untergebracht. Am nahen „Tummelplatz“ steht der Hochschule ein Druckzentrum zur Verfügung. Das sogenannte E-Haus, ein weiteres benachbartes ehemaliges Schulgebäude, beherbergt Atelierräume sowie die Foto-, Ton- und Videostudios der Hochschule. Zusätzliche Flächen nutzt die HBKsaar in Völklingen auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlhüttenwerkes, der Völklinger Hütte, das seit 1994 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Hier sind seit 1989 die Ateliers für Plastik und Bildhauerei mit verschiedenen Werkstätten untergebracht. Seit der vollständigen Sanierung der Räumlichkeiten Ende 2003 stehen dort weitere Ateliers, Werk- und Projekträume für Gastdozenten sowie für Seminare, Workshops und Ausstellungen der Hochschule zur Verfügung. Der Standort Völklingen wird zudem als Entwicklungszentrum für interdisziplinäre Projekte ausgebaut und ist Standort des S_A_R Projektbüros. Der Hochschule angegliedert ist das Institut für aktuelle Kunst im Saarland am Standort Saarlouis.
Happy Valley Set ("Happy-Valley-Gruppe") war der Spitzname für eine Gruppe hedonistischer, größtenteils britischer und anglo-irischer Aristokraten und Abenteurer, die sich im Wesentlichen von 1924 bis 1941 in der „Happy Valley“-Region im kolonialen Kenia und Uganda niederließen. Die Gruppe war berüchtigt für ihren dekadenten Lebensstil mit Drogenkonsum und sexueller Freizügigkeit. Geografische Lage. Geoffrey Buxton, der erste koloniale Farmer in der Gegend, war aus dem trockenen Rift Valley in das höhergelegene Gebiet nahe den Aberdare-Bergen gezogen. Sein neues Wohngebiet im Wanjohi Valley nordöstlich von Gilgil nannte er „Happy Valley“. In der Umgebung dieses Tals lebten die meisten Mitglieder des Happy Valley Sets. Das Gebiet um Naivasha war eines der ersten Gebiete in Kenia, das von Weißen besiedelt wurde, und eines der Hauptjagdgebiete des Happy Valley Sets. Die Stadt Nyeri, östlich der Aberdare-Berge, war das Zentrum der Siedler im Happy Valley. In der Umgebung befinden sich auch die Nyahururu Falls. Mitglieder und Aktivitäten. Das Happy Valley Set war eine lose Gruppierung weißer Farmer und Abenteurer. Sie pflegten sich zu Partys zu treffen, bei denen exzessiv Alkohol und Drogen konsumiert wurden. Die Mitglieder des Sets wechselten häufig die Partner, nicht immer mit dem Einverständnis aller Betroffenen. Unter den Mitgliedern des Happy Valley Sets waren notorische Schürzenjäger, wie etwa Josslyn Hay, 22. Earl of Erroll, der in England einen Skandal durch seine Affäre mit der verheirateten Lady Idina Sackville verursacht hatte. Die beiden entzogen sich dem Trubel durch ihren Umzug nach Kenia im Jahr 1924; sie veranstalteten wilde Partys mit Partnertausch und Drogenkonsum und dürften somit den dekadenten Lebensstil des Happy Valley Sets geprägt haben. Hay war ein glühender Anhänger Hitlers und wollte den Faschismus in Afrika etablieren. Nach einer Affäre mit Diana, der Ehefrau von Sir Henry John Delves Broughton, 11. Baronet, wurde Hay 1941 in der Nähe von Nairobi erschossen aufgefunden. Delves Broughton wurde des Mordes angeklagt, kam aber frei. Wenig später beging er Selbstmord. Neben Lady Idina Sackville gab es weitere Frauen in der Gruppe, die für Skandale sorgten. Countess Alice de Janzé, die mit ihrem Ehemann Count Frédéric de Janzé ab 1925 Hay und Sackville in Kenia besuchte und dort Affären mit Josslyn Hay und Raymond Vincent de Trafford hatte, schoss 1927 in einem Pariser Bahnhof zunächst auf de Trafford, dann auf sich selbst; beide überlebten. 1941 beging Alice de Janzé in Kenia Selbstmord. Die US-amerikanische Erbin Kiki Preston kam mit ihrem Ehemann Gerry Preston 1926 nach Kenia. Sie wurde bekannt als „das Mädchen mit der silbernen Spritze“; sie war Heroin-, Kokain- und Morphium-süchtig. Auch sie liebte ausufernde Partys und hatte zahlreiche Liebhaber. Kiki Preston beging 1946 in New York Selbstmord. Zu den weiteren Mitgliedern des Happy Valley Sets wird auch Hugh Cholmondeley, 3. Baron Delamere ("Lord Delamere"), gezählt, der als verschroben und extravagant beschrieben wird. Nach der Jahrtausendwende tauchte das Happy Valley Set wieder in den Nachrichten auf, nachdem Tom Cholmondeley, Urenkel von Lord Delamere, in Kenia 2005 und 2006 zwei Männer erschossen hatte. Weitere Mitglieder waren – in verschiedenem Ausmaß – unter anderem Lady June Carberry, die Flugpionierin Beryl Markham und Francis Greswolde-Williams als Drogenbeschaffer. Tania Blixen ("Jenseits von Afrika"), deren Farm weiter südlich lag, war mit Mitgliedern der Happy-Valley-Gruppe befreundet. Literarische und filmische Bearbeitung. 1982 erschien das Buch "White Mischief" des britischen Journalisten James Fox. In dem Buch geht Fox den Ereignissen um die Ermordung Josslyn Hays nach. 1987 wurde das Buch unter dem Titel "White Mischief" ("Die letzten Tage in Kenya") von Michael Radford verfilmt, unter anderem mit Greta Scacchi, Geraldine Chaplin, John Hurt und Hugh Grant. Das gleiche Thema griff die Fernsehproduktion "The Happy Valley" von 1987 auf, die einige Monate vor dem Kinofilm lief. 2008 veröffentlichte die Britin Frances Osborne mit "The Bolter" die Biografie ihrer Urgroßmutter Lady Idina Sackville, einer der Frauen im Happy Valley Set. Eine ihrer fünf Ehen hatte sie mit Josslyn Hay, mit dem sie eine Tochter hatte. 1999 veröffentlichte Juanita Carberry mit Nicola Tyrer ihre Memoiren "Child of the Happy Valley: A Memoir", in denen sie ihre Kindheit und ihre Erinnerung an den Mordfall Josslyn Hay beschreibt. Lucinda Riley verwendete Mitglieder des Happy Valley Sets als Vorbilder für ihre Figuren in "Die Sonnenschwester" (2019).
Digitale Kunstgeschichte ist ein Forschungsgebiet, das sich mit der Entwicklung, Anwendung und Theorie digitaler Methoden und Verfahren in Bezug auf kunsthistorische Fragen und Aufgabenstellungen befasst. Mit dieser Ausrichtung wird das Forschungsgebiet meistens als Teil der geisteswissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte aufgefasst; enge inhaltliche wie personelle Beziehungen bestehen darüber hinaus zu dem jungen, interdisziplinären Fach der digitalen Geisteswissenschaften (engl. Digital Humanities). Verwandt, aber nicht deckungsgleich sind die Begriffe kunsthistorische Fachinformatik, Kulturinformatik sowie Digitale Kunst und Medienkunst. Geschichte/Entwicklung. In der Kunstgeschichte entstanden die ersten Aktivitäten auf dem Gebiet der „Digitalen Geisteswissenschaften“ im Rahmen von Forschungsprojekten, wie dem "Census of Antique Works of Art and Architecture Known To The Renaissance" oder Marilyn Aronberg-Lavins "The Place of Narrative: Mural Painting in Italian Churches", heute bekannt als "The Piero Project/ECIT – Electronic Compendium of Images and Text". In den 1990er Jahren begannen Archive und Bibliotheken, ihre vorhandenen Bestände in digitalen Datenbanken zu erfassen und Bildmaterial zu digitalisieren. In der deutschen Kunstgeschichte war hier federführend das Bildarchiv Foto Marburg ("Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte"), das ab den 1990er Jahren die ältere Verfilmung der umfangreichen Bildbestände führender deutscher Archive, Bibliotheken und Museen auf Mikrofiches, den sogenannten "Marburger Index", in digitaler Form aufbereitete und Ende der 1990er Jahre auch online zugänglich machte. Diese digitale Sammlung kunsthistorisch relevanten Bildmaterials wurde nach der Jahrtausendwende zum allgemein zugänglichen "Nationalen Bildarchiv der Kunst und Architektur" ausgebaut. Dieses eher zentralistisch organisierte Kooperationsmodell wurde 2001 ergänzt durch "prometheus – Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung & Lehre", mit dem auch die universitären Aktivitäten im Bereich der digitalen Kunstgeschichte Gestalt annahmen. Prometheus wurde im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung aufgelegten Förderprogramms'Neue Medien in der Lehre' realisiert, das gleichzeitig die ersten intensiven Bemühungen zur Förderung von E-Learning in der Kunstgeschichte (Kooperationsprojekt unter dem Titel "Schule des Sehens") ermöglichte. Vom Münchener Institut für Kunstgeschichte, wurde ebenfalls 2001 in enger Kooperation mit Historikern die digitale Rezensionszeitschrift Kunstform gegründet. In Kooperation mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte entstand zudem Arthistoricum.net, heute ein wichtiges kunsthistorisches Internetportal mit eigenem Blog. 2012 wurde in Nymphenburg bei München der Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte gegründet, der seitdem die Aktivitäten im deutschsprachigen Raum bündelt und besonders von Akteuren aus dem universitären Bereich mitgestaltet wird. Etwa zweimal im Jahr finden Arbeitstreffen an verschiedenen Orten statt. Der Arbeitskreis betreibt außerdem ein Wiki, auf dem aktuelle Informationen und Hinweise auf einschlägige Projekte und Publikationen zusammengetragen werden. Zentrale Arbeitsfelder. Digitalisierung von Abbildungen, Quellendokumenten und Kunstliteratur. Der Bereich der digitalen Bereitstellung von ursprünglich analog vorhandenen Abbildungen, Quellendokumenten und Literatur unterscheidet sich zunächst technologisch und methodisch nicht von entsprechenden digitalen Editionsprojekten in den Literaturwissenschaften und sonstigen historischen Wissenschaften; er war aber ein früher Motor für die Anwendung digitaler Instrumente in der Kunstgeschichte (elektronische Auswertung der Viten Vasaris und anderer kunsthistorischer Dokumente durch Paola Barocchi seit den 1980er Jahren). Dieses Aufgabenfeld wird heute überwiegend durch Bibliotheken übernommen. Im deutschsprachigen Bereich ist die UB Heidelberg mit Angeboten zu Kunstliteratur zu Architektur und Gartenkunst besonders aktiv. Durch die Erweiterung der technischen Möglichkeiten lassen sich inzwischen Bilddaten und Verknüpfungen zu anderen Dokumentationsformen einbeziehen. Im Bereich der kunsthistorischen Diatheken und anderer Bilddatenbanken bietet das Bildarchiv Prometheus die (teilweise kostenpflichtige) Möglichkeit des zentralen Zugriffs auf die Datenbestände seiner zahlreichen Mitglieder. Ein frühes Experiment bildbasierter Erschließung eines kunstgeschichtlichen Gegenstandes war 1992 die Aufbereitung der Ebstorfer Weltkarte an der Universität Lüneburg. Daraus entstand die Arbeit an den komplexen Ensembles Anna Oppermanns und schließlich die HyperImage-Technik und der Dienst Meta-Image in „prometheus“. Wissenschaftliches Dokumentieren von Objekten und Sachverhalten. Das Erfassen von Information über kunsthistorische Gegenstände ist eine für die weitere Analyse und Interpretation grundlegende Aufgabe. Die digitale Dokumentation wurde bislang überwiegend von einzelnen Institutionen (Museen, Bildarchive, Denkmalämter, Forschungsinstitute) durchgeführt. Durch interaktive Systeme werden diese Institution inzwischen stärker untereinander verbunden und die Forscher und das Publikum stärker einbezogen. Der theoretische Aspekt des Gebietes liegt im Konzipieren von Datenmodellen und Erfassungsstandards. Mittlerweile existiert eine hohe Zahl von einzelnen, im Internet zugänglichen Katalogen, die jedoch zumeist nach unterschiedlichen Standards funktionieren. Die Verbreitung des MIDAS-Systems von Foto Marburg sorgte in einigen Bereichen zunächst für eine gewisse Vereinheitlichung (Diskus-Verbund), wurde aber nicht flächendeckend akzeptiert. In Ländern mit zentraler Kulturverwaltung wie Frankreich führte die Digitalisierung unter staatlicher Oberhoheit zu Einheitskatalogen, bei denen die Präzision der Datenbestände dennoch schwanken kann (Base Joconde). Die Tendenz geht inzwischen zu vernetztem Arbeiten oder – bei heterogenen Einzeldatenbanken zumeist unter erheblichem Komplexitätsverlust – zu Metadatenbanken. Ein Beispiel für vernetztes Arbeiten ist die gemeinsame Erschließung des ehemals zusammengehörigen Herzoglichen Kupferstichkabinetts durch die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig im Projekt Virtuelles Kupferstichkabinett. Die auf Initiative der EU eingerichtete Metadatenbank Europeana ist ein im Ausbau befindlicher Versuch, die inhaltliche und formale Heterogenität digitaler Kataloge zu Kulturgütern aller Art in einem europaweiten Metakatalog zusammenzufassen. Ein ebenfalls als Metakatalog geführtes Projekt ist der vom Bildarchiv Foto Marburg koordinierte Digitale Portraitindex. Die von der EU im 5. Rahmenprogramm geförderte, nicht nur auf Kunstgeschichte, sondern Kulturgeschichte allgemein bezogene ECHO-Initiative als Sammlung von digitalisierten Inhalten und Tools zeigt die besonders große Heterogenität bei interdisziplinären Sammlungs- und Forschungsdatenbanken. Die spezifische Aufgabe von Forschungsdatenbanken besteht in der Speicherung und Verfügbarmachung von Forschungsprimärdaten (Bilder, Quellentexte, Sachverhalte), die (noch) nicht in Textform traditionell oder digital publiziert wurden. Im Gegensatz zu den Bestandsdatenbanken beziehen sie sich meistens nicht nur auf einen bestimmten Sammlungsbestand und werden für einen übergeordneten Themenbereich angelegt. Mit zunehmender Vernetzung der Struktur und Inhalte von Dokumentationssystemen verwischen die Grenzen zwischen Bestands- und Forschungsdatenbanken jedoch zusehends. Aufgrund der großen Heterogenität des Gegenstands kunsthistorischer Forschung (Architektur und Artefakte aller Art und Beschaffenheit in ihren jeweiligen historischen Zusammenhängen) sowie durch die vielfachen Verbindungen zu Nachbardisziplinen (Archäologie, allgemeine Geschichte, historische Soziologie) bestehen nach wie vor erhebliche Herausforderungen in der Verarbeitung kunsthistorischer Gegenstände und Sachverhalte in digitalen Systemen. Als Ergebnis langjähriger konzeptioneller und theoretischer Arbeit in der Auseinandersetzung mit der Aufgabe der Beschreibung heterogener kunsthistorischer Daten entwickelte eine vom Getty Research Center geleitete Arbeitsgruppe die Categories for the Description of Works of Art (CDWA), die 2009 auch in Buchform publiziert wurden. Da zu kompliziert für die praktische Anwendung, wurde eine „lite“-Version als xml-Datei entwickelt. Beide Anleitungen gehen von einem inhaltlich normativen Beschreibungskatalog aus. Parallel dazu hat das International Committee on Documentation (CIDOC) des International Council of Museums das CIDOC Conceptual Reference Model, ein Beschreibungsmodell, entwickelt, das sich völlig vom bisherigen Paradigma einer Auflistung von Beschreibungskategorien für den einzelnen Gegenstand aus, sondern beschreibt den Gegenstand in seinem historischen Kontext durch ein sog. Ereignisbasiertes Modell. Es ist nicht auf kunsthistorische Anwendung beschränkt, sondern kann auch nahezu alle historischen Sachverhalte abbilden. Eine der ersten kunsthistorischen Datenbanken ging zugleich über das reine Erfassen und Beschreiben von Objekten hinaus. Der Census of Works of Arts Known to the Renaissance dokumentiert die Rezeption der Antike anhand von Renaissance-Kunstwerken und schuf dafür ein diese Beziehungen abbildendes Datenmodell. Auch das Regelwerk MIDAS (Marburger Informations-, Dokumentations- und Administrations-System) erhob den Anspruch, Kulturgüter aller Art wissenschaftlich zu erfassen und zu verwalten, erforderte dabei aufgrund der beschränkten technologischen Rahmenbedingungen ein strenges Regelwerk und eine zentrale Administration, die vernetztes Arbeiten nur bedingt erlaubte. Das im Kontext von Einzelprojekten zur römischen Kunstgeschichte an der Bibliotheca Hertziana, MPI, hervorgegangene Datenbanksystem Zuccaro versucht eine generische und an den Ideen des CIDOC CRM orientierte Grundlage zur Erfassung kunsthistorischer Sachverhalte zu schaffen. Bislang existieren nur vorläufige Arbeitsumgebungen. Eine frei einsetzbare Software, die auch vernetztes und interaktives Arbeiten ermöglichen soll, ist in Entwicklung. Das Getty Research Institute trägt zu den Möglichkeiten digitaler kunsthistorischer Dokumentation insbesondere mit der Entwicklung von Vokabularien und Thesauri bei, die als Referenzdaten für kunsthistorische Datenbankprojekte eingesetzt werden können (Getty Thesaurus of Geographic Names, Union List of Artist Names, Art and Architecture Thesaurus). Mit diesen Datenbanken und insbesondere dem Provenance Index zur Provenienz von Kunstwerken erarbeitet Getty zudem bedeutende Datenbestände zu historischen Sachverhalten. Als eigener Zweig hat sich die Erfassung von ikonographischen Inhalten – eine bedeutende Forschungsrichtung innerhalb der Kunstgeschichte vor allem in der Mitte des 20. Jahrhunderts – herausgebildet. Mit dem vom Dewey-Dezimal-System abgeleiteten Klassifikationssystem Iconclass, das Henry van de Wall seit den 1950er Jahren entwickelte, lassen sich ikonographische Inhalte systematisch und sprachunabhängig erfassen. Auch wenn Normdaten einem „bibliothekarischen“ an Regelwerken orientierten Denken verpflichtet sind, erhalten sie als Referenzpunkte in einem offenen System von „linked data“ erneut besondere Bedeutung. Voraussetzung ist jedoch, dass sie online zugänglich sind. Raumbezogene Dokumentation. Raumbezogene Dokumentation findet vor allem Anwendung im Bereich von Bauforschung und Denkmalpflege sowie der Nachbardisziplin Archäologie. Mit Geoinformationssystemen (GIS-Systemen) können Informationen von Bauaufnahmen, Fundsituationen und Grabungen ortsbezogen dokumentiert und zugleich an eine Datenbank angeschlossen werden. Das kann entweder in mit zweidimensionalen Karten oder in dreidimensionalen Systemen erfolgen. Bei einer dreidimensionalen Umsetzung, kann eine Bauaufnahme, die andernfalls ausschließlich in einer großen Zahl von Planzeichnungen konsultierbar ist, in eine anschauliche Form gebracht werden. Karten oder dreidimensionalen Rekonstruktionen können auch Fotos und andere Informationen an den jeweils zutreffenden Stellen hinzugefügt werden. Visuelle Methoden in der Forschung. Die automatisierte Analyse von Bildern ist ein Anwendungsfeld für die formale Untersuchung und Gruppierung. Die dafür notwendigen Technologien sind jedoch derzeit noch nicht fachspezifisch entwickelt bzw. der Wissenschaft nicht frei zugänglich. Die kulturhistorischen Aspekte, also das Erkennen der Inhalte und Bedeutungen, lassen sich durch automatische Analyse bisher erst ansatzweise erfassen. Unter diese Kategorie fallen vor allem digitale (d. h. virtuelle) Modelle einzelner Bauwerke und Bauwerksgruppen und ihres Umraumes, die auch CAD-Modelle genannt werden. Der Begriff des Virtuellen spielt hier auf die Differenz zu „echten“, d. h. physischen Modellen an. Das zumindest im deutschen Raum bekannteste Zentrum für die virtuelle Rekonstruktion historischer Architektur ist der Lehrstuhl des 2011 verstorbenen Professors für Architektur, Manfred Koob (Fachbereich Architektur der TU Darmstadt). Unter dem Titel „Architectura Virtualis“ wurde hier seit 1990 ein veritables Museum rekonstruierter Architektur erstellt, das von der in der französischen Revolution zerstörten Kathedrale von Cluny, über die verschiedenen Baustadien und Entwürfe des Speyerer Doms, des Klosters Lorsch, der Stadt Bensheim, der Aachener Kaiserpfalz und des vatikanischen Palastes bis hin zu im Nationalsozialismus zerstörten Synagogen bis zum Dresdener Schloss geht. In neuerer Zeit wurden die virtuellen Modelle mittels Rapid Prototyping wieder in materielle Modelle überführt und zudem interaktive Karten erstellt. Im Jahr 2000 wurde in Darmstadt erstmals im deutschen Sprachraum eine Tagung zum Thema CAD und Kunstgeschichte veranstaltet, auf der methodische Implikationen des Mediums diskutiert wurden. Bei einer jeden solcher Rekonstruktionen ist die Quellenlage unterschiedlich, müssen bestehende Gebäudeteile, historische Fotografien, nicht ausgeführte Entwurfszeichnungen, schriftliche Quellen sowie deren unterschiedliche Interpretation in der Forschung ausgewertet und umgesetzt werden. Bei einem Projekt zur Rekonstruktion von im Nationalsozialismus zerstörten Synagogen wurden sogar in großem Maße mündliche Äußerungen von Zeitzeugen einbezogen. Gerade die kritische Auseinandersetzung mit den heterogenen Quellen und deren Abgleich im Modell oder die Visualisierung von Alternativen oder Wissenslücken sind das, was die CAD-Modelle so spannend, aber auch umstritten macht. Der Kunsthistoriker Hubertus Günther prägte daher um 2001 den Begriff CACV, 'computer aided critical visualization', um den großen Anteil an Forschung und kritischer Reflexion an diesen Modellen zu betonen. In Zürich wurde z. B. ein nie verwirklichtes Projekt von Sebastiano Serlio zum Bau einer Loggia in Lyon als virtuelles Modell realisiert. Dabei zeigte sich, dass das Projekt in der bekannten Planung von Serlio nur schwerlich realisierbar gewesen wäre. Günther weist darauf hin, dass gerade der Entwicklungsprozess des Modells vielfältige Einsichten in Entwurfsphasen, Konstruktionsprinzipien und Baustruktur erlaubt und daher gerade in der Ausbildung extrem gewinnbringend ist. Die Beschäftigung mit und Konzeption von Modellen verbessere die Vorstellung von Raumverhältnissen, schule das Sehen und das problemorientierte Denken. Da die Plausibilität von Thesen zur ursprünglichen Erscheinung des Baus am Modell sofort geprüft werden könne und müsse, fördere die CAD-Visualisierung korrektes wissenschaftliches Arbeiten. Der russisch-kalifornische Medientheoretiker Lev Manovich hat 2007 an der University of California (San Diego) die Software Studies Initiative gegründet, die sich u. a. den Cultural Analytics und Visual Analytics widmet. Hier geht es um die Nutzung informatischer Methoden für die Analyse großer Datenmengen und -flüsse, und speziell um die Analyse und Visualisierung von digitalen und digitalisierten Bildern. Primär auf der Analyse von Texten oder Metadaten basieren Projekte, die sich der Visualisierung von Netzwerken widmen, etwa Semaspace, ein Projekt von Dietmar Offenhuber und Gerhard Dirmoser, in dem kulturelle, darunter auch kunsthistorisch relevante Kontexte als interaktive Netzwerke visualisiert werden, oder die Projekte des Potsdamer Medieninformatikers Moritz Stefaner im Bereich der Datenvisualisierung und Informationsästhetik. Digitale Technologien ermöglichen es, im Sinne einer interdisziplinären Rezeptionsforschung, reale Rezeptionshandlungen von Betrachtern zu erfassen und zu analysieren. In der Kunstliteratur findet man seit der Antike immer wieder Beschreibungen von Blickbewegungen. Seit den 1930er Jahren werden Versuche unternommen, Blickbewegungen bei der Betrachtung von Kunstwerken wissenschaftlich zu untersuchen und kunstpsychologisch sowie kunstwissenschaftlich auszuwerten. Neue Kamerasysteme (Stichwort Eye-Tracking) ermöglichen eine Analyse der Augenbewegungen von Betrachtern und damit neuartige Informationen über individuelle Strategien der Betrachtung von Kunstwerken. Kollaboration und Vermittlung. Crossmediale Annotation und semantische Verknüpfung. Während in den 1990er Jahren der Hauptaugenmerk von Datenbankprojekten im Kulturbereich auf der standardisierten Dokumentation und Digitalisierung lag, verlagerte sich der Schwerpunkt ab der Jahrtausendwende zunächst auf die Möglichkeit, die erfassten Daten online zugänglich zu machen und über Portale zusammenzufassen, dann auf die Frage, wie die Daten sinnvoll verknüpft werden können, um „intelligente“ Suchanfragen zu ermöglichen. Dies geschah unter dem Stichwort des Semantic Web, um zu betonen, dass über diese Verknüpfungen Bedeutungen übermittelt und generiert werden sollen. Im Zusammenhang mit dem Semantischen Web steht auch die Forderung nach Linked Open Data, die sich auf die freie Zugänglichkeit und Kompatibilität der verknüpften Daten konzentriert. Diese Entwicklungen sind für die Kunstwissenschaften von besonderer Relevanz, lassen sich doch im digitalen Medium visuelle und textuelle Informationen auf vielfache Weise semantisch verknüpfen (etwa Bilder mit Ortsdaten, Biographien, Quellenbeständen) und damit für wissenschaftliche Argumentation und Wissensvermittlung fruchtbar machen. Publikationswesen und Social Media. Immer mehr werden auch im Bereich der Kunstgeschichte digitale Publikationsmedien eingesetzt, die in einem zweiten Schritt zunehmend mit sozialen Funktionen versehen wurden. 2001 wurde die Mailingliste H-Arthist sowie die Online-Rezensionszeitschrift kunstform eingerichtet, gefolgt vom Themenportal arthistoricum.net im Jahr 2006 und des dazugehörigen Blogs. Virtuelle Forschungsinstrumente und Arbeitsumgebungen. Studiengänge und Berufsbilder. Die zurzeit entstehenden Digital Humanities-Studiengänge (Darmstadt, Würzburg, Trier), sind zumeist philologisch orientiert, beziehen aber zunehmend auch Aspekte der Kunstgeschichte ein. Innerhalb der neuen modularisierten Studiengänge bieten viele kunsthistorische Studiengänge im BA- oder MA-Studium einzelne Module mit Inhalten zur „Digitalen Kunstgeschichte“ an. Einzelne Projekte. HyperImage – Bildorientierte e-Science-Netzwerke:. Mit HyperImage können beliebig viele Details innerhalb eines Bildes präzise markiert und beschrieben sowie Annotationen des Corpus untereinander verlinkt und über Indizes erschlossen werden. Zwischenergebnisse wie endgültige Fassungen lassen sich jederzeit als hypermediale online- oder offline-Publikation erstellen. Diese Technik ist als Meta-Image mittlerweile Bestandteil von Prometheus. ARTigo: Soziale Software vom Typ „games with a purpose“ zielt darauf ab, ein breites Publikum zu erreichen und das Wissen der Mitspieler nutzbar zu machen. Für die Kunstgeschichte wurde das Bildverschlagwortungsspiel ARTigo entwickelt, bei dem zwei Personen ein Bild via tags beschreiben, jedoch nur dann Punkte bekommen, wenn beide den gleichen Tag gewählt haben. HASTAC Mailingliste H-Arthist Online-Rezensionszeitschrift Kunstform Kunstgeschichte Open Peer Reviewed Journal Artefakt. Zeitschrift für junge Kunstgeschichte und Kunst:
Young Hitler. A non-fiction novel (deutsch: "Der junge Hitler. Ein Tatsachenroman") ist der englische Titel einer vom deutschen Film- und Buchautor Claus Peter Hant verfassten Nacherzählung von Adolf Hitlers erster Lebenshälfte, insbesondere der Zeit zwischen Hitlers 16. und 30. Lebensjahr. Ergänzt wird die Erzählung durch einen Sachbuchteil, der die Ergebnisse der aktuellen wissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiet zusammenfasst. Die Form der Darstellung soll nach Sicht des Autors ermöglichen, von der Geschichtsschreibung noch nicht erfasste Aspekte der Charakterentwicklung Hitlers zu beschreiben. Hierbei stützt sich der Autor auf historische Quellen, die in einem 130 Seiten langen Appendix ausgewiesen sind. Young Hitler wurde 2010 von Quartet Books in London veröffentlicht. Zusammenfassung. Im ersten Teil des Buches gibt eine Erzählung die Jahre von 1907 bis 1918 wieder, die den jungen Adolf Hitler entscheidend geprägt haben, und in denen er als hungernder Künstler auf den Straßen und in den Obdachlosenasylen Wiens lebte, bis er 1914 als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teilnahm. Nach dem Ende des Krieges kam Hitler 1919 in München mit der Thule-Gesellschaft in Kontakt, einem Geheimbund von Okkultisten, die eine politische Partei gegründet hatten: die Deutsche Arbeiterpartei (DAP). Mit der Übernahme der DAP durch Hitler, der die Partei in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umbenannte, endet die Erzählung. In einem Interview mit "The Guardian" sagte Autor Claus Hant, dass Young Hitler dort ende, von wo ab der Weg Hitlers zum „Führer und Reichskanzler“ aufs gründlichste erforscht sei. Die Geschehnisse nach 1920 seien in den zahlreichen Hitler-Biografien und anderen Publikationen ausführlich beschrieben. Was in den Biographien bisher nicht untersucht werde, sei die plötzliche Verwandlung des unbedeutenden Künstlers und Herumtreibers Hitler, der 1918/19 mit einem Schlag zu einem einflussreichen politischen Führer mutiere. Hant sagt, er habe diese folgenschwere Verwandlung bewusst ins Zentrum seiner Betrachtungen gestellt. Dieser entscheidende Wendepunkt in Hitlers Leben könne erst erklärt werden, seit die neuere und neueste Geschichtsforschung bislang unbekannte Fakten und Daten zutage gefördert habe. Die zweite Hälfte des Buches besteht aus einem detaillierten Sachbuchteil. Hier sind die aktuellen Forschungsergebnisse zur frühen Geschichte Hitlers aufgelistet. Darüber hinaus enthält der Anhang Hants These, die die Hintergründe von Hitlers Aufstieg in einem neuen Licht erscheinen lassen. These. Im Mittelpunkt von Young Hitler steht die Frage, wie Hitler, ein Mann mit Volksschulabschluss, gesellschaftlich ungelenk, einfältig und humorlos, ein Mann ohne Geld und ohne hilfreiche Beziehungen innerhalb von nur wenigen Jahren eines der bedeutendsten Industrieländer der damaligen Zeit von Grund auf verändern konnte? Historiker wie Alan Bullock erklärten, dass sie nicht in der Lage seien, diese Frage befriedigend zu beantworten. Andere versuchten, der Frage auszuweichen oder haben komplexe Theorien über die speziellen Befindlichkeiten der Deutschen entworfen. Hant geht davon aus, dass Hitler nicht so ungebildet gewesen sei, wie man bisher geglaubt habe. Neuere und neueste Forschungsergebnisse belegen, dass Hitler außergewöhnlich belesen war und dass er auf vielen Gebieten, insbesondere auch auf künstlerischem Gebiet, über weitreichende Kenntnisse verfügte. Hitlers außergewöhnlich gutes Gedächtnis habe ihm geholfen, seine Kenntnisse in einer Weise zu nutzen, die nicht nur den dumpfen Massen imponierte. Er war durchaus auch in der Lage, Eindruck auf hochgebildete Einzelpersonen an der Spitze der Gesellschaft zu machen. Der andere Teil der Antwort, die Hant für den Erfolg Hitlers liefert, ist noch überraschender: Hant zitiert Quellen, die belegen, dass Hitler davon überzeugt war, in besonderer Weise mit dem Göttlichen verbunden zu sein. Bei der Erforschung von Hitlers erster Lebenshälfte ist Hant auf den Moment gestoßen, an dem Hitlers Glaube an eine besondere Beziehung zum Göttlichen entstand. Hant zufolge hat Hitler den „deutschen Messias“ nicht nur gemimt. Nach einer vermeintlichen spirituellen Erfahrung war Hitler fest davon überzeugt, tatsächlich „der Auserwählte“ zu sein. Hitlers spektakulärer Erfolg habe auf seiner Überzeugungskraft beruht. Wolle man das Phänomen Hitler verstehen, müsse man das Selbstbild eines Mannes erkennen, der sich für auserwählt hielt. Öffentlich habe Hitler allerdings niemals verkündet, für wen er sich hielt. Um in einer vernunftbestimmten Welt ernst genommen zu werden, habe er sich in der Öffentlichkeit immer nur als „gewöhnlichen Politiker“ dargestellt. Die Organisation des Heiligenkultes, der um ihn entstand, habe er seinen Anhängern überlassen. Folgt man Hants These, dann sind sowohl Hitlers Persönlichkeit als auch seine Handlungen die Folge eines religiösen Wahns. Das würde eine grundlegende Korrektur unseres Hitlerbildes erforderlich machen. In einem Interview erklärte Hant: „Die derzeitige Lehrmeinung geht davon aus, dass diese Erklärungen [sich selbst als “Werkzeug der Vorsehung” zu bezeichnen] Lügen sind, die ihm [Hitler] halfen seinen eigenen Mythos zu befördern. Meine Untersuchungen führen zu einem anderen Ergebnis: wenn Hitler Derartiges sagte, dann sagte er etwas, wovon er selbst zutiefst überzeugt war. Die Vertreter der herrschenden Lehrmeinung sind Hitler auf den Leim gegangen und sind auf dessen Selbstdarstellung als rein weltlicher Führer hereingefallen. Das wurde bislang nicht erkannt und wir müssen erst lernen zu verstehen was das bedeutet.“ Rezension. "Spiegel"-Rezensent Wolfgang Höbel bezeichnete Hants Buch als „brave Lehrstückstory in melodramatischem Gewand“. Ziemlich grotesk zur Schmonzette verrutscht dem Autor seine Story aber nicht zuletzt dadurch, dass der junge Herr H. von seinem Jugendfreund konsequent beim Kosenamen genannt wird: Adolf Hitler heißt hier durchgehend „Dolferl“. Der britische Autor Anthony Read fand "Young Hitler" dagegen „geistreich und fesselnd“ „The Guardian“ nannte "Young Hitler" mit Blick auf die dargestellten Thesen „eines der heißesten Bücher der Frankfurter Buchmesse“ und der „Sunday Express“ berichtete „ein explosives neues Buch stellt unsere Auffassung von Hitler auf den Kopf.“
Alameda ist ein U-Bahnhof der "Linha Verde" (grüne Linie) und der "Linha Vermelha" (rote Linie) der Metro Lissabon, des U-Bahn-Netzes der portugiesischen Hauptstadt. Der Bahnhof befindet sich unter der Kreuzung der "Avenida Almirante Reis"/"Alameda Dom Afonso Henriques" und damit auf der Grenzen zwischen den Stadtgemeinden São Jorge de Arroios, Alto do Pina und São Jorge de Deus. Die Nachbarstationen des Bahnhofes sind "Arroios", "Areeiro", "Saldanha" und "Olaias". Der Bahnsteig der "Linha Verde" ging am 18. Juni 1972 in Betrieb, der der "Linha Vermelha" am 19. Mai 1998. Geschichte. Bau des ersten Bahnhofes. Der U-Bahnhof "Alameda" ging am 18. Juni 1972 als Teil der letzten Verlängerung ("Anjos"–"Alvalade") der ersten Bauphase der Lissabonner Metro in Betrieb. Innerhalb von fünfzehn Jahren gelang es so der Stadt Lissabon, alle wichtigen Zentren der Stadt mittels des neuen Verkehrsmittels anzuschließen. Als letztes erhielt Alvalade mit dieser Verlängerung einen U-Bahnanschluss. Für den Bau des U-Bahnhofes war, wie auch bei den anderen dieser Bauetappe, der Architekt Dinis Gomes verantwortlich, der für alle Bahnhöfe ein ähnliches Konzept entworfen hatte. Der Bahnhof besaß bei seiner Eröffnung zwei 70 Meter lange Seitenbahnsteige und eine flache, abgerundete Bahnsteigdecke, ähnlich wie bei den Nachbarbahnhöfen. Für die Ausgestaltung des Bahnhofes war wiederum Maria Keil verantwortlich. Sie wählte die bewährten Fliesen (Azulejos) mit weißem Hintergrund und kontrastierte diesen durch zahlreiche Streifen in verschiedensten Grüntönen. Umbau zum Umsteigebahnhof. Es änderte sich über die Jahre hinweg relativ wenig am Bahnhof "Alameda". Erst mit der Verabschiedung des "Plano de Expansão da Rede 1999" (Plan zur Erweiterung des Netzes bis 1999) im Jahr 1990 rückte der Bahnhof wieder in den Blickpunkt. Der Plan sah vor, dass bestehende Ypsilon-Netz in drei Linien aufzuteilen (blaue, gelbe und grüne) und eine neue Linie zu bauen (rote Linie). 1998 wurde die damals als durchgängige Linie betriebene Strecke "Pontinha"–"Restauradores"–"Rossio"–"Alameda"–"Campo Grande" in zwei Linien geteilt; "Pontinha"-"Restauradores" als blaue Linie, die "Alameda" tangierende Strecke "Rossio"–"Campo Grande" als grüne Linie. Nachdem sich Lissabon bei der Wahl zur Weltausstellung 1998 gegen das kanadische Toronto durchsetzen konnte, begannen darauf die Bauarbeiten für eine neue Metro-Linie. Diese Linie sollte zunächst vom Bahnhof "Oriente", direkt im Weltausstellungs-Park gelegen, bis zum Bahnhof "Alameda" führen, wo über die grüne Linie wiederum Anschluss in Richtung Zentrum bestand. Im Rahmen des Baus der neuen U-Bahn-Linie waren auch umfangreiche Baumaßnahmen für den Bahnhof "Alameda" vorgesehen. Der "Plano de Expansão da Rede 1999" räumt auch der künstlerischen Ausgestaltung einen großen Rahmen ein, diese sollte Merkmal des Lissaboner U-Bahn-Netzes werden. Unter Leitung des portugiesischen Architekten Manuel Taínha wurde der zukünftig "„Alameda I“" genannte Bahnhof, der Bahnhof der grünen Linie, komplett umgebaut. So wurden unter anderem die Bahnsteige von 70 auf 105 Meter verlängert, um zukünftig Sechs-Wagen-Züge einsetzen zu können. Die Künstlerin Noronha da Costa ergänzte die Fliesenkunst Keils um verschiedene Malereien auf Marmorhintergrund. Der Bahnhof der grünen Linie wurde nach mehrmonatiger Sperrung am 3. März 1998 wieder in Betrieb genommen. Der Bahnhof der roten Linie ("„Alameda II“") sowie der Umsteigetunnel wurden von Manuel Taínha und Alberto Barradas entworfen. Die Station der roten Linie besitzt die in Lissabon üblichen zwei Seitenbahnsteige, gleichzeitig aber am westlichen und östlichen Ende eine überdimensionale große Bahnsteighalle, um so trotz der Tiefe des Bahnsteiges, die aufgrund der Unterquerung der grünen Linie nötig war, keine Enge zu schaffen. Für die künstlerische Ausgestaltung waren Costa Pinheiro, Alberto Carneiro und Juahana Bloomstedt verantwortlich. Pinheiro gestaltete einen Teil des Umsteigetunnels mit Fliesenmotiven namens "Os Navegadores" („Die Seefahrer“) und zeigt Bilder von portugiesischen Persönlichkeiten wie João II., Heinrich der Seefahrer (Infante D. Henrique), Vasco da Gama und Fernão de Magalhães. Carneiro, sogenannter "Land Art"-Künstler wählte wiederum mehrere Bau-Plastiken, die dem unterirdischen Bahnhof einen Hauch von Natur geben sollten. Die finnische Künstlerin Bloomstedt entwarf zahlreiche geometrische Figuren in verschiedenen Marmortönen. Letztendlich konnte die rote Linie und damit auch der Bahnhof "Alameda II" am 19. Mai 1998 in Betrieb genommen werden, drei Tage vor der Eröffnung der Expo 98 im heutigen Parque das Nações. Elf Jahre lang endeten die Züge von "Oriente" kommend im Bahnhof "Alameda", im Tunnel Richtung Westen wurde eine provisorische Kehranlage eingerichtet. Von Anfang an war es geplant, die rote Linie weiter in Richtung Westen zu verlängern. 2003 begannen die Bauarbeiten für eine Verlängerung der "Linha Vermelha" über Saldanha nach São Sebastião. Seit dem 29. August 2009 ist Alameda kein Endbahnhof mehr. Die Züge fahren nun bis "São Sebastião" durch. Verlauf. Am U-Bahnhof bestehen Umsteigemöglichkeiten zu den Buslinien der Carris.
Mittlere Horde (kasach. Орта жүз/"Orta jüz" „mittlerer Schüs“) war die Bezeichnung einer kasachischen Stammesföderation des 16. Jahrhunderts. Vom Zarentum Russland ausgehend nannten auch die übrigen Europäer die Mittlere Horde im 18. und 19. Jahrhundert fälschlich "Mittlere Kirgisen-Horde". Das kam zustande, da das damalige Russland die Kasachen von den slawischen Kosaken (russ. Казак/"kazak") unterscheiden wollte. So bezeichneten sie die Kasachen als anfänglich als „Kasak-Kirgisen“. Von 1917 bis 1920 gehörte das Gebiet der Mittleren Horde zum kasachischen Alasch-Orda-Staat. Umfang und Stammesstruktur. Wie alle zentralasiatischen Nomadenreiche war das Gebiet der Mittleren Horde durch keine festen und klar definierten Grenzen festgelegt. Die Mittlere Horde umfasste den Norden, den Nordosten und das Zentrum des heutigen Kasachstan. Die Angehörigen wurden aus nomadisierenden Stämmen gebildet. So gehörten unter anderem folgende Clans zur Mittleren Horde: Argyn, Kirei, Naiman, Qongrat, Qipcaq und Yak. Die Clannamen verweisen teils auf ältere türkische und mongolische Stämme, deren Überreste hier integriert wurden. Eine lose Oberherrschaft wurde auf die kasachischsprachigen Gebiete ausgeübt, die sich heute in Russland (Region Altai und Republik Altai) befinden. Geschichte. 1509 begründete der Dschingiskhanide Qasym Khan das eigenständige Kasachen-Khanat. Dieses zerfiel nach 1518 in drei Apanagen (Teilherrschaften), aus denen unter anderem auch die Mittlere Horde hervorging. Ihre Fürsten fungierten zumeist auch als Herrscher der benachbarten Großen Horde. Aber auch Fürsten der Großen Horde erscheinen vielfach als Fürsten der Mittleren Horde, sodass eine klare Abgrenzung zwischen beiden Khanate untereinander schwer ist. Im 18. Jahrhundert gab es die ersten Auseinandersetzungen mit slawischen Neusiedlern und mit den östlich benachbarten westmongolischen Dschungaren. Im Kampf gegen die Letzteren wurde mit Abu'l-Hayr (reg. 1717/28–1748) ein Khan der Kleinen Horde zum Fürsten der Mittleren Horde gewählt. Angesichts verheerender Angriffe der Dschungaren, deren Fürsten sich ebenfalls von Dschingis Khan ableiteten, unterstellte sich die Mittlere Horde 1740 freiwillig dem russischen Schutz. So galten die Fürsten der Kleinen Horde als Vasallen des russischen Zaren. Zwischen 1795 und 1806 ersuchte eine Reihe von Clanführern vom Zaren die Erlaubnis, den von ihnen ungeliebten Khan Vali (reg. 1781–1818/9) abzusetzen zu dürfen. Um ein Gegengewicht zu Vali zu schaffen, wurde 1812 vom Zaren mit Bökey Khan ein Mitregent in der Mittleren Horde eingesetzt. 1822 wurde die Mittlere Horde aufgelöst und einer direkten Direktverwaltung Russlands unterstellt. Es wurde schnell begonnen, große Teile der Kasachen sesshaft zu machen und das damit nicht mehr benötigte Weidegebiet an Neusiedler zu vergeben. Als Reaktion darauf begann zwischen 1825 und 1834 unter den Enkeln Abylai Khans, Sarschan Kasymow und Ubaidullah Walichanow, ein Aufstand im Gebiet der einstigen Mittleren Horde (1825–34). Etwas später übernahm mit Kenisari (reg. 1837–46/47), einem weiteren Enkel Abylais, die Rolle eines Revolutionsführers.
Das Bayerische Mediengesetz (BayMG) nimmt unter den Landesmediengesetzen eine Sonderstellung ein. Es regelt privates Rundfunkengagement in öffentlicher Verantwortung und öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Geschichtliches. Das Bayerische Mediengesetz (BayMG) vom 24. November 1992 (GVBl. S. 584) trat gem. seinem Art. 43 Abs. 1 Satz 1 am 1. Dezember 1992 in Kraft. Es löste das Medienerprobungs- und -entwicklungsgesetz (MEG) vom 22. November 1984 (GVBl. S. 455, ber. 546) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 8. Dezember 1987 (GVBl. S. 431) ab, dessen Geltung als Versuchsgesetz in wesentlichen Teilen bis zum 1. Dezember 1992 befristet war (Art. 39 Abs. 2 MEG). Das BayMG wurde nach mehreren Änderungen am 22. Oktober 2003 (GVBl. S. 799) neu bekannt gemacht und seither mehrmals geändert. Die Änderung durch Gesetz vom 12. Juli 2016 (GVBl. S. 159) ist nicht unbedeutend. Ab dem 1. September 2016 werden alle Genehmigungen zur Verbreitung von Angeboten, wie Art. 26 BayMG überschrieben ist, unbefristet erteilt und die bestehenden, vormals befristet erteilten Genehmigungen werden durch Gesetzgebungsakt entfristet (Art. 26 Abs. 2 S. 2 BayMG n. F.). Die Zuweisung von Übertragungskapazitäten erfolgt dagegen weiterhin nur auf Zeit (Art. 26 Abs. 2 S. 4 BayMG n. F.). Die Änderung durch Gesetz vom 13. Dezember 2016 (GVBl. S. 350) verlängert die Förderung des Lokalfernsehens aus staatlichen Haushaltsmitteln bis Ende 2020. Das weitere Änderungsgesetz vom 20. Dezember 2016 (GVBl. S. 427), das am 1. Januar 2017 in Kraft getreten ist, setzt die Vorgaben des BVerfG aus dem sog. ZDF-Urteil vom 25. März 2014 – 1 BvF 1, 4/11 (BVerfGE 136, 9) für den Medienrat der Landeszentrale und parallel für den Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks um. Mit Blick auf die seit 25. Mai 2018 wirkende Datenschutz-Grundverordnung, änderte Art. 39b des Bayerischen Datenschutzgesetzes (BayDSG) vom 15. Mai 2018 zahlreiche Gesetze; Art. 39b Abs. 18 BayDSG enthält – neben kleineren Anpassungen – vor allem die Neuregelung des Datenschutzes im Geltungsbereich des Bayerischen Mediengesetzes (Art. 20 BayMG). Durch das Änderungsgesetz vom 23. Dezember 2020 wurde der Aufgabenkatalog der Landeszentrale erweitert und die finanzielle Förderung des Lokal-/Regionalfernsehens aus staatlichen Haushaltsmitteln bis 31. Dezember 2024 verlängert; die gestaffelten Außerkrafttretensbestimmungen in Art. 40, 41 wurden entschlackt und zusammengefasst (Art. 40). Privatfunk in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Das „hinkend duale Rundfunkmodell“ bayerischer Provenienz ist in der deutschen Rundfunklandschaft ein Unikat. Es ist durch Art. 111a Abs. 2 Satz 1 der bayerischen Landesverfassung (Bayerische Verfassung [BV]) vorgegeben, eine Vorschrift, die ihr Entstehen einem erfolgreichen Volksbegehren in Bayern 1972 verdankt. Die öffentliche Verantwortung und öffentlich-rechtliche Trägerschaft nimmt die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM), eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, wahr (Art. 2 Abs. 1 BayMG). Dieses auf einem landesverfassungsrechtlichen Verbot „echten“ Privatfunks fußende Modell löst zahlreiche rechtliche Fragen aus, die vor allem in den ersten 25 Jahren zu einer vergleichsweise großen Zahl von gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt haben. Verhältnis zum Medienstaatsvertrag. Normhierarchie. Der Rundfunkstaatsvertrag (RStV) wurde am 7. November 2020 durch den Medienstaatsvertrag vom 14./28. April 2020 (BayGVBl. S. 450) abgelöst, bei dem es sich – wie bei seinem Vorgänger – um einen zwischen Staaten, hier den Bundesländern, geschlossenen Vertrag handelt. Seine Regelungen erhalten Gesetzeskraft mit unmittelbarer Geltungswirkung gegenüber den Bürgern durch Zustimmungsgesetze oder Zustimmungsbeschlüsse der Landesparlamente. Der zwischen allen Bundesländern abgeschlossene Medienstaatsvertrag enthält somit bundeseinheitlich geltendes materielles Landesrecht. Als Landesgesetz steht er auf derselben normhierarchischen Stufe wie das BayMG. Nach dieser wohl noch herrschenden traditionellen Auffassung der Gleichrangigkeit staatsvertraglichen und sonstigen einfachgesetzlichen Landesrechts würde das jeweils speziellere dem allgemeineren und das jüngere dem älteren Gesetz vorgehen. Jüngeres staatsvertragswidriges Landesrecht würde nach dieser Auffassung zwar Ansprüche der Staatsvertragsparteien gegeneinander auslösen, aber die Geltung des staatsvertragswidrigen einfachen Landesgesetzes nicht in Frage stellen. In der neueren juristischen Literatur mehren sich allerdings Befürworter einer normhierarchischen Aufwertung staatsvertraglichen Landesrechts über (einfache) Landesgesetze. Im Streit um den Frequenzwechsel von BR-Klassik und BR Puls hat der VPRT ein Rechtsgutachten des Leipziger Rundfunkrechtlers Christoph Degenhart vorgelegt, der einen Vorrang des Staatsvertragsrechts aus dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ ableiten will. Daneben gibt es den Ansatz, die Kollisionsregel in § 1 Abs. 2 RStV (nunmehr § 1 Abs. 2 MStV), wonach nur solches Landesrecht angewendet werden darf, das mit den Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags nicht kollidiert, als Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Bündnistreueprinzips zu deuten, und nicht nur gegenüber älterem, sondern auch gegenüber jüngerem entgegenstehenden Landesrecht zur Geltung zu bringen. Ausdrückliche Regelungen. Lückenfüllung. Ganz allgemein lässt § 1 Abs. 2 MStV gesetzliche Bestimmungen des Landesrechts zu, soweit der MStV selbst keine anderweitigen Regelungen für die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunk enthält oder solche Regelungen ausdrücklich zulässt. Eine „Lücke“ des MStV, der ersichtlich keine Regelungen über Versuche oder Pilotprojekte enthält, füllt bspw. Art. 30 BayMG mit besonderen Bestimmungen für zeitlich befristete Betriebsversuche und Pilotprojekte. Zugelassene Sonderregelungen. Eine ausdrückliche Ermöglichung landesrechtlicher Sonderregelungen enthält bspw. § 73 MStV, der Werbeerleichterungen für lokale und regionale Fernsehprogramme (s. Art. 8 Abs. 2 BayMG) ermöglicht. Weitere landesrechtliche Bestimmungen über Ordnungswidrigkeiten lässt § 115 Abs. 1 Satz 3 MStV unberührt. Darüber hinaus wird die nicht abschließende Aufzählung der möglichen Aufsichtsmaßnahmen gegenüber nationalen Rundfunkveranstaltern in § 109 Abs. 1 Satz 2 MStV als eine solche Zulassung ergänzender landesrechtlicher Bestimmungen verstanden. Demgegenüber verbietet § 50 S. 3 MStV den am Staatsvertrag beteiligten Ländern, abweichende Regelungen zu den §§ 51, 53 bis 68 MStV in Landesgesetzen zu treffen. Die Bayernklausel. Davon abgesehen enthält § 122 MStV eine sog. Bayernklausel, die den landesverfassungsrechtlichen Besonderheiten Rechnung trägt. Dazu gehört einmal, dass die Bestimmungen des MStV über private Rundfunkveranstalter auf die Rundfunkanbieter nach bayerischem Recht (nur) entsprechend anwendbar sind, und zum anderen, dass die BLM von den Restriktionen des § 112 MStV für die Verwendung der Rundfunkbeitragsmittel (vormals: Rundfunkgebührenmittel) befreit ist. Die BLM darf z. B., ohne durch § 69 Satz 2 MStV gehindert zu sein, private Rundfunkangebote in ihrer Trägerschaft aus Rundfunkbeitragsmitteln fördern. Eine weitere Ausnahme wurde als § 63 Satz 3 a. F. (nunmehr § 122 Satz 3 MStV) durch den 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 19. Dezember 2007 eingefügt: Bayern ist von dem strikten Verbot politischer Werbung (§ 8 Abs. 9 Satz 1 MStV) befreit, das außerhalb der zugelassenen Wahlwerbung in Vorwahlzeiten (vgl. § 68 Abs. 2 MStV) gilt. Diese Erweiterung geht auf eine Popularklageentscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH) vom 25. Mai 2007 zurück. Der BayVerfGH hat die Transformation der staatsvertraglichen Bestimmung in unmittelbar geltendes Landesrecht am Maßstab der BV überprüft und den entsprechenden Landtagsbeschluss für teilweise nichtig erklärt. Inzwischen lässt Art. 5 Abs. 7 BayMG in Abweichung von § 8 Abs. 9 Satz 1 MStV in bestimmtem Umfang Werbung aus Anlass eines zugelassenen Volksbegehrens und eines Volksentscheids in Bayern zu. Verhältnis zum Grundgesetz. Das öffentlich-rechtliche Trägerschaftsmodell für privates Rundfunkengagement in Bayern ist mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Rundfunkfreiheit) vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat lediglich die Rechtsprechung des BayVerfGH korrigiert, der den privaten Anbietern nach bayerischem Medienrecht den Schutz des Grundrechts der Rundfunkfreiheit nicht zuerkannt hatte. Verhältnis zum Kartellrecht. Grundsätzlich haben Kartellrecht und Medienrecht unterschiedliche Regelungsbereiche und sind nebeneinander anzuwenden. Es gibt aber Schnittmengen. Das BayMG enthielt bis zum Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 12. Juli 2016 (GVBl. S. 159) z. B. Vorschriften zur Zusammenarbeit von Rundfunkanbietern (s. Art. 25 Abs. 4 Satz 4 BayMG a. F.), die in Konflikt mit kartellrechtlichen Bestimmungen geraten konnten; die zurückgenommene Kann-Bestimmung in Art. 25 Abs. 3 Satz 2 BayMG n. F. reduziert das Konfliktpotenzial beträchtlich. Eine vorschnelle Anwendung von Art. 31 GG (Bundesrecht bricht Landesrecht) erscheint für Konfliktlösungen unangebracht, denn er kann nicht für kompetenzwidriges Bundesrecht gelten. In diesem Zusammenhang erhält die Tatsache Gewicht, dass die Länder die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Rundfunkwesen haben. Die Ausgestaltung der positiven Rundfunkordnung ist dem Bundesgesetzgeber aus kompetenzrechtlichen Gründen verwehrt. Er darf dazu keine anderen Kompetenztitel, z. B. für das Wirtschaftsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) oder die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG), missbrauchen. Im Rahmen seiner ausschließlichen Zuständigkeit für die Ausgestaltung der positiven Rundfunkordnung ist der Landesgesetzgeber qua Annexkompetenz befugt, solche wirtschaftsrechtlichen Sachverhalte mitzuregeln, die einen untrennbaren Zusammenhang mit der Rundfunkorganisation haben. Die aus rundfunkorganisatorischen Gründen notwendigen rundfunkrechtlichen Wettbewerbsregeln sind im Konfliktfall mit den allgemeinen kartellrechtlichen Bestimmungen wie ein spezielleres Gesetz vorrangig anzuwenden. In diesem Bereich kann das Bundesgesetz die landesrechtliche Norm aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht derogieren. Verhältnis zu Europarecht. Rundfunkrecht wird zunehmend durch europarechtliche Vorgaben determiniert. Richtlinien wie die über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RiL) bedürfen zu ihrer Geltung der Umsetzung in nationales Recht. Sie finden ihren Weg nach Bayern regelmäßig über den MStV und gelten dann (bereits) unmittelbar. Der öffentlich-rechtliche Trägerschaftsvorbehalt. Interessant ist die Frage, ob das Rechtsformmonopol (Rundfunkveranstaltung ausschließlich in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft) mit Art. 10 EMRK vereinbar ist. Die EMRK hat in der Bundesrepublik Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes und geht bayerischem Landesrecht vor. Die im vorigen Abschnitt über das Kartellrecht erörterte Tatsache, dass der Bundesgesetzgeber nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes nicht befugt ist, die Rundfunkordnung zu gestalten, hat für die Anwendbarkeit des Art. 31 GG (Bundesrecht bricht Landesrecht) im Verhältnis von EMRK und BV sowie BayMG keine Bedeutung. Indes liegt eine Unvereinbarkeit von Art. 111a Abs. 2 Satz 1 BV mit Art. 10 EMRK entgegen der Ansicht von Stefan Lorenzmeier nicht vor. Maßgeblich für die Europarechtskonformität ist die Tatsache, dass die bayerischen Rundfunkanbieter sich mit grundrechtlicher Absicherung an dem in Trägerschaft der BLM veranstalteten Rundfunk beteiligen können. Dadurch unterscheidet sich das bayerische Modell wesentlich von dem Sachverhalt, der dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 24. November 1993 im Fall Informationsverein Lentia gegen Republik Österreich zugrunde lag. Sitz in Deutschland als Genehmigungsvoraussetzung. Bis zum 31. August 2016 war in Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayMG ein Sitz in Deutschland als Genehmigungsvoraussetzung festgeschrieben. Seit Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 12. Juli 2016 wurde die Restriktion fallengelassen; seither ist ein Sitz in einem sonstigen EU-Mitgliedsstaat oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausreichend. Denkbare Konflikte mit dem Europarecht sind damit ausgeräumt. Örtlicher Bezug der Anbieter zum Sendegebiet. Auch der vormalige Regelvorrang von Anbietern mit örtlichem Bezug zum Sendegebiet (Art. 25 Abs. 4 Satz 3 BayMG a. F.) wurde entschärft. Nunmehr ist der örtliche Bezug zum Sendegebiet nur noch eins von mehreren Auswahlkriterien und ist nicht mehr auf den Antragsteller, sondern auf das Angebot bezogen (Art. 26 Abs. 1 Satz 3 BayMG n. F.). Eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs kann darin nicht erblickt werden. Allerdings sollte auch schon die vormalige Regelvorgabe einer bevorzugten Berücksichtigung örtlich verwurzelter Antragsteller die qualifizierte Erfüllung der Informationsaufgabe vor allem lokaler und regionaler sowie landesweiter Anbieter sicherstellen. Sie bot schon damals genügend Flexibilität bei der praktischen Umsetzung, um europarechtswidrige Ergebnisse zu vermeiden, zumal der örtliche Bezug als gesetzliche Vermutung besonderer Sachnähe eines Bewerbers nicht absolut galt und dem Gebot der Pluralismussicherung untergeordnet blieb. Durch die Neuregelung wurden etwaige Restbedenken gegen die Europarechtskonformität der Bestimmung beseitigt. Förderung aus staatlichen Haushaltsmitteln. Schließlich wirft die Förderung der lokalen und regionalen Fernsehanbieter aus Haushaltsmitteln des Freistaates Bayern beihilferechtliche Fragen auf. Die Förderung kommt Anbietern zugute, die auf Grundlage des Art. 23 BayMG mit einer besonderen Programmleistung zur Erfüllung lokaler/regionaler Informationsinteressen betraut sind. Ohne Widerspruch zum verfassungsunmittelbaren allgemeinen Grundversorgungsauftrag der gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kann festgestellt werden, dass die Programmleistung der betrauten lokalen/regionalen Fernsehanbieter in Bayern lokale Grundversorgungsfunktion erfüllt. Damit ist ihnen eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, in der deutschen verwaltungsrechtlichen Nomenklatur: eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, übertragen. Solange keine Überkompensation des zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Aufwandes erfolgt, ist die Förderung aus staatlichen Haushaltsmitteln europarechtlich unbedenklich. Aus beihilferechtlicher Sicht spielt es übrigens keine Rolle, ob der Staat Beihilfen an öffentlich-rechtliche oder private Rundfunkveranstalter leistet. Entscheidend ist die Betrauung mit einer klar abgegrenzten Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Gliederung des Gesetzes. Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften Art. 1 Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen Art. 2 Öffentlich-rechtliche Trägerschaft, Organisation Art. 3 Programme Art. 4 Ausgewogenheit des Gesamtangebots, Meinungsvielfalt Art. 5 Programmgrundsätze, Meinungsumfragen, Drittsenderechte Art. 6 Unzulässige Sendungen, Jugendschutz Art. 7 Kurzberichterstattung, Übertragung von Großereignissen Art. 8 Werbung, Teleshopping Art. 9 Sponsoring, Gewinnspiele Zweiter Abschnitt Bayerische Landeszentrale für neue Medien Art. 10 Rechtsform, Organe Art. 11 Aufgaben Art. 12 Medienrat Art. 13 Mitglieder des Medienrats Art. 14 Verwaltungsrat Art. 15 Präsident Art. 16 Anordnungen Art. 17 Beschwerderecht Art. 18 Gegendarstellung Art. 19 Rechtsaufsicht Art. 20 Datenschutz Art. 21 Finanzierung, Haushaltsführung, Rechnungsprüfung Art. 22 Kosten Dritter Abschnitt Förderung von lokalen und regionalen Fernsehangeboten, Organisation und Genehmigung von Rundfunkprogrammen Art. 23 Förderung von lokalen und regionalen Fernsehangeboten Art. 24 Anbieter Art. 25 Inhalt der Angebote, Organisationsverfahren Art. 26 Genehmigung des Angebots Art. 27 Fernsehtext, Radiotext Art. 28 Programmänderungen Art. 29 Auskunftspflicht, Aufzeichnungspflicht, Archivierung Vierter Abschnitt Pilotprojekte, Betriebsversuche Art. 30 Pilotprojekte, Betriebsversuche Fünfter Abschnitt Zuordnung technischer Übertragungskapazitäten Art. 31 Genutzte Übertragungskapazitäten Art. 32 Zuordnung neuer Übertragungskapazitäten Sechster Abschnitt Kabelanlagen Art. 33 Betrieb von Kabelanlagen Art. 34 Vielfaltssicherung in Kabelanlagen Art. 35 Weiterverbreitung Art. 36 (aufgehoben) Siebter Abschnitt Übergangs- und Schlussbestimmungen Art. 37 Strafbestimmung, Ordnungswidrigkeiten Art. 38 Verjährung Art. 39 Keine aufschiebende Wirkung Art. 40 Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Adam Haresleben (* 1627 in Kühnring bei Eggenburg, Niederösterreich; † 29. August 1683 in Wien) war ein österreichischer Steinmetzmeister und Bildhauer des Barock, Dombaumeister zu St. Stephan und Obervorsteher der Wiener Bauhütte. Die Eggenburger Viertellade des Steinmetz- und Maurerhandwerkes war der "uralten" Wiener Hauptlade inkorporiert. Leben. Am 5. Oktober 1642 wurde der Lehrjunge Adam vor der Wiener Haupthütte zum Gesellen frei gesprochen. Der Eggenburger Stein, jetzt Zogelsdorfer Stein genannt, ein gut zu bearbeitender Bildhauerstein, gehörte zu den wichtigen Wiener Bausteinen. Vor einem ehrsamen Handwerk ist ihm am 7. November 1651 das Meisterstück aufgegeben worden, und er hat solches auch am 3. Jänner 1652 bei Herrn Oberzechmeister Martin Störr vorgewiesen. "Und weillen es mangelhaft, ihm zur Strafe 9 fl zu bezahlen auferlegt, solche auch richtig bezahlt worden". So gut wie jeder künftige Meister musste Strafgeld erlegen. Er gestaltete eine Maria-Immaculata-Statue auf prismatischem Pfeiler, das Langpassprofil mit Rosetten und Leidenswerkzeugen besetzt, bezeichnet "Harislem 1651" auf dem Weg von Kühnring nach Maria Dreieichen. Die Brüder Adam und Alexander zogen von Kühnring bei Eggenburg nach Wien (vielleicht die ganze Familie). Adam war mit Barbara verheiratet, sie war 32 Jahre älter, so hatte er keine Kinder. Übernahme der Steinmetzhütte des Johann Jacob Pock. Nach Ableben von Steinmetzmeister und Bildhauer Johann Jacob Pock führte die Witwe das Handwerk in der Roßau im Alsergrund bis 1653 weiter. Sie verheiratete sich nicht wieder, so bestimmte die Bruderschaft Meister Adam Haresleben zum Nachfolger. Von 1654 bis 1682 war er durch seine Steuerleistungen als wohlhabender Hauseigentümer zu erkennen. Vertrag im kaiserlichen Steinbruch. Catharina Herstorfferin, Witwe nach Hans Herstorffer, gewester Dombaumeister der Stephanskirche und Oberzechmeister der Wiener Bauhütte, kam am 16. September 1655 nach Kaisersteinbruch. Sie hatte die Herrn Steinmetzmeister Adam Haresleben, Baumeister bei der Stephanskirche und Bartholomäus Khöll, beide in Wien, als ihre Beistände beim Vertragsabschluss erbeten. Mit Meister Ambrosius Regondi, Richter im kaiserlichen Steinbruch, ist ein Kaufvertrag beschlossen worden, "sie verkauft ihren eigenthumblichen Stainbruch, Hauß, Garten und zween Krautgarten in ermelten Stainbruch", alles zusammen um 1.020 fl. Dieser Betrag war sogleich bar bezahlt worden. Dombaumeister zu St. Stephan. Im Bruderschaftsbuch der Haupthütte Wien ist zu lesen ".. anno 1654, den 26. Oktober bin ich Adam Haresleben, gebürtig zu Österreich zu Kühnring, Baumeister worden bei dem Löblichen Domstift, allhier zu Wien. Gott gebe seinen Segen dazu, solang Gott belieben tut. So ist es". Seine Obrigkeit war der Fürsterzbischof Philipp Friedrich Graf von Breuner. Breuner stammte aus einer österreichischen Adelsfamilie und hatte im römischen Priesterseminar Collegium Germanicum studiert, einst vom Gründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyola errichtet. Ab 1669 folgte Bischof Wilderich Freiherr von Waldendorff, Geheimer Kaiserlicher Rat und Reichsvizekanzler, auch er wurde im Collegium Germanicum ausgebildet. Am 10. Juni 1656 stand er der Zeche als Oberzechmeister vor. Sargtuch der Zeche. Meister Otto Sewaldt verfügte am 7. Juni 1647 in seinem letzten Willen .. "denen stainmetz und Maurer maistern zu einem paartuch - 10 fl". Eine Eintragung im Innungsbuch vom 25. November 1656 belegt, dass unter Obervorsteher Adam Haresleben ein Bahrtuch von schwarzem Samt und einem silbergestickten Kreuz mit kunstvollen goldgestickten Ornamenten um 195 fl angefertigt wurde. Es ist bis in unsere Tage erhalten geblieben. (Sitzungssaal der Landesinnung der Baugewerbe) 1679 war auch für die Gesellen ein Sargtuch gefertigt worden, "es sind dafür ausgegeben worden 63 fl". Meister Adam nahm am 10. Oktober 1671 den Knaben Mathias Wimmer von Sommerein am Leithagebirge zum Lehrling auf. Das Sommereiner Steinmetzhandwerk war der Viertellade im kaiserlichen Steinbruch inkorporiert. Die Freisprechung zum Gesellen erfolgte am 25. Oktober 1676. Altar der Steinmetzen und Maurer. "In dem Jahr 1677 war damallen Baumeister Adam Haresleben, hat das Handwerk der Steinmetzen und Maurer unter dem Orgelfuss bey St. Peter und Paul genannt, machen lassen". Bei dem Holzaltar wirkten mit der Tischler Gregor Wolff, der Maler Tobias Pock für das Blatt mit St. Peter und Paul und den vier Gekrönten, der Bildhauer Mathias Gunst für die Statuen, der Maler Johannes Kheisel für deren Fassung. Die Zeche war Ende des 17. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt ihrer finanziellen Möglichkeiten angelangt. Fehlende Geldmittel waren also kein Grund für die Ausführung in Holz. Um keine der in Frage kommenden Steinarten zu bevorzugen, und damit die Meister in Unfrieden zu bringen, entschied man sich "salomonisch" für Holz. Tod. Am 11. Jänner 1683 starb seine um 32 Jahre ältere Frau Barbara. In den Totenprotokollen lesen wir – dem Adam Haresleben, Baumeister und Steinmetz, sein Weib Barbara, "ist am Schlag verstorben, alt 88 Jahre". Noch im selben Jahr schloss auch der Dombaumeister seine Augen, er verschied am 29. August 1683. "Ist alda am durchbruch gestorben, alt 56 Jahre". Testament. Die Veröffentlichung erfolgte am 28. September 1683. Daraus einige Auszüge – soll in der St. Stephanskirchen begraben werden, zum Seelentrost sollen hundert hl. Messen gelesen werden. Als Universalerben wurden seine Geschwister eingesetzt, so der jüngere Alexander Haresleben, Vater der nächsten Generation von Steinmetzen Thomas und Hans Georg. Einer der Testamentszeugen war Steinmetzmeister Veith Steinböck aus Eggenburg, künftiger Dombaumeister und Obervorsteher in Wien. Adams Grab konnte trotz vieler Bemühungen im Stephansdom nicht mehr gefunden werden. Epitaph in der Kirche zu Kühnring. Wohlstand und Prunkliebe kennzeichneten einige Eggenburger Steinmetzmeister, der eigene Stein war ihnen für Grabplatten nicht mehr genug. Die beiden Kühnringer Meister Simon Haresleben († 1664) und sein Sohn Adam erhielten prächtige Epitaphien aus weißem und rotem Marmor in reich eingelegter Arbeit. Über Adam berichtet seine Grabschrift - Nachfolger im Amt des Dombaumeisters wurde Matthias Knox.
Die Pfarrkirche Heilige Familie ist ein römisch-katholisches Kirchengebäude im Stadtteil Mooswald im Westen der Stadt Freiburg im Breisgau. Sie gehört zur Seelsorgeeinheit Freiburg Nordwest im Dekanat Freiburg des Erzbistums Freiburg. Neben dem Patrozinium "Heilige Familie" sind Pfarrpatrone der heilige Martin und der heilige Konrad. Geschichte. Die Kirche wurde 1937–1938 nach Plänen von Paul Hugo Geis und Reinhard Fuchs errichtet. Ursprünglich sollte sie 500 Meter weiter östlich gebaut werden. Aber das Luftfahrtamt hatte 1936 Einspruch erhoben, weil der Turm genau in der Einflugschneise des Flugplatzes Freiburg gelegen hätte. Aber auch am neuen Standort durfte der Turm wegen der Nähe zum Flugplatz nicht zu hoch werden. Wegen des geänderten Standorts konnten sich die Bewohner des Stadtteils Betzenhausen neben den Bewohnern der Mooswaldsiedlung der neuen Pfarrei "Heilige Familie" anschließen, nachdem sie zuvor Angehörige der Gemeinde St. Cyriak im damals nicht zu Freiburg gehörenden Lehen gewesen waren. Am 2Z. Juni 1937 war Grundsteinlegung, die Weihe wurde am 18. September 1938 von Erzbischof Conrad Gröber vollzogen. Im Dezember 1942 wurde eine von der Freiburger Orgelbaufirma M. Welte & Söhne erbaute und von einer unbekannten Stifterin finanzierte Orgel geweiht. Diese erlitt beim Luftangriff auf Freiburg am 27. November 1944 einen Brandschaden. Während des Krieges war die Krypta der Kirche mit besonders verstärkter Eisenbetondecke Luftschutzkeller für etwa 40 Personen. 1961 wurde das Kircheninnere gründlich renoviert. 1978 erfolgte eine Umgestaltung aufgrund neuer Liturgievorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils. Beschreibung. Das geostete rechteckige Gebäude ist mit einem hohen Satteldach gedeckt. Der auf Höhe des Chores angebaute 29 Meter hohe Kirchturm hat ebenfalls ein Satteldach mit gleicher Firstrichtung. Auf dem breiten Giebel der Eingangsfassade ist über dem dreibogigen Eingang eine überlebensgroße Darstellung der Kreuzigung Christi mit dem Gekreuzigten sowie Maria und Johannes zu beiden Seiten zu sehen, ein Kunstwerk in so genanntem „deutschem Mosaik“ von Gertrud Leonhard-Püttman. Die drei Bögen darunter öffnen eine Eingangshalle, die über einige Stufen vom Vorplatz erreicht werden kann. Der Innenraum ist ein weitläufiger Kirchensaal von 32 m Länge, 14 m Breite und 9,50 m Höhe mit 700 Sitz- und 800 Stehplätzen. Ihm sind an den Längsseiten schmale durch Arkadenbogen abgetrennte Seitengänge angefügt. Der Chor mit einer Länge von 7,60 m ist mit 13 m Breite geringfügig eingeschnürt, aber 3,30 Meter höher als das Kirchenschiff. Über dem Haupteingang im Westen erstreckt sich eine weitläufige Empore, wo die Orgel untergebracht ist und ein Kirchenchor Platz finden kann. Die Chorwand wurde durch den Freiburger Maler Walther Meyerspeer mit der Darstellung der Heiligen Familie gestaltet. Er schuf auch die Bilder der einstigen Seitenaltäre, die jetzt im hinteren Teil der Kirche zu finden sind, „Christus, der gute Hirt“ und „Maria, die Magd des Herrn“. Auch die Stationen des Kreuzwegs, die 1949 fertig waren, wurden von diesem Künstler gestaltet. Orgel. Die 1942 eingebaute Welte-Orgel wurde 1948 vom Freiburger Orgelbauer Willy Dold überholt, nachdem sie 1944 durch Kriegseinwirkung in Mitleidenschaft gezogen war. Das Instrument wurde 1992 ersetzt durch eine Schleifladenorgel mit fest eingebautem Spieltisch, 29 Registern auf zwei Manualen und Pedal, erbaut von Orgelbau Vleugels. Glocken. Im Jahr 1957 erhielt die Kirche ein Glockengeläut von sechs bei Friedrich Wilhelm Schilling in Heidelberg gegossenen Bronze-Glocken, nachdem zuvor im Turm drei geliehene Stahlglocken geläutet hatten. Außer Glocke 1 und Glocke 6 sind die Glocken in den Uhrschlag einbezogen: Glocke 2 schlägt die volle Stunde, die Glocken 3, 4 und 5 werden für den Viertelstundenschlag eingesetzt. Große Zifferblätter auf den Giebelseiten des Turmes zeigen die Uhrzeit auch optisch an.
Jean Weidt, eigentlich "Hans Weidt", (* 7. Oktober 1904 in Hamburg; † 29. August 1988 in Rangsdorf) war ein deutscher Tänzer und Choreograf. Leben. Anfänge in Hamburg. Weidt, geboren in Hamburg-Barmbek, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und verließ mit sechzehn Jahren das Elternhaus, um seine Passion Tanz zu verwirklichen. Der Autodidakt arbeitete als Gärtner und als Kohlentrimmer im Hamburger Hafen, um Geld für den Aufbau seiner Tanzgruppen zu generieren. Von 1925 bis 1928 trat er mit seinen ersten Tanzgruppen unter anderem im Hamburger Curiohaus und an den Kammerspielen mit seinen Stücken "Aufruf", "Der Arbeiter" und "Tanz mit der roten Fahne" auf. Erste Berühmtheit erhielt er an der Hamburgischen Staatsoper mit dem Stück "Der Gaukler und das Klingelspiel" und fand Beachtung von Gustaf Gründgens sowie von Klaus Mann und Mary Wigman. Weidt verstand sich als politischer Tänzer. Im Oktober 1923 beteiligte er sich am Hamburger Aufstand und erkannte, nach eigener Aussage, dass er zu den Arbeitern gehörte, er wollte die Themen der Arbeiterklasse und für die Arbeiter tanzen. Es „ging und nicht so sehr um den Expressionismus oder ein anderes ästhetisches Programm, sondern in der Tendenz vertraten wir eine Art Agitprop-Kunst, also politische Propaganda, die aber genauso künstlerisch überzeugen musste. Unser Ziel war, für diesen bisher geschmähten Inhalt eine neue und ihm gemäße Form zu finden.“ Erfolge in Berlin. Mit seiner Kompanie "Die Roten Tänzer" wechselte er 1929 nach Berlin und veranstaltete dort sozialkritische Tanzabende. Erwin Piscator, der Intendant des Berliner Renaissance-Theaters, engagierte Weidt und inszenierte ab 1931 mit ihm im Wallner Theater unter anderem das Stück "Tai Yang erwacht" von Friedrich Wolf. Das Bühnenbild schuf der junge John Heartfield. Die aktuelle Gefahr des stärker werdenden Faschismus erkennend, entschloss sich Weidt 1931, Mitglied der KPD zu werden. Es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit zur "Truppe 31" um Gustav von Wangenheim, Ludwig Renn, Hans Rodenberg, John Heartfield und Arthur Pieck. Es entstanden sozialkritische Werke, wie "Die Mausefalle", "Passion eines Menschen", "Die Ehe" und andere mehr. Weidt war zentraler Protagonist des politischen Theaters der Weimarer Republik, denn seine Choreografien beschäftigten sich mit den Themen der Arbeiterklasse. Er warnte frühzeitig und immer wieder vor dem aufkeimenden Faschismus in Deutschland und Europa und schuf die Choreografie „Potsdam“. Die Tänzer treten mit übergroßen Masken, die Hitler und seine Helfershelfer symbolisieren, auf. Die Botschaft war eindeutig und die Gestapo wurde aktiv. Unmittelbar nach der „Machtergreifung“ der Nazis wurde Weidt in Berlin verhaftet, sein Übungs- und Wohnraum im Prenzlauer Berg und fast alle Tanzmasken, bildhauerische Werke insbesondere des Künstlers Richard Steffen, wurden zerstört. Er saß mehrere Wochen im Gefängnis Charlottenburg ein, wurde misshandelt und geschlagen. Der Regisseur Karlheinz Martin konnte schließlich seine Freilassung erwirken. Emigration. Im Mai 1933 emigrierte er über Moskau nach Frankreich und arbeitete bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Paris, Moskau und Prag. In Paris lernte er Jean Gabin, Maurice Chevalier, Pablo Picasso, dem er mehrmals als Aktmodell saß, und Josephine Baker kennen. Bekannt wurde er mit seiner 1933 gegründeten Gruppe "Ballets Weidt", mit der er unter anderem die Choreografie "Unter den Brücken von Paris", "L’été aux champs" und "Sur la grande route" schuf. Die Programmhefte für Weidt illustrierte unter anderem Jean Cocteau. Der junge Louis Armstrong bekam seine ersten Engagements in Frankreich von Jean Weidt und tourte mit Weidts Compagnie von 1933 bis 1936 durch Europa. 1938 gründete Weidt in Paris das "Le Ballets 38". Bis zur Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg galt er mit seiner Compagnie als die „unangefochtene Nummer 1“ (Quelle des Zitats: Andreas Weidt, sein Sohn) der modernen französischen Tanzszene. Jean Weidt spielte die Hauptrolle in dem französischen Kinoerfolg "Der Zauberlehrling". Regie führte dabei der deutsche Regisseur Max Reichmann. In seinem tänzerischen Schaffen wurde er durch das französische Tanzpaar Dominique und Francoise Dupuy unterstützt. Die Dupuys traten mit Choreographien von Jean Weidt bis ins 21. Jahrhundert auf und waren auf Tourneen in ganz Europa unterwegs. Nach der Besetzung Frankreichs und seiner zeitweiligen Internierung in Algerien, meldete sich Jean Weidt als Freiwilliger zur Britischen Armee und beteiligte sich aktiv am Kampf gegen den Faschismus. 1947 erhielt Jean Weidt in Kopenhagen den ersten Preis im zweiten „Internationalen Choreografischen Wettbewerb /Concours international de chorégraphie“ für seine Choreografie "Die Zelle / La Cellule". Rückkehr nach Berlin. Nach seiner Rückkehr aus der Emigration leitete er ab 1948 das neu gegründete "Dramatische Ballett" der Volksbühne Berlin. Nach Zwischenstationen in Schwerin, Hamburg und Chemnitz und der Erfindung der „Störtebeker Festspiele“ 1954 in Zusammenarbeit mit Hanns Eisler, berief ihn 1966 Prof. Walter Felsenstein an die Komische Oper Berlin. Dort baute der junge Choreograf Tom Schilling gerade eine Tanzcompagnie neuen Typus auf und nannte sie "Tanztheater der Komischen Oper Berlin". Parallel dazu schuf Jean Weidt mit 40 jungen Laientänzern die "Gruppe Junger Tänzer", die er bis zu seinem Tod 1988 leitete. Noch im hohen Alter entwickelte Jean Weidt die Veranstaltungsreihe "Stunde des Tanzes". Alle Spitzencompagnien der DDR nahmen daran teil. Es wurde die erfolgreichste Nachkriegsproduktion für Jean Weidt. 1988 schuf die deutsche Regisseurin Petra Weisenburger den Dokumentarfilm: "Jean Weidt – Tanzen für ein besseres Leben". Weidt war verheiratet mit der Malerin und Grafikerin Ursula Wendorff-Weidt. Aus dieser Ehe stammt Sohn Andreas. Jean Weidts Nachlass wird im "Tanzarchiv Leipzig" und im "Deutschen Tanzarchiv Köln" aufbewahrt. Jean Weidt wurde 1988 zum Ehrenbürger seines letzten Heimatortes Rangsdorf ernannt. Posthume Ehrungen. 2005 ehrte die Stadt Hamburg Jean Weidt im Rahmen des "Lakoon Festivals" auf Kampnagel, Veranstaltungsort zeitgenössischer darstellender Kunst in einer ehemaligen Maschinenfabrik, mit der Aufführung zwei seiner Choreographien "Vielles Gens, Vieux Fers" und "Ball der Entrechteten". Besonderes Verdienst kommt dabei dem kolumbianischen Künstler Alvaro Restrepo zu. Er gewann für diese Aufführung die "Compagnie Dupuy" aus Frankreich. Anlässlich seines 20. Todestages widmeten die privaten Kuratoren Nina Rücker und Michael Wiedemann dem Leben und Schaffen Weidts die Ausstellung "Bild und Bewegung" (Schirmherr der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit). Erstmals wurden aus dem Nachlass von Andreas Weidt sowohl Originalrequisiten, Masken und Plakate des Tänzers, der Originalfilm "Der Zauberlehrling", sowie Aquarelle seiner Frau Ursula Wendorff-Weidt gezeigt. Die Wanderausstellung wurde von 2008 bis 2010 bundesweit gezeigt. 2010 war im Rahmen der Ausstellung "Tanz der 1920er Jahre in Hamburg" dem Tänzer und Choreografen ein Ausstellungskabinett gewidmet. Ausstellungsort war die Aula der Hochschule für Bildende Künste, Hamburg. Hier hatte Weidt als Aktmodell arbeitend seinen ersten Maskenbildner gefunden. (Das Kapitel "Landen und Stranden in der Publikation „Himmel auf Zeit. Die Kultur der zwanziger Jahre in Hamburg“ ist unter anderem der Hamburger Zeit des Tänzers gewidmet.) Vom 17. Oktober 2010 bis 30. Januar 2011 ehrte die GEDOK Brandenburg (Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V.) im Heimatort Rangsdorf mit der Ausstellung „DIE WEIDTS“ erstmals die gesamte Künstlerfamilie: Jean Weidt (Tänzer und Choreograf), Ursula Wendorff-Weidt (Malerin und Grafikerin), Andreas Weidt (Keramiker) und Michael Weidt (Fotograf). 2016 erinnerte Nele Lipp in Hamburg mit der Ausstellung"Weidt tanzt!"sowie der Neuinszenierung des 1947 mit dem Ersten Preis im von Rolf de Maré ausgelobten"Concours International de la Danse"in Stockholm ausgezeichneten Stück"La Cellule"/"Die Zelle"an den Sohn der Stadt. Zugleich wurden in einer Retrospektive im Hamburger Metropolis Kino die Filme"Gesicht eines Tänzers"von Lothar Grossmann (1974) und"L`apprenti sorcier" (Der Zauberlehrling, 1993) von Max Reichmann und Jean Cocteau gezeigt, in dem Weidt den Zauberlehrling tanzte.
Das Unternehmen Adolf Robitschek ist ein Wiener Musikverlag und ehemaliger k.u.k. Hoflieferant. Die Adresse ist Wickenburggasse 7–9 im 8. Wiener Gemeindebezirk Josefstadt. Geschichte. Leopold Buchholz gründete 1870 den Verlag Buchholz & Diebel in Troppau. Er betrieb auch ein eigenes Sortiment und eine Leihanstalt. 1873 verlegte das Unternehmen seinen Sitz nach Wien und zog zuerst in die Bräunerstraße 2 im 1. Bezirk ein. Ferdinand Rebay und Wilhelm Stenzl kauften den Einzelhandel und die Leihanstalt, während das Verlagsgeschäft noch bei Buchholz & Diebel verblieb. Wilhelm Stenzl trat 1879 aus der Firma aus und Adolf Robitschek (* 1853 in Neutitschein; † 18. Februar 1934 in Wien), der Sohn eines böhmischen Tuchfabrikanten und ein Musikeinzelhändler, kaufte sich am 27. September des gleichen Jahres ein. 1883 wurde zum Sortiment auch noch das Verlagsgeschäft von Buchholz & Diebel übernommen. Der Komponist Theodor Franz Schild trat 1886 in den Verlag ein und arbeitete dort bis zu seinem Tod im Jahr 1929. 1887 wurde Adolf Robitschek Alleineigentümer der Firma und baute den Verlag weiter aus. Zu der Zeit veröffentlichte sein Verlag vor allem Werke österreichischer Komponisten, wie Anton Bruckner, Ignaz Brüll, Robert Fuchs und Franz Lehár. Ein Schwerpunkt war Chormusik, die bis heute ein wesentliches Standbein des Verlags ist. 1893 wurde die Musikalienhandlung Rudolf Bußjäger (ehemals Bösendorfer) in Wien erworben, das Verkaufslokal in der Herrengasse wurde aber behalten. Das Geschäft wurde dann ab 1907 zusammengelegt am Graben 14 und Bräunerstraße 2. Filialen bestanden in Leipzig in der Salomonstraße 16 und in Wiesbaden. 1901 war Robitschek einer der drei Gründer (die anderen waren Josef Weinberger und Bernhard Herzmansky von Doblinger), der Universal Edition Aktiengesellschaft mit Sitz in Wien. Robitschek hatte 304 Anteile an der neuen Firma. 1907 übernahm das Unternehmen für die Universal Edition auch die Auslieferung für Österreich-Ungarn, Italien und die Balkanstaaten. Mit diesem Erfolg wurde Adolf Robitschek schließlich zum „k.u.k Hof-Musikalienhändler“ ernannt. Mit dieser Ernennung änderten sich die Öffnungszeiten; es wurde ein spezieller Verkaufstag pro Woche für den Hof eingerichtet, an dem das Geschäft für das allgemeine Publikum geschlossen blieb. 1909 umfasste der Verlagskatalog rund 4500 Werke. Schlager wie "Servus Du" von Robert Stolz, "Unter dem Doppel-Adler" von Josef Franz Wagner (1902), "Wien, du Stadt meiner Träume", besser bekannt als "Wien, Wien nur du allein" von Rudolf Sieczyński (1912) wurden von Robitschek herausgegeben. Hugo Winkelmann beschrieb Adolf Robitschek 1907 in einem Brief an den Musikpädagogen Hans Wagner-Schönkirch als „ein gewiss ideal denkender und handelnder Mensch der mancher Talent fördert …“. Der Erste Weltkrieg und der Zusammenbruch der Monarchie brachten dem Unternehmen schwere Zeiten, große Teile des Absatzmarktes in den ehemaligen Kronländern fielen aus. Erst in den 1920er Jahren konnte es sich langsam erholen. Adolf Robitschek starb 1934 und wurde auf dem Gersthofer Friedhof begraben (Gruppe 2, Reihe 4, Nr. 40). Sein Sohn Adolf Robitschek (jun.) übernahm das Unternehmen. Er musste das Geschäft am Graben aufgeben, behielt aber den Lokal in der Bräunerstraße. Im Verlauf Kriegshandlungen während des Zweiten Weltkrieges gilt Adolf Robitschek seit August 1943 als in Russland vermisst, seine Witwe Maria Robitschek († 1951) übernahm die Leitung. Unterstützt wurde sie dabei vom Prokuristen Michael Hammer († 1947). 1948 trat der Vetter von Adolf Robitschek jun., Karl Robitschek als Angestellter ein. Gemeinsam mit Hedwig Robitschek übernahm er 1951 den Verlag, das Musikaliensortiment und Antiquariat. 1977 wurde Gerhard Löffler Geschäftsführer. Er führte neue Verlagskataloge und eigene Chorsätze ein und entdeckte die bei Robitschek verlegten Werke von Robert Fuchs wieder. Die beiden Töchter von Hedwig Robitschek, Karin Reitz und Hedda Löffler, leiteten das Geschäft in der Bräunerstraße 2 bis zur Aufgabe des Lokals 2007. Der Verlag befindet sich nach wie vor im Familienbesitz. Dokumente. Ein Briefwechsel mit dem Verlag C. F. Peters befindet sich im Bestand des Leipziger Musikverlages C. F. Peters im Staatsarchiv Leipzig.
Die Zeitfracht GmbH (bis Januar 2021 KNV Zeitfracht GmbH) ist der größte Buchgroßhändler mit der Funktion eines Barsortiments im deutschsprachigen Raum mit Sitz in Erfurt, einer Niederlassung in Stuttgart, wo sich auch die Verwaltung befindet sowie Außenbüros in Berlin und Hamburg. Das Unternehmen beliefert Buchhändler in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol flächendeckend und meist über Nacht mit Büchern, Neuen Medien, Spielen und anderen buchhandelsrelevanten Artikeln. Außerdem entwickelt das Unternehmen IT-Lösungen für den Buchhandel. Im Jahr 2016 lag der Konzernumsatz bei 546,5 Millionen Euro. Geschichte. Gründung und Ausbau. 1829 gründete Friedrich Volckmar das Unternehmen F. Volckmar als Kommissionsgeschäft für Sortimenter und Verlage in Leipzig. Das Volckmar’sche Kommissionsgeschäft bestand aus dem Sortimenter-Kommissionär (Dienstleister für Buchhändler), dem Verleger-Kommissionär (der späteren Verlagsauslieferung) und der Bestellweiterleitung (der späteren Bestellanstalt). 1849 gründete Carl Voerster (1826–1899), Friedrich Volckmars Schwiegersohn, am Standort Leipzig das Barsortiment. Der Erwerb der Stuttgarter Barsortimente Albert Koch & Co. (1903) und A. Oetinger (1907) erforderte einen Neubau für Koch & Oetinger in Stuttgart: Alfred Voerster, einziger Sohn Carl Voersters, und dessen Cousin Hans Volckmar, Enkel des Firmengründers, errichteten 1907/08 in Stuttgart den sogenannten Graf-Eberhard-Bau. Architekt hierfür war Karl Hengerer. Parallel dazu erwarb Karl Franz Koehler 1907 das Paul Neff’sche Kommissionsgeschäft und firmierte fortan unter Neff & Koehler. 1917 fusionierten diese beiden Firmen zu Koch, Neff & Oetinger (KNO). 1918 fusionierten die Großhändler K. F. Koehler und F. Volckmar zur Koehler & Volckmar AG (KV) mit Sitz in Leipzig. Karl Voerster, ein Urenkel des Firmengründers, startete 1928 mit der Übernachtbelieferung von Buchhändlern und dem Bücherwagendienst von Leipzig aus. Er hatte bei der Reichsbahn durchgesetzt, dass an die D-Züge zu acht wichtigen Großstädten Bücherwagen angehängt werden durften. NS-Zeit. Zur Zeit des Nationalsozialismus gab es Bestrebungen, dem Unternehmen seine Selbstständigkeit zu entziehen und es in den NS-Verlag Franz Eher Nachfolger einzugliedern. Vor allem Wilhelm Baur und Max Amann setzten sich dafür ein. 1936 wurde Theodor Volckmar-Frentzel vorübergehend von der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, ab 1937 war ein Kammerbeauftragter für mehrere Monate zur Überwachung des Verlages in Leipzig einquartiert. Dass das Unternehmen seine Selbstständigkeit bewahren konnte, hängt vor allem damit zusammen, dass Joseph Goebbels keine aus einer Vereinnahmung des Unternehmens resultierende Stärkung von Amanns Leipziger Amt wollte und daher seine Untergebenen Karl Heinz Hederich und Hans Schmidt-Leonhardt gegen die Vereinnahmungspläne votierten. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Firmengebäude in Leipzig weitgehend zerstört, zudem bot ein Wiederaufbau unter den neuen Machtverhältnissen dort keine sinnvolle Perspektive. Zwar hatte Karl Voerster den Koehlerbau in Leipzig noch notdürftig reparieren lassen, aber 1948 floh die Inhaberfamilie wegen der politischen Situation von Leipzig nach Stuttgart, wo der Graf-Eberhard-Bau aufgrund seiner Stahlbeton-Bauweise eines von lediglich sechs Gebäuden in der Stuttgarter Innenstadt war, die den Krieg noch weitgehend verwendungsfähig überstanden hatten. (Weitere Stahlbetonbauten, die noch standen, waren z. B. der heute ebenfalls noch bestehende Tagblatt-Turm und das berühmte, von Erich Mendelsohn erbaute und 1960 abgerissene Kaufhaus Schocken.) 1949 wurde das Leipziger Unternehmen erwartungsgemäß enteignet. Im gleichen Jahr erschien bei KNO, das in Stuttgart im Graf-Eberhard-Bau wieder einen Neuanfang starten konnte, der erste Barsortimentskatalog der Nachkriegszeit. Unter dem Namen Koehler & Volckmar (KV) wurde 1955 in Köln der Buchgroßhandel neu aufgebaut. Fusion Koch, Neff & Oetinger (KNO). 1987 übernahm KV das Grossohaus Wegner in Hamburg. 2004 fusionierten die Firmen Koch, Neff & Oetinger (KNO) und Koehler & Volckmar (KV) zu Koch, Neff & Volckmar (KNV). Im Januar 2006 übernahm KNV den Metzinger Schreibwarengroßhändler Schreyer, der 2008 wieder an PBS Deutschland verkauft wurde. Verlagerung nach Erfurt. Am 20. Mai 2011 gab die Unternehmensleitung bekannt, dass mit einem Investitionsvolumen von 100 Mio. Euro die logistischen Bereiche der Koch, Neff & Volckmar GmbH an den Standorten in Stuttgart und Köln, sowie die Logistik des Schwesterunternehmens Koch, Neff & Oetinger GmbH in Stuttgart bis 2015 aufgelöst werden und in der Mitte Deutschlands zentralisiert werden. Am 10. April 2013 erfolgte in der Kühnhäuser Straße in Erfurt die offizielle Grundsteinlegung. Am 1. Oktober 2014 erfolgte die Inbetriebnahme – nun unter dem Namen KNV-Logistik – mit bislang ca. 420 Mitarbeitern. Gravierende technische Probleme führten dabei zu erheblichen Lieferproblemen, insbesondere auch bei der Zusammenführung von sogenannter Beischlussware aus der eigenen Verlagsauslieferung. Dies löste im Buchhandel wegen des bevorstehenden Weihnachtsgeschäftes große Kritik aus und zwang KNV zu erheblichem Mehraufwand, z. B. zum Einsatz von zusätzlichen Auslieferungsfahrzeugen. Über das Weihnachtsgeschäft für 2015 hinaus mussten vor allem süddeutsche Kunden bis Februar 2016 aus Stuttgart beliefert werden. Im Frühjahr 2016 wurden dann die letzten logistischen Tätigkeiten in Stuttgart eingestellt. Im Gegensatz zu den Gebäuden des Schwesterunternehmens KNO VA, die mittlerweile komplett abgerissen wurden, stehen die bisherigen Firmengebäude von KNV aber bislang leer. Alle in Stuttgart verbleibenden nicht-logistischen Bereiche der beiden Unternehmen sind mittlerweile gemeinsam in einen durch einen Investor neu erstellten Gebäudekomplex umgezogen, an dessen Front das Unternehmen nun mit "KNV Gruppe" benannt wird. Geschäftsführende Gesellschafter des Familienunternehmens in der sechsten Generation waren zuletzt Oliver Voerster und bis 31. März 2017 Frank Thurmann. Seit 1. Juli 2012 war außerdem Uwe Ratajczak mehr als fünf Jahre als Geschäftsführer tätig. Insolvenz im Februar 2019. Die Geschäftsführer der KNV Unternehmensgruppe stellten am 14. Februar 2019 Insolvenzanträge beim Amtsgericht Stuttgart, nachdem Verhandlungen mit einem Investor am Vorabend gescheitert waren. Der Geschäftsbetrieb wird vorerst fortgeführt. Die ebenfalls zur KNV-Gruppe gehörende LKG (Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft mbH) ist nicht betroffen. Mit der Insolvenz verbunden sind finanzielle Verluste der rund 5.000 Verlage, die über KNV Bücher verkaufen. Die Erlöse für zum Zeitpunkt der Insolvenz gelieferte Bücher, die KNV den Buchhandlungen berechnet, aber noch nicht an die Verlage überwiesen hatte, sind Teil der Insolvenzmasse und damit zum großen Teil für die Verlage verloren. Wegen der branchenüblich langen Zahlungsziele von 60 – 90 Tagen, und weil das umsatzstarke Weihnachtsgeschäft betroffen ist, sind die Verluste zum Teil erheblich und in Einzelfällen sogar existenzgefährdend. Nicht Teil der Insolvenzmasse sind die Bücher, die zum Zeitpunkt der Insolvenz noch bei KNV gelagert waren. Im Juni 2019 erklärte der Insolvenzverwalter, dass das Unternehmen durch das Logistikunternehmen Zeitfracht übernommen und mit allen Standorten und Mitarbeitern fortgeführt werden soll. Der Eigentümerwechsel fand zum 1. August 2019 statt. Der bisherige, in sechster Generation geschäftsführende Gesellschafter Oliver Voerster (als direkter Nachfahre der Gründerfamilie Volckmar) und Bertram Feuerbacher haben in diesem Zusammenhang das Unternehmen verlassen. Tätigkeitsfelder. Barsortiment. Kerngeschäft ist die Funktion des Barsortiments mit etwa 480.000 verschiedenen Artikeln und einer Lagerfläche von 60.000 m² an den Standorten Stuttgart und Erfurt. Seit 2006 wird die Komplettbestückung von Abteilungen in Buchhandlungen über sogenannte Systemdienstleistungen (auch „Vendor Managed Inventory“, kurz VMI, genannt) angeboten. Elektronisch bestellte Ware wird Buchhändlern im Nachtsprungverfahren meist am nächsten Tag vor 10 Uhr morgens geliefert. Die Auslieferung erfolgt mit dem Bücherwagendienst über firmeneigene LKWs und Sattelschlepper an über 7.000 Buchverkaufsstellen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol. Seit 1999 werden Zentralläger für Lieferanten unterhalten, die den Verbraucher direkt beliefern, zum Beispiel das Zentrallager des Online-Buchhändlers Buecher.de. Informationstechnik. Das Unternehmen entwickelt Software speziell für die Buchbranche und schult Buchhändler im Umgang mit dieser Software. Die Standardprogramme heißen pcbis.de, fitbis.de und euro-BIS. Dabei handelt es sich um Bibliografier-, Bestell- und Warenwirtschaftssysteme. Für Firmenkunden von Buchhändlern gibt es seit 2003 die Software POEM, die die elektronische Verwaltung von Abonnements und Bestellungen übernimmt. KNV Zeitfracht ist Gründungsmitglied von EDitEUR, einer international agierenden Organisation in London, die sich um Standardisierungen im Buchhandel bemüht. KNV Zeitfracht selbst tritt mit dem KNV Clearing Centre als neutrale Vermittlungsstelle für elektronischen Datenaustausch zwischen Buchhandlungen und Verlagen auf. Die Daten von Bestellungen, Auftragsbestätigungen, Rechnungen und Lieferscheinen werden von und nach Standard-EDI-Formaten konvertiert (EANCOM). E-Commerce. KNV Zeitfracht stellt Buchhändlern die Plattform www.buchkatalog.de zur Verfügung, die als Webshop in ihre Homepage integriert werden kann. Neben der Datenbank aller im Barsortiment vorrätigen Artikel haben Buchhändler damit Zugang zu 50.000 Fach- und Publikumszeitschriften, etwa 100 Millionen antiquarischen oder gebrauchten Büchern aus dem In- und Ausland und etwa 155.000 E-Books des Downloadshops www.e-buchkatalog.de. Über diese Internetplattform können Endkunden (B2C) alle im Barsortiment vorrätigen Artikel bestellen. Die bestellte Ware wird wahlweise an eine wohnortnahe Buchhandlung oder zum Endkunden nach Hause geliefert. Öffentlichkeitsarbeit. In den früheren Kölner Lagerhallen der Firma – stets mit namentlicher Erwähnung – kommentierte Denis Scheck als Bestandteil der ARD-Literatursendung Druckfrisch die Top-Ten-Titel der aktuellen Spiegel-Bestsellerlisten.
Die Republik San Marino ist kein Mitglied der Europäischen Union. San Marino ist sowohl wirtschaftlich als auch politisch-kulturell eng mit der EU verbunden. Offizielle Beziehungen zwischen San Marino und den damaligen Europäischen Gemeinschaften bestehen seit Februar 1983. Abkommen über eine Zusammenarbeit und eine Zollunion EU-San Marino. Das Abkommen zwischen San Marino und der EU über die Schaffung einer Zollunion und über weitere Zusammenarbeit wurde 1991 in Brüssel unterzeichnet. Es trat am 1. April 2002 in Kraft. Das Abkommen garantiert neben einem gemeinsamen Außenzoll gegenüber Drittstaaten gegenseitige Zollfreiheit und Arbeitnehmergleichbehandlung. Arbeitnehmer werden in San Marino und in den EU-Mitgliedstaaten im Grundsatz gleichgestellt. Sie genießen Schutz vor Diskriminierung. Zudem vereinbarten beide Seiten eine stärkere Zusammenarbeit in den Bereichen Umwelt, Kultur und akademischer Austausch sowie die Umsetzung von Unionsrecht im Bereich des Tierschutzes, Pflanzenschutzes, der Qualitätskontrolle, im Zollwesen und bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Das Abkommen hat einen Kooperationsausschuss EU-San Marino ins Leben gerufen, der die Anwendung überwachen soll und Streitfälle entscheiden kann. San Marino ist derzeit an einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des Abkommens interessiert. Am 1. Juli 2009 ist San Marino dem Europäischen Patentübereinkommen beigetreten. Somit kann in San Marino Patentschutz über ein europäisches Patent erlangt werden. Eine europäische Gemeinschaftsmarke ist in San Marino jedoch nicht gültig, da Gemeinschaftsmarken nur für EU-Mitgliedsstaaten gültig sind. Euro. San Marino ist seit 1862 in einer Währungsunion mit Italien verbunden. Bis zur Einführung des Euro war die Italienische Lira zusammen mit der san-marinesischen Lira offizielles Zahlungsmittel. San Marino hat seit dem 1. Januar 2002 auf der Grundlage einer durch Italien ausgehandelten Währungsvereinbarung mit der EU den Euro als offizielle Währung eingeführt. Dem Land hat die EU das Recht eingeräumt, eigene Euro-Münzen in Umlauf zu bringen, die im gesamten Euro-Raum als gültiges Zahlungsmittel anerkannt werden. San Marino darf dabei Euro-Münzen bis zu einem Nominalwert von jährlich 1,944 Millionen Euro in Umlauf bringen. Diese werden dem italienischen Anteil am Euro abgezogen. Daneben behält San Marino das Recht zur Prägung eigener Sammlermünzen. Die auf "Scudi" lautenden Goldmünzen werden allerdings im Euro-Raum nicht als Zahlungsmittel anerkannt. Im November 2009 beschloss die EU, dass künftig der Europäische Gerichtshof als Schiedsinstanz für Streitfälle zwischen der Euro-Zone und San Marino dienen soll. Euro-Staaten könnten bei Verstößen gegen die Regeln für die gemeinsame Währung mit EU-Sanktionen belegt werden. Bei Staaten wie dem Vatikan und San Marino bestünden gemäß den geltenden Abkommen dagegen bei Verstößen keinerlei Einflussmöglichkeiten. Steuern. Am 16. März 2005 ist ein Abkommen mit der EU über die Besteuerung von Einkommen aus Sparanlagen von Personen ohne Wohnsitz in San Marino in Kraft getreten. Dennoch gilt San Marino weiterhin als Niedrigsteuerland, wenngleich bilaterale Abkommen mit Italien eine übermäßig liberale Steuer- und Finanzpolitik verhindern. Im Kampf gegen Steuerbetrug führt die EU derzeit Gespräche mit San Marino über den Abschluss eines Betrugsbekämpfungsabkommens. San Marino hat sich verpflichtet, die europaweite Anwendung der OECD-Standards zur Bekämpfung von Steuerbetrug zu unterstützen. Schengen. San Marino unterliegt nicht dem Schengener Abkommen. Allerdings bestehen zum einzigen Nachbarstaat Italien traditionell keine Grenzkontrollen. Schengen-Visa werden zur Einreise nach San Marino anerkannt. Ausblick. Die Frage eines EU-Beitrittsantrags wird von der san-marinesischen Regierung derzeit nicht aktiv verfolgt. Eine Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dem neben den EU-Mitgliedstaaten auch Liechtenstein, Island und Norwegen angehören, schließt San Marino mittelfristig nicht aus. Voraussetzung für eine Aufnahme in den EWR wäre die vorherige Mitgliedschaft in der EFTA. Nachdem für San Marino jahrhundertelang eine eher isolationistische Politik vorrangig war, hat sich das Interesse an einer Mitarbeit in internationalen Organisationen seit Eintritt in den Europarat (1988) und die Vereinten Nationen (1992) verstärkt. Ein Referendum zum EU-Beitritt am 20. Oktober 2013 scheiterte jedoch an zu geringer Beteiligung.
Ludwig A. Armbruster (* 7. September 1886 in Markdorf; † 4. Juni 1973 in Lindau (Bodensee)) war ein deutscher Zoologe. Er gilt als einer der herausragenden Bienenkundler des 20. Jahrhunderts, dessen Arbeit bis heute Anerkennung findet. Als „Judenfreund“ wurde Ludwig Armbruster 1934 von der Berliner Universität entlassen und erst im Jahr 2007 rehabilitiert. Leben. Ludwig Armbruster war der Sohn des Postbeamten Adolf Jacob Armbruster und der Lehrerin Luise, geborene Kaiser. Er besuchte das Fürstenberg-Gymnasium in Donaueschingen sowie das spätere Berthold-Gymnasium in Freiburg bis zum Abitur, das er mit sehr guten Leistungen bestand. Von 1904 bis 1907 studierte er katholische Theologie an der Universität Freiburg, anschließend bis 1909 Naturwissenschaften an der Universität München. Nach der Priesterweihe 1909 war er Vikar in der Pfarrei Sankt Urban in Freiburg. Im Jahre 1910 wurde er Präfekt am Gymnasialkonvikt in Freiburg, 1911 zu weiteren Studien beurlaubt. Er setzte er das Studium der Naturwissenschaften in Freiburg fort und beendete dieses im Februar 1913 mit der Promotion am Zoologischen Institut zum Thema "Die Chromosomenverhältnisse bei der Spermatogenese solitärer Apiden". Anschließend legte er das Staatsexamen für das Lehramt an den höheren Schulen Badens ab und wurde 1914 Lehrer am Gymnasium Achern. Nach bienenkundlichen Forschungsvorhaben am Zoologischen Institut in Freiburg und 1917 bei Erwin Baur in Berlin kam er 1918 als wissenschaftlicher Assistent und „Wissenschaftliches Mitglied“ des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie nach Berlin. Zwischen 1919 und 1923 war er am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie in Berlin-Dahlem Leiter der Forschungsstelle für Bienenkunde. Armbruster habilitierte sich 1919 auf dem Gebiet der Zoologie und übernahm 1923 als Professor und Direktor das Institut für Bienenkunde an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin-Dahlem. Anfang der 1920er Jahre gelang es Ludwig Armbruster, ein Farbensehen bei Wespen nachzuweisen. Analog zu den Versuchen, die Karl von Frisch durchgeführt hatte, benutzte er hierzu farbige, schachbrettförmig angeordnete Quadrate. Mit diesen im Jahre 1921 begonnenen Versuchen konnte er nachweisen, dass Wespen nicht nur Blau und Gelb, sondern auch andere Farben unterscheiden können. Ludwig Armbruster war auch als gerichtlicher Sachverständiger tätig, so etwa 1920 in einem Prozess gegen die Aluminium- und Karbidhütte in Lend wegen Schäden, die durch Rauch an Bienenvölkern entstanden waren. 1929 wurde Ludwig Armbruster zum ordentlichen Professor ernannt. Um 1930 nutzte er auch das neue Medium Rundfunk, um seine Forschungen an Bienen einem größeren Publikum zu vermitteln, z. B. in der Sendungen „Mit dem Mikrophon am Bienenstand“ (im Rahmen des Schulfunks) oder „Bienenpflege im Herbst und Winter“. Anfang 1934 verfügte der neu eingesetzte und nationalsozialistisch eingestellte Rektor Friedrich Schucht die Entlassung von Armbruster, da dieser „vom nationalsozialistischen Standpunkt aus als Lehrer an einer Hochschule nicht tragbar“ und „ausgesprochen judenfreundlich“ sei, habe er doch „den jüdischen Appell an das Weltgewissen unterschrieben, ein Umstand, der allein schon die weitere Tätigkeit Armbrusters als Hochschullehrer unmöglich machen dürfte.“ Armbruster hatte auch 1933 gegen störende Auftritte von SA-Studenten im Braunhemd und mit Hakenkreuzfahne an der Berliner Universität protestiert und am 2. März 1933 mit Begründung die Unterschrift auf der Zustimmungserklärung für die Hitlerregierung verweigert. Seine Kontakte zu jüdischen Bienenkundlern in Palästina, seine Kooperation mit jüdischen Bienenforschern bei der wissenschaftlichen Arbeit und insbesondere die Mitgliedschaft im „Deutschen Komitee pro Palästina“ kosteten ihn wohl letztlich seinen Lehrstuhl. Armbruster hatte zahlreiche jüdische Studenten, die er menschlich behandelte und unterstützte. So hatte er 100 Juden mit einem Facharbeiterbrief, der zur Ausreise nach Palästina nötig war, das Leben gerettet. Bereits vor 1933 geriet er dadurch ins Blickfeld der Nationalsozialisten. So erhielt er am 23. März 1934 Berufsverbot; als Nachfolger war Werner Ulrich bereits einen Monat zuvor vorgeschlagen worden, der nach eigenem Bekunden „das große Vergnügen“ hatte, ihn „in hohem Bogen rausfliegen zu sehen“. Ulrich denunzierte Armbruster wiederholt u. a. beim Reichserziehungsministerium wegen seiner jüdischen Kooperation und wegen eines Verhältnisses mit seiner Sekretärin vor Gericht, drohte, noch Weiteres zu berichten, und sprach von „unfassbaren Verbrechen“, mit denen er in dem ehemals von Armbruster geleiteten Institut in Berührung gekommen war. Ulrich behielt nach 1945 nicht nur seine Stelle, sondern wurde auch Gründungsdekan der naturwissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität in Westberlin, obwohl er in der 1935 gegründeten SS-Forschungseinrichtung Ahnenerbe tätig gewesen war. Armbruster wurde weder in Freiburg noch in Berlin wiedereingesetzt. Armbrusters Funktionsstelle wurde 1934 gesetzeswidrig in ein Ordinariat für Ackerbau und Landbaupolitik umgewandelt und mit dem NSDAP- und SS-Mitglied Konrad Meyer besetzt. Obwohl dieser für seine Federführung beim Generalplan Ost in einem Kriegsverbrecher-Nachfolgeprozess zu 2 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt worden war, wurde Meyer 1956 wieder ordentlicher Professor in Hannover. Am 19. September 1945 wurde Armbruster von der französischen Militärregierung als Gegner des Naziregimes ("Adversaire du Regime Nazi") anerkannt und anschließend als Generalinspekteur für Landwirtschaft in der Französischen Besatzungszone eingesetzt. Seine gesellschaftliche Rehabilitierung erfolgte am 28. August 1957, als auf Vorschlag des Bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner ihm das Verdienstkreuz Erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen wurde. Erst 2007 wurde das NS-Opfer mit einer umfangreichen Dokumentation von Steffen Rückl von der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Geleitwort des Präsidenten der Humboldt-Universität Christoph Markschies „politisch“ vollständig rehabilitiert. Werk. Anfang des 20. Jahrhunderts forschte Armbruster im Edelzuchtgebiet „Platte“ des Imkervereins Sankt Peter. Die Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlichte er in seinem bis heute anerkannten und weltweit ersten Standardwerk der "Bienenzüchtungskunde". Durch die nach England reisenden Schwarzwälder Uhrenhändler kam ein Exemplar seiner Schrift zu dem aus Schwaben stammenden Mönch Bruder Adam, eigentlich Karl Kehrle, in das englische Kloster Buckfast. Bruder Adam war an Armbrusters Arbeiten insbesondere deshalb interessiert, weil die damals in England grassierende Tracheenmilbe nach amtlichen Angaben bis zu 90 Prozent der Bienen weggerafft hatte. Nur nach Kreuzungen mit anderen, fremden Bienenrassen konnten die englischen Bienenstöcke überleben. Bruder Adam begann nach Armbrusters "Bienenzüchtungskunde" zu züchten. Bruder Adams Buckfastbiene ist inzwischen weltweit verbreitet und bei Erwerbs- und Berufsimkern sehr beliebt. Bruder Adam widmete auch sein Hauptwerk "Züchtung der Honigbiene" seinem Inspirator Ludwig Armbruster. Bis heute werden nach Armbrusters "Bienenzüchtungskunde" und seinen späteren Ergänzungen im "Archiv für Bienenkunde" weltweit Bienenrassen widerstandsfähiger gemacht und weitergezüchtet. Armbruster war zwischen 1919 und 1966 Herausgeber des "Archiv[es] für Bienenkunde. Zeitschrift für Bienenwissen und Bienenwirtschaft" in insgesamt 41 Bänden. Dort beschrieb und kommentierte er fast 50 Jahre lang die Weltliteratur der Bienenwissenschaft, so auch beispielhaft die Berufsimkerei von Bruder Adam im Kloster Buckfast als richtungsweisend für wirtschaftliches Imkern in Europa. Die "Internationale Bee Research Association" führt heute dieses Lebenswerk weiter. Für die Hobbyimker im deutschsprachigen Raum hatte er seit 1918 leichte, warme und raumsparende Magazinkästen mit je 9 Waben 20 × 40 cm (Langstroth, Zander), Flugloch und Lüftung im Bodenbrett, sowie Futtereinrichtung als Patent entwickelt. Diese Magazinbetriebsweise wurde von Imker Karl Pfefferle aus Münstertal weiter verbessert und im gesamten deutschsprachigen Raum stark verbreitet. Armbruster richtete 1929 in Berlin die erste Honigprüfstelle ein, nachdem er die biologisch-mikroskopische Honigprüfung erschaffen hatte, eine seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen. Die internationale „Apis-Tagung“ 1929 in Berlin mit fast 300 Teilnehmern war der Höhepunkt in der Geschichte des Berliner Bieneninstituts und machte Armbruster im Ausland bekannt. Forschungsreisen führten ihn durch viele Länder Europas, auch in die USA, nach Ägypten und Palästina. Seine nach ihm benannte bienenkundliche Sammlung auf der Berliner Domäne Dahlem gehört zu den größten und bedeutendsten Deutschlands. Ein weiterer Schwerpunkt waren Fortbildungen und Lehrgänge an der eigenen Hochschule, in der Bienenfarm Gaisberg und beim Imkerverein Berlin-Zehlendorf. Armbrusters große Wertschätzung wurde noch am 21. Februar 1934 bei seinem letzten Vortrag deutlich, als trotz Anwesenheit des Rektors im überfüllten großen Hörsaal der Berliner Universität Armbruster begeistert gefeiert wurde, wobei viele jüdische Zuhörer ihr Leben riskierten. Dies war auch eine wichtige Demonstration für die Freiheit von Forschung und Lehre. Zum 80. Geburtstag von Ludwig Armbruster veröffentlichte 1966 die Imkerzeitschrift "Südwestdeutsche Imker" „Glückwünsche aus aller Welt“ mit Huldigungen von zahlreichen Institutsleitern aus Ost- und Westeuropa, Süd- und Nordamerika. Aus Schweden war es für Institutsleiter Ake Hansson, Leiter der Bienenforschungsstation in Lund „eine große Freude, Dr. Ludwig Armbruster, dem Nestor der Bienenforscher der Welt, meine ehrerbietige Huldigung darzubringen, in die alle schwedischen Bienenzüchter mit einstimmen.“ Armbrusters wissenschaftliche Veröffentlichungen bezeichnete Lund als ein „Monumentum aere perennius“. Im Jahre 1969 wurde Armbruster als bisher erster und einziger deutscher Bienenwissenschaftler auf Vorschlag des Exekutivrates der Weltorganisation für Bienenwissenschaft APIMONDIA zum Ehrenmitglied ernannt. Obwohl solche höchste Würdigungen für ein zu rehabilitierendes NS-Opfer sehr wichtig sind, nannte Karl Dreher, ehemaliger NS-Aktivist, in seinem zweiseitigen Nachruf 1973 auf Ludwig Armbruster die drei höchsten nationalen und internationalen Ehrungen nicht. Er schrieb weiter: „Als er 1946 einen Lehrstuhl in Freiburg bekommen sollte […] fiel das Gutachten von Professor Zander so negativ aus, dass sich die Sache zerschlug und Armbruster weiterhin verbannt und gemieden blieb.“ Dazu der Freiburger Universitätsrektor Wolfgang Jäger 2008: Karl Dreher beanstandete auch die „fanatische Wahrheitsliebe“ von Ludwig Armbruster. Ludwig Armbruster besuchte in den 1950er- und 1960er-Jahren regelmäßig zu Studienzwecken die Freiburger Universität, da ihm die Fortbildung der praktischen Imker am Herzen lag. Mit der Bahn fuhr er von Lindau nach Freiburg, besuchte dort seinen Bruder Karl Armbruster und unterstützte den Imkerverein Freiburg mit praktischen Vorträgen. Die Armbruster-Biografin Irmgard Jung-Hoffmann von der Freien Universität Berlin ist bei Werner Ulrich promoviert worden und beschrieb die zwangsweise Absetzung Armbrusters in der internationalen Fachzeitschrift "Apidologie" 1982 wie eine übliche Ablösung durch den Assistenten mit den Worten: „Am 1. April 1934 wurde Armbruster vorzeitig in den Ruhestand versetzt. […] Werner Ulrich, der zuvor schon Assistent am Institut war, übernahm die Leitung.“ Sie nannte die drei höchsten Ehrungen weder in der 25-seitigen Armbruster-Biografie im Jahrbuch Berlin, noch in weiteren Veröffentlichungen und auch nicht im Vortrag „Ludwig Armbruster“ 1998 in Kassel. Unter der Ehrenschriftleitung von Karl Dreher durfte in den Imkerzeitschriften "Allgemeine Deutsche Imkerzeitung", "Imkerfreund" und "Die Biene" zum 100. Geburtstag nicht an Ludwig Armbruster und sein Lebenswerk erinnert werden. Den praktischen Imkern wurde dieses Lebenswerk, das besonders auch für Erwerbsimker große Bedeutung hat, weitgehend vorenthalten. Diese Imkerzeitschriften veröffentlichten 2010 eine Buchbesprechung zu Armbrusters Buch "Bienenzüchtungskunde". Der Autor kommt abschließend zu folgendem Urteil: Der Deutsche Imkerbund ernannte ihn 1969 zum Ehrenimkermeister, der höchstmöglichen Auszeichnung. Würdigung. Am 30. April 2006 würdigte der niederländische Bienenforscher Job van Praagh in Sankt Peter, Schwarzwald, Armbrusters Beiträge zur modernen Züchtung der Honigbiene. Auch der Rektor der Freiburger Universität Wolfgang Jäger würdigte dort in der Festrede Ludwig Armbruster und erklärte, dass 1934 einem „großen Apiaristen die Forschungsgrundlage entzogen wurde. Die politische und akademische Rehabilitierung könne jedoch nur die Humboldt-Universität Berlin veranlassen, dort sei er als „Judenfreund“ entlassen worden“. Im Jahre 2007 erschien die umfangreiche Dokumentation zu seinem Leben und Werk von Steffen Rückl. Durch diese Dokumentation und das Geleitwort des Präsidenten Christoph Markschies ist Armbruster politisch vollständig rehabilitiert. Die akademische Rehabilitierung durch die Berliner Universität mit Darstellung seines umfangreichen Lebenswerkes und Präsentation der bedeutenden „Armbrustersammlung“ steht jedoch noch aus. Die auch aktuell große Bedeutung von Armbrusters Lebenswerk zeigt sich daran, dass die Imkervertreter Armbruster würdigen. Dies erfolgte durch Reden bei imkerlichen Großveranstaltungen, wie durch Ekkehard Hülsmann, Präsident des Landesverbandes Badischer Imker im Deutschen Imkerbund und Manfred Hederer, Präsident des Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerverbandes 2006 in Sankt Peter sowie Charles Huck, Präsidiumsmitglied der französischen Imkervereinigung "Union Nationale de l’Apiculture Francaise" 2012 in Châtenois. Sein Lebenswerk wurde anlässlich seines 125. Geburtstages beim größten Imkertag Mitteleuropas in Donaueschingen am 22. und 23. Oktober 2011 mit mehreren Vorträgen gewürdigt. Die Bayerische Imkervereinigung e.V. und der Verband Bayerischer Bienenzüchter e.V. vergeben die gemeinsam entworfene Goldene Armbruster-Medaille. Am 17. November 2013 wurde in Weimar die „Prof. Ludwig Armbruster Imkerschule“ gegründet. Die „Prof. Ludwig Armbruster Imkerschule“ vergibt als Auszeichnung für besondere Leistungen für die Imkerschaft die Urkunde „Ehrenschulmeister“. Die erste damit ausgezeichnete Person ist Ekkehard Hülsmann. Rüdiger vom Bruch von der Humboldt-Universität Berlin bestätigt 2015, dass NS-Opfer in der Wissenschaft von NS-Kollegen auch in der Nachkriegszeit beiseite gedrängt wurden. Er berichtet von Netzwerken der NS-belasteten Wissenschaftler und dass die Enkelgeneration keinen Staub auf ihre Lehrer und Vorlehrer fallen lassen wollte. Auch sei die Mehrheit der Widerständler nach dem Krieg in erstaunlich geringem Umfang zu akademischer Wirksamkeit gekommen und andere mussten erleben, wie die früheren Kollegen mit Tricks und sehr merkwürdigen Methoden versuchten, sie von ihren alten Universitäten und Forschungsinstituten fernzuhalten. Steffen Rückl stellt fest, dass die Leiter der wichtigsten Bieneninstitute bis in die 1960er Jahre ehemalige NSDAP-Mitglieder waren, so Karl Dreher (NSDAP-Mitgliedsnummer 2401444), Gottfried Götze (Nr. 4329567), Friedrich Ruttner (Nr. 6360728), Wolfgang Steche (Nr. 7109058). Weder der Deutsche Imkerbund (DIB) noch die meisten Bieneninstitute haben ihre Geschichte während der Zeit des Nationalsozialismus angemessen aufgearbeitet. Nach den höchsten auch internationalen Ehrungen Armbrusters 1969 wurde Karl Dreher als Ehrenschriftleiter der Imkerzeitschriften "Die Biene", "Imkerfreund" und "Allgemeine Deutsche Imkerzeitung" eingesetzt, um Armbruster „unbedeutend zu machen“, indem bis 2004 keine wichtigen Artikel von Armbruster publiziert werden durften. Nicht einmal zum 100. Geburtstag wurde berichtet. Trotz dieser Tricks und merkwürdigen Methoden ist Ludwig Armbruster durch seine Veröffentlichungen in der Nachkriegszeit weiterhin in Wissenschaftskreisen weltbekannt. Nach Armbrusters Tod 1973 wurde für ihn beim Weltkongress APIMONDIA in Argentinien die deutsche Nationalhymne gespielt. 2016 wurde das Ludwig Armbruster Fellowship Program aufgelegt. Es hat die Zusammenarbeit der Freien Universität Berlin und der Hebrew University of Jerusalem in Kooperation mit dem Zoologischen Garten Berlin zur Förderung des Austausches und der Zusammenarbeit im Bereich der Veterinärmedizin, Biologie, Ethik und Geschichte zum Ziel. Schriften (Auswahl). Die vollständige Bibliographie der 419 Veröffentlichungen Ludwig Armbrusters findet sich in "Archiv für Bienenkunde" 33, 1956, S. 47–53.
Jules Renard (* 22. Februar 1864 in Châlons-du-Maine; † 22. Mai 1910 in Paris) war ein französischer Schriftsteller, Romanautor und Journalist. Politisch stand er der Linken nahe. Leben und Werk. Der Sohn eines burgundischen Bauunternehmers wuchs in der wald- und wasserreichen Landschaft auf, die vom Mittelgebirge des Morvan beherrscht wird. Das für das Kind drückende Klima im Elternhaus lässt sich unschwer aus Renards episodenhaftem Roman "Rotfuchs" erahnen, der ihm (1894) zum Durchbruch als Schriftsteller verhalf. Er war bis 1881 Gymnasiast in Nevers, anschließend in Paris. Renards Abitur (1883) war zu schlecht, um sich Chancen für die École normale supérieure ausrechnen zu können. Zudem hatte er sich inzwischen fürs Schreiben und das entsprechende Literatenmilieu erwärmt. Seine erste Buchveröffentlichung 1988 war ein Band mit Novellen. Der hauptstädtische Literaturbetrieb sei ein „Fieberberuf“, in dem man Erfolg habe oder sterbe, schrieb er seiner Schwester. Seinen Vater unterstütze ihn weiter finanziell. Nachdem er 1886/87 seinen Wehrdienst (in Bourges) abgeleistet hatte, hatte er Gelegenheitsarbeiten als Advokatengehilfe und Hauslehrer. Er traf die aus reichem Elternhaus stammende Marie Morneau und zog mit ihr 1888 in ein Pariser Mietshaus ein. Im Folgejahr beteiligt sich Renard als Hauptaktionär an der Gründung der Zeitschrift Mercure de France, die es rasch zu Ansehen brachte. Er lieferte regelmäßig sowohl erzählende wie kritische Beiträge für die Zeitschrift. Erste Romanversuche zeigen dem von Balzac, Flaubert und Zola beeindruckten Renard, dass seine Stärke im Gegensatz zu diesen Vorbildern nicht im Typisieren, sondern in der treffenden Zeichnung des Individuellen liegt. Auch für die „große Form“ und für eine umfangreiche Produktion ist er der falsche Mann. Als das Buch um den kleinen, von seiner Mutter ungeliebten "Rotfuchs" erschien, hatte Renard selber schon zwei Kinder. 1896 mietete er bei Chitry-les-Mines, seinem Heimatort, ein ehemaliges Pfarrhaus, in dem die Familie die Sommer verbrachte. Von "Rotfuchs" kam 1900 eine Bühnenfassung heraus, die es noch im selben Jahr auf 125 Vorstellungen brachte und Renards Ansehen sprunghaft erhöhte. Er schloss Freundschaft mit Autoren wie Edmond Rostand, Tristan Bernard, Alfred Capus und lernte Schauspieler wie Lucien Guitry (1860–1925) und Sarah Bernhardt und den Maler Toulouse-Lautrec kennen. In der Dreyfus-Affäre, die ganz Frankreich aufwühlte, unterschrieb er die Petition für eine Revision des Urteils, die am 15. Januar 1898 in "Le Temps" erschien. In seinem Heimatort wurde er 1904 zum Bürgermeister gewählt. Er unterhielt Beziehungen zu den Pariser Sozialisten Jean Jaurès und Léon Blum. 1907 wurde er in die Académie Goncourt aufgenommen. Renard litt zeitlebens an Migräne und mit zunehmendem Alter nahmen seine depressiven Verstimmungen zu. Renard fühlte sich schon mit dreißig Jahren erschöpft und verbraucht. Dazu kam eine Reihe von Todesfällen in der Familie: Sein Bruder Maurice starb im Alter von erst 28 Jahren, der Vater erschoss sich 1897, die Mutter ertrank 1909 in einem Brunnen, es ist nicht geklärt, ob es ein Unfall oder Absicht war. Im selben Jahr erlitt er einen Herzinfarkt und starb im folgenden Mai im Alter von 46 Jahren. Tagebuch. Sein Tagebuch oder Journal, ungewöhnlicher „Knappheit und Prägnanz“ verpflichtet und von daher eher eine umfangreiche Sammlung von Aphorismen, gilt allgemein als Renards Hauptwerk. Es wurde unter anderem von Autoren wie André Gide, Kurt Tucholsky, Jean-Paul Sartre, Samuel Beckett und Somerset Maugham hoch geschätzt. Sartre sah sich gar einer "Literatur des Schweigens" gegenüber. Es fehlt diesem „Schweigen“ aber nicht an Komik, ja Gelächter. Winfried Engler weist darauf hin, es gelinge Renard bemerkenswert gut, „banale Ereignisse aus ironischer Distanz so darzustellen, daß sie interessant erscheinen“. Am 18. Februar 1901 trägt Renard ein: "Ich habe noch nicht einmal das Glück gehabt, einen Zug zu verpassen, der verunglückt wäre."
Die Richtlinie 2008/98/EG vom 19. November 2008 über Abfälle (inoffiziell "Abfallrahmenrichtlinie") macht als Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft den Mitgliedsstaaten Vorgaben für politische Maßnahmen zum Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft und dabei insbesondere für ihre Abfallgesetzgebung. Damit sollen zum Schutze von Umwelt und menschlicher Gesundheit „die schädlichen Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen vermieden oder verringert, die Gesamtauswirkungen der Ressourcennutzung reduziert und die Effizienz der Ressourcennutzung verbessert“ und so auch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU abgesichert werden. Entwicklung. Sie ersetzt die vorige Abfallrahmenrichtlinie, die seit 1975 gültige Richtlinie 75/442/EWG mit ihrer kurz gültigen Neufassung durch die Richtlinie 2006/12/EG, sowie die Richtlinien 75/439/EWG (über die Altölbeseitigung) und 91/689/EWG (über gefährliche Abfälle), die sie zum 12. Dezember 2010 aufgehoben hat. Eine neue Abfallrahmenrichtlinie war unter anderem nötig, um bislang in der Praxis umstrittene Schlüsselbegriffe wie Abfall und Nebenprodukte, Verwertung und Beseitigung bzw. "Abfälle zur Verwertung" / "Abfälle zur Beseitigung" zu klären und die Abfallverwertung zu stärken (siehe Erwägungsgrund 8). Die Einbeziehung von Festlegungen zur Altölbeseitigung und über die Einstufung gefährlicher Abfälle sollte zur Vereinfachung und Vereinheitlichung beitragen (Erwägungsgründe 43 und 44). Änderungsrichtlinie (EU) 2018/851. Weitere Ziele hin zur Kreislaufwirtschaft setzt die Richtlinie (EU) 2018/851 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Abfallrahmenrichtlinie, die die Mitgliedstaaten bis 5. Juli 2020 durch entsprechende Rechts- und Verwaltungsvorschriften umzusetzen haben. So verlangt sie etwa Maßnahmen zur stufenweisen Steigerung der Recyclingquote bei Siedlungsabfällen auf 55 Gewichtsprozent bis 2025 und 65 % bis 2035, das getrennte Sammeln auch von Textilien bis 1. Januar 2025 und den "selektiven Abbruch" von Bauten und verschärfte die Regeln, unter denen vom seit 2015 geltenden Grundsatz des getrennten Sammelns von (mindestens) Papier, Metall, Kunststoffen und Glas abgewichen werden darf. Definitionen und Geltungsbereich. Die Abfallrahmenrichtlinie definiert für ihre Zwecke Begriffe wie Abfall, gefährlicher Abfall, Bioabfall, Vermeidung, Wiederverwendung, Behandlung, Verwertung, Vorbereitung zur Wiederverwendung, Recycling und Beseitigung. Die „Vorbereitung zur Wiederverwendung“ umfasst zum Beispiel die Reinigung und Reparatur von Abfällen; Recycling (= stoffliche Verwertung, einschließlich Aufbereitung organischer Materialien) ist höherwertig als energetische Verwertung (vor 2010 wurden beide als gleichwertig angesehen). Zum Abfallbegriff wird der des Nebenprodukts abgegrenzt und auch das Ende der Abfalleigenschaft ist erklärt. Für die Praxis ist das wichtig, da Nebenprodukte und Produkte, die nicht mehr als Abfall gelten, nicht dem oft stärker regulierten Abfallrecht unterliegen. „Nebenprodukte“ fallen in der Produktion an, ohne dass deren Hauptziel darauf gerichtet ist, können nach Verarbeitung mit normalen industriellen Verfahren verwendet werden und müssen den bestehenden Produktanforderungen sowie Umwelt- und Gesundheitsschutzanforderungen genügen (Artikel 5). Ein „Ende der Abfalleigenschaft“ ist erreicht, wenn nach einem Verwertungsverfahren ein verwendungsfähiges Produkt vorliegt, für das es einen Markt gibt und das die bestehende Anforderungen an das Produkt einhält. Die Richtlinie gilt nicht für gasförmige Ableitungen, radioaktive Abfälle, ausgesonderte Sprengstoffe, Fäkalien, Abwässer, tierische Nebenprodukte (es sei denn, diese sind zur Verbrennung, Lagerung auf einer Deponie oder Verwendung in einer Biogas- oder Kompostieranlage bestimmt), Körper von Tieren, die nicht durch Schlachtung zu Tode gekommen sind und Abfälle aus mineralischen Ressourcen (Artikel 2), die in anderen Rechtsvorschriften geregelt sind. Im Kollisionsfall tritt sie hinter der Richtlinie 2019/904/EU über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt zurück (Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2019/904/EU). Abfallhierarchie. Die Richtlinie baut das Ideal einer Kreislaufwirtschaft vor Augen auf den Grundgedanken folgender Prioritätenrangfolge auf, an der sich auch die Mitgliedsstaaten orientieren sollen: Abfallvermeidung. Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen erlassen, den Herstellern von Erzeugnissen eine erweiterte Verantwortung für die Vermeidung, das Recycling oder die sonstige Verwertung von Abfällen zu übertragen (Artikel 8). Dazu gehört zum Beispiel die Rücknahme von Erzeugnissen und die anschließende Verwertung der Abfälle, die Entwicklung mehrfach verwendbarer oder langlebiger Erzeugnisse sowie die Entwicklung von leicht recyclingfähigen Produkten. Bis Ende 2011 muss die Europäische Kommission einen Bericht über die Entwicklung der Abfallvermeidung und eine Produkt-Ökodesign-Politik vorlegen, mit der gegen das Entstehen von Abfällen vorgegangen wird. Bis Ende 2014 muss sie Zielvorgaben für bis 2020 zu erreichende Ziele zur Abfallvermeidung vorlegen. Die Mitgliedstaaten müssen bis 12. Dezember 2013 Abfallvermeidungsprogramme erstellen, in denen sie Abfallvermeidungsziele festlegen (Artikel 29). Beispiele für Abfallvermeidungsmaßnahmen sind in Anhang IV der Richtlinie aufgeführt (z. B. Förderung der Entwicklung weniger abfallintensiver Produkte, Förderung von Ökodesign, Förderung anerkannter Umweltmanagementsysteme). Auch zur Reduktion und besseren Beherrschbarkeit von Gefahrstoffen im Abfall müssen Lieferanten von Erzeugnissen im Sinne des Chemikalienrechts ab 21. Januar 2021 Informationen über besonders besorgniserregende Stoffe darin der ECHA zur Verfügung stellen. Diese soll dann Abfallbehandlungseinrichtungen und auf Anfrage auch Verbrauchern Zugang zu dieser Datenbank (SCIP-Datenbank) geben. Wiederverwendung und Recycling. Die Mitgliedstaaten müssen Maßnahmen zur Wiederverwendung von Produkten und zur Förderung eines qualitativ hochwertigen Recyclings ergreifen. Die Wiederverwendung kann zum Beispiel durch Reparaturnetze, wirtschaftliche Instrumente oder quantitative Ziele gefördert werden, das Recycling durch getrennte Sammlung von Abfällen. Die getrennte Sammlung zumindest von Papier, Metall, Kunststoffen und Glas musste bis 2015 in den Mitgliedstaaten eingeführt werden, falls dies technisch, ökologisch und ökonomisch durchführbar sei. Ende 2020 sind bestimmte Recyclingquoten (zum Beispiel 50 Gewichtsprozent für Papier, Metall, Kunststoffe, Glas aus Haushaltsabfällen und ähnlichen Quellen und 70 Prozent für Bau- und Abbruchabfälle) zu erreichen und für die nächsten Jahre ist deren Steigerung das Ziel. Auch die getrennte Sammlung von Bioabfällen zum Zweck der Kompostierung und Vergärung soll von den Mitgliedstaaten gefördert werden (Artikel 22). Verwertungsverfahren sind in Anhang II der Richtlinie aufgeführt (z. B. Rückgewinnung von Metallen oder deren Verbindungen, Regeneration von Säuren und Basen, erneute Ölraffination oder Verwendung als Brennstoff, wobei die "Energieeffizienz" der Verbrennungsanlage darüber entscheidet, ob diese Abfallverbrennung energetische Verwertung oder Beseitigung ist.) Abfallbeseitigung. Abfälle, die nicht wiederverwertet, stofflich, energetisch oder anders verwertet werden können, müssen Verfahren der "unbedenklichen Beseitigung" unterzogen werden, also ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit und ohne Schädigung der Umwelt. Eine nicht abschließende Liste mit Beseitigungsverfahren enthält Anhang I der Richtlinie, so etwa die Ablagerung (z. B. in einer Deponie), die Dauerlagerung (z. B. Lagerung von Behältern in einem Bergwerk) oder das Verbrennen. Abfallbewirtschaftung. Verantwortlich für die Abfallverwertung oder -beseitigung ist der Abfallerzeuger/-besitzer, der sie durch ein (privates oder öffentliches) Unternehmen durchführen lassen kann (oder muss); es sei denn, die Verantwortung ist von den Mitgliedstaaten im Einzelfall anders festgelegt worden (Artikel 15). Die Kosten trägt gemäß dem Verursacherprinzip immer der Erzeuger oder Besitzer (Artikel 14). Mitgliedstaaten müssen Regelungen treffen, dass gewerbsmäßig eingesammelte Abfälle nur in Abfallbehandlungsanlagen geliefert werden, die die Anforderungen des Gesundheits- und Umweltschutzes einhalten (Artikel 15). Besondere Maßnahmen sind bei der Bewirtschaftung gefährlicher Abfälle zu erfüllen (Überwachung, Verbot der Vermischung, Kennzeichnung; Artikel 17–19); Altöl muss ebenfalls getrennt gesammelt werden (Artikel 21). Anlagen und Unternehmen, die Abfälle verwerten oder beseitigen, müssen registriert werden und brauchen in den meisten Fällen eine Genehmigung (Artikel 25, 26). Die Anlagen müssen regelmäßig durch die zuständigen Behörden inspiziert werden (Artikel 34). Nationale Umsetzung in Deutschland. In Deutschland dienen vor allem Bestimmungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes der Umsetzung der Richtlinie. Zur Bestimmung gefährlichen Abfalls verweist etwa die Abfallverzeichnisverordnung (AVV) auf ihren Anhang III. Der Regelung der durch die Richtlinie vorgegebenen Getrenntsammlung von Altöl dient die Altölverordnung. Weitere relevante EU-Richtlinien zum Abfallrecht. Die Abfallrahmenrichtlinie wird durch eine Reihe weiterer Richtlinien ergänzt, unter anderem durch:
Karl Walser (* 8. April 1877 in Biel/Bienne; † 28. September 1943 in Bern) war ein Schweizer Maler, Bühnenbildner und Illustrator. Sein Werk war zunächst stark am Symbolismus orientiert, später entwickelte es sich – ganz im Sinne des Zeitgeistes – hin zu einer heroisierenden Körperverehrung. Seine Kunst, die ihm zu Lebzeiten grosse Anerkennung einbrachte, liess ihn nach seinem Tod in Vergessenheit geraten, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder Robert Walser, dessen Rezeption sich umgekehrt entwickelt hat. Leben und Werk. Karl Walser, einer der älteren Brüder des Schriftstellers Robert Walser, begann eine (nicht abgeschlossene) Lehre als Bauzeichner. Von 1894 bis 1896 machte Walser bei August Kämmerer in Stuttgart eine Lehre als Dekorations-Maler und besuchte hier die "Künstlerschule". Ein Stipendium ermöglichte es Walser, sein Studium an der Kunstgewerbeschule in Straßburg fortzusetzen. 1898 lernte er Marcus Behmer kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Beide verehrten die Werke von Aubrey Beardsley. Im gleichen Jahr arbeitete Walser für drei Monate in München für den Dekorationsmaler Adolf Lentner. Anschliessend entschied sich Walser für eine eigenständige Künstlerlaufbahn in Berlin und arbeitete ab 1901 als Bühnenbildner und Buchgestalter für den Verlag von Bruno Cassirer. In Berlin wurde er Mitglied in der Berliner Secession und freundete sich mit ihrem Leiter Max Liebermann an. Weitere Freundschaften entstanden zu Lovis Corinth und Max Slevogt. Mit seinen Darstellungen zu Salome an der Ausstellung "Zeichnende Künste" von 1902 gelang Walser der künstlerische Durchbruch. Ab 1903 arbeitete er als Bühnenbildner u. a. für das Theater am Schiffbauerdamm mit Max Reinhardt zusammen und begann Bücher seines Bruders Robert zu illustrieren. Die beiden Brüder bewohnten zu jener Zeit gemeinsam eine Atelierwohnung in Berlin-Charlottenburg. Im Jahr 1910 heiratete Karl Walser die aus Ostpreußen stammende Hedwig Agnes Czarnetzki (1885–1987). Ab 1911 fertigte er Wandmalereien u. a. in der Villa Gans (Königstein) für Hugo Cassirer und Walther Rathenau an sowie für das neu erbaute Palais von Paul Mendelssohn-Bartholdy, wo er das Treppenhaus mit Fresken ausmalte. Ein Mäzen finanzierte ihm 1908 eine Reise nach Japan. In Zusammenarbeit mit Bernhard Kellermann entstanden daraus die Bände "Spaziergang in Japan" (1910) und "Sassa yo Yassa." "Japanische Tänze" (1911), die Karl Walser gestaltete bzw. illustrierte. Ab 1917 lebte er wieder in der Schweiz, wo er an Fresken und Radierungen arbeitete (z. B. im Haus zur Geduld in Winterthur). In den folgenden Jahren arbeitete er weiter für das Theater. 1921 ging er nach Berlin zurück und wurde Vorstandsmitglied der Freien Secession. Karl Walser war auch Mitglied im Deutschen Künstlerbund. Ab 1925 lebte Walser mit seiner Frau hauptsächlich in Twann am Bielersee. 1927 wurde er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. In den Folgejahren nahm er an zahlreichen Ausstellungen teil und verfertigte eine Reihe von Wandmalereien, u. a. für das Amtshaus in Zürich, den Eingangsbereich des Kunst Museum Winterthur – Reinhart am Stadtgarten. Für das von Martin Bodmer 1924 erworbene Muraltengut konnte Walser verschiedene Wandgemälde anfertigen. Im "Haus Forster" von Gustav Adolf Tobler, Professor für angewandte Elektrizität an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), malte Walser von 1930 bis 1931 das Speisezimmer aus. Für das Stadttheater Bern vollendete Walser 1941 die ersten zwei Bilder des Zyklus "Musik und Tanz". 1941 malte er die "Badeszenen" im Hallenbad City in Zürich. 1942 bekam er den Auftrag für ein Wandmalerei des Grossratssaal im Berner Rathaus, das er in nur zwei Monate schuf. 1943 begann Walser mit dem dritten Wandbild "Tragödie" für das Stadttheater Bern. Walser erkrankte in dieser Zeit schwer und musste zur Pflege in das Salem-Spital. Wenn es ihm besser ging, fuhr er in das Theater, um weiter zu arbeiten. Nach der Fertigstellung des Wandbildes kehrte Walser in seinen Wohnort Glion zurück. Im Herbst 1943 erlag Karl Walser einem Herzleiden. Er wurde auf dem Schosshaldenfriedhof in Bern beerdigt. Den Nachruf für Walser hielt Adolf Tièche. Von 1905 bis 1943 schuf Walser nicht weniger als 32 Wandbilder in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Von 1933 bis 1937 entwarf er die Schutzumschläge für die Gesammelten Werke von Thomas Mann im S. Fischer Verlag. Seine Beziehung zum Bruder Robert war zunehmend belastet. Mit seinem älteren Bruder, dem Professor für Humangeographie Hermann Walser, kam er nur widerwillig für den langen Klinikaufenthalt des mittellosen Schriftstellers auf, den er als Künstler kaum ernst nahm. Weite Teile insbesondere seines frühen Werkes gelten als verschollen. Das NMB Neues Museum Biel zeigt einige seiner bekanntesten frühen Arbeiten in der Dauerausstellung.
Die 21. Parlamentswahl in Südkorea fand am 15. April 2020 statt. Die südkoreanische Bevölkerung stimmte dabei über die Zusammensetzung der südkoreanischen Nationalversammlung (Gukhoe) mit 300 Sitzen ab. 253 Abgeordnete wurden direkt in einfacher Mehrheitswahl in den Wahlkreisen gewählt, 47 im Proporzverfahren über Parteilisten. Etwa 44 Millionen Menschen waren zur Wahl aufgerufen. Darunter befanden sich um die 170.000 im Ausland lebende Südkoreaner. Hintergrund. Die Wahl wurde als das erste ernsthafte Aufeinandertreffen von Moon Jae-ins Deobureo-minju-Partei (DMP) und der neugegründeten konservativen Oppositionspartei Mirae-tonghap-Partei (MTP) gesehen. Wegen ihrer Bedeutung und aufgrund des Zeitpunktes der Durchführung wurde die Parlamentswahl mit den Halbzeitwahlen in den Vereinigten Staaten verglichen. Zusätzlich stand die Wahl auch im Zeichen der Politik zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie in Südkorea. Wahlrechtsreform. Die Wahl war die erste seit einer oftmals als äußerst kompliziert bezeichneten Wahlrechtsreform. 253 der 300 Sitze wurden weiterhin nach relativer Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen vergeben, die übrigen über nationale Parteilisten. Während aber zuvor alle 47 verbleibenden Sitze proportional unter den Parteien mit mindestens 3 % der Stimmen landesweit vergeben wurden, war dies nun nur noch bei 17 Sitzen der Fall. Die restlichen 30 Sitze wurden als Ausgleichsmandate Parteien zugeteilt, die wenig Sitze gemessen an in ihrem Stimmenanteil erhalten haben. Parteien mit relativ vielen Direktmandaten erhielten keine dieser Ausgleichsmandate. Um doch Ausgleichsmandate erhalten zu können, traten die beiden größten Parteien bei der Listenwahl pro forma mit sogenannten „Satellitenparteien“ an. Das Wahlalter wurde im Vorfeld von 19 auf 18 Jahre reduziert. Durchführung. Parteien. Die Gründung einer politischen Partei in Südkorea erfordert die Rekrutierung von mehr als 1000 Parteimitgliedern in fünf Städten oder Provinzen des Landes. Aufgrund der massiven und teilweise als schnell und unübersichtlich empfundenen Parteineugründungen und -zusammenschlüsse wurde schnell Kritik an dieser Praxis laut, da sich zu viele Optionen auf den Stimmzetteln auch negativ auswirken könnten. Insgesamt haben sich beinahe 50 Parteien für die Wahl bei der nationalen Wahlkommission registrieren lassen. Viele Kleinparteien gingen dazu über, ähnliche Parteinamen oder gar Namen früherer Parteien (wie Saenuri oder Hannara) erneut zu benutzen. Zudem entbrannte vor der Wahl ein Kampf bei der Auswahl der Parteifarben. Aufgrund des komplizierten südkoreanischen Wahlsystems, welchem die zuvor erwähnte kurzfristige Änderung, die kleinere Parteien begünstigt, vorausging, entsenden beide Großparteien Schwesterparteien in die Wahl, um bei dieser nicht Gefahr zu laufen, Sitze unnötigerweise zu verlieren. Für die Deobureo-minju-Partei treten die Yeollin-minju-Partei sowie die Deobureo-shimin-Partei und für die Mirae-tonghap-Partei die Mirae-hanguk-Partei an. Das Logo der DSP erinnert zudem sehr stark an das der DMP, was den Satellitenstatus und Zweck der Partei noch weiter unterstreicht. Besonders innerhalb des Regierungslagers wurde der Schritt zur Etablierung derartiger Satellitenparteien als kritisch gesehen, da man einen Vertrauensentzug seitens der Bevölkerung befürchtete. Die mit 20 Sitzen in der Nationalversammlung drittgrößte Partei stellte bis zur Wahl die Minsaeng-Partei (Partei für den Lebensunterhalt der Menschen) dar. Diese entstand Ende Februar 2020 im Hinblick auf die Wahlen als Zusammenschluss der Bareun-mirae-Partei, der Daean-shin-Partei und der Minju-peyonghwa-Partei. Die Jeongui-Partei unter Sim Sang-jung verfügte nach diversen Abgängen vor der Wahl über lediglich noch sechs Sitze in der Gukhoe. Ihr werden wie der grünen Noksaek-Partei kaum ernsthafte Chancen für die Wahl ausgerechnet. Ahn Cheol-soo, der nach seiner gescheiterten Kampagne in der Präsidentschaftswahl in Südkorea 2017 in die südkoreanische Politik zurückkehrte, erklärte Ende Februar 2020, dass seine neugegründete Gungminui-Partei nicht in den 253 Wahlkreisen, in denen das Mehrheitswahlrecht gilt, mit eigenen Kandidaten antreten wird. Dieser Schritt wurde als Begünstigung für die Mirae-tonghap-Partei angesehen. Teile von nordkoreanischen Flüchtlingen in Südkorea gründeten Anfang März 2020 eine eigene Partei, um mit dieser bei den Wahlen anzutreten. Die "Nambuk-tongil-Partei" gilt als rechtsextrem und vehement antikommunistisch. Aufgrund ihrer Vision, alle Nordkoreaner zu befreien, ist davon auszugehen, dass die Partei einen militärischen Erstschlag gegen das von Kim Jong-un geführte Regime befürworten würde. Bei mehreren pro-Park Geun-hye Gruppierungen wie der Uri-Gonghwa-Partei um Cho Won-jin, der Chin-Park-shin-Partei (Neue Pro-Park-Partei) von Hong Moon-jong und der evangelikalen Gidok-jayu-tongil-Partei war lange Zeit unklar ob diese Parteien alleine oder in einer Allianz zur Wahl antreten werden. Sie traten letztendlich alleine an. Park Geun-hye selbst meldete sich im Vorfeld der Abstimmung aus dem Gefängnis mit einem handgeschriebenen Brief zu Wort und sprach sich für die Wahl der Mirae-tonghap-Partei aus. Sie rief zudem die anderen rechtsgerichteten Parteien auf sich mit der MTP zu vereinigen. Während der Parteivorsitzende Hwang sich erfreut über Parks Geste zeigte, wurde ebenso Kritik daran laut, da Parks erneute Einmischung in die südkoreanische Tagespolitik als unangemessen empfunden wurde und sich negativ auf die Bemühungen moderate Wähler in das konservative Lager zu führen, auswirken könnte. Darüber hinaus verfügte vor der Wahl auch die linke Minjung-Partei über einen Sitz in der Nationalversammlung. Die neugegründete Yeoseongui-Partei ("Partei der Frauen") fokussierte ihren Wahlkampf auf feministische Positionen und setzte sich zum Ziel das mutmaßliche Patriarchat in der koreanischen Gesellschaft zu überwinden. Wahlkampfthemen. Kandidaten durften ihre offizielle Wahlkampagnen ab dem 2. April 2020 beginnen. Aufgrund dessen, dass Südkorea eines der am stärksten betroffenen Staaten inmitten der COVID-19-Pandemie ist, wurde ein Großteil des Wahlkampfes durch diese bestimmt. Jeder Wähler war verpflichtet am Tag der Stimmabgabe Handschuhe und Schutzmasken zu tragen. Der Vorsitzende der südkoreanischen Wahlkommission Kwon Soon-il hat die Bürger des Landes dazu aufgerufen, trotz der aktuellen Umstände wählen zu gehen. Da die Krise die üblichen Streitfragen der südkoreanischen Tagespolitik wie etwa zu dem Fortschritt der Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel oder den Umgang mit Park Geun-hye überschattet hat, haben rivalisierende Parteien den Schwerpunkt ihrer Wahlstrategie darauf verlagert, wie sie auf den Ausbruch des Virus reagieren sollten. Die Regierungspartei DMP forderte die Wähler auf, die Bemühungen der Regierung zur Bekämpfung des Coronavirus und zur Minimierung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu unterstützen. Sie forderte daher die Aufstockung des zusätzlichen Budgets im Wert von 11,7 Billionen Won (in etwa 9,61 Milliarden US-Dollar) um weitere 6 Billionen Won. Die DMP setzt sich zudem für den Ausbau von kostenlosem WLAN ein und möchte bis zum Jahr 2022 53.000 zusätzliche WLAN-Standorte im ganzen Land schaffen. Darüber hinaus wurde angekündigt, eine Million Haushalte mit Wohnraumfinanzierungen zu versorgen und gleichzeitig die Finanzierung für den Kauf von Eigenheimen durch die Bereitstellung von Hypotheken mit Gewinnbeteiligung, ausschließlich für junge und kürzlich verheiratete Menschen zu erweitern. Die größte Oppositionspartei MTP hob unterdessen das Versäumnis der Regierung hervor, das Coronavirus in der frühen Phase des Ausbruchs einzudämmen. Konservative Politiker haben die Zurückhaltung der Regierung verurteilt, ein Einreiseverbot für Chinesen zu verhängen und kritisierten die ihrer Meinung nach mangelhafte Verteilung von Gesichtsmasken an die Bürger des Landes. Darüber hinaus möchte die MTP die Abschaffung des Ministeriums für öffentliche Angelegenheiten erreichen und den Ausbau der Kernenergie in Südkorea forcieren. Die MTP möchte die Vorschriften für die Sanierung und den Wiederaufbau alter Wohnungen lockern, um viele Häuser in Gebieten zu errichten, in denen ein Wohnungsmangel herrscht. Zusätzlich sollen die Hypothekenvorschriften gelockert werden, damit die Menschen problemlos Häuser kaufen können. Die Steuerbelastung der Mittelschicht soll nach Meinung der MTP durch die Anpassung der Standards für hochpreisiges Wohnen verringert werden und man möchte das Angebot von Wohnraum für junge und frisch verheiratete Paare erweitern. Nachdem der ehemalige Arzt und nunmehrige Politiker Ahn Cheol-soo selbst an vorderster Front in der schwer betroffenen Stadt Daegu gegen das Virus ankämpfte, gewann seine Partei entschieden an Zustimmung in politischen Meinungsumfragen. Die Jeongui-Partei möchte, dass jedem jungen Mann im Alter von 20 Jahren ein Startvermögen von 30 Millionen Won zur Verfügung gestellt wird. Bis zu 50 Millionen Won könnten es laut der Partei in Abwesenheit von Eltern werden. Die Partei möchte ein Verbot für hochrangige Regierungsbeamte, mehrere Häuser zu besitzen erreichen. Die JP kündigte die Einführung eines Höchstlohnsystems zur Beseitigung der Lohnungleichheit an. Darüber hinaus soll das Gehalt der führenden Politiker auf das Fünffache des Mindestlohns, der Höchstlohn in öffentlichen Einrichtungen auf das Siebenfache des Mindestlohns und der Höchstlohn in privaten Unternehmen auf das 30-fache des Mindestlohns begrenzt werden. Auch die Gründung von Satellitenparteien für die Wahl wurde von der JP verurteilt. Die Partei reichte eine Klage gegen die Mirae-hanguk-Partei ein und wollte deren Annullierung erreichen. Diese wurde jedoch von einem Gericht in Seoul abgewiesen. Die Minsaeng-Partei forderte die Regierung auf, die Wahlen im Angesicht der Corona-Pandemie zu verschieben. Mehrere Kandidaten aus allen Lagern mussten aufgrund einer eigenen Erkrankungen oder aufgrund der Erkrankung von Wahlkampfhelfern ihrer Kampagnen vorübergehend einstellen. Zudem wurde verfügt, dass gemäß Artikel 38 des Gesetzes für öffentliche Wahlen Menschen mit eingeschränkter Mobilität aufgrund von Behinderungen oder Personen, die in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Haftanstalten leben, von ihrem Aufenthaltsort aus wählen dürfen, anstatt Wahllokale zu besuchen. Die nationale Wahlkommission erklärte, dass dieses Gesetz auch für Wähler mit COVID-19 anwendbar ist. Die Uri-Gonghwa-Partei würde den Mindestlohn für fünf Jahre einfrieren und die 52-Stunden-Arbeitswoche abschaffen. Die Partei möchte Ölsteuern abschaffen und die Unternehmenssteuern senken. Sie macht sich für den Ausbau der Kernenergie um 50 Prozent stark und möchte die Steuern auf Strom senken. Die Partei möchte die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, Hongkong und Taiwan stärken. Gleichzeitig möchte die UGP die Denuklearisierung Nordkoreas erreichen. Besondere Vorkommnisse. Die Mirae-tonghap-Partei schloss Kim Dae-ho, ihren Kandidaten für den Sitz A im Seouler Stadtteil Gwanak-gu, aus der Partei aus, nachdem er sich negativ über Menschen der Altersgruppe 30 bis 40 geäußert hatte. Diese würden laut Kim die konservative Partei nicht unterstützen, weil sie nicht wüssten, wie das Land aufgebaut worden sei, und bereits an einen modernen Lebensstil gewohnt wären. Zwei Tage vor der Wahl schloss die MTP außerdem Cha Myong-jin, einen zweimaligen Abgeordneten der Gukhoe und Kandidaten für den Sitz C in der Stadt Bucheon aus, da er sich abfällig über Opferfamilien der Sewol-Katastrophe geäußert hatte. Kandidaten. Insgesamt traten 1118 Kandidaten, darunter fast 60 ehemalige Berater und Mitarbeiter des Präsidialamts und der Regierung in den Wahlen an. Dieser Wert gilt als ungewöhnlich hoch. Darüber hinaus machten männliche Kandidaten 81 Prozent der Gesamtzahl aus, Frauen hingegen lediglich 19 Prozent. Für die MTP bewarb sich mit Thae Yong-ho ein übergelaufener, ehemaliger nordkoreanischer Diplomat im Seouler Gangnam-gu um einen Sitz in der Gukhoe. Dies wurde als Beweis dafür gesehen, dass nordkoreanische Flüchtlinge zunehmend Akzeptanz in der südkoreanischen Gesellschaft finden. Dieser Schritt wurde jedoch von Politikern des Regierungslagers wie dem Politveteranen Kim Chong-in auch kritisiert, da Thae vorgeworfen wurde keinerlei Verbindungen nach Südkorea aufzuweisen außer seinem Überläuferstatus. Zudem bezeichnete Kim Thaes Nominierung als „nationale Schande“. Thae wurden gute Chancen auf die Erlangung eines Mandates eingeräumt. Der Sitz wurde seit drei Jahrzehnten von konservativen Politikern gehalten und in einer Umfrage lag er mit 42,6 % zu 33,7 % vor seinem Rivalen Kim Sung-kon. Kim Chong-in wechselte kurz darauf selbst ins Lager der MTP. Thae gewann den Sitz. Yoo Seong-min, der nach langem Hin und her mit Hwang letztendlich die Gründung einer vereinigten konservativen Oppositionspartei mittrug trat nicht erneut für einen Sitz an. Hong Jun-pyo strebte ursprünglich an, sich in Gyeongsangnam-do um einen Sitz zu bewerben zog seine Intentionen jedoch zurück, nachdem die MTP ihn in der Sudogwon-Region nominieren hätte wollen. Er bewarb sich stattdessen als Unabhängiger für den Sitz B des Suseong-gus von Daegu. Hong gewann seinen Sitz. Prestigeträchtige Aufeinandertreffen. In einigen Wahlkreisen kam es zu besonders prestigeträchtigen Aufeinandertreffen von etablierten Politikern. Diese Wahlkämpfe fanden zum Teil auch in westlichen Medien große Beachtung. Im Jongno-gu der Hauptstadt Seoul trafen gleich zwei ehemalige Premierminister aufeinander. Lee Nak-yeon, der zwischen 2017 und 2020 als 45. Premierminister des Landes amtierte trat dabei für die Regierungspartei Deobureo-minju-Partei an und traf auf Hwang Kyo-ahn, den Parteivorsitzenden der größten Oppositionspartei und 44. Premierminister von Südkorea. Hwang amtierte zudem als interimistischer Präsident der Republik nach dem Rücktritt von Park Geun-hye. Hwangs Antreten in Jongno galt lange Zeit als unsicher. Lee werden zudem eigene Ambitionen auf die Präsidentschaft nachgesagt. Der "Kampf um Jongno" gilt insofern als besonders bedeutend, da gleich drei der ehemaligen Repräsentanten dieser Entität später Präsident Südkoreas wurden: Yun Bo-seon, Roh Moo-hyun und Lee Myung-bak. Auch Lee Nak-yeons Nachfolger im Amt des Premierministers Chung Sye-kyun vertrat diesen Wahlkreis. Lee wurden bessere Chancen auf die Erlangung des Sitzes eingeräumt. So führte er in einer Umfrage gegen Hwang mit 55,1 % zu 34,5 %. Lee gewann den Sitz. Im Sitz B des Seouler Gwangjin-gu trat der ehemalige Bürgermeister der Millionenmetropole, Oh Se-hoon (Mirae-tonghap-Partei) gegen die ehemalige Fernsehmoderatorin des Korean Broadcasting Systems und Regierungssprecherin Moon Jae-ins Ko Min-jung an. Der Sitz wurde mit einer Unterbrechung von vier Jahren für insgesamt 20 Jahre von der nunmehrigen Justizministerin des Landes Choo Mi-ae vertreten. Oh wurden anfänglich geringfügig bessere Chancen auf den Sieg eingeräumt. Beide führten einen auf die jüngeren Wähler fokussierten Wahlkampf. Oh versprach etwa, dass er ein "Hilfszentrum" für diejenigen bauen würde, die alleine in Studio-Apartments oder Multiplex-Wohneinheiten leben, um dort einen Paketempfangsservice anbieten zu können. Ko gab an, dass sie eine Lebensgemeinschaftsplattform namens "Gwangjin One Town" für Alleinstehende bauen würde, die gemeinsame Räume wie eine Küche, eine Garage und eine Online-Plattform bieten würde, auf der Menschen Informationen austauschen könnten. Oh wird von progressiver Seite scharf kritisiert, was dazu führte, dass er Wahlkampfauftritte abbrechen musste. Zudem wird er der illegalen Wahlkampffinanzierung beschuldigt. Letztendlich gewann Ko den Sitz. Im Sitz B des Seouler Dongjak-gu traf die langjährige konservative Abgeordnete, ehemalige Fraktionsvorsitzende und ehemalige Richterin Na Kyung-won auf die progressive Richterin Lee Soo-jin, welche von der Regierungspartei entsendet wurde. Beide werden aufgrund ihrer ähnlichen persönlichen Hintergründe als Absolventinnen der Seoul National University und als Richterinnen als idente Kandidatinnen gesehen, welche sich lediglich in ihrer politischen Einstellung unterscheiden. Beide machten zudem während großer politischer Krisen auf sich aufmerksam. Lee galt als vehemente Kritikerin des ehemaligen Vorsitzenden Richters des Obersten Gerichtshofs von Südkorea Yang Sung-tae, der in der Affäre um Park Geun-hye ins Zwielicht geriet; Na führte die Kritiker rund um den skandalumwitterten ehemaligen Justizminister der Moon-Regierung Cho Kuk an. Umfragen sahen Lee gegenüber Na im Vorteil und gaben ihr gute Chancen die langjährige Politikerin aus dem Amt drängen zu können. Am 26. März 2020 meldeten die beiden Kandidatinnen ihre Kandidatur offiziell an. Wenige Tage vor der Wahl verkündete Oh Se-chan der Kandidat der Uri-Gonghwa-Partei aus gesundheitlichen Gründen seinen Rückzug von der Wahl im Dongjak-gu. Gleichzeitig rief er zur Wahl von Na auf. Dennoch gewann Lee den Sitz. Ergebnisse. Bereits erste Exit-Polls ergaben, dass die regierende Deobureo-minju-Partei eine Mehrheit erreichen konnte. Nach der Wahl. Hwang Kyo-ahn gab wenige Stunden nach der Niederlage seiner Mirae-tonghap-Partei seinen Rücktritt als Parteivorsitzender bekannt.
Hin und zurück ist eine Miniaturoper (Originalbezeichnung: „Sketch mit Musik“, op. 45a) von Paul Hindemith (Musik) und Marcellus Schiffer (Libretto). Inhalt. Während der Spieldauer von zwölf Minuten wird ein Ehedrama erzählt: Robert erscheint überraschend bei seiner in Anwesenheit der tauben Tante Emma frühstückenden Frau Helene und überreicht ein Geburtstagsgeschenk. Das Zimmermädchen bringt einen Brief, der das Misstrauen des Mannes erweckt. Auf seine hartnäckigen Fragen hin gibt Helene zu, dass der Brief von ihrem Liebhaber stammt. Robert erschießt daraufhin seine Frau, ein hinzukommender Professor und der Krankenwärter können nur deren Tod feststellen. Robert stürzt sich aus dem Fenster. Ein Weiser erscheint zu den Tönen eines Harmoniums und erklärt, eine „höhere Macht“ wolle nicht, dass eine „Kleinigkeit“ zu einem Selbstmord führe. Die Handlung läuft daraufhin Szene für Szene in umgekehrter Reihenfolge zurück. Bedeutung des Werks. Paul Hindemith unternahm mit "Hin und zurück" – nachdem er mit "Cardillac" bereits eine abendfüllende Oper komponiert hatte – ein Experiment mit der Gattung der komischen Oper, die er in der zweiten Zusammenarbeit mit dem Librettisten Marcellus Schiffer 1929 mit dem Werk "Neues vom Tage" mit einem dann wieder abendfüllenden Werk erneut bediente. In "Hin und zurück" spielt Hindemith ironisch mit den traditionellen Formen der Oper, einerseits in musikalischer Hinsicht wie in der Koloraturarie der Helene zu den belanglosen Worten „Froh und früh erwacht“, andererseits hinsichtlich der für die Oper typischen Übertreibung von Gefühlen (Eifersucht) und Reaktionen (Mord und Selbstmord) in Verbindung mit Zufällen (die fast gleichzeitige Ankunft von Ehemann und Brief des Liebhabers) und einer unvermittelten Einwirkung von außen (der Weise als "Deus ex machina"). Die Musik von "Hin und zurück" persifliert dies auch durch die Einbeziehung von Elementen der damals zeitgenössischen Unterhaltungsmusik, was sich in der Besetzung des kleinen Orchesters durch die Mitwirkung von Saxophon und Klavier ausdrückt. Entstehung und Aufführungen. Paul Hindemith komponierte "Hin und zurück" vom 9. bis 12. Mai 1927. Die zentrale Szene des Weisen überarbeitete der Komponist noch vor der Uraufführung und ersetzte dabei die ursprünglich vorgesehene Bassstimme durch einen Tenor und die Begleitung durch Flöte und Klarinette durch das hinter der Bühne spielende Harmonium. Das Werk wurde am 17. Juli 1927 beim Festival "Deutsche Kammermusik" im großen Bühnensaal des Kurhauses Baden-Baden uraufgeführt. Auf dem Programm standen an diesem Abend außerdem die Uraufführungen drei weiterer Kurzopern: "Die Entführung der Europa" von Darius Milhaud, das "Mahagonny-Songspiel" von Kurt Weill (Text von Bertolt Brecht) und "Die Prinzessin auf der Erbse" von Ernst Toch. Dirigent der Uraufführung von "Hin und zurück" war Ernst Mehlich. Regie führte Walther Brügemann im Bühnenbild von Heinz Porep. Anschließend wurde das Werk an zahlreichen Theatern gespielt, darunter 1930 an der Krolloper in Berlin in der Regie von Hans Curjel im Bühnenbild von László Moholy-Nagy unter der Leitung des Dirigenten Otto Klemperer. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde "Hin und zurück" immer wieder aufgeführt, beispielsweise am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen im April 2009 und am 18. Mai 2011 im Rahmen eines Konzerts der Stuttgarter Philharmoniker in der Regie von Hugo Wieg (Dirigent: Gabriel Feltz). Orchester. Im kammermusikalisch besetzten Orchester spielen die folgenden Instrumente:
Die Barbakane Wiener Neustadt steht an der Neunkirchner Straße 38 bis 42 in der Statutarstadt Wiener Neustadt in Niederösterreich. Die Barbakane wurde von 1995 bis 1997 archäologisch untersucht. Lage. Zwischen dem Arbeitsamt auf Neunkirchner Straße 36 innerhalb der Stadtbefestigung und dem EVN-Gebäude Neunkirchner Straße 38 außerhalb der Stadtbefestigung verläuft die noch teils bestehende südliche Stadtmauer. An dieser Grenze standen beidseits die zwei Türme vom ehemaligen Neunkirchner Tor. Geschichte. Mit der Gründung und Absteckung 1192 wurde die Stadteinfassung mit einer Stadtmauer und Türmen und Toren begonnen. Zeitgleich wurde mit dem Bau des Kehrbachkanals für die Versorgung mit Nutzwasser begonnen, südlich des Stadtgrabens befand sich ein Kopfgraben (Sandfang) zur Klärung des Wassers. Bereits 1427 war unmittelbar östlich des Neunkirchner Tores eine parallel zur Stadtmauer verlaufende rechteckige Bastei errichtet worden. Mit der Entwicklung der Feuerwaffen und im Zusammenhang mit der Bedrohung durch die Osmanen mit der Schlacht von Mohacs (1526) und der Ersten Türkenbelagerung von Wien (1528/1529) wurde die Barbakane als notwendig erachtet. Die Barbakane wurde um 1520/1525 erbaut. Sie schützte nicht nur das Neunkirchner Tor, sondern auch den unmittelbaren Zufluss des Kehrbaches in den Stadtgraben und die Nutzwasserbrücke in die Stadt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Aufbauten der vorgelagerten Barbakane (Bastei) abgebrochen. Die heutige Brüstungsmauer bzw. Mauerabschluss ist innen ca. 1 m hoch. Im Bereich des nördlichen Endes der äußeren Basteimauer wurde 1868 die Glockengießerei Hilzer errichtet. Die Fundamente wurden bei der Grabung bekannt. Es gab eine größere und eine kleinere Gusskammer, die Reste der Schmelzöfen standen bei und auf der Basteimauer, wo sich Rauchfänge mit starken Versinterungen befanden. Das alte Gebäude übernahm 1937 die Niederösterreichische Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft (NEWAG) für die Nutzung als Bezirksstelle. 1941 wurde im Krieg im Keller ein Luftschutzraum eingerichtet. Im Zuge der Errichtung des neuen EVN-Gebäudes 1995/1998 (das alte Gebäude wurde abgebrochen) nach den Plänen des Architekten Paul Katzberger entstand der Wunsch, die noch bestehenden Reste der Barbakane zu erforschen. Die Barbakane wurde so bebaut, dass der noch vorhandene Stadtgraben, die Stadtmauer und die Barbakane erkennbar und spürbar bleiben. Der Künstler Sol LeWitt thematisierte um 1997 die alte Stadtgrenze mit einer Wandarbeit an der Südfront der Stadtmauer beim Arbeitsamt mit der Farbe Rot als Zeichen der Stadt und des Zentrum und der Farbe Grün als Zeichen des Umlandes und der Natur. Architektur. Die Barbakane war ein rundansichtiger Baukörper vor dem Neunkirchner Tor, die Barbakane als Solitärkörper war von der Stadtmauer abgerückt, womit der Durchblick auf den Stadtgraben beibehalten wurde. Insofern nimmt sich das EVN-Gebäude von der Stadtmauer des Arbeitsamtgebäudes mit der hofseitigen Sala terrena etwas zurück, lässt einen Durchgang offen, wie auch hofseitig ein Gartenhof freigehalten wurde. Die äußere Basteimauer ist kompakt in Bruchsteintechnik gemauert. Die äußere Schale wurde teils geböscht und in Quadertechnik erstellt. Die innere Basteimauer wurde bei den Grabungen bekannt, sie verläuft konzentrisch in einem Abstand von ca. 14,4 m zur äußeren Mauer. Es wurden Räumlichkeiten der Glockengießerei Hilzer ergraben, dazu gehörig war ein gemauerter runder Brunnenschacht, auch eine größere Bronzeplatte als Gießrest wurde aufgefunden. Die Grabungen zeigten, dass die Barbakane teilweise nicht auf dem Urgelände der Stadtgründung 1192 steht, sondern teils in der Stadtgraben hineingebaut wurde, und die Fundamente der Barbakane auf Anschüttungen aus Bruchsteinen und Schotter stehen, teils wurden Ziegellagen auf Holzknüppeln festgestellt, wie auch Anlagerungen von Schlamm des Stadtgrabens und horizontale Einfärbungen durch unterschiedliche Wasserstände. Bemerkenswert waren Grabungsbefunde, die eine Nutzwasserführung in den Stadtbereich mit einer Brücke über den Stadtgraben nachweisen, die Wasserstandshorizonte des Nutzwassergrabens konnten ermittelt werden. Es wurden Teile der Fundamente der ehemaligen Zwingermauer ergraben, welche eine Dicke des Fundamentes von 3 Fuß (ca. 90 cm) zeigte. Die Geometrie der Barbakane war durch konzentrische Kreise gebildet. Die Maßeinheiten waren Klafter mit 1,84 m bzw. 1 Fuß mit 30,67 cm. Der äußere Kreis tangierte mit einem Radius von 130 Fuß mit 39,87 m die Zwingermauer. Die derzeitige Mauerhöhe der äußeren Mauer nach dem teilweisen oberen Abbruch beträgt noch 7,1 m, die Breite der erhaltenen Mauerkrone 4,5 m. Der Stadtgraben wurde verlegt und umfloss die Barbakane. Der Zugang zur Stadt erfolgte über eine Stadtgrabenbrücke im Osten der Barbakane und konnte von der östlichen alten Bastei kontrolliert und verteidigt werden.
Lacombe, Lucien ist ein Spielfilm des französischen Regisseurs Louis Malle aus dem Jahr 1974. Das Drama basiert auf einem Originaldrehbuch von Malle und dem Schriftsteller Patrick Modiano und erzählt von einem Bauernjungen (dargestellt von dem Laiendarsteller Pierre Blaise), der im Zweiten Weltkrieg in einer französischen Provinzstadt als Gestapo-Helfer rekrutiert wird und dort Zugang zu einer sich versteckt haltenden jüdischen Familie sucht. Handlung. Juni 1944, in einer Präfektur im Südwesten Frankreichs. Der etwa siebzehnjährige Bauernsohn Lucien Lacombe verdient sich seinen Lebensunterhalt zur Zeit der deutschen Besatzung als Hausmeister in einem Altersheim. Als er Urlaub erhält, kehrt er auf den heimischen Bauernhof zurück. Während sich Luciens Vater als Kriegsgefangener in Deutschland befindet, hat sich seine Mutter einen Liebhaber genommen, mit dem sie den Hof bewirtschaftet. Der zu Hause nur noch geduldete Lucien verbringt seine Freizeit mit dem Wildern von Kaninchen, die er mit dem Gewehr seines Vaters erlegt. Sein Gesuch beim örtlichen Lehrer Peyssac, der Résistance beizutreten, wird abgewiesen – er sei nicht zuverlässig genug. Durch Zufall kommt Lucien eines Abends in der Stadt am "Hôtel des Grottes" vorbei, das als Hauptquartier der Kollaborateure ("Gestapo française, Carlingue") dient. Hier trifft er u. a. auf den früheren Radrennchampion Aubert, den Polizeichef Tonin, den Schwarzen Hippolyte, den abgebrannten Adligen Jean-Bernard und dessen Geliebte, die Schauspielerin Betty Beaulieu. Alle haben sich mit der Gestapo arrangiert. Unter Einwirkung von Alkohol verrät der naive Lucien den Lehrer und beginnt für die deutsche Geheimpolizei zu arbeiten. Unter anderem schläft er mit der sehr viel älteren Angestellten Marie und nimmt an verbrecherischen Überfällen auf Résistance-Mitglieder und Kämpfen gegen die „Partisanen“ teil. Durch Jean-Bernard lernt Lucien den aus Paris stammenden weltgewandten jüdischen Schneider Albert Horn kennen, der mit seiner Tochter France und der alten Großmutter Bella in der Provinz untergetaucht ist. Der Junge verliebt sich in die attraktive France und nutzt seine Machtposition aus, indem er von nun an regelmäßig die Familie Horn in ihrer Wohnung besucht. Vater und Großmutter dulden den Eindringling gezwungenermaßen, während sich France an Lucien interessiert zeigt. Er nimmt sie eines Abends mit auf eine Party ins "Hôtel des Grottes", wo sie von der eifersüchtigen Marie antisemitisch beschimpft wird. Daraufhin bricht France zusammen und lässt sich von Lucien verführen. Nach und nach wird die Zahl der Gestapo-Mitglieder dezimiert – Tonin wird bei Kämpfen schwer verletzt, Jean-Bernard und Betty werden bei ihrer Abreise in einen Hinterhalt gelockt und erschossen. Luciens Mutter kommt in die Stadt, um ihren Sohn zur Flucht zu überreden, nachdem sie anonyme Drohungen erhalten hat; doch er bleibt. Horn denunziert seine Tochter vor Lucien als „Hure“. Nachdem er die Hoffnung auf eine Flucht nach Spanien aufgegeben hat, sucht er Lucien im "Hôtel des Grottes" auf, wo er als Jude erkannt und deportiert wird. Nach einem Überfall auf die Gestapo-Zentrale, bei dem bis auf Lucien alle aus der Gruppe der Kollaborateure ums Leben kommen, sollen France und ihre Großmutter verhaftet werden. Lucien begleitet einen SS-Mann zur Wohnung der Horns, erschießt diesen jedoch kurz vor der Abfahrt und flüchtet mit France und deren Großmutter aufs Land in ein verlassenes Bauernhaus. In dieser Idylle versorgt Lucien die beiden Frauen mit der Jagd und dem Stellen von Fallen. France ist kurz davor, einen Stein auf den Kopf des schlafenden Jungen fallen zu lassen, verwirft diesen Gedanken aber wieder. Während sie sich nackt in einem Bach wäscht und Lucien ihr dabei zuschaut, verkündet ein in das Bild eingefügter Text, dass Lucien nach der Befreiung Frankreichs am 12. Oktober 1944 festgenommen wurde. Vor einem Militärgericht der Résistance schuldig gesprochen wurde er zum Tode verurteilt und exekutiert. Entstehungsgeschichte. Idee und Drehbuch. Nach den Dreharbeiten zu "Herzflimmern" (1971) hatte Louis Malle mit dem Gedanken gespielt, einen Film über einen aktuellen Skandal in Mexiko zu drehen, bei dem die Polizei kleinkriminelle Jugendliche aus den Slums zu Hilfspolizisten ausbildete, um Studentendemonstrationen zu infiltrieren. Er war aber von seinem spanisch-mexikanischen Regiekollegen Luis Buñuel auf die Unmöglichkeit dieses Projektes hingewiesen worden. Auch von einem Projekt über den Vietnamkrieg nahm Malle Abstand. Stattdessen beschäftigte er sich mit persönlichen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und entschloss sich dazu, sich dem Thema Kollaboration in französischen Kleinstädten zu widmen. Dieser Aspekt war aus filmischer Sicht laut Malle bis dahin nur von Marcel Ophüls’ Dokumentarfilm "Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege" (1969) aufgearbeitet worden, den Malle mit seinem Bruder Vincent in Paris verliehen hatte. Für seine mehrere Monate andauernden Recherchen bezog Malle Gespräche mit überlebenden Kollaborateuren, ehemaligen Résistance-Mitgliedern und Historikern mit ein, darunter Pierre Laborie, der zu dieser Zeit an der Universität Toulouse seine Dissertation vorbereitete. Laborie gab Malle Informationen über die Zustände im Département Lot während des Zweiten Weltkriegs. Das Drehbuch gedieh bis zur Grundkonstellation – ein Bauernbursche, der in die Stadt kommt und für die Gestapo zu arbeiten beginnt. Erst durch eine zufällige Begebenheit in der Kleinstadt Figeac, als Malle jemandem beim Üben einer melancholischen Beethoven-Sonate am Klavier hörte, soll er eigenen Angaben zufolge zur Figur der jüdischen Tochter France inspiriert worden sein. Danach arbeitete Malle mit Patrick Modiano zusammen. Der junge Schriftsteller hatte sich in seinen bisherigen Romanen "La Place de l'Étoile" (1968), "La Ronde de nuit" (1969) und "Les Boulevards de ceinture" erfolgreich der Besatzungszeit als Thema angenommen. Modiano habe von Malle eine achtseitige Synopse erhalten, die bereits die Figur des Lucien und die jüdische Familie enthielt, die darin noch über drei Töchter verfügte. Er beschrieb die Titelfigur anfangs als etwas zu brutal, während die Figur des Albert Horn noch ein einfacher Schneider war. Modiano kürzte schließlich das Personal der jüdischen Familie auf Vater, Tochter und eine Großmutter, um sich besser auf die Liebesgeschichte konzentrieren zu können. Laut Modiano waren jüdische Nebenfiguren in französischen Filmen über die Besatzung zum damaligen Zeitpunkt eher selten gewesen. Besetzung. Louis Malle legte sich von Beginn an darauf fest, die Titelrolle mit einem Laiendarsteller zu besetzen, einem echten Bauernjungen, der bisher kaum mit dem städtischen Leben in Kontakt gekommen sein sollte. Dafür wurden Anzeigen in regionalen Zeitungen wie "La Dépêche du Midi" aufgegeben, worauf etwa 1000 Zuschriften folgten. Nach Probeaufnahmen mit einigen Kandidaten entschied sich Malle für den jungen Pierre Blaise, dem die Rolle praktisch auf den Leib geschrieben war, so Modiano. Auch die Figur des jüdischen Mädchens France wurde mit einer jungen Laiendarstellerin besetzt, Aurore Clément. In den übrigen Nebenrollen agierten der schwedische Theater- und Filmschauspieler Holger Löwenadler als Schneider Albert Horn und Therese Giehse als Großmutter. Die deutsche Theaterschauspielerin war zu diesem Zeitpunkt in Frankreich noch völlig unbekannt. Kritiken. Edgar Wettstein (film-dienst) pries in seiner zeitgenössischen Kritik Louis Malle für die sensibel gestaltete Titelfigur sowie die Rollen der verfolgten Juden, deren Reaktionen individuell nuanciert seien. Der Film strahle eine „ungewöhnliche Reife“ dadurch aus, dass er als Porträt und als Zeitbild vieles „offen“ lasse. Auch lobte Wettstein die erstaunliche Präsenz von Laiendarsteller Pierre Blaise. Karl Korn (Frankfurter Allgemeine Zeitung) sprach von einem „kühnen Versuch“ französischer Vergangenheitsbewältigung, ohne das Vordrängen von „moralisierende(r) Entrüstung“. „Die Schönheit des Films macht das Schreckliche schmerzlich fühlbar. Wer dem Film das Eigenrecht der Sprache der Kunst einräumt, wird dem Werk politisch-moralische Qualität nicht nur nicht absprechen, sondern es um so höher bewerten, als es im Sinne Flauberts Schönheit als des Schrecklichen Anfang begreift.“, so Korn. Auszeichnungen. "Lacombe, Lucien" wurde vor allem im englischsprachigen Ausland mit mehreren Filmpreisen ausgezeichnet und für weitere nominiert. Bei der Verleihung der US-amerikanischen National Board of Review Awards Ende Dezember 1974 wurde Holger Löwenadler für seine Darstellung des Albert Horn als "Bester Nebendarsteller" ausgezeichnet, der Film gemeinsam mit "Amarcord" (Bester fremdsprachiger Film), "Der Fußgänger", "Das Gespenst der Freiheit" und "Szenen einer Ehe" unter die besten ausländischen Filme gewählt. 1975 folgten Nominierungen für den Golden Globe Award und den Oscar jeweils in der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film", während Löwenadler den Nebendarsteller-Preis der amerikanischen National Society of Film Critics zugesprochen bekam. Im selben Jahr wurde "Lacombe, Lucien" mit dem Prix Méliès der Association Française de la Critique de Cinéma als bester Film ausgezeichnet, während im Rahmen der britischen "Society of Film and Television Arts Awards" drei Nominierungen für den Stella Award "(Bester Film", "Beste Regie", "Bestes Drehbuch)" folgten. Malles Regiearbeit gewann den britischen Filmpreis in der Kategorie "Bester Film" und wurde außerdem mit dem "United Nations Award", einem Sonderpreis der Vereinten Nationen, honoriert.