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ovgnrw-1998-05-15-21-a-672695
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
21 A 6726/95
1998-05-15
2019-03-13 08:30:39
2019-03-27 09:49:45
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:1998:0515.21A6726.95.00
## Tenor\n\nDie Berufung wird zuruckgewiesen.\n\nDie Klagerin tragt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der\naußergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.\n\nDas Urteil ist wegen der Kosten vorlaufig vollstreckbar. Die Klagerin kann die\nVollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Hohe des jeweils\nbeizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige\nVollstreckungsglaubiger zuvor Sicherheit in gleicher Hohe leistet.\n\nDie Revision wird nicht zugelassen.\n\n \n1\n\nTatbestand:\n\n2\n\nDie Klagerin wendet sich gegen die Zulassung des Abschlußbetriebsplans der\nBeigeladenen fur die "Oberflachengestaltung, Rekultivierung und\nOberflachenentwasserung" des (Braunkohle-)Tagebaus V. - R. . Der Plan bezieht\nsich auf eine 60 bis 70 ha große Flache im Stadtgebiet der Klagerin, die im\nFlachennutzungsplan uberwiegend als Flache fur die Landwirtschaft und\nteilweise als Grunflache dargestellt und zusatzlich als Flache fur Abgrabungen\ngekennzeichnet ist. Im Gebietsentwicklungsplan fur den Regierungsbezirk K. ,\nTeilabschnitt Kreisfreie Stadt K. , Kreisfreie Stadt L. , E. , O. Kreis und R.\n-B. Kreis in seiner ursprunglichen Fassung aus dem Jahr 1984 war die Flache\nals Waldbereich und Bereich fur die besondere Pflege und Entwicklung der\nLandschaft ausgewiesen. Nach der unter dem 27\\. September 1988 genehmigten 1.\nÄnderung dieses Gebietsentwicklungsplans ist die Flache als Standort fur eine\nAnlage zur Beseitigung von Sonderabfall dargestellt. Die hiergegen gerichtete\nVerfassungsbeschwerde der Klagerin wies der Verfassungsgerichtshof fur das\nLand Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 18. Juni 1991 - VerfGH 5/90 -,\nNWVBl. 1991, 371, zuruck.\n\n3\n\nDie Beigeladene legte den Abschlußbetriebsplan dem Beklagten unter dem 2. Mai\n1987 vor. Darin ist ausgefuhrt, die Rekultivierungs- und\nOberflachenentwasserungsmaßnahmen berucksichtigten den Entwurf der 1. Änderung\ndes Gebietsentwicklungsplans; die prajudizierende Wirkung der\nRekultivierungsmaßnahmen auf die spatere geplante Nutzung solle moglichst\ngering sein. Nach dem Plan soll die Oberflache des Abbaubereichs uberwiegend\nmit Gras- und Krautpflanzen begrunt werden. Es soll eine etwa 3.000.000 m3\ngroße Senke verbleiben, die durch eine das Gelande durchziehende etwa 10 m\nhohe Boschung geteilt wird und Boschungen zwischen 2 m und 30 m hat. Das im\nnordwestlichen Bereich der Mulde anfallende Niederschlagswasser und das aus\nden Boschungen austretende Grundwasser wird in Graben gefaßt, einer\nWasserhaltung zugeleitet und von dort in die Hauptwasserhaltung des Tagebaus\nV. -Hauptfeld gepumpt, von wo es in einen Klarteich und schließlich in die\nErft gelangt. Die Wasserhaltung sollte nach dem Plan der Beigeladenen von\ndieser langstens bis Ende 1990 betrieben werden, davon ausgehend, daß der\nkunftige Trager der Sondermulldeponie die Wasserhaltung bis dahin ubernehme.\nDer sudwestliche Bereich wird mit naturlicher Vorflut durch entlang der\nsudlichen Boschung angelegte Graben entwassert, die zusammengefaßt zum\nNordfeldweiher fuhren. Unter dem 31\\. August 1988 legte die Beigeladene eine\nÄnderung des Abschlußbetriebsplans hinsichtlich der Oberflachengestaltung in\neinzelnen Teilbereichen und einer geringen Verschiebung des Pumpensumpfes vor.\n\n4\n\nDie im Verwaltungsverfahren beteiligte Klagerin wandte gegen die Zulassung des\nAbschlußbetriebsplans ein: Der Plan widerspreche den Darstellungen des\nGebietsentwicklungsplans und lasse offen, wer nach 1990 die Wasserhaltung und\ndie Kosten der Entwasserung ubernehme. Die Restmulde musse standig kunstlich\nentwassert werden. Sie werde als Retentionsraum bei starken bzw. langeren\nNiederschlagen und durch Sickerwasser aus den Boschungen eingestaut; wegen der\nstandigen Durchfeuchtung sei eine Rekultivierung und Wiedernutzbarmachung\nnicht moglich. Die vorgesehene bloße Begrundung sei bei der Große des Gebiets\nfur die Übernahme von okologischen und Erholungsfunktionen unzureichend. Die\nKlagerin regte an, die Flache in das Umfeld von Grun- und Erholungsbereichen\neinzubinden und durch Schaffung eines Naturschutzgebiets im Zentrum der Senke\nsowie Gestaltung der Randbereiche als Landschaftsschutzgebiet mit teilweiser\nAufforstung, Boschungsbepflanzung und Wegefuhrung eine Verbindung zu\nbestehenden Landschaftsschutzgebieten im Osten und Norden herzustellen.\n\n5\n\nIm Verwaltungsverfahren wurde fur den Fall des Scheiterns des Deponieprojekts\nzwischen den Bergbehorden die Frage weitergehenden Regelungsbedarfs erortert\nund im Hinblick auf die Wiedernutzbarmachung der Oberflache erwogen, durch\nNebenbestimmung der Beigeladenen die Vorlage eines Abschlußbetriebsplans fur\neine andere Art der kunftigen Nutzung aufzugeben.\n\n6\n\nDurch Bescheid vom 4. April 1991 ließ der Beklagte den Abschlußbetriebsplan\nunter den Nebenbestimmungen zu, daß durch geeignete technische Einrichtungen\nund Maßnahmen sicherzustellen sei, daß die Restmulde trocken gehalten werde\n(Nr. 1), und daß der nordostliche, in der Planzeichnung gekennzeichnete\nTeilbereich einer forstwirtschaftlichen Nutzung zugefuhrt werde (Nr. 2). Mit\nNr. 1 solle gewahrleistet werden, daß sich kein Wasser in der Restmulde\nsammle, um eine Gefahrdung der drei benachbarten V. -Deponien auszuschließen.\n\n7\n\nDen Widerspruch der Klagerin wies das Landesoberbergamt durch Bescheid vom 12.\nJuni 1992 zuruck und fuhrte zur Begrundung in der Sache im wesentlichen aus:\nDer Abschlußbetriebsplan stehe mit dem geltenden Gebietsentwicklungsplan in\nÜbereinstimmung. Durch die Nebenbestimmung zu 1. werde unbefristet\nsichergestellt, daß die Restmulde auch nach 1990 von der Beigeladenen trocken\ngehalten werden musse und diese auch fur den Fall der Nichtverwirklichung der\nDeponie fur die Entwasserung der Restmulde verantwortlich bleibe. Die\nZulassung des Abschlußbetriebsplans stelle, ohne die Standortentscheidung fur\ndie Deponie vorwegzunehmen, die Wiedernutzbarmachung der Flache unter\nBerucksichtigung dieses Interesses sicher. Mit der festgelegten Aufforstung\neines Teilbereichs sei den Bedenken der Klagerin Rechnung getragen worden.\n\n8\n\nAm 14. Juli 1992 hat die Klagerin Klage erhoben.\n\n9\n\nZuvor hatte das Landesoberbergamt unter dem 11. Juni 1992 die sofortige\nVollziehung des Bescheids vom 4. April 1991 angeordnet. Auf Antrag und\nBeschwerde der Klagerin stellte das Oberverwaltungsgericht durch Beschluß vom\n22. April 1993 \\- 12 B 4812/92 -, ZfB 134 (1993), 210, die aufschiebende\nWirkung der Klage wieder her.\n\n10\n\nIm Oktober 1992 teilte der Beklagte der Klagerin mit, daß fur den Planbereich\nnach Durchfuhrung des Abschlußbetriebsplans die Bergaufsicht beendet sei.\n\n11\n\nDie Klagerin hat zur Begrundung ihrer Klage in Erganzung ihrer Einwendungen\nvorgetragen: Die angefochtene Zulassung hatte, um der gesetzlichen Forderung,\ndaß die Wiedernutzbarmachung sicherzustellen sei, zu genugen, eine Regelung\nfur den Fall der Nichtrealisierung der Sondermulldeponie treffen mussen. Eine\nWiedernutzbarmachung liege auch unter Berucksichtigung der Nebenbestimmung Nr.\n1. nicht vor, wenn nach dem Scheitern des Deponieprojekts eine immer kunstlich\nzu entwassernde Mulde verbleibe. Die Beigeladene sei aufgrund der Verfugung\ndes Beklagten aus der Bergaufsicht entlassen und konne nicht zu weiteren\nMaßnahmen verpflichtet werden; die Verantwortung und Kosten fur eine\nRekultivierung habe gegebenenfalls sie, die Klagerin, zu tragen. Sie sei in\nihrem Selbstverwaltungsrecht in der Gestalt der Planungshoheit verletzt. Bei\ndem verbleibenden Zustand der Flache sei eine Realisierung ihrer Vorstellungen\ngemaß dem Flachennutzungsplan nicht moglich. Ihre Planungen gingen dahin, den\nfraglichen Bereich in das Umfeld einzupassen und eine weitere Verbindung\nbenachbarter Grun- und Erholungsbereiche herzustellen, was mit der Ausweisung\neines Landschaftsschutzgebiets fur diesen Bereich im Landschaftsplan\nubereinstimme.\n\n12\n\nDie Klagerin hat beantragt,\n\n13\n\nden Bescheid des Beklagten vom 4\\. April 1991 in der Gestalt des\nWiderspruchsbescheides des Landesoberbergamtes vom 12. Juni 1992 aufzuheben.\n\n14\n\nDer Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,\n\n15\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n16\n\nDurch das angefochtene, der Klagerin am 20. Oktober 1995 zugestellte Urteil\nhat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.\n\n17\n\nMit der am 30. Oktober 1995 eingelegten Berufung tragt die Klagerin weiter\nvor: Die Verletzung ihrer Planungshoheit ergebe sich daraus, daß eine\nRealisierung ihrer Planungen, die in den Darstellungen des\nFlachennutzungsplans Ausdruck fanden und die in die Planungen fur das Umfeld\neingebunden seien, im Hinblick auf das Verbleiben einer kunstlich entwasserten\nRestmulde nicht moglich sei. Die außenbereichstypische Darstellung des\nFlachennutzungsplanes sei hier ausnahmsweise hinreichend bestimmt; unter den\ngegebenen Verhaltnissen habe sie einen konkreten Standortbezug mit Blick auf\neine besondere Nutzung. Eine weitergehende Kennzeichnung des fraglichen\nGebiets sei auch angesichts der Darstellungen des Gebietsentwicklungsplans von\n1984, der die Ausweisung des Naherholungsgebiets V. vorgesehen habe, nicht\nerforderlich. An dieser Planung halte sie fest fur den Fall, daß die\nSondermulldeponie nicht realisiert werde, wofur nach dem derzeitigen Stand der\nDiskussion zum Aufkommen von Sondermull und dem Gang des\nPlanfeststellungsverfahrens Erhebliches spreche. Hinzu komme, daß eine\nRealisierung anderer Planungsmoglichkeiten infolge der Vorgaben des\nAbschlußbetriebsplans nicht moglich sei. Der Fall, daß die Sondermulldeponie\nnicht realisiert werde, habe eingestellt werden mussen, da das unbefristete\nVerbleiben einer kunstlich zu entwassernden Mulde keine Rekultivierung sei,\nsich die Wiedernutzbarmachung in diesem Falle vielmehr an dem anders\nbestimmten offentlichen Interesse zu orientieren habe. Die kunstliche\nEntwasserung stelle mangels technischer Vorgaben zur vollstandigen\nEntwasserung in der Nebenbestimmung Nr. 1. nicht einmal eine Nutzung auch zu\nDeponiezwecken sicher.\n\n18\n\nDie Klagerin beantragt,\n\n19\n\ndas angefochtene Urteil zu andern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu\nerkennen.\n\n20\n\nDer Beklagte beantragt,\n\n21\n\ndie Berufung zuruckzuweisen.\n\n22\n\nZur Begrundung tragt er vor: Durch das Vorhaben werde keine hinreichend\nbestimmte Planung der Klagerin nachhaltig gestort. Die Darstellung von Flachen\nfur die Landwirtschaft im Flachennutzungsplan sei keine in diesem Sinne\nqualifizierte Planung. Eine konkrete Standortbezogenheit der Darstellung, die\ndarauf abziele, wegen besonderer Gegebenheiten gerade die Landwirtschaft zu\nsichern und zu fordern, sei nicht gegeben. Auch wurden keine wesentlichen\nTeile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung entzogen, da vom\nGemeindegebiet der Klagerin von etwa 5.680 ha nur 23 ha betroffen seien.\n\n23\n\nDie Beigeladene beantragt,\n\n24\n\ndie Berufung zuruckzuweisen.\n\n25\n\nSie tragt vor: Im Hinblick auf die Darstellungen des Flachennutzungsplanes\nfehle es, wie bereits der Verfassungsgerichtshof fur das Land Nordrhein-\nWestfalen mit Urteil vom 18. Juni 1991 entschieden habe, an der Konkretheit\nder gemeindlichen Planung. Etwaige weitere Planungsvorstellungen seien nicht\nGegenstand konkreter Planungen geworden und daher nicht zu berucksichtigen.\nDie Klagerin sei durch den gultigen Gebietsentwicklungsplan an einer dem\nAbschlußbetriebsplan widersprechenden Planung gehindert, vielmehr zur\nAnpassung an den Gebietsentwicklungsplan verpflichtet. Auch wenn die\nSondermulldeponie nicht verwirklicht werden sollte, bleibe fur das\nPlanungsrecht der Klagerin der Gebietsentwicklungsplan maßgeblich; erst nach\ndessen Änderung konnte die Klagerin den fraglichen Bereich in anderer Weise\nbeplanen. Das Fehlen einer Regelung fur den angenommenen Fall sei\nunbeachtlich, da jedenfalls im Zeitpunkt der Zulassung des\nAbschlußbetriebsplans die Planungshoheit der Klagerin nicht verletzt worden\nsei.\n\n26\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den\nInhalt der Gerichtsakte, der Verfahrensakte 1 L 1433/92 (VG Koln) und der\nbeigezogenen Akten des Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen.\n\n27\n\nEntscheidungsgrunde:\n\n28\n\nDie Berufung hat keinen Erfolg.\n\n29\n\nDie Klage ist zulassig, insbesondere ist die Klagerin klagebefugt, § 42 Abs. 2\nVerwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das gilt unabhangig davon, ob man den\nVorschriften uber die bergrechtliche Betriebsplanzulassung gegenuber\ndrittbetroffenen Gemeinden - wie hier der Standortgemeinde - grundsatzlich\nunmittelbare drittschutzende Wirkung zuspricht -\n\n30\n\nvgl. dazu BVerwG, Beschluß vom 15\\. Juli 1994 - 4 B 102.94 -, DVBl. 1994, 1152\n-;\n\n31\n\ndenn vorliegend ist ein rechtswidriger Eingriff in das der Klagerin zustehende\ndurch Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) und Art. 78 Abs. 1 der Verfassung\nfur das Land Nordrhein- Westfalen (LV NW) geschutzte Recht der\nSelbstverwaltung in der \\- hier allein in Betracht zu ziehenden - spezifischen\nAuspragung der gemeindlichen Planungshoheit -\n\n32\n\nvgl. hierzu BVerfG, Beschluß vom 23\\. Juni 1987 - 2 BvR 826/83 -, BVerfGE 76,\n107, 118; VerfGH NW, Urteil vom 15\\. Dezember 1989 - VerfGH 5/88 -, NVwZ 1990,\n456 und ferner OVG NW, Beschluß vom 25. April 1989 - 12 B 2821/88 -, ZfB 131\n(1990), 39 ff. -\n\n33\n\nvorgetragen und moglich. Eine Rechtsverletzung ist jedenfalls im Hinblick auf\nFragen zu dem von der Klagerin gesehenen, nicht befriedigten Regelungsbedarf\nfur den Fall, daß die auf dem Tagebaugelande geplante Anlage zur Beseitigung\nvon Sonderabfall, auf die die mit dem Abschlußbetriebsplan zugelassene\nOberflachengestaltung und - Entwasserung abgestimmt sind, nicht realisiert\nwird, nicht von vornherein auszuschließen.\n\n34\n\nDie Klage ist nicht begrundet. Die streitige Zulassung des\nAbschlußbetriebsplans verletzt die Klagerin nicht in ihrem vorliegend einzig\nin Betracht kommenden Recht auf gemeindliche Selbstverwaltung, § 113 Abs. 1\nSatz 1 VwGO.\n\n35\n\nDie gerichtliche Prufung hat die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der\nbehordlichen Entscheidung uber die Zulassung zugrundezulegen. Daß es im Fall\nder Anfechtungsklage eines Drittbetroffenen gegen eine den Trager eines\nVorhabens begunstigende Genehmigung fur die Beurteilung der Verletzung in\neigenen Rechten auf die Sach- und Rechtslage bei Erlaß dieses Verwaltungsakts\nankommt, ist in der Rechtsprechung beispielsweise zum Baurecht -\n\n36\n\nvgl. BVerwG, Beschluß vom 16\\. Dezember 1968 - IV B 208.68 -,\nBaurechtssammlung (BRS) 20 Nr. 110; Urteile vom 19. September 1969 - IV C\n18.67 -, DÖV 1970, 136 und vom 14\\. April 1978 - 4 C 96 u. 97.76 -, BRS 33 Nr.\n158 -,\n\n37\n\nund zum Fachplanungsrecht -\n\n38\n\nvgl. BVerwG, Beschluß vom 9. Mai 1989 - 7 B 185.88 -, NVwZ 1989, 967 -\n\n39\n\ngeklart. Dies bedeutet, daß Änderungen der Sach- und Rechtslage, die nach\nWirksamwerden der behordlichen Zulassungsentscheidung eintreten, wenn sie sich\nnicht zugunsten des Tragers des Vorhabens auswirken -\n\n40\n\nvgl. zu letzterem BVerwG, Urteil vom 15\\. Februar 1985 - 4 C 42.81 -, NVwZ\n1986, 205; Beschluß vom 22. April 1996 \\- 4 B 54.96 -, NVwZ-RR 1996, 628 -,\n\n41\n\nsondern zu dessen Nachteil, nicht berucksichtigt werden durfen. Danach haben\nauch nach Wirksamwerden der Zulassungsentscheidung eintretende Entwicklungen\nim Bereich der kommunalen Planungen, die dem zugelassenen Vorhaben\nzuwiderlaufen, im Anfechtungsprozeß außer Betracht zu bleiben.\n\n42\n\nDie aus der Anspruchsposition des Genehmigungsbegunstigten hergeleiteten\nGrundsatze gelten auch fur die bergrechtliche Betriebsplanzulassung. Aus dem\nBundesberggesetz ergibt sich nicht, daß bei der Anfechtung einer\nBetriebsplanzulassung durch Dritte nachtragliche Änderungen der Sachlage zu\nberucksichtigen waren. Vielmehr kann nachtraglichen Änderungen durch Erganzung\noder Änderung des Betriebsplans durch den Unternehmer bzw. durch die\nnachtragliche Aufnahme, Änderung oder Erganzung von Auflagen im wirtschaftlich\nvertretbaren und erforderlichen Umfang durch die Bergbehorde Rechnung getragen\nwerden, § 56 Abs. 1 und 3 Bundesberggesetz (BBergG).\n\n43\n\nEine Rechtsverletzung der Klagerin ist nicht festzustellen, weil die Zulassung\nden gesetzlichen Vorschriften, soweit sie Bezug zur Rechtsposition der\nKlagerin haben, genugt und damit das Recht der Selbstverwaltung in Gestalt der\nPlanungshoheit jedenfalls gewahrt ist.\n\n44\n\nArt. 28 Abs. 2 GG und Art. 78 Abs. 1 und 2 LV NW gewahrleisten den Gemeinden\ndas Recht der Selbstverwaltung, d.h. das Recht, alle Angelegenheiten der\nortlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu\nregeln. Das Recht der Selbstverwaltung ist danach nur im Rahmen der Gesetze\ngarantiert, sofern diese ihrerseits verfassungsgemaß sind. Dies bedeutet, daß\ndie Garantie der Einrichtung gemeindlicher Selbstverwaltung der gesetzlichen\nAusgestaltung und Formung bedarf, die Gemeinden an alle \\- verfassungsmaßigen\n- Gesetze und Verordnungen gebunden sind und mithin in das Recht der\nSelbstverwaltung aufgrund von solchen Gesetzen eingegriffen werden kann.\n\n45\n\nVgl. BVerfG, Beschlusse vom 7\\. Oktober 1980 - 2 BvR 584, 598, 599, 604/76 -,\nBVerfGE 56, 298, 311 ff., vom 23\\. Juni 1987, a.a.O. und vom 23. November 1988\n- 2 BvR 1619, 1628/83 -, BVerfGE 79, 127, 143.\n\n46\n\nZum Selbstverwaltungsrecht gehort die Planungshoheit, namlich das Recht der\nGemeinde, die Bodennutzung in ihrem Gebiet in eigener Verantwortung zu planen\nund zu regeln und so die kunftige Entwicklung des Gemeindegebiets im Rahmen\nder Bauleitplanung grundsatzlich nach eigenen Vorstellungen zu steuern und zu\ngestalten.\n\n47\n\nVgl. BVerfG, Beschluß vom 7. Oktober 1980, a.a.O.; VerfGH NW, Urteil vom 9\\.\nJuni 1997 - VerfGH 20/95 u.a. -, DVBl. 1997, 1107, 1108; BVerwG, Urteil vom\n11. Mai 1984 - 4 C 83.80 -, NVwZ 1984, 584.\n\n48\n\nErfolgt die Beschrankung der gemeindlichen Selbstverwaltung auf der Grundlage\neines Gesetzes durch eine Maßnahme der vollziehenden Gewalt in einem konkreten\nEinzelfall, muß auch die ermachtigende Norm mit der Garantie aus Art. 28 Abs.\n2 GG, Art. 78 Abs. 1 LV NW vereinbar sein. Ist das zu bejahen und liegen die\ngesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Ermachtigungsgrundlage vor und ist\nferner die Maßnahme auch sonst von der gesetzlichen Ermachtigungsnorm, soweit\ndiese Bezuge zum gemeindlichen Recht der Selbstverwaltung hat, gedeckt, halt\nsich die Beschrankung "im Rahmen der Gesetze" mit der Folge, daß die Maßnahme\ndas gemeindliche Selbstverwaltungsrecht nicht verletzt und daher von der\nGemeinde hinzunehmen ist.\n\n49\n\nDas ist hier der Fall. Ermachtigungsgrundlage der streitigen Zulassung des\nAbschlußbetriebsplanes der Beigeladenen sind die §§ 53 Abs. 1, 55 Abs. 2, 56\nAbs. 1 BBergG. Diese gesetzliche Ermachtigung raumt der fur die\nZulassungsentscheidung zustandigen Behorde die Moglichkeit ein, durch die\nGestattung der Maßnahmen fur die Einstellung des Betriebs die rechtlichen\nVoraussetzungen dafur zu schaffen, daß der Unternehmer eines bergbaulichen\nVorhabens bei der Wiedernutzbarmachung der Oberflache - gerade bei\nraumbeanspruchenden ubertagigen Vorhaben - in die situationsbedingt\nvorgegebenen Bodenverhaltnisse erheblich und nachhaltig eingreifen, also auf\ndie fur die Planung und Regelung der Bodennutzung durch die betroffene\nGemeinde maßgebliche tatsachliche Situation in einer Weise einwirken darf, daß\ndie grundsatzlich eigenverantwortlich wahrzunehmende planerische\nGestaltungsfreiheit beschrankt wird.\n\n50\n\nDie bergrechtliche Ermachtigungsgrundlage verstoßt nicht gegen das gegen\nGemeinden gewahrleistete Selbstverwaltungsrecht. Sie tastet den Kernbereich\nder Selbstverwaltung nicht an. Ob die Planungshoheit hierzu gehort, kann\noffenbleiben.\n\n51\n\nVgl. BVerfG, Beschlusse vom 7\\. Oktober 1980 und vom 23. Juni 1987, jeweils\na.a.O., sowie VerfGH NW, Urteil vom 15. Dezember 1989, a.a.O.\n\n52\n\nDenn die bergrechtlichen Vorschriften uber die Zulassung von Betriebsplanen\nzielen nicht darauf und ermoglichen nicht, bei ihrer Anwendung durch die\nzustandige Behorde allgemein die gemeindliche Planungshoheit so nachhaltig zu\nbeschranken, daß den betroffenen Gemeinden notwendigerweise ein substantieller\nBereich planerischer Gestaltungsfreiheit entzogen wird. Sofern in Einzelfallen\ndes Gesetzesvollzugs wegen ortlicher Besonderheiten in bezug auf durch die\nLagerstatte des Rohstoffvorkommens raumlich klar abgrenzbare Bereiche in die\nPlanungshoheit einzelner Gemeinden erheblich eingegriffen wird, beruhrt dies\nnicht den Kernbereich der Selbstverwaltung. Dieser ist durch die angefuhrten\nVerfassungsnormen nur institutionell, nicht ohne weiteres individuell\ngewahrleistet, so daß nicht jedes einzelne Selbstverwaltungsrecht jeder\nindividuell betroffenen Gemeinde uber den Aspekt des Kernbereichs geschutzt\nist.\n\n53\n\nVgl. BVerfG, Beschlusse vom 7\\. Oktober 1980 und vom 23. Juni 1987, jeweils\na.a.O., sowie VerfGH NW, Urteil vom 9. Juni 1997, a.a.O., S. 1109.\n\n54\n\nAuch außerhalb des Kernbereichs der gemeindlichen Selbstverwaltung verstoßt\ndie Ermachtigungsgrundlage nicht gegen Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 78 LV NW, weil\ndie Beschrankung der Planungshoheit einzelner Gemeinden, soweit sie danach\nzulassig ist, im Grundsatz wegen uberortlicher Interessen von hoherem Gewicht\nerforderlich und auch sonst verhaltnismaßig ist. Die durch das Prufprogramm\ndes § 55 BBergG - zur Zulassung von Aufsuchen und Gewinnen vgl. ferner § 48\nAbs. 2 BBergG - gesteuerte Zulassung von Betriebsplanen dient der Schaffung\nder rechtlichen Voraussetzungen fur den Abbau einheimischer Bodenschatze und\ndamit die Sicherung der Rohstoffversorgung (§ 1 Nr. 1 BBergG) sowie - je nach\nArt der bergbaulichen Tatigkeit - fur die Wiedernutzbarmachung der infolge der\nGewinnung veranderten Oberflache. Die bergbauliche Tatigkeit wirkt gerade bei\nubertagigen Vorhaben notwendigerweise auf die tatsachlichen Bodenverhaltnisse\nund damit auf die fur die Planungshoheit bestimmenden Gegebenheiten ein. Die\nGewinnung von Bodenschatzen und die Wiedernutzbarmachung der Oberflache ließen\nsich nicht realisieren, wenn die Bergbehorde bei der Zulassung und\ngegebenenfalls - im Rahmen ihrer Befugnisse - Ausgestaltung von Betriebsplanen\nan mit bergbaulichen Vorhaben nicht zu vereinbarenden Planungsvorstellungen\nbetroffener Gemeinden gebunden ware und sich uber diese nicht aus sachlichen\nGrunden, die sich aus den Interessen des Unternehmers und aus der Koordination\nmit sonstigen offentlichen Belangen ergeben konnen, mit dem Anspruch auf\nVerbindlichkeit hinwegsetzen konnte. Die gesetzliche Ermachtigungsgrundlage\neroffnet dabei im Sinne der Verhaltnismaßigkeit ausreichende Moglichkeiten der\nBerucksichtigung planerischer Vorstellungen der Gemeinden. § 54 Abs. 2 Satz 1\nBBergG verpflichtet die Behorde, vor der Zulassung des Betriebsplans die\nGemeinden zu beteiligen, wenn durch die vorgesehenen Maßnahmen deren\nAufgabenbereich als Planungstrager beruhrt wird, um sie, uber ein lediglich\nformelles Beteiligungsrecht hinaus, in die Lage zu versetzen, mit dem Vorhaben\nentgegenstehenden kommunalen Interessen und Planungen moglichst fruhzeitig auf\nden Entscheidungsvorgang Einfluß zu nehmen und um dadurch die Moglichkeit der\nGemeinden zu verbessern, ihrer Planungshoheit Geltung zu verschaffen.\n\n55\n\nVgl. BVerwG, Beschluß vom 15. Juli 1994, a.a.O.; OVG NW, Beschluß vom 28\\.\nJuli 1995 - 21 B 985/95 -, ZfB 136 (1995), 315, 318.\n\n56\n\nIm Prufprogramm fur die Zulassungsentscheidung sind Normen zu beachten, durch\ndie der Schutz der gemeindlichen Planungshoheit zur Geltung gebracht werden\nkann. Speziell im Hinblick auf die Wiedernutzbarmachung der Oberflache greift\n§ 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BBergG in Verbindung mit § 4\nAbs. 4 BBergG ein.\n\n57\n\nDie streitige Zulassung des Abschlußbetriebsplans, an deren Verfahren die\nKlagerin gemaß § 54 Abs. 2 BBergG ordnungsgemaß beteiligt worden ist, halt\nsich bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Überprufung im\nRahmen der gesetzlichen Ermachtigung, soweit diese die Berucksichtigung\ngemeindlicher Interessen gebietet. Einschlagig ist, wie gesagt, § 55 Abs. 2\nSatz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BBergG. Danach ist die\nZulassung eines Abschlußbetriebsplans zu erteilen, wenn u. a. die\nWiedernutzbarmachung der Oberflache in der vom einzustellenden Betrieb in\nAnspruch genommenen Flache in dem nach den Umstanden gebotenen Ausmaß\nsichergestellt ist; Wiedernutzbarmachung ist gemaß § 4 Abs. 4 BBergG die\nordnungsgemaße Gestaltung der vom Bergbau in Anspruch genommenen Oberflache\nunter Beachtung des offentlichen Interesses. Ansatzpunkt fur die\nBerucksichtigung des Rechts der Selbstverwaltung in der Auspragung der\ngemeindlichen Planungshoheit ist die Tatbestandsvoraussetzung der\nOrdnungsgemaßheit der Oberflachengestaltung unter Beachtung des offentlichen\nInteresses. Die im zugelassenen Abschlußbetriebsplan vorgesehenen Maßnahmen\nder Oberflachengestaltung berucksichtigen das offentliche Interesse, soweit es\nmit beachtlichen Belangen der Klagerin einhergeht, in ausreichendem Maße.\nDieses ist hier wesentlich dadurch gepragt, daß der Bereich des\nAbschlußbetriebsplans raumlich durch die Darstellung eines Standorts fur eine\nAnlage zur Beseitigung von Sonderabfall im Gebietsentwicklungsplan in der\nFassung der ersten Änderung erfaßt wird.\n\n58\n\nBei dieser Darstellung des Gebietsentwicklungsplans handelt es sich dem\ntextlichen Aussagegehalt nach nicht lediglich um einen Grundsatz der\nLandesplanung ohne Zielbeachtlichkeit, sondern um ein regionales Ziel der\nLandesplanung im Sinne einer regionalplanerischen Letztentscheidung. Die 1.\nÄnderung des Gebietsentwicklungsplans beinhaltet die "Bestimmung" des\nStandorts; die in Kapitel 2.415 formulierten Ziele 2) und 7 a) wie auch die im\nAbschnitt 14 des Erlauterungsberichts getroffene Aussage zur Erforderlichkeit\nder Schaffung einer Anlage zur Beseitigung von Sonderabfall zur Gewahrleistung\neiner ordnungsgemaßen Entsorgung insbesondere der Gewerbe- und\nIndustriebetriebe und zur Eignung des Standorts lassen auf einen abschließend\nabgewogenen Planinhalt schließen. In bezug auf die Planungshoheit der Klagerin\nwaren Planungsvorstellungen, die mit dieser Zielvorgabe des\nGebietsentwicklungsplans und dem damit ubereinstimmenden Gehalt des\nzugelassenen Abschlußbetriebsplans der Beigeladenen nicht zu vereinbaren waren\noder daruber hinausgingen, im Rahmen der Beachtung des offentlichen Interesses\nnicht einzustellen. Denn die Klagerin war rechtlich gehindert, unter Bezug auf\nihre Planungshoheit offentliche Interessen gegen die im Abschlußbetriebsplan\nvorgesehenen Maßnahmen der Oberflachengestaltung und -entwasserung\neinzubringen, soweit dem Vorstellungen zugrunde lagen, die mit der Nutzung der\nFlache als Sonderabfalldeponie nicht zu vereinbaren waren. Sowohl die\nDarstellungen des vom Abschlußbetriebsplan erfaßten Bereichs des Tagebaus V.\n-R. im Flachennutzungsplan als Flache fur die Landwirtschaft bzw. als\nGrunflache als auch weiterfuhrende Planungsvorstellungen zur Einbindung in das\nUmfeld durch Herstellung einer weiteren Verbindung von Grun- und\nErholungsbereichen unterlagen unabhangig von der Zulassung des\nAbschlußbetriebsplans rechtlichen Bindungen, die eine Realisierung der Planung\nbzw. eine Verfestigung der Planungsvorstellungen und eine weitergehende\nAusschopfung planerischer Gestaltungsmoglichkeiten hinderten, sofern sie uber\ndas hinausgingen, was mit den im zugelassenen Abschlußbetriebsplan\nvorgesehenen Maßnahmen der Wiedernutzbarmachung der Oberflache angelegt war.\nDiese Bindungen ergaben sich aus der Zielvorgabe im Gebietsentwicklungsplan,\nmit der die regionalen Ziele der Landesplanung fur alle raumbedeutsamen\nPlanungen und Maßnahmen im Plangebiet festgelegt waren, § 14 Abs. 1\nLandesplanungsgesetz (LPlG) in der Fassung vom 5. Oktober 1989, GV NW 1989,\n476. Die so festgelegten Ziele der Landesplanung sind u. a. von den Gemeinden\nbei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zu beachten, § 16 Abs. 3 LPlG, § 5\nAbs. 4 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Raumordnungsgesetz (ROG) in der hier\nanzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 19\\. Juli 1989, BGBl I, 1461;\nBauleitplane waren den Zielen der Raumordnung und Landesplanung anzupassen, §\n1 Abs. 4 Baugesetzbuch (BauGB). Die Ausweisungen im Gebietsentwicklungsplan\nhaben danach Außenwirkung und sind verbindliche Beschrankungen der kommunalen\nPlanungshoheit. Fur die Bauleitplanung haben die Gemeinden die Festlegung in\nder landesplanerischen Letztentscheidung als verbindliche Vorgabe hinzunehmen;\nsie sind in den Grenzen der je nach der Konkretheit der Zielaussage\nverbliebenen Gestaltungsraume fur eine Verfeinerung und Ausdifferenzierung an\ndie Ziele strikt gebunden,\n\n59\n\nvgl. BVerwG, Beschluß vom 20. August 1992 - 4 NB 20.91 -, BVerwGE 90, 329, 333\nf.\n\n60\n\nDiese Bindung bestand hier fur die Klagerin, weil die Standortausweisung fur\neine Sonderabfalldeponie im Gebietsentwicklungsplan die Klagerin nicht in\nihren Rechten verletzt. Dies hat der Verfassungsgerichtshof fur das Land\nNordrhein-Westfalen mit dem angefuhrten Urteil vom 18. Juni 1991 im Rahmen\nseiner Prufung mit bindender Wirkung (vgl. § 26 Abs. 1\nVerfassungsgerichtshofsgesetz) auch fur den Senat festgestellt; sonstige uber\ndie verfassungsgerichtliche Prufung hinausgehende Aspekte sind nicht\nersichtlich. Die Bindung ist mithin im Verhaltnis zur Klagerin wirksam. Die\nZielvorgabe war auch nicht aus anderen Grunden unbeachtlich. Insbesondere\nfehlten im maßgeblichen Zeitpunkt der Prufung Anhaltspunkte dafur, daß sie\naufgrund einer Änderung der Verhaltnisse funktionslos geworden ware. Aufgrund\nder somit gegebenen Anpassungspflicht war die Klagerin im maßgeblichen\nZeitpunkt gehindert, eine von der Standortbestimmung abweichende Planung der\nBodennutzung vorzunehmen, fortzuentwickeln oder zu realisieren; sie war\nferner, da der Abschlußbetriebsplan die Standortausweisung berucksichtigt und\ndie vorgesehene Wiedernutzbarmachung der Oberflache an den Erfordernissen der\nErrichtung der geplanten Sondermulldeponie ausgerichtet ist, gehindert, mehr\nals die vorgesehenen Maßnahmen der Oberflachengestaltung und -entwasserung aus\nGrunden der Wahrung ihrer Planungshoheit zu verlangen und als Teil des\noffentlichen Interesses in die streitige Zulassungsentscheidung einzubringen,\num ihre Planungen bzw. Planungsvorstellungen zu fordern bzw. offen zu halten.\n\n61\n\nSoweit sich die Klagerin bei dem Einwand gegen die Oberflachenentwasserung\nauch auf die der Zielvorgabe des Gebietsentwicklungsplans entsprechende\nNutzung bezieht und die fehlende Ordnungsmaßigkeit der Gestaltung der vom\nBergbau in Anspruch genommenen Oberflache (§ 4 Abs. 4 BBergG) rugt, verkennt\nsie, daß die Gestaltung in dem nach den Umstanden gebotenen Ausmaß (§ 55 Abs.\n2 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BBergG) zu erfolgen hat.\nDies umfaßt die Vorkehrungen und Maßnahmen, die erforderlich sind, um eine\nkunftige geplante Nutzung zu gewahrleisten, d. h. vorzubereiten und zu\nermoglichen, nicht aber solche Maßnahmen, die die kunftige Nutzung bereits\naufnehmen. Die Wiedernutzbarmachung besteht nicht notwendig in der\nWiederherstellung des vor Beginn des Abbaus bestehenden Zustandes der\nOberflache oder dem Zurverfugungstellen der Flache zur unmittelbaren Aufnahme\nder Folgenutzung; sie ist dann erreicht, wenn die Flache ordnungsgemaß so\ngestaltet ist, daß sie sich fur eine sinnvolle andere Nutzung eignet.\n\n62\n\nVgl. Boldt/Weller, Bundesberggesetz, § 2 Rn. 20 f., § 4 Rn. 20 und § 69 Rn.\n20; Knochel, ZfB 137 (1996), 44, 54.\n\n63\n\nDaß die Oberflachenentwasserung selbst diesen Anforderungen nicht genugt,\ndemgemaß das Deponieprojekt gefahrdet und deshalb die Zielvorgabe des\nGebietsentwicklungsplans unterlaufen werden konnte, ist den ganzlich\nunsubstantiierten und hinsichtlich der Folgerungen rein spekulativen\nEinwendungen der Klagerin nicht zu entnehmen.\n\n64\n\nAus dem Gebot der "Sicherstellung" der Wiedernutzbarmachung ergibt sich kein\nzugunsten der Klagerin eingreifender weitergehender Ansatz fur eine\nBerucksichtigung ihrer Interessen zum Schutz der Planungshoheit. Diese\nAnforderung bezieht sich auf die dauerhafte Sicherung der im\nAbschlußbetriebsplan vorgesehenen Maßnahmen, die ihrerseits den zu beachtenden\ngemeindlichen Interessen genugen mussen. Insbesondere ergibt diese Anforderung\nkeinen Anspruch auf die Regelung von Alternativen fur den Fall des Ausbleibens\nder bei der Oberflachengestaltung zugrunde gelegten kunftigen Nutzung. Ein\nsolcher Anspruch ist auch sonst nicht herzuleiten. Die Bewaltigung der\nProbleme aus in der Zukunft moglicherweise eintretenden Entwicklungen ist\ngerade Aufgabe der gemeindlichen Planung, wenn und soweit diese durch\nEntfallen einer Zielvorgabe aus dem Gebietsentwicklungsplan ohne gleichzeitige\nAufnahme eines anderen Ziels fur den betroffenen Bereich wieder in freierer\nWeise eroffnet ist. Die dann gegebene tatsachliche Situation schließt an die\ndurch die standortgebundene bergbauliche Tatigkeit, die in Geltung gewesene\nlandesplanerische Standortzuweisung und die dadurch bedingten Gegebenheiten an\nund pragt die Situationsgebundenheit der gemeindlichen Planung der\nBodennutzung, die von der Klagerin grundsatzlich hinzunehmen ist.\n\n65\n\nDie zwangslaufigen Folgen aus der Bindung an Vorgaben aus dem\nGebietsentwicklungsplan nach dessen Änderung stellen insofern auch keine\naußergewohnliche Belastung durch Probleme dar, die in der kunftigen Planung zu\nbewaltigen sind; den Konsequenzen aus eingeleiteten Planungen und eventuellen\nersten Schritten zur Umsetzung muß die gemeindliche Planung etwa auch nach dem\nScheitern eines von ihr vorgesehenen raumgreifenden Vorhabens Rechnung tragen.\nOb sich etwas anderes ergibt, wenn die Realisierung der Zielvorgabe aus dem\nGebietsentwicklungsplan konkret in hohem Maße zweifelhaft ist, mag\ndahinstehen. Denn dieser Fall war jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt nicht\ngegeben, zumal zu berucksichtigen ist, daß ein Gebietsentwicklungsplan nicht\nauf eine kurzfristige Umsetzung angelegt ist.\n\n66\n\nAuch das Bergrecht gibt keine Anknupfungspunkte fur die Moglichkeit, den zur\nWiederherstellung Verpflichten wiederholt in die Pflicht zur\nOberflachengestaltung zu nehmen; es verlangt einen Abschlußbetriebsplan, der\nder gegebenen Sach- und Rechtslage genugt und seinem Wesen gemaß die\nbergbauliche Tatigkeit an dem entsprechenden Ort abschließt. An vollig\nungewisse Sachverhalte in unbestimmter Zukunft knupfen die bergrechtlichen\nVorschriften uber die Betriebsplanzulassung auch sonst nicht an. Die\nerforderliche Vorsorge im Sinne der Zulassungsvoraussetzungen wie etwa nach §\n55 Satz 1 Nr. 3 BBergG setzt tatsachliche Anhaltspunkte jedenfalls aus\nbetriebstypischen Begebenheiten und Ablaufen fur Gefahren bzw. fur das\nGebotensein von Schutzvorkehrungen voraus, und gemeinschadliche Einwirkungen\nim Sinne von § 55 Satz 1 Nr. 9 BBergG sind dann zu erwarten, wenn sie bei\nnormalem Geschehensablauf nach allgemeiner Lebenserfahrung wahrscheinlich und\nihrer Natur nach vorhersehbar sind,\n\n67\n\nvgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1995 - 4 C 25.94 -, BVerwGE 100, 31, 36.\n\n68\n\nAuch im Recht der Planfeststellung setzt ein Vorbehalt nach § 74 Abs. 3 des\nVerwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) voraus, daß im Zeitpunkt der\nPlanfeststellung ein aktueller Konfliktlosungsbedarf erkannt und eine\nBewaltigung des Problems durch die vorbehaltene Regelung absehbar ist und\nlediglich die dafur notwendigen Kenntnisse sich im Zeitpunkt der\nPlanfeststellung nicht mit zumutbarem Aufwand beschaffen lassen.\n\n69\n\nVgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 - 4 C 29.94 -, DVBl 1997, 708, 713.\n\n70\n\nDie vom 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts im Beschluß vom 22. April 1993 -\n12 B 4812/92 - aufgeworfene Frage nach einem Regelungsbedarf fur den Fall des\nendgultigen Scheiterns des Deponieprojekts ist danach verneinend zu\nbeantworten.\n\n71\n\nSelbst wenn der von der Klagerin gesehene Regelungsbedarf fur den Fall des\nScheiterns des Deponieprojekts anzuerkennen und rechtlich zu befriedigen ware,\nwaren in ihrer Planungshoheit begrundete Interessen im Rahmen der Beachtung\ndes offentlichen Interesses nicht unzulassig vernachlassigt worden. Denn\nBeachtlichkeit verdienten nur solche planerischen Interessen und\nVorstellungen, die hinreichend bestimmt und konkret und in diesem Sinne\nberucksichtigungsfahig waren und die durch das gerugte Fehlen einer Regelung\nnachhaltig gestort wurden. Das ist zu verneinen. Abzustellen ist fur die\nBeurteilung auf den Stand der Planung, der beim Eintreten der planerischen\nBindungen an die Ausweisungen des Gebietsentwicklungsplans erreicht war und\nauf den die Klagerin nach ihrem Vorbringen im Fall des Scheiterns des\nDeponieprojekts zuruckzugreifen vorhat.\n\n72\n\nEine hinreichende Konkretisierung der gemeindlichen Planung der Bodennutzung\nwar mit der Darstellung des Tagebaugelandes als Flache fur die Landwirtschaft\nbzw. als Grunflache im Flachennutzungsplan nicht gegeben. Hierbei handelt es\nsich um außenbereichstypische Darstellungen eines Flachennutzungsplans, die\nregelmaßig nicht hinreichend konkrete eigene Planungen der Gemeinde fur den\nBereich verkorpern; sie weisen dem so beplanten Bereich lediglich die ihm\nohnehin nach dem Gesetz in erster Linie zukommende Funktion, der Land- und\nForstwirtschaft und dadurch zugleich auch der allgemeinen Erholung zu dienen,\nzu und sind nicht eine Auspragung einer qualifizierten Standortzuweisung fur\neine konkrete Nutzung und der spezifischen Betatigung planerischer\nGestaltungsfreiheit.\n\n73\n\nVgl. BVerwG, Urteile vom 20. Januar 1984 - 4 C 43.81 -, NVwZ 1984, 367, 368,\nvom 22. Mai 1987 - 4 C 57.84 -, BVerwGE 77, 300, 302 und vom 6. Oktober 1989 -\n4 C 28.86 -, NVwZ 1991, 161.\n\n74\n\nEs ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, daß der als Flache fur die\nLandwirtschaft dargestellte Bereich im Hinblick auf besondere Verhaltnisse\ngerade der Landwirtschaft vorbehalten werden sollte. Auch in bezug auf\nsonstige spezifische Nutzungen und Funktionen ist eine konkrete\nStandortbezogenheit der planerischen Darstellung nicht ersichtlich. Soweit\nnach dem Vorbringen der Klagerin ihre Planungsvorstellungen mit den\nbezeichneten Darstellungen im Flachennutzungsplan auf eine Einbindung des\nehemaligen Tagebaubereichs in das Umfeld und die Schaffung bzw. Erhaltung\neiner Verbindung der Grun- und Erholungsbereiche O. - M. -See und B. abzielen,\ngreifen sie offensichtlich lediglich außenbereichstypische Funktionen auf, da\nkonkrete Konzepte zur Gestaltung von Grunbereichen in Beziehung zu Grunzonen\ndes Umfeldes bzw. zur Ausgestaltung der Erholungsfunktionen des Bereichs nicht\ndargetan sind. Hinweise darauf ergeben sich insbesondere auch nicht aus der\nvon der Klagerin im Verwaltungsverfahren in Bezug genommenen Stellungnahme zum\nGebietsentwicklungsplan-Änderungsverfahren. Die Aspekte der Erhaltung der\nFreiraumfunktionen im siedlungsstrukturell und durch Gewerbe und Industrie\nintensiv genutzten Raum, der Erholungsfunktion und der Grunverbindungszonen\nweisen nicht uber die außenbereichstypischen Funktionen hinaus.\n\n75\n\nSelbst unter der Annahme einer hinreichend konkreten Planung wurde durch die\nZulassung des Abschlußbetriebsplans und insbesondere das Fehlen einer\nRegelung, die fur den Fall des Scheiterns des Deponieprojekts weitergehende\nAnforderungen an die Wiedernutzbarmachung der Oberflache offenhalt, in diese\nPlanung nicht nachhaltig und schwerwiegend eingegriffen. Daß ohne\nweitergehende Oberflachengestaltung eine je nach den Nutzungsinteressen des\nEigentumers in Betracht kommende landwirtschaftliche Nutzung des\nTagebaubereichs, der nicht einer forstwirtschaftlichen Nutzung zugefuhrt\nworden ist, ausscheidet, kann nicht angenommen werden. Die "Restmulde", die\ngemaß der Nebenbestimmung zu 1. auf Dauer durch kunstliche Entwasserung\ntrocken zu halten ist - einer Maßnahme in der Form der Zielvorgabe, deren\nTauglichkeit die Klagerin nicht substantiiert in Zweifel gezogen hat -, ist\nmit Grun- und Krautpflanzen eingegrunt; es spricht nichts dagegen, daß sie\neiner jedenfalls extensiven Weidenutzung zugefuhrt und ihre Erreichbarkeit fur\ndiesen Zweck herbeigefuhrt werden kann. Auch den angesprochenen Erholungs- und\nVernetzungsfunktionen der Grunzonen, denen die Aufforstung des nordostlichen\nTeilbereichs gemaß der Nebenbestimmung 2. des Zulassungsbescheids Rechnung\ntragt, wie auch der Freiraumfunktion kann der entsprechend den Vorgaben des\nAbschlußbetriebsplans gestaltete Bereich der Restmulde im Grundsatz, soweit\njedenfalls die Planungsvorstellungen der Klagerin ohne konkretes\nGestaltungskonzept reichen, dienen. Daß die Planungen der Klagerin konkret die\nVerfullung des Tagebaubereichs voraussetzte, hat diese in Verwaltungsverfahren\nund auch im gerichtlichen Verfahren nicht hinreichend deutlich gemacht. Soweit\ndie Klagerin schließlich darauf hinweist, eine Realisierung anderer\nPlanungsmoglichkeiten sei durch die Vorgaben des Abschlußbetriebsplans nicht\nmoglich, da der Eigentumer der Flache nicht rechtlich durchsetzbar zur\nVerfullung der Westmulde aufgefordert werde, fehlt jeglicher Hinweis auf\nVorstellungen, deren Umsetzung die Verfullung des Tagebaubereichs voraussetzt.\n\n76\n\nSchließlich hatte die Klagerin auch dann kein Abwehrrecht gegen die Zulassung\ndes Abschlußbetriebsplans der Beigeladenen, wenn auf die in der Rechtsprechung\nzum Schutz der gemeindlichen Planungshoheit insbesondere im Fachplanungsrecht\nentwickelten Grundsatze zuruckgegriffen wird. Dabei geht der Schutz des\nSelbstverwaltungsrechts in der Auspragung der gemeindlichen Planungshoheit im\nbergrechtlichen Betriebsplanzulassungsverfahren nicht weiter als der Schutz im\nallgemeinen und insbesondere im Fachplanungsrecht. Danach kann eine\nBeeintrachtigung dieses Rechts vorliegen, wenn ein Vorhaben eine hinreichend\nbestimmte oder verfestigte Planung nachhaltig stort, wegen seiner\nGroßraumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebietes einer durchsetzbaren\nPlanung entzieht oder wenn kommunale Einrichtungen durch das Vorhaben\nerheblich beeintrachtigt werden,\n\n77\n\nvgl. BVerwG, Urteile vom 11. Mai 1984, a.a.O., vom 27. Marz 1992 - 7 C 18.91\n-, BVerwGE 90, 96, 100 und vom 21\\. Marz 1996 - 4 C 26.94 -, DVBl. 1996, 914,\n915 sowie Beschluß vom 15\\. Juli 1994 - 4 B 102.94 -, a.a.O.; ferner VerfGH\nNW, Urteile vom 15\\. Dezember 1989 und vom 9. Juni 1997, jeweils a.a.O.\n\n78\n\nDaß durch die Zulassung des Abschlußbetriebsplans, die in engen raumlichen\nGrenzen einen Teil des Gemeindegebiets von insgesamt 60 ha bis 70 ha erfaßt,\nwesentliche Teile des insgesamt mehr als 5600 ha umfassenden Gemeindegebiets\neiner durchsetzbaren Planung entzogen oder kommunale Einrichtungen erheblich\nbeeintrachtigt werden, ist nicht ersichtlich. Durch die streitige\nBetriebsplanzulassung wird aber auch eine hinreichend konkrete oder verfestige\nPlanung der Klagerin nicht nachhaltig gestort. Dies ergibt sich aus der\nvorstehenden Begrundung zur bergrechtlichen Interessenabwagung, die auch im\nvorliegenden Zusammenhang uneingeschrankt Aussagekraft besitzt und auf die\ndaher Bezug genommen wird.\n\n79\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die\nErstattungsfahigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen entspricht\nder Billigkeit, da sie als notwendig Beigeladene (§ 65 Abs. 2 VwGO) in das\nVerfahren einbezogen werden mußte.\n\n80\n\nDer Ausspruch uber die vorlaufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§\n708 Nr. 11, 711 ZPO.\n\n81\n\nGrunde, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.\n\n82\n\n
309,643
olgk-1998-05-05-2-zs-44798-50-
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
2 Zs 447/98 -50-
1998-05-05
2019-03-13 08:32:27
2019-03-27 09:49:36
Beschluss
ECLI:DE:OLGK:1998:0505.2ZS447.98.50.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**G r u n d e :**\n\n2\n\nI.\n\n3\n\nAm 12. Dezember 1996 erstattete der Antragsteller gegen den Beschuldigten K.\nK., Inhaber einer Reparaturwerkstatt, Strafanzeige, weil sein Pkw, Cadillac\nEldorado, Baujahr 1978, den er zur Aufarbeitung in die Werkstatt gebracht\nhatte, "beraubt und beschadigt" worden sei.\n\n4\n\nNach Durchfuhrung von Ermittlungen stellte die Staatsanwaltschaft am 5. Mai\n1997 das Verfahren (57 Js 33/97) mit Zustimmung des Amtsgerichts Kerpen nach §\n153 StPO ein.\n\n5\n\nUnter dem Aktenzeichen 57 Js 94/97 StA Koln, das zuvor unter dem Aktenzeichen\n906 Js 22/97 bei der Staatsanwaltschaft Dusseldorf anhangig und an die\nStaatsanwaltschaft Koln abgegeben worden war, war gegen den Beschuldigten M.\nK. ein Ermittlungsverfahren anhangig, in dem dieser (gemaß Anklageschrift vom\n11. April 1997) der Korperverletzung zum Nachteil des Antragstellers angeklagt\nwar. Nach Eroffnung des Hauptverfahrens wurde das Verfahren (44 Ds 290/97 AG\nKerpen) in der Hauptverhandlung am 26. Februar 1998 im Hinblick auf eine\nVerurteilung in 44 Ds 590/96 AG Kerpen nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.\n\n6\n\nMit Schreiben vom 1. Juni 1997 reichte der Antragsteller beim\nVerwaltungsgericht Koln eine "Verwaltungsklage gegen die Staatsanwaltschaft\nKoln zur Verfahrensweise des AZ: 57 Js 33/97 sowie 906 Js 22/97" ein. In\ndiesem verwaltungsgerichtlichen Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft Koln\nden Antrag, die Klage zuruckzuweisen und dem Klager die Kosten des Verfahrens\naufzuerlegen. Sie hielt den Klageweg zum Verwaltungsgericht fur unzulassig und\nvertrat weiter die Auffassung, daß eine Verweisung an das Oberlandesgericht\nausscheide, "weil die Klage auch dort, und zwar aus mehreren Grunden,\nunzulassig" sei.\n\n7\n\nMit Beschluß vom 3. Marz 1998 hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Koln\nden zum Verwaltungsgericht beschrittenen Rechtsweg fur unzulassig erklart und\nden Rechtsstreit an das zustandige Oberlandesgericht Koln verwiesen, weil\ndieses Gericht nach § 172 Abs. 4 StPO zur Entscheidung uber den Antrag berufen\nsei.\n\n8\n\nWegen unbekannten Aufenthalts des Antragstellers ist dieser Beschluß\noffentlich zugestellt worden.\n\n9\n\nII.\n\n10\n\nDer Antragsteller kann mit seinem Verlangen nach Klageerzwingung in den\nVerfahren 57 Js 33/97 StA Koln gegen den Beschuldigten K. K. und 57 Js 94/97\nStA Koln (fruher 906 Js 22/97 StA Dusseldorf) gegen den Beschuldigten M. K.\nkeinen Erfolg haben.\n\n11\n\nSein dahingehender - in der Verwaltungsklage vom 1. Juni 1997 enthaltener -\nAntrag, uber den nunmehr der Senat nach der Verweisung durch das\nVerwaltungsgericht zu entscheiden hat, ist unzulassig. Dabei kann dahinstehen,\nob und ggf. inwieweit der Verweisungsbeschluß des Verwaltungsgerichts Koln vom\n3. Marz 1998 fehlerhaft ist.\n\n12\n\nDie Unzulassigkeit des Antrages, der auch weitere Zulassigkeitsvoraussetzungen\nnicht erfullt (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 172\nRdnr. 26 ff.) ergibt sich schon daraus, daß er entgegen der Vorschrift des §\n172 Abs. 3 S. 2 nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet ist. Ein weiterer\nGrund fur die Unzulassigkeit des Antrages ist auch deswegen gegeben, weil die\nVerfahren nach § 153 StPO (57 Js 33/97 gegen K. K.) und § 154 Abs. 2 StPO (57\nJs 94/97 gegen M. K.) eingestellt worden sind (§ 172 Abs. 2 S. 3 StPO).\n\n
309,687
olgk-1998-04-27-16-u-2395
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
16 U 23/95
1998-04-27
2019-03-13 08:33:41
2019-03-27 09:49:30
Beschluss
ECLI:DE:OLGK:1998:0427.16U23.95.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**G r u n d e**\n\n2\n\nDie Berichtigung erfolgt gemaß § 319 Abs. 1 ZPO von Amts wegen.\n\n3\n\nDie Berichtigung im Tenor hinsichtlich der ausgeurteilten Summe sowie des\nzugrunde liegenden Zahlenwerks in den Entscheidungsgrunden erfolgt wegen einer\noffensichtlichen Unrichtigkeit bei der Berechnung der dem Klager zugute zu\nhaltenden Verwendungen auf das Buroinventar. In der von ihm vorgelegten\nRechnung vom 07.02.1994 (Bl. 445), die u.a. als Beleg fur die Summe der\nberucksichtigungsfahigen Verwendungen herangezogen worden ist, ist als\nAbzugsposition eine vom Klager bereits im voraus geleistete a-conto-Zahlung\nenthalten, die betragsmaßig nicht mehr in der Endsumme erfaßt worden ist.\nDieser Betrag von 3.000,00 DM netto, den der Klager in der Klagesumme geltend\ngemacht hat, ist bei der Zusammenstellung der in Abzug zu bringenden\nVerwendungen ubersehen worden.\n\n4\n\nFerner waren auf Anregung des Klagers Tatbestand und Entscheidungsgrunde dahin\nklarstellend zu erganzen, daß der Klager anteilig errechnete Miet- und\nHeizkosten fur das Buromobiliar geltend gemacht hat. Daß mit der im Tatbestand\nverwendeten Bezeichnung "Heizkosten" diese Position insgesamt gemeint ist,\nergibt sich bereits aus dem unmittelbar anschließenden Bezug auf seinen\nSchriftsatz vom 17.07.1997, dem die Einzelheiten zu entnehmen sind.\nDementsprechend war auch in den Entscheidungsgrunden die gewahlte Bezeichnung\n"Heizkosten" um die offensichtliche Auslassung "Miet- und" zu erganzen.\n\n5\n\nDer Senat geht davon aus, daß durch diesen Beschluß die Antrage des Klagers\nvom 20.04.1998 erledigt sind.\n\n
309,895
ovgnrw-1998-03-13-11a-d-15794ne
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
11A D 157/94.NE
1998-03-13
2019-03-13 08:39:09
2019-03-27 09:49:01
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:1998:0313.11A.D157.94NE.00
## Tenor\n\nDer Normenkontrollantrag wird abgelehnt.\n\nDer Antragsteller tragt die Kosten des Verfahrens.\n\nDas Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorlaufig vollstreckbar.\n\nDie Revision wird nicht zugelassen.\n\n \n1\n\nTatbestand:\n\n2\n\nDer Antragsteller wendet sich im Normenkontrollverfahren gegen den am 20. Mai\n1994 in Kraft getretenen Bebauungsplan Nr. I/B 47 "Sonstiges\nSondergebiet/Gewerbegebiet S.-Hof" (Satzungsbeschluß vom 16. Dezember 1993).\n\n3\n\nDer Geltungsbereich des Bebauungsplanes wird im Osten begrenzt durch die\nBundesbahnhauptstrecke H.-H. im Suden durch den S. ring (Bundesstraße .) im\nWesten und Nordwesten durch den O.damm (Bundesstraße und Bundesstraße .) und\nim Sudwesten durch die Eckverbindung vom O.damm zum S.ring.\n\n4\n\nDie sudwestliche Halfte des in etwa dreieckformigen Plangebietes ist als\nsonstiges Sondergebiet - SO - mit der Zweckbestimmung Mobel-/Einrichtungshaus\nals großflachiger Einzelhandelsbetrieb uberplant. Dort ist die Nutzung der\nbaulichen Anlage fur den Verkauf von Mobeln jeglicher Art und die damit\nzusammenhangenden Einrichtungsgegenstande u.a. unter folgenden Voraussetzungen\nzulassig: Die max. Bruttogeschoßflache wird auf 20.000 m² begrenzt. Die\nVerkaufsflache darf nur 14.000 m² betragen. Weiterhin sind ausnahmsweise im\neinzelnen aufgefuhrte zetrumsrelevante Sortimente auf einer Verkaufsflache von\nmax. 1.500 m² zulassig. Unzulassig sind im einzelnen aufgefuhrte Sortimente.\nZu dem sind nur Betriebe und Anlagen zulassig, deren gesamte Schallemissionen\ndie immissionswirksamen flachenbezogenen Schalleistungspegel von 58 db(A)\ntagsuber und 43 db(A) nachtsuber nicht uberschreiten. Die uberbaubare Flache\nist durch Baugrenzen bestimmt. Bei einer Gelandehohe von 114 m uber NN ist\neine max. Gebaudehohe von 12 m und damit eine Hohe von 126 m uber NN\nfestgesetzt. Dies gilt fur den nordwestlichen Teil des Sondergebietes. Fur den\nsudostlichen Teil der uberbaubaren Flache ist Sondergebiet/Parkhausparkpalette\nmit einer max. Gebaudehohe von 10 m festgesetzt. Der ubrige Bereich des\nSondergebietes ist im Eckbereich von O.damm und S. ring als N1 - nicht\nuberbaubare und zu begrunende Flache - festgesetzt. Der ubrige und damit\nmittlere Teil des Sondergebietes, der zum S. ring hin ausgerichtet ist,\nenthalt die Festsetzung Planstraße im Einmundungsbereich zum S. ring und\nzwischen dieser Planstraße und den durch Baugrenzen festgesetzten uberbaubaren\nBereich die Festsetzung Stellplatze (ca. 250). Das Sondergebiet wird von mit\nGeh-, Fahr- und Leitungsrechten zu belastenden Flachen zugunsten von Ver- und\nEntsorgungstragern sowie zugunsten der jeweiligen Eigentumer der Grundstucke\nim nordwestlich angrenzenden Gewerbegebiet umfaßt. Das Gewerbegebiet ist\ngegliedert. Der sudostliche Bereich, der am nachsten zum Sondergebiet gelegen\nist und im Osten an die Bahnstrecke angrenzt, ist als GE 1 festgesetzt.\nZulassig sind hier Betriebe der Abstandsklasse VI und VII mit einem\nfestgesetzten Mindestabstand von 200 m bzw. 100 m zu Wohngebieten. Die ubrigen\nGewerbeflachen entlang des O.damms und im nordlichen Planbereich zwischen\nO.damm und Bundesbahnhauptstrecke sind als GE 2 festgesetzt. Dort sind\nBetriebe der Abstandsklasse VII mit einem Mindestabstand von 100 m zu\nWohngebieten festgesetzt.\n\n5\n\nDer Antragsteller ist Eigentumer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstucks\nM. Straße 8. Dieses liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 7\n"V-Straße" vom 30. Dezember 1959. Dieser trifft die Festsetzung reines\nWohngebiet. Die nachste Entfernung zwischen der sudostlichen Grundstucksgrenze\ndes Flurstucks 594 des Antragstellers und der nordwestlichen Grenze des\nPlangebietes betragt ca. 130 m. Die nachste Entfernung zwischen der\nbeschriebenen Grundstucksgrenze des Klagers und den GE 1-Gebieten betragt uber\n200 m. Eine Sichtverbindung zwischen dem Grundstuck des Klagers und dem\nPlanbereich besteht nicht. Wie bereits beschrieben verlauft westlich und\nnordwestlich des Plangebietes der O.damm auf einer aufgeschutteten und\nangeboschten 30 m breiten Trasse, die in Richtung Westen und damit zum\nGrundstuck des Antragstellers aufgrund eines Nachtrages zum\nPlanfeststellungsverfahren B . vom 30\\. November 1981 mit einem ca. 4,50 m\nhohen Larmschutzwall versehen ist. Aus der Darstellung der Gebaudehohen im\nBebauungsplan und den hierzu dargestellten 3 Hohenschnitten ergibt sich, daß\ndas Mobelhaus im Plangebiet bei einer Gelandehohe von 114 m uber NN 12 m hoch\ngebaut werden darf und damit eine zulassige Hohe von 126 m uber NN hat. Die\nTrasse des O.damm hat an dieser Stelle eine Hohe von 123 m uber NN und liegt\ndamit um 9 m hoher als das Gelandeniveau im hier angrenzenden Plangebiet. Auf\netwa der gleichen Hohe liegt das Grundstuck des Antragstellers. Der\nLarmschutzwall hat in diesem Bereich eine Hohe von 127,50 m uber NN und steigt\nin nordlicher Richtung auf 1,29 m uber NN an. Zwischen der sudostlichen\nGebaudewand des Wohnhauses des Antragstellers und dem hochsten Punkt des\nLarmschutzwalles liegen ca. 85 m. Bezogen auf das Grundstuck des\nAntragstellers liegt die Kuppe des Larmschutzwalles ca. 13,50 m uber dessen\nGelandeniveau.\n\n6\n\nDer Bebauungsplan ist in folgendem Verfahren zustande gekommen:\n\n7\n\nAm 22. Juni 1984 beschloß der Rat der Antragsgegnerin fur das Gebiet S. ring -\nB ... - Bundesbahn-Hauptstrecke den Bebauungsplan Nr. I/B47 aufzustellen.\nDieser Ratsbeschluß sowie die Durchfuhrung der fruhzeitigen Burgerbeteiligung\nan der Bauleitplanung in der Zeit vom 20. August 1984 bis zum 24\\. August 1984\nwurden am 18. August 1984 ortsublich bekannt gemacht. Eine offentliche\nAnhorung wurde am 30. August 1984 durchgefuhrt. Im Marz 1986 wurde dann die\nBearbeitung des Aufstellungsverfahrens eingestellt.\n\n8\n\nWieder aufgenommen wurden die Planungen im Fruhjahr 1990, als die I. GmbH den\nAnkauf eines rund 11 ha großen Gewerbegrundstucks am S. ring beantragte mit\ndem Ziel, dort ein Mobelhaus mit einer Verkaufsflache von 14.000 m² und ein\nLager mit einer Grundflache von rund 23.100 m² zu bauen. Bereits in diesem\nStadium der Planungen wandte sich der Antragsteller an das Planungsamt der\nAntragsgegnerin und verlangte aktive Larmschutz- und Larmsanierungsmaßnahmen\nfur den Bereich M. Straße/Von-M.-Straße.\n\n9\n\nAm 31. Mai 1990 beschloß der Rat der Antragsgegnerin, bezuglich des\nPlanbereiches eine erneute fruhzeitige Burgerbeteiligung durchzufuhren. Eine\nAuslegung der Planunterlagen erfolgte in der Zeit vom 11. Juni bis 21. Juni\n1990\\. Der Beschluß wurde ortsublich bekannt gemacht. Die Trager offentlicher\nBelange wurden mit Schreiben vom 6\\. September 1991 beteiligt. In der\nFolgezeit lehnte der Rat am 25. Juni 1992 und am 9. Juli 1992 die\nBeschlußfassung uber den Planentwurf ab. Mit Beschluß vom 25. Februar 1993\nbeauftragte der Rat die Verwaltung, einen geanderten Entwurf des\nBebauungsplanes zu erarbeiten, nachdem die Firma I. dem Wegfall des Lagers,\ndem Fortfall eines Hochregallagers und der Begrenzung von Nicht-Mobelangeboten\nauf 1.500 m² Verkaufsflache zugestimmt hatte. Am 24. Juni 1993 beschloß der\nRat den so geanderten Bebauungsplan als Entwurf mit Begrundung und dessen\noffentliche Auslegung in der Zeit vom 26. Juli bis 3\\. September 1993. Dieser\nBeschluß wurde am 7. Juli 1993 ortsublich bekannt gemacht. Wahrend der\nAuslegungszeit machte der Antragsteller u.a. folgende Anregungen und Bedenken\ngeltend: Die zulassigen db(A)-Grenzwerte auf dem O.damm wurden bereits extrem\nuberschritten. Bedingt durch die Hohe der geplanten Gebaude von 12 bis 15 m\nwurden die Larmimmissionen reflektiert. Dies sei durch aktive\nLarmschutzmaßnahmen am O.damm abzustellen. Dies habe dadurch zu erfolgen, daß\naktive Larmschutzmaßnahmen in den Geltungsbereich des Bebauungsplanes am\nO.damm mit aufgenommen bzw. erganzt wurden. Im Plangebiet werde ein\nkleinflachiger Waldbestand uberplant. Dies sei nicht erforderlich. Die\nauftretenden Abgasemissionen im Plangebiet mußten uberpruft werden. Im Bereich\nS. ring mußten die Grenzwerte fur reine Wohngebiete eingehalten werden. Das im\nPlangebiet gelegene zweieinhalbgeschossige Wohnhaus S. 11 werde bei der\nBeurteilung der Larmemissionen nicht berucksichtigt. Es sei eine\nUmweltvertraglichkeitsprufung vorzunehmen. Die von Dr. Ing. B. erstellte\nschalltechnische Untersuchung fur das Bebauungsplangebiet vom 22. April 1993\nsei in hohem Maße fehlerhaft. Somit sei sie fur die Beurteilung weitgehend\nunbrauchbar. Neben dem Antragsteller machten insbesondere die\nInteressengemeinschaft der Anlieger V. - Straße/M. Straße sowie die Eigentumer\nund Bewohner des Hauses S. 11 Anregungen und Bedenken geltend.\n\n10\n\nAm 16. Dezember 1993 befand der Rat der Antragsgegnerin uber die eingegangenen\nAnregungen und Bedenken und beschloß den Bebauungsplan Nr. I/B 47 als Satzung\nmit seiner Begrundung. Weiterhin wurde die Änderung des Flacnenutzungsplanes\nim Parallelverfahren beschlossen. Mit Schreiben vom 14. Februar 1994 zeigte\ndie Antragsgegnerin den Bebauungsplan dem Regierungsprasidenten D. an. Dieser\nmachte mit Verfugung vom 6. Mai 1994 nicht die Verletzung von\nRechtsvorschriften geltend. Gleichzeitig genehmigte er die 28. Änderung des\nFlachennutzungsplanes. Der Bebauungsplan wurde am 20\\. Mai 1994 ortsublich\nbekannt gemacht.\n\n11\n\nDer Antragsteller hat am 1. Dezember 1994 den Erlaß einer einstweiligen\nAnordnung zur Außervollzugsetzung des Bebauungsplanes beantragt. Diesen Antrag\nhat der erkennende Senat durch Beschluß vom 14. Marz 1995 im Verfahren 11a B\n3103/94.NE abgelehnt.\n\n12\n\nDer Antragsteller hat am 5. Dezember 1994 das vorliegende\nNormenkontrollverfahren eingeleitet. Zur Begrundung tragt er unter\nWiederholung seiner Einwendungen aus dem Planaufstellungsverfahren vor: Im\nMittelpunkt seines Begehrens stunden immissionsschutzrechliche Belange,\ninsbesondere Gerauschimmissionen durch Kraftfahrzeuge. Die dem Bebauungsplan\nzugrundeliegende Schalltechnische Untersuchung des Dr. Ing. B. vom 7. Mai 1991\nund deren uberarbeitete Fassung vom 22. April 1993 seien zugunsten der Firma\nI. manipuliert und infolge dessen insgesamt unbrauchbar. Der Gutachter habe\ndie Belastungszahlen aus der Verkehrszahlung vom 24. Marz 1992 und nicht die\nZahlen der Verkehrszahlung von 1990 berucksichtigt. Er gehe bezuglich der den\nI. -Markt anfahrenden Fahrzeuge von falschen Zahlen aus. Infolgedessen seien\ndie Belastungen durch den Verkehr auf dem O.damm und dem S. ring falsch\nermittelt worden. Der Nachweis der Unbrauchbarkeit der schalltechnischen\nUntersuchung des Gutachters werde durch eine Stellungnahme des TÜV H. e. V.\nvom 26. Oktober 1994 gefuhrt. Der TÜV komme zu dem Ergebnis, daß im Plangebiet\nam starksten belasteten Immissionspunkt von einem Beurteilungspegel gemaß\nRLS-90 tagsuber von 69 db(A) und nachts von 62 db(A) auszugehen sei.\nHingewiesen werde auch auf eine Stellungnahme des Dr. Ing. S. vom 13. Oktober\n1991 zu den durch die I. - Ansiedlung verursachten Verkehrsgerauschen.\nManipuliert seien auch die Zahlen der Kraftfahrzeuge, die I. anfuhren. Bereits\njetzt komme es samstags zu einem 100 m langen Stau und zu unertraglichen Larm-\nund Abgasbelastungen. Die Ansiedlung des I.-Marktes verstoße zudem gegen den\nAbstandserlaß. Hiernach sei ein Abstand von 300 m erforderlich. Beeintrachtigt\nsei er - der Antragsteller - auch durch die Beeintrachtigung des Grundwassers\nim Plangebiet. Zwischenzeitlich sei der Bebauungsplan durch die Errichtung der\ndort vorgesehenen Betriebe in vollem Umfang realisiert.\n\n13\n\nDer Antragsteller beantragt,\n\n14\n\nden Bebauungsplan Nr. I/B 47 "Sonstiges Sondergebiet/Gewerbegebiet S.-Hof"\n(Satzungsbeschluß vom 16\\. Dezember 1993) fur nichtig zu erklaren.\n\n15\n\nDie Antragsgegnerin beantragt,\n\n16\n\nden Normenkontrollantrag abzulehnen.\n\n17\n\nSie halt den angefochtenen Bebauungsplan fur wirksam und den Antrag des\nAntragsteller nach § 47 Abs. 2 Satz 1 a.F. und n.F. fur unzulassig. Zur\nBegrundung hierzu fuhrt sie aus, der Antragsteller sei Eigentumer eines\naußerhalb des Plangebietes und nordwestlich des O.damm (B /B ) an der M.\nStraße liegenden Grundstucks. Er greife primar die Verkehrssituation auf dem\nO.damm an, wobei er auch die im Bebauungsplangebiet vorgenommene Bewertung der\nimmissionsschutzrechtlichen Belange kritisiere. Bei der Erarbeitung des\nstrittigen Bebauungsplanes seien larmtechnische Untersuchungen durchgefuhrt\nworden mit dem Ergebnis, daß die durch die geplante Ansiedlung eines\nMobelmarktes hervorgerufene Mehrbelastung von 1200 Kfz pro Tag bei einer\nGrundbelastung von 35.000 bis 40.000 Kfz pro Tag auf dem O.damm akustisch\nnicht wahrnehmbar sei. Dies gelte sogar fur eine Mehrbelastung von 3.600 Kfz\npro Tag. Zudem seien neben dem Vorhaben I. mittlerweile zwei weitere Vorhaben\n- namlich das Gartencenter M.weg und der Gewerbepark G. /A. - realisiert. Das\nPlangebiet sei damit vollstandig bebaut. Die Baugenehmigung fur die Errichtung\ndes I. Baumarktes sei bestandskraftig. Gegen die Baugenehmigung fur das\nGartencenter habe der im Plangebiet wohnende Herr P. Widerspruch eingelegt.\nDie Bearbeitung sei jedoch von der Bezirksregierung unbefristet ausgesetzt\nworden, da eine Vorausleistung in Hohe von 600,00 DM nach § 16 Gebuhrengesetz\nNW nicht erbracht worden sei. Gegen die Baugenehmigung der Firma G. habe der\nBauherr selbst bezuglich einer Nebenbestimmung der Baugenehmigung Widerspruch\neingelegt. Sonstige Widerspruche lagen nicht vor.\n\n18\n\nWegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die\nAufstellungsvorgange der Antragsgegnerin verwiesen. Diese waren Gegenstand der\nmundlichen Verhandlung.\n\n19\n\nEntscheidungsgrunde\n\n20\n\nDer Normenkontrollantrag des Antragstellers ist unzulassig.\n\n21\n\n1) Der Antragsteller ist nicht antragsbefugt. Dabei bedarf es im vorliegenden\nVerfahren keiner Entscheidung daruber, ob es fur diesen Antrag, der vor\nInkrafttreten der Änderung der VwGO durch das Sechste Gesetz zur Änderung der\nVerwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (6.\nVwGOÄndG, BGBl. I, S. 1626) bei Gericht eingegangen ist, bei der Anwendung der\nbis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung des § 47 Abs. 2 VwGO verbleibt,\n\n22\n\n2)\n\n23\n\nso VGH Munchen, Beschluß vom 14\\. Februar 1997 - 20 N 96.2462 -, NVwZ 1997,\n694\n\n24\n\noder ob auf laufende Verfahren die Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO\nanzuwenden ist\n\n25\n\nso OVG NW, Urteil vom 23. Januar 1997 - 7a D 70/93.NE -, NVwZ 1997, 694 ff. u.\nVGH Munchen, Urteil vom 4. Juni 1997 - Az. 26 N 96.2963 -, BayVbl. 1997, 591\nff.; zur Klarung dieser Frage hat das BVerwG mit Beschluß vom 22\\. Dezember\n1997 die Revision im Verfahren - 4 BN 23.97 - zugelassen.\n\n26\n\nDem Antragsteller fehlt namlich sowohl nach der neuen als auch nach der alten\nFassung des § 47 Abs. 2 VwGO die Antragsbefugnis.\n\n27\n\nNach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a. F. kann den Antrag jede naturliche oder\njuristische Person, die durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen\nNachteil erlitten oder in absehbarer Zeit zu erwarten hat, stellen.\n\n28\n\nEine derartige Antragsbefugnis wird durchweg dem Eigentumer eines im\nPlangebiet gelegenen Grundstucks zuerkannt, der sich gegen seinen Grund und\nBoden betreffende Festsetzungen wendet.\n\n29\n\nVgl. BVerwG, Beschlusse vom 6\\. Januar 1993 - 4 NB 38.92 -, BRS 55 Nr. 26 und\nvom 26. Mai 1993 - 4 NB 3.93 -, BRS 55 Nr. 28.\n\n30\n\nDer Antragsteller ist nicht Eigentumer eines Grundstucks im Plangebiet, so daß\nder Bebauungsplan fur ihn nicht schon aus sich heraus unmittelbar\neigentumsregelnde Wirkungen hat.\n\n31\n\nVgl. BVerwG, Beschluß vom 17\\. Dezember 1992 - 4 N 2.91 -, DVBl 1993, 444 =\nDÖV 1993, 391 = BRS 54 Nr. 38.\n\n32\n\nEin Nachteil kann jedoch auch Personen außerhalb des Plangebiets erwachsen,\nsofern sie in abwagungserheblichen schutzwurdigen privaten Interessen mehr als\nnur geringfugig negativ betroffen werden.\n\n33\n\nVgl. BVerwG, Beschluß vom 9\\. November 1979 - 4 N 1.78 und 2. bis 4.79 -,\nBVerwGE 59, 87 = BRS 35 Nr. 24.\n\n34\n\nUnter abwagungsrelevante private Interessen fallen nicht solche Interessen,\ndie entweder objektiv geringwertig oder aber - sei es uberhaupt, sei es in dem\ngegebenen Zusammenhang \\- nicht schutzwurdig sind. Letzteres ist insbesondere\ndann der Fall, wenn es sich um Interessen handelt, deren Trager sich\nvernunftigerweise darauf einstellen mussen, "daß so etwas geschieht", und wenn\ndeswegen einem etwa bestehenden Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten\nSachlage die Schutzbedurftigkeit abgesprochen werden muß.\n\n35\n\nVgl. OVG NW; Urteil vom 20. Mai 1994 \\- 10a D 104/93.NE - m.w.N.\n\n36\n\nZum letztgenannten Gesichtspunkt hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem\nBeschluß vom 7. Januar 1993 \\- 4 NB 42/92 -\n\n37\n\nNVwZ-RR 1993, 513 = DVBl 1993, 448 = BRS 55 Nr. 29\n\n38\n\nausgefuhrt, nicht jede durch einen Bebauungsplan ermoglichte Verkehrszunahme\nbegrunde fur jeden davon - und sei es noch so entfernt - moglicherweise\nBetroffenen eine Antragsbefugnis. Seien solche Änderungen geringfugig oder\nwirkten sie sich zum Beispiel wegen großerer Entfernungen nur unwesentlich auf\ndas "Nachbargrundstuck" aus, so ergebe sich daraus eine Beschrankung der\nAntragsbefugnis.\n\n39\n\nDer Senat verkennt nicht, daß das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß\nvom 18. Februar 1994 - 4 NB 24.93 -\n\n40\n\nBSR 56 Nr. 30\n\n41\n\nhervorgehoben hat, daß die Belange des Verkehrslarmschutzes in der\nRechtsordnung ausdrucklich als schutzbedurftig bewertet werden (vgl. §§ 3, 39\nff. und § 50 BImSchG sowie § 1 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 und 7, § 5 Abs.\n2 Nr. 6 und § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB). Somit ist einerseits dem Anwohner einer\nStraße, die den Zu- und Abfahrtsverkehr fur ein neu geplantes Baugebiet\naufnehmen soll, die Antragsbefugnis gemaß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO fur einen\nNormenkontrollantrag gegen einen dies ermoglichenden Bebauungsplan nicht\nallein deshalb abzusprechen, weil die errechnete Erhohung des Verkehrslarms\ngeringfugig ist oder weil eine solche Entwicklung zu erwarten war.\n\n42\n\nAndererseits hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß vom 28.\nNovember 1995 - 4 NB 38.94 -,\n\n43\n\nBRS 57 Nr. 41\n\n44\n\nklargestellt, daß nicht jede zu erwartende (auch geringfugige) Zunahme des\nVerkehrslarms durch die Planung eines neuen Baugebiets zum notwendigen\nAbwagungsmaterial gehort und deshalb fur den betroffenen außerhalb des\nPlanbereichs wohnenden Grundstuckseigentumer einen Nachteil im Sinne des § 47\nAbs. 2 Satz 1 VwGO darstellt. Weiterhin hat es ausgefuhrt, daß es sich nach\nden Umstanden des Einzelfalls richtet, ob eine planbedingte Zunahme des\nVerkehrslarms zum notwendigen Abwagungsmaterial gehort und deshalb fur den\nBetroffenen einen Nachteil im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO darstellt\n\n45\n\nVgl. BVerwG, Beschluß vom 19\\. Februar 1992 - 4 NB 11.91 - Buchholz 310 § 47\nVwGO Nr. 63 = DVBl 1992, 1099 und Beschluß vom 19. Marz 1992 - 4 NB 6.92 -\nn.v.\n\n46\n\nWelche von den Festsetzungen eines Bebauungsplans außerhalb seines raumlichen\nGeltungsbereichs beruhrten Belange "nach Lage der Dinge" zum notwendigen\nAbwagungsmaterial gehoren, laßt sich nicht grundsatzlich, sondern nur unter\nmaßgeblicher Berucksichtigung der jeweiligen konkreten Situation und des von\nder Planung verfolgten konkreten Planungsziels beantworten.\n\n47\n\nBeschluß vom 21. Juli 1989 - 4 NB 18.88 - BRS 49 Nr. 13, unter Bezugnahme auf\nBVerwGE 59, 87, 101.\n\n48\n\nDiese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß vom\n18. Marz 1993 (a.a.O.) nicht aufgegeben. Dies wird im Beschluß vom 28.\nNovember 1995 (a.a.O.) ausdrucklich betont.\n\n49\n\nIm Unterschied zu dem im Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Marz\n1994 (a.a.O.) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem das neue Baugebiet allein\nuber die Straße erschlossen wurde, an der die Grundstucke der damaligen\nAntragsteller lagen, befindet sich das Grundstuck des Antragsteller im\nvorliegenden Verfahren nicht unmittelbar an der Straße, die (teilweise) den\nErschließungsverkehr zum neuen Baugebiet aufnehmen soll. Nach der bereits im\nTatbestand wiedergegebenen Beschreibung der ortlichen Lage des Grundstucks des\nAntragstellers liegt dieses wenigstens 80 m von der nordwestlichen\nFahrbahntrasse des O.damm entfernt. Das Wohngebaude liegt weitere ca. 15 bis\n17 m zuruck. Hinzu kommt zum einen die Besonderheit, daß der O.damm in\nRichtung auf das Grundstuck des Antragstellers hin durch einen im Rahmen des\nPlanfeststellungsverfahrens fur den O.damm (Bundesstraße) festgesetzten 4,50 m\nuber Niveau der Straße hohen Larmschutzwall abgeschirmt ist. Andererseits ist\nin dem Schallgutachten B. zu Recht von einer Drittelung des Zu- und\nAbgangsverkehrs zum Plangebiet uber den S. ring, den O.damm und uber den\nS.ring Richtung G. ausgegangen worden. Der Senat weist - wie bereits in dem\nBeschluß nach § 47 Abs. 8 a.F. - darauf hin, daß auch Dr. Ing. S. in seiner -\ndem Gericht vom Antragsteller vorgelegten - Stellungnahme vom 13. Oktober 1991\nzu den durch die I. - Ansiedlung verursachten Verkehrsgerausche zu dem\nErgebnis kommt, daß bei einer Belastung des O.damm von ca. 35.000 Kfz bis\n40.000 Kfz eine Mehrbelastung von 1.200 Kfz pro Tag oder selbst eine\nMehrbelastung von 3.600 Kfz pro Tag angesichts dieser hohen "Grundbelastung"\nakustisch wohl nicht wahrnehmbar ist. Diese Einschatzung und die Einschatzung\nim Gutachten Dr. B. hat der Antragsteller durch die Vorlage der gutachtlichen\nStellungnahme des TÜV H. / e. V. nicht zu widerlegen vermocht. Dort wird zwar\nein Immissionspegel am Immissionspunkt I.2 (gerundet gemaß RLS-90) von 69\ndb(A) tagsuber und 62 db(A) nachts angegeben. Diese Angaben haben jedoch fur\ndie Entscheidung des vorliegenden Falles keinen Aussagewert, da lediglich\nFeststellungen zur Larmbelastung im Plangebiet, nicht aber bezgl. des\nWohngrundstucks des Antragstellers getroffen werden.\n\n50\n\nHervorzuheben ist schließlich, daß der Zu- und Abgangsverkehr zu dem neuen\nPlangebiet aus drei Richtungen uber planfestgestellte Bundesstraßen erfolgt,\ndie, wenn man die Zahlen des Antragstellers zugrundelegt, taglich jeweils mit\nca. 40.000 Fahrzeugen vorbelastet sind. Die Fahrzeuge, die uber den O.damm zum\nPlangebiet an- bzw. abfahren, sind in Hohe des Grundstucks des Antragstellers\netwa 600 m von der Einfahrt in das Plangebiet entfernt. Infolgedessen geht der\nSenat davon aus, daß das erhohte Verkehrsaufkommen auf dem O.damm in Hohe des\nGrundstuck des Antragstellers - in einer Entfernung von 80 m von der\nBundesstraße und getrennt durch einen Larmschutzwall - auf einer "allgemeinen\nVeranderung der Verkehrssituation" infolge einer Planung an einer anderen\nStraße (namlich dem S. ring) beruht. Da jede Bauleitplanung dazu fuhren kann,\ndaß sich die verkehrliche Situation in anderen Bereichen verandert, aber nicht\njeder von ihr Betroffene - auch wenn sein Grundstuck moglicherweise weiter\nentfernt liegt - ein abwagungserhebliches Interesse an der Beibehaltung des\nbisherigen Zustandes besitzt, verbietet es sich, einen Nachteil im Sinne von §\n47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a. F. immer schon dann anzunehmen, wenn die Ausweisung\neines neuen Baugebiets zu einer Verstarkung des Verkehrs fuhrt. Vielmehr kommt\nes dann darauf an, ob das verstandliche Vertrauen auf den Fortbestand einer\nbestimmten Verkehrslage noch als schutzwurdiges Interesse angesehen werden\nkann.\n\n51\n\nVgl. BVerwG, Beschluß vom 9\\. November 1979 - 4 N 1.78 und 2. bis 4.79 -,\na.a.O.\n\n52\n\nDas ist hier nicht der Fall. Der Antragsteller genießt keinen Vertrauensschutz\ndahingehend, daß sich der Verkehr auf einer planfestgestellten Bundesstraße\nnicht erhoht. Bauliche Veranderungen am O.damm sind nicht vorgenommen worden.\n\n53\n\nAus dem vorstehenden folgt, daß die Antragsgegnerin bei der\nSachverhaltsermittlung mogliche Folgen der beabsichtigten Bauleitplanung u.a.\ndurch schalltechnische Untersuchungen hat uberprufen lassen. Ergebnis dieser\nÜberprufungen ist, daß der Antragsteller angesichts der Vorbelastung des\nO.damm und des Schutzes durch den Larmschutzwall von vornherein nicht in einem\nabwagungserheblichen Privatinteresse betroffen ist.\n\n54\n\nEine Betroffenheit in diesem Sinne scheidet fur den Antragsteller auch\nhinsichtlich des Gewerbelarms aus, der im Plangebiet entsteht. Aus der\nschalltechnischen Untersuchung des Dr. Ing. B. folgt, daß den Antragsteller\nGewerbelarm infolge der Vorbelastung seines Grundstucks durch den\nStraßenverkehr auf dem O.damm und auf dem S.ring sowie durch den\nEisenbahnverkehr auf der Eisenbahnhauptstrecke infolge des auf einer ca. 9 m\nhohen Aufschuttung gefuhrten O.damm und nicht zuletzt bedingt durch den 4,50 m\nhohen Larmschutzwall nicht in horbarer Weise erreicht. Durch die\nAbschirmwirkung der Gewerbegebaude erfolgt - nach den Feststellungen des\nLarmschutzgutachters B. - sogar eine teilweise Reduzierung des Eisenbahnlarms\nauf dem Grundstuck des Antragstellers. Soweit sich der Antragsteller im\nPlanaufstellungsverfahren gegen sog. Reflektionswirkungen des Hochregallagers\ngewandt hat, ist dies unerheblich, weil das Hochregallager ersatzlos\nweggefallen ist. Im ubrigen geht aus den Schnittzeichnungen des\nBebauungsplanes hervor, daß die zulassigen Gebaudehohen nicht hoher sind als\ndie Krone des Larmschutzwalles.\n\n55\n\nDer ubrige Vortrag des Antragstellers ist nicht geeignet, eine Antragsbefugnis\nzu begrunden. Die Belastung des Plangebietes selbst mit Gewerbelarm und die\nLarmbelastung des Hauses S. 11 sind fur den Antragsteller ebensowenig\nnachteilhaft wie die Larmbelastung des Plangebietes durch den S.ring. Die\nForderung des Antragstellers, ein kleineres Waldstuck zu erhalten, sowie die\nForderung nach der Durchfuhrung einer Umweltsvertraglichkeitsprufung betreffen\noffentliche Belange und nicht Privatinteressen des Antragstellers.\n\n56\n\nDer Senat verkennt nicht, daß der Nachteilsbegriff nicht "engherzig"\nauszulegen ist. Hiergegen verstoßt der Senat nicht. Sinn des\nNormenkontrollverfahrens ist es nicht, die Moglichkeit fur eine Popularklage\nzu eroffnen oder die Aufstellung eines Bebauungsplanes dazu zu benutzen,\naktive Larmschutzmaßnahmen an einer baulich nicht veranderten und bereits mit\neinem Larmschutzwall versehenen Bundesstraße durchzusetzen.\n\n57\n\nFehlt dem Antragsteller bereits die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1\nVwGO a. F. so ist dies erst recht der Fall, wenn die Neufassung anzuwenden\nist.\n\n58\n\nNach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n. F. kann den Antrag jede naturliche oder\njuristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder\nderen Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit\nverletzt zu werden. Eine Rechtsverletzung im Sinne dieser Vorschrift ist\ngeltend gemacht, wenn der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen\nvorgetragen hat, die es zumindest als moglich erscheinen lassen, daß er durch\ndie Festsetzung des Bebauungsplanes in eigenen rechtlich geschutzten\nPositionen verletzt wird.\n\n59\n\nVgl. OVG NW, Urteil vom 7. Februar 1997 - 7a D 134/95.NE -, NVwZ 1997, 697 ff.\nund BVerwG, Beschluß vom 7. Juli 1997 - 4 NB 11.97 -; BauR 1997, 972.\n\n60\n\nDiese strengeren Anforderungen erfullt der Antrag des Antragstellers nicht.\nDas folgt aus den obigen Ausfuhrungen.\n\n61\n\n2) Dem Antragsteller fehlt auch das Rechtsschutzbedurfnis fur seinen\nNormenkontrollantrag.\n\n62\n\nNach allgemeiner Auffassung fehlt einem Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz\ndas Rechtsschutzbedurfnis u.a. dann, wenn der Antragsteller seine\nRechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht verbessern\nkann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb fur ihn nutzlos erscheint.\nWann dies der Fall ist, richtet sich indessen nach den jeweiligen\nVerhaltnissen im Einzelfall. Dementsprechend fehlt einem Normenkontrollantrag,\nder sich gegen Festsetzungen eines Bebauungsplanes richtet, zu deren\nVerwirklichung - wie hier - schon unanfechtbare Genehmigungen erteilt werden\nsind, keineswegs immer das Rechtsschutzbedurfnis, sondern nur dann, wenn der\nAntragsteller dadurch, daß der Bebauungsplan fur nichtig erklart wird, seine\nRechtsstellung nicht verbessern kann.\n\n63\n\nVgl. BVerwG, Beschluß vom 28. August 1987 - 4 N 3.86 -, BVerwGE 78, 85 = BRS\n47 Nr. 185, Beschluß vom 9. Februar 1989 - 4 NB 1.89 -, BRS 49 Nr. 37, und\nBeschluß vom 6. November 1992 - 4 NB 23.92 -.\n\n64\n\nDas ist hier der Fall.\n\n65\n\nDer Antragsteller hat auf Anfrage des Senats selber mitgeteilt, daß der\nBebauungsplan vollig realisiert ist. Die Antragsgegnerin hat mitgeteilt, daß\nbezuglich des I. Mobelmarktes eine unanfechtbare Baugenehmigung vorliegt.\nGegen die ubrigen gewerblichen Gebaude hat jedenfalls der Antragsteller keinen\nnachbarrechtlichen Abwehranspruch geltend gemacht. Der Widerspruch des im\nPlangebiet wohnenden Herrn P. gegen das Gartencenter ist von diesem nicht\nweiter verfolgt worden. Zudem hat das Verwaltungsgericht einen Antrag nach §\n80 Abs. 5 VwGO gegen das Vorhaben abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde\nhat der Senat zuruckgewiesen.\n\n66\n\nHieraus folgt, daß fur absehbare Zeit von dem vorhandenen Baubestand\nauszugehen ist. Selbst bei einer Aufhebung des angefochtenen Bebauungsplanes\nwurde sich der Gebietscharakter im Vergleich zum tatsachlich vorhandenen nicht\nverandern.\n\n67\n\nSomit war der Normenkontrollantrag des Antragsteller als unzulassig\nabzuweisen.\n\n68\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung uber die\nvorlaufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.\n\n69\n\nDie Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2\nVwGO nicht gegeben sind.\n\n
309,903
ovgnrw-1998-03-12-5-a-104998
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
5 A 1049/98
1998-03-12
2019-03-13 08:39:22
2019-03-27 09:49:00
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:1998:0312.5A1049.98.00
## Tenor\n\nDer Antrag wird abgelehnt.\n\nDer Klager tragt die Kosten des Zulassungsverfahrens.\n\nDer Wert des Streitgegenstandes wird auch fur das Zulassungsverfahren auf\n239,25 DM festgesetzt.\n\n \n1\n\nG r u n d e :\n\n2\n\nDer sinngemaße Antrag des Klagers auf Zulassung der Berufung hat keinen\nErfolg.\n\n3\n\nDie geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des\nverwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht gegeben.\nDas Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Es hat zutreffend\nausgefuhrt, daß die Abschleppmaßnahme erforderlich war, um eine\nSichtbehinderung und Gefahrdung von Radfahrern unverzuglich zu beseitigen.\nDiese Verkehrsbeeintrachtigung und -gefahrdung laßt sich auch nach Auffassung\ndes Senats eindeutig den von der Polizei gefertigten Fotos sowie der\nLageskizze entnehmen. Maßnahmen zur Ermittlung des Halters waren schon\nangesichts des auswartigen Kennzeichens nicht angezeigt.\n\n4\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung\naus § 13 Abs. 2 GKG.\n\n5\n\nDieser Beschluß ist gemaß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.\n\n6\n\n
311,440
ovgnrw-1997-03-12-8-a-98695
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
8 A 986/95
1997-03-12
2019-03-13 09:20:27
2019-03-27 09:47:51
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:1997:0312.8A986.95.00
## Tenor\n\nDie Berufung wird zuruckgewiesen.\n\nDie Kosten des Berufungsverfahrens, fur das Gerichtskosten nicht erhoben\nwerden, werden dem Klager auferlegt.\n\nDas Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorlaufig vollstreckbar. Der Klager\ndarf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Hohe der jeweils\nbeizutreibenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in\ngleicher Hohe leistet.\n\nDie Revision wird nicht zugelassen.\n\n \n1\n\nTatbestand:\n\n2\n\nDer 1953 geborene ledige Klager, gelernter Kaufmann, beantragte erstmals am\n25./26. Marz 1992 beim Sozialamt des Beklagten erganzende Hilfe zum\nLebensunterhalt ab April 1992 mit der Begrundung, nach dem Auszug seiner\nbisherigen Lebensgefahrtin reiche sein Einkommen - Arbeitslosenhilfe - nicht\naus, um die Miete fur seine Wohnung (W. straße 9 in N. ) in voller Hohe zu\nzahlen. Ausweislich einer Bescheinigung seiner Vermieter bestand seine Wohnung\naus zwei Raumen sowie Bad und Toilette mit einer Gesamtgroße von 62 qm; hinzu\nkam ein etwa 6 qm großer Balkon sowie ein kleiner Kellerraum. Die monatliche\nGesamtmiete einschließlich Umlagen, Vergutungen und Zuschlagen, aber ohne\nKosten fur Heizung und Warmwasserbereitung, war mit 710,00 DM angegeben; die\ninbegriffenen Nebenkosten (Wasser, Kanalgebuhren, Straßenreinigung,\nMullabfuhr, Kaminreinigung, allg. Beleuchtung, Grundsteuer, Versicherungen)\nbetrugen danach jahrlich 724,00 DM (monatlich 60,33 DM).\n\n3\n\nMit Bescheid vom 30. Marz 1992 setzte der Beklagte die erganzende Hilfe zum\nLebensunterhalt fur den Klager fur den Monat April 1992 auf 238,37 DM und fur\ndie nachfolgenden Monate bis auf weiteres auf 249,51 DM fest. In der Anlage\nzum Bescheid wies der Beklagte darauf hin, daß fur einen Einpersonenhaushalt\nund unter Berucksichtigung des Baujahres des Wohnhauses nur Unterkunftskosten\nvon 355,00 DM angemessen seien. Die demzufolge unangemessen hohen\nUnterkunftskosten konnten nur so lange gewahrt werden, als es ihm, dem Klager,\nnicht moglich sei, durch einen Wohnungswechsel oder durch eine Untervermietung\ndiese Kosten zu senken. Daher wurden die vollen Unterkunftskosten nur fur drei\nMonate ubernommen; mit Wirkung vom 1. Juli 1992 wurden nur noch\nUnterkunftskosten in Hohe des angemessenen Betrages anerkannt.\n\n4\n\nNachfolgend erklarte der Klager bei einer Vorsprache auf dem Sozialamt des\nBeklagten am 6. April 1992, er sei seit 1990 in der Liste der "GEWOGE"\n(Gemeinnutzige Wohnungsbaugenossenschaft im Honnetal eG) eingetragen und werde\nsich auch weiterhin um eine gunstigere Wohnung bemuhen.\n\n5\n\nIm Mai 1992 wurde dem Klager auf Vermittlung des Beklagten ein mobliertes\nZimmer mit einer Große von etwa 15 qm und der Moglichkeit der Mitbenutzung von\nKuche und Bad zu einem Mietpreis (warm) von etwa 380,00 DM in der L. straße 13\nzu N. angeboten. Nach einer Besichtigung ließ der Klager den Beklagten wissen,\ner halte die "Notunterkunft" fur unzumutbar und werde dort nicht einziehen. Er\nwehre sich massiv gegen die Zuweisung einer Gemeinschaftsunterkunft, halte den\nMietzins fur uberhoht und konne so kurzfristig nicht seine jetzige Wohnung\nkundigen.\n\n6\n\nNachdem der Klager am 4. Juni 1992 beim Beklagten beantragt hatte, ihm auch\nuber das Monatsende hinaus Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewahren, lehnte der\nBeklagte dies durch Bescheid vom 2. Juli 1992 mit der Begrundung ab, trotz der\nim Bescheid vom 30. Marz 1992 angekundigten zeitlichen Beschrankung der\nAnerkennung der tatsachlichen Unterkunftskosten habe er, der Klager,\nBemuhungen um eine Senkung der Unterkunftskosten durch die Suche nach einer\nneuen Unterkunft oder durch Untervermietung nicht erkennbar werden lassen und\nuberdies das sofort anmietbare moblierte Zimmer abgelehnt. Hiergegen legte der\nKlager am 9. Juli 1992 Widerspruch ein, den er unter anderem damit begrundete,\ner sei nicht aufgefordert worden, erkennbare Bemuhungen zur Senkung der\nUnterkunftskosten nachzuweisen; ohne einen Hinweis auf Mitwirkungspflichten\nhabe die Sozialhilfe nicht eingestellt werden durfen. Ausweislich eines -\nbeigefugten - Schreibens der GEWOGE habe er sich um eine andere Wohnung\nbemuht, zudem habe er diesbezuglich standig die Zeitung durchgesehen. Eine\nUntervermietung sei ihm nicht gestattet und komme auch wegen des Zuschnitts\nder Wohnung nicht in Frage. In dem nach Zuruckweisung des Widerspruches durch\nden Widerspruchsbescheid des Oberkreisdirektors des N. L. vom 28\\. September\n1992 vom Klager angestrengten Klageverfahren VG Arnsberg 5 K 5653/92, das wie\nauch ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (VG Arnsberg 5 L\n1848/92) erfolglos blieb, trug der Klager unter anderem noch vor, er habe\nzahlreiche Gesprache mit Herrn G. von der GEWOGE gefuhrt; dieser konne mithin\nseine Bemuhungen um eine Wohnung gegebenenfalls bestatigen. Ihm sei bei der\nGEWOGE bedeutet worden, die momentane Lage auf dem Wohnungsmarkt sei\nhoffnungslos, da sehr viele Mitglieder auf der Warteliste standen, die\naufgrund ihrer familiaren Situation Vorrang genossen. Andere\nWohnungsbaugesellschaften hatten ihn abschlagig beschieden, weil er dort nicht\nMitglied sei. Versuche eines Wohnungstausches seien im Regelfall daran\ngescheitert, daß seine Wohnung kein Kinderzimmer habe.\n\n7\n\nAm 2. November 1993 beantragte der Klager beim Sozialamt des Beklagten erneut\ndie Gewahrung erganzender Hilfe zum Lebensunterhalt mit der Begrundung, er sei\nseit dem 8. Oktober 1993 erneut arbeitslos und werde erst in Kurze\nArbeitslosenhilfe bekommen. Der Mietzins fur die nach wie vor von ihm bewohnte\nUnterkunft in der W. straße 9 belief sich ausweislich der vorgelegten\nVermieterbescheinigung nunmehr auf 690,00 DM und die monatliche\nNebenkostenvorauszahlung auf 60,00 DM. Mit Bescheid vom 15\\. November 1993\nsetzte der Beklagte, jeweils bezogen auf den gesamten Monat, den Hilfeanspruch\ndes Klagers fur den Zeitraum vom 1. bis 11. November 1992 auf 699,70 DM und\nfur die nachfolgende Zeit bis auf weiteres auf 802,50 DM fest und berechnete\nneben einem Betrag von 66,32 DM fur die Zeit vom 27. bis zum 31. Oktober 1992\ndie zu gewahrende Hilfe auf 256,56 DM fur die Zeit vom 1. bis zum 11. November\n1992 und auf 508,25 DM fur den Rest des Monats November 1992; die gesamte zu\nzahlende Hilfe wurde unter Anrechnung einer bereits geleisteten\nAbschlagszahlung von 100,00 DM auf 731,13 DM festgesetzt. In der Begrundung\ndes Bewilligungsbescheides war unter anderem ausgefuhrt, daß die\nUnterkunftskosten nur in angemessener Hohe als Bedarf berucksichtigt worden\nseien. Gegen diesen Bescheid legte der Klager zur Niederschrift beim Sozialamt\ndes Beklagten am 23. November 1993 Widerspruch ein, "da die Unterkunftskosten\nnur in angemessener Hohe und nicht in tatsachlicher Hohe berucksichtigt\nwerden". Tatsachlich an den Klager ausgezahlt wurde fur die Monate Oktober und\nNovember 1993 lediglich ein Betrag von 322,88 DM, wovon dem Beklagten 153,25\nDM vom letzten Arbeitgeber des Klagers erstattet wurden.\n\n8\n\nNach zwischenzeitlicher Einstellung der Hilfe beantragte der Klager am 16.\nFebruar 1994 wiederum die Gewahrung von Hilfe zum Lebensunterhalt und gab an,\nmit Wirkung vom 1\\. Januar 1994 sei seine Arbeitslosenhilfe auf 939,12 DM\ngekurzt worden; Wohngeld sei in Hohe von 128,00 DM bewilligt worden. Die Miete\nfur seine Wohnung in der W. straße 9 belaufe sich derzeit einschließlich der\nNebenkosten, aber ohne Verbrauchskosten fur Gas auf 757,00 DM. Aus einem\nvorgelegten Kontoauszug des Klagers ging hervor, daß seinen Vermietern unter\ndem Datum des 1. Februar 1994 per Dauerauftrag 750,00 DM uberwiesen worden\nwaren. Diesen Hilfeantrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 21. Februar\n1994 mit der Begrundung ab, bei Berucksichtigung (lediglich) der angemessenen\nUnterkunftskosten, die mit 355,00 DM anzusetzen seien, ubersteige sein\nEinkommen den sozialhilferechtlichen Bedarf um 135,72 DM monatlich; fur den\nMonat Februar 1994 komme noch hinzu, daß die Unterkunftskosten bereits gezahlt\nseien. Am 1. Marz 1994 legte der Klager auch gegen diesen Bescheid Widerspruch\nein und bat um Berucksichtigung der tatsachlichen Unterkunftskosten bei der\nSozialhilfeberechnung. Außerdem beantragte der Klager am 2. Marz 1994\nerfolglos den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Gewahrung\nvon erganzender Hilfe zum Lebensunterhalt bis zum Datum der Entscheidung uber\nseinen Widerspruch vom 1. Marz 1994 (Az. VG Arnsberg 5 L 625/94).\n\n9\n\nNach Beteiligung sozial erfahrener Personen wies der Oberkreisdirektor des N.\nL. durch Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 1994 die Widerspruche des Klagers\ngegen die Bescheide des Beklagten vom 15. November 1993 und vom 23. Februar\n1994 zuruck. Zur Begrundung fuhrte er aus, den nicht als gegen die Berechnung\nder Hilfe zum Lebensunterhalt an sich, sondern gegen die Übernahme lediglich\nder angemessenen Unterkunftskosten gerichtet zu betrachtenden Widerspruchen\nbleibe der Erfolg versagt, weil die Voraussetzungen fur die Übernahme der das\nAngemessene uberschreitenden tatsachlichen Unterkunftskosten nicht gegeben\nseien, nachdem er schon 1992 auf die Notwendigkeit der Anmietung einer\npreisgunstigeren Unterkunft aufmerksam gemacht und ihm - bestandskraftig - aus\ndiesem Grunde Hilfe zum Lebensunterhalt versagt worden sei.\n\n10\n\nDer Klager hat am 24. Juni 1994 Klage erhoben. Er hat vorgetragen, eine\nSenkung der Unterkunftskosten sei ihm weder moglich noch zumutbar gewesen. Er\nsei registriertes Mitglied der GEWOGE und habe sich oft bei dem dort\nbeschaftigten Herrn G. nach gunstigem Wohnraum erkundigt. Als er - zum 30\\.\nJuni 1994 - aus seiner bisherigen Wohnung in der W. straße 9 ausgezogen sei,\nseien die Mietkosten mit Ausnahme erst spater abgerechneter Nebenkosten\nvollstandig beglichen gewesen; die im wesentlichen regelmaßige Zahlung der\nMiete sei ihm deshalb moglich gewesen, weil er einige Bucher verkauft, sich\nhin und wieder in seiner Lebensfuhrung eingeschrankt und sich zuweilen auch\nvon Bekannten Geld geliehen habe.\n\n11\n\nDer Klager hat beantragt,\n\n12\n\nden Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 15\\. November 1993\nund unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Februar 1994 in der Gestalt des\nWiderspruchsbescheides des Oberkreisdirektors des N. L. vom 26. Mai 1994 zu\nverpflichten, ihm - dem Klager - erganzende Hilfe zum Lebensunterhalt unter\nBerucksichtigung seiner tatsachlichen Unterkunftskosten fur den Monat November\n1993 und den Zeitraum vom 16. Februar 1994 bis zum 31. Mai 1994 zu gewahren.\n\n13\n\nDer Beklagte hat beantragt,\n\n14\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n15\n\nEr hat unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen und auf die bereits\nergangenen Gerichtsentscheidungen zum gleichen Rubrum noch vorgetragen, es sei\nkeine dem Klager gunstige Änderung hinsichtlich der Hilfevoraussetzungen\neingetreten. Da der Klager daruber hinaus die Miete fur den Monat Februar 1994\nschon beglichen habe, bestehe insoweit kein Bedarf mehr. Zur Bestimmung der\nAngemessenheit der Unterkunftskosten des Klagers habe er, der Beklagte, im\nubrigen die Hochstmietentabelle gemaß § 8 des Wohngeldgesetzes nur als\nAnhaltspunkt herangezogen. Ausschlaggebend fur den als angemessen\nzugrundegelegten Betrag von 355,00 DM monatlich seien die Unterkunftskosten\ngewesen, wie sie bei Anmietung des dem Klager vormals angebotenen moblierten\nZimmers entstanden waren. Aber auch bei Zugrundelegung der ortsublichen\nVergleichsmiete seien Unterkunftskosten errechnet worden, die der Klager ohne\nerganzende Hilfe zum Lebensunterhalt habe tragen konnen.\n\n16\n\nDas Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 16.\nDezember 1994 abgewiesen. Auf die Grunde des dem Klager am 13. Januar 1995\nzugestellten Urteils wird Bezug genommen.\n\n17\n\nAm 13. Februar 1995 hat der Klager Berufung eingelegt. Er macht noch geltend,\ndaß bei der Beurteilung der Frage, ob er sich hinreichend um die Suche nach\neiner preisgunstigeren Unterkunft bemuht habe, seiner sachtypischen Beweisnot\nRechnung zu tragen sei; die insoweit in Betracht zu ziehende eigene\nProtokollierung seiner Bemuhungen sei kaum sachgerecht, da ihr keine besondere\nBeweiskraft zukommen konne. Er habe jedenfalls seit November 1991 wiederholt\nbei der GEWOGE nachgefragt, ob "Singlewohnungen" frei seien. Zwei \\-\nnamentlich genannte - private Hauseigentumer habe er wegen freier Wohnungen\nangesprochen. Schließlich habe er mit anderen Mietern ergebnislos uber die\nMoglichkeit eines Wohnungstausches gesprochen. Die Einschaltung von Maklern\nsei aus Kostengrunden nicht in Betracht gekommen. Soweit der Beklagte auf\nWohnungsannoncen in einem N. Anzeigenblatt verweise, sei zu entgegnen, daß ein\nGroßteil der aufgefuhrten Angebote außer Betrachtung bleiben mußten, etwa\nwegen gleichfalls unangemessener Mietpreise, geforderter Kautionen oder der\nBelegenheit außerhalb des N. Stadtgebietes.\n\n18\n\nDer Klager beantragt,\n\n19\n\ndas angefochtene Urteil zu andern und nach seinem erstinstanzlich gestellten\nKlageantrag zu erkennen.\n\n20\n\nDer Beklagte beantragt,\n\n21\n\ndie Berufung zuruckzuweisen.\n\n22\n\nEr tragt vor, daß es dem Klager durchaus moglich sein musse, Bemuhungen um\neine preiswertere Wohnung nachzuweisen, wenn solche Bemuhungen tatsachlich\nstattgefunden hatten. Es komme insoweit beispielsweise die Vorlage des mit\nWohnungsgesellschaften gefuhrten Schriftverkehrs, von Durchschriften von\nschriftlichen Bewerbungen auf Anzeigen hin und etwaiger abschlagiger Antworten\noder auch von Nachweisen uber die Aufgabe eigener Inserate mit\nWohnungsgesuchen in Betracht. Die erst im Berufungsverfahren naher dargelegten\nVorsprachen seien in Anbetracht des langen Zeitraumes, der dem Klager zur\nVerfugung gestanden habe, nicht als ausreichende Bemuhungen zu bewerten. Das\ngelte auch vor dem Hintergrund, daß der Klager zwischenzeitlich unabhangig von\nSozialhilfe gelebt habe; denn auch zu diesen Zeiten habe er aus wechselnden\nAushilfstatigkeiten lediglich geringe Einkunfte bezogen, so daß er nicht\ndarauf habe vertrauen konnen, auf Dauer zur Aufbringung der unangemessen hohen\nUnterkunftskosten imstande zu sein. Schließlich habe die Durchsicht des in N.\nund Umgebung kostenlos verbreiteten Werbe- und Anzeigenblattes "Stadtspiegel"\nallein in der Zeit vom 1\\. November 1993 bis zum 31. Mai 1994 ergeben, daß\neine Vielzahl von in Betracht kommenden Wohnungen angeboten worden sei.\n\n23\n\nDer Senat hat durch den vormaligen Berichterstatter am 5\\. September 1995\neinen Erorterungstermin durchgefuhrt. Wegen der Einzelheiten wird auf das\nSitzungsprotokoll (Bl. 92 ff. GA) Bezug genommen.\n\n24\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die\nGerichtsakte zum Streitverfahren und zu den weiteren Verfahren VG Arnsberg 5 K\n5653/92, 5 L 1848/92, 5 L 1981/92 (OVG 8 B 4807/92) und 5 L 625/94 sowie auf\ndie beigezogenen Verwaltungsvorgange des Beklagten und des Oberkreisdirektors\ndes N. L. Bezug genommen.\n\n25\n\nEntscheidungsgrunde:\n\n26\n\nDer Senat entscheidet uber die Berufung ohne mundliche Verhandlung, nachdem\nsich die Beteiligten damit einverstanden erklart haben (§ 125 Abs. 1 Satz 1\nund § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).\n\n27\n\nDie Berufung ist zulassig, aber nicht begrundet. Das Verwaltungsgericht hat\ndie Klage zu Recht abgewiesen.\n\n28\n\nDer Klager hat fur den Monat November 1993 sowie den Zeitraum vom 16. Februar\n1994 bis zum 31. Mai 1994 keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt unter\nBerucksichtigung hoherer Unterkunftskosten, als sie den fur diese Zeitraume\nmaßgebenden Bedarfsberechnungen des Beklagten zugrunde gelegt worden sind. Der\ngeltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus den §§ 11 und 12 des\nBundessozialhilfegesetzes (BSHG) iVm § 3 Abs. 1 Satz 1 der Regelsatzverordnung\n(RSVO) vom 20. Juli 1962 (BGBl. I S. 515) in der seinerzeit noch maßgeblich\ngewesenen Fassung vom 7. Oktober 1991 (BGBl. I S. 1971); sonstige\nAnspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.\n\n29\n\nNach den genannten Vorschriften kommt, wie sich aus dem Regelungszusammenhang,\ninsbesondere aus der Gegenuberstellung mit § 3 Abs. 1 Satz 2 RSVO, ergibt, nur\ndie Übernahme angemessener Unterkunftskosten in Betracht; die\nUnterkunftskosten des Klagers waren indessen der Hohe nach unangemessen.\n\n30\n\nWas als angemessene Aufwendungen fur die Unterkunft im sozialhilferechtlichen\nSinne anzusehen ist, muß mit Blick auf die allgemeinen Grundsatze des\nSozialhilferechts und unter Berucksichtigung der Besonderheiten des\nEinzelfalles allein nach sozialhilferechtlichen Maßstaben ermittelt werden.\n\n31\n\nVgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 27. November 1986 \\- 5 C\n2.85 -, Entscheidungen des BVerwG (BVerwGE) 75, 168 (170) = Fur-\nsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte (FEVS) 36,\n184 (186), vom 21. Januar 1993 \\- 5 C 3.91 -, BVerwGE 91, 1 (3) = FEVS 44, 133\n(137), und vom 17\\. November 1994 - 5 C 11.93 -, FEVS 45, 363 (364 f.) =\nNachrichten- dienst des Deutschen Vereins fur offentliche und private Fursorge\n(NDV) 1995, 298; Oberverwaltungsgericht fur das Land Nordrhein-Westfalen (OVG\nNW), Urteile vom 1. August 1995 \\- 8 A 3117/94 -, und vom 5. Dezember 1995 - 8\nA 1970/94 -.\n\n32\n\nEiner der hiernach maßgeblichen sozialhilferechtlichen Grundsatze ist, daß mit\nder Sozialhilfe nur das zur Fuhrung eines der Menschenwurde entsprechenden\nLebens Notwendige sicherzustellen ist. Es nicht in diesem Sinne notwendig,\nsamtliche Bedurfnisse im Rahmen eines durchschnittlichen Lebensstandards zu\nbefriedigen oder Lebensgewohnheiten zu ermoglichen, die in der Bevolkerung\nweitgehend als Annehmlichkeiten empfunden werden. Die Sozialhilfe soll den\nHilfesuchenden vielmehr lediglich in die Lage versetzen, ein menschenwurdiges,\neinfaches und bescheidenes Leben zu fuhren. Als Vergleichsmaßstab konnen nur\ndie Lebensgewohnheiten in den Verbrauchergruppen mit niedrigem Einkommen\nherangezogen werden. Die Angemessenheit der Unterkunftskosten muß deshalb\ndanach beurteilt werden, ob sie sich im Rahmen dessen halten, was bei\nWohnungen, die dem sozialhilferechtlich anzuerkennenden Wohnbedarf des\nHilfesuchenden genugen, ublicherweise erwartet werden muß. Dies bestimmt sich\neinmal nach den personlichen Verhaltnissen des Hilfesuchenden, insbesondere\nnach der Zahl der Familienangehorigen, nach ihrem Alter, Geschlecht und ihrem\nGesundheitszustand. Zum anderen beurteilt sich die Angemessenheit der Kosten\nder Unterkunft \\- ausgehend von den ermittelten individuellen Verhaltnissen\ndes Hilfesuchenden und seiner Angehorigen - nach der Zahl der vorhandenen\nRaume, dem ortlichen Mietniveau und den Moglichkeiten des ortlichen\nWohnungsmarktes. Dabei ist hinsichtlich der Mietaufwendungen nicht auf den\njeweiligen ortlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise, sondern auf die\nim unteren Bereich der fur vergleichbare Wohnungen am Wohnort des\nHilfeempfangers marktublichen Wohnungsmieten abzustellen.\n\n33\n\nVgl. BVerwG, Urteile vom 22. August 1985 - 5 C 57.84 -, FEVS 35, 93, vom 27\\.\nNovember 1986 - 5 C 2.85 -, a.a.O., und vom 17. November 1994 \\- 5 C 11.91 -,\na.a.O.\n\n34\n\nDie Wohnung des Antragstellers in der W. straße 9 war unangemessen groß.\n\n35\n\nFur die Bestimmung des sozialhilferechtlich angemessenen Wohnraumbedarfs kann\nunter Berucksichtigung aller Umstande des Einzelfalles als Obergrenze auf die\nfur Wohnberechtigte im sozialen Wohnungsbau anerkannten Wohnraumgroßen\nzuruckgegriffen werden.\n\n36\n\nVgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 1994 - 5 C 11.93 -, a.a.O. (365 f.); OVG\nNW, Urteil vom 5. Dezember 1995 \\- 8 A 1970/94 -.\n\n37\n\nNach Ziffer 5.21 der Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz des\nnordrhein-westfalischen Ministers fur Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr vom\n13. November 1989 \\- IV C 1-613-474/89 -, Ministerialblatt fur das Land\nNordrhein-Westfalen (MBl.NW.) 1989, 1714, hier in der Fassung des Runderlasses\ndes nordrhein-westfalischen Ministeriums fur Bauen und Wohnen vom 28. April\n1993 - IV B 3.-613-328/93 -, MBl.NW. 1993, 1113, ist fur einen Alleinstehenden\neine Unterkunft mit einer Wohnflache von 45 qm als angemessen zu erachten;\ndabei ergibt sich aus der in Bezug genommenen Vorschrift des § 5 Abs. 2 des\nGesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen\n(Wohnungsbindungsgesetz \\- WoBindG -) in der vorliegend noch anzuwendenden\nFassung vom 22\\. Juli 1982 (BGBl. I S. 972), zuletzt geandert durch Gesetz vom\n24. August 1993 (BGBl. I S. 1525), sowie insbesondere aus § 4 Abs. 2 Satz 1\nWoBindG, daß die genannte Wohnflachengroße als Obergrenze zu verstehen ist.\nDie vom Klager in den streitbefangenen Zeitraumen bewohnte Unterkunft ist mit\n62 qm deutlich großer; in der Person des Klagers liegende Umstande, die eine\nÜberschreitung des Wohnraumbedarfs, zumal in einer solchen Großenordnung, als\nangemessen erscheinen lassen konnten, sind nicht ersichtlich.\n\n38\n\nDie Unangemessenheit der Wohnung des Klagers folgt auch aus der Miethohe pro\nQuadratmeter. Insoweit kann die vom Beklagten vorgelegte\nVergleichsmietentabelle fur den Hochsauerlandkreis, den N. Kreis und die Stadt\nT. (Stand: 1. Januar 1993), die aufgrund gemeinschaftlicher Erstellung durch\nVerbande mit typischerweise gegensatzlicher Interessenlage, namlich den\nLandesverband Haus & Grund Westfalen e.V. mit Sitz in I. und den Deutschen\nMieterbund (Landesverband Nordrhein-Westfalen, E. ), ahnlich wie ein\nkommunaler Mietspiegel einen Ruckschluß auf das seinerzeitige Mietniveau\nerlaubt, herangezogen werden. Bedenken an der Aussagefahigkeit der\nVergleichsmietentabelle bestehen nicht, insbesondere nicht im Hinblick auf die\nAktualitat und auf die notwendige Differenzierung nach Belegenheit,\nAusstattungsgrad, Baujahr und Große der zu betrachtenden Wohnungen; auch der\nKlager hat nichts vorgetragen, was gegen die Heranziehung der Tabelle sprechen\nkonnte. Aus der Vergleichsmietentabelle ergibt sich, daß in dem hier zu\nbetrachtenden Zeitraum die fur N. ermittelten Mieten fur Wohnungen in\nsozialhilferechtlich angemessener Lage und Qualitat deutlich niedriger lagen\nals das vom Klager zu entrichtende Nutzungsentgelt. Selbst wenn noch Wohnungen\nbis zum Baujahr 1980 (und entsprechend hochwertiger Bausubstanz) mit einer\n"vollstandigen" Ausstattung (Heizung, Bad und WC) und in mittlerer Wohnlage\nmit in den Blick genommen werden, durfte eine Wohnung allenfalls einen qm-\nPreis von 8,90 DM (ohne Nebenkosten nach § 27 der II. Berechnungsverordnung)\naufweisen. Fur die Wohnung von 62 qm Große ware demnach außerstenfalls eine\nMonatsmiete von 551,80 DM angemessen; die vom Klager entrichtete Miete belief\nsich hingegen - nach Abzug samtlicher Nebenkosten - auf (700,00 DM - 60,33 DM\n= ) 649,67 DM und uberschritt damit den zuvor genannten Betrag betrachtlich.\nUnter Zugrundelegung der dem Klager hochstens zuzugestehenden Wohnungsgroße\nvon 45 qm und dem nach Maßgabe der Vergleichsmietentabelle \\- außerstenfalls -\n(abstrakt) in Betracht kommenden Miethohe von 8,90 DM/qm ergabe sich bei\nBerucksichtigung des laut Ziffer 5 der Erlauterungen zur\nVergleichsmietentabelle fur Kleinwohnungen gerechtfertigten Aufschlages von\n10% eine noch angemessene Monatsmiete von lediglich noch (45 x 9,30 DM x 1,1\n=) 460,35 DM, ohne daß damit bereits die "Untergrenze" des\nsozialhilferechtlich Angemessenen - insbesondere hinsichtlich des Jahres der\nFertigstellung, der Wohnlage, aber wohl auch hinsichtlich des\nAusstattungsgrades sind auch bescheidenere Unterkunfte in Betracht zu ziehen -\nerreicht sein durfte.\n\n39\n\nDie nach alledem (abstrakt) unangemessen hohe laufende Kosten verursachende\nWohnung in der W. straße war im maßgeblichen Bedarfszeitraum auch nicht\ndeshalb \\- ausnahmsweise - (noch) angemessen, weil eine bedarfsgerechte und\ndabei kostengunstigere Wohnung fur den Klager nicht konkret verfugbar und\nzuganglich gewesen ware.\n\n40\n\nVgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1996 \\- 5 C 14.95 -, Neue Juristische\nWochenschrift (NJW) 1996, 3427 = Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 1997, 35.\n\n41\n\nIn diesem Zusammenhang bedarf es keiner abschließenden Entscheidung daruber,\nob dem Antragsteller schon deshalb die Berufung auf das Fehlen\nkostengunstigerer Alternativen versagt werden muß, weil er im Mai 1992 eine\nihm durch den Beklagten vermittelte Unterkunft, ein mobliertes Zimmer, nicht\nangemietet hat; insoweit ware neben der Zumutbarkeit einer solchen\nUnterbringung auch zu prufen, ob diese Kostensenkungsmoglichkeit trotz einer\nfur die Folgezeit anzunehmenden anderweitigen Vergabe dem Klager auch noch fur\ndie vorliegend streitbefangenen Hilfezeitraume anspruchsvernichtend\nentgegengehalten werden konnte.\n\n42\n\nDenn weder hat der Klager dargetan noch ist sonst ersichtlich, daß es fur die\nvorliegend zu betrachtenden Zeitraume zu der von ihm bis zum 30. Juni 1994\nbewohnten Unterkunft keine kostengunstigere Alternative gegeben hat. Er hatte\nzu diesem Zweck substantiiert darlegen und gegebenenfalls unter Beweis stellen\nmussen, daß er sich im Rahmen des ihm Zumutbaren bemuht hat, die (abstrakt)\nunangemessenen laufenden Unterkunftskosten zu senken: Hierzu hat ihm insgesamt\nein betrachtlicher Zeitraum zur Verfugung gestanden, nachdem der Beklagte ihm\nbereits im Bescheid vom 30\\. Marz 1992, also zu Beginn des Hilfebezuges, auf\ndie Notwendigkeit einer Reduzierung seiner Unterkunftskosten hingewiesen\nhatte. Dem Klager war in der Folgezeit zuzumuten, kontinuierlich und\nkonsequent allen Angeboten an privaten, stadtischen und insbesondere an\noffentlich geforderten Wohnungen nachzugehen und das Ergebnis seiner\nBemuhungen fur den Sozialhilfetrager unter Benennung von Art, Ort, Zeit und\nbeteiligten Personen nachvollziehbar zu dokumentieren.\n\n43\n\nVgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1996 \\- 5 C 14.95 -, a.a.O.; OVG NW,\nBeschlusse vom 4. Oktober 1993 \\- 24 A 1809/91 , vom 25. Oktober 1995 \\- 8 B\n2484/95 - und vom 5. Juli 1996 \\- 8 B 1114/96 -.\n\n44\n\nMit der Verpflichtung zur Dokumentation seiner Bemuhungen um Kostensenkung\nwurde dem Klager auch nichts Unmogliches auferlegt. Insbesondere war er nicht\ngehalten, etwaige Anstrengungen um die Anmietung einer preisgunstigeren\nWohnung auf eine strenge und formalisierte Art zu beweisen. Vielmehr konnte\nder geforderte Nachweis - und nichts anderes hat der Beklagte dem Klager\nerlauternd mitgeteilt - auch auf nachprufbare eigene Wahrnehmungen und\nAufzeichnungen hieruber gestutzt werden. Diese eigenen Bekundungen hatten sich\naber luckenlos zu den oben genannten Punkten verhalten mussen, weil nur so ein\nMindestmaß an Überprufbarkeit gegeben sein konnte.\n\n45\n\nDerartige Nachweise hat der Klager nicht erbracht. Seinem Vorbringen uber\nseine Aktivitaten zur Anmietung einer preiswerteren Unterkunft laßt sich nur\nentnehmen, daß er als Wohnungssuchender bei der "GEWOGE" (Gemeinnutzige\nWohnungsbaugenossenschaft im Honnetal eG) gemeldet war und dort "wiederholt"\nbzw. "oft" vorgesprochen hat, daß er mit drei ihm bekannten Wohnungsvermietern\nund drei moglichen Tauschpartnern gesprochen hat und daß er sich konkret (nur)\nan ein Telefonat auf eine Zeitungsanzeige hin erinnern kann, die sich als\n"Scherzanzeige" herausstellte. Diese uber mehrere Jahre verteilten Aktivitaten\nkonnen nur als sporadisch und wenig konsequent bewertet werden. Jeglicher\nHinweis auf ein fortdauerndes und systematisches Suchen nach einer preislich\nangemessenen Unterkunft fehlt. Daß die Aktivitaten des Antragstellers\nunzureichend waren, wird besonders deutlich anhand seiner Auseinandersetzung\nmit den vom Beklagten im Beschwerdeverfahren mitgeteilten Wohnungsangeboten in\neinem kostenlos an alle Haushalte in N. und Umgebung verteilten Anzeigenblatt.\nIndem der Klager bemangelt, ein erheblicher Teil der Anzeigen uber nach Große\nund Zuschnitt in Frage kommende Wohnungen lasse nicht den Mietpreis oder die\nortliche Belegenheit erkennen, macht er zugleich deutlich, daß er die\nnaheliegende und gebotene Reaktion auf solche "unvollstandige" Anzeigen,\nnamlich die unverzugliche - zumeist ohne großeren Aufwand telefonisch oder\nbrieflich zu bewerkstelligende - Nachfrage bei den jeweiligen Inserenten,\nnicht einmal in Erwagung gezogen hat. Aus diesem Grund kann er auch nicht mit\nseiner Einschatzung durchdringen, den aktenkundig gewordenen Anzeigen ließen\nsich gerade keine preisgunstigen Wohnungsalternativen an seinem Heimatort\nentnehmen; abgesehen davon, daß einige Wohnungen mit deutlich niedrigeren \\-\nallerdings gleichwohl uber der vom Beklagten gezogenen Grenze des Angemessen\nliegenden - Mieten in der genannten Anzeigenubersicht aufgefuhrt sind, wurde\nes die sozialhilferechtlichen Obliegenheiten ins Gegenteil verkehren, wenn dem\nBeklagten angesonnen wurde, nicht im Annoncentext mitgeteilten Einzelheiten\nuber Wohnungsangebote nachzugehen, obwohl und solange der Hilfesuchende dies\nunterlaßt. Im ubrigen hatte - gerade wenn sich das einschlagige Angebot im\n"Stadtspiegel" als wenig erfolgversprechend dargestellt haben sollte - eine\nkonsequente Wohnungssuche nicht darauf beschrankt werden durfen, lediglich\ndieses eine Anzeigenblatt auf Wohnungsangebote durchzusehen; vielmehr hatte\nder Klager nach einer vergeblichen Suche im "Stadtspiegel" seine Bemuhungen\nausweiten bzw. verlagern mussen. Insoweit waren etwa die Durchsicht der\n"normalen" regionalen Tageszeitungen sowie die - bekanntermaßen nur\ngeringfugige Kosten verursachende - Aufgabe einer eigenen Annonce als\nnaheliegende Moglichkeiten in Betracht zu ziehen gewesen.\n\n46\n\nDem Klager stand in den streitbefangenen Zeitraumen der Anspruch auf\nungeschmalerte Berucksichtigung der tatsachlichen Unterkunftskosten auch nicht\ngemaß § 3 Abs. 1 Satz 2 RSVO zu. Nach dieser Vorschrift konnen unangemessen\nhohe Unterkunftskosten vollen Umfangs als Bedarf berucksichtigt werden, so\nlange es dem jeweiligen Hilfesuchenden nicht moglich oder nicht zuzumuten ist,\nseine diesbezuglichen Aufwendungen zu senken. Die Dauer der dem\nhilfebegehrenden Inhaber einer zu teuren Wohnung durch § 3 Abs. 1 Satz 2 RSVO\ngewahrten Übergangszeit kann nicht schematisch bestimmt werden; sie richtet\nsich nach den Gegebenheiten des Einzelfalles und muß insbesondere die\njeweilige Situation auf dem Wohnungsmarkt berucksichtigen. Auch im\nZusammenhang mit § 3 Abs. 1 Satz 2 RSVO ist aber - wie bereits vorstehend im\nZusammenhang mit der (konkreten) Angemessenheit der Unterkunft - von einer\nObliegenheit des Hilfesuchenden zur Kostensenkung und zur Dokumentierung\nseiner dahingehenden Bemuhungen auszugehen.\n\n47\n\nVgl. OVG NW, Beschlusse vom 4\\. Oktober 1993 - 24 A 1809/91 , vom 25\\. Oktober\n1995 - 8 B 2484/95 - und vom 5. Juli 1996 - 8 B 1114/96 -.\n\n48\n\nDiesen Obliegenheiten hat der Klager nicht genugt; aus den obigen Ausfuhrungen\nergibt sich, daß der Klager wahrend des gesamten hier im Streit stehenden\nHilfezeitraumes - und auch schon geraume Zeit zuvor - eindringlich auf die\nNotwendigkeit (nachgewiesener) Bemuhungen hingewiesen worden war, ohne daß er\nin nennenswertem Umfang tatig geworden ware.\n\n49\n\nOffen bleiben kann abschließend, ob der Beklagte bei seiner Hilfeberechnung\nfur die streitbefangenen Zeitraume die angemessenen Unterkunftskosten in\nzutreffender Hohe zugrunde gelegt hat. Denn auch wenn die vom Beklagten\nangenommene Grenze des sozialhilferechtlich Angemessenen zu niedrig angesetzt\nworden sein sollte, wurde das nicht dazu fuhren, daß dem Klager jedenfalls ein\nTeil der beantragten erganzenden Hilfe zum Lebensunterhalt zuzuerkennen ware.\nEr hatte namlich auch nicht Anspruch auf den angemessenen Teil seiner\n(insgesamt unangemessen hohen) Unterkunftskosten; § 3 Abs. 1 RSVO bietet\naußerhalb des hier nicht einschlagigen (neuen) Satz 3 keine Rechtsgrundlage\nfur einen solchen bloßen Unterkunftszuschuß. Die Vorschrift knupft vielmehr an\nden aus sozialhilferechtlicher Sicht maßgeblichen Unterkunftsbedarf an. Nur\ndessen Kosten sind aus Sozialhilfemitteln zu tragen. Das geht daraus hervor,\ndaß § 3 Abs. 1 Satz 1 RSVO auf die "tatsachlichen" Aufwendungen fur die\nUnterkunft verweist. Darunter fallen nicht Kosten, die sich an einer\nhypothetischen und abstrakt als angemessen beurteilten Unterkunft orientieren.\n\n50\n\nVgl. BVerwG, Urteile vom 21. Januar 1993 - 5 C 1.93 -, BVerwGE 92,1 = FEVS 44,\n133 = NJW 1993, 3153, und vom 30\\. Mai 1996 - 5 C 14.95 -, a.a.O.; OVG NW,\nUrteil vom 5. Dezember 1995 \\- 8 A 1970/94 -.\n\n51\n\nDas gilt nicht nur in den Fallen, in denen die Schutzvorschrift des § 3 Abs. 1\nSatz 2 RSVO von vornherein keine Anwendung findet, weil der Hilfesuchende die\nunangemessen teure Unterkunft wahrend des Bezugs laufender Hilfe zum\nLebensunterhalt angemietet hat, sondern auch dann, wenn der Hilfebegehrende\nerst nach Einzug in die konkret bedarfsauslosende Wohnung hilfebedurftig\ngeworden ist und nach Maßgabe der genannten Vorschrift die zumutbare\nMoglichkeit, die unangemessenen Unterkunftskosten etwa durch einen\nWohnungswechsel auf ein angemessenes Maß zu senken, nicht nutzt.\n\n52\n\nVgl. OVG NW, Beschlusse vom 31\\. Januar 1997 - 8 B 1576/96 - und vom 18\\.\nFebruar 1997 - 24 B 186/97 -.\n\n53\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.\n\n54\n\nDie Entscheidung uber die vorlaufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708\nNr. 11, 711 ZPO.\n\n55\n\nDie Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO\ngenannten Zulassungsgrunde gegeben ist.\n\n56\n\n
311,496
lagk-1997-02-28-12-sa-129696
795
Landesarbeitsgericht Köln
lagk
Nordrhein-Westfalen
Arbeitsgerichtsbarkeit
12 Sa 1296/96
1997-02-28
2019-03-13 09:22:09
2019-03-27 09:47:43
Urteil
ECLI:DE:LAGK:1997:0228.12SA1296.96.00
## Tenor\n\n1. Die Berufung des Klagers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 25.09.1996 - 5 Ca 966/96 - wird zuruckgewiesen.\n\n2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragt der Klager.\n\n \n1\n\nTatbestand\n\n2\n\nDie Parteien streiten darum, wer die fur eine Abfindung zu zahlenden Steuern\ntragen muß.\n\n3\n\nDer Klager war bei der Beklagten als Arbeitnehmer beschaftigt und wurde von\ndieser gekundigt. In dem sich anschließenden Kundigungsschutzverfahren\nschlossen die Parteien folgenden Vergleich:\n\n4\n\n„1\\. Die Parteien sind sich daruber einig, daß das zwischen ihnen begrundete\nArbeitsverhaltnis durch fristgerechte, arbeitgeberseitige Kundigung ohne\nVerschulden des Klagers zum 30.09.1990 aufgelost worden ist.\n\n5\n\n2. Die Beklagte zahlt an den Klagers als Abfindung gemaß §§ 9, 10 KSchG DM 21.000,- netto.\n\n6\n\n3. (Zeugnis).\n\n7\n\n4. Damit sind alle gegenseitigen Anspruche aus dem Arbeitsverhaltnis und seiner Beendigung ausgeglichen. Erledigt sind auch mogliche Gehaltsanspruche fur die Zeit bis zum 30.09.1990 und die im Rechtsstreits 3 Ca 1716/90 =\n\n8\n\n8 Sa 47/91 geltend gemachten Anspruche."\n\n9\n\nEinen Teil der im Vergleich vereinbarten Abfindung sah das Finanzamt als\nsteuerpflichtiges Arbeitseinkommen fur 1990 an, namlich einen Betrag von DM\n16.382,--, den es wie folgt ermittelte: 3 x DM 4.252,- (Juli bis September), 1\nx DM 2.126,- (halber Juni) und DM 1.500,- (Urlaubsgeld). Das Finanzamt\nerrechnete darauf zu zahlende Steuern von DM 4.293,52, die es vom Klager\nverlangte. Gegen die Heranziehung zur Steuerzahlung legte der Klager Einspruch\nein und nach dessen Zuruckweisung Klage beim Finanzgericht. Die Klage wurde\nrechtskraftig abgewiesen.\n\n10\n\nDer Klager ist der Ansicht, die angefallenen Steuer mußten nach der im\nVergleich vom 31.01.1991 getroffenen Regelung von der Beklagten getragen\nwerden.\n\n11\n\nDer Klager hat beantragt,\n\n12\n\ndie Beklagte zu verurteilen, an den Klager 4.293,52 DM nebst 4 % Zinsen seit\ndem 16.10.1994 zu zahlen.\n\n13\n\nDie Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.\n\n14\n\nDie Beklagte tragt vor, dem Klager sei die vereinbarte Abfindung in vollem\nUmfange (DM 21.000,-) ausgezahlt worden. Nunmehr mache erweitere, daruber\nhinausgehende Forderungen geltend. Dies sei nach der Rechtsprechung des BAG\nausgeschlossen, da mit der festgesetzten Einmalzahlung die Anspruche des\nKlagers ausgeglichen worden seien.\n\n15\n\nDaruber hinaus durften die Anspruche des Klagers als vertragliche\nLohnanspruche fur die Zeit 16.06. bis 30.09.1990 gemaß § 196 Ziffer 8 BGB\nverjahrt sein.\n\n16\n\nDurch Urteil vom 25.09.1996 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und\nzur Begrundung im wesentlichen ausgefuhrt: Die Beklagte habe ihre\nVerpflichtung aus dem Vergleich durch Zahlung von DM 21.000,- an den Klager\nvollstandig erfullt. Aus dem Vergleich vom 31.01.1991 ergebe sich nicht die\nVerpflichtung der Beklagten, uber den gezahlten Betrag von DM 21.000,-- hinaus\ndie angefallenen Steuern zu tragen.\n\n17\n\nWegen des weiteren Inhaltes des erstinstanzlichen Urteils wird auf Bl. 26 - 31\nd.A. Bezug genommen.\n\n18\n\nGegen dieses ihm am 28.10.1996 zugestellte Urteil hat der Klager am 14.11.1996\nBerufung eingelegt und diese gleichzeitig begrundet.\n\n19\n\nDer Klager verbleibt dabei, daß nach dem abgeschlossenen Vergleich die\nBeklagte das Steuerzahlungsrisiko zu tragen gehabt habe; denn die Parteien\nseien sich in jedem Fall daruber einig gewesen, daß er, der Klager, DM\n21.000,- netto erhalte.\n\n20\n\nVergleiches als Abfindung bezeichnet worden, letztlich seien in Ziffer 4 aber\nauch mogliche Gehaltsanspruche mit einbezogen worden. Diese seien im Zweifel\nin der Abfindung enthalten. Es sei also durchaus ersichtlich gewesen, daß hier\nmoglicherweise keine reine Abfindung, sondern teilweise eine verdeckte\nVorgelegen habe, wie es ja auch vom Finanzgericht bestatigt worden sei. Wenn\ndie Parteien dennoch eine Nettoabfindung (inklusive moglicher\nGehaltsanspruche) vereinbart hatten, so habe die Beklagte auch das\nSteuerrisiko insgesamt ubernommen.\n\n21\n\nDer Klager beantragt,\n\n22\n\n1) das Urteil des Arbeitsgerichts Bomm vom 25.09.1996\n\n23\n\n\\- 5 Ca 966/96 - aufzuheben und nach den Schlußantragen der I. Instanz zu\nerkennen,\n\n24\n\n2) die Beklagte tragt die Kosten des Rechtsstreits.\n\n25\n\nDie Beklagte beantragt,\n\n26\n\ndie Berufung zuruckzuweisen.\n\n27\n\nDie Beklagte tritt dem erstinstanzlichen Urteil bei.\n\n28\n\nWegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt\nder gewechselten Schriftsatze, die zu den Akten gereichten Urkunden sowie die\nSitzungsniederschriften verwiesen.\n\n29\n\nEntscheidunqsqrunde\n\n30\n\nDie Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 2 ArbGG). Sie ist auch form- und\nfristgerecht eingelegt und begrundet worden (§§ 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 518, 519\nZPO).\n\n31\n\nIn der Sache hat sie keinen Erfolg; zu Recht hat das Arbeitsgericht die Klage\nabgewiesen. Die Beklagte hat nach dem Vergleich vom 31.01.1991 die hier\nstreitgegenstandlichen Steuern in Hohe von DM 4.293,52 nicht zu tragen. Das\nergibt die Auslegung des Vergleiches unter Berucksichtigung der ansonsten\ngegebenen Umstande (§§ 133, 157 BGB).\n\n32\n\n1. Steuerschuldner ist namlich grundsatzlich der Arbeitnehmer, auch wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer vom Arbeitslohn des Arbeitnehmers einzubehalten und abzufuhren hat (§ 38 EStG). Die gilt auch fur Abfindungen.\n\n33\n\nFehlt es an einer ausdrucklichen Übernahme des Steuerrisikos oder einer\nunzweifelhaften Steuerschuld durch den Arbeitgeber, dann muß durch Auslegung\nermittelt werden, ob die Parteien eine Nettoabfindung vereinbart haben, d.h.,\nob die Lohnsteuer endgultig zu Lasten des Arbeitgebers gehen soll. Dafur ist\nder Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Die Vereinbarung muß\neindeutig und klar die Bereitschaft des Arbeitgebers erkennen lassen, den\nArbeitnehmer von der Steuerschuld freizustellen. Andernfalls verbleibt es bei\nder Regel, daß die Abfindung brutto geschuldet wird und etwaige Steuern zu\nLasten des Arbeitnehmers gehen.\n\n34\n\n2. Die Auslegung des Vergleichs vom 31.01.1991 ergibt nichts von dieser Regel abweichendes.\n\n35\n\na) Zwar heißt es in Ziffer 2 des Vergleiches, daß der Betrag von DM 21.000,--\n„netto" gezahlt wird. Dies konnte fur den Klager sprechen. Moglich ist aber\nauch die Deutung, daß damit nur zum Ausdruck gebracht wird, der vereinbarte\nAbfindungsbetrag solle zunachst einmal ungekurzt an den Arbeitnehmer\nausgezahlt werden. Damit ware dann die Frage, wer letztendlich etwa anfallende\nSteuern zu tragen hat, nicht ausdrucklich im Vergleich geregelt.\n\n36\n\nb) Das Landesarbeitsgericht folgt dieser letzteren Auslegung, und zwar\naufgrund folgender Erwagungen: In der Abfindungssumme vonDM 21.000,-- ist ganz\nuberwiegend steuerpflichtiges Entgelt enthalten, wie das Finanzamt zu Recht\nangenommen hat, namlich in Hohe von DM 16.382,--. Auch nach der\nBetriebszugehorigkeit des Klagers und bei Zugrundelegung der Faustregel „ein\nhalbes Brutto-Monatsgehalt pro Beschaftigungsjahr" ergabe sich fur den Klager\nlediglich ein Abfindungsanspruch in Hohe von ca. DM 7.000,--. Wurde man den\nArbeitgeber zur Tragung der anfallenden Steuern fur verpflichtet halten,\nergabe sich fur die Beklagte, die bereits die Sozialver-\n\n37\n\nSicherungsbeitrage (in Hohe von DM 5.252,--) gezahlt hat, eine effektive\nBelastung in Hohe von ca. DM 31.500,--. Wenn die Parteien eine derartige\nBelastung der Beklagten gewollt hatten, hatte dies ausdrucklich vereinbart und\nzum Ausdruck gebracht werden mussen.\n\n38\n\nEs ist kein Grund ersichtlich, warum die Beklagte die Zahlung von DM 4.293,52\nan Steuern ubernehmen sollte, die ansonsten unstreitig alleine vom Klager zu\ntragen gewesen waren. Wenn die Parteien dies wirklich gewollt hatten, hatten\ndafur schon besondere Umstande vorliegen mussen, fur die der in vollem Umfange\ndarlegungs- und beweisbelastete Klager nichts vorgetragen hat.\n\n39\n\nDie Berufung ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zuruckzuweisen.\n\n
311,518
ovgnrw-1997-02-25-8-b-34797
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
8 B 347/97
1997-02-25
2019-03-13 09:22:42
2019-03-27 09:47:40
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:1997:0225.8B347.97.00
## Tenor\n\nDie Beschwerde wird verworfen.\n\nDie Kosten des Beschwerdeverfahrens, fur das Gerichtskosten nicht erhoben\nwerden, fallen dem Antragsteller zur Last.\n\n \n1\n\nG r u n d e :\n\n2\n\nDer Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluß des\nVerwaltungsgerichts Arnsberg vom 27. Januar 1997 ist unzulassig, weil er\nentgegen § 67 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung des\nSechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer\nGesetze vom 1. November 1996, BGBl. I S. 1626, nicht durch einen Rechtsanwalt\noder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule gestellt worden ist. Auf\ndieses Erfordernis ist der Antragsteller in der Rechtsmittelbelehrung des\nangegriffenen Beschlusses hingewiesen worden.\n\n3\n\nEntgegen der Ansicht des Antragstellers ist der Vertretungszwang fur den\nAntrag auf Zulassung der Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht\nverfassungsgemaß. Die Regelung in § 67 Abs. 1 VwGO steht in Einklang sowohl\nmit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), der den Rechtsweg nur im Rahmen der\njeweils geltenden Prozeßordnung garantiert, als auch mit Art. 103 Abs. 1 GG.\nDer Gesetzgeber kann im Interesse einer geordneten und konzentrierten\nVerfahrensfuhrung die Vertretung eines rechtsunkundigen Beteiligten durch\neinen rechtskundigen Bevollmachtigten vorschreiben. Dementsprechend war schon\n§ 67 Abs. 1 VwGO in der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung der\nBekanntmachung vom 19. Marz 1991, BGBl. I S. 686, der schon einen\nVertretungszwang fur Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorsah, nach\nallgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum verfassungsrechtlich\nnicht zu beanstanden.\n\n4\n\nVgl. statt aller Kopp, VwGO, 10. Auflage 1994, § 67 Rdnr. 4, und Meissner in\nSchoch/Schmidt- Aßmann/ Pietzner, VwGO, Kommentar - Stand: April 1996 -, § 67\nRdnr. 8, jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung des\nBundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts.\n\n5\n\nDies gilt gleichermaßen fur die seit dem 1. Januar 1997 eingefuhrte\nNeuregelung des Vertretungszwanges fur Verfahren vor dem\nOberverwaltungsgericht. Diese Neuregelung verstoßt auch nicht gegen das in\nArt. 3 GG enthaltene Gebot der Rechtsschutzgleichheit fur Bemittelte und\nUnbemittelte, weil es jedem Beteiligten - so auch dem Antragsteller im Falle\nseiner Mittellosigkeit - unbenommen bleibt, fur das Verfahren vor dem\nOberverwaltungsgericht Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes\nzu beantragen. Durch die Vorschriften uber die Bewilligung von\nProzeßkostenhilfe wird auch fur Unbemittelte wirksamer Rechtsschutz bei\nbestehendem Vertretungszwang sichergestellt.\n\n6\n\nVgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 13\\. Marz 1990 - 2 BvR 94/88 -,\nEntscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 81, 347 = Neue\nJuristische Wochenschrift (NJW) 1991, 413.\n\n7\n\nMit Rucksicht auf die Moglichkeit, Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung eines\nRechtsanwaltes zu beantragen, verstoßt die Neuregelung in § 67 Abs. 1 VwGO\nauch nicht gegen Art. 7, 8 und 10 der Allgemeinen Erklarung der Menschenrechte\nder Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948, so daß offenbleiben kann, ob\ndiese Erklarung uberhaupt volkerrechtlich verbindlich oder zumindest als\nVolkergewohnheitsrecht gemaß Art. 25 GG Bestandteil des (einfachen)\nBundesrechts geworden ist.\n\n8\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, die Gerichtskostenfreiheit auf\n§ 188 Satz 2 VwGO.\n\n9\n\nDieser Beschluß ist gemaß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.\n\n10\n\n
311,537
ovgnrw-1997-02-21-3-a-172792
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
3 A 1727/92
1997-02-21
2019-03-13 09:23:12
2019-03-27 09:47:37
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:1997:0221.3A1727.92.00
## Tenor\n\nDas angefochtene Urteil wird geandert.\n\nDer Erschließungsbeitragsbescheid des Beklagten vom 6. September 1985 und der\ndazu ergangene Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1990 werden aufgehoben, soweit\ndie Beitragsfestsetzung 4.792,96 DM ubersteigt.\n\nDie weitergehende Berufung der Klagerin und die Berufung des Beklagten werden\nzuruckgewiesen.\n\nDie Kosten des gesamten Verfahrens tragt die Klagerin zu 13/20 und der\nBeklagte zu 7/20.\n\nDie Kostenentscheidung ist vorlaufig vollstreckbar. Der jeweilige\nVollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in\nHohe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der\nVollstreckungsglaubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Hohe\nleistet.\n\nDie Revision wird nicht zugelassen.\n\n \n1\n\nTatbestand:\n\n2\n\nDie Klagerin ist Rechtsnachfolgerin des am 22. Marz 1992 verstorbenen\nVoreigentumers des Grundstucks Gemarkung S. , Flur 160, Flurstuck 2, das an\ndie F. straße grenzt. Die F. straße zweigt in nordostlicher Richtung von der\nM. bach ab, verlauft sodann parallel zur I. Straße und endet nach etwa 290 m\nan den Sudgrenzen der Flurstucke 132 und 133. Etwa 80 m vor dem Ende der als\nStichanlage ausgeformten Strecke zweigt in nordwestlicher Richtung eine\nVerbindungsstraße zur I. Straße ab, die eine Lange von etwa 30 m aufweist.\n\n3\n\nBei Inkrafttreten des ersten Ortsstatuts betreffend die Be- bauung, Anlegung\nund Veranderung von Straßen im Bezirk der Stadtgemeinde S. vom 20. April 1891\nwar die F. straße in der Örtlichkeit noch nicht vorhanden. Die Strecke von der\nEinmundung der M. bach bis zu den nordlichen Grenzen der Flurstucke mit den\nLagebezeichnungen F. straße 17 und 20 - die sog. untere F. straße - wurde auf\nder Grundlage eines zwischen der Stadt S. und dem Brannt- weinfabrikanten G.\ngeschlossenen Vertrages vom 24\\. Dezember 1902 auf Kosten des Anliegers\nausgebaut und im Jahre 1905 der Stadt ubertragen. Entsprechend sollte ur-\nsprunglich hinsichtlich der Reststrecke (sog. obere F. straße ) einschließlich\nder Verbindung zur I. Straße verfahren werden. Nach Aktenlage kam eine\nderartige Vereinbarung mit dem damaligen Grundstuckseigentumer, dem\nBrauereibesitzer L. - jedoch nicht zustande. Die Straßen- parzelle blieb bis\n1964 im Eigentum des Fabrikanten L. , wurde von diesem - wie zahlreiche\nAnliegerbeschwerden bele- gen - aber nur unzulanglich hergerichtet und\nunterhalten. Ausweislich eines Aktenvermerks vom 21. November 1985 wurde vor\ndem abgerechneten Ausbau im Interesse der Verkehrssicher- heit eine\nprovisorische Oberflachenbefestigung hergestellt, die den\nstraßenbautechnischen Anforderungen jedoch nicht ent- sprach.\n\n4\n\nAuf der Grundlage einer im Jahre 1978 erstellten Ausbaupla- nung ließ der\nBeklagte die F. straße in der Zeit von 1979 bis 1982 endgultig herrichten. Der\nAusbau der unteren F. straße erfolgte als verkehrsberuhigte Mischflache, die\nobere F. straße einschließlich der Verbindungsstrecke zur I. Straße wurde in\nkonventioneller Weise - Ausbau im Separationsprinzip - hergestellt, wobei die\nBordsteine aller- dings teilweise abgesenkt wurden. Von der Anlegung einer im\nAusbauplan am Ende der oberen F. straße ursprunglich vor- gesehenen\nWendeanlage wurde nach Herbeifuhrung eines entspre- chenden Beschlusses des\nBauausschusses abgesehen.\n\n5\n\nMit Bescheid vom 6. September 1985 zog der Beklagte den Rechtsvorganger der\nKlagerin zu einem Erschließungsbeitrag von 7.358,58 DM fur die Herstellung der\nF. straße - unterer und oberer Bereich - sowie der Verbindungsstrecke zur I.\nStraße heran. Unter dem 4. Mai 1988 widmete der Beklagte die F. straße\neinschließlich des Verbindungsweges zur I. Straße dem offentlichen Verkehr.\nDer Regierungsprasident E. genehmigte den Ausbau der oberen F. straße\neinschließlich des Verbindungsweges zur I. Straße mit Verfugung vom 6. April\n1990.\n\n6\n\nNach erfolgloser Durchfuhrung des Vorverfahrens hat der Rechtsvorganger der\nKlagerin am 2. Juni 1990 Klage erhoben und zur Begrundung im wesentlichen\ndargelegt: Die gemaß § 125 Abs. 2 BauGB erteilte Zustimmung des\nRegierungsprasidenten sei rechtsunwirksam, da die F. straße wegen des Fehlens\neiner Wendemoglichkeit in dem Bereich der als Sackgasse aus- gestalteten\nEndstrecke funktionslos sei. Es fehle an einem Wendehammer, der wegen\ngewerblicher Nutzung der anliegenden Grundstucke zur Bewaltigung des Verkehrs\n- auch mit Last- kraftwagen - unverzichtbar sei. Im ubrigen sei eine jederzei-\ntige Erreichbarkeit der anliegenden Grundstucke fur Feuer- losch- und\nRettungsfahrzeuge nicht gewahrleistet. Die in die Abrechnung einbezogenen\nGrunanlagen seien nicht erforderlich. Schon vor den abgerechneten Maßnahmen\nsei die F. straße mit Fahrbahn, Burgersteig und Beleuchtungsanlage\nausgestattet gewesen. Die hergestellte Straßenentwasserungs- und Straßen-\nbeleuchtungsanlage entspreche nicht den Anforderungen.\n\n7\n\nDer Rechtsvorganger der Klagerin hat beantragt,\n\n8\n\nden Erschließungsbeitragsbescheid des Beklagten vom 6. September 1985 und den\ndazu ergangenen Widerspruchsbe- scheid vom 10. Mai 1990 aufzuheben.\n\n9\n\nDer Beklagte hat beantragt,\n\n10\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n11\n\nEr ist den geltend gemachten Einwanden entgegengetreten.\n\n12\n\nDas Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil, auf das\nBezug genommen wird, teilweise stattgegeben.\n\n13\n\nBeide Parteien haben gegen das Urteil rechtzeitig Berufung eingelegt.\n\n14\n\nDie Klagerin wiederholt ihr Klagevorbringen und tragt erganzend vor, die\nnachtragliche Zustimmung des Regierungsprasidenten vermoge den mangelhaften\nBeitragsbescheid nicht zu heilen. Außerdem lasse das angefochtene Urteil die\ngeltend gemachten Bedenken gegen die Abrechnung der Verbindungsstraße zur I.\nStraße unberucksichtigt.\n\n15\n\nDie Klagerin beantragt sinngemaß,\n\n16\n\ndas angefochtene Urteil zu andern, den Erschließungsbeitragsbescheid vom 6\\.\nSeptember 1985 und den dazu ergan- genen Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1990\nin vollem Umfang aufzuheben und die Berufung des Beklagten zuruckzuweisen.\n\n17\n\nDer Beklagte beantragt sinngemaß,\n\n18\n\ndas angefochtene Urteil zu andern, die Klage insgesamt abzuweisen und die\nBerufung der Klagerin zuruckzu- weisen.\n\n19\n\nEr tragt zur Begrundung vor: Entgegen der Auffassung des Ver- waltungsgerichts\nhandele es sich bei der unteren F. straße nicht um einen vorgegebenen\nAbschnitt, fur den keine Er- schließungsbeitrage erhoben werden konnten. Eine\ndahin gehende Ermessensentscheidung sei nicht getroffen worden. Die\nnachtraglich erteilte Zustimmung des Regierungsprasidenten sei wirksam und\ndaher erschließungsbeitragsrechtlich zugrunde zu legen.\n\n20\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den\nInhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgange Bezug\ngenommen.\n\n21\n\nEntscheidungsgrunde:\n\n22\n\nMit dem Einverstandnis der Beteiligten ergeht die Entschei- dung ohne\nmundliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).\n\n23\n\nDie Berufung der Klagerin ist teilweise begrundet, die Berufung des Beklagten\nist unbegrundet. Der Erschließungsbei- tragsbescheid des Beklagten vom 6.\nSeptember 1985 und der dazu ergangene Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1990\nsind uber den vom Verwaltungsgericht bereits erkannten Umfang hinaus insoweit\naufzuheben, als ein hoherer Betrag als 4.792,96 DM festgesetzt worden ist.\nInsoweit sind die Bescheide rechts- widrig und verletzen die Klagerin in ihren\nRechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hinsichtlich eines Erschließungsbeitrages\nin Hohe von 4.792,96 DM findet der angefochtene Bescheid seine Rechtsgrundlage\nin §§ 127 ff. BauGB iVm der Satzung der Stadt S. uber die Erhebung von\nErschließungsbeitragen vom 22\\. Dezember 1988 (EBS 1988).\n\n24\n\nBezugsgegenstand der angefochtenen Beitragsfestsetzung ist die F. straße in\nihrer gesamten Ausdehnung einschließlich der Verbindung zur I. Straße. Diesem\nAnsatz des Be- klagten kann auf der Grundlage des dafur maßgeblichen Sach-\nverhalts nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung des\nBundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat angeschlossen hat, ist fur die\nBeantwortung der Frage, ob ein Straßenzug eine einzelne Erschließungsanlage\nist oder aus mehreren Anla- gen besteht, - ausgehend von einer naturlichen\nBetrachtungs- weise - grundsatzlich auf das durch die tatsachlichen Ver-\nhaltnisse im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Erschlie-\nßungsbeitragspflichten gepragte Erscheinungsbild abzustellen.\n\n25\n\nVgl. BVerwG, Urteil vom 21\\. September 1979 - 4 C 55.76 -, KStZ 1980, 110;\nUrteil vom 22. Marz 1996 \\- 8 C 17.94 -, DVBl 1996, 1057; Drie- haus,\nErschließungs- und Ausbaubei- trage, 4. Aufl., § 12 Rn. 4.\n\n26\n\nDie sachliche Beitragspflicht fur das Grundstuck der Klagerin ist mit der\ngemaß § 125 Abs. 2 BauGB erteilten Zustimmung des Regierungsprasidenten E. vom\n6. April 1990 entstan- den. Zu diesem Zeitpunkt stellte die obere F. straße\nmit der Verbindungsstrecke zur I. Straße infolge des bis 1982 abgeschlossenen\nAusbaus bei naturlicher Betrachtungsweise eine einheitliche\nErschließungsanlage dar. Ausweislich der von dem Beklagten mit der\nHilfsberechnung vom 25. Oktober 1996 vorgelegten Fotografien (BA 13) waren die\nobere F. straße und die Verbindung zur I. Straße in herkommlicher Bauweise mit\neiner asphaltierten Fahrbahn und beidseitigen Gehwegen hergerichtet worden.\nDemgegenuber war die untere F. straße mit einer Mischflache ausgestattet\nworden. Die untere F. straße war im Kurvenbereich der oberen F. straße zur\nVerbindungsstrecke zur I. Straße durch einen abgesenkten Bordstein deutlich\nsichtbar und wegen des Ausbaus im Mischsystem auch funktional verselb-\nstandigt worden. Bei naturlicher Betrachtungsweise stellten das nordliche\nEndstuck der F. straße und die Verbindungs- strecke zur I. Straße eine -\nabknickend verlaufende - Erschließungsanlage dar.\n\n27\n\nBei der danach zu beurteilenden Strecke der F. straße einschließlich der\nVerbindung zur I. Straße handelt es sich nicht um eine vorhandene\nErschließungsanlage iSv §§ 242 Abs. 1 BauGB, 180 Abs. 2 BBauG fur die eine\nBeitrags- pflicht aufgrund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vor- schriften\nnicht entstehen konnte und fur die auch nach dem Baugesetzbuch kein Beitrag\nerhoben werden kann. Zu den vor- handenen Erschließungsanlagen im Sinne dieser\nBestimmung zah- len Straßen, die bereits vor Inkrafttreten des Bundesbauge-\nsetzes im Sinne von § 133 Abs. 4 BBauG hergestellt worden sind, namlich die\n"vorhandenen" Straßen im Sinne des ehemali- gen preußischen\nAnliegerbeitragsrechts und die unter Geltung dieses fruheren Rechts\n"programmgemaß fertiggestellten Stra- ßen".\n\n28\n\nVgl. OVG NW, Urteil vom 29. Februar 1996 - 3 A 743/92 - Rechtssprechungs-\nsammlung des OVG NW im Erschließungs- und Erschließungsbeitragsrecht (OVG NW\nRSE) § 180 BBauG/§ 242 BauGB Vorhandene Erschließungsanlage m.w.N.; Driehaus\naaO, § 2 Rn. 27.\n\n29\n\nZu den "vorhandenen" Straßen im Sinne des ehemaligen preußi- schen\nAnliegerbeitragsrechts gehort die F. straße schon deshalb nicht, weil sie -\ndies gilt fur ihre gesamte Ausdeh- nung - zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des\nersten Ortsstatuts der Stadt S. nach § 15 PrFlG vom 20. April 1891 in der\nÖrtlichkeit noch nicht vorhanden war. Die hier in Rede stehende Strecke -\nobere F. straße mit Verbindung zur I. Straße - ist bis 1961 weder insgesamt\nnoch hin- sichtlich einzelner Teileinrichtungen programmgemaß herge- stellt\nworden. Anders als bei der unteren F. straße war es zum Abschluß eines\nUnternehmervertrages nicht gekommen. Der Fabrikant L. war bis 1964 Eigentumer\nder Straßenparzellen geblieben und hatte Unterhaltungsmaßnahmen, wie sich aus\nmehreren Anliegerbeschwerden ergibt, nur unzureichend durchgefuhrt; eine ganz\noder in Teileinrichtungen fertigge- stellte Unternehmerstraße hatte er der\nStadt nicht ubergeben.\n\n30\n\nBei dem abgerechneten Ausbau handelt es sich auch um die erstmalige\nHerstellung der Erschließungsanlage einschließlich der Einrichtung fur ihre\nEntwasserung und ihre Beleuchtung (§ 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB). Soweit vorher\nstreckenweise be- reits einzelne Teileinrichtungen vorhanden waren, waren\ndiese ausweislich eines Aktenvermerks des Beklagten vom 21. November 1985\nlediglich aus Verkehrssicherungsgrunden provisorisch hergestellt.\n\n31\n\nZum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zustimmung des Regie- rungsprasidenten\nvom 6. April 1990 waren auch die ubrigen Voraussetzungen fur das Entstehen der\nsachlichen Beitrags- pflicht erfullt. Die technische Herstellung der\nTeileinrich- tungen entsprach den in § 10 EBS 1988 festgelegten Merkmalen der\nendgultigen Herstellung der Erschließungsanlage (§ 132 Nr. 4 BauGB). Die\nErschließungsanlage war auch insofern end- gultig hergestellt iSv § 133 Abs. 2\nBauGB, als abweichend von der ursprunglichen Ausbauplanung am Ende der oberen\nF. straße von der Anlegung einer Wendeanlage abgesehen worden war. Selbst wenn\nes sich bei dem ursprunglichen Aus- bauplan um ein fur die endgultige\nHerstellung der Erschlie- ßungsanlage maßgebliches Bauprogramm gehandelt haben\nsollte,\n\n32\n\nvgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1991 - 8 C 14.89 -, NVwZ 1991, 1092; Urteil\nvom 10. Oktober 1995 \\- 8 C 13.94 -, DVBl 1996, 379,\n\n33\n\nware dieses Bauprogramm vor Entstehung der sachlichen Bei- tragspflichten\nwirksam geandert worden.\n\n34\n\nBei der hier zu beurteilenden Erschließungsanlage handelt es sich um eine\noffentliche Straße iSv § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB. Eine formliche Widmung zum\noffentlichen Verkehr \\- sollte sie noch erforderlich gewesen sein - ist\njedenfalls unter dem 4. Mai 1988 verfugt worden.\n\n35\n\nDas nordliche Endstuck der F. straße und die Verbindungsstrecke zur I. Straße\nstellen eine zum Anbau bestimmte Straße gemaß § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB dar.\nNach dieser Bestimmung sind nur solche offentlichen Verkehrsanlagen\nbeitragsfahig, die dazu bestimmt sind, den von ihnen erschlossenen\nGrundstucken das an verkehrsmaßiger Erschließung zu verschaffen, was fur ihre\nBebaubarkeit oder erschließungsbeitragsrechtlich vergleichbare Nutzbarkeit\nbebauungsrechtlich erforderlich ist.\n\n36\n\nVgl. Driehaus, aaO, § 12 Rn. 28.\n\n37\n\nDiese Voraussetzung ist hier erfullt. Insbesondere sichert das nordliche\nEndstuck der F. straße eine hinreichende Erschließung der angrenzenden\nGrundstucke. Im Hinblick auf die Fahrbahnbreite von etwa 6 m und die Tatsache,\ndaß beim Wenden die teilweise mit abgesenktem Bordstein versehenen Gehwege\nuberfahren werden konnen, ist sichergestellt, daß mit Personen- und kleineren\nVersorgungsfahrzeugen an die er- schlossenen Grundstucke herangefahren werden\nkann.\n\n38\n\nDie von der Klagerin gegen die Erforderlichkeit der Erschließungsanlage bzw.\neinzelner Teileinrichtungen geltend gemachten Einwande greifen in Anbetracht\ndes den Gemeinden insoweit eingeraumten weiten Entscheidungsfreiraums nicht\ndurch.\n\n39\n\nAusweislich der vom dem Beklagten erstellten Hilfsberechnung vom 25. Oktober\n1986, gegen deren Ansatze keine Bedenken bestehen, belauft sich der auf das\nGrundstuck der Klagerin fur die obere F. straße einschließlich der Verbindung\nzur I. Straße entfallende Erschließungsbeitrag auf 4.792,96 DM. Das Flurstuck\n89 war in die Abrechnung einzubeziehen, weil es durch die Verbindungsstrecke\nzur I. Straße und damit durch die maßgebliche Erschließungsanlage iSv § 131\nAbs. 1 BauGB erschlossen wird.\n\n40\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch uber die\nvorlaufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 Satz\n1 ZPO.\n\n41\n\nDie Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2\nVwGO nicht erfullt sind.\n\n42\n\n
311,573
ovgnrw-1997-02-13-7a-d-8694ne
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
7a D 86/94.NE
1997-02-13
2019-03-13 09:24:19
2019-03-27 09:47:31
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:1997:0213.7A.D86.94NE.00
## Tenor\n\nDer Antrag wird abgelehnt.\n\nDie Antragstellerin tragt die Kosten des Verfahrens.\n\nDie Kostenentscheidung ist vorlaufig vollstreckbar.\n\nDie Revision wird nicht zugelassen.\n\n \n1\n\nTatbestand:\n\n2\n\nDie Antragstellerin wendet sich im Normenkontrollverfahren gegen den\nBebauungsplan SP 90 Blatt 1 der Antragsgegnerin, der am 1. Dezember 1992 als\nSatzung beschlossen wurde.\n\n3\n\nDie Antragstellerin ist als Rechtsnachfolgerin ihrer Eltern Eigentumerin des\nmit einem Wohnhaus (L Straße 7) bebauten Grundstucks Gemarkung S , Flur 23,\nFlurstuck 94. Im Laufe des vorliegenden Normenkontrollverfahrens ist das\nEigentum auf die Antragstellerin ubertragen worden. Das Grundstuck liegt an\nder Sudostseite der L Straße zwischen den Einmundungen der jeweils von\nSudosten auf die L Straße zufuhrenden K straße und der Straße Am Landgraben.\nDie L Straße beschreibt vor dem Wohnhaus der Antragstellerin eine Kurve, an\nderen Innenseite das Grundstuck der Antragstellerin liegt. Dem Wohnhaus ist\nderzeit zur L Straße hin ein rund 10 bis 15 m tiefer Vorgarten vorgelagert, in\ndem sich u.a. eine Gruppe von drei Birken und eine dichte Hecke befinden. Nach\nden in der Begrundung des strittigen Bebauungsplans dargelegten planerischen\nVorstellungen der Antragsgegnerin soll der Plan die uberwiegend bereits\nvorhandene Bebauung erfassen und noch mogliche Neu- oder Anbauten in\nstadtebaulich sinnvoller Form integrieren; ferner soll eine neue Abgrenzung\nder Straßenverkehrsflachen vorgenommen werden, die sich im Bereich der L\nStraße durch zum Teil schon durchgefuhrte und zum Teil noch vorzunehmende\nUmbaumaßnahmen verandern.\n\n4\n\nBereits 1989 hatte der Rat der Antragsgegnerin einen Bebauungsplan SP 90 Blatt\n1 beschlossen, der einen großeren Bereich als der im vorliegenden Verfahren\nstrittige Bebauungsplan erfaßte und gleichfalls eine Veranderung der\nStraßenverkehrsflachen insbesondere im Bereich des Grundeigentums der\nAntragstellerin vorsah. Dieser Bebauungsplan aus dem Jahr 1989 ist durch \\-\nrechtskraftiges - Urteil des Senats vom 17. Dezember 1990 (7a NE 69/89) fur\nnichtig erklart worden. Die Antragsgegnerin leitete daraufhin ein neues\nVerfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans ein, das zum Erlaß des hier\nstrittigen Plans fuhrte.\n\n5\n\nDer strittige Bebauungsplan erfaßt einen Bereich, der beiderseits der L Straße\nzwischen der Bundesbahnstrecke - G im Sudwesten und der Hauptstraße\n(Bundesstraße B 8) im Nordosten liegt, wobei der Bebauungsplan lediglich\nzwischen der K straße und der H straße das sudostlich der L Straße gelegene\nGelande nicht miterfaßt, sondern hier mit den neu festgesetzten\nStraßenverkehrsflachen endet. Der Bebauungsplan setzt insbesondere neue\nStraßenverkehrsflachen im Bereich der L Straße fest, die deutlich uber die\nvorhandenen Straßenflachen hinaus in die angrenzenden Vorgarten hineingreifen\nund gleichzeitig im Bereich des Grundstucks der Antragstellerin, gegenuber dem\nvon Westen her die Wernerstraße spitzwinklig in die L Straße einmundet, eine\nAbflachung der dort vorhandenen Kurve mit einem Innenradius von R = 70 m\nbewirken sollen. Folge dieser Ausweisung ist, daß der dem Wohnhaus der\nAntragstellerin zur L Straße hin vorgelagerte Vorgarten um rund die Halfte\nseiner derzeitigen Tiefe verkurzt werden soll, so daß die Verkehrsflachen der\nL Straße bis ca. 5-6 m an das Wohnhaus heranrucken. Des weiteren setzt der\nBebauungsplan fur den nordwestlich der L Straße neben der H straße gelegenen\nBereich Mischgebiete mit zwei- bzw. dreigeschossiger Bebauung fest. Im ubrigen\nsind die nicht als Straßenverkehrsflachen ausgewiesenen Bereiche als\nallgemeine Wohngebiete mit maximal zweigeschossiger Bebauung, einer\nGrundflachenzahl von 0,4, offener Bauweise sowie einer vorgeschriebenen\nSatteldachbebauung mit 30 bis 45 Grad ausgewiesen. Unterschiede bestehen\nlediglich insoweit, als fur die einzelnen Wohngebiete unterschiedliche\nHohenfestsetzungen (maximale Gebaudehohe bzw. Traufhohe) getroffen sind.\nInnerhalb der Wohngebiete setzt der Bebauungsplan Baugrenzen fest, die\ninsbesondere in dem auch das Grundstuck der Antragstellerin erfassenden\nBereich, der von den Straßen Am L graben, L Straße und K straße umgrenzt wird,\ndazu fuhren, daß vorhandene Gebaude ganz oder teilweise außerhalb der\nfestgesetzten Baugrenzen liegen. Die textlichen Festsetzungen des\nBebauungsplans enthalten Regelungen uber die Zulassigkeit von Garagen und\nStellplatzen, die Mindestgroße der Wohnbaugrundstucke, die Bepflanzung nicht\nuberbauter Grundstucksflachen, die Begrunung von Fassaden, die Festlegung der\nBezugspunkte fur die Gebaudehohen sowie zum passiven Schallschutz.\n\n6\n\nDas Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans nahm folgenden Verlauf:\n\n7\n\nAm 26. Februar 1991 beschloß der Rat der Antragsgegnerin, den Bebauungsplan\naufzustellen. Es fand am 5. Marz 1992 eine vorgezogene Burgeranhorung statt.\nDer Rat der Antragsgegnerin nahm am 17. Marz 1992 das Ergebnis der\nBurgeranhorung zur Kenntnis und beschloß, den Entwurf des Bebauungsplans\neinschließlich der Begrundung offenzulegen. Die am 14. Mai 1992\nbekanntgemachte Offenlegung fand vom 25. Mai bis 26. Juni 1992 statt. Mit\nSchreiben vom 22. Juni 1992 erhoben die Eltern der Antragstellerin\nEinwendungen. Sie machten insbesondere geltend, es werde ein unverhaltnismaßig\nbreiter Vorgartenstreifen ihres Grundstucks fur Straßenbauzwecke in Anspruch\ngenommen. Der Vorgartenbereich ihres Grundstucks habe eine nicht zu\nunterschatzende Bedeutung fur die Abmilderung von Immissionseinwirkungen. Der\ngegenwartige Straßenverlauf schirme Verkehr und Verkehrslarm noch relativ\nertraglich von ihrem Hause ab, so daß bei erheblicher Reduzierung des\nVorgartens der naturliche Schutz vor Immissionslarm, Abgasen und sonstigen\nBeeintrachtigungen entfalle. Dieser Schutz sei umso wichtiger, je mehr\naufgrund des Ausbaus der L Straße von einer Zunahme der Verkehrsbelastung\nausgegangen werden musse. Es bestunden auch grundsatzliche Bedenken gegen den\nStraßenausbau. Im Falle einer Begradigung erhalte die L Straße noch mehr den\nCharakter einer "Rennstrecke". In der Vergangenheit sei es bereits\n"dieserhalb" zu Unfallen gekommen. Im Bereich des "Knicks" der L Straße sei es\nvorteilhaft, gewisse Unbequemlichkeiten fur den Verkehr in Kauf zu nehmen. Es\nsei auch vertretbar, den Kurvenbereich der L Straße in Richtung auf das ihrem\nGrundstuck schrag gegenuberliegende unbebaute Grundstuck zu verlagern. Es\nkonne auch nicht eingesehen werden, daß die Straße in dem hier fraglichen\nBereich eine Breite in den nach der gegenwartigen Konzeption vorgesehenen\nDimensionen aufweisen musse.\n\n8\n\nIn seiner Sitzung vom 1. Dezember 1992 befaßte sich der Rat der\nAntragsgegnerin mit den im Offenlegungsverfahren vorgetragenen Einwendungen\nund Bedenken. Die Einwendungen der Eltern der Antragstellerin wies er\ninsbesondere mit der Erwagung zuruck, ursprunglich sei entlang des Grundstucks\nder Antragstellerin ein Radius von R = 80 m vorgesehen gewesen. Dieser sei auf\nR = 70 m reduziert worden. Eine weitere Reduzierung komme nach Angaben des\nFachamtes nicht in Betracht, da der Radius im Zusammenhang mit den\nangrenzenden Entwurfselementen harmonisieren musse. Es verbleibe nach der\nStraßenbaumaßnahme noch ein verhaltnismaßig breiter Vorgarten, auf dem eine\nintensive Bepflanzung und Begrunung vorgenommen werden konne. Es sei zwar\nnicht zu bestreiten, daß kunftig ein hoheres Verkehrsaufkommen auf der L\nStraße zu erwarten sei, da fur den Ortskernbereich S eine Entlastungsschleife\ngeplant sei, die uber die L Straße zum L Kreisel fuhren solle. Die Planungen\ndurften jedoch im Bereich des Schwerlastverkehrs eine Entlastung fur die\nAnlieger an der L Straße mit sich bringen. Eine Reduzierung der Fahrbahnbreite\noder des Burgersteigbereichs komme nicht in Betracht, wenn fur die Zukunft ein\nsicherer Verkehrsablauf gewahrleistet sein solle.\n\n9\n\nNach der Niederschrift uber diese Ratssitzung beauftragte der Rat die\nVerwaltung, den Bebauungsplan dahingehend zu andern, daß der Innenradius der\nKurve zwischen der Straße "Am L graben" und der K straße von 80 m auf 70 m\nreduziert werde; ferner wurde die Begrundung zum Bebauungsplan dahingehend\nkorrigiert, daß aufgezeigt wurde, daß entlang der westlichen Seite der L\nStraße ein kombinierter Rad-Gehweg angelegt werden solle. Nach der Behandlung\nder Anregungen und Bedenken beschloß der Rat der Antragsgegnerin den\nBebauungsplan als Satzung, die textlichen Festsetzungen als Satzung und die\nBegrundung, die aufgrund von Anregungen und Bedenken geringfugig geandert\nwurde.\n\n10\n\nMit Schreiben vom 4. Januar 1993 wurde der Bebauungsplan dem\nRegierungsprasidenten angezeigt. Dieser teilte mit Schreiben vom 19. Marz 1993\nmit, eine Verletzung von Rechtsvorschriften werde nicht geltend gemacht, wenn\ndie Vergroßerung der Vorgartenflachen wegen Reduzierung des Radius auf 70 m in\nder Planzeichnung nachgetragen werde. Mit Schreiben vom 20. April 1993 teilte\nder Stadtdirektor der Antragsgegnerin dem Regierungsprasidenten daraufhin mit,\nda die Übernahme des neuen Radius zeichnerisch kaum nachvollziehbar sei - sie\nwirke sich im Millimeter-Bereich aus -, sei Übereinkunft erzielt worden, daß\nder neue Radius lediglich schriftlich (in roter Farbe) im Plan kenntlich\ngemacht werde. Der Regierungsprasident teilte daraufhin mit Schreiben vom 8.\nJuni 1993 mit, unter Aufhebung seiner Verfugung vom 19. Marz 1993 werde eine\nVerletzung von Rechtsvorschriften nicht geltend gemacht. Die Durchfuhrung des\nAnzeigeverfahrens wurde daraufhin am 13. Juli 1993 im Amtsblatt fur die Stadt\nT bekanntgemacht. Die Bekanntmachung enthalt u.a. einen Hinweis auf die\nUnbeachtlichkeit der Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften nach dem\nBauGB. Am 2. Februar 1993 beschloß der Rat der Antragsgegnerin ferner\nGestaltungsvorschriften zum Bebauungsplan als Satzung (§ 81 BauO NW).\n\n11\n\nDie Eltern der Antragstellerin haben am 23. Juni 1994 den vorliegenden\nNormenkontrollantrag gestellt. Zur Begrundung tragen sie im wesentlichen vor,\nder Bebauungsplan sei schon deshalb unwirksam, weil er fehlerhaft ausgefertigt\nworden sei. Ein durchgreifender Verfahrensmangel liege ferner darin, daß die\nBekanntmachung uber die Offenlegung des Plans irrefuhrend gewesen sei; die\nFormulierungen in der Bekanntmachung hatten den Eindruck erweckt, als konnten\nAnregungen und Bedenken - auch soweit sie schriftlich vorgebracht werden - nur\ninnerhalb der in der Bekanntmachung aufgefuhrten Dienstzeiten angebracht\nwerden. Der Bebauungsplan sei ferner im Bereich ihres Grundeigentums nicht\neindeutig, er gebe jedenfalls den Willen des Rates nicht wieder. Ziel der\nÄnderung des Radius von 80 m auf 70 m sei eine Minderung der Inanspruchnahme\ngewesen. Aus den unterschiedlichen Ermittlungen uber den Umfang der\nInanspruchnahme folge jedoch eine Flachendifferenz von ca. 30 qm; eine solche\n"Interpretationstoleranz" sei nicht mehr tolerabel fur einen Bebauungsplan,\nmit dessen Hilfe erforderlichenfalls Enteignungsanspruche der Gemeinde\ndurchgesetzt werden sollten. Fehlerhaft sei der Plan ferner, weil er\nvorhandene Gebaude im Bereich des sudostlich der L Straße bzw. sudwestlich der\nK straße ausgewiesenen Wohngebiets ganz bzw. teilweise als nicht uberbaubar\nuberplane. Es konne nicht Sinn eines Bebauungsplans sein, eine gegebene\nBebauung durch volliges Negieren planerisch ins Unrecht zu setzen und insoweit\nzentrale Belange der betroffenen Eigentumer nachhaltig auf den bloßen\nBestandsschutz zu beschranken. Ferner sei der Plan auch insoweit unbestimmt,\nals im nordlichen Bereich des Plangebiets die Abgrenzungen zwischen den\nBereichen mit unterschiedlichen Hohen der Gebaude nicht hinreichend genau\nfestgelegt seien. Hinsichtlich der Inanspruchnahme ihres Vorgartens gehe es\nihnen insbesondere um den Erhalt der drei Birken. Diese Inanspruchnahme konne\ndurch Verschiebung der Straße nach Westen vermieden werden. Desweiteren seien\ndie vorgesehenen Breiten der Gehwege bzw. des Geh- und Radwegs nicht aus\nVerkehrssicherheitsgrunden unbedingt notwendig, wie bereits die Realisierung\nvon geringer dimensionierten Geh- und Radwegen im weiteren Umfeld zeigten. In\nder mundlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Antragstellerin erklart, sie\nfuhre als Rechtsnachfolgerin ihrer Eltern das Verfahren weiter.\n\n12\n\nDie Antragstellerin beantragt,\n\n13\n\nden Bebauungsplan Nr. SP 90 Blatt 1 der Antragsgegnerin (Satzungsbeschluß vom\n1. Dezember 1992) fur nichtig zu erklaren.\n\n14\n\nDie Antragsgegnerin beantragt,\n\n15\n\nden Antrag abzulehnen.\n\n16\n\nSie weist insbesondere darauf hin, daß der Plan hinreichend bestimmt sei.\nSoweit bei der Berechnung der Inanspruchnahme von Vorgartenflachen der\nAntragstellerin unterschiedliche Maße ermittelt worden seien, sei bei der\nBerechnung von 70 qm der betreffende Ingenieur von einem falschen\nAusgangspunkt ausgegangen. Soweit durch den Bebauungsplan vorhandene Gebaude\nauf den Bestandsschutz gesetzt worden seien, handele es sich teilweise um\nGebaude, die nicht wohngenutzt seien. Hier verhindere die Planung eine\nUmnutzung zu Wohnzwecken. Daruber hinaus bewirke die Planung langfristig\njedenfalls den Wegfall der außerhalb der Baugrenzen gelegenen Bebauung. Dies\nsei im Hinblick auf das Planungsziel, diesen Innenbereich zu durchgrunen und\nvon einer Hinterlandbebauung freizuhalten, sachgerecht. Schließlich komme eine\nweitere Reduzierung der Entwurfselemente fur den geplanten Ausbau der L Straße\nnicht in Betracht; gerade bei dem Trassenstuck vor dem Grundstuck der\nAntragstellerin habe es sich wegen des bisher fehlenden Ausbaus auch fur den\nnicht motorisierten Verkehr und wegen der unubersichtlichen Verkehrslage um\neinen Gefahrenbereich insbesondere fur Fußganger und Radfahrer gehandelt.\nPlanerisches Ziel sei es vor allem auch, fur diesen Personenkreis das\nStraßenstuck weitgehend zu entscharfen.\n\n17\n\nHinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens\nder Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der von der\nAntragsgegnerin vorgelegten Aufstellungsvorgange und Plane sowie der von der\nAntragstellerin vorgelegten Lichtbilder erganzend Bezug genommen.\n\n18\n\nEntscheidungsgrunde:\n\n19\n\nDer Antrag ist zulassig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt.\n\n20\n\nGemaß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der Fassung, die er durch Art. 1 Nr. 2a des\nSechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer\nGesetze vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 1626) - 6. VwGOÄndG - erhalten hat,\nkann den Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO innerhalb einer naher bestimmten\nFrist jede naturliche oder juristische Person stellen, die geltend macht,\ndurch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu\nsein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden; antragsbefugt sind daruber\nhinaus auch Behorden. Auf diese gemaß Art. 11 6. VwGOÄndG am 1. Januar 1997 in\nKraft getretene Fassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. ist auch im\nvorliegenden Verfahren abzustellen, obwohl die Eltern der Antragstellerin als\nderen Rechtsvorganger den Normenkontrollantrag bereits vor dem 1. Januar 1997\ngestellt haben und damit noch zu einer Zeit, in der gemaß § 47 Abs. 2 Satz 1\nVwGO a.F. die Antragsbefugnis bereits dann gegeben war, wenn die\nantragstellende Person durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung (zwar\nnoch keine Rechtsverletzung, aber bereits) einen Nachteil erlitten oder in\nabsehbarer Zeit zu erwarten hatte.\n\n21\n\nDer Wortlaut des Art. 11 6. VwGOÄndG ergibt, daß uber die Antragsbefugnis -\nals einer Zulassigkeitsvoraussetzung gerichtlicher Sachprufung, die im\nZeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gegeben sein muß \\- in bereits\nanhangigen Verfahren nunmehr nach Maßgabe des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der\nFassung zu befinden ist, die er durch das Sechste Gesetz zur Änderung der\nVerwaltungsgerichtsordnung erhalten hat. Eine abweichende Regelung, die\nfordern wurde, in vor dem 1\\. Januar 1997 eingeleiteten Verfahren auf § 47\nAbs. 2 Satz 1 VwGO a.F. abzustellen, sehen die Überleitungsvorschriften des\nArt. 10 6. VwGOÄndG nicht vor. Vielmehr verdeutlichen die\nÜberleitungsvorschriften, daß der Gesetzgeber die Antragsbefugnis auch fur im\nZeitpunkt des Inkrafttretens des Sechsten Gesetzes zur Änderung der\nVerwaltungsgerichtsordnung anhangige Verfahren an die Voraussetzungen des § 47\nAbs. 2 Satz 1 VwGO n.F. knupfen wollte. Denn er hat in Art. 10 Abs. 4 6.\nVwGOÄndG ausdrucklich eine Überleitungsregelung fur § 47 Abs. 2 VwGO n.F.\ngetroffen, jedoch nur insoweit, als es um die in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F.\nbestimmte Frist fur die Antragstellung geht. Der Gesetzgeber hat sich demnach\nmit der Frage befaßt, ob § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. ab Inkrafttreten des\nSechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung gelten sollte,\nund fur die Neuregelung der Antragsbefugnis dennoch keine Übergangsbestimmung\nvorgesehen.\n\n22\n\nDie sich aus dem Wortlaut des Art. 1 Nr. 2a i.V.m. Art. 11 6. VwGOÄndG\nergebende Neuregelung der Antragsbefugnis auch fur bereits anhangige Verfahren\nentspricht allgemeinen Grundsatzen des Prozeßrechts, wonach Änderungen des\nVerfahrensrechts mit ihrem Inkrafttreten grundsatzlich auch anhangige\nRechtsstreitigkeiten erfassen.\n\n23\n\nVgl.: BVerfG, Urteil vom 25. Juni 1968 - 2 BvR 251/63 -, BVerfGE 24, 33 (55);\nBeschluß vom 12. Juli 1983 - 1 BvR 1470/82 -, BVerfGE 65, 76 (98); BVerwG,\nUrteil vom 4. Oktober 1962 - I C 145.58 -, BVerwGE 15, 48 (50).\n\n24\n\nArt. 1 Nr. 2a i.V.m. Art. 11 6. VwGOÄndG steht mit Verfassungsrecht in\nÜbereinstimmung. Eine Einschrankung des allgemeinen Grundsatzes des\nintertemporalen Prozeßrechts, wonach eine Änderung des Verfahrensrechts\ngrundsatzlich auch anhangige Rechtsstreitigkeiten erfaßt, ist fur\nRechtsmittelverfahren in Betracht zu ziehen, da das im Rechtsstaatsprinzip\nwurzelnde Vertrauensschutzprinzip die Rechtsmittelsicherheit gebieten kann.\n\n25\n\nVgl.: BVerfG, Beschluß vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631, 1728/90 -, BVerfGE 87,\n48 (64).\n\n26\n\nDas Vertrauensschutzprinzip gebietet es jedoch nicht, die Voraussetzungen der\nAntragsbefugnis fur anhangige Normenkontrollverfahren unverandert zu lassen.\nDas Normenkontrollverfahren ist kein Rechtsmittelverfahren, in dem eine\nerstinstanzliche Entscheidung zur Überprufung stunde. Auch ist ein Vertrauen\nauf die Ungultigkeit des Bebauungsplans als formell bestehender Rechtsnorm in\naller Regel nicht geschutzt.\n\n27\n\nVgl.: BVerfG, Beschluß vom 15. November 1967 - 2 BvL 7, 20, 22/64 -, BVerfGE\n22, 330 (348); BGH, Urteil vom 24. Juni 1982 - III ZR 169/80 -, NJW 1983, 215\n= BRS 39 Nr. 30; BVerwG, Beschluß vom 13. April 1983 - 4 N 1.82 -, BRS 40 Nr.\n25.\n\n28\n\nEine Ausnahme von diesem Grundsatz ist hier ersichtlich nicht gegeben.\n\n29\n\nAber auch ein etwaiges Vertrauen darin, nicht mit den Kosten des\nNormenkontrollverfahrens belastet zu werden, fordert von Verfassungs wegen\nkeine Überleitungsvorschrift. Das Kosteninteresse wird von den Bestimmungen\nder Verwaltungsgerichtsordnung zur Kostenverteilung angemessen erfaßt.\nEntfallt die Zulassigkeit des Antrags infolge der gesetzlichen Neuregelung,\nfuhrt dies zu seiner Erledigung. In Konsequenz einer dieser Rechtslage\ntragenden ubereinstimmenden Erledigungserklarung ist uber die Kosten des\nVerfahrens gemaß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berucksichtigung des bisherigen Sach-\nund Streitstandes (und damit auch der Erfolgsaussichten des Antrages) zu\nentscheiden.\n\n30\n\nDas Normenkontrollverfahren ist auch nicht (im bisherigen Umfange)\nerforderlich, um ausreichenden Rechtsschutz zu gewahrleisten. Abgesehen davon,\ndaß bei einer Rechtsverletzung, die nach Art. 19 Abs. 4 GG zur Eroffnung eines\nRechtsweges zwingt, die Antragsbefugnis auch fur das Normenkontrollverfahren\nweiterhin bestehen bleibt, steht dem von den Festsetzungen eines\nBebauungsplans in rechtlich geschutzten Interessen Betroffenen weiterhin der\nIndividualrechtsschutz offen, in dem die Wirksamkeit des Bebauungsplanes\ninzident zu prufen sein kann. Im Hinblick auf die gegen die Auswirkungen eines\nBebauungsplans gegebenen Rechtsschutzmoglichkeiten ist das\nNormenkontrollverfahren nach § 47 VwGO durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht geboten.\n\n31\n\nVgl.: BVerfG, Beschluß vom 27. Juli 1971 - 2 BvR 443/70 -, BVerfGE 31, 364\n(370).\n\n32\n\nDie nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. erforderlichen Voraussetzungen der\nAntragsbefugnis sind im vorliegenden Verfahren gegeben.\n\n33\n\nDie Antragstellerin (bzw. ihre Rechtsvorganger) hat geltend gemacht, daß sie\ndurch den strittigen Bebauungsplan bzw. dessen Anwendung in ihren Rechten\nverletzt wird. Ein Bebauungsplan fuhrt zu einer Rechtsverletzung, wenn er\nsubjektive Rechte des von seinen Festsetzungen Betroffenen verletzt. Wahrend\ndas Gesetz mit dem Nachteilsbegriff in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. die\nAntragsbefugnis in Normenkontrollverfahren bewußt weiter offnete als in § 42\nAbs. 2 VwGO die Klagebefugnis mit dem Begriff der Rechtsverletzung,\n\n34\n\n\\- vgl. hierzu: BVerwG, Beschluß vom 18. Februar 1994 - 4 NB 24.93 -, BRS 56\nNr. 30 -,\n\n35\n\ngreift das Gesetz nunmehr fur die Antragsbefugnis auf den Maßstab der\nRechtsverletzung zuruck, wie er auch fur die Klagebefugnis entscheidend ist.\nDie sich aus dem Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. ergebende\nRechtslage entspricht dem Sinn des Gesetzes, wie er durch die\nGesetzesmaterialien bestatigt wird. Die bisher weitgefaßte Antragsbefugnis\nsollte an die Regelung der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO angepaßt\nwerden.\n\n36\n\nVgl.: Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Druchsache 13/3993 S. 9, 10.\n\n37\n\nEine Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. kann gegeben\nsein, wenn der Bebauungsplan Festsetzungen trifft, die sich auf subjektive\nRechte des Antragstellers auswirken konnen.\n\n38\n\nVgl.: OVG NW, Urteil vom 23. Januar 1997 - 7a D 70/93.NE -.\n\n39\n\nDaran kann im vorliegenden Fall kein Zweifel bestehen. Der Bebauungsplan\nuberplant Teilflachen des Grundeigentums der Antragstellerin als\nStraßenverkehrsflache. Er ist damit, sofern keine einvernehmliche Einigung\nuber die Abtretung der fur den Ausbau der L Straße benotigten Flache\nzustandekommt, ggf. Grundlage fur eine Enteignung der Antragstellerin.\n\n40\n\nDer Antrag ist jedoch nicht begrundet.\n\n41\n\nDie seitens der Antragstellerin angefuhrten formellen Bedenken greifen nicht\ndurch.\n\n42\n\nDer strittige Bebauungsplan ist nicht fehlerhaft ausgefertigt. Durch die\nAusfertigung des als Satzung und damit als Rechtsnorm beschlossenen\nBebauungsplans soll sichergestellt werden, daß der Inhalt des Plans mit dem\nWillen des gemeindlichen Beschlußorgans ubereinstimmt,\n\n43\n\n\\- vgl.: BVerwG, Beschluß vom 9. Mai 1996 - 4 B 60.96 - UPR 1996, 311 = BauR\n1996, 670 -,\n\n44\n\nwobei das Bundesrecht ungeregelt laßt, welche Anforderungen an eine solche\nAusfertigung zu stellen sind.\n\n45\n\nSo bereits: BVerwG, Beschlusse vom 24. Mai 1989 - 4 NB 10.89 -, BRS 49 Nr. 25\nund vom 16. Mai 1991 - 4 NB 26.90 -, BRS 52 Nr. 32.\n\n46\n\nFur das hiernach allein maßgebliche Landesrecht ist in der Rechtsprechung des\nSenats geklart, daß es mangels ausdrucklicher normativer Vorgaben fur die\nAusfertigung von Bebauungsplanen ausreicht, wenn eine Originalurkunde\ngeschaffen wird, auf welcher der Burgermeister als Vorsitzender des Rates,\nmithin des zustandigen Beschlußorgans der Gemeinde - gemeinsam mit einem\nRatsmitglied - zeitlich nach dem Ratsbeschluß und vor der Verkundung der\nSatzung schriftlich bestatigt, daß der Rat an einem naher bezeichneten Tag\n"diesen Bebauungsplan als Satzung beschlossen" hat.\n\n47\n\nVgl.: OVG NW, Urteile vom 10. Juli 1991 - 7a NE 63/90 - und vom 18\\. Dezember\n1991 - 7a NE 77/90 -, NWVBl. 1992, 357.\n\n48\n\nSoweit der Senat in jenen Entscheidungen aufgrund des dort gegebenen\nSachverhalts keinen Anlaß hatte, naher auszufuhren, ob auch eine\nUnterzeichnung durch den Burgermeister allein als hinreichende Ausfertigung\nanzusehen ist, wird dies hiermit klargestellt. Entscheidend fur die\nAusfertigung eines im Regelfall aus zeichnerischen und textlichen\nFestsetzungen bestehenden Bebauungsplans, der nicht im Wortlaut\nbekanntzumachen, wohl aber zu jedermanns Einsicht bereitzuhalten ist (§ 12\nSatz 2 BauGB), ist die Herstellung einer Originalurkunde, hinsichtlich der\ndokumentiert wird, daß sie den Inhalt der vom Rat beschlossenen Festsetzungen\nzutreffend wiedergibt. Eine solche Dokumentation kann auch durch den\nBurgermeister allein erfolgen. Er ist als Vorsitzender und Vertreter des Rates\nhinreichend legitimiert, den Inhalt des vom Rat Beschlossenen zu dokumentieren\nund seine Authentizitat zu bestatigen.\n\n49\n\nVgl. zur Frage der Ausfertigung durch den Gemeindedirektor auch: OVG NW,\nUrteil vom 17. Oktober 1996 - 7a D 122/94.NE -.\n\n50\n\nEinen solchen Vermerk enthalt die dem Senat in der mundlichen Verhandlung\nvorgelegte Ausfertigung des Bebauungsplans. Auf ihr hat der Burgermeister der\nAntragsgegnerin unter dem 21. Dezember 1992 bestatigt, daß "dieser\nBebauungsplan" vom Rat der Stadt T am 1. Dezember 1992 als Satzung beschlossen\nwurde.\n\n51\n\nDie Ruge, die Bekanntmachung vom 14. Mai 1992 bezuglich der Offenlegung des\nPlans vom 25. Mai bis 26. Juni 1992 sei zumindest irrefuhrend gewesen, geht\nfehl. Wenn in jener Bekanntmachung die Rede davon ist, Anregungen und Bedenken\nkonnten "wahrend der Auslegungsfrist" schriftlich vorgebracht oder zur\nNiederschrift bei der vorbezeichneten Stelle erklart werden, bezieht sich das\nWort Auslegungsfrist bei verstandiger Wurdigung - selbstverstandlich - auf den\ngesamten angefuhrten Zeitraum vom 25. Mai bis einschließlich 26. Juni 1992.\nDem seitens der Antragstellerin vorgetragenen Verstandnis ware - wenn\nuberhaupt - allenfalls dann naher zu treten, wenn anstelle des Wortes\n"Auslegungsfrist" das Wort "Offenlegungszeiten" oder ein ahnliches Wort\ngewahlt worden ware. Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob diese\nvorgetragene Ruge gemaß § 215 BauGB uberhaupt beachtlich ist.\n\n52\n\nOb in Planaufstellungsverfahren deshalb gegen § 3 Abs. 3 BauGB verstoßen\nwurde, weil gemaß dem vor dem Satzungsbeschluß gefaßten Beschluß des Rates der\nStadt T vom 1. Dezember 1992 der Bebauungsplan dahingehend geandert wurde,\n"daß der Innenradius der Kurve zwischen der Straße Am L graben und der K\nstraße von 80 m auf 70 m reduziert wird", ohne daß insoweit ein erneutes\nOffenlegungsverfahren bzw. zumindest ein eingeschranktes Beteiligungsverfahren\ndurchgefuhrt wurde, kann letztlich dahinstehen. Sollten hierdurch die\nVorschriften uber die Beteiligung der Burger verletzt worden sein, ware ein\nentsprechender Mangel des Planaufstellungsverfahrens jedenfalls gemaß § 215\nAbs. 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich, weil dieser Mangel nicht innerhalb eines\nJahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplans schriftlich gegenuber der\nGemeinde geltendgemacht worden ist. Einer solchen schriftlichen Ruge bedurfte\nes hier, weil bei der Inkraftsetzung des Bebauungsplans gemaß § 215 Abs. 2\nBauGB auf die Voraussetzungen fur die Geltendmachung der Verletzung von\nVerfahrensvorschriften sowie die Rechtsfolgen ordnungsgemaß hingewiesen worden\nist.\n\n53\n\nAuch die Rugen mangelnder Bestimmtheit des Plans gehen fehl.\n\n54\n\nSoweit fur die Baugebiete nordwestlich der L Straße und nordlich der W straße\nunterschiedliche Nutzungsausweisungen sowie unterschiedliche Festsetzungen\nbezuglich der maximalen Gebaudehohe und der Traufhohe getroffen worden sind,\nsind die hierfur maßgeblichen Bereiche eindeutig durch sog. Perlschnure\n(Zeichen 15.14 der Anlage zur Planzeichenverordnung 1990) gegeneinander\nabgegrenzt. Der Umstand, daß die Spitzen der Pfeile, die fur die einzelnen\nNutzungsausweisungen maßgeblich sind, jeweils im Bereich uberbaubarer\nGrundstucksflachen enden, bedeutet keineswegs, daß die Nutzungsausweisungen\njeweils nur fur die uberbaubaren Grundstucksflachen getroffen worden sind, in\ndenen sich die entsprechenden Pfeilspitzen befinden; selbstverstandlich\nbeziehen sich die durch Pfeile bestimmten Bereichen des Plans zugeordneten\nNutzungsausweisungen jeweils auf den gesamten Bereich, in der sich die\nPfeilspitze befindet und der gegenuber anderen baulich nutzbaren Bereichen\ndurch die sog. Perlschnur abgegrenzt ist.\n\n55\n\nAuch bezuglich der Festsetzung der neuen Straßenbegrenzungslinie im Bereich\ndes Grundeigentums der Antragstellerin liegt keine Unbestimmtheit vor. Die\nGrenze zwischen der Wohngebietsausweisung und der Straßenverkehrsflache und\ndamit auch die Grenze der Flache, die aus dem Grundeigentum der\nAntragstellerin ggf. enteignet werden kann, ist in der Planurkunde durch eine\nca. 1 mm breite, in der Legende eindeutig als "Straßenbegrenzungslinie"\ndefinierte Linie hinreichend deutlich festgelegt. Daß bei einer\nDetailberechnung der durch solch eine Linie begrenzten Flache auch bei dem\nhier gewahlten, fur Bebauungsplane sachgerechten Maßstab von 1:500\ngeringfugige Differenzen auftreten konnen, ist zwangslaufige Folge davon, daß\nein Bebauungsplan die kunftigen Nutzungsgrenzen in der Örtlichkeit nicht\nzentimetergenau festlegen kann. Die seitens der Antragstellerin bzw. ihrer\nRechtsvorganger dargestellte Diskrepanz bei den Flachenermittlungen von rund\n30 qm ist, wie die Antragsgegnerin plausibel dargelegt hat, Folge eines\nfehlerhaften Ansatzes des berechnenden Ingenieurs; ein solcher Rechenfehler\nware im ubrigen auch unbeachtlich, da allein auf das abzustellen ist, was die\nals Satzung beschlossene Planurkunde mit den ihr stets immanenten\nzeichnerischen Ungenauigkeiten hinreichend eindeutig festlegt. Soweit der\nkunftige Verlauf der Grenze zwischen dem Grundstuck der Antragstellerin und\nder Straßenverkehrsflache zusatzlich durch die Angabe R = 70 - in Korrektur\nder fruheren Eintragung R = 80 - gekennzeichnet ist, folgt auch hieraus keine\nUnbestimmtheit. Die Angabe dieses Maßes des Radius des Kreisbogens im Bereich\ndes Grundstucks der Antragstellerin legt fur die Umsetzung der zulassigerweise\nmit einer kraftigen Linie festgelegten Straßenbegrenzungslinie lediglich fest,\ndaß im Bereich der - zulassigen - Toleranzen fur die exakte Übertragung der\nFestsetzung in die Örtlichkeit der fur die Antragstellerin gunstigere Radius\nvon 70 m zu wahlen ist. Einer Überarbeitung der verbindlichen Festlegung der\nGrenze durch die Straßenbegrenzungslinie bedurfte es nicht, weil der\nUnterschied zwischen den Radien R = 70 und R = 80 sich, wie die\nAntragsgegnerin in ihrem Schreiben an den Regierungsprasidenten vom 20. April\n1993 zutreffend ausgefuhrt hatte, nur im Millimeter-Bereich auswirkt.\n\n56\n\nAuch in materieller Hinsicht ist der strittige Bebauungsplan nicht zu\nbeanstanden.\n\n57\n\nDer Bebauungsplan ist im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB fur die stadtebauliche\nEntwicklung und Ordnung erforderlich. Die erforderliche Planrechtfertigung ist\ngegeben, wenn der Bebauungsplan nach seinem Inhalt auf die stadtebauliche\nEntwicklung und Ordnung ausgerichtet und nach der planerischen Konzeption der\nzur Planung berufenen Gemeinde als Mittel hierfur erforderlich ist.\n\n58\n\nVgl.: BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1974 - IV C 50.72 -, BRS 28 Nr. 4.\n\n59\n\nDer erforderliche Bezug zur stadtebaulichen Entwicklung und Ordnung fehlt,\nwenn dem Planinhalt von vornherein und unabhangig von aller Abwagung keine\nstadtebaulich beachtlichen Allgemeinbelange zugrundeliegen.\n\n60\n\nVgl.: BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - IV C 105.66 -, BRS 22 Nr. 4.\n\n61\n\nNicht erforderlich ist der Bebauungsplan in aller Regel erst bei groben und\neinigermaßen offensichtlichen, von keiner nachvollziehbaren Konzeption\ngetragenen planerischen Mißgriffen.\n\n62\n\nVgl.: BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1971 - IV C 64.70 -, BRS 24 Nr. 1.\n\n63\n\nVon einem solchen planerischen Mißgriff kann hier keine Rede sein. Soweit der\nBebauungsplan bereits vorhandene Bebauung erfaßt und noch mogliche Neu- oder\nAnbauten "stadtebaulich sinnvoll" in die vorhandenen Strukturen integrieren\nsoll, liegt ein hinreichendes planerisches Konzept der Antragsgegnerin vor.\nNichts anderes gilt auch fur den beabsichtigten Ausbau der L Straße, die nach\nden Ausfuhrungen auf Seite 4 f. der Begrundung zum Bebauungsplan bereits\nuberortliche Hauptverkehrsstraße ist und mit ihrer neuen Ausgestaltung in ein\nGesamtkonzept zur Entlastung des S Ortskerns eingebunden werden soll. Daß die\nL Straße mit ihrem bestehenden Ausbauzustand dieser ihr von der\nAntragsgegnerin zulassigerweise zugedachten Funktion im Gesamtverkehrsnetz der\nStadt nicht gerecht wird, liegt geradezu auf der Hand und wird durch die\nseitens der Antragstellerin bzw. ihrer Eltern vorgelegten Lichtbilder\neindrucksvoll bestatigt. Eine Straße, die eine uber die bloße Erschließung der\nanliegenden Grundstucke hinausgehende Sammel- und Verbindungsfunktion hat und\ndabei zugleich auch Fußgangern und Radfahrern als sicherer Verkehrsweg dienen\nsoll, kann vernunftigerweise nicht in einem Zustand belassen werden, wie er\nhier mit einer engen, unubersichtlichen Kurve und einer fur Linienbus- und\nLkw-Verkehr außerst schmalen Fahrbahn ohne gesonderte Anlagen fur Fußganger\nund Radfahrer gegeben ist.\n\n64\n\nDie zur Umsetzung dieser stadtebaulich gerechtfertigten Zielsetzung\ngetroffenen Festsetzungen sind von den fur die Bauleitplanung maßgeblichen\ngesetzlichen Ermachtigungsgrundlagen getragen, was auch seitens der\nAntragstellerin nicht in Abrede gestellt wird, und wahren die Anforderungen\ndes Abwagungsgebots nach § 1 Abs. 6 BauGB.\n\n65\n\nDas Gebot, die offentlichen und privaten Belange untereinander und\ngegeneinander gerecht abzuwagen, wird zunachst dann verletzt, wenn eine\nsachgerechte Abwagung uberhaupt nicht stattfindet. Es ist ferner dann\nverletzt, wenn in die Abwagung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach\nLage der Dinge in sie eingestellt werden muß. Schließlich liegt eine\nVerletzung auch dann vor, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt\noder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung beruhrten Belangen in\neiner Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner\nBelange außer Verhaltnis steht.\n\n66\n\nVgl.: BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1969 - IV C 105.66 -, BRS 22 Nr. 4, vom\n5. Juli 1974 - IV C 50.72 -, BRS 28 Nr. 4 und vom 1. November 1974 \\- IV C\n38.71 -, BRS 28 Nr. 6.\n\n67\n\nInnerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem Abwagungsgebot jedoch genugt, wenn\nsich die zur Planung berufene Gemeinde im Widerstreit verschiedener Belange\nfur die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise fur die\nZuruckstellung des anderen Belangs entscheidet.\n\n68\n\nVgl.: BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1974 a.a.O.\n\n69\n\nDie bezuglich des Ausbaus der L Straße getroffenen Festsetzungen, gegen die\nsich die Antragstellerin in erster Linie wendet, sind insbesondere auch mit\nihren die Antragstellerin nachteilig treffenden Folgen fehlerfrei abgewogen.\n\n70\n\nEine Begradigung der vor dem Grundeigentum der Antragstellerin vorhandenen\nengen, unubersichtlichen Kurve war - wie bereits dargelegt - geboten. Dies\nwird bestatigt durch den eigenen Vortrag der Eltern der Antragstellerin in\nihrem Einwendungsschreiben vom 22. Juni 1992, wonach es "in der\nVergangenheit...bereits zu Unfallen dieserhalb gekommen" sei, sowie durch das\ndem Senat seitens der Antragstellerin vorgelegte umfassende Lichtbildmaterial.\nIm Zuge einer Abflachung der Kurve unter Beseitigung des sichtbehindernden\nAufwuchses in dem im Kurveninnenbereich gelegenen Vorgarten der\nAntragstellerin ist auch die Herstellung gesonderter Anlagen fur den nicht-\nmotorisierten Verkehr geboten. Daß bei einer Straße der hier vorliegenden\nVerkehrsbedeutung die gesamte Breite der Straße bis zu den Hecken der\nangrenzenden Grundstucke dem Fahrverkehr zur Verfugung steht, wie von der\nAntragstellerin mit Schriftsatz vom 18. September 1995 selbst betont wird, ist\nim Interesse der Verkehrssicherheit, insbesondere auch der im Verkehr\nbesonders gefahrdeten Fußganger und Radfahrer, auf Dauer geradezu\nunvertretbar. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn der Rat\nder Antragsgegnerin - letztlich auch aus Rucksicht auf das Wohngrundstuck der\nAntragstellerin - sich darauf beschrankt hat, die Kurve lediglich mit einem\nRadius von 70 m zu dimensionieren und bezuglich der Breite der Fahrbahn (6,5 m\nfur den Begegnungsverkehr Bus/Bus), des Gehwegs und des ohnehin nur einseitig\nvorgesehenen Rad- und Gehwegs die nach dem einschlagigen technischen Regelwerk\nnoch vertretbaren Mindestmaße einzuhalten, wie die Antragsgegnerin in ihrem\nSchriftsatz vom 1. Februar 1996 im einzelnen zutreffend naher ausgefuhrt hat.\nDaß bei dem bereits verwirklichten Straßenausbau an anderen Stellen auch diese\nMaße noch geringfugig unterschritten wurden, wie die Antragstellerin\nbehauptet, gebietet es - sofern dieser Vortrag uberhaupt zutrifft -\nkeineswegs, im Interesse der Schonung von einigen Baumen im Vorgarten der\nAntragstellerin, deren vorhandenes Astwerk bei einem geringfugig reduzierten\nAusbau ohnehin in den Straßenraum hineinragen wurde und zumindest teilweise\nbeseitigt werden mußte, gerade im hier kritischen Kurvenbereich mit der\nspitzwinkligen Einmundung der Wernerstraße auf die Einhaltung der\nstraßenbautechnischen Mindeststandards zu verzichten. Ebensowenig laßt sich\neine zu einem Abwagungsmangel fuhrende Fehlgewichtung der betroffenen Belange\netwa daraus herleiten, daß die Achse der Lulsdorfer Straße nicht weiter nach\nWesten verschoben wurde. Eine solche Achsverschiebung hatte, wie sich auch\nohne Detailplanung ohne weiteres aus den vorliegenden Planen ablesen laßt, zur\nFolge, daß die Straßenachse bei einem Abrucken vom Grundstuck der\nAntragstellerin zugleich - wenn auch in geringerem Maße - dichter auf das\ngenau nordlich des Wohnhauses der Antragstellerin gelegene Wohnhaus L Straße 6\nzurucken wurde. Die hier gewahlte Trassierung belaßt der Antragstellerin\nimmerhin noch einen Vorgarten, der - bis zum Gehweg - mindestens 5 m tief ist,\nwahrend sie dem Eigentumer des Hauses L Straße 6 zumutet, daß der Gehweg bis\nauf 2,5 m an sein Haus heranruckt. Bei diesen Gegebenheiten kann die\nAntragstellerin schlechterdings nicht eine Verbesserung ihrer Situation zu\nLasten der Verkehrsteilnehmer und/oder anderer Grundeigentumer verlangen.\n\n71\n\nEin Abwagungsmangel liegt auch nicht etwa darin, daß der Rat der\nAntragsgegnerin insbesondere die Hauser K straße 65, 67, 69, 71 und 73\ndergestalt uberplant hat, daß sie - ganz oder teilweise - außerhalb der\nBaugrenzen des fur sie festgesetzten allgemeinen Wohngebiets liegen. Ziel der\nFestsetzungen uber die uberbaubaren Grundstucksgrenzen ist es nach den\ndiesbezuglichen Darlegungen auf Seite 4 der Begrundung zum Bebauungsplan,\ndurch die Baugrenzen solche uberbaubaren Flachen festzulegen, die zur Straße\nhin Vorgartenbereiche beinhalten und auf den ruckwartigen Grundstucksflachen\nausreichende Grunflachen zulassen. Daß die angefuhrten Hauser mit ihrem\nvorhandenen Bestand dieser Zielsetzung ganz oder teilweise zuwiderlaufen, laßt\nsich dem Plan ohne weiteres ablesen. Demgemaß ist davon auszugehen, daß der\nPlangeber dies erkannt und auch berucksichtigt hat. Es ist auch keineswegs mit\neiner sachgerechten Abwagung unvereinbar, vorhandene Gebaude, die - wie die\nHauser K straße 67 und 69 - bis in die von der Gemeinde vorgesehenen\nVerkehrsflachen hineinragen oder - wie die Hauser K straße 65, 71 und 73 -\nabweichend von der ubrigen Baustruktur des betroffenen Wohngebiets weit in das\nHintergelande hineinragen bzw. vollstandig "in zweiter Reihe" liegen, auf den\nBestandsschutz zu setzen. Damit werden, wie die Antragsgegnerin in ihrem\nSchriftsatz vom 25. Juli 1995 zutreffend ausgefuhrt hat, Umwandlungen bzw.\nErsatzbauten dieser nach dem stadtebaulichen Konzept der Gemeinde\nunerwunschten Bauwerke verhindert und zugleich werden jedenfalls langfristig,\nnamlich bei Abgang der bestandsgeschutzten Bausubstanz, die in\ninnerstadtischen Bereichen erhaltenswerten und nach dem Konzept der Gemeinde\nhier auch zu erhaltenden Freiflachen gesichert bzw. fortentwickelt.\n\n72\n\nSchließlich liegt ein Abwagungsmangel auch nicht darin, daß der Rat der\nAntragsgegnerin - wie in dem 1989 abgeschlossenen Planverfahren, das\nGegenstand des Verfahrens 7a NE 69/89 war - die Belange des Immissionsschutzes\nverkannt hatte.\n\n73\n\nDer Larmschutz gehort allerdings nach § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 und 7 BauGB zum\nKreis der abwagungsrelevanten Belange. Die Gemeinde hat sich unter diesem\nBlickwinkel Klarheit daruber zu verschaffen, ob und in welchem Ausmaß das\nStraßenbauvorhaben Maßnahmen des passiven Schallschutzes nach sich zieht. Dies\nfolgt aus den §§ 50 und 41 BImSchG. Ihrer Befugnis, im Wege der Bauleitplanung\nVerkehrsinteressen unter Inkaufnahme von Larmbeeintrachtigungen zu\nbefriedigen, sind Grenzen gesetzt. Durch den Bau von Straßen durfen\ngrundsatzlich keine Verkehrsgerausche hervorgerufen werden, die als schadliche\nUmwelteinwirkungen zu qualifizieren sind. Die Gemeinde hat sich bei der\nAbwagung unter dem Gesichtspunkt der Abwehr von Larmbeeintrachtigungen an dem\nSchutzmodell des Bundes-Immissionsschutzgesetzes auszurichten. Das gilt auch\nim Bereich der Bauleitplanung. Die Gemeinde muß sich insbesondere unter dem\nBlickwinkel des § 41 Abs. 2 BImSchG vor Augen fuhren, welche Dimension der\nKonflikt hat, den sie auslost, wenn sie eine Straße plant. Das Interesse, das\nsie daran hat, von der Festsetzung solcher Schutzvorkehrungen abzusehen, die\nmit unverhaltnismaßigen finanziellen Belastungen verbunden sind, ist in der\nAbwagung in einen Ausgleich mit dem gegenlaufigen Interesse zu bringen, das\ndie betroffenen Grundstucksnachbarn daran haben, vor erheblichen\nLarmeinwirkungen bewahrt zu bleiben. Hat die Planung zur Folge, daß eine\nVielzahl von Straßennachbarn Larmbelastigungen ausgesetzt wird, fur die kein\nphysisch-realer Ausgleich vorgesehen ist, so hat die Gemeinde zu prufen, ob\nhinreichend gewichtige Verkehrsbelange eine solche Losung rechtfertigen.\nBejaht sie dies, so muß sichergestellt sein, daß die Betroffenen durch\nMaßnahmen des passiven Larmschutzes vor unzumutbaren Beeintrachtigungen durch\nVerkehrslarm bewahrt werden. Das gilt auch fur bereits vorhandene Bebauung.\n\n74\n\nVgl.: BVerwG, Beschluß vom 17. Mai 1995 - 4 NB 30.94 -, BRS 57 Nr. 2.\n\n75\n\nDiesen hochstrichterlich geklarten Anforderungen wird die hier strittige\nPlanungsentscheidung gerecht. Der Plangeber hat sich im dargelegten Sinne die\nDimension des Immissionskonflikts, der durch den Ausbau der L Straße bewirkt\nwird, vor Augen gefuhrt. Er hat seiner Planungsentscheidung eine dezidierte\nPrognose der Verkehrsimmissionen zugrundegelegt, die nach dem einschlagigen\ntechnischen Regelwerk erarbeitet wurde und gegen deren Ansatze Bedenken weder\nvorgetragen noch sonst ersichtlich sind. Diese Prognose kommt zu dem Ergebnis,\ndaß infolge des Ausbaus der L Straße bei verschiedenen Objekten mit einer\nErhohung der Verkehrslarmimmissionen zu rechnen ist, die die Grenzwerte der\n16. BImSchV uberschreiten (Abschnitt 6.1 auf Seite 10 des Gutachtens vom 7\\.\nMai 1991, das der Begrundung zum Bebauungsplan als Anlage beigefugt ist). Daß\nsich der Rat der Antragsgegnerin im Hinblick auf die hier gegebene Situation\ndazu entschlossen hat, die Voraussetzungen fur die Erstattung von Maßnahmen\npassiven Schallschutzes an bestimmten Objekten festzustellen (vgl. Seite 2 der\nBegrundung zum Bebauungsplan i.V.m. Nr. 6 der textlichen Festsetzungen des\nBebauungsplans), ist nach Maßgabe der angefuhrten Voraussetzungen nicht zu\nbeanstanden. Es liegt auf der Hand, daß das Überschreiten der\nImmissionsgrenzwerte als Folge des Ausbaus der L Straße durch Maßnahmen\naktiven Schallschutzes schon deshalb nicht ausgeglichen werden kann, weil die\nL Straße zugleich der Erschließung der anliegenden Grundstucke dient und\ngegenuber den Anliegergrundstucken nicht durch hohe Larmschutzwande gleichsam\nabgeschottet werden kann. Dieser Verzicht auf einen physisch-realen Ausgleich\nist auch durch hinreichend gewichtige Verkehrsbelange gerechtfertigt, wie aus\nden Darlegungen der Notwendigkeit des Ausbaus der L Straße auf Seite 4 der\nBegrundung zum Bebauungsplan folgt.\n\n76\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.\n\n77\n\nDie Entscheidung uber die vorlaufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO\ni.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.\n\n78\n\nDie Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2\nVwGO nicht gegeben sind.\n\n79\n\n
311,622
lagd-1997-01-30-13-sa-163996
793
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
lagd
Nordrhein-Westfalen
Arbeitsgerichtsbarkeit
13 Sa 1639/96
1997-01-30
2019-03-13 09:25:32
2019-03-27 09:47:24
Urteil
ECLI:DE:LAGD:1997:0130.13SA1639.96.00
## Tenor\n\nDie Berufung der Klagerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom\n25.09.1996 - 1 Ca 1811/96 - wird auf Kosten der Klagerin zuruckgewiesen.\n\nDie Revision wird zugelassen.\n\n \n1\n\nT a t b e s t a n d\n\n2\n\nDie Klagerin war seit 1984 fur die Beklagte als Heimarbeiterin beschaftigt.\nDie Beklagte hat das Beschaftigungsverhaltnis zum 31.10.1996 mit der\nBegrundung gekundigt, sie habe sich aus betriebsbedingten Grunden\nentschlossen, die Produktion zum 01.07.1996 zu schließen.\n\n3\n\nDie Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit der Kundigung.\n\n4\n\nDie Klagerin hat geltend gemacht, der Kundigung stehe ein Betriebsubergang im\n\n5\n\nSinne des § 613 a BGB auf die F. entgegen, die kunftig fur die Beklagte\nproduktiv tatig sein werde. Unrichtig sei die Behauptung der Beklagten, ihre\nProduktion werde kunftig durch vier Zwischenmeister vorgenommen.\n\n6\n\nDie Klagerin hat beantragt,\n\n7\n\nfestzustellen, daß das Arbeitsverhaltnis zwischen den\n\n8\n\nParteien durch die Kundigung der Beklagten vom\n\n9\n\n23.05.1996 nicht aufgelost worden ist.\n\n10\n\nDie Beklagte hat beantragt,\n\n11\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n12\n\nSie hat behauptet, wenn auch im Kundigungsschreiben lediglich die F. G.erwahnt\nsei, so lasse sie kunftig insgesamt von vier Zwischenmeistern produzieren.\nIhre eigene Produktion habe sie bereits eingestellt.\n\n13\n\nDas Arbeitsgericht Krefeld hat durch Urteil vom 25.09.1996 die Klage\nabgewiesen. Auf die Begrundung seiner Entscheidung wird Bezug genommen.\n\n14\n\nDie Berufung der Klagerin macht geltend, der Auffassung des\nBundesarbeitsgerichts, das durch Entscheidung vom 03.07.1980 die Anwendbarkeit\ndes § 613 a BGB auf Heimarbeitsverhaltnisse abgelehnt habe, sei nicht zu\nfolgen. Diese Rechtsprechung sei uberholt. Sie werde von der Kommentierung des\nKR kritisiert. Der ansonsten vernachlassigte Schutz arbeitnehmerahnlicher\nPersonen gebiete die Anwendung des\n\n15\n\n§ 613 a BGB auf Heimarbeiter.\n\n16\n\nDie Klagerin beantragt,\n\n17\n\ndas Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 25.09.1996\n\n18\n\nabzuandern und festzustellen, daß das zwischen den\n\n19\n\nParteien bestehende Heimarbeitsverhaltnis durch die\n\n20\n\nKundigung der Beklagten vom 23.05.1996 nicht aufgelost\n\n21\n\nworden ist und uber den 31.10.1996 hinaus fortbesteht.\n\n22\n\nDie Beklagte beantragt,\n\n23\n\n24\n\ndie gegnerische Berufung zuruckzuweisen.\n\n25\n\nSie bestreitet, daß die Produktion der Beklagten von der F. ubernommen worden\nsei. Neben der Beschaftigung von Heimarbeitern sei die Produktion der\nBeklagten in der Vergangenheit durch Zwischenmeister ausgefuhrt worden. Die\nBeklagte habe sich entschlossen, nur noch mit Zwischenmeistern zu arbeiten.\nAuf diese seien alle fruher von Heimarbeiterinnen erledigten Arbeiten verteilt\nworden. Die Beklagte schließt sich der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts\nzur Unanwendbarkeit des § 613 a BGB an.\n\n26\n\nE n t s c h e i d u n g s g r u n d e\n\n27\n\nDie Berufung hatte keinen Erfolg.\n\n28\n\nUngeachtet der Frage, ob eine Betriebsnachfolge eingetreten ist, kann die\nKlagerin nach hochstrichterlicher Rechtsprechung eine Unwirksamkeit der\nKundigung ihres Beschaftigungsverhaltnisses aufgrund § 613 a Abs. 1 BGB nicht\nmit Erfolg geltend machen.\n\n29\n\nDiese Bestimmung ist nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom\n03.07.1980, EzA Nr. 29 zu § 613 a BGB auf Heimarbeitsverhaltnisse auch nicht\nentsprechend anwendbar.\n\n30\n\nNach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts verbieten die strukturellen\nUnterschiede der Heimarbeit, s. § 613 a BGB, auf Heimarbeitsverhaltnisse\nanzuwenden.\n\n31\n\nZutreffend ist der Hinweis der Klagerin, daß die Entscheidung des\nBundesarbeitsgerichts in der Kommentierung von Becker/Etzel/Wolf, KR § 613 a\nBGB, Rdnr. 11 Widerspruch erfahren hat. Die Bedenken des Kommentators grunden\nin dem sonst vernachlassigten Schutz arbeitnehmerahnlicher Personen,\ninsbesondere in der so geschaffenen Umgehungsmoglichkeit des\nKundigungsschutzes nach § 29, 29 a HAG.\n\n32\n\nAuch trafen die Schutzzwecke des § 613 a BGB auf die Heimarbeitnehmer im\nwesentlichen zu.\n\n33\n\nDie Kammer halt die angesprochene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts\njedenfalls insoweit nicht fur hinreichend begrundet, als dort ausgefuhrt wird,\nsoweit in den Schutzbereich des § 613 a BGB auch die Arbeitsverhaltnisse\nsolcher Arbeitnehmer einbezogen seien, die in kleinen Betrieben beschaftigt\nwurden oder noch nicht sechs Monate in den Diensten ihres Arbeitgebers\nstunden, sei dies eine vom Gesetz\n\n34\n\nin Kauf genommene Nebenfolge, die eine entsprechende Anwendung auf\nHeimarbeitsverhaltnisse nicht rechtfertige. Die Tatsache, daß Heimarbeiter\nnicht unter das Kundigungsschutzgesetz fallen, ist nach Auffassung der Kammer\nkein stichhaltiges Argument dafur, sie vom Schutz des § 613 a BGB gleichfalls\nauszunehmen.\n\n35\n\nDie Kammer sieht sich durch die zitierte Entscheidung jedoch an einer analogen\nAnwendung des § 613 a BGB auf Heimarbeitsverhaltnisse gehindert.\n\n36\n\nWegen der Grundsatzlichkeit der Rechtsfrage, die fur das Bundesarbeitsgericht\nVeranlassung sein muß, seine Rechtsauffassung zu uberprufen, war jedoch die\nRevision zuzulassen.\n\n37\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.\n\n38\n\nRECHTSMITTELBELEHRUNG\n\n39\n\nGegen dieses Urteil kann von der Klagerin\n\n40\n\nREVISION\n\n41\n\neingelegt werden.\n\n42\n\nFur die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.\n\n43\n\nDie Revision muß\n\n44\n\ninnerhalb einer Notfrist von einem Monat\n\n45\n\nnach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim\n\n46\n\nBundesarbeitsgericht,\n\n47\n\nGraf-Bernadotte-Platz 5,\n\n48\n\n34119 Kassel,\n\n49\n\neingelegt werden.\n\n50\n\nDie Revision ist gleichzeitig oder\n\n51\n\ninnerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung\n\n52\n\nschriftlich zu begrunden.\n\n53\n\nDie Revisionsschrift und die Revisionsbegrundung mussen von einem bei einem\ndeutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.\n\n54\n\ngez.: Funke gez.: Gravius gez.: Robers\n\n
311,638
olgham-1997-01-24-2-s-sbd-5-24196
821
Oberlandesgericht Hamm
olgham
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
2 (s) Sbd. 5-241/96
1997-01-24
2019-03-13 09:25:58
2019-03-27 09:47:22
Beschluss
ECLI:DE:OLGHAM:1997:0124.2S.SBD5.241.96.00
## Tenor\n\nDem Antragsteller wird - unter Zuruckweisung seines weitergehenden Antrags -\nanstelle seiner gesetzlichen Gebuhren in Hohe von insgesamt 740,- DM eine\nPauschvergutung von 1.100 DM (in Worten: eintausendeinhundert Deutsche Mark)\nbewilligt.\n\n \n1\n\n**Gr unde:**\n\n2\n\n**I.**\n\n3\n\nDem fruheren Angeklagten wurden im vorliegenden Verfahren u.a. eine\nKorperverletzung zur Last gelegt. Er ist deshalb durch Urteil des\nSchoffengerichts ... am 9. Juni 1995 - wegen fahrlassiger Korperverletzung -\nzu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und sechs Monaten verurteilt worden.\nHiergegen haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Berufung eingelegt.\nDas Verfahren ist dann am 5. Juli 1996 vom Landgericht auf Antrag des\nStaatsanwaltschaft außerhalb der H. [xxxxx] gem. §154 Abs. 2 StPO eingestellt\nworden, nachdem der ehemalige Angeklagte zwischenzeitlich wegen Totschlags zu\neiner Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden war.\n\n4\n\nDer Antragsteller hatte nach Anklageerhebung am 26. August 1994 seine\nBeiordnung als Pflichtverteidiger beantragt, die vom Amtsgericht (zunachst)\nabgelehnt worden ist. Deshalb nahm der Antragsteller an den auf den 12.\nSeptember 1994 anberaumten (ersten) Hauptverhandlungstermin nicht teil. In\ndiesem wurde der ehemalige Angeklagten u.a. wegen gefahrlicher\nKorperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren ohne Strafaussetzung\nzur Bewahrung verurteilt. Hiergegen legte der ehemalige Angeklagte Revision\nein, die der Antragsteller fur den ehemaligen Angeklagten begrundet hat. Durch\nBeschluß vom 21. Februar 199[xxxxx] (2 Ss 136/95) hat der Senat dieses Urteil\nwegen Verstoßes gegen §§33 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO aufgehoben und die Sache an\ndas Amtsgericht zuruckverwiesen. Nunmehr wurde der Antragsteller am 21. April\n1995 als Pflichtverteidiger beigeordnet. In dieser Eigenschaft nahm er an den\nam 9. Juni 1995 stattfindenden 2. Hauptverhandlung vor dem Schoffengericht,\ndie 2 Stunden und 40 Minuten gedauert hat, teil. Wegen des Umfangs des\nVerfahrens und der von dem Antragsteller fur seinen Mandanten im ubrigen\nerbrachten Tatigkeiten wird auf die dem Antragsteller bekannt gemachte\nStellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 18. Dezember 1996 Bezug\ngenommen.\n\n5\n\n**II.**\n\n6\n\nDie gesetzlichen Gebuhren von Rechtsanwalt Dr. ... betragen 740,- DM (500,00\nDM + 240,00). Mit seinem Pauschvergutungsantrag vom 26. August 1996 hat er\neine Pauschvergutung von 1.350,- DM beantragt. Der Vertreter der Staatskasse\nhat beantragt, den Pauschvergutungsantrag zuruckzuweisen. Auf die dem\nAntragsteller bekanntgegebene Stellungnahme vom 18. Dezember 1996 **wird auch\ninsoweit** Bezug genommen.\n\n7\n\n**III.**\n\n8\n\nRechtsanwalt Dr. ... war nach §99 BRAGO eine Pauschvergutung zu gewahren. Zwar\nwar das Verfahren fur ihn nicht im Sinn des §99 Abs. 1 BRAGO "besonders\nschwierig"; insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausfuhrungen des\nLeiters des Dezernats 10 und des Gerichtsvorsitzenden Bezug. Das Verfahren war\naber schon "besonders umfangreich" im Sinn des §99 Abs. 1 BRAGO.\n\n9\n\nDazu weist der Senat auf folgendes hin: Maßgeblicher Zeitraum fur die Prufung,\nob eine Sache im Sinn des §99 Abs. 1 BRAGO "besonders umfangreich" ist, ist,\nworauf auch der Leiter des Dezernats 10 zutreffend hinweist, grundsatzlich nur\nder Zeitraum seit der Bestellung des Pflichtverteidigers. Das ist in\nRechtsprechung und Literatur weitgehend unbestritten (Hartmann, Kostengesetze,\n26. Aufl., §99 BRAGO Rn. 6; OLG Bamberg JurBuro 1977, 1103; OLG Dusseldorf\nAnwBl. 1992, 402 = JurBuro 1992, 609; OLG Hamburg MDR 1990, 273; KG Rpfleger\n1994, 226; zweifelnd OLG Karlsruhe JurBuro 1975, 487) und entspricht auch der\nstandigen Rechtsprechung des Senats (siehe u.a. OLG Hamm JurBuro 1966, 956;\nAnwBl. 1987, 339 und Beschlusse v. 20. Juli 1992 - 2 (s) Sbd. 3-87/92; vom\n21.8.1995 - 2 (s) Sbd. 4-92/95 und vom 14.1.1997 - 2 (s) Sbd. 5-192-193/96).\nAn dieser Rechtsprechung halt der Senat fest. Etwas anderes ergibt sich nicht\naus der Einfuhrung des §97 Abs. 3 BRAGO. Diese Vorschrift fuhrt, wie der Senat\nbereits entschieden hat (vgl. OLG Hamm ZAP EN-Nr. 999/95 = AnwBl. 1995, 562 =\nJurBuro 1996, 359 = StraFo 1996, 93) nicht zu einer Zusatzgebuhr.\n\n10\n\nEs entspricht jedoch ebenfalls der standigen Rechtsprechung des Senats, daß\nbei Vorliegen der Voraussetzungen fur eine Pflichtverteidigerbestellung der\nVerteidiger so gestellt werden kann, als sei seine Beiordnung unmittelbar im\nAnschluß an seinen Antrag erfolgt (vgl. u.a. die o.a. Beschlusse vom 20. Juli\n1992, 21.8.1995 und vom 14.1.1997). Versaumnisse der Justizbehorden im\nBeiordnungsverfahren durfen grundsatzlich nicht zu Nachteilen beim\nPflichtverteidiger fuhren. Das gilt insbesondere, wenn wie hier ein nach\nAblehnung eines Beiordnungsantrags ergangenes Urteil gegen den ehemaligen\nAngeklagten wegen Verstoßes gegen §§338 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO aufgehoben\nworden ist. Gerade in diesen Fallen ist, insbesondere auch, um\nwiderspruchliche Ergebnisse zu vermeiden, der Antragsteller so zu stellen, als\nware er unmittelbar im Anschluß an seinen zu Recht gestellten\nBeiordnungsantrag beigeordnet worden.\n\n11\n\nAuf der Grundlage dieses rechtlichen Ansatzes, von dem auch der Leiter des\nDezernats 10 ausgeht, ist dann aber dem Antragsteller hier - insoweit entgegen\nder Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 - eine Pauschvergutung zu\nbewilligen. Bei der Prufung des Umfangs des Verfahrens sind namlich alle vom\nAntragsteller (nach seiner Antragstellung) fur den ehemaligen Angeklagten\nerbrachten Tatigkeiten zu berucksichtigen. Das sind vorliegend nicht nur die\nTeilnahme an der 2. Hauptverhandlung vor dem Schoffengericht und die\nAktivitaten in der Berufungsinstanz, die fur sich allein gesehen noch nicht\nunbedingt den Grad des "besonderen Umfangs" erreichen. Dieser wird aber\njedenfalls dadurch erreicht, daß der Antragsteller fur den ehemaligen\nAngeklagten auch noch im Revisionsverfahren tatig gewesen ist und eine sechs\nSeiten lange Begrundung der (Sprung-)Revision, die der Senat - im Vergleich zu\nanderen Verfahren vor dem Schoffengericht - schon als uberdurchschnittlich\nbewertet, gefertigt hat. An der Berucksichtigung dieser Tatigkeit ist der\nSenat nicht dadurch gehindert, daß der Antragsteller sie vor seiner Beiordnung\nam 21. April 1995 erbracht hat. Zwar kommt der Beiordnung zum\nPflichtverteidiger nach uberwiegender Auffassung in Rechtsprechung und\nLiteratur (vgl. Madert in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 11. Aufl.,\n§97 BRAGO Rn. 5 mit weiteren Nachweisen) keine ruckwirkende Kraft zu. Darum\ngeht es vorliegend jedoch nicht. Bei der Bewilligung einer Pauschvergutung ist\nnamlich auf den gesamten Umfang des Verfahrens abzustellen. Demgemaß sind -\nwenn wie hier bei der Überprufung des Umfangs des Verfahrens von einem\nfiktiven Beiordnungszeitpunkt auszugehen ist - alle nach diesem Zeitpunkt\nerbrachten Tatigkeiten zu berucksichtigen, unabhangig davon, ob sie einen\ngesetzlichen Gebuhrenanspruch, z.B. nach §§97, 86 BRAGO, ausgelost haben oder\nnicht.\n\n12\n\nUnter Berucksichtigung der vom Antragsteller erbrachten Tatigkeiten hat der\nSenat auf die angemessene Pauschvergutung von 1.100,- DM erkannt. Der\nweitergehende Antrag des Antragstellers war demgemaß zuruckzuweisen.\n\n
311,805
olgk-1996-12-11-11-u-11496
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
11 U 114/96
1996-12-11
2019-03-13 09:30:33
2019-03-27 09:46:57
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1996:1211.11U114.96.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**T a t b e s t a n d**\n\n2\n\nIm Januar 1995 vereinbarte die Klagerin mit dem Beklagten, der einen\nAutohandel mit Oldtimern betreibt, von diesem einen 30 Jahre alten Porsche 356\nB zu einem Kaufpreis von 29.500,00 DM zuzuglich weiterer 500,00 DM zwecks\nÜberprufung des Fahrzeugs, eventueller Mangelbeseitigung sowie TÜV-Abnahme, zu\nerwerben. Zum endgultigen Vertragsabschluß sollte es erst mit Erhalt der TÜV-\nPlakette sowie einer positiven Fahrzeugbewertung durch den TÜV kommen.\n\n3\n\nVereinbarungsgemaß ließ der Beklagte das Fahrzeug vor Übergabe an die Klagerin\ndurch den TÜV abnehmen sowie eine Fahrzeugbewertung erstellen. Nach dieser war\ndas streitbefangene Fahrzeug "technisch und optisch in einem befriedigenden\nZustand". Es wurde ein Tachostand von 65.140 Meilen (99.273 Kilometer)\nfestgestellt.\n\n4\n\nAm 20. Januar 1995 ubergab der Beklagte der Klagerin das Fahrzeug.\n\n5\n\nDen vereinbarten Kaufpreis von 30.000,00 DM zahlte die Klagerin in drei Raten\nam 6., 11. und 20. Januar 1995, jeweils in Hohe von 10.000,00 DM.\n\n6\n\nIm Juni 1995 verlangte die Klagerin von dem Beklagten durch Anwaltsschreiben\ndie Wandlung des Kaufvertrages mit Frist zum 23.06.1995. Die Klagerin war\ninsgesamt 1.790,7 Kilometer mit dem Porsche gefahren.\n\n7\n\nDie Klagerin hat behauptet, der Beklagte habe ihr zugesichert, das Fahrzeug\nsei unfallfrei. Hingegen sei am Vorderwagen des Fahrzeugs ein Vorschaden, der\nsich auch auf tragende Teile beziehe und im ubrigen auf einen schweren Unfall\nzuruckzufuhren sei. Dieser Vorschaden sei derart schlecht repariert worden,\ndaß das Fahrzeug auf einer Seite ca. 3 cm kurzer sei.\n\n8\n\nDie Klagerin hat beantragt,\n\n9\n\n##blob##nbsp;\n\n10\n\nden Beklagten zu verurteilen, an die Klagerin 30.000,00 DM nebst 10 % Zinsen\nseit dem 24.06.1995 Zug um Zug gegen Ruckgabe des Fahrzeuges Porsche 356 B mit\nder Fahrgestell-Nr.: .............. zu zahlen.\n\n11\n\nDer Beklagte hat beantragt,\n\n12\n\n##blob##nbsp;\n\n13\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n14\n\nDer Beklagte hat behauptet, die Parteien hatten einen vollstandigen\nGewahrleistungsausschuß vereinbart. Er habe die Klagerin darauf hingewiesen,\ndaß das Fahrzeug unrenoviert sei. Daruber hinaus habe er mehrfach betont, daß\ner fur den Zustand des Fahrzeugs keine Haftung ubernehmen konne, da es ihm\nselbst nur oberflachlich bekannt sei.\n\n15\n\nIm ubrigen hat sich der Beklagte auf das TÜV-Gutachten berufen.\n\n16\n\nDie Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Wegen des\nErgebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 13.11.1995\n(Bl. 51 ff. d.A.) Bezug genommen.\n\n17\n\nFerner ist mit Beschluß vom 15.12.1995 Dr. B. H. zum Sachverstandigen bestimmt\nworden.\n\n18\n\nNach Maßgabe dieses Gutachtens (Bl. 67 ff. d.A.) war der Porsche 356 B schon\nim Zeitpunkt der Übergabe an die Klagerin mit einem derart schweren Vorschaden\nbehaftet, daß das Fahrzeug "in einem erschreckenden Maße weder betriebs- noch\nverkehrssicher" war.\n\n19\n\nDurch Urteil vom 22.04.1996 das Landgericht Aachen der Klage in uberwiegendem\nUmfang stattgegeben und zur Begrundung ausgefuhrt, der Klagerin stehe ein\nWandlungsanspruch aus §§ 346 Satz 1, 467, 465, 462, 459 BGB zu.\n\n20\n\nGegen dieses Urteil, das dem Beklagten am 26.04.1996 zugestellt worden ist,\nhat dieser mit einem am 23.05.1996 bei dem Oberlandesgericht Koln\neingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach\nFristverlangerung bis zum 25.09.1996 - mit einem am 12.07.1996 bei dem\nOberlandesgericht Koln eingegangenen Schriftsatz begrundet.\n\n21\n\nDer Beklagte nimmt auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug. Daruber hinaus\nist er der Ansicht, die von der Kammer zur Entscheidung herangezogene\nRechtsprechung des BGH sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar: Er behauptet,\ner sei kein Kfz-Handler mit eigener Werkstatt, in der auch Reparaturarbeiten\ndurchgefuhrt werden konnten; in seinem Betrieb wurden lediglich kleinere\nArbeiten durch gefuhrt werden, die allenfalls dazu dienten, ein Fahrzeug in\noptischer und zum Verkauf aufzubereiten, jedoch nicht in technischer Hinsicht.\n\n22\n\nFerner ist der Beklagte der Ansicht, das Risiko der fehlerhaften TÜV-Abnahme\nhabe die Klagerin zu tragen, aufgrund der Tatsache, daß ein vollstandiger\nGewahrleistungsausschluß vereinbart worden sei.\n\n23\n\nDer Beklagte beantragt,\n\n24\n\n##blob##nbsp;\n\n25\n\nunter teilweiser Abanderung der angefochtenen Entscheidung die Klage in vollem\nUmfange abzuweisen.\n\n26\n\nDie Klagerin beantragt,\n\n27\n\n##blob##nbsp;\n\n28\n\ndie Berufung des Beklagten zuruckzuweisen.\n\n29\n\nDie Klagerin nimmt auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug. Des weiteren\nbehauptet sie, der Betrieb des Beklagten entsprache einer vollausgerusteten\nKfz-Werkstatt, die mit Gruben, Hebebuhne, samtlichem Reparatuewerkzeug und\neinem besonderen Raum mit Ersatzteilen ausgestattet sei.\n\n30\n\nHierzu behauptet der Beklagte, Halle und Gelande seines Betriebes wurden von\nmehreren Fahrzeug-Firmen genutzt werden. Soweit die Halle einer Kfz-Werkstatt\nentsprache, betrafe dies die Betriebe der anderen Fahrzeug-Unternehmen. Sein\nBetrieb habe nur einen Angestellten und verfuge lediglich uber ein Buro,\nStellflachen fur Pkw sowie eine kleine Hallle ohne Grube und Hebebuhne, die\nvon den anderen Firmen mitbenutzt werde.\n\n31\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die\nzwischen den Parteien gewechselten Schriftsatze und die zu den Akten\ngereichten Unterlagen Bezug genommen.\n\n32\n\nE n t s c h e i d u n g s g r u n d e\n\n33\n\nDie Berufung ist zulassig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.\n\n34\n\nDer Klagerin steht gegen den Beklagten ein Wandlungsanspruch in Hohe von\n29.500,00 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des Porsche 356 B zu, §§ 346 Satz 1,\n467, 465, 462, 459 BGB.\n\n35\n\nDie Parteien schlossen unstreitig einen Kaufvertrag im Sinne des § 433 BGB.\n\n36\n\nZwischen den Parteien ist ebenfalls unstreitig, daß das Fahrzeug im Zeitpunkt\ndes Gefahrubergangs mit einem schweren Mangel behaftet und daher\nverkehrsuntauglich war.\n\n37\n\nHingegen ist zwischen den Parteien streitig, ob ein Gewahrleistungsausschluß\nvereinbart worden ist.\n\n38\n\nEin schriftlicher Kaufvertrag ist nicht zustande gekommen. Zwar legte der\nBeklagte der Klagerin bei Vertragsabschluß einen schriftlichen Kaufvertrag,\nder einen vollstandigen Gewahrleistungsausschluß beinhaltete, zur Unterschrift\nvor. Diesen wollte die Klagerin aber mangels Brille nicht vor Ort ungelesen\nunterschreiben, und leistete auch im nachhinein keine Unterschrift, so daß\nschriftlich kein Gewahrleistungsausschluß zwischen Parteien vereinbart wurde.\n\n39\n\nOb nach dem bestrittenen Vortrag des Beklagten ein mundlicher\nGewahrleistungsausschluß vereinbart wurde, kann dahinstehen, da der Beklagte\ngemaß § 459 Abs. 2 BGB der Klagerin zugesichert hat, daß das Fahrzeug im\nZeitpunkt der Übergabe "TÜV gepruft" ,respektive verkehrstauglich ist.\n\n40\n\nDie Haftung des Verkaufers fur das Fehlen zugesicherter Eigenschaften besteht\nvollig unabhangig davon, ob die Vertragsparteien daneben einen vollstandigen\nGewahrleistungsausschluß vereinbart haben (Palandt-Putzo Vorbem. v. § 459, Rz.\n25). Anderenfalls wurde die Bedeutung der Zusicherung beseitigt werden. Die\nZusicherung einer Eigenschaft schließt insoweit einen Gewahrleistungsausschluß\nbegrifflich aus.\n\n41\n\nUnstreitig hat der Beklagte der Klagerin zugesagt, den verkauften Pkw vor der\nFahrzeugubergabe noch zu einer Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO vorzustellen\nund eine neue TÜV-Plakette zu beschaffen.\n\n42\n\nNach hochstrichterlicher Rechtsprechung (BGH Z 103, 275 = NJW 1988, 1378)\nliegt in einem solchen Fall in der Abrede "TÜV neu" die Zusicherung einer\nEigenschaft im Sinne von § 459 Abs. 2 BGB, namlich daß der Pkw bei Übergabe\ndem fur die Hauptuntersuchung erforderlichen Zustand entsprechen werde. Dies\ngilt nach der zitierten Entscheidung jedenfalls dann, wenn ein Kfz-Handler mit\neigener Werkstatt die TÜV-Abnahme verspricht.\n\n43\n\nAuch wenn der Abrede "TÜV neu" keine ausdruckliche Zusicherung entnommen\nwerden kann, ergibt die Auslegung, wie sie der Kaufer - hier die Klagerin -\nals Erklarungsempfanger unter Berucksichtigung der Interessen beider\nVertragspartner verstehen durfte, doch eine verbindliche Zusage des Inhalts,\ndas Fahrzeug werde sich bei Übergabe in einem verkehrssicheren und gemaß § 29\nAbs. 2a StVZO vorschriftsmaßigen Zustand befinden, und zwar auch dann, wenn\ndie Mangelgewahrleistung im ubrigen ausgeschlossen worden ist.\n\n44\n\nDer Kaufer, respektive die Kauferin, der im Betrieb eines Kfz-Handlers mit\neigener Werkstatt einen Gebrauchtwagen erwirbt, will namlich in aller Regel\nselbstverstandlich ein verkehrssicheres, den Vorschriften der StVZO\nentsprechendes Fahrzeug erhalten. Wird ihm zugesagt, bis zum Zeitpunkt der\nÜbergabe werde die Hauptuntersuchung von Seiten des Verkaufers durchgefuhrt,\nerwartet er nicht nur deren formale Erledigung, sondern ein ihren Vorschriften\ntatsachlich entsprechendes Fahrzeug. Diese Erwartung richtet sich nicht an die\namtliche Prufstelle, die mit Ausnahme von Fallen des Amtsmißbrauchs dem Halter\ngegenuber nicht unmittelbar fur die Erfullung ihrer Prufpflichten haftet,\nsondern direkt an den Verkaufer.\n\n45\n\nNichts anderes gilt im vorliegenden Fall. Soweit der Beklagte in diesem\nZusammenhang einwendet, in seiner Werkstatt konnten keine Reparaturarbeiten\ndurchgefuhrt werden, sondern lediglich kleinere Arbeiten, die allenfalls dazu\ndienten, ein Fahrzeug zum Verkauf aufzubereiten, so ist dieses Vorbringen\nunbeachtlich.\n\n46\n\nDer Beklagte hat selber vorgetragen, daß das Gelande seines Betriebs von\nmehreren Autofirmen genutzt wird und entsprechend einer Kfz-Werkstatt mit\nHebebuhne, Grube sowie einem Ersatzteillager ausgerustet ist. Dann kann er\naber nicht erwarten, daß Außenstehende, insbesondere die Klagerin, diese\nBesitzverhaltnisse ohne weiteres durchschauen. Im ubrigen erscheint es auch\nnicht lebensfremd anzunehmen, daß \\- wenn seine Werkhalle von den anderen\nFirmen mitbenutzt wird - auch der Beklagte seinerseits die vollstandig\nausgerustete Kfz-Werkstatt der Nachbarfirmen ebenfalls mitgebraucht.\n\n47\n\nDes weiteren wurde in der zitierten Entscheidung ausdrucklich offengelassen,\nwelche Anforderungen an den Werkstattbetrieb in sachlicher und personeller\nHinsicht zu stellen sind. Unter Berucksichtigung dessen wurde in neueren\nEntscheidungen ein Kfz-Meister ohne eigene Werkstatt (LG Bielefeld NJW-RR\n1989, 561) sowie ein Handler mit "kleiner Wartungshalle" (LG Koln DAR 1994,\n160) als ausreichend angesehen.\n\n48\n\nEntscheidend bleibt aber, wie die Klagerin als Erklarungsempfangerin die\nZusage des Beklagten verstehen durfte, wobei zu beachten ist, daß nach der\nzitierten Entscheidung des BGH im Gebrauchtwagenhandel mit Rucksicht auf\ndessen besondere Marktverhaltnisse an die Annahme einer Zusicherung generell\nkeine hohen Anforderungen zu stellen sind (BGH Z 103, 275 (280).\n\n49\n\nAus Sicht der Klagerin verfugte der Beklagte uber eine umfassende, gut\nausgestattete Kfz-Werkstatt. Ferner war bei einem 30 Jahre alten Kfz\ngrundsatzlich damit zu rechnen, daß bei der amtlichen Prufung Mangel, die die\nVerkehrssicherheit betreffen, festgestellt werden, so daß die Erwartung der\nKlagerin dahin ging, der fur die Veranlassung der Hauptuntersuchung\nverantwortliche Beklagte und Verkaufer, der nach § 31 Abs. 2 StVZO ohnehin fur\ndie Verkehrssicherheit zu sorgen hatte, werde die Voraussetzungen fur eine\nerfolgreiche Abnahme schaffen.\n\n50\n\nEben aus diesem Grund hatte sich die Klagerin geweigert, das Fahrzeug "blind"\nzu kaufen, sondern erklarte sich erst dann zum Kauf bereit, als ihr der\nBeklagte die TÜV-Abnahme und die Fahrzeugbewertung vorlegen konnte.\n\n51\n\nIm ubrigen steht nach dem Gutachten des Sachverstandigen Dr.-Ing. H. (Bl. 66\nff. d.A.) fest, daß u.a. die Mangel am Unterboden des Fahrzeugs derart\ngravierend waren, daß sie schon fur einen Laien ohne weiteres mittels einer\nGrube oder Hebebuhne erkennbar waren.\n\n52\n\nFerner werden auch nicht berechtigte Interessen des Beklagten unbeachtet\ngelassen.\n\n53\n\nDer Beklagte hat der Klagerin vor Abschluß des Kaufvertrages selbst angeboten,\ndie TÜV-Abnahme vor Übergabe durchzufuhren. Dabei mußte er aber damit rechnen,\ndaß etwaige Mangel des Fahrzeugs in der Hauptuntersuchung durch den TÜV\nerkannt und beanstandet werden.\n\n54\n\nDa er in diesem Fall fur die Mangelbeseitigung verantwortlich gewesen ware,\nwird er nicht ubermaßig belastet, wenn die Zusage "TÜV neu" zugleich als\nHaftungsubernahme fur den verkehrssicheren Zustand verstanden wird.\n\n55\n\nEntsprechend tragt der Verkaufer die Gefahr fur einen Fehler des TÜV,\nungeachtet der Frage, ob ein Gewahrleistungsausschluß vereinbart wurde oder\nnicht.\n\n56\n\nDie prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713\nZPO.\n\n
312,177
olgk-1996-08-23-6-u-9896
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
6 U 98/96
1996-08-23
2019-03-13 09:40:59
2019-03-27 09:46:04
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1996:0823.6U98.96.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r u n d e :**\n\n2\n\nDie Berufung der Antragsgegnerin ist nicht nur zulassig, sondern auch in der\nSache selbst erfolgreich.\n\n3\n\nSie fuhrt zur Aufhebung der mit dem angefochtenen Urteil bestatigten\neinstweiligen Beschlußverfugung, weil der Antragstellerin der darin titulierte\nUnterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zusteht.\n\n4\n\nSoweit die Antragstellerin ihr Unterlassungsbegehren, mit welchem sie das\nVerbot der dem Artikel "Blut und Sperma" im einzelnen entnommenen Aussagen\nbezweckt, auf die §§ 1, 14 UWG stutzen will, konnte sie damit von vornherein\nnicht durchdringen. Diese wettbewerbsrechtlichen Anspruche scheitern daran,\ndaß \\- was fur die Anwendbarkeit der genannten Vorschriften des UWG aber\nvorauszusetzen ist - auf Seiten der Antragsgegnerin kein Handeln zu Zwecken\ndes Wettbewerbs vorliegt.\n\n5\n\nAllerdings ist es richtig, daß der beanstandete Artikel objektiv dazu geeignet\nist, den Wettbewerb zwischen der Antragstellerin und ihren Mitbewerbern zu\nbeeinflussen. Dabei kann es dahinstehen, ob sich unmittelbar im Verhaltnis\nzwischen den Parteien, die als Publikationsorgane im weitesten Sinne in\nWettbewerb miteinander stehen, eine derartige Beeinflussung der\nwettbewerblichen Positionen auswirken kann. Selbst wenn im konkreten Fall nur\nund gerade auf die Eigenschaft der Antragstellerin als Medium der\nNachrichtenubermittlung und -prasentation abzustellen sein sollte, mit der die\nAntragsgegnerin - jedenfalls was das hier in Rede stehende Magazin "P." angeht\n- sich jedoch nicht befaßt, ist der Artikel objektiv geeignet, die\nwettbewerbliche Position Dritter (offentlich-rechtlicher und/oder privater)\nNachrichtensender zum Nachteil der Antragstellerin zu fordern, indem die\nNachrichtenprasentation der Antragstellerin kritisiert und das Interesse der\nLeser auf Nachrichtensendungen anderer Fernsehveranstalter hingelenkt wird,\nderen unter anderem fur Werbekunden relevantes Zuschaueraufkommen damit\ngesteigert wird. Das aber reicht fur die Annahme einer Wettbewerbshandlung in\nobjektiver Hinsicht aus. Denn als Wettbewerbshandlung ist nicht nur die\nForderung eigenen, sondern auch die fremden Wettbewerbs anzusehen (vgl. fur\nviele: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 18\\. Aufl., Einleitung UWG, Rdnr.\n215 m.w.N.).\n\n6\n\nJedoch steht in subjektiver Hinsicht ein Handeln zu Wettbewerbszwecken,\nnamlich die Absicht, mit der Veroffentlichung des angegriffenen Artikels den\neigenen oder fremden Wettbewerb zu fordern, nicht fest. Da es sich bei der\nAntragsgegnerin um ein dem allgemeinen Presseprivileg unterfallendes\nPublikationsorgan handelt, kann allein aufgrund der objektiven Eignung des\nstreitbefangenen Beitrags zur Wettbewerbsforderung und des Bewußtseins des\nVerfassers, daß eine solche Wirkung eintreten kann, nicht auf eine\nWettbewerbs(forderungs)absicht geschlossen werden. Grund fur eine\nPresseaußerung kann vielmehr auch das besondere Anliegen der Presse sein, die\nÖffentlichkeit uber Vorgange von allgemeiner Bedeutung zu unterrichten oder\nzur offentlichen Meinungsbildung beizutragen, so daß die fur die Anwendbarkeit\nder §§ 1, 14 UWG aber erforderliche subjektive Voraussetzung einer\nWettbewerbshandlung nicht schon aufgrund der objektiven Eignung des\nPressebeitrags zur Wettbewerbsbeeinflussung zu vermuten, sondern aufgrund der\nden Beitrag jeweils konkret kennzeichnenden Umstande besonders festzustellen\nist (vgl. BGH GRUR 1995, 270/272 - "Dubioses Geschaftsgebaren" -; BGH GRUR\n1986, 812/813 - "Gastrokritiker"; BGH GRUR 1986, 898/899 - "Frank der Tat" -;\nBGH GRUR 1982, 234/235 - "Großbanken-Restquoten"). Letzteres setzt wiederum\nvoraus, daß neben den vorbezeichneten pressespezifischen Motivationen eine\nnicht ganz hinter diese zurucktretende Absicht, auf den Wettbewerb\neinzuwirken, belegt werden kann (vgl. BGH a.a.O.). Anhaltspunkte fur eine\nsolche nicht oder nicht vollig von dem normalerweise im Vordergrund stehenden\nZiel der Unterrichtung oder Meinungsbeeinflussung der Öffentlichkeit\nverdrangte Wettbewerbsforderungsabsicht sind jedoch weder dem Inhalt noch der\nForm des hier in Rede stehenden Pressebeitrags der Antragsgegnerin zu\nentnehmen. Allein der Umstand, daß dieser Artikel in aggressiven und die\nBetroffenen zweifellos auch herabsetzenden Formulierungen gehalten ist, laßt\nauf eine wettbewerbsspezifische Motivation nicht schließen. Denn auch bei\npolemisch uberspitzten, einseitig und generell herabsetzend gehaltenen\nBeitragen kann durchaus die Absicht einer offentlichen Information und\nMeinungsbeeinflussung bestehen und/oder eine anderweitige Motivation im Spiel\nsein, die ihrerseits keinerlei Wettbewerbsbezug aufweist (vgl. BGH a.a.O. -\n"Dubioses Geschaftsgebahren" - und - "Frank der Tat" -). Im gegebenen Fall\nkann weiter nicht ubersehen werden, daß mit dem Artikel erkennbar eine\nbestimmte Form der Nachrichtenprasentation sowie die der Nachrichtenauswahl\nselbst zugrundeliegenden Kriterien angeprangert werden sollen, bei denen - so\ndie offenkundig vom Verfasser zum Ausdruck gebrachte Kritik - ggfls. sogar\nunter Zuruckstellen der Information uber Sachverhalte von weltweiter Bedeutung\ndie Nachrichten in erster Linie auf ihren "Unterhaltswert" hin ausgewahlt und\nunter Verletzung des Gebots journalistischer Zuruckhaltung und Neutralitat in\neiner vordergrundig an die Sensationslust des Publikums appellierenden Manier\ndargeboten wurden. Insoweit reiht sich der Beitrag in die offentliche\nDiskussion um die unter dem Schlagwort "Infotainment" im weitesten Sinne\nzusammengefaßte Form der moglichst "unterhaltsamen" Information uber in vielen\nFallen von erheblicher Gewalttatigkeit und Grausamkeit gekennzeichnete\nEreignisse ein und liegt ihr damit eindeutig eine pressespezifische Motivation\nzugrunde, die der Annahme widerspricht, daß es der Antragsgegnerin in\nirgendeiner beachtlichen Weise dabei (auch) um Wettbewerbsinteressen gegangen\nsei.\n\n7\n\nLiegt danach auf Seiten der Antragsgegnerin subjektiv keine\nWettbewerbshandlung vor, scheiden die Vorschriften des Gesetzes gegen den\nunlauteren Wettbewerb - hier konkret - die §§ 1 und 14 UWG - von vornherein\nals Anspruchsgrundlagen aus.\n\n8\n\nAber auch aus den wegen etwaiger Verletzung ihres unternehmerischen\nPersonlichkeitsrechts in Betracht zu ziehenden wettbewerbsunabhangigen\nallgemeinen Bestimmungen der §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog kann die\nAntragstellerin den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht herleiten.\n\n9\n\nDaß die Antragstellerin im Grundsatz als juristische Person\nPersonlichkeitsschutz beanspruchen kann, soweit ihre Funktion und soziale\nWertgeltung als Wirtschaftsunternehmen betroffen ist, steht außer Zweifel\n(vgl. fur viele: Palandt-Thomas, BGB, 54. Aufl., Rdnr. 181 zu § 823 m.w.N.).\nEben dieser Bereich ist hier auch beruhrt, da die Antragstellerin ihr\nUnterlassungsbegehren gerade darauf stutzt, daß sie durch den angegriffenen\nArtikel bzw. die darin eingestellten, konkret beanstandeten Aussagen in ihrer\nEigenschaft als ein sich unter anderem mit der Nachrichtenubermittlung und\n-prasentation befassendes Unternehmen diffamiert werde.\n\n10\n\nAuch kann weiter unterstellt werden, daß die Antragstellerin durch die von ihr\nbeanstandete Äußerungen durchweg selbst in ihrem eigenen unternehmerischen\nPersonlichkeitsrecht betroffen, sie daher unmittelbar verletzt und fur das\ngeltend gemachte Unterlassungsbegehren aktiv legitimiert ist (vgl. hierzu:\nWenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rdnr. 12.\n38/12.39 m.w.N.).\n\n11\n\nJedoch scheitert das Unterlassungsbegehren der Antragstellerin daran, daß die\nAntragsgegnerin sich fur die in Rede stehenden Äußerungen auf ein hier\nvorrangig zu bewertendes Recht zur freien Meinungsaußerung berufen kann, daher\n- soweit die Antragstellerin durch die angegriffenen Presseaußerungen in ihrer\nunternehmerischen Ehre verletzt ist - der Antragsgegnerin ein\nRechtfertigungsgrund zur Seite steht.\n\n12\n\nAllerdings ist es richtig, daß der verfahrensbetroffene Beitrag jedenfalls mit\nden unter Ziffer 1.2 und 1.3 des Unterlassungsantrags aufgefuhrten Äußerungen\neine Reihe von herabsetzenden, die Antragstellerin in ihre Ehre krankenden\nÄußerungen enthalt: Soweit darin ausgefuhrt ist, daß das Schicksal des\nallenfalls zu lokaler Beruhmtheit gelangten Kaimans Sammy in der\n"R.-Newswahrung" schwerer wiege als "tausend Leichen in Burundi", wird damit\ndas Ansehen der Antragstellerin als ein Nachrichtensendungen veranstaltendes\nPrivatunternehmen in der Öffentlichkeit beeintrachtigt. Entsprechendes gilt,\nsoweit die von dem Informationsdirektor H. zweifellos mitgepragte\nNachrichtensendung der Antragstellerin als "Dailysoap aus Blut und Sperma"\nbezeichnet wird, in deren Verlauf dem Reporter die Funktion eines "Kellners\ngut verdaulicher Info-Happchen" zugewiesen werde. Jede dieser Aussagen ist -\nsei es unmittelbar oder mittelbar durch die hiermit geweckten Assoziationen\nder Leser - geeignet, das unternehmerische Ansehen der Antragstellerin als\nNachrichtenmedium in der Öffentlichkeit zu beschadigen. Denn gerade an\nNachrichtensendungen werden vom Publikum - zu dem die Mitglieder des\nerkennenden Senats zweifellos zahlen - in aller Regel besondere Maßstabe\nbetreffend die Seriositat, Distanz und Objektivitat der Nachrichtenauswahl und\n-prasentation angelegt. Indem der Antragstellerin mit den vorbezeichneten\nAussagen aber eine in erster Linie am Sensations- und Unterhaltungswert\norientierte Nachrichtenauswahl und -ubermittlung angelastet wird, die den\nvorbezeichneten Maßstaben nicht genuge, wird auch der das Konzept der solcher\nArt kritisierten Sendung tragenden Antragstellerin selbst das unternehmerische\nBemuhen und die Vorsorge um eine seriose und distanzierte Nachrichtensendung\nabgesprochen. Daß all dies die Wertgeltung und Kompetenz der Antragstellerin\nals Unternehmen herabsetzt, liegt auf der Hand und bedarf keiner\nweitergehenden Erorterung.\n\n13\n\nDie Antragstellerin hat gleichwohl die angegriffenen Presseaußerungen\nhinzunehmen, weil diese samtlich von dem in Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz\nfestgeschriebenen Grundrecht der freien Meinungsaußerung gedeckt sind.\n\n14\n\nZwar hat auch im Rahmen einer durch das Grundrecht der Meinungs- und\nPressefreiheit gemaß Art. 5 Abs. 1 geschutzten offentlichen Auseinandersetzung\nder von einer herabsetzenden Kritik Betroffene nicht jede negative Beurteilung\nseiner Person hinzunehmen. Auch dort, wo er ein negatives Werturteil abgibt,\nist der Kritiker zur Rucksichtnahme auf die Ehre des Angegriffenen\nverpflichtet. Zwar wird von ihm nicht verlangt, daß er das "mildeste Mittel"\nzur Verdeutlichung seines Standpunkts einsetzt. Jedoch muß seine Kritik nach\nArt und Aussagegehalt sachbezogen sein. Das berechtigte Interesse der Presse\ndaran, sich an einer Auseinandersetzung der Meinungen zu beteiligen, und\nhierzu mit einer unter Umstanden auch scharfen und schonungslosen, sogar\nausfalligen Kritik beizutragen, deckt nicht ein dem Betroffenen nachteiliges\nWerturteil, das in keinem inneren Zusammenhang mit dem erorterten Gegenstand\nsteht und lediglich aus dem außeren Anlaß der Interessenwahrung gemacht ist,\nin Wirklichkeit aber ausschließlich dazu dient, den Kritisierten zu\ndiffamieren (vgl. fur viele: BVerfG NJW 1993, 1462; BGH GRUR 1995, 273 -\n"Dubioses Geschaftsgebaren" -; BGH GRUR 1975, 208/209 f - "Deutschland-\nStiftung" -; BGH GRUR 1962, 324 - "Doppelmorder" - jeweils mit weiteren\nNachweisen). Um eine solche, von der in Artikel 5 Grundgesetz geschutzten\nPresse- und Meinungsfreiheit nicht mehr gewahrleisteten, ausschließlich die\nDiffamierung der Antragstellerin bezweckende sogenannte "Schmahkritik" handelt\nes sich bei den hier zu beurteilenden Aussagen jedoch nicht.\n\n15\n\nDabei ist von vornherein davon auszugehen, daß die von der Antragstellerin\nangegriffenen, dem Artikel "Blut und Sperma" entnommenen Äußerungen samtlich\nals Werturteile und nicht etwa als von dem Grundrechtsschutz der Presse- und\nMeinungsfreiheit nicht gedeckte unwahre Tatsachenbehauptungen einzuordnen sind\n(vgl.: BGZ 31, 308/318 = GRUR 1960, 449 - "Alte Herren" -). Zwar ist es\nrichtig, daß den hier fraglichen Äußerungen teilweise auch ein tatsachlicher\nAussagegehalt innewohnt. Indem beispielsweise kritisiert wird, daß bei der\nNachrichtensendung der Antragstellerin die publizierten Ereignisse nicht\nanhand ihres objektiven Informationsgehaltes, sondern "unterhaltsbetont"\nausgewahlt und dargeboten werden, ist damit eine in tatsachlicher Hinsicht\ndurchaus uberprufbarer Aussage uber das Konzept der Nachrichtensendung als\nsolches einschließlich der zu seiner Umsetzung erteilten Direktiven gemacht,\nderen Richtigkeit sich etwa aus dem Vergleich mit anderen Nachrichtensendungen\nbzw. den dort veroffentlichten Informationen und ihrer Prasentation\nnachvollziehen laßt. Unabhangig davon, inwiefern die Unwahrheit dieser\n"tatsachlichen Behauptungen" glaubhaft gemacht ist, steht jedoch im gegebenen\nFall bei samtlichen angegriffenen Presseaußerungen der wertende Charakter\neindeutig so sehr im Vordergrund, daß demgegenuber ein ihnen zugleich\ninnewohnender Tatsachengehalt durchgangig vollstandig in den Hintergrund\ntritt. Anliegen und Schwerpunkt des zudem in der mit "Meinung" betitelten\nKolumne erschienenen Artikels liegen offenkundig und fur jeden Leser zwanglos\nerkennbar auf der subjektiven Bewertung des Konzepts der Nachrichtensendung\nder Antragstellerin sowie der Auswahl und Prasentation der Nachrichten selbst\neinschließlich des damit zum Ausdruck gebrachten Journalismusverstandnisses,\nnicht aber in der Darstellung und Dokumentation der den Anlaß zu dieser Kritik\nbietenden tatsachlichen Vorgange selbst (vgl. zur Abgrenzung: BGHZ 45,\n296/304; BGHZ 65, 325/330 - "Warentest II" -).\n\n16\n\nDie somit insgesamt als Werturteile zu behandelnden, von der Antragsgegnerin\nals Herausgeberin des Magazins P. zu verantwortenden Äußerungen bewegen sich\nauch innerhalb einer durch die Wahrnehmung der Presse- und Meinungsfreiheit\ngedeckten sachbezogenen Kritik.\n\n17\n\nDabei ist von vornherein der besondere Charakter der in Rede stehenden\nPresseaußerung zu berucksichtigen, der durch eine durchweg stark\nuberzeichnete, polemisch aggressive und beißende - insgesamt sarkastische und\nzynische - Diktion gekennzeichnet ist. Ob - wie die Antragsgegnerin das meint\n- der verfahrensbetroffene Artikel als Satire einzuordnen ist, die zudem den\nRang eines durch Artikel 5 Abs. 3 Grundgesetz geschutzten Kunstwerks einnimmt,\nbedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung. Denn auch bei Erklarungen,\ndie als "einfache" Meinungs- und Presseaußerungen dem Schutzbereich des\nArtikel 5 Abs. 1 Grundgesetz unterfallen, sind deren ubertreibende und\nverzerrenden Elemente, soweit sie als besondere Ausdrucks- und Stilmittel\nverwendet werden, zu berucksichtigen. Denn es darf einer auf ihre Zulassigkeit\nhin zu beurteilenden Äußerung kein Inhalt unterschoben werden, den der Urheber\nihr erkennbar nicht beilegen wollte (vgl. BVerfG NJW 1992, 2073 - "geb.\nMorder" -).\n\n18\n\nWeist die um ihre sarkastischen und zynischen Elemente entkleidete Äußerung\nihrem "eigentlichen Inhalt" nach einen auf den Gegenstand der Kritik sachlich\nbezogenen Aussagegehalt auf, und laßt sich auch aus der Art der sarkastisch-\nzynischen "Einkleidung" selbst kein Anhaltspunkt fur einen ausschließlich der\nDiffamierung des Kritisierten dienenden Zweck der Äußerung herleiten, kann\ninsgesamt nicht auf eine den Schutzbereich von Artikel 5 Abs. 1 GG\nuberschreitende, daher unzulassige Schmahkritik geschlossen werden (vgl. in\ndiesem Sinne: BVerfG NJW 1992, 2073/2074).\n\n19\n\nDiesen Vorgaben halten die angegriffenen Äußerungen stand:\n\n20\n\nHinter den zweifellos sarkastischen und die Antragstellerin aggressiv\nherabsetzenden Formulierungen, uber deren geschmackliche Einordnung der Senat\nnicht zu befinden hat, steht ganz eindeutig die Auseinandersetzung mit einer\nbestimmten, der Antragstellerin angelasteten Form der Nachrichtenubermittlung,\ndie entweder bereits bei der Auswahl der Nachrichten - ggfls. sogar unter\nHintenanstellen auch von Ereignissen großer Tragweite - vordergrundig die\nSensationslust sowie das Unterhaltungsbedurfnis des Publikums zu befriedigen\nsucht oder die bei der Prasentation der Nachrichten unter Aufgabe\njournalistischer Objektivitat und Distanz in den Ereignissen zum Teil\nunangemessener, auch hier wiederum unterhaltungsbetonter Weise berichtet.\nInsofern weisen die in Rede stehenden Presseaußerungen eindeutig eine\nSachbezogenheit der Kritik auf, die im inneren Zusammenhang mit dem\ngewurdigten Gegenstand, hier konkret der Nachrichtensendung der\nAntragstellerin bzw. dem dieser Sendung zugrundeliegenden journalistischen\nKonzept steht. Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht allein deshalb\ngerechtfertigt, weil dem Leser des hier in Rede stehenden Beitrags darin keine\nkonkreten Tatsachen an die Hand gegeben werden, um die zum Ausdruck gebrachte\nvernichtende Wertung selbst kritisch nachvollziehen zu konnen. Es mag\nwunschenswert sein, Kritiker dazu anzuhalten, die Grunde offenzulegen, auf\ndenen ihre abwertenden Urteile beruhen, damit die Leser sich nicht nur uber\nden Kritisierten, sondern auch uber die Kritik eine eigene Meinung bilden\nkonnen und der Betroffene sich gegen den Angriff gezielt wehren kann.\nAndererseits darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, daß es die\nMoglichkeit zur freien Meinungsaußerung erheblich einschranken wurde, wenn ein\nWerturteil nur unter gleichzeitiger Angabe der Tatsachen, die es - aus der\nSicht des Kritisierenden - tragen, in die Öffentlichkeit gelangen durfte. Die\nPresse ware dann unter Verzicht auf bestimmte Stilmittel, die beispielsweise\nvon einer wertenden Polemik leben, im wesentlichen auf eine\nTatsachenberichterstattung und Dokumentation beschrankt. Um die Vielfalt des\ngeistigen Meinungskampfes, der unter anderem der Darstellung gerade\nverschiedener Meinungen in der Öffentlichkeit dient, zu gewahrleisten, muß\ndaher die Äußerung eines abwertenden Urteils uber einen anderen in der\nÖffentlichkeit jedenfalls dem Grundsatz nach auch dann zugelassen werden, wenn\ndie Kritik auf eine Unterrichtung uber die Grundlagen ihrer Wertung\nverzichtet. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die abwertende Kritik auch vom\nStandpunkt des Kritikers aus ohne sachlichen Bezugspunkt, mithin grundlos und\nwillkurlich abgegeben ist. Liegen der polemisch uberspitzten und in bissiger\nForm geaußerten Meinung aber - so wie hier - tatsachliche Anhaltspunkte\nzugrunde, die gewichtig genug sind, um die geaußerte Meinung zu veranlassen,\nkann von einer ausschließlich der Diffamierung dienenden Schmahkritik nicht\nallein deshalb ausgegangen werden, weil dem Leser die sachlichen Bezugspunkte,\ndie den Anlaß der Kritik darstellen, nicht mitgeteilt werden (vgl. BGH a.a.O.\n- "Deutschlandstiftung"; BGH GRUR 1995, 270/274 - "Dubioses Geschaftsgebaren"\n-). Hinzu kommt, daß dem Leser des hier in Rede stehenden Beitrags durchaus\nsachliche Bezugspunkte vermittelt werden, indem konkrete, in den Medien\nallgemein behandelte Ereignisse ("... gekillter Kevin ...", "... wo ... Jugos\nverbluten ...", "... tausend Leichen in Burundi ...") zumindest angedeutet\nwerden, die dem Leser einen Aufschluß daruber vermitteln, bei welchen Anlassen\nder Berichterstattung die Nachrichtensendung der Antragstellerin den\nkritisierten Stil der Nachrichtenauswahl und -prasentation aufgewiesen habe.\n\n21\n\nAuch aus der Art der in den angegriffenen Äußerungen verwendeten\nFormulierungen selbst laßt sich auf eine unzulassige Schmahkritik nicht\nschließen. Diese Formulierungen dienen ganz offenkundig als Stilmittel, um die\nIntensitat der Kritik zum Ausdruck zu bringen, die - dem Grad der Übertreibung\nund polemischen Überspitzung entsprechend - eine besondere Abscheu beschreiben\nsoll. Daruber hinaus dient die Aggressivitat der Formulierungen - dem\nunbefangenen Leser zwanglos erkennbar - dazu, den Beitrag moglichst reißerisch\nzu gestalten, um so im Ergebnis wiederum die Effektivitat der Kritik zu\nsteigern.\n\n22\n\nSind somit die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen von dem\nGrundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit gemaß Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz\ngedeckt, kann das Unterlassungsbegehren der Antragstellerin schließlich auch\nkeinen Erfolg haben, soweit sie dieses auf die §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m.\n§ 185 StGB oder auf ihr - von § 823 Abs. 1 BGB grundsatzlich geschutztes -\nRecht am eingerichteten und ausgeubten Gewerbebetrieb stutzen will. Unabhangig\ndavon, ob die fur die letztgenannte Anspruchsgrundlage vorauszusetzende\nUnternehmensbezogenheit der gerugten Verletzungshandlung bejaht werden kann,\nkann sich die Antragstellerin jedenfalls auch hier insgesamt auf eine die\nRechtswidrigkeit der Verletzungshandlung beseitigende Wahrnehmung berechtigter\nInteressen, namlich den von Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz gedeckten Beitrag zur\noffentlichen Meinungsbildung, berufen.\n\n23\n\nDie Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO.\n\n24\n\nDas Urteil ist mit seiner Verkundung rechtskraftig (§ 545 Abs. 2 ZPO).\n\n
312,323
olgk-1996-06-26-2-wx-1996
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
2 Wx 19/96
1996-06-26
2019-03-13 09:44:52
2020-12-10 13:13:51
Beschluss
ECLI:DE:OLGK:1996:0626.2WX19.96.01
## Tenor\n\n \n1\n\nG r u n d e\n\n2\n\nI.\n\n3\n\nDie Beteiligten streiten daruber, wer von ihnen Erbe nach dem eingangs\nbezeichneten Erblasser geworden ist.\n\n4\n\nDie Beteiligte zu 2) beruft sich als Schwester des Erblassers auf ein\ngesetzliches Erbrecht, die Beteiligte zu 1) leitet ein Erbrecht aus einem\nhandschriftlichen Testament des Erblassers vom 3.11.1992 ab.\n\n5\n\nDer Erblasser hat mehrere letztwillige Verfugungen getroffen,\n\n6\n\nund zwar\n\n7\n\n\\- einen Erbvertrag vom 7.2.1991 mit seiner am 21.8.1991\n\n8\n\nvorverstorbenen Ehefrau mit gegenseitiger Erbeinsetzung und - widerruflicher -\nBerufung der Eheleute H. und He. Sch.,\n\n9\n\n\\- einen Erbvertrag vom 12.6.1992 mit der Zeugin G. L.\n\n10\n\nund zu ihren Gunsten und\n\n11\n\n\\- ein handschriftliches Testament vom 3.11.1992, das die Beteiligte zu 1) als\nErbin ausweist und nach welchem die Beteiligte zu 2) und die Zeugin G. L. je\n120.000,00 DM als Vermachtnis erhalten sollen.\n\n12\n\nMit notariellem Vertrag vom 12.11.1992 vor dem Notar Dr. S. haben der\nErblasser und die Zeugin G. L. den Erbvertrag vom 12.6.1992 aufgehoben. In dem\nAufhebungsvertrag heißt es, der Erblasser widerrufe die in dem vorgenannten\nErbvertrag einseitig getroffenen Vermachtnisse, ebenso samtliche Verfugungen\nvon Todes wegen, die er etwa bisher gemeinsam oder einzeln errichtet habe,\ninsbesondere die Verfugungen des Erbvertrages vom 7\\. Februar 1991.\n\n13\n\nDer Erblasser hat ferner ein in seinen Einzelheiten unbekannt gebliebenes\nTestament vom 7.4.1993 zugunsten einer Frau H. Schl. errichtet und es durch\nein handschriftlich verfaßtes und unterschriebenes Schriftstuck vom 14.4.1993\nfur ungultig erklart.\n\n14\n\nUnter Berufung auf ihre Erbeinsetzung in dem Testament vom 3.11.1992 hat die\nBeteiligte zu 1) am 13.7.1993 einen Erbscheinsantrag gestellt und geltend\ngemacht, der den Widerruf aller letztwilligen Verfugungen enthaltende\nAufhebungsvertrag erfasse das Testament vom 3.11.1992 nicht. Dazu hat die\nBeteiligte zu 1) im einzelnen vorgetragen. Vorsorglich hat sie den Widerruf\ndes genannten Testaments wegen Irrtums des Erblassers angefochten. Die\nBeteiligte zu 2) ist den Ausfuhrungen der Beteiligten zu 1) entgegengetreten\nund hat dazu ihrerseits im einzelnen vorgetragen.\n\n15\n\nDas Amtsgericht hat nach Beweiserhebung zur Datierung und Vorgeschichte des\nAufhebungsvertrages sowie zu angeblichen spateren Äußerungen des Erblassers,\ndie Beteiligte zu 1) zu seiner Erbin einzusetzen, den Erbscheinsantrag der\nBeteiligten zu 1) durch Beschluß vom 14.3.1994 zuruckgewiesen.\n\n16\n\nMit der dagegen erhobenen Beschwerde hat die Beteiligte zu 1) insbesondere die\nBeweiswurdigung des Amtsgerichts gerugt. Fur ihre weiterhin vorgetragene\nBehauptung, nach dem Willen des Erblassers habe das Testament vom 3.11.1992\nfur die Erbfolge maßgeblich sein sollen, hat die Beteiligte zu 1) im\nErstbeschwerdeverfahren ein auf den 18.4.1993 datiertes Schriftstuck\nvorgelegt, das folgenden Text enthalt:\n\n17\n\n##blob##nbsp;\n\n18\n\n"Hiermit erklare ich das Testament vom 3.XI.92 zugunsten von R. St. fur\ngultig.\n\n19\n\n##blob##nbsp;\n\n20\n\nDr. H. L."\n\n21\n\nDie Beteiligte zu 1) hat behauptet, sie habe dieses Schriftstuck rein zufallig\nam 30.4.1994 hinter der Nachtspeicherheizung im Eßzimmer des Erblassers\ngefunden.\n\n22\n\nDie Beteiligte zu 2) hat die Echtheit des Schriftstucks bestritten.\n\n23\n\nDas Landgericht hat ein Gutachten und - nach Angriffen der Beteiligten zu 1) -\nein Erganzungsgutachten des Schriftsachverstandigen Dr. M. R. eingeholt. Auf\ndie Gutachten vom 20.06.1995 und vom 08.12.1995 (B1.172-212, 268-310 d.A.)\nwird Bezug genommen. Nach beiden Gutachten ist das von der Beteiligten zu 1)\nangeblich aufgefundene Schriftstuck mit Datum vom 18.4.1993 mit an Sicherheit\ngrenzender Wahrscheinlichkeit gefalscht.\n\n24\n\nDie Beteiligte zu 1) hat beantragt, die Akte mit dem Originalschriftstuck dem\nvon ihr beauftragten Sachverstandigen Dr. C. in M. zuganglich zu machen.\nDaraufhin hat der Vorsitzende der entscheidenden Zivilkammer mit Verfugung vom\n8.1.1996 dem Rechtsanwalt der Beteiligten zu 1) folgendes mitgeteilt:\n\n25\n\n##blob##nbsp;\n\n26\n\n"... hat die Kammer das Anliegen Ihrer Frau Mandantin beraten, das Sie der\nKammer mit Schriftsatzen vom 20.11.1995 und 2.01.1996 vermittelt haben.\n\n27\n\n##blob##nbsp;\n\n28\n\nAngesichts der eindeutigen Gutachten des allseits anerkannten\nSchriftsachverstandigen Dr. R. sieht die Kammer keine Veranlassung, die Akten\noder Aktenteile einen von Ihrer Frau Mandantin beauftragten Sachverstandigen\nzuganglich zu machen. Es gibt ersichtlich keine Grunde, die diesen\nSachverstandigen daran hindern konnten, an Hand der Ihnen zugeleiteten\nGutachten des Sachverstandigen Dr. R. konkrete Zweifel zu außern und solche\nZweifel durch Ihre Vermittlung der Kammer vorzutragen. Solche konkreten\nZweifel haben Sie bisher nicht geaußert. Es steht Ihnen und Ihrer Frau\nMandantin naturlich frei, die Akten in Gegenwart eines von ihr beauftragten\nSachverstandigen auf der Geschaftsstelle der 11. Zivilkammer einzusehen. Ich\nbitte um Verstandnis dafur, daß die Kammer Ihre abschließende Äußerung nunmehr\nbis 15.2.1996 erwartet."\n\n29\n\nIn der Folge hat die Beteiligte zu 1) ihren Antrag, die Akten zum Zwecke der\nEinsichtnahme durch den von ihr beauftragten Privatgutachter an das\nLandgericht M. zu senden, wiederholt. Dem Antrag war ein Schreiben des\nGutachters vom 7.2.1996 beigelegt, in dem unter anderem ausgefuhrt ist, eine\nsorgfaltige Untersuchung des Originalmaterials sei unverzichtbar, um schlussig\nzwischen den hier in Betracht kommenden alternativen Hypothesen uber die\nEntstehung der Urkunde differenzieren zu konnen; bei einer von ihm\nvorgenommenen Vorprufung der beiden Gutachten des Sachverstandigen R. seien\nzunachst weder außere Mangel noch innere Widerspruche festzustellen gewesen.\n\n30\n\nDas Landgericht hat dem Antrag nicht stattgegeben. Es hat vielmehr die\nBeschwerde der Beteiligten zu 1) durch die angefochtene Entscheidung\nzuruckgewiesen.\n\n31\n\nDagegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1). Sie rugt,\ndie Beweiserhebung durch das Landgericht sei fehlerhaft erfolgt, weil ihren\noben dargestellten Verfahrensantragen nicht stattgegeben worden sei. Die\nBeteiligte zu 2) tritt der weiteren Beschwerde entgegen.\n\n32\n\nII.\n\n33\n\nDie in formlicher Hinsicht (§§ 27, 29 FGG) nicht zu beanstandende weitere\nBeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Denn die angefochtene Entscheidung\nberuht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes (§§ 27 FGG, 550 ZPO).\n\n34\n\n1) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auf der Grundlage der bisher\ndurchgefuhrten Beweiserhebungen angenommen, daß das Testament vom 3.11.1992,\naus dem die Beteiligte zu 1) ihr Erbrecht herleitet, unwirksam sei, weil es\ndurch den Aufhebungsvertrag vom 12.11.1992 im Sinne von § 2254 BGB widerrufen\nworden sei. Die Annahme des Landgerichts, der Aufhebungsvertrag habe auch das\ngenannte Testament erfaßt, beruht auf einer moglichen und auch naheliegenden\nWurdigung der erhobenen Beweise. Insoweit erhebt die Beteiligte zu 1) in der\nBegrundung der weiteren Beschwerde auch keine Beanstandungen.\n\n35\n\n2) Rechtlich nicht zu beanstanden sind auch die Ausfuhrungen, mit denen das\nLandgericht darlegt, daß von einer wirksamen Anfechtung des Widerrufs des\nErblassers durch die Beteiligte zu 1) nicht ausgegangen werden konne. Das\nLandgericht hat sich nicht davon uberzeugen konnen, daß sich der Erblasser bei\nseinem Widerruf daruber im Irrtum befand, daß dadurch auch das Testament vom\n3.11.1992 erfaßt wurde. Auch dies beruht auf einer moglichen Wurdigung der\nermittelten Tatsachen. Auch insoweit erhebt die Beteiligte zu 1) keine\nBeanstandungen.\n\n36\n\n3) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht schließlich angenommen, das auf den\n18.4.1993 datierte Schriftstuck sei fur die festgestellte Rechtslage ohne\nBedeutung, weil es sich um eine Falschung handele.\n\n37\n\na) Das Landgericht hat dazu ausgefuhrt:\n\n38\n\nSchließlich lasse sich der Erbscheinsantrag mit Erfolg auch nicht auf das\nSchriftstuck mit Datum vom 18.4.1993 stutzen. Denn das sei zur Überzeugung der\nKammer gefalscht. Erweckten schon die Umstande seines angeblichen Auffindens\nam 30.4.1994 hinter einem Nachtspeicherofen tiefes Mißtrauen, so folge die\nFalschung selbst zweifelsfrei aus den uberzeugenden Ausfuhrungen des allgemein\nanerkannten Schriftsachverstandigen Dr. M. R.. Diese Ausfuhrungen konne die\nKammer zunachst schon deshalb gut nachvollziehen, weil ihren Richtern bei der\nAugenscheinseinnahme und einem laienhaften Vergleich der Schrift mit Datum vom\n18.4.1993 mit den Vergleichsschriften ganz entscheidende Zweifel an der\nUrheberschaft der Erblassung gekommen seien und sich der Kammer der Eindruck\neiner besonders plumpen Falschung aufgedrangt habe. Folgerichtig komme der\nSachverstandige denn auch zu einer Falschung mit dem hochsten\nWahrscheinlichkeitsgrad, den die empirische Wissenschaft der\nSchriftvergleichung kenne. Das Gutachten gehe von den zutreffenden,\nvorgegebenen Tatsachen aus, sei ubersichtlich gegliedert, fuhre von Abschnitt\nzu Abschnitt tiefer in die Problematik ein und erfasse diese auch vollstandig.\nDabei sei auch uberzeugend der Hinweis des Gutachtens darauf, daß es\nangesichts der zeitnahen Vergleichsschrift vom 14.4.1993 keiner weiteren\narztlichen Hinterfragungen bedurfe. Das habe der Sachverstandige nach\nBeanstandung durch die Beteiligte zu 1) bestatigt, und zwar nach sorgfaltiger\nAuseinandersetzung mit der gesundheitlichen Verfassung des Erblassers und\nseiner emotionalen Entlastung am 16.4.1993 durch den Auszug von Frau H. Schl..\nIn diesem Erganzungsgutachten seien auch alle anderen Zweifel der Beteiligten\nzu 1) mit wissenschaftlicher Grundlichkeit und Kompetenz abgehandelt und\nwiderlegt.\n\n39\n\nVor diesem Hintergrund habe die Kammer weder Grund noch Anlaß, der Beteiligten\nzu 1) Gelegenheit zu geben, mit Hilfe eines Privatgutachters Zweifel\nformulieren oder ein sogenanntes Gegengutachten erstatten zu lassen.\nSelbstverstandlich sei es einem kompetenten Schriftsachverstandigen auch ohne\nEinsicht in die Originalunterlagen moglich, zumindest erste, konkrete\nBeanstandungen zu erheben und Schwachpunkte eines\nSchriftsachverstandigengutachtens herauszustellen, wenn es sie denn gebe. Dazu\nhabe die Kenntnis der Gutachten und die Vorlage von Kopien genugt. Daß auch\nanhand von Kopien zumindest eine erste, orientierende Äußerung moglich sei,\nbeweise die Äußerung eines weiteren Schriftsachverstandigen. Selbst der von\nder Beteiligten zu 1) genannte Sachverstandige Dr. C. habe erklart, außere\nMangel und innere Widerspruche der Gutachten von Dr. M. R. seien nicht\nfestzustellen. Seine weiteren Ausfuhrungen vom 7.2.1996 zeigten, daß er eine\nerneute Begutachtung nur dann fur erforderlich halte, wenn die Beteiligte zu\n1) die Wahrheit sage. Damit mache er zur Voraussetzung des Gutachtens, was die\nBeteiligte zu 1) sich als dessen Folge wunsche. Damit fehle es an jeglichen\nkonkreten Hinweisen, die Anlaß geben konnten, die Gutachten des\nSachverstandigen Dr. M. R. ganz oder teilweise in Zweifel zu ziehen.\n\n40\n\nb) Diese Ausfuhrungen sind aus Rechtsgrunden nicht zu beanstanden. Ein Verstoß\ndes Landgerichts gegen die Verpflichtung zur Amtsermittlung liegt nicht vor.\n\n41\n\nNach § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der\nTatsachen erforderlichen Ermittlungen anzustellen und die geeignet\nerscheinenden Beweise aufzunehmen. Über Art und Umfang der Ermittlungen\nentscheidet der Tatrichter ohne Bindung an etwaige Beweisantrage der\nBeteiligten nach pflichtgemaßem Ermessen; das Rechtsbeschwerdegericht kann nur\nuberprufen, ob das Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeubt worden ist (vgl. etwa\nSenat, FamRZ 1994, 1135, 1136; BayObLG NJW-RR 1990, 1419, 1420; Amelung in:\nKeidel / Kuntze / Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Teil A: FGG, 13.\nAufl., § 12 Rn. 85, 86 und § 27 Rn. 27 f).\n\n42\n\nDas Landgericht hat, obwohl es bereits aufgrund der vorgetragenen Umstande des\nangeblichen Auffindens und aufgrund des außeren Erscheinungsbildes des\nSchriftstucks mit Datum vom 18.4.1993 erhebliche Zweifel an dessen Echtheit\nhatte, sachverstandigen Rat gesucht und die vorliegenden Gutachten des\nSachverstandigen Dr. Rieß eingeholt. Der Sachverstandige ist zu dem aus seiner\nSicht eindeutigen Ergebnis gelangt, das untersuchte Schriftstuck sei mit an\nSicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gefalscht. Das Landgericht hat\naufgrund der Ausfuhrungen des Sachverstandigen seine bereits vorhandenen\nZweifel bestatigt gesehen und sich schließlich aufgrund der Gutachten von der\nUnechtheit des Schriftstucks uberzeugt.\n\n43\n\nDie Beteiligte zu 1) sieht den Rechtsfehler des Landgerichts darin, daß es\nihrem Antrag auf Überlassung der Gerichtsakte nicht stattgegeben hat. Sie ist\nder Ansicht, das Landgericht habe es ihr dadurch verwehrt, Bedenken gegen die\nAusfuhrungen des gerichtlich bestellten Sachverstandigen durch einen eigenen\nSachverstandigen formulieren zu lassen. Dem folgt der Senat nicht.\n\n44\n\nDie Beteiligte zu 1) beanstandet letztlich, daß das Landgericht auf ihre\nBehauptung hin, die eingeholten Gutachten mußten im Hinblick auf den von ihr\nvorgetragenen Sachverhalt falsch sein, keine Überprufung der vorliegenden\nGutachten durch einen weiteren Gutachter angeordnet oder gestattet hat. Dazu\nwar das Landgericht indes nicht verpflichtet.\n\n45\n\nOb im Anschluß an eine bereits veranlaßte Begutachtung weitere Gutachten\n(Obergutachten, Gegengutachten) eingeholt werden, hat das Gericht nach\npflichtgemaßem Ermessen zu entscheiden (§§ 15 FGG, 412 Abs. 1 ZPO; vgl.\nBassenge / Herbst, FGG / RPflG, 7. Aufl., § 15 FGG Rn. 30; Bumiller / Winkler,\nFGG, 6. Aufl., § 15 Anm. 2 e; Amelung in: Keidel / Kuntze / Winkler a.a.O. §\n15 Rn. 39). Die Einholung weiterer Gutachten kann bei besonders schwierigen\nFragen oder groben Mangeln eines vorliegenden Gutachtens geboten sein,\ninsbesondere wenn Zweifel an der Sachkunde des bisherigen Gutachters bestehen,\nwenn das Gutachten von unzutreffenden tatsachlichen Voraussetzungen ausgeht,\nWiderspruche enthalt oder wenn ein neuer Sachverstandiger uber\nForschungsmittel verfugt, die denen des fruheren Gutachters uberlegen sind\n(vgl. BayObLGZ 1982, 309, 315; BayObLG FamRZ 1990, 801, 802 f.; NJW-RR 1991,\n1098, 1101; Bassenge / Herbst a.a.O.; Bumiller / Winkler a.a.O.; Amelung in:\nKeidel / Kuntze / Winkler a.a.O.; vgl. die entsprechende Regelung in § 244\nAbs. 4 Satz 2 StPO).\n\n46\n\nDiese Voraussetzungen fur die Einholung eines weiteren Gutachtens liegen im\nStreitfall nicht vor. Das Landgericht hat sich von der Richtigkeit der\nvorliegenden Gutachten uberzeugt und die Grunde dafur in dem angefochtenen\nBeschluß dargestellt. Weder den Ausfuhrungen der Beteiligten zu 1) noch den\nAkten ist zu entnehmen, daß dem Landgericht insoweit ein Rechtsfehler\nunterlaufen sein konne. Insbesondere ist der vorliegenden vorlaufigen\nStellungnahme des von der Beteiligten zu 1) beauftragten\nPrivatsachverstandigen nicht zu entnehmen, daß diesem bei der vorlaufigen\nÜberprufung der vorliegenden Gutachten Fehler des Sachverstandigen Dr. R.\naufgefallen waren. Der Privatgutachter hat lediglich ausgefuhrt, daß eine von\nihm vorzunehmende Begutachtung die Vorlage der Originalurkunde erfordere.\nDabei geht der Privatgutachter offensichtlich davon aus, daß seine\nBegutachtung sowohl zur Bestatigung als auch zur Widerlegung der vom\nSachverstandigen Dr. R. gefundenen Ergebnisse fuhren kann. Dies ergibt sich\nzweifellos aus den in der Begrundung der weiteren Beschwerde wortlich\nzitierten Passagen des Schreibens vom 7.2.1996. Soweit die Beteiligte zu 1)\ngeltend machen will, das Landgericht konne den Privatgutachter insoweit\nmißverstanden haben, ware dies nicht richtig. Daß der Privatgutachter uber\nErkenntnismoglichkeiten verfugt, die denen des gerichtlich bestellten\nGutachters uberlegen sind, macht die Beteiligte zu 1) nicht geltend; dies ist\nauch der Stellungnahme des Privatgutachters nicht zu entnehmen.\n\n47\n\nAus der Sicht des Landgerichts bestand kein Anlaß, eine weitere Begutachtung\nfur erforderlich zu halten, jedenfalls deshalb, weil es aufgrund der\nvorliegenden Gutachten bereits davon uberzeugt war, daß das auf den 18.4.1993\ndatierte Schriftstuck gefalscht ist. Im Strafprozeß \\- in dem wie im Verfahren\nder freiwilligen Gerichtsbarkeit der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, vgl. § 155\nAbs. 2 StPO - bestimmt § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO, daß dann, wenn das Gericht\ndas Gegenteil einer behaupteten Tatsache aufgrund eingeholter Gutachten fur\nbereits erwiesen erachtet, die Einholung eines weiteren Gutachtens abgelehnt\nwerden darf. Es bestehen keine Bedenken, diese Vorschrift hier rechtsahnlich\nanzuwenden (so fur den Zivilprozeß auch BGHZ 53, 245, 258 f). Daß keiner der\nin der Vorschrift genannten Ausnahmefalle vorliegt, ist oben bereits\nausgefuhrt.\n\n48\n\nWar das Landgericht mithin aus Rechtsgrunden nicht verpflichtet, eine weitere\nBegutachtung zu veranlassen, so durfte es auch den Antrag der Beteiligten zu\n1), die gewunschte Einholung eines Privatgutachtens durch Aktenversendung zu\nfordern, ohne Ermessensfehler ablehnen. Ist der Sachverhalt so vollstandig\naufgeklart, daß von weiteren Ermittlungen ein sachdienliches, die Entscheidung\nbeeinflussendes Ergebnis nicht mehr erwartet werden kann, so sind die\nErmittlungen abzuschließen (vgl. Amelung: in Amelung in: Keidel / Kuntze /\nWinkler a.a.O. § 12 Rn. 86 mit zahlreichen Nachweisen). In diesem Fall ist das\nGericht nicht verpflichtet, von einzelnen Beteiligten in Aussicht genommene\nprivate Ermittlungen abzuwarten oder zu fordern.\n\n49\n\nSchließlich hat das Landgericht durch die von der Beteiligten zu 1)\nbeanstandete Verfahrensweise nicht deren rechtliches Gehor (Art. 103 Abs. 1\nGG) verletzt. Das Landgericht hat der Beteiligten zu 1) die eingeholten\nGutachten zuganglich gemacht. Seine Annahme, daß aufgrund der Gutachten - die\nin großem Umfang Fotografien des untersuchten Schriftstucks und der\nVergleichsobjekte enthalten - und der Kopien des fraglichen Schriftstucks\nernsthafte Einwendungen gegen die eingeholten Gutachten durch einen\nPrivatgutachter hatten formuliert werden konnen, wenn es sie denn gebe, wird\ndurch die Ausfuhrungen in der Begrundung der weiteren Beschwerde nicht\nernsthaft in Frage gestellt. Das Landgericht hat die Beteiligte zu 1) durch\ndie oben zitierte Verfugung vom 8.1.1996 auch uber seine Absicht, dem\nGutachter Dr. Rieß zu folgen, und die Ablehnung des Antrags auf\nAktenversendung in Kenntnis gesetzt und ihr Gelegenheit gegeben, die Akte am\nGerichtsort in Gegenwart eines Privatgutachters einzusehen. Es hat auch das\nSchreiben des Privatgutachters vom 7.2.1996 bei seiner Entscheidungsfindung\nberucksichtigt. Damit ist das Recht der Beteiligten zu 1) auf rechtliches\nGehor in ausreichendem Maße gewahrt. Eine Verpflichtung des Gerichts, private\nErmittlungen zur Widerlegung eines bereits als eindeutig erwiesen erachteten\nund von dem Betroffenen nicht ernsthaft in Frage gestellten Sachverhalts zu\nfordern, laßt sich aus dem Recht auf rechtliches Gehor nicht ableiten.\n\n50\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.\n\n51\n\nBeschwerdewert: 400.000,00 DM\n\n
312,344
olgk-1996-06-20-12-u-11395
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
12 U 113/95
1996-06-20
2019-03-13 09:45:25
2020-12-10 13:13:54
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1996:0620.12U113.95.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**T a t b e s t a n d**\n\n2\n\nDie Beklagte ist die Tragerin und Betreiberin des seit 1992/1993 bundesweit\neingefuhrten X. , dessen Ziel es ist, alle Verkaufsverpackungen sowie die fur\nden gleichen Verwertungsvorgang geeigneten Wertstoffe (z.B.\nDruckereierzeugnisse) zu erfassen, zu sortieren und stofflich\nwiederzuverwerten. Anlaßlich der Einfuhrung dieses Systems schloß sie u.a. am\n24.2.1993 mit der Firma M. P. Stadtereinigung GmbH fur das Gebiet des\nLandkreises K. unter dem 24.2.1993 sowie am 19.3.1993 mit deren\nSchwesterfirma, der M. P. Abfallwirtschaft, fur den Landkreis F.\nEntsorgungsvertrage ab, die mit einer Frist von 12 Monaten erstmals am\n31.12.2002 kundbar sein sollten (Anlage K 19). Entsprechende Vertrage hatte\nsie mit einer Vielzahl anderer Entsorgungsunternehmen geschlossen.\n\n3\n\nIm Sommer des Jahres 1993 geriet die Beklagte in wirtschaftliche\nSchwierigkeiten. Sie stellte ab Ende Mai 1993 gegenuber den mit ihr\nvertraglich verbundenen Entsorgungsunternehmen, u.a. gegenuber den beiden\nFirmen P. Zahlungen ein und verlangte mit einem Rundschreiben vom 28.6.1993\n(Anlage B 1) unter Darlegung der Ursachen, insbesondere wegen einer nicht so\nschnell erwarteten hohen Verdichtung der Sammelsysteme und einer ausgesprochen\nengagierten Beteiligung der Endverbraucher, von ihren Vertragspartnern eine\ndarlehensweise Stundung ihrer bis zum 31.8.1993 aufgelaufenen Forderungen\nsowie fur die Zukunft eine Vertragsanderung im Sinne einer Entgeltreduzierung.\nZu diesem Zeitpunkt beliefen sich die Entgeltforderungen der beiden Firmen P.\ngegenuber der Beklagten auf ca. 2.000.000,00 DM. Die beiden Firmen\nbeauftragten ihrerseits die Rechtsanwalte Mu. u.a. in K. mit der\nGeltendmachung ihrer Forderungen und erwirkten ab September 1993 mehrere Mahn-\nund anschließend in geringerem Umfang auch Vollstreckungsbescheide gegen die\nBeklagte. Ferner fuhrten sie mit den von der Beklagten bevollmachtigten\nRechtsanwalten H. & Partner Verhandlungen. Unter Bezugnahme hierauf erklarten\nsie mit Schreiben vom 6.10.1993 (Anlage B 6), man werde es nicht langer\nhinnehmen, daß keinerlei Zahlungen erfolgten, und man erwage, fur die Zukunft\nein Leistungsverweigerungsrecht geltend zu machen.\n\n4\n\nMit einem per Fax ubermittelten Schreiben vom 11.10.1993 (Anlage B 8) zeigten\ndie Klager die Interessenvertretung der beiden Firmen P. an. Unter Bezugnahme\nauf den mit den Rechtsanwalten Mu. & Partner gefuhrten Schriftwechsel sowie\ndie Mahnbescheide forderten sie die Beklagte zur Begleichung der Ruckstande\nvon zwischenzeitlich ca. 3 Mio. DM bis zum 18.10.1993 auf und drohten fur den\nFall der Nichterfullung mit der Einstellung der ihren Mandanten nach den\nEntsorgungsvertragen obliegenden Leistungen in Ausubung eines\nLeistungsverweigerungsrechts sowie mit einem Konkursantrag gegen die Beklagte.\nVerfasser dieses sowie weiterer in der Folgezeit an die Beklagte gerichteten\nSchreiben war der Klager zu 2., der - seinerzeit noch in einer M.\nAnwaltskanzlei tatig - die beiden Firmen bereits bei Abschluß der\nEntsorgungsvertrage anwaltlich beraten und sich zwischenzeitlich mit dem\nKlager zu 1. beruflich verbunden hatte. Nach weiteren Schreiben an die\nBeklagte vom 20. und 25.10.1993, in denen die Klager fur ihre Mandantinnen\nu.a. die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes fur den Fall\nankundigten, daß die Beklagte bei einer Ausubung des\nLeistungsverweigerungsrechts Drittfirmen mit der Entsorgung beauftragen sollte\n(Anlage B 9), teilten die Klager mit Fax vom 27.10.1993 (Anlage B 10) unter\nBezugnahme auf ein am Vortag gefuhrtes Vergleichsgesprach, das unter\nVermittlung des Landkreises K. zustande gekommen war, mit, daß ihre Mandanten\nsich nicht in der Lage sahen, die von der Beklagten gewunschten Änderungs- und\nDarlehensvertrage zu unterzeichnen, und forderten sie auf, zur Abwehr einer\nLeistungseinstellung zum 1.11.1993 einen inzwischen aufgelaufenen\nZahlungsruckstand von ca. 3,4 Mio. DM bis zum 29.10.1993, 12.00 Uhr\nauszugleichen. Daraufhin unterbreitete die Beklagte mit Fax vom 29.10.1993\n(Anlage B 11) ein gegenuber ihren bisherigen Vorstellungen abgeandertes\nAngebot uber die Vertragsgestaltung fur die Zukunft und den Ausgleich offener\nForderungen, in dem u. a. entsprechend einem Wunsch der beiden Firmen P. eine\nÜbernahme der Entsorgung fur das Gebiet des Landkreises F. durch die bereits\nzuvor von der P. Abfallwirtschaft als Subunternehmerin eingesetzte Fa. He.\nGmbH sowie eine\n\n5\n\n"Übernahme der Anwaltskosten - soweit sachlich gerechtfertigt"\n\n6\n\nvorgesehen war. Dieses Fax war von dem als Rechtsanwalt zugelassenen Zeugen R.\n, einem Prokuristen der Beklagten, unterzeichnet. Der Klager zu 2. kundigte\nsodann nach einer Besprechung mit seinen Mandanten am Abend des 30.10.1993,\neinem Samstag, telefonisch die Übermittlung eines Gegenangebotes per Fax fur\nden 1.11.1993, einen gesetzlichen Feiertag in Nordrhein-Westfalen und Bayern,\nan. Ein entsprechendes vom 31.10.1993 stammendes Fax (GA 10-12) wurde sodann\nder Beklagten am 1.11.1993 gegen Mittag ubermittelt, und zwar namens der\nbeiden Firmen P. sowie der Fa. He. , das Regelungen zur Vertragsubernahme, zur\nBezahlung von Leistungen bis einschließlich Juni 1993, zur Darlehensgewahrung\nmit ausformulierten Änderungen gegenuber einem von der Beklagten vorgelegten\nMustertext sowie - ebenfalls genau formulierte - Neufassungen zu einzelnen\nPassagen der von der Beklagten gewunschten Änderungsvertrage enthielt. Ferner\nheißt es hierin:\n\n7\n\n8\n\n"V. Kosten der Vertragsanderungen, Rechtsanwalts- und\n\n9\n\n10\n\nGerichtskosten, Abwicklung anhangiger Verfahren.\n\n11\n\nDie X. zahlt alle Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwalte Mu. u. Kollegen\neinschließlich der Verfahrensbevollmachtigten in B., die durch die\naußergerichtliche und gerichtliche Forderungsbeitreibung entstanden sind, aus\nden jeweiligen Streitwerten nach Verfahrensstand, jew. zzgl. 10/10\nVergleichsgebuhr und Gerichtskosten. Die Firmen P. verpflichten sich, die\nanhangigen Mahnbescheide/Vollstreckungsbescheide/Klagen nach Eingang der\nZahlungen gem. ... zuruckzunehmen, die X. verpflichtet sich, keine\nKostenantrage zu stellen. Die X. bezahlt an die Rechtsanwalte ... & ...\nsamtliche durch die Neubegrundung der Leistungsbeziehungen veranlaßten\nRechtsberatungskosten mit folgender Maßgabe: Zwei Auftraggeber (Fa. P.\nAbfallwirtschaft und Fa. P. Stadtereinigung), zwei verschiedene\nAngelegenheiten (Vertrag F. u. Vertrag K.), entstanden sind jeweils 10/10\nGeschaftsgebuhr, 7,5/10 Besprechungsgebuhr, 10/10 Vergleichsgebuhr, jeweils\nfur Darlehens- und Änderungsvertrage F. und K.; Gegenstandswerte:\nDarlehensbetrag bzw. Umsatz Änderungsvertrag (10 Jahre) auf Basis heute\nvereinbarter Preise. Die durch die Vertragsubernahme F. entstehenden\nRechtsberatungskosten tragt die Fa. He.. Die durch Streitigkeiten in den\nSubunternehmerverhaltnissen entstandenen Kosten tragen die Firmen P. und He.".\n\n12\n\nSodann wurde in dem Fax weiter ausgefuhrt, daß das Angebot nur insgesamt\nangenommen oder abgelehnt werden konne, die Mandanten zu weiteren\nZugestandnissen nicht bereit seien und diese sich bis zum 2.11.1993, 12.00 Uhr\nan das Angebot gebunden hielten. Bis dahin wurden die Leistungen provisorisch\nfortgefuhrt. Falls ein gegengezeichnetes Exemplar nicht bis zu diesem\nZeitpunkt zuruckgefaxt werde oder die bekanntgegebenen Betrage einschließlich\nvon Vorauszahlungen nicht bis zum 3.11.1993 eingingen, werde es zu einer\nendgultigen Leistungseinstellung kommen.\n\n13\n\nZwischen dem Klager zu 2. und dem Zeugen R. wurde sodann am 2.11.1993 mehrmals\ntelefonisch verhandelt. Im Rahmen dieser Verhandlungen wurde Einvernehmen uber\neine Abanderung einzelner Punkte des Angebots der Mandanten der Klager\nerzielt. Gegenstand der Verhandlungen waren auch die Rechtsberatungskosten. Im\nVerlaufe der Erorterungen zu diesem Punkt, die etwa in der Mittagszeit gefuhrt\nwurden und deren Inhalt teilweise streitig ist, fragte der Zeuge R. den\nKlager, ob dieser ihm zumindest uberschlagig mitteilen konne, auf welche Hohe\nsich diese Kosten belaufen wurden. Diese Bitte schlug der Klager zu 2. ab. Auf\ndie weitere Frage des Zeugen, ob der Klager zu 2. ihm wegen der vorgesehenen\nGegenstandswerte nicht etwas an die Hand geben konne, bezog sich dieser\ndarauf, daß ihm nur das Werk "Schmidt/Schmidt, Der Gegenstandswert in\nburgerlichen Rechtsangelegenheiten" aus dem Jahre 1973 zur Verfugung stehe und\nbezog sich hierzu auf eine unter dem Stichwort "Bierabnahme" enthaltenen\nPassage, in der ausgefuhrt wird, daß sich der Wert einer auf Abnahme von Bier\ngerichteten Klage nach dem Umsatz richte, sowie auf die dort angegebene\nFundstelle "OLG Neustadt MDR 1962, 412". Bei diesem Gesprach war dem Zeugen R.\nklar, daß die Gebuhrenforderungen erheblich sein wurden. Er selbst hatte in\ndiesem Zusammenhang die umsatzbezogenen Gegenstandswerte mit ca. 48 und 30\nMio. DM angegeben. Abschließend verwies der Zeuge R. auf die Notwendigkeit\neiner Gegenzeichnung durch den Geschaftsfuhrer S., der erst ab 14.00 Uhr\nerreichbar sein werde. Als sodann der Klager zu 2. gegen 14.15 Uhr die\nRucksendung des Vergleichstextes anmahnte, erklarte der Zeuge R., er habe mit\nS. den Vergleichstext durchgesprochen und die Genehmigung erhalten, diesen\ngegengezeichnet zuruckzusenden.\n\n14\n\nGegen 15.20 wurde der Angebotstext sodann von der Beklagten zuruckgefaxt, und\nzwar nach Unterzeichnung durch den Zeuge R. Seite fur Seite und mit\nKennzeichnungen uber die telefonisch besprochenen Änderungen, wobei eine\nsolche wegen der Rechtsberatungskosten nicht vermerkt ist. Dem war ein\nBegleitschreiben beigefugt (Anlage B 12), das von dem Zeugen R. sowie dem -\nebenfalls als Rechtsanwalt zugelassenen - Geschaftsfuhrer S. unterzeichnet\nwar. Hierin wird ausgefuhrt, daß das Angebot vom 31.10.1993 nach eingehender\nÜberprufung grundsatzlich akzeptiert werde, dessen Text nur wie besprochen an\nden gekennzeichneten Stellen geandert worden sei und die Überweisung eines den\nFirmen P. zustehenden Betrags von ca. 2 Mio. DM auf das Konto der\nAnwaltssozietat in einer Weise veranlaßt worden sei, daß hieruber am nachsten\nTag verfugt werden konne.\n\n15\n\nDie Klager erteilten der Beklagten sodann folgende Kostennoten, wobei fur die\nDarlehensvertrage der jeweilige Darlehensbetrag und fur die Anpassungsvertrage\nder 10-Jahresumsatz zugrunde gelegt ist und Zahlung auf ein Privatkonto des\nKlagers zu 2. begehrt wurde:\n\n16\n\n * Rechnung vom 5.11.1993; Vertragsanpassung K.; Gegenstandswert 28.968.874,00 DM (GA 16)\n\n| 284.003,71 DM \n---|--- \n| \n \n * Rechnung vom 5.11.1993; Vertragsanpassung F.; Gegenstandswert 44.090.802,00 DM (Anlage B 13)\n\n| 427.264,96 DM \n| \n| \n \n * Rechnung vom 9.11.1993; Darlehen K.; Gegenstandswert 556.801,47 DM (GA 18)\n\n| 13.040,77 DM \n| \n \n * Rechnung vom 9.11.1993; Darlehen F.; Gegenstandswert 958.800,70 DM (GA 17)\n\n| 17.974,27 DM \n| 742.283,71 DM \n17\n\nWegen dieser Kostenrechnungen kam es am 19.11.1993 zu einer telefonischen\nAuseinandersetzung zwischen dem Klager zu 2. und dem Zeugen R.. Mit Fax vom\ngleichen Tag (Anlage B 15) teilte die Beklagte dem Klager zu 2. unter naherer\nDarlegung der Grunde mit, daß sie sich nicht fur verpflichtet halte, die\nKostenrechnungen, in denen uberhohte Gegenstandswerte in Ansatz gebracht\nworden seien, auszugleichen. Unter Bezugnahme auf dieses Fax sowie eine -\nzwischen den Parteien streitige - Äußerung des Zeugen R. anlaßlich des\nTelefonats, mit der der Zeuge nach dem Sachvortrag der Klager die\nRechtswirksamkeit des Vergleichs insgesamt mit der Begrundung in Frage\ngestellt haben soll, er habe als Gesamtprokurist den Text nicht alleine\nunterzeichnen durfen, forderten die Klager mit Schreiben vom 20.11.1993\n(Anlage B 16) die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 24.11.1993 zum Ausgleich\nder Kosten und zur Klarstellung auf, daß die Wirksamkeit des Vergleichs nicht\nin Frage gestellt werde. Daraufhin erklarte die Beklagte mit Schreiben vom\n24.11.1993 (Anlage B 17), daß sie sich selbstverstandlich an die in der Sache\ngetroffene Vereinbarung zu halten gedenke, und teilte zugleich mit, welche\nGegenstandswerte ihrer Meinung nach den Kostenrechnungen zugrunde zu legen\nseien. Wegen einer im Zusammenhang mit der angeblichen Äußerung des Zeugen R.\nentfalteten Tatigkeit erteilten die Klager der Beklagten unter dem 1.12.1993\neine weitere Kostenrechnung uber 27.789,15 DM, bei der eine Gebuhr gem. § 120\nAbs. 1 BRAGO in Ansatz gebracht ist.\n\n18\n\nDie in Vollziehung des Vergleichs erforderliche Unterzeichnung der\nVereinbarungen uber die Aufhebung bzw. Änderung der Entsorgungsvertrage und\ndie Darlehensgewahrung erfolgte Ende Dezember 1993/Anfang 1994. Ferner wurde\nunter dem 9./28.12.1993 zwischen den Klagern und den beiden Firmen P. eine der\nKostenregelung in dem Vergleich angelehnte schriftliche Honorarvereinbarung\ngetroffen (Anlage K 16), zu der die Beklagte geltend macht, daß es sich um ein\nScheingeschaft handele. Ferner traten die Firmen P. unter dem gleichen Datum\nalle ihnen "zur Wahrung ihrer Rechte" entstandenen Anspruche auf Ersatz von\nAnwaltskosten gegenuber der Beklagten an die Klager ab (GA 499), was ihr unter\ndem 4.1.1993 unter Vorlage einer Fotokopie der Abtretungserklarung angezeigt\nwurde. Die Klager wiederum trafen im Verlaufe des Rechtsstreits am 22.12.1995\neine Vereinbarung (GA 675), in der der Klager zu 2. Honorarforderungen aus\neigenem oder abgetretenem Recht gegenuber der Beklagten an den Klager zu 1.\nabtrat und diesen ermachtigte, die Forderungen im eigenen Namen zugunsten\nbeider Klager geltend zu machen.\n\n19\n\nDer Klager zu 1. hat ursprunglich einen Teilbetrag der erteilten Rechnungen\nvon 315.018,75 DM geltend gemacht und Zahlung an sich und den Klager zu 2.\nbegehrt. Nachdem die Beklagte eine negative Feststellungswiderklage gegen ihn\nund den Klager zu 2. erhoben hatte, hat der Klager zu 1. seine Klage auf die\nGesamtsumme der der Beklagten erteilten Rechnungen von 770.073,21 DM\nerweitert. Daraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit zur Widerklage in der\nHauptsache fur erledigt erklart.\n\n20\n\nDie Klager (der Klager zu 2. seinerzeit als Widerbeklagter) haben behauptet,\nder Klager zu 2. habe bei dem Telefonat vom 2.11.1993 ausdrucklich erklart, er\nwolle die angegebenen Fundstellen nicht zum Grundlage des Vergleichs machen.\nDer Gegenstandswert solle vielmehr vorbehaltlos festgelegt sein und mit der\nHonorarvereinbarung solle eine nachtragliche Diskussion uber die Anwaltskosten\nausgeschlossen werden. Ferner haben sie gemeint, das vereinbarte Honorar sei\nangemessen und entspreche insbesondere wegen der Gegenstandswerte, zu denen\ndie §§ 8 Abs. 2 BRAGO, 39 Abs. 2 KostO einschlagig sein, den gesetzlichen\nGebuhren.\n\n21\n\nDie Gebuhrenrechnung vom 1.12.1993 haben sie aus einer positiven\nForderungsverletzung der Beklagten hergeleitet und behauptet, der Klager zu 2.\nhaben die beiden Firmen P. und die Firma He. sofort uber die o.a. Äußerung des\nZeugen R. unterrichtet, die ihn ihrerseits um eine unverzugliche, ggfls.\ngerichtliche Klarung gebeten hatten.\n\n22\n\nDer Klager zu 1. hat beantragt,\n\n23\n\ndie Beklagte zu verurteilen, an ihn und den Widerbeklagten zu 2. 770.073,21 DM\nzu zahlen.\n\n24\n\nDie Beklagten haben Klageabweisung begehrt und behauptet, der Widerbeklagte zu\n2. habe bei dem Telefonat mit dem Zeugen R. vom 2.11.1993 erklart, die\nHonorarvereinbarung beinhalte nur die nach dem Gesetz angefallenen Gebuhren\nund die eingesetzten Gegenstandswerte entsprachen der einschlagigen\nRechtsprechung. Daraufhin habe man sich dahingehend verstandigt, daß die\nBeklagte unabhangig von der Einigung mit den Entsorgungsunternehmen den\nGebuhrenvorschlag anhand der Entscheidung des OLG Neustadt uberprufen konne\nund daß sodann ggfls. dieser Punkt erneut einvernehmlich geregelt werde. Zudem\nhaben sie sich mit rechtlichen Erwagungen zur Auslegung der\nGebuhrenvereinbarung, zu den gesetzlich geschuldeten Gebuhren und zu einer\nihrer Meinung nach bestehenden Unangemessenheit der Honorarvereinbarung im\nVergleich hierzu verteidigt.\n\n25\n\nDas Landgericht hat nach Vernehmung des Zeugen R. sowie des jetzigen Klagers\nzu 2. als Zeugen und Einholung eines Gutachtens des Vorstands der\nRechtsanwaltskammer mit Urteil vom 24.3.1995, auf das auch wegen der weiteren\nEinzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verwiesen wird,\nunter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte verurteilt, an den\nKlager zu 1. und den Widerbeklagten zu 2. (Klager zu 2.) 44.918,77 DM zu\nzahlen. Es hat gemeint, den Klagern standen gesetzliche Gebuhren in dieser\nHohe zu. Soweit die Vereinbarung vom 31.10./2.11.1993 eine weitergehende\nLiquidationsmoglichkeit eroffne, sei diese gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.\n\n26\n\nGegen dieses am 30.3.1995 zugestellte Urteil hat der Klager zu 1\\. mit einem\nam 7.4.1995 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach\nentsprechender Fristverlangerung mit einem am 28.8.1995 eingegangenen\nSchriftsatz begrundet. Im Verlaufe des Berufungsverfahrens ist der Klager zu\n2. dem Rechtsstreit zur Klage beigetreten, nachdem der Senat die Meinung\nvertreten hatte, er und der Klager zu 1. seien notwendige Streitgenossen.\n\n27\n\nMit ihrer Berufung rugen die Klager zunachst, daß die Entscheidung des\nLandgerichts uberraschend gewesen sei, weil es einen Vergleichsvorschlag auf\nZahlung von ursprunglich 1/3 der Honorarforderungen nach Eingang des\nGutachtens auf 550.000 DM erhoht und diesen Vorschlag nach der Beweisaufnahme\nnochmals unterbreitet habe. In der Sache wenden sie sich gegen die Auffassung\ndes Landgerichts zur Sittenwidrigkeit der Honorarvereinbarung. Hierzu tragen\nsie auf den Seiten 3 bis 32 der Berufungsbegrundung (GA 378-405) unter\nBezugnahme auf Urkunden naher zur Art und zum Umfang der Tatigkeit des Klagers\nzu 2. vor und leiten hieraus her, daß kein krasses Mißverhaltnis zwischen\nLeistung und Gegenleistung bestehe. Sie meinen weiter, daß es jedenfalls an\nden subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB fehle, zumal das\nGutachten der Rechtsanwaltskammer - in dem eine Bemessung des\nGegenstandswertes nach den Umsatzen als den gesetzlichen Gebuhren entsprechend\nangenommen worden war - diesen Anknupfungspunkt jedenfalls als vertretbar\nerscheinen lasse. Schließlich wenden sie sich gegen die rechtlichen und\ntatsachlichen Ansatze fur die Berechnung der gesetzlichen Gebuhren durch das\nLandgericht und gegen die Aberkennung der Rechnung vom 1.12.1993.\n\n28\n\nDie Klager beantragen,\n\n29\n\nunter teilweiser Abanderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu\nverurteilen, an sie 770.073,21 DM nebst 4 % Zinsen auf 742.284,06 DM seit dem\n19.11.1993 und auf weitere 27.789,15 DM seit dem 8.12.1993 zu zahlen.\n\n30\n\nDie Beklagte beantragt,\n\n31\n\ndie Berufung zuruckzuweisen.\n\n32\n\nDie Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung ihres\nerstinstanzlichen Vorbringens und bestreitet den Tatsachenvortrag der Klager\nzum Umfang der Tatigkeit des Klagers zu 2\\. mit Nichtwissen. Sie meint, in der\nKostenregelung des Vergleichs liege lediglich eine Erfullungsubernahme, die\nvon den Firmen P. nur an den Klager zu 2. wirksam habe abgetreten werden\nkonnen. In diesem Zusammenhang bestreitet sie, daß zwischen den beiden Klagern\neine Anwaltssozietat bestehe, und macht geltend, daß der Klager zu 1\\. nicht\nmehr aktiv als Anwalt tatig sei und es sich bei der Verbindung der Klager\nlediglich um eine Burogemeinschaft handele. Ferner beruft sie sich darauf, daß\nihr bis zur Aushandigung des Originals der Abtretungsurkunde ein\nLeistungsverweigerungsrecht zustehe und die Kostenregelung in dem Vergleich\ndahingehend auszulegen sei, daß nur die gesetzlichen Gebuhren geschuldet\nseien. Diese seien zumindest Grundlage der Einigung gewesen, so daß eine\nentsprechende Anpassung zu erfolgen habe und auch aus diesem Grund ein uber\ndie Urteilssumme des Landgerichts hinausgehender Anspruch nicht bestehe.\n\n33\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die\nzwischen ihnen gewechselten Schriftsatze und die hierin in Bezug genommenen\nUrkunden verwiesen.\n\n34\n\nE n t s c h e i d u n g s g r u n d e\n\n35\n\nDie Berufung ist in formeller Hinsicht unbedenklich; insbesondere wirkt das\nvon dem Klager zu 1. rechtzeitig eingelegte und ordnungsgemaß begrundete\nRechtsmittel gem. § 62 ZPO auch zugunsten des Klagers zu 2. Beide Klager sind\nals Mitglieder einer Anwaltsgemeinschaft Gesellschafter burgerlichen Rechts\nund machen eine ihnen in ihrer gesamthanderischen Verbundenheit zustehende\nForderung geltend. Damit sind sie notwendige Streitgenossen (vgl. BGH NJW\n1990, 510). Sie unterhalten nicht lediglich ein gemeinsames Buro, sondern sind\nim Rechtsverkehr unter einem gemeinsamen Briefkopf und unter Angabe von\nBankverbindungen, bei denen keine gesonderte Inhaberschaft eines einzelnen\nRechtsanwalts ausgewiesen ist, sowohl gegenuber Mandanten wie auch gegenuber\nder Beklagten als Anwaltssozietat aufgetreten. Bereits anlaßlich des\nAusscheidens aus der M. Kanzlei hat der Klager zu 2. gegenuber Herrn P. jun.\ndie von ihm mit dem Klager zu 1. eingegangene Verbindung als "Sozietat"\nbezeichnet, in der er wiederum der alleinige "Ansprechpartner" fur etwaige\nkunftige Mandate sein werde (GA 420). Auch in der Korrespondenz mit den beiden\nFirmen P. sowie der Firma He. sind die Klager als Rechtsanwalte "... & ..."\naufgetreten. Gleiches gilt im Verhaltnis zu der Beklagten, in dem bereits in\nder Bestellungsanzeige vom 11.10.1993 mit der Formulierung, "wir beraten und\nvertreten die beiden oben genannten Firmen", deutlich gemacht worden ist, daß\nder Klager zu 2. im Rahmen eines einer Sozietat erteilten Mandats handelte.\nAuch nach der hier streitigen Kostenregelung sollte eine Bezahlung an die\n"Rechtsanwalte ... & ..." erfolgen, und die Firmen P. haben wiederum\nKostenerstattungsanspruche nicht etwa an den Klager zu 2., sondern an beide\nKlager abgetreten. Der Umstand, daß der Klager zu 2. in den erteilten\nKostenrechnungen die Konten der Anwaltsgemeinschaft gestrichen und eine\nÜberweisung auf ein Privatkonto begehrt hat, reicht ebensowenig wie die weiter\nvon der Beklagten vorgetragene Tatsache, daß der Klager zu 1. nicht mehr\n"aktiv" tatig sei, aus, um eine Ausnahme von dem Grundsatz rechtfertigen zu\nkonnen, daß ein Mandat, das einem Mitglied einer Anwaltsgemeinschaft\nangetragen ist, regelmaßig als ein solches der Sozietat gilt (vgl. hierzu BGH\nNJW 1994, 257 und NJW 1995, 1841). Es ist eine typische Erscheinungsform einer\nAnwaltssozietat, daß sich ein junger Anwalt und ein solcher, der sich aus dem\nBerufsleben zuruckziehen will, zum Zwecke der gemeinsamen Berufsausubung\nverbinden. Das Begehren auf Überweisung der Kosten auf das Privatkonto des\nKlagers zu 2. kann auf Absprachen im Innenverhaltnis beruhen, die zwar Zweifel\nan der Wirksamkeit der dem Klager zu 1. erteilten Einziehungsermachtigung\nbegrunden konnten, aber fur die Frage, wem eine Forderung im Außenverhaltnis\nzusteht, ohne Bedeutung sind. Auf die Wirksamkeit der Einziehungsermachtigung\nkommt es wiederum nicht mehr an, nachdem nunmehr beide Mitglieder der Sozietat\ndie Anspruche geltend machen.\n\n36\n\nIn der Sache hat das Rechtsmittel weitgehend Erfolg. Den Klagern, mit deren\nVerfahrensruge der Senat sich wegen der Entscheidungsreife des Rechtsstreits\nund der damit bestehenden Sachdienlichkeit einer eigenen Sachentscheidung (§\n540 ZPO) nicht naher zu befassen hat, stehen die geltend gemachten 742.284,06\nDM zu; lediglich wegen der weiteren Kostennote uber 27.789,15 DM ist die\nBerufung nicht begrundet.\n\n37\n\nI.\n\n38\n\nRechtsgrundlage fur den Anspruch der Klager ist ein zwischen den Firmen P. und\nder Firma He. einerseits sowie der Beklagten andererseits am 2.11.1993\nzustande gekommener Vergleich, in dem den Klagern im Wege eines Vertrags\nzugunsten Dritter im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB ein eigenes Forderungsrecht\neingeraumt wurde.\n\n39\n\n1.\n\n40\n\nZwischen den Parteien ist es nicht im Streit, daß zwischen den von den Klagern\nvertretenen Firmen und der Beklagten eine Einigung mit dem sich aus den\nzuruckgefaxten Urkunden ersichtlichen Inhalt zur Beilegung der infolge der\nLiquiditatsprobleme der Beklagten entstandenen Probleme erfolgt ist. Der\nEinwand der Beklagten, die Kostenregelung unter Ziff. V. habe unter dem\nVorbehalt einer weiteren Überprufung gestanden, sei also aufschiebend bedingt\ngewesen, ist schon deswegen unbeachtlich, weil hiervon in den Urkunden nichts\nsteht. In dem mit gekennzeichneten Änderungen zuruckgefaxten ursprunglichen\nAngebotstext der von den Klagern vertretenen Firmen wurde das Ergebnis der\ntelefonischen Verhandlungen schriftlich niedergelegt. Ferner wurde in dem\nBegleitschreiben die getroffene Einigung bestatigt, und die Urkunden dienten\ngerade wegen des Zeitdrucks, unter dem die Verhandlungspartner standen, dazu,\ndie getroffene Einigung und deren Inhalt verbindlich festzulegen. Damit\nhandelt es sich um ein kaufmannisches Bestatigungsschreiben, das auch per Fax\nubermittelt werden kann (vgl. OLG Hamm NJW 1994, 3172), und der Vertragsschluß\ngilt mit dessen Inhalt als zustande gekommen, nachdem die von den Klagern\nvertretenen Firmen, bei denen es sich um Formkaufleute nach § 6 HGB handelt,\nnicht unverzuglich widersprochen, sondern im Gegenteil durch die Klager mit\nderen Schreiben vom 5.11.1993 ausdrucklich deren Richtigkeit bestatigt worden\nist. Der Umstand, daß unmittelbarer Adressat des Faxes ein Rechtsanwalt war,\nsteht dieser Betrachtungsweise jedenfalls dann nicht entgegen, wenn er - wie\nhier - anwaltlicher Vertreter von Handelsgesellschaften war und zudem darum\ngebeten hatte, daß die Gegenpartei das Ergebnis der Verhandlungen durch\nAbanderungen des Textes, der Erorterungsgrundlage gewesen war, schriftlich\nniederlegte und ihm als fur beide Seiten verbindlichen Vertragstext zuleitete,\nalso eine Verfahrensweise abgesprochen war, die kaufmannischen Gepflogenheiten\nentspricht (vgl. zu dieser Problematik Palandt/Heinrichs, BGB. 55. Auflage, §\n148 Rdn. 9).\n\n41\n\nAuch bei einer abweichenden Betrachtungsweise ergabe sich im Ergebnis keine\nandere Beurteilung. Zwar obliegt es auf den Einwand, daß ein Rechtsgeschaft\nunter einer Bedingung geschlossen worden sei, grundsatzlich der anderen\nPartei, deren Unbedingtheit zu beweisen. Diese Grundsatz greift indes hier\nnicht ein; denn der Inhalt der getroffenen Einigung ist in Urkunden\ndokumentiert, welche die Vermutung fur sich haben, daß hierin der Parteiwille\nvollstandig und richtig wiedergeben ist und in denen sich zur Übernahme der\nAnwaltskosten kein irgendwie gearteter Vorbehalt findet.\n\n42\n\nDen ihr obliegenden Beweis fur den telefonisch geaußerten Vorbehalt hat die\nBeklagte bereits aufgrund der Aussage des Zeugen R., die der Senat frei\nwurdigen kann, da das Landgericht sich hiermit nicht befaßt hat, nicht\nerbracht, so daß sich auch die Frage, inwieweit diejenige des Klagers zu 2.\nprozessual verwertbar ist, nicht stellt.\n\n43\n\nZum einen bezieht sich die Aussage des Zeuge R. nur auf den Umsatz als\nBerechnungsmaßstab. Die anderen Punkte, insbesondere die Aufsplittung in\nmehrere Angelegenheiten war - auch nach dem Sachvortrag der Beklagten -\nuberhaupt nicht Diskussionsgegenstand. Es mag sodann weiter zutreffen, daß der\nZeuge erklart hat, er wolle nachsehen oder nachsehen lassen, ob die von dem\nWiderbeklagten zu 2\\. angegebene Entscheidung des OLG Neustadt tragen wurde\noder hergabe, was in der Ziffer V. geschrieben sei. Wenn danach ohne\nirgendwelche Vorbehalte sowie mit einem langeren Begleitschreiben der\nVergleichstext mit genau markierten Änderungen entsprechend den ansonsten in\nden Telefonaten getroffenen Einigungen zuruckgefaxt wurde, konnte und durfte\nder Klager zu 2. dies dahin verstehen, daß eine zwischenzeitlich vorgenommene\nÜberprufung keinen Negativbefund ergeben hatte und der Vorbehalt nicht mehr\ngeltend gemacht wurde. Selbst wenn der Klager zu 2. davon unterrichtet worden\nwar, daß vor dem Telefonat Versuche, die Rechtsabteilung der Beklagten und\nAnwalte zu kontaktieren, fehlgeschlagen waren, konnte er berechtigterweise\ndarauf vertrauen, daß die angekundigte Überprufung zwischenzeitlich erfolgt\nwar, zumal, was die Beklagte nicht in Abrede gestellt hat und auch der Zeuge\nnicht ausschließen kann, das Fax erst abgesandt worden ist, nachdem der\nWiderbeklagte zu 2. ihn in einem weiteren Telefonat hieran erinnert hatte.\n\n44\n\nEntgegen der Auffassung der Beklagten laßt sich auch aus der Aussage des\nKlagers zu 2., die sie sich insoweit zu eigen macht, fur sie Gunstiges nicht\nherleiten. Die Bekundung, der Zeuge R. habe sich dem Sinne nach mit seiner\nÄußerung zum Umsatz als Berechnungsmaßstab einverstanden erklart und habe\ngesagt, wenn dies so sei, solle die Frage der Kosten, die ja ohnehin nicht das\nWesentliche ausmache, nicht die Welt bedeute, so sein, wie es geschrieben sei,\nergibt gerade keinen Vorbehalt. Sie beinhaltet lediglich, daß der Zeuge R. den\nVergleich gerade nicht am Kostenpunkt scheitern lassen und bereits den\nUmstand, daß der Klager zu 2. sich auf die vorher genannten Zitate stutzen\nkonnte, hierfur als ausreichend ansah.\n\n45\n\n2.\n\n46\n\nDie Kostenregelung in dem Vergleich kann entgegen der Meinung der Beklagten\nnicht dahingehend ausgelegt werden, daß sie nur eine Erstattung der\ngesetzlichen Gebuhren ubernommen habe. Es sind hierin losgelost von den\nBemessungsmaßstaben der §§ 7 Abs. 2, 8 BRAGO sowohl zu der Frage, wieviel\nAngelegenheiten abzurechnen sind, wie auch zu dem weiteren Punkt, nach welchen\nMaßstaben fur den Gegenstandswert sich die Berechnung richten soll, genaue\nVorgaben erfolgt. Zudem weisen die Klager mit Recht darauf hin, daß die mit\nder Geltendmachung und Beitreibung der Ruckstande beauftragten Rechtsanwalte\nMu. u.a. - von der Beklagten auch bezahlte - Kosten erstattet bekommen\nsollten, die sie nicht verdient hatten. Sie sollten namlich neben den je nach\ndem Stand der verschiedenen Verfahren angefallenen Kosten jeweils noch eine\n10/10 Vergleichsgebuhr erhalten, obwohl sie an dem Vergleich nicht mitgewirkt\nhatten, also eine Gebuhr nach § 23 BRAGO nicht angefallen war. Zudem hat der\nZeuge R. sich anlaßlich der Telefonate nicht dagegen gewandt, daß von zwei\nAuftraggebern ausgegangen werden sollte und die Gebuhren jeweils gesondert fur\ndie Änderungs- und die Darlehensvertrage in Ansatz gebracht werden sollten,\nobwohl es sich - so auch die Auffassung des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer\nin seinem Gutachten - gebuhrenrechtlich moglicherweise um eine Angelegenheit\nim Sinne der §§ 7 Abs. 2, 13 BRAGO handelte. Der Aussage des Zeugen ist gerade\nnicht zu entnehmen, daß Anknupfungspunkt fur die Kostenregelung die\ngesetzlichen Gebuhren sein sollten. Der nach seiner Darstellung erfolgte\nVorbehalt bezog sich, nachdem er erkannt hatte, daß es um erhebliche\nKostenbetrage ging, nur auf den Bemessungsmaßstab fur die Geschaftsgebuhr bei\nden Änderungsvertragen. Alle anderen Regelungen in dem ihm vorliegenden\nAngebotstext waren nicht Diskussionsgegenstand. Darauf, daß die Beklagte sich\nim Vorfeld mit Fax vom 29.10.1993 nur zur Übernahme von Kosten bereit erklart\nhat, soweit diese "sachlich gerechtfertigt" sind, kommt es nicht an.\nMaßgeblich ist - wie auch bei den ubrigen Punkten des Vergleichs - nicht\nwelche Regelung eine der Parteien ursprunglich getroffen wissen wollte,\nsondern welche letztendlich vereinbart worden ist.\n\n47\n\nEs kann deshalb auch nicht festgestellt werden, daß beide Verhandlungspartner\ndavon ausgingen, die vereinbarte Kostenberechnung werde den gesetzlichen\nGebuhren entsprechen, der Umfang gesetzlicher Vergutungsanspruche mithin\nGeschaftsgrundlage des Vergleichs war. Es kann zwar aus den Grunden des\nangefochtenen Urteils davon ausgegangen werden, daß sich die Übernahme von\nAnwaltskosten im Zweifel nur auf die gesetzlichen Gebuhren bezieht. Ein\nderartiger Fall liegt indes wegen der eindeutigen Bemessungsfaktoren fur den\nUmfang der zu erstattenden Kosten gerade nicht vor.\n\n48\n\nDie aufgefuhrten Besonderheiten fuhren weiter dazu, daß die Kostenregelung in\ndem Vergleich dahingehend auszulegen ist, daß den hierin bezeichneten\nRechtsanwalten ein eigenes Forderungsrecht im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB\nzustehen sollte. Zwar ist bei der Übernahme von Kosten eines von der\nGegenpartei beauftragten Anwalts im Zweifel von einer bloßen\nErfullungsubernahme nach § 329 BGB auszugehen (vgl. z.B. BGH NJW 1973, 1373;\nHeinrichs a.a.O. § 329 Rdn. 5). Hier ist indes zu berucksichtigen, daß die\nRegelung genaue Festlegungen enthalt, und zwar nicht nur zum Umfang der\nKosten, welche die Beklagte tragen sollte, sondern auch dazu, welche\nanwaltlichen Vertreter jeweils Leistungsempfanger sein sollten. Auch deutet\ndie Wortwahl ("zahlt" bzw. "bezahlt") darauf hin, daß mehr als eine bloße\nÜbernahme der Verbindlichkeiten der Firmen P. aus der Beauftragung der\nRechtsanwalte Mu. u.a. sowie der Klager gewollt war. Vor allem ist aber bei\nder Auslegung wieder der Umstand von Bedeutung, daß an die Rechtsanwalte Mu.\nu.a. auch eine Vergleichsgebuhr gezahlt werden sollte, also ihnen eine\nTatigkeit honoriert werden sollte, die sie nicht entfaltet hatten, so daß die\nFirmen P. ihnen insoweit nichts schuldeten. Jedenfalls insoweit enthalt daher\ndie Regelung ein Leistungsversprechen zu Gunsten der Anwalte, so daß es\nnaheliegt, die Vereinbarung insgesamt dahin zu verstehen, daß diejenigen, an\ndie gezahlt werden sollte, Drittbegunstigte sein sollten und ihnen ein eigenes\nForderungsrecht zustehen sollte.\n\n49\n\nDemzufolge steht der Beklagten auch kein Leistungsverweigerungsrecht aus § 410\nAbs. 1 S. 1 BGB zu. Auch geht die von dem Klager zu 2. - erkennbar nur\nvorsorglich - erklarte Abtretung von Anspruchen an den Klager zu 1. ins Leere.\nGlaubiger der Forderung war und ist nicht er selbst, sondern die zwischen ihm\nund dem Klager zu 1. bestehende Gesellschaft burgerlichen Rechts.\n\n50\n\nDer Hohe nach entsprechen die Kostenrechnungen des Klagers zu 2. wiederum -\nwas von der Beklagten nicht bestritten wird - den Vorgaben des Vergleichs.\nEine Überprufung der Kostenrechnungen anhand der Maßstabe des § 3 Abs. 3 BRAGO\nist nicht moglich, da diese Norm - wie auch in dem Gutachten der\nRechtsanwaltskammer zutreffend ausgefuhrt wird - sich nur auf das\nMandatsverhaltnis zwischen Rechtsanwalten und ihren Mandanten bezieht und sich\nnicht auf Vereinbarungen zwischen den Mandanten und einem Dritten erstrecken\nkann, an denen er unter Umstanden - wie hier die Rechtsanwalte Mu. u.a. -\nuberhaupt nicht beteiligt war.\n\n51\n\n3.\n\n52\n\nDie in dem Vergleich getroffene Kostenregelung ist wirksam.\n\n53\n\nEine Nichtigkeit gem. § 138 Abs. 2 BGB scheidet bereits wegen Fehlens der\nsubjektiven Voraussetzungen dieser Norm ersichtlich aus. Auch kann der\nKostenregelung nicht als wucherahnliches Rechtsgeschaft im Sinne des § 138\nAbs. 1 BGB eine Wirksamkeit versagt werden, und zwar auch dann nicht, wenn der\nMeinung des Landgerichts zu folgen ware, daß die gesetzlichen\nVergutungsanspruche sich nur auf 44.918,77 DM belaufen.\n\n54\n\nZweifelhaft ist es bereits, ob die Diskrepanz zwischen diesem Betrag und\ndemjenigen, den die Klager aufgrund der Kostenregelung beanspruchen konnen,\nfur die Feststellung eines groben Mißverhaltnisses zwischen Leistung und\nGegenleistung ausreicht. Es ist zwar nicht zu beanstanden, wenn - wie dies das\nLandgericht getan hat - zu § 3 Abs. 3 BRAGO ergangene Rechtsprechung vom\nRechtsgedanken her mit herangezogen wird. Im Rahmen der gebotenen\nGesamtwurdigung ist aber neben dem Rechtsgedanken des § 3 Abs. 3 BRAGO zur\nBestimmung von Leistung und Gegenleistung auf alle Umstande abzustellen.\nInsoweit kann es auch von Bedeutung sein kann, welche Tatigkeiten der Klager\nzu 2. entfaltet hat, da die gesetzlichen Gebuhren auf den Normalfall\nanwaltlicher Tatigkeit zugeschnitten sind, wobei wiederum, soweit sich hierzu\naus den mit der Berufungsbegrundung vorgelegten Urkunden und unstreitigen\nTatsachen (z. B. Teilnahme an der Besprechung vom 26.10.1993) keine Schlusse\nziehen lassen, wegen des zulassigen Bestreitens der Beklagten ohne weitere\nSachaufklarung Feststellungen nicht treffen lassen. Auch ist der Inhalt des\nVergleichs im ubrigen als einer Vereinbarung zu berucksichtigen, die ein\nWechselspiel zwischen Nachgeben in einem Punkt und dessen Kompensation in\neinem anderen Punkt enthalten kann. Hier ist es aber so, daß die beiden Firmen\nP. sich letztendlich weitgehend auf die von der Beklagten geforderten neuen\nKonditionen eingelassen hatten, also im wesentlichen nachgegeben haben, wie\ndie Beklagte selbst vortragt.\n\n55\n\nVor allem fehlt es an besonderen Umstanden (vgl. hierzu z.B. OLG Hamm NJW-RR\n1995, 1530, 1531), die der Abrede ein sittenwidriges Geprage geben konnen. Der\nKlager zu 2. hat seinerzeit offengelegt, daß er sich zu dem Bemessungsmaßstab\nnur auf ein alteres Werk gestutzt hatte. Dem Zeuge R. wiederum wurde dadurch\ndeutlich gemacht, daß die Quelle moglicherweise nicht dem aktuellen\nMeinungsstand entsprach. Ihm war auch bewußt, daß die auf die Beklagten\nzukommenden Gebuhrenforderungen erheblich sein wurden. Unter\nEntscheidungsdruck standen nicht nur die Beklagte, sondern auch die von den\nKlagern vertretenen Firmen. Wenn die Beklagte sich entschloß, auch in ihrem\neigenen Interesse die als problematisch erkannte Gebuhrenregelung zu\nakzeptieren, war dies ihre eigene Sache. Dem Klager zu 2. kann in diesem\nZusammenhang auch nicht vorgehalten werden, daß er den zweiten Satz bei\nSchmidt/Schmidt a.a.O. Rdn. 90 uber eine abweichende Ansicht nicht mitzitiert\nhat. Zum einen kann aufgrund seiner Aussage nicht festgestellt werden, daß\ndies bewußt geschehen ist. Zum anderen ist zu berucksichtigen, daß das Zitat -\nwie bereits in erster Instanz unstreitig war - auf die Bitte des Zeugen R. hin\nerfolgte, ihm wegen der vorgesehenen Gegenstandswerte "etwas an die Hand zu\ngeben".\n\n56\n\n4.\n\n57\n\nDer Zinsanspruch auf die nach alledem gerechtfertigte Forderung von\n742.283,712 DM ist gem. den §§ 284, 288 BGB ab dem Tag nach Ablauf der in dem\nSchreiben der Klager vom 20.11.1993 gesetzten Frist begrundet, da die Beklagte\nerst hierin wirksam in Verzug gesetzt wurde. Ihr Schreiben vom 19.11.1993\nenthalt keine endgultige Leistungsverweigerung, die eine Mahnung entbehrlich\ngemacht hatte. Vielmehr wird hierin durchaus Verhandlungsbereitschaft\nsignalisiert.\n\n58\n\nII.\n\n59\n\nEin Anspruch aus positiver Forderungsverletzung i. V. m. § 398 BGB wegen der\nweiteren Forderung uber 27.789,15 DM besteht nicht aus den zutreffenden\nGrunden des angefochtenen Urteils, denen der Senat beitritt und auf die\ndeshalb gem. § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird. Erganzend ist lediglich\nanzumerken, daß eine Bewertung der behaupteten Äußerung des Zeugen R.\nanlaßlich des Telefonats vom 19.11.1993 als ernsthafter Versuch einer\nLossagung von der getroffenen Einigung schon deshalb fernliegend war, weil die\nBeklagte in ihrem von dem Zeugen mitunterzeichneten Fax vom gleichen Tag\n(Anlage B 15) hierauf gerade nicht Bezug genommen, sondern nur ihren\nStandpunkt zur Hohe der zu erstattenden Anwaltskosten vertreten hat.\nSpatestens mit Zugang dieses Schreibens hatte es sich fur den Klager zu 2. als\nAnwalt aufdrangen mussen, daß mit der Äußerung, sofern sie gefallen sein\nsollte, lediglich der Zweck verfolgt wurde, ihn zu einem Kompromiß in der nur\nnoch streitigen Kostenfrage zu bewegen. Im ubrigen konnen die Klager\nunabhangig davon, ob die Beteiligung des Klagers zu 2. an dem Rechtsstreit als\nursprunglicher Beklagter der in der Hauptsache erledigten Widerklage im\nKostenpunkt einer Zeugenvernehmung entgegengestanden hatte (vgl. zu dieser\nProblematik Zoller/Greger, ZPO 19. Auflage, § 373 Rdn. 5), in der derzeitigen\nProzeßsituation Beweis fur ihren Vortrag nicht erbringen. Die Voraussetzungen\nfur eine Parteivernehmung des Klagers zu 2. von Amts wegen gem. § 448 ZPO\nliegen ersichtlich nicht vor, weil sich aus der gewechselten Korrespondenz\nkeine Anhaltspunkte fur die Richtigkeit ihres Vortrags ergeben. Die insoweit\nan ihre Mandanten noch am 19.11.1993 gefertigten Schreiben enthalten nur die\nDarstellung des Klagers zu 2., fur deren Richtigkeit aber sonstige Tatsachen\nnicht sprechen.\n\n60\n\nIII.\n\n61\n\nDie Kostenentscheidung beruht wegen der Kosten des Berufungsverfahrens auf §\n92 Abs. 1 ZPO. Bezuglich der in erster Instanz entstandenen Kosten des\nRechtsstreits richtet sich die Kostenquote gem. § 92 Abs. 1 ZPO i. V. m. dem\nim Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 91 a Abs. 1 ZPO anwendbaren\nRechtsgedanken des § 92 Abs. 2 ZPO im Ergebnis ebenfalls nach dem Verhaltnis\ndes Obsiegens zum Unterliegen zur Klage.\n\n62\n\nDie Berufung des Klagers zu 1. erfaßt nach herrschender Meinung (vgl. zum\nMeinungsstand Zoller/Vollkommer a.a.O. § 91 a Rdn. 56), der der Senat in\nstandiger Rechtsprechung folgt, auch die Kostenentscheidung, soweit sie auf §\n91 a ZPO beruht. Aus den vorstehenden Ausfuhrungen folgt wiederum, daß die\nWiderklage nur in einem geringen Umfang Erfolg gehabt hatte. Bezuglich des\nKlagers zu 2\\. hat das Teilunterliegen zur Klage, obwohl die fur ihn gunstige\nKostenentscheidung des Landgerichts von der Beklagten nicht angefochten ist,\ndie Folge, daß es nicht bei der alleinigen Belastung der Beklagten mit dessen\nKosten verbleiben kann. Wegen der Identitat der Streitwerte der Klage und der\nerledigten Widerklage und der relativ geringen Kostenquote von weniger als 4\n%, mit der der Klager zu 2. zur Klage unterlegen ist, war daher bei der\neinheitlich neu zu fassenden Kostenentscheidung, fur die das\nVerschlechterungsverbot des § 536 ZPO nicht gilt, die gleiche Quote wie bei\ndem Klager zu 1. zugrunde zu legen, ohne diese durch einen fiktiven Streitwert\nweiter zu quoteln.\n\n63\n\nDie Entscheidungen uber die vorlaufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§\n708 Nr. 10, 711 ZPO.\n\n64\n\n65\n\n66\n\nBeschwer: fur die Beklagte mehr und fur die Klager weniger als 60.000,00 DM\n\n
312,373
ovgnrw-1996-06-12-16-a-102096
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
16 A 1020/96
1996-06-12
2019-03-13 09:46:06
2020-12-10 13:13:59
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:1996:0612.16A1020.96.00
## Tenor\n\nDie Berufung wird zuruckgewiesen.\n\nDer Klager tragt die Kosten des Berufungsverfahrens, fur das Gerichtskosten\nnicht erhoben werden.\n\nDie Kostenentscheidung ist vorlaufig vollstreckbar. Der Klager darf die\nVollstreckung durch Sicherheitsleistung in Hohe des Vollstreckungsbetrages\nabwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in derselben Hohe\nSicherheit leistet.\n\nDie Revision wird nicht zugelassen.\n\n \n1\n\nTatbestand:\n\n2\n\nDer 1966 geborene Klager begann nach seinem 1986 bestandenen Abitur und dem\nvon Juli 1986 bis Februar 1988 abgeleisteten Zivildienst im April 1988 eine\nAusbildung zum Krankenpfleger, die er im Oktober 1988 abbrach. Er nahm zum\nWintersemester 1990/91 ein Studium der Pharmazie auf. Der Rektor der H. -H.\n-Universitat Dusseldorf - Amt fur Ausbildungsforderung - erkannte mit Bescheid\nvom 12. November 1990 fur diesen Fachrichtungswechsel einen wichtigen Grund\ngemaß § 7 Abs. 3 BAfoG an und bewilligte dem Klager mit Bescheid vom 28.\nDezember 1990 Ausbildungsforderung in Hohe von monatlich 765,-- DM fur den\nBewilligungszeitraum Oktober 1990 bis September 1991. Dieses Pharmaziestudium\nbetrieb der Klager bis zum September 1991.\n\n3\n\nAb August 1991 war er fur drei Jahre als Nachtportier in einem Hotel\nbeschaftigt und studierte vom Wintersemester 1992/93 bis einschließlich\nSommersemester 1995 Informatik an der Fernuniversitat - Gesamthochschule - in\nHagen. In der Zeit vom 13. September 1994 bis zum 23. Mai 1995 wurde der\nKlager in der Tagesklinik der R. Landes- und Hochschulklinik D. , Klinik fur\nPsychosomatische Medizin und Psychotherapie der H. -H. -Universitat,\nbehandelt.\n\n4\n\nMit Schreiben vom 22. Januar 1995 teilte er dem fruheren Beklagten des\nVerfahrens, dem Rektor der H. -H. - Universitat D. - Amt fur\nAusbildungsforderung -, mit, daß er beabsichtige, das Informatikstudium zu\nbeenden, um voraussichtlich zum Wintersemester 1995/96 ein Studium der Sozial-\noder Heilpadagogik aufzunehmen. Ferner beantragte er, gemaß § 46 Abs. 5 BAfoG\ndem Grunde nach vorab zu entscheiden, ob die Forderungsvoraussetzungen fur die\ngeplante Ausbildung gegeben seien, und fuhrte zur Begrundung seines Antrages\naus: Ein Abbruch des Fernstudiums sei aus krankheitsbedingten Grunden\nerforderlich. Die Entscheidung, 1992 das Fernstudium zu beginnen, sei aus\nGrunden erfolgt, die zumindest teilweise auf seine Krankheit zuruckzufuhren\nseien. Nach der psychotherapeutischen Behandlung sei fur seine weitere\nEntwicklung notwendig, an einer Prasenzuniversitat zu studieren. Auch die\nbereits erfolgten Ausbildungsabbruche standen in Zusammenhang mit seinem\nKrankheitsbild. Zur Begrundung seines Begehrens legte der Klager eine von\nHerrn Dr. med. M. L. unterzeichnete arztliche Bescheinigung der R. Landes- und\nHochschulklinik vom 22\\. Marz 1995 vor.\n\n5\n\nDer Rektor der H. -H. -Universitat D. lehnte mit Bescheid vom 4. April 1995\nmangels eines wichtigen Grundes im Sinne des § 7 Abs. 3 BAfoG ab, dem Klager\nnach einem Fachrichtungswechsel Forderung fur eine andere Ausbildung zu\ngewahren. Jeder Auszubildende musse sich innerhalb einer angemessenen Zeit die\nFrage stellen, ob er fur das gewahlte Studium geeignet sei bzw. ob es seinen\nNeigungen und Interessen entspreche. Die hierzu vom Gesetzgeber eingeraumte\nOrientierungsphase umfasse ein bis maximal zwei Semester. Diese\nOrientierungsphase habe der Klager bei weitem uberschritten. Der Wechsel sei\nerst nach insgesamt sechs Semestern erfolgt, ohne daß eine Semesteranrechnung\nerfolgen konne. Die von ihm vorgetragenen Grunde konnten nicht als wichtig im\nSinne des § 7 Abs. 3 BAfoG anerkannt werden.\n\n6\n\nDer Klager widersprach dem zuvor erwahnten Bescheid und berief sich darauf,\ndaß seine Erkrankung in ursachlichem Zusammenhang mit der Entscheidung fur das\nInformatikstudium an der Fernuniversitat und der Entscheidung gegen dieses\nStudium stehe. Innerhalb der Orientierungsphase von zwei Semestern habe er\nnicht uberblicken konnen, daß dieses Studium nicht seinen Neigungen\nentsprochen habe und sogar Ausdruck seiner Erkrankung gewesen sei, die ihn in\ndie Isolation eines Fernstudiums getrieben habe. Erst im Rahmen der\npsychotherapeutischen Behandlung habe er erkannt, aus welchen Grunden er das\nInformatikstudium begonnen habe. Zur weiteren Begrundung seines Widerspruches\nlegte der Klager noch eine ebenfalls von Herrn Dr. med. M. L. bach\nunterzeichnete arztliche Bescheinigung der R. Landes- und Hochschulklinik D.\nvom 21. April 1995 vor.\n\n7\n\nDas Landesamt fur Ausbildungsforderung Nordrhein-Westfalen wies den\nWiderspruch mit Bescheid vom 26. Juni 1995 als unbegrundet zuruck und fuhrte\nim wesentlichen aus: Aus den vorliegenden arztlichen Bescheinigungen werde\nauch deutlich, daß der Klager fur das Studium der Informatik nicht ungeeignet\nsei. Dieser Studiengang habe lediglich eine nachgeordnete Praferenz erhalten.\nNach einer Studiendauer von insgesamt acht Semestern konne in diesem Umstand\njedoch kein ausreichend wichtiger Grund gesehen werden. Zwar moge es\nmedizinisch sinnvoll sein, daß der Klager an eine Prasenzhochschule und in den\nStudiengang Sozial- oder Heilpadagogik wechsele, aber forderungsrechtlich\nkonne dieser Gesichtspunkt keine Berucksichtigung finden.\n\n8\n\nDer Klager, der seit dem Wintersemester 1995/96 an der Universitat zu Koln\nPadagogik studiert, hat zur Begrundung seiner zunachst gegen den Rektor der H.\n-H. - Universitat D. - Amt fur Ausbildungsforderung - erhobenen Klage\nerganzend vorgetragen: Er habe den Studiengang der Pharmazie abgebrochen, weil\ner schon im Verlauf des ersten und zweiten Semesters festgestellt habe, daß er\ndieses Studium unter Berucksichtigung von dessen Rahmenbedingungen und seiner\nNeigungen nicht habe fortfuhren konnen. Da er die Rahmenbedingungen eines\nPrasenzstudiums fur den Abbruch als ursachlich angesehen habe, sei er davon\nausgegangen, durch die fehlende Notwendigkeit der Prasenz bei einem\nFernstudium dessen inhaltliche Schwierigkeiten besser uberwinden zu konnen.\nZudem habe sich das Fernstudium relativ gut mit seiner Nebentatigkeit als\nNachtportier eines Hotels vereinbaren lassen. Schon im Verlaufe des vierten\nFachsemesters sei die gesundheitliche Situation fur ihn bedrangender geworden,\nund er habe sich wegen einer psychotherapeutischen Behandlung in eine\nTagesklinik begeben. Im Verlaufe der Therapie habe sich herausgestellt, daß er\nwahrend des gesamten Zeitraumes seines bisherigen Ausbildungsweges einen\ngeraden Weg in die Isolation gegangen sei. Er habe sich nahezu vollstandig von\nseiner Umgebung abgeschottet und auch hinsichtlich seiner Ausbildung die\nentsprechenden Mechanismen entwickelt. Seine nebenberufliche Tatigkeit habe\ndiese Isolationstendenz erganzt. Er sei zu der Überzeugung gelangt, daß er den\nStudiengang Informatik nicht wegen seiner Neigungen, sondern im Hinblick auf\ndie besonderen Bedingungen eines Fernstudiums gewahlt habe. Er sei im dritten\nund vierten Semester aus gesundheitlichen Grunden nur eingeschrankt in der\nLage gewesen, diesem Studium nachzugehen. Vom Ende des vierten Semesters an\nbis zum sechsten Semester sei ihm ein Studium wegen des Aufenthaltes in der\nTagesklinik nicht moglich gewesen. Auch sei er bei der Überprufung seiner\nNeigungen schließlich zu dem Ergebnis gelangt, daß der padagogische\nTatigkeitsbereich, den er wahrend seines Zivildienstes kennengelernt habe, ihm\nliege und er sich mit einer entsprechenden beruflichen Tatigkeit\nidentifizieren konne. Der erst nach Abschluß einer psychotherapeutischen\nBehandlung von ihm festgestellte Neigungsschwerpunkt und die aus\ntherapeutischen Grunden festgestellte Notwendigkeit zur Abanderung seiner\nsozialen Bedingungen zeigten sowohl die Ernsthaftigkeit seines Verlangens als\nauch die Notwendigkeit eines Fachrichtungswechsels.\n\n9\n\nDer Klager hat in der mundlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die\nKlage auf den Rektor der Universitat zu Koln umgestellt.\n\n10\n\nDer Klager hat beantragt,\n\n11\n\nden Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Rektors der H. - H.\n-Universitat D. vom 4\\. April 1995 und des Widerspruchsbescheides des\nLandesamtes fur Ausbildungsforderung Nordrhein- Westfalen vom 26. Juni 1995 zu\nverpflichten, ihm fur das Studium der Padagogik an der Universitat zu Koln\nAusbildungsforderung nach dem Bundesausbildungsforderungsgesetz dem Grunde\nnach zu bewilligen.\n\n12\n\nDer Beklagte hat beantragt,\n\n13\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n14\n\nDas Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil abgewiesen.\n\n15\n\nZur Begrundung seiner Berufung vertieft der Klager sein bisheriges Vorbringen,\ndaß seine psychische Erkrankung und der dadurch bedingte Fluchtmechanismus\nursachlich fur den Abbruch des Pharmaziestudiums und fur die Wahl des\nInformatikstudiums an der Fernuniversitat - Gesamthochschule - in Hagen\ngewesen seien. Entgegen den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils habe\ner auch rechtzeitig die erforderlichen Konsequenzen gezogen. Die Anfrage im\nJanuar 1995 sei auf Empfehlung eines Sozialarbeiters erfolgt. Grund fur die\nAnfrage sei nicht die Erkenntnis gewesen, daß ein Fachrichtungswechsel\nnotwendig sei, sondern eine vom Sozialarbeiter beabsichtigte Abklarung seiner\nPerspektiven. Personlich sei ihm eine derartige Entscheidung wegen des noch\nnicht weit genug fortgeschrittenen Heilungsprozesses im Januar 1995 noch nicht\nmoglich gewesen. Erst bei Beendigung des Aufenthaltes in der Tagesklinik im\nMai 1995 konne davon ausgegangen werden, daß er zu einer entsprechenden\nEntscheidungsfindung in der Lage gewesen sei. Dem stehe nicht die Begrundung\nseines Forderungsantrages vom Januar 1995 entgegen. Es ergebe sich aus der\nNatur der Sache, daß die Begrundung in einer entsprechenden Weise habe\ndargestellt werden mussen. Ein Fortschritt seines gesundheitlichen Zustandes\nwerde erst durch die Bescheinigung vom 22. Marz 1995 erkennbar. Dennoch habe\nzu diesem Zeitpunkt nur die Moglichkeit eines Abbruchs des Informatikstudiums\nin Erwagung gezogen werden konnen. Erst Ende Mai/Anfang Juni 1995 habe er sich\ndafur entschieden, die laufende Ausbildung abzubrechen und den nunmehr\neingeschlagenen Ausbildungsweg aufzunehmen. Daß er sich nicht unmittelbar nach\ndieser Entscheidung exmatrikuliert habe, liege daran, daß er davon uberzeugt\ngewesen sei, daß eine Exmatrikulation nur zum Semesterende moglich sei. Im\nubrigen habe der Ruckmeldetermin angestanden und eine unterlassene Ruckmeldung\nsei fur ihn automatisch mit einer Exmatrikulation verbunden gewesen. Die\nTatsache, daß er nicht umgehend eine Exmatrikulation eingeleitet habe, stehe\ndem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, daß die Entscheidung zu\neinem Studienabbruch sofort umgesetzt werden musse, nicht entgegen. Sinn und\nZweck dieser Rechtsprechung sei es, einerseits eine unnotige Belegung von\nAusbildungskapazitaten zu verhindern, andererseits solle aber auch ein\nobjektiv nachvollziehbarer Zeitpunkt zu erkennen sein, der die subjektive\nEbene eines Fachrichtungswechsels fur Dritte bestimmbar bzw. nachprufbar\nmache. Dieser Zweck sei vorliegend erfullt. Er habe sich kurze Zeit nach\nseinem Entschluß fur einen Fachrichtungswechsel um einen entsprechenden neuen\nStudienplatz beworben. Zum Zeitpunkt seiner Entscheidung habe der freiwerdende\nStudienplatz auch nicht mehr anderen Bewerbern sinnvoll zur Verfugung gestellt\nwerden konnen. Im ubrigen sei fraglich, ob er Ausbildungskapazitaten unnotig\nin Anspruch genommen habe. Schließlich habe es sich bei seinem\nInformatikstudium um ein Fernstudium gehandelt. Im ubrigen hat der Klager eine\nwiederum von Herrn Dr. med. M. L. bach unterzeichnete arztliche Bescheinigung\nvom 30. April 1996 vorgelegt.\n\n16\n\nDer Klager beantragt,\n\n17\n\ndas angefochtene Urteil zu andern und nach seinem erstinstanzlich gestellten\nKlageantrag zu erkennen.\n\n18\n\nDer Beklagte beantragt,\n\n19\n\ndie Berufung zuruckzuweisen.\n\n20\n\nDie Fernuniversitat - Gesamthochschule - in Hagen hat dem Senat die Auskunft\nerteilt, daß die Ruckmeldung fur das Sommersemester 1995 bis spatestens zum\n15. Januar 1995 erfolgen mußte. Eine Exmatrikulation fur dieses Semester sei\ndanach noch jederzeit, insbesondere noch am 21. April 1995 (Datum des\narztlichen Gutachtens der R. Landes- und Hochschulklinik D. , das im Rahmen\ndes Widerspruchsverfahrens vorgelegt worden ist) moglich gewesen.\n\n21\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den\nInhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgange Bezug\ngenommen. Entscheidungsgrunde :\n\n22\n\nDie Berufung wird zuruckgewiesen; denn sie ist unbegrundet.\n\n23\n\nDas Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil zu Recht\nabgewiesen. Der Klager hat keinen Anspruch auf Gewahrung von\nAusbildungsforderung fur sein zum Wintersemester 1995/96 an der Universitat zu\nKoln aufgenommenes Padagogikstudium.\n\n24\n\nEr erfullt nicht die Forderungsvoraussetzungen gemaß § 7 Abs. 3 BAfoG. Nach\nSatz 1 dieser Vorschrift wird bei einem Abbruch der Ausbildung oder einem\nWechsel der Fachrichtung Ausbildungsforderung fur eine andere Ausbildung (nur)\ngeleistet, wenn der Abbruch bzw. der Wechsel auf einem wichtigen Grund beruht.\nEs bedarf keiner weiteren Darlegung, daß der Klager mit der Aufnahme des\nPadagogikstudiums die Fachrichtung gewechselt hat.\n\n25\n\nFur die Entscheidung der Frage, ob ein wichtiger Grund im Sinne von § 7 Abs. 3\nBAfoG vorliegt, ist danach zu fragen, ob unter Berucksichtigung der im Rahmen\nder Ausbildungsforderung erheblichen Umstande, die sowohl durch die am Ziel\nund Zweck der Ausbildungsforderung orientierten offentlichen Interessen als\nauch durch die Interessen des Auszubildenden bestimmt werden, dem\nAuszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nicht mehr zumutbar\nist (vgl. dazu die standige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,\nunter anderem Urteil vom 22. Marz 1995 - 11 C 18.94 -, Buchholz 436.36 § 7\nBAfoG Nr. 113 = FamRZ 1995, 1031, mit Hinweis auf die bisherige\nRechtsprechung).\n\n26\n\nDanach kommt zugunsten des Klagers als wichtiger Grund fur einen\nFachrichtungswechsel zum einen ein ernstzunehmender Neigungswandel in\nBetracht, fur den kennzeichnend ist, daß der Auszubildende sich wahrend der\nbisherigen Ausbildung klar daruber wird, nicht die bisherige, sondern eine\nandere Ausbildung entspreche seiner Neigung. Zum anderen kann ein wichtiger\nGrund im Sinne der in Rede stehenden Norm aber auch die fehlende (psychische)\nEignung fur eine zunachst gewahlte Ausbildung sein. Orientiert an dem\nGrundsatz des § 1 BAfoG, dem Auszubildenden eine seiner Neigung, Eignung und\nLeistung entsprechende Ausbildung zu gewahren, sind fur die Beurteilung der\nFrage, ob ein wichtiger Grund fur einen Fachrichtungswechsel vorliegt, im\nBereich der Interessen des Auszubildenden Umstande zu berucksichtigen, die an\nseine Neigung, Eignung und Leistung anknupfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.\nMarz 1995, a.a.O., mit weiteren Nachweisen).\n\n27\n\nAber sowohl ein Neigungswandel wie auch ein Eignungsmangel, die fur den vom\nKlager vollzogenen Fachrichtungswechsel vom Informatik- zum Padagogikstudium\nin Betracht zu ziehen sind, konnen gleichwohl nur dann zugunsten des\nAuszubildenden ins Gewicht fallen, wenn dieser sich rechtzeitig Gewißheit uber\nseine Neigung bzw. Eignung fur die gewahlte Ausbildung verschafft und danach\nunverzuglich diese Ausbildung beendet. Nach der standigen Rechtsprechung des\nBundesverwaltungsgerichts wird dem Auszubildenden entsprechend seinem\nAusbildungsstand und Erkenntnisvermogen zugemutet, den Grunden, die einer\nFortsetzung der bisherigen Ausbildung entgegenstehen, rechtzeitig zu begegnen\n(vgl. BVerwG, unter anderem Urteil vom 21. Juni 1990 - 5 C 45.87 -, NVwZ 1990,\n1168, = FamRZ 1991, 119, mit weiteren Nachweisen). Sobald der Auszubildende\nsich Gewißheit uber die fehlende Neigung bzw. Eignung fur das bisher gewahlte\nFach verschafft hat, muß er deshalb, damit ein wichtiger Grund im Sinne des §\n7 Abs. 3 BAfoG bejaht werden kann, unverzuglich, das heißt ohne schuldhaftes\nZogern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), die erforderlichen Konsequenzen ziehen\nund die bisherige Ausbildung abbrechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1990,\na.a.O.). Diese Verpflichtung ergibt sich aus den Anforderungen selbst, die an\ndas Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 7 Abs. 3 BAfoG zu stellen\nsind; dazu gehort auch die Pflicht des Auszubildenden, seine Ausbildung\numsichtig zu planen und zielstrebig durchzufuhren (vgl. BVerwG, Urteile vom\n10\\. Februar 1983 - 5 C 94.80 -, Buchholz 436.36 § 7 BAfoG Nr. 33, vom 15. Mai\n1986 - 5 C 138.83 -, Buchholz 436.36 § 7 BAfoG Nr. 55, sowie vom 21. Juni\n1990, a.a.O.). Die Verpflichtung zu einer verantwortungsbewußten\nAusbildungsplanung gilt fur Auszubildende sowohl an einer Prasenz- als auch an\neiner Fernuniversitat. Ob der Auszubildende seiner Verpflichtung zu\nunverzuglichem Handeln entsprochen hat, beurteilt sich dabei nicht allein nach\nobjektiven Umstanden. Es ist vielmehr auch in subjektiver Hinsicht zu prufen,\nob ein etwaiges Unterlassen notwendiger Maßnahmen dem Auszubildenden\nvorwerfbar ist und ihn damit ein Verschulden trifft oder ob ein solches\nUnterlassen durch ausbildungsbezogene Umstande gerechtfertigt ist (vgl.\nzusammenfassend zu dieser Frage BVerwG, Urteil vom 21\\. Juni 1990, a.a.O. mit\nweiteren Nachweisen).\n\n28\n\nAn einem rechtzeitigen Abbruch des an der Fernuniversitat \\- Gesamthochschule\n- in Hagen zunachst betriebenen Informatikstudiums fehlt es jedoch, da der\nKlager sich aus diesem Studium erst zum Ende des Sommersemesters 1995\nexmatrikulieren ließ, obgleich er den Entschluß zur Aufgabe dieses Studiums\nbereits vor bzw. unmittelbar zu Beginn dieses Semesters gefaßt hatte. Mit\nErfolg kann der Klager in diesem Zusammenhang nicht geltend machen, daß er,\nwie auch Herr Dr. med. M. L. bach in seinem Attest vom 30. April 1996\nausgefuhrt habe, aufgrund seiner psychischen Erkrankung erst wahrend des\nSommersemesters 1995 in der Lage gewesen sei, ihm zurechenbare Entscheidungen\nuber seine Ausbildung zu treffen, und es zu diesem Zeitpunkt fur eine\nExmatrikulation zu spat gewesen sei. Zum einen hat Herr Dr. med. M. L. bach in\ndem zuvor erwahnten Attest nur einen ungefahren Zeitpunkt angegeben ("... etwa\nim Mai 1995"). Zum anderen heißt es in der wahrend des Verwaltungsverfahrens\nvorgelegten und von Herrn Dr. med. M. L. bach ebenfalls unterzeichneten\nBescheinigung vom 22. Marz 1995, es sei sehr wahrscheinlich, daß der Klager in\nden ersten beiden Semestern des Studiums (d.h. im Wintersemester 1992/93 und\nim Sommersemester 1993) aus Grunden seiner psychischen Verfassung nicht in der\nLage gewesen sei zu entscheiden, ob dieses Studium (gemeint ist das\nInformatikstudium) fur ihn geeignet war. Mittlerweile sei der Klager unter den\nErfahrungen der Überwindung einer psychischen Erkrankung befahigt,... zu\nerkennen, daß ein Studienplatzwechsel seinen Neigungen und Fahigkeiten\nerheblich besser gerecht werde als eine Fortsetzung seines damaligen Studiums.\nAber selbst wenn man zugunsten des Klagers aufgrund seiner Erkrankung davon\nausgeht, daß er trotz der Stellung des von ihm unterschriebenen Antrages vom\n22. Januar 1995, in dem die Grunde fur den beabsichtigten Fachrichtungswechsel\ndargelegt werden, und der zuvor erwahnten arztlichen Bescheinigung vom 22.\nMarz 1995 im Januar 1995 noch nicht in der Lage war, ihm zurechenbare\nEntscheidungen uber seinen Ausbildungsweg zu treffen, so ist dennoch davon\nauszugehen, daß er eine solche Entscheidung spatestens bei Einlegung seines\nWiderspruches vom 18. April 1995 gegen den ablehnenden Bescheid des Rektors\nder H. -H. -Universitat D. vom 4. April 1995 hat treffen konnen. Spatestens zu\ndiesem Zeitpunkt - wenn nicht schon fruher - hatte der Klager erkannt, daß das\nInformatikstudium an der Fernuniversitat fur ihn nicht mehr in Betracht kam.\nDies wird belegt durch das zur Begrundung des Widerspruches vorgelegte und\ngleichfalls von Herrn. Dr. med. M. L. bach unterzeichnete Gutachten vom 21.\nApril 1995. Er fuhrt darin aus, daß sowohl die Entscheidung fur das\nFernstudium der Informatik als auch die Fortsetzung dieses Studiums als\nkrankheitsbeeinflußt erscheinen und der Klager unter dem Eindruck der\nsymptomatischen Besserung und der damit verbundenen Einsicht in die\nWichtigkeit sozialer Kontakte und eines seinen Neigungen besser entsprechenden\nStudiengangs nunmehr zu der Einsicht gelangt sei, an eine Prasenzuniversitat\nzu wechseln und dort zu studieren. Im Hinblick auf seinen bisherigen\nAusbildungsgang und auf die bei ihm spatestens seit April 1995 vorhandene\nErkenntnis, daß das Fernstudium der Informatik fur ihn nicht mehr in Betracht\nkommt, ware es fur den Klager auch unter Berucksichtigung des\nverfassungsrechtlichen Verhaltnismaßigkeitsgrundsatzes (vgl. insoweit BVerfG,\nBeschluß vom 3. Juli 1985 - 1 BvR 1428/82 -, BVerfGE 70, 230, = NVwZ 1985,\n731, = FamRZ 1985, 895) zumutbar gewesen, sich noch im April 1995 fur das\nSommersemester 1995 exmatrikulieren zu lassen. Nach Auskunft der\nFernuniversitat - Gesamthochschule - in Hagen ware eine Exmatrikulation zu\ndiesem Zeitpunkt trotz der zum 15. Januar 1995 abgelaufenen Ruckmeldefrist\ndurchaus moglich gewesen.\n\n29\n\nBei dieser Sach- und Rechtslage konnen die Fragen offenbleiben, ob ein den\nFachrichtungswechsel rechtfertigender Neigungswandel oder Eignungsmangel des\nKlagers schon deshalb zu verneinen ist, weil fur ihn moglicherweise\n(lediglich) ein Studium an einer Fernuniversitat nicht mehr in Betracht kommt,\nund ob auch der Fachrichtungswechsel von dem Pharmazie- zu dem\nInformatikstudium auf einem wichtigen Grund beruht hat (vgl. zu der\nProblematik eines mehrfachen Fachrichtungswechsels unter anderem Blanke in\nRothe/Blanke, Bundesausbildungsforderungsgesetz, Loseblattkommentar, 5\\.\nAuflage. Stand: August 1992, § 7 Rn. 40.4).\n\n30\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO. Die\nEntscheidung uber deren vorlaufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in\nVerbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.\n\n31\n\nDer Senat laßt die Revision nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs.\n2 VwGO nicht vorliegen.\n\n32\n\n
312,409
olgk-1996-05-29-27-u-696
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
27 U 6/96
1996-05-29
2019-03-13 09:46:59
2020-12-10 13:14:04
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1996:0529.27U6.96.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**T a t b e s t a n d**\n\n2\n\nDer Beklagte verschuldete am 31. August 1992 mit seinem Pkw, amtliches\nKennzeichen ........, einen Verkehrsunfall, bei dem der Pkw mit dem amtlichen\nKennzeichen .......eines Herrn D. beschadigt wurde. Mit Anwaltsschreiben vom\n2. September 1992 an die G. Versicherungsbank VVaG, bei der das Fahrzeug des\nBeklagten haftpflichtversichert war, meldete Herr D. Schadensersatzanspruche\nunter Hinweis auf das Bestehen einer Vollkaskoversicherung bei der Klagerin\nmit einer Selbstbeteiligung von 300,-- DM an. Nachdem sie den Schaden des\nHerrn D. in Hohe von 13.500,-- DM reguliert hatte, teilte die G. Versicherung\ndem Beklagten unter dem 7. Dezember 1992 mit, fur den Unfallschaden vom 31.\nAugust 1992 bestehe kein Versicherungsschutz, weil der Erstbeitrag zur\nEinlosung des Versicherungsscheins trotz Aufforderung nicht fristgemaß gezahlt\nworden sei. Mit Schreiben vom 9. Mai 1994 unterrichtete sie die Klagerin von\nihrer Zahlung an Herrn D. und forderte diese unter Berufung auf ein zwischen\nden Versicherern getroffenes Teilungsabkommen auf, ihr die Entschadigungssumme\nabzuglich des Selbstbehalts zu erstatten. Daraufhin uberwies ihr die Klagerin\nam 27\\. Juni 1994 den Betrag von 13.200,-- DM.\n\n3\n\nDie Klagerin nimmt den Beklagten auf Zahlung der Erstattungssumme in Anspruch.\n\n4\n\nSie hat behauptet, der Beklagte habe die Erstpramie an seinen\nHaftpflichtversicherer nicht entrichtet, und den Standpunkt eingenommen, die\nG. Versicherung habe ihm den Versicherungsschutz daher mit Recht versagt. Die\nvorherige Zahlung an Herrn D. habe die G. Versicherung offenbar in Unkenntnis\ndieser Moglichkeit geleistet. Die G. Versicherung habe gegen den Beklagten\neinen Regreßanspruch erlangt, der durch die nach dem Teilungsabkommen\ngeleistete Zahlung gemaß § 67 des Versicherungsvertragsgesetzes auf sie - die\nKlagerin - ubergegangen sei. Daruber hinaus schulde ihr der Beklagte die\nKlagesumme aus dem Rechtsgrund der ungerechtfertigten Bereicherung.\n\n5\n\nMit Schriftsatz vom 7. November 1995 hat die Klagerin die Klageforderung\nhilfsweise auf abgetretenes Recht gestutzt und sich dazu auf ein Schreiben der\nG. Versicherungsbank vom 10. Oktober 1995 berufen, in welchem diese erklart,\nsie trete einen "Regreßanspruch gem. § 38 II VVG" gegen den Beklagten in Hohe\nvon 13.200,-- DM an die Klagerin ab (Bl. 70 GA).\n\n6\n\nDie Klagerin hat beantragt,\n\n7\n\nden Beklagten zu verurteilen, an sie 13.200,-- DM nebst 4 % Zinsen seit\nZustellung des Mahnbescheids vom 23\\. Februar 1995 sowie 30,-- DM\nvorgerichtliche Kosten zu zahlen.\n\n8\n\nDer Beklagte hat beantragt,\n\n9\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n10\n\nEr hat behauptet, die unpunktliche Zahlung der Erstpramie beruhe auf einem\nVersaumnis seines Haftpflichtversicherers, der trotz einer ihm\nvereinbarungsgemaß erteilten Einzugsermachtigung die Entrichtung des\nVersicherungsbeitrags angemahnt habe. Nach Rucksprache mit dem zustandigen\nSachbearbeiter der G. Versicherung, der die Einzugsermachtigung nicht habe\nfinden konnen, habe er - der Beklagte - die Pramie an den Versicherer\nuberwiesen. Zwei Tage nach der Kontoabbuchung habe die G. Versicherung\naufgrund der nunmehr aufgefundenen Einzugsermachtigung einen Abbuchungsversuch\nunternommen, der jedoch fehlgeschlagen sei, weil sein Konto wegen der\nvorherigen Überweisung der Versicherungspramie keine ausreichende Deckung\naufgewiesen habe. Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die G.\nVersicherung sei ihm gegenuber nicht leistungsfrei geworden. Die Klagerin\nihrerseits habe ohne Rechtspflicht an die G. Versicherung gezahlt und daher\nweder einen gesetzlichen Forderungsubergang bewirkt noch einen\nBereicherungsanspruch gegen ihn erlangt. Etwaige Regreßanspruche seines\nHaftpflichtversicherers seien ohnehin langst verjahrt.\n\n11\n\nDas Landgericht hat unter Abweisung der Klage im ubrigen den Beklagten zur\nZahlung von 13.200,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 28\\. Februar 1995 an die\nKlagerin verurteilt. Zur Begrundung hat es ausgefuhrt, durch die Zahlung der\nG. Versicherung an Herrn D. sei dessen Ersatzanspruch nach § 67 VVG auf den\nHaftpflichtversicherer ubergegangen. Die Erstattung durch die Klagerin habe\nwiederum - moglicherweise gemaß § 67 VVG, jedenfalls aber aufgrund einer\nkonkludenten Abtretung durch die G. Versicherung - zu einem Forderungsubergang\nauf die Klagerin gefuhrt. Ob der Beklagte gegenuber der G. Versicherung die\nVerjahrungseinrede erheben konne, sei unerheblich. Da er gegen seinen\nHaftpflichtversicherer keinen Deckungsprozeß gefuhrt habe, konne er sich wegen\nder Regelung in § 12 Abs. 3 VVG auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß ihm\nder Versicherungsschutz zu Unrecht versagt worden sei.\n\n12\n\nDer Beklagte hat gegen das ihm am 5. Dezember 1995 zugestellte Urteil am 5.\nJanuar 1996 Berufung eingelegt, die er mit am 5. Februar 1996 eingegangenem\nSchriftsatz begrundet hat.\n\n13\n\nEr macht geltend, die Klageforderung sei unter keinem rechtlichen\nGesichtspunkt begrundet. Eine Befreiung des Herrn D. von\nRuckzahlungsanspruchen der G. Versicherung durch die Klagerin scheide aus,\nweil die Schadensersatzleistung der G. Versicherung mit Rechtsgrund erfolgt\nsei. Die Anspruche des Herrn D. gegen ihn seien auch dann nicht auf die G.\nVersicherung ubergegangen, wenn diese trotz eines - ihr dann auch bekannt\ngewesenen - Verweisungsprivilegs an D. gezahlt habe. Da D. nicht\nVersicherungsnehmer der G. Versicherung sei, komme ein Übergang von Anspruchen\ngegen ihn - den Beklagten - gemaß § 67 VVG auf seinen Haftpflichtversicherer\nnicht in Betracht. Die Zahlung der Klagerin an die G. Versicherung bedeute\ndaher auch eine Befreiung von einer Verbindlichkeit. Fur eine konkludente\nAbtretung etwaiger Regreßanspruche der G. Versicherung gegen ihn bestunden\nkeine Anhaltspunkte. Im ubrigen waren auch abgetretene Forderungen inzwischen\nverjahrt.\n\n14\n\nDer Beklagte beantragt,\n\n15\n\ndie Klage unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Koln vom 14. November\n1995 - 27 0 204/95 - abzuweisen.\n\n16\n\nDie Klagerin beantragt,\n\n17\n\ndie gegnerische Berufung kostenpflichtig zuruckzuweisen.\n\n18\n\nSie vertritt die Ansicht, die G. Versicherung sei, sofern die Zahlung an den\nUnfallgeschadigten Herrn D. nicht zu einem gesetzlichen Forderungsubergang\nnach § 158 f VVG gefuhrt habe, berechtigt gewesen, nach den allgemeinen Regeln\nuber die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschaftsfuhrung ohne Auftrag\ngegen den Beklagten Regreß zu nehmen. Fur diese Anspruche gelte die\nregelmaßige Verjahrungsfrist des § 195 BGB.\n\n19\n\nWegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den\nvorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsatze Bezug\ngenommen.\n\n20\n\nE n t s c h e i d u n g s g r u n d e\n\n21\n\nDie Berufung ist zulassig und hat auch in der Sache Erfolg.\n\n22\n\nDer Klagerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen den Beklagten\nunter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.\n\n23\n\nI.\n\n24\n\nDie Klagerin hat keine Forderung aus eigenem Recht.\n\n25\n\n1.\n\n26\n\nEin originarer Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) ist\nnicht entstanden. In diesem Zusammenhang bedarf keiner Entscheidung, ob der\nBeklagte durch die Zahlung der Klagerin an die G. Versicherung von einer\nmoglichen Regreßpflicht gegenuber seinem Haftpflichtversicherer befreit worden\nist. Jedenfalls hat die Klagerin mit der von ihr beabsichtigten Erfullung\neiner eigenen Zahlungspflicht aus dem Teilungsabkommen eine Leistung an die G.\nVersicherung erbracht. Nach § 1 Nr. 2 Abs. 2 des Teilungsabkommens hat der\nKaskoversicherer einem leistungsfreien Haftpflichtversicherer, der trotz eines\nbestehenden Verweisungsprivilegs den Fahrzeugschaden reguliert und den\nGeschadigten nicht an seinen Kaskoversicherer verwiesen hat, die\nbedingungsgemaß zu erbringenden Leistungen zu erstatten, sofern der\nHaftpflichtversicherer bis zum Zeitpunkt der Regreßanmeldung\nVersicherungsschutz versagt hat. Wenn aber der Leistende gegenuber dem\nEmpfanger - wie hier die Klagerin gegenuber der G. Versicherung \\- eine eigene\nSchuld erfullt und erfullen will, kommt ein Bereicherungsanspruch gegen einen\nDritten wegen der Befreiung von einer Verbindlichkeit nur in Betracht, sofern\ndie Leistung mindestens auch fur diesen erbracht werden sollte (BGH NJW 1964,\n1899; 1978, 1377). Fur einen etwaigen Willen der Klagerin, den Beklagten von\neiner moglichen Verbindlichkeit gegenuber der G. Versicherung zu befreien,\nbestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte.\n\n27\n\n2.\n\n28\n\nEin Anspruch aus eigenem Recht besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der\nGeschaftsfuhrung ohne Auftrag (§§ 677, 683 BGB). Mit ihrer Zahlung an die G.\nVersicherung hat die Klagerin kein Geschaft des Beklagten gefuhrt. Ist der\nGeschaftsfuhrer - wie hier die Klagerin - einem Dritten zur Besorgung des\nGeschafts verpflichtet, so liegt eine Geschaftsfuhrung ohne Auftrag fur einen\nanderen nur dann vor, wenn der Geschaftsfuhrer nicht nur in Erfullung seiner\neigenen Verpflichtung, sondern auch willentlich im Interesse des anderen\nhandelt (BGHZ 101, 399; NJW-RR 1989, 970; Palandt/Thomas, BGB, 55. Aufl., §\n677 Rn. 7). Da ein Wille der Klagerin, den Beklagten von einer Verbindlichkeit\nfreizustellen, nicht erkennbar ist, liegt eine Fremdgeschaftsfuhrung fur\ndiesen nicht vor.\n\n29\n\nII.\n\n30\n\nDie Klagerin hat auch keinen Anspruch aus abgeleitetem Recht.\n\n31\n\n1.\n\n32\n\nDie Vorschrift des § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG scheidet als Grundlage eines\nAnspruchserwerbs aus. Nach dieser Regelung geht, wenn der Versicherungsnehmer\nSchadensersatz von einem Dritten verlangen kann, sein Anspruch auf den\nVersicherer uber, soweit dieser ihm den Schaden ersetzt. Eine solche\nSchadensersatzleistung konnte in der Zahlung der Klagerin an die G.\nVersicherung liegen. Fraglich ist indessen, ob die Klagerin hiermit dem\nUnfallgeschadigten D., der bei ihr kaskoversichert ist, "den Schaden ersetzt"\nhat. Zahlung geleistet hat die Klagerin nicht unmittelbar an ihren\nVersicherungsnehmer D., sondern an den Haftpflichtversicherer des Beklagten\naufgrund des Teilungsabkommens zwischen den Versicherungsgesellschaften. Im\nversicherungsrechtlichen Schrifttum werden etwa Zahlungen an den\nSozialversicherungstrager aus einem Zahlungsabkommen als Leistungen an den\nVersicherungsnehmer im Sinne des § 67 VVG gewertet (Prolss/Martin,\nVersicherungsvertragsgesetz, 25\\. Aufl., § 67 Anm. 4 A). Nach dieser\nAuffassung mußten auch Zahlungen an den Kaskoversicherer des Geschadigten\naufgrund eines Teilungsabkommens als Schadensersatz an den Versicherungsnehmer\nim Sinne dieser Regelung gelten. Ein Forderungsubergang nach § 67 Abs. 1 VVG\nwurde jedoch weiter voraussetzen, daß dem Versicherungsnehmer ein Anspruch auf\nErsatz des Schadens gegen einen Dritten zusteht. Als "Dritter" kommt im\nVerhaltnis zu Herrn D. der Beklagte, der den Verkehrsunfall vom 31. August\n1992 unstreitig allein verschuldet hat, in Betracht. Bereits im Jahre 1992\nwaren aber der Geschadigte D. durch den Haftpflichtversicherer des Beklagten,\ndie G. Versicherung, befriedigt worden und sein Schadensersatzanspruch gegen\nden Beklagten aufgrund dessen entweder erloschen oder nach § 158 f VVG auf den\nHaftpflichtversicherer ubergegangen. Unabhangig davon, ob die G. Versicherung\nHerrn D. gegenuber zur Entschadigung verpflichtet war, hat sie dessen\nUnfallschaden jedenfalls regulieren wollen und auch tatsachlich ausgeglichen\nmit der Folge, daß diesem fortan kein Anspruch mehr gegen den Beklagten\nzugestanden hat. Als die Klagerin der G. Versicherung die an ihren\nVersicherungsnehmer D. geleistete Zahlung im Jahre 1994 erstattete, war Herr\nD. somit nicht mehr Inhaber eines Anspruchs gegen den Beklagten, der auf die\nKlagerin nach § 67 VVG hatte ubergehen konnen.\n\n33\n\n2.\n\n34\n\nDer geltend gemachte Zahlungsanspruch steht der Klagerin auch nicht aus\nabgetretenem Recht zu.\n\n35\n\nDie G. Versicherung hat unter dem 10. Oktober 1995 die Abtretung eines\n"Regreßanspruchs gem. § 38 II VVG" gegen den Beklagten in Hohe von 13.200,- DM\nan die Klagerin erklart. Ihrem erkennbaren Zweck nach umfaßt die schriftliche\nAbtretung samtliche Erstattungsanspruche, die der G. Versicherung gegen ihren\nVersicherungsnehmer, den Beklagten, moglicherweise deswegen zugestanden haben,\nweil sie an den Unfallgeschadigten D. Leistungen erbracht hat, obwohl sie\nwegen der - von der Klagerin behaupteten - Nichtzahlung der ersten Pramie\ndurch den Beklagten von ihrer Leistungspflicht frei war. Ein solcher\nabtretbarer und heute noch durchsetzbarer Erstattungsanspruch hat der G.\nVersicherung indessen gegen den Beklagten aus keinem Rechtsgrund zugestanden.\n\n36\n\na)\n\n37\n\nEine Erstattungsforderung der G. Versicherung laßt sich nicht aus § 158 f VVG\nableiten. Nach dieser Regelung geht, soweit der Versicherer den Dritten nach §\n158 c VVG befriedigt, dessen Forderung gegen den Versicherungsnehmer auf ihn\nuber. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung kommt hier insofern in Betracht, als\nVersicherungsnehmer der G. Versicherung der Beklagte, Dritter dessen\nUnfallgegner D. und die Forderung des Dritten ein Schadensersatzanspruch gemaß\n§§ 823 BGB, 7 StVG ist.\n\n38\n\nEin Forderungsubergang gemaß § 158 f VVG setzt jedoch voraus, daß eine\nBefriedigung des Dritten durch den Versicherer nach § 158 c VVG stattfindet.\nDer Regelungsbereich des § 158 c Abs. 1 VVG ist nur betroffen, wenn der\nVersicherer von seiner Leistungspflicht gegenuber dem Versicherungsnehmer frei\nist, dem geschadigten Dritten aber gleichwohl verpflichtet bleibt. Es ist\nschon fraglich, ob eine Leistungsfreiheit der G. Versicherung im Verhaltnis\nzum Beklagten uberhaupt eingetreten ist. Die Parteien streiten uber die\ntatsachlichen Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 VVG, wonach der Versicherer von\nseiner Verpflichtung zur Leistung frei wird, wenn die Erstpramie zur Zeit des\nEintritts des Versicherungsfalls noch nicht gezahlt ist. Insoweit behauptet\nder Beklagte, die G. Versicherung habe eine ihr erteilte Einzugsermachtigung\nnicht richtig genutzt. Eine Prufung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 38\nAbs. 2 VVG erubrigt sich nicht etwa deshalb, weil eine Leistungsfreiheit der\nG. Versicherung bereits gemaß § 12 Abs. 3 VVG eingetreten ware. Nach dieser\nVorschrift ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn\nder Anspruch auf Leistung nicht innerhalb von sechs Monaten, nachdem der\nVersicherer dem Versicherungsnehmer gegenuber den erhobenen Anspruch\nschriftlich abgelehnt hat, gerichtlich geltend gemacht wird. Die\nVoraussetzungen der Bestimmung liegen zwar insoweit vor, als die G.\nVersicherung dem Beklagten ihre Ablehnung mit Schreiben vom 7. Dezember 1992\nmitgeteilt und dieser innerhalb der Frist von sechs Monaten keine Klage gegen\nseinen Haftpflichtversicherer erhoben hat. Indessen hatte die G. Versicherung\nden Unfallgegner D. unstreitig bereits vor der Übersendung ihres\nAblehnungsschreibens an den Beklagten entschadigt. Nach der Rechtsprechung des\nBundesgerichtshofs und der heute herrschenden Meinung im\nversicherungsrechtlichen Schrifttum tritt die Leistungsfreiheit des\nHaftpflichtversicherers nach § 12 Abs. 3 VVG aber nicht ein, wenn dieser den\nGeschadigten wahrend der Klagefrist oder vor deren Bestimmung befriedigt (BGH\nNJW 1975, 447; Prolss/Martin § 12 Anm. 8 g m.w.N. auch zur Gegenansicht).\nDieser zu § 12 Abs. 3 VVG uberwiegend vertretenen Auffassung zufolge konnte\nsich auch die Klagerin als Rechtsnachfolgerin der G. auf den Ablauf der\nKlagefrist nicht berufen.\n\n39\n\nIm Ergebnis kann jedoch auf sich beruhen, ob die G. Versicherung wegen der\nNichtzahlung der Erstpramie dem Beklagten gegenuber gemaß § 38 Abs. 2 VVG von\nihrer Leistungspflicht freigeworden ist. Ein gesetzlicher Forderungsubergang\nnach § 158 f VVG scheitert namlich schon an anderen Grunden. Nach § 158 c Abs.\n4 VVG haftet der Versicherer nicht, wenn und soweit der Dritte in der Lage\nist, Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer oder von\neinem Sozialversicherungstrager zu erlangen. Ein solcher anderweitiger\nAnspruch hat dem geschadigten Dritten, Herrn D., in Gestalt seiner Forderung\ngegen die Klagerin als Kaskoversicherer zugestanden. Ein Anspruchsubergang\ngemaß § 158 f VVG setzt jedoch voraus, daß der Versicherer nach § 158 c Abs. 1\nVVG zur Leistung gehalten gewesen sein muß. Deshalb greift die Vorschrift\nnicht ein, wenn der Versicherer ungeachtet seiner Haftungsbefreiung aus § 158\nc Abs. 4 VVG geleistet hat; denn in diesem Fall bedeutet die Befriedigung des\nGeschadigten keine solche "nach" § 158 c VVG, sondern letztendlich eine\nBefriedigung im Widerspruch zu dieser Regelung (so auch OLG Frankfurt/Main\nVersR 1970, 267; Prolss/Knappmann § 158 f Anm. 2).\n\n40\n\nb)\n\n41\n\nDie Vorschriften des Pflichtversicherungsgesetzes rechtfertigen keine davon\nabweichende Beurteilung der Rechtslage. Nach § 3 Nr. 4 PflVG kann dem Anspruch\ndes Dritten nach § 3 Nr. 1 dieses Gesetzes zwar nicht entgegengehalten werden,\ndaß der Versicherer dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer gegenuber von\nder Leistungspflicht ganz oder teilweise frei ist. In diesem Fall gilt aber §\n158 c Abs. 4 VVG sinngemaß (§ 3 Nr. 6 PflVG). Bei einer nur subsidiaren\nHaftung nach §§ 3 Nr. 6 PflVG, 158 c Abs. 4 VVG besteht deshalb auch kein\nAusgleichsanspruch des Versicherers - hier der G. Versicherung - gegen den\nVersicherungsnehmer - hier den Beklagten - gemaß § 3 Nr. 9 Satz 2 PflVG (BGH\nNJW 1982, 1042; Prolss/Knappmann § 3 Nr. 9 PflVG Anm. 2 a), der auf die\nKlagerin hatte ubergehen konnen.\n\n42\n\nNach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht (Bruck/Moller/Johannsen, VVG, 5.\nBand, 8. Aufl., Anm. B 71) kommt unter Umstanden eine entsprechende Anwendung\nvon § 3 Nr. 9 Satz 2 PflVG mit der Folge in Betracht, daß der Versicherer\ngegen seinen Versicherungsnehmer Regreß nehmen kann. Eine solche Moglichkeit\nwird fur Falle befurwortet, in denen der leistende Versicherer seine\nLeistungsfreiheit kennt, aber die Haftung eines anderen Versicherers im Sinne\ndes § 158 c Abs. 4 VVG ubersieht. Ob dieser Ansicht grundsatzlich zuzustimmen\nist und die hierfur erforderlichen tatsachlichen Voraussetzungen vorliegen,\nkann letztlich dahinstehen. Bei einer entsprechenden Anwendung von § 3 Nr. 9\nPflVG mußte jedenfalls auch die Verjahrungsregelung des § 3 Nr. 11 PflVG\ngelten, nach welcher die sich aus § 3 Nr. 9 ergebenden Anspruche in zwei\nJahren seit dem Schluß des Jahres verjahren, in dem der Anspruch des Dritten\nerfullt wird. Da die G. Versicherung unstreitig im Jahre 1992 an den\nUnfallgeschadigten D. geleistet und eine verjahrungsunterbrechende Maßnahme\nbis zum 31. Dezember 1994 nicht getroffen, sondern erst im Februar 1995 das\nMahnverfahren eingeleitet hat, ist die - vom Beklagten geltend gemachte -\nVerjahrung eines etwaigen Regreßanspruchs nach dem Pflichtversicherungsgesetz\nzum Ende des Jahres 1994 eingetreten.\n\n43\n\nc)\n\n44\n\nAuch auf § 3 Nr. 10 Satz 2 PflVG laßt sich der Klageanspruch nicht stutzen.\nNach dieser Vorschrift kann der Versicherer Ersatz derjenigen Aufwendungen\nverlangen, die er den Umstanden nach fur erforderlich halten durfte. Die\nRegelung betrifft aber nicht die Entschadigungsleistung an den Dritten, da\ndiese von § 3 Nr. 9 Satz 2 PflVG erfaßt ist, sondern den - hier nicht in Rede\nstehenden - angemessenen Regulierungskostenaufwand (Bruck/Moller/Johannsen\nAnm. B 70; Prolss/Knappmann § 3 Nrn. 10, 11 PflVG Anm. 2).\n\n45\n\nd)\n\n46\n\nEin gesetzlicher Forderungsubergang nach § 67 VVG im Verhaltnis zwischen der\nG. Versicherung und dem Beklagten, der zum Erwerb einer abtretbaren Forderung\ngefuhrt hatte, scheidet von vornherein aus. Der Anwendungsbereich dieser\nVorschrift ist deshalb nicht beruhrt, weil der Geschadigte D. nicht\nVersicherungsnehmer der G. Versicherung und der Beklagte als deren\nVersicherungsnehmer nicht "Dritter" im Sinne der Bestimmung ist (vgl.\nProlss/Martin § 67 Anm. 3).\n\n47\n\ne)\n\n48\n\nAls Rechtsgrundlage eines abtretbaren Anspruchs der G. Versicherung gegen den\nBeklagten kommt dagegen § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB in Frage. Da die\nSonderregelung des § 158 f VVG die Anwendung der allgemeinen Vorschriften in\nden §§ 812 ff. BGB nicht ausschließt, kann ein Versicherer, der einem Dritten\nden diesem durch seinen Versicherungsnehmer zugefugten Schaden ersetzt, aber\nkeinen Ruckgriffsanspruch gegen seinen Versicherungsnehmer nach § 158 f VVG\nhat, von jenem den Entschadigungsbetrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung\nzuruckfordern, weil der Versicherungsnehmer wirksam (§ 267 BGB), aber ohne\nrechtlichen Grund von seiner Haftung gegenuber dem Geschadigten befreit worden\nist (BGH VersR 1964, 474; 1976, 481; OLG Dusseldorf NJW 1966, 739; OLG\nSaarbrucken VersR 1976, 554; Prolss/Knappmann § 158 f Anm. 5 B a, § 3 Nr. 6\nPflVG Anm. 5 B a - anderer Ansicht OLG Frankfurt/Main VersR 1970, 267). Die G.\nVersicherung hat den Beklagten von dessen Haftung gegenuber dem Unfallgegner\nD. durch die an diesen gezahlte Entschadigung befreit und daher einen\nBereicherungsanspruch gegen ihren Versicherungsnehmer erlangt, sofern sie ihm\ngegenuber nach § 38 Abs. 2 VVG von ihrer Leistungspflicht freigeworden ist.\nDie sich im Zusammenhang mit § 38 Abs. 2 VVG stellenden Fragen konnen jedoch\nebenso wie diejenige unbeantwortet bleiben, ob ein Anspruch aus\nungerechtfertigter Bereicherung wegen Kenntnis der Nichtschuld seitens der G.\nVersicherung gemaß § 814 BGB ausgeschlossen ist.\n\n49\n\nEin etwa abgetretener Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung ist\njedenfalls verjahrt. Die Abtretung eines Bereicherungsanspruchs vermag an dem\nEintritt seiner Verjahrung nichts zu andern, da die Verjahrungsfrist ohne\nRucksicht auf die Abtretung weiterlauft (Palandt/Heinrichs § 404 Rn. 5) und\nder Beklagte gemaß § 404 BGB die - von ihm auch erhobene - Verjahrungseinrede\nder Klagerin entgegensetzen kann. Zwar gilt die Vorschrift des § 12 Abs. 1\nVVG, nach welcher die Anspruche aus dem Versicherungsvertrag in zwei Jahren\nverjahren, nicht fur Bereicherungsanspruche, die vielmehr einer selbstandigen\nVerjahrung unterliegen, bei der es sich grundsatzlich um die Frist von 30\nJahren nach § 195 BGB handelt. Diese regelmaßige Verjahrungsfrist gilt etwa\ndann, wenn ein Versicherer die an seinen Versicherungsnehmer zu Unrecht\ngezahlte Entschadigung nach § 812 BGB zuruckfordert (BGHZ 32, 16). Dem\nmoglichen Anspruch der G. Versicherung gegen den Beklagten liegt jedoch ein\nanderer Sachverhalt zugrunde. Ihr etwaiger Bereicherungsanspruch beruht\ndarauf, daß sie den Beklagten von seiner Haftung gegenuber dem Unfallgegner D.\nbefreit hat. Der Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung soll aber den\nVerpflichteten nicht starker belasten als die ursprungliche Schuld. Deshalb\ngilt, wenn die Bereicherung in der Befreiung von einer Verbindlichkeit\nbesteht, fur den Anspruch gemaß § 812 BGB dieselbe Verjahrungsfrist wie fur\ndie abgeloste Schuld (BGHZ 47, 375; 70, 389; NJW 1984, 1760). Die Verjahrung\neines moglichen Bereicherungsanspruchs der G. Versicherung gegen den Beklagten\nrichtet sich daher nach derjenigen fur den Schadensersatzanspruch, der dem\nUnfallgeschadigten D. gegen den Beklagten zugestanden hat.\n\n50\n\nDie Ersatzforderung des Unfallgegners ist nach § 852 Abs. 1 BGB in drei Jahren\nvon dem Zeitpunkt an verjahrt, zu welchem dieser vom Schaden und der Person\ndes Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat. Diese Verjahrungsregelung gilt fur\neinen Schadensersatzanspruch sowohl aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) als\nauch aus der Gefahrdungshaftung nach § 7 StVG (Palandt/Thomas § 852 Rn. 1).\nMangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, daß Herr D. vom\nSchadenseintritt und der Person des Ersatzpflichtigen am Tag des Unfalls, dem\n31. August 1992, Kenntnis erlangt hatte, wofur im ubrigen die Angaben in der\nnoch am gleichen Tage gefertigten Unfallmitteilung der Polizei sprechen. Auf\neine Kenntnis vom genauen Umfang des Schadens kame es fur den Beginn der\nVerjahrung ohnehin nicht an (vgl. Palandt/Thomas § 852 Rn. 8). Die\nVerjahrungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB war danach am 31. August 1995\nabgelaufen. Der Akteninhalt bietet keinen Anhalt dafur, daß die\nVerjahrungsfrist wegen schwebender Verhandlungen zwischen dem\nErsatzberechtigten und dem Beklagten oder dessen Haftpflichtversicherer nach §\n852 Abs. 2 BGB gehemmt war. Das Anwaltsschreiben des Geschadigten vom 2.\nSeptember 1992 an die G. Versicherung, in welchem Schadensersatzanspruche\nangemeldet und die Auftragserteilung an einen Sachverstandigen mitgeteilt\nworden waren, genugt hierfur nicht.\n\n51\n\nEine rechtzeitige Unterbrechung der Verjahrungsfrist hat nicht stattgefunden.\nDie Einleitung des Mahnverfahrens durch die Klagerin im Februar 1995 war nicht\ngeeignet, die Verjahrung gemaß § 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu unterbrechen. Da die\nmit der Klageerhebung eintretende Rechtshangigkeit - was entsprechend fur das\nMahnverfahren gilt - den mit dem Klageantrag geltend gemachten, den\nStreitgegenstand bildenden prozessualen Leistungsanspruch erfaßt, wenn auch\nunter Einschluß samtlicher materiell-rechtlichen Anspruche, die den\nKlageantrag zu begrunden vermogen, tritt nur in diesem Umfang die\nUnterbrechnung der Verjahrung ein (BGH NJW 1983, 2813; 1993, 2440). Gegenstand\ndes Mahnverfahrens und - zunachst - des Rechtsstreits in erster Instanz waren\nvon der G. Versicherung an die Klagerin abgetretene Forderungen aber nicht.\nIhr Begehren hat die Klagerin vielmehr ursprunglich auf originare eigene\nRechte sowie einen gesetzlichen Forderungsubergang nach § 67 VVG gestutzt. Von\neinem abgetretenen Anspruch ist erstmals im Schriftsatz der Klagerin vom 7.\nNovember 1995, dem die Abtretungserklarung vom 10. Oktober 1995 beigefugt war,\ndie Rede. Bei der Abtretung eines Anspruchs handelt es sich aber um einen\nanderen Lebenssachverhalt als beim originaren Erwerb eines Rechts oder einem\ngesetzlichen Forderungsubergang. Bevor die Klagerin ihr Klagebegehren auf\ndiesen neuen Sachverhalt der Abtretung gestutzt hatte, war die\nVerjahrungsfrist fur den Schadensersatzanspruch des Unfallgegners D. bereits\nabgelaufen. Hinzu kommt, daß die Klagerin erst aufgrund der schriftlichen\nAbtretungserklarung der G. Versicherung vom 10. Oktober 1995 und damit nach\ndem Eintritt der Verjahrung mogliche Inhaberin eines abgetretenen Anspruchs\ngeworden ist, aber nur die Klage des Berechtigten die Verjahrungsfrist\nunterbrechen kann (Palandt/Heinrichs, § 209 Rn. 9, 10). Eine - von der\nKlagerin geltend gemachte - vorherige konkludente Abtretung vermag der Senat\nauch nicht zu erkennen. Fur die Annahme, die G. Versicherung habe\nErstattungsforderungen gegen den Beklagten schon bei Erhalt der Zahlung der\nKlagerin stillschweigend an diese abgetreten, fehlt es an zureichenden\nAnhaltspunkten. Der Prozeßbevollmachtigte der Klagerin hat zudem bei der\nausdrucklichen Erorterung dieser Frage im Verhandlungstermin vor dem Senat\nerklart, uber den Inhalt des Teilungsabkommens hinaus, das nach Meinung des\nSenats hierzu schweigt (vergl. Bl. 49 ff. GA), fur eine schlussige Abtretung\nnichts vortragen zu konnen.\n\n52\n\nf)\n\n53\n\nDie Klage rechtfertigt sich schließlich nicht unter dem rechtlichen\nGesichtspunkt der Geschaftsfuhrung ohne Auftrag (§ 683 BGB). Zwar konnten die\nVoraussetzungen eines von der G. Versicherung ohne Auftrag des Beklagten\ngefuhrten Geschafts insoweit vorliegen, als dieser durch die\nEntschadigungsleistung an den Unfallgegner von seiner Ersatzpflicht frei\nwurde, wahrend die Versicherung moglicherweise weder dem Beklagten noch -\nwegen § 158 c Abs. 4 VVG - Herrn D. haftete. Ob und unter welchen Umstanden\ndie Anwendung der Regeln uber die Geschaftsfuhrung ohne Auftrag in den Fallen,\nin denen der Versicherer trotz seiner Leistungsfreiheit nach § 158 c Abs. 4\nVVG an den Dritten Zahlungen erbringt, uberhaupt in Betracht kommt, ist\nallerdings umstritten. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, je nach der\nMotivation des Versicherers konne ein Anspruch aus § 683 BGB dann entstehen,\nwenn dieser seine Leistungsfreiheit im Innen- und Außenverhaltnis kenne und\nein Regreßverzicht nicht anzunehmen sei (so Prolss/Knappmann § 158 f Anm. 5 B\na, § 3 Nr. 6 PflVG Anm. 5 B a). Nach anderer Meinung ist eine Geschaftsfuhrung\nohne Auftrag fur den Fall zu bejahen, daß der Versicherer bei Vornahme der\nZahlung der irrigen Annahme war, sowohl dem Dritten als auch seinem\nVersicherungsnehmer dazu verpflichtet zu sein (so OLG Frankfurt/Main VersR\n1970, 74). Im vorliegenden Rechtsstreit bedarf diese Frage letztendlich keiner\nEntscheidung. Auch ein etwaiger Aufwendungsersatzanspruch der G. Versicherung\ngegen den Beklagten ist jedenfalls inzwischen verjahrt.\n\n54\n\nErsatzanspruche aus Geschaftsfuhrung ohne Auftrag verjahren zwar im\nallgemeinen nach der Grundregel des § 195 BGB in 30 Jahren (Palandt/Heinrichs\n§ 195 Rn. 7). Umstritten ist jedoch, ob diese Verjahrungsfrist auch dann gilt,\nwenn die Geschaftsfuhrung in der Befreiung des Geschaftsherrn von einer\nVerbindlichkeit besteht. Nach der fruheren Rechtsprechung des\nBundesgerichtshofs und einem Teil des Schrifttums unterliegen Anspruche aus\nberechtigter Geschaftsfuhrung ohne Auftrag auch in solchen Fallen stets der\nVerjahrungsfrist von 30 Jahren. Dieser Rechtsauffassung liegt die Erwagung\nzugrunde, daß der Geschaftsfuhrer, der dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen\ndes Schuldners entsprechend in dessen Interesse eine Schuld begleicht, diesem\nnichts aufdrange und der Schuldner nicht unbillig benachteiligt werde, wenn er\ndem mit seinem Willen und Interesse Handelnden den Ausgleich fur dessen\nAufwendungen nicht in der kurzen Verjahrungsfrist verwehren konne (BGHZ 47,\n376; im Ergebnis auch Palandt/Heinrichs, § 195 Rn. 7; Steffen in: BGH-RGRK,\n12. Aufl., vor § 677 Rn. 88). Der Senat vermag sich dieser Auffassung, von\nwelcher auch der Bundesgerichtshof inzwischen abgeruckt sein durfte, in ihrer\nAllgemeinheit und zumindest fur die vorliegenden Fallgestaltung nicht\nanzuschließen.\n\n55\n\nIn einer Entscheidung, die die Konkurrenz von Anspruchen aus Geschaftsfuhrung\nohne Auftrag und ungerechtfertigter Bereicherung mit mietrechtlichen\nAnspruchen auf Verwendungsersatz und damit im Zusammenhang die\nVerjahrungsregelung des § 558 BGB betrifft, hat der BGH hervorgehoben,\nAnspruchen aus Geschaftsfuhrung ohne Auftrag, ungerechtfertigter Bereicherung\noder aus dem Eigentumer- und Besitzerverhaltnis sei gemeinsam, daß sie\ngewissermaßen eine Notordnung darstellten, deren Zweck es jedenfalls dem\nGrundsatz nach in erster Linie sei, einen dem Rechtsfrieden dienenden\nAusgleich auch in den Fallen zu schaffen, in denen es an einer vertraglichen\nRegelung fehle. Dies sei die Rechtfertigung dafur, im Falle einer Konkurrenz\nderartiger Forderungen mit mietrechtlichen Anspruchen auf Verwendungsersatz\ndie kurze Verjahrung umfassend eingreifen zu lassen. Wenn schon die Abwicklung\nder vertraglichen Anspruche nach dem Zweck des Gesetzes rasch vonstatten gehen\nsolle, so sei es nur folgerichtig, die Erreichung dieses Zwecks nicht durch\ndie Berufung auf außervertragliche Anspruche vereiteln zu lassen, die auf\ndemselben Sachverhalt beruhen und die ihrem Wesen nach nur Hilfscharakter\ntragen (BGH WuM 1974, 201). Diese Rechtsprechung durfte eine Abkehr von dem\nGrundsatz bedeuten, daß Erstattungsanspruche aus auftragsloser\nGeschaftsfuhrung ohne Rucksicht auf deren konkreten Hintergrund der\nVerjahrungsfrist von 30 Jahren unterliegen. Die Verjahrungsfrist fur solche\nAnspruche ist danach vielmehr von dem Gegenstand abhangig, der den Rechtsgrund\nfur den Ersatzanspruch des Geschaftsfuhrers bildet. Die Verjahrung des\nAnspruchs aus Geschaftsfuhrung ohne Auftrag kann deshalb im Fall der Tilgung\neiner Schuld des Geschaftsherrn nicht ohne Rucksicht auf die fur jene\nVerbindlichkeit geltende Verjahrungsregelung und auf das im Hintergrund\nstehende Vertragsverhaltnis zwischen Geschaftsfuhrer und Geschaftsherrn\nbeurteilt werden. Dadurch wird auch verhindert, daß infolge des faktischen\nÜbergangs des dem Dritten zustehenden, vom Geschaftsfuhrer getilgten Anspruchs\nauf diesen uber den Weg des § 683 BGB eine Schlechterstellung des Schuldners\nim Regreß eintritt. Eine andere Beurteilung verbietet sich hier auch im\nHinblick auf den vom BGH betonten Hilfscharakter der Geschaftsfuhrung ohne\nAuftrag. Der Haftpflichtversicherer konnte namlich sonst einen etwaigen\nRegreßanspruch, gestutzt auf Geschaftsfuhrung ohne Auftrag, 30 Jahre lang\nverfolgen, wahrend nach § 12 Abs. 1 VVG die Anspruche aus dem\nVersicherungsvertrag bereits in zwei Jahren verjahren. Dadurch wurde durch die\nBerufung auf eine Geschaftsfuhrung ohne Auftrag im Ergebnis die ausgewogene\nRegelung des Versicherungsvertrags und seiner gesetzlichen Ausgestaltung zu\nRegreß und Verjahrung umgangen. Deshalb folgt der Senat zumindest fur Falle\nder vorliegenden Art derjenigen Ansicht, die die Ruckgriffsforderung aus § 683\nBGB der gleichen Verjahrung wie die der getilgten Forderung unterwirft (etwa\nSeiler in: Munchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl., § 683 Rn. 28 m.w.N.; vgl.\nauch die zu § 117 BinnSchG ergangene Entscheidung BGH NJW 1969, 1205). Ein -\netwaiger - Anspruch der G. Versicherung gegen den Beklagten gemaß § 683 BGB,\nder an die Klagerin hatte abgetreten werden konnen, ist danach jedenfalls\nverjahrt (s. oben). Im ubrigen ware bei anderer Auffassung die bereits\naufgeworfene Frage, ob die G. Versicherung sich uberhaupt auf § 12 Abs. 3 VVG\nhatte berufen durfen, auch in diesem Zusammenhang von Bedeutung, da es nicht\ndem Willen des Beklagten entsprochen hatte, durch die Zahlung den Schutz der\nRegelungen des Versicherungsverhaltnisses zu verlieren.\n\n56\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch uber die\nvorlaufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.\n\n57\n\nDer Senat laßt die Revision zu, da die Rechtssache insbesondere wegen der\nVerjahrungsfrage zur Geschaftsfuhrung ohne Auftrag grundsatzliche Bedeutung\nhat (§ 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO).\n\n58\n\nBerufungsstreitwert: 13.200,- DM.\n\n
312,414
mschog-koln-1996-05-24-3-u-16095-bschmo
819
Moselschifffahrtsobergericht Köln
mschog-koln
Köln
Nordrhein-Westfalen
3 U 160/95 BSchMo
1996-05-24
2019-03-13 09:47:06
2020-12-10 13:14:05
Urteil
ECLI:DE:MSCHOGK:1996:0524.3U160.95BSCHMO.00
## Tenor\n\nDie Berufungen beider Parteien gegen das am 13. September 1995 verkundete\nGrundurteil des Moselschiffahrtsgerichts St. Goar - 4 C 6/95 BSchMo - werden\nzuruckgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klagerin zu 2/3\nund dem Beklagten zu 1/3 auferlegt. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten\nvorlaufig vollstreckbar. Die Klagerin darf die Vollstreckung durch\nSicherheitsleistung in Hohe von 6.000,- DM, der Beklagte sie gegen eine solche\nvon 3.000,- DM abwenden, wenn nicht der jeweilige Glaubiger vor der\nVollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Hohe leistet.\n\n \n1\n\n**T a t b e s t a n d :**\n\n2\n\nDie Klagerin ist Versicherer des dem Schiffer G.A. v. W gehorenden MS "M."\n(1.271 t, 2 x 618 PS) und hat diesem aus Anlaß eines Schiffsunfalls auf der\nMosel Deckung gewahrt. Mit der Klage macht sie die auf sie ubergegangenen\nAnspruche gegen den Beklagten als Eigentumer und Schiffsfuhrer des an dem\nUnfall Beteiligten GMS "P." (1.301 t, 218 PS) geltend.\n\n3\n\nIn der Nacht zum 1. Marz 1993 hatte MS "M." auf der Mosel zu Tal fahrend auf\ndem Unterwasser der Schleuse L. (Moselkilometer 20,83) Nachtruhe gehalten.\nGegen 6.45 Uhr nahm es die Fahrt wieder auf, wobei der Sohn des Eigners,\nSchiffsfuhrer G. J. v. W., das Steuer ubernahm. Es herrschte Nebel mit einer\nSichtweite von ca. 150 m, der sich nach Auskunft eines weiteren Talfahrers bis\nzur Brucke bei Moselkilometer 17,2 erstreckte. Obgleich der Schiffsfuhrer die\nMosel erst wenige Male befahren und Nebel dort noch nicht erlebt hatte, setzte\ner die Fahrt fort, zumal Radarhilfe und Sprechfunkgerat zur Verfugung standen.\nEine Begegnung mit dem zu Berg fahrenden GMS "T." erfolgte problemlos\nBackbord/Backbord. Dessen Fuhrer N. machte MS "M." auf einen weiteren\nBergfahrer aufmerksam, der diesem in einigen hundert Meter Entfernung folgte.\nSchiffsfuhrer v. W. versuchte vergeblich, mit dem Bergfahrer uber Funk Kontakt\naufzunehmen. Als er auf der rechten Seite der Mosel fahrend die Krummung bei\nMoselkilometer 19,5 umfahren hatte, entdeckte er auf dem Radarbild das ihm\nentgegenkommende GMS "P." des Beklagten, das ebenfalls die rechte Moselseite\neinhielt. Zwischen den Fahrzeugen kam es bei Moselkilometer 19,2 zu einem\nZusammenstoß, wobei MS "M." mit dem Steven gegen die Backbordbugseite von GMS\n"P." stieß. An beiden Schiffen entstand erheblicher Sachschaden.\n\n4\n\nDie Klagerin hat behauptet, MS "M." habe rechtzeitig vor der Begegnung um\nKursweisung durch das zu Berg fahrende GMS "P." gebeten, aber keine Antwort\nerhalten. Das entgegenkommende Schiff sei auf dem Radarbild erst nach der\nFlußkrummung zu sehen gewesen. Ein Ausweichen sei nicht moglich gewesen, zumal\nder Bergfahrer immer noch keine entsprechende Weisung erteilt gehabt habe.\nZwar habe Schiffsfuhrer v. W. die Geschwindigkeit seines Schiffes verringert.\nEin Zusammenstoß sei indes unvermeidbar geworden, zumal sich GMS "P." noch in\nvoller Fahrt befunden habe.\n\n5\n\nAn MS "M." sei ein Schaden in Hohe von insgesamt 236.763,29 hfl entstanden.\n\n6\n\nDie Klagerin hat beantragt,\n\n7\n\n##blob##nbsp;\n\n8\n\nden Beklagten außer dinglich haftend mit dem GMS "P." im Rahmen des\nBinnenschiffahrtsgesetzes auch personlich haftend zu verurteilen, an sie\n236.763,29 hfl bzw. den gleichwertigen Betrag in DM zu dem am Zahlungstage\ngultigen Umrechnungskurs nebst 4 % Zinsen seit dem 15. Juli 1993 zu zahlen.\n\n9\n\nDer Beklagte hat\n\n10\n\n##blob##nbsp;\n\n11\n\nKlageabweisung beantragt.\n\n12\n\nEr hat behauptet, das Wetter sei noch klar gewesen, als er am fruhen Morgen in\nG. die Fahrt aufgenommen habe. Unterwegs habe er mit dem vor ihm fahrenden GMS\n"T." nach entsprechender Verabredung auf Kanal 9 Funkkontakt gehabt. Als\nunterhalb der K.er Brucke Nebel aufgekommen sei, habe er sich uber Funk als\nBergfahrer gemeldet, aber keine Anwort erhalten. Deshalb habe er angenommen,\ndaß das Revier frei sei. Oberhalb der Brucke habe er - einer Übung der\nMoselschiffahrt folgend - den Übergang zur rechten Moselseite hin gemacht und\ndas Funkellicht mit blauer Flagge gesetzt. Auch habe er wiederholt seine\nPosition bekannt gegeben, ohne daß sich ein Talfahrer gemeldet hatte. Auch\nansonsten habe Funkstille geherrscht. Als er den Talfahrer dann im Radarbild\num die Flußkrummung habe kommen sehen, sei dessen Kurs zunachst nicht\nerkennbar gewesen. Eine Kursweisung habe dieser nicht erwidert. Seine im\nSteuerhaus befindliche Ehefrau habe zwar das Signal zur Begegnung\nSteuerbord/Steuerbord gegeben (zwei kurze Tone), der Talfahrer habe sich aber\nweiter auf der rechten Moselseite gehalten. Um einen Zusammenstoß zu\nvermeiden, habe er sein Schiff soweit nach Backbord gelenkt, bis er außerhalb\ndes Fahrwassers auf Grund geraten sei. Er habe zuruckgeschlagen und sei fast\nstandig geworden, als MS "M." ihm - in voller Fahrt befindlich - gegen die\nSteuerbordseite des Buges gestoßen sei. Erst im letzten Moment habe er das\nzweite an Bord befindliche Funkgerat, das er in der Regel nur fur den Verkehr\nmit der Schleuse benutze und das deshalb auf Kanal 20 gestellt gewesen sei,\nauf Kanal 10 umgestellt und so wieder Funkkontakt mit dem Talfahrer bekommen.\nErst jetzt habe er den Defekt an dem anderen Funkgerat bemerkt, das bei dieser\nGelegenheit erstmals ausgefallen gewesen sei. Auf der Ruckreise habe es dann\nwiederum Storungen gezeigt, so daß er den Kontaktstecker habe auswechseln\nlassen mussen.\n\n13\n\nDurch Grundurteil vom 13. September 1995 - 4 C 6/95 BSchMo - hat das\nMoselschiffahrtsgericht die Klage dem Grunde nach zu 1/3 fur gerechtfertigt\nerklart. Zur Begrundung hat es ausgefuhrt, beide Schiffsfuhrer hatten den\nZusammenstoß verschuldet, wobei das Verschulden der Schiffsfuhrung von MS "M."\ndoppelt so hoch zu bewerten sei wie dasjenige des Beklagten. Es sei davon\nauszugehen, daß das Funkgerat von GMS "P." defekt gewesen sei, was dem\nBeklagten aber nicht angelastet werden konne. Ihm sei aber vorzuwerfen, daß er\nden technischen Mangel seines Funkgerats nicht schon zu einem fruheren\nZeitpunkt festgestellt und mit dem anderen an Bord befindlichen Gerat den\nFunkverkehr aufgenommen habe. Ferner hatte er seine Kursweisung mittels\nSchallzeichen wiederholen oder aber durch einen zu wiederholenden langen Ton\ngemaß § 6.32 Nr. 5 Moselschiffahrtspolizeiverordnung auf die besondere\nGefahrenlage aufmerksam machen mussen. Demgegenuber habe die Schiffsfuhrung\nvon MS "M." in Anbetracht dessen, daß sie keine Kursweisung von GMS "P."\nwahrgenommen hatte und sich dieses hart an der roten Boje hielt und\naugenscheinlich auf eine Begegnung Steuerbord/Steuerbord eingestellt hatte,\nden eingeschlagenen Kurs auf der rechten Seite der Mosel nicht beibehalten\ndurfen, zumal sich die Schiffahrt an der betreffenden Stelle wegen der\nFlußkrummung Steuerbord/Steuerbord zu begegnen pflegt. Hatte sie den ihr von\nGMS "P." freigelassenen Raum genutzt, hatte sie problemlos an diesem\nvorbeifahren konnen. Sie treffe daher das uberwiegende Verschulden an der\nKollision, zumal sie von dem Schiffsfuhrer N. auf Bergfahrt im Revier\nhingewiesen worden sei.\n\n14\n\nGegen dieses ihr am 18.9.1995 zugestellte Urteil hat die Klagerin am\n18.10.1995 Berufung eingelegt und diese am 13.11.1995 begrundet. Der Beklagte\nhat gegen das ihm am 18.9.1995 zugestellte Urteil am 5.10.1995 Berufung\neingelegt und diese nach entsprechender Fristverlangerung am 4.12.1995\nbegrundet.\n\n15\n\nDie Klagerin zieht einen Defekt des Funkgerats von GMS "P." in Zweifel und\nmeint, die fehlerhafte oder unterbliebene Kursweisung des Bergfahrers musse zu\ndessen Lasten gehen. Dem Beklagten sei auf jeden Fall vorzuhalten, daß er den\nangeblichen Fehler seines Funkgerats nicht fruher bemerkt und mit dem anderen\nan Bord befindlichen Gerat den Funkverkehr aufgenommen habe. Wie sich aus der\nAussage der Zeugin B. ergebe, sei ihm die Funktionsstorung schon vor der\nPassage der Brucke bei N. bekannt gewesen. Zugunsten der Schiffsfuhrung von MS\n"M." sei zu berucksichtigen, daß sie in der durch die fehlende Kursweisung\nentstandenen unklaren Verkehrssituation eine Maßnahme des letzten Augenblicks\nhabe treffen mussen.\n\n16\n\nDie Klagerin beantragt,\n\n17\n\n##blob##nbsp;\n\n18\n\nunter teilweiser Abanderung des angefochtenen Urteils den Beklagten in vollem\nUmfang nach ihren in erster Instanz zuletzt gestellten Antragen zu\nverurteilen.\n\n19\n\nDer Beklagte beantragt,\n\n20\n\n##blob##nbsp;\n\n21\n\ndie Berufung der Klagerin zuruckzuweisen und\n\n22\n\n##blob##nbsp;\n\n23\n\ndas angefochtene Urteil abzuandern und die Klage gemaß seinen\nerstinstanzlichen Schlußantragen in vollem Umfang abzuweisen.\n\n24\n\nEr meint, ihm sei nicht einmal ein Mitverschulden anzulasten, da er bis kurz\nvor der Kollision den Defekt seines Funkgerats nicht habe erkennen konnen. Der\nSchiffsfuhrung von MS "M." konne nicht abgenommen werden, daß sie sein\nSchallsignal nicht gehort habe. Dieses sei auf eine Entfernung von mehreren\nhundert Metern wahrnehmbar. Im ubrigen wiederholt und erganzt der Beklagte\nsein erstinstanzliches Vorbringen.\n\n25\n\nDie Klagerin beantragt,\n\n26\n\n##blob##nbsp;\n\n27\n\ndie Berufung des Beklagten zuruckzuweisen.\n\n28\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der\nin beiden Instanzen gewechselten Schriftsatze Bezug genommen.\n\n29\n\nDie Beiakten 4 II 5/93 Bsch St. Goar und 2104 Js 22211/93 StA Koblenz sind\nGegenstand der mundlichen Verhandlung gewesen.\n\n30\n\nE n t s c h e i d u n g s g r u n d e:\n\n31\n\nDie in formeller Hinsicht nicht zu beanstandenden Berufungen beider Parteien\nhaben in der Sache keinen Erfolg.\n\n32\n\nDas Moselschiffahrtsgericht hat zu Recht ein uberwiegendes Verschulden der\nSchiffsfuhrung von MS "M." an der Kollision angenommen. Die wesentliche\nUnfallursache liegt darin begrundet, daß sich Schiffsfuhrer v. W. nicht an den\nschiffahrtsublichen Kurs im Bereich der Unfallstelle gehalten hat. Wie sich\naus dem Moselatalas ergibt und auch seitens des Zeugen M. von der\nWasserschutzpolizei bestatigt worden ist, fahrt die Bergfahrt im Bereich von\nKilometer 18,8 bis ca. 20,8 am geographisch rechten Moselufer; die Begegnung\nerfolgt Steuerbord/Steuerbord. Demgegenuber sind der Schiffsfuhrer v. W. und\nsein Vater, der Schiffseigner, falschlicherweise davon ausgegangen, sie mußten\nmoglichst weit rechts fahren, da auf der Mosel normalerweise Rechtsverkehr\nherrsche. Dies ergibt sich aus ihren eigenen Bekundungen im\nVerklarungsverfahren. Wie der BGH ausgesprochen hat, gehort es zu den\nPflichten des Schiffers, sich rechtzeitig und hinreichend zu unterrichten, ob\ndie Schiffahrt in bestimmten Bereichen, insbesondere an schwierigen Stellen,\nbestimmte Kurse ublicherweise einhalt. Gerade bei Nebel gewinnt die Einhaltung\nschiffahrtsublicher Kurse fur die Sicherheit des Verkehrs eine ihr bei\nsichtigem Wetter nicht zukommende Bedeutung, vor allem, wenn die\nFahrwasserverhaltnisse wegen der Flußwindungen zu Uferwechseln notigen und\nsich dadurch bestimmte Kurse fur Berg- und Talfahrt herausgebildet haben (vgl.\nBGH VersR 74, 187 und 237). Dieser Auffassung hat sich der Senat\nangeschlossen. Offensichtlich war der Schiffsfuhrer v. W. uber die\nschiffahrtsublichen Kurse auf der Mosel nicht unterrichtet, weil er die Mosel\nnur sehr selten befahren hatte, und er fuhr dort zum ersten Mal bei Nebel.\nSchiffsfuhrer v. W. muß sich demnach vorwerfen lassen, daß er trotz seiner\nUnkenntnis der schiffahrtsublichen Kurse auf der Mosel bei Nebel\nweitergefahren ist und seinen falschen Kurs am rechten Ufer entlang auch dann\nbeibehalten und sogar noch weiter nach rechts gelegt hat, als er feststellte,\ndaß ihm der Bergfahrer dort entgegenkam und seinen Kurs offensichtlich\nbeibehielt, wie dies der Zeuge v. W. sen. bekundet hat. Da der Funkkontakt fur\nden Schiffsfuhrer erkennbar gestort war und er auch die Kursweisung des\nBergfahrers gemaß § 6.04 Ziff. 4 Moselschiffahrtspolizeiverordnung "zwei kurze\nTone" fur die Vorbeifahrt Steuerbord/Steuerbord seinen Angaben zufolge nicht\nwahrgenommen hatte, hatte er seinen Kurs zur Flußmitte hin verlegen mussen, um\neine problemlose Vorbeifahrt zu ermoglichen. Im Verlauf der weiteren\nAnnaherung hatte er dann die Maßnahmen gemaß § 6.32 Ziff. 4\nMoselschiffahrtspolizeiverordnung ergreifen, namlich das Dreitonzeichen so oft\nwie notwendig geben, zuruckschlagen und Bug zu Tal anhalten oder aufdrehen\nmussen. Nichts von alledem hat der Schiffsfuhrer v. W. unternommen, sondern -\nwie er selbst bekundet hat - erst unmittelbar vor der Kollision die Maschine\nauf ruckwarts gestellt.\n\n33\n\nDer Beklagte hat den Zusammenstoß ebenfalls verschuldet. Der Senat teilt\nallerdings die Auffassung des Moselschiffahrtsgerichts, daß das Funkgerat von\nGMS "P." tatsachlich einen Defekt in Form eines Wackelkontakts aufwies und\ndies nicht etwa eine Schutzbehauptung des Beklagten ist. Dies ergibt sich\ninsbesondere aus der glaubhaften Aussage des unbeteiligten Zeugen N., der\nbekundet hat, er habe mit GMS "P." Funkkontakt gehabt und habe sich dann\nweiter mit ihm absprachegemaß auf einem anderen Kanal - 9 oder 11 -\nunterhalten. Als es dann MS "M." nicht gelang, mit GMS "P." Funkkontakt\naufzunehmen, hat der Zeuge N. dies seinen Angaben zufolge selbst versucht,\nsein Funkgerat dabei auch auf Kanal 9 und auf Kanal 11 umgestellt und damit\nebenfalls keinen Erfolg gehabt. Daß kein Funkkontakt zustande kam, kann\ndemzufolge nicht daran gelegen haben, daß es der Beklagte etwa vergessen\nhatte, nach dem Gesprach mit dem Zeugen N. sein Gerat auf Kanal 10\nzuruckzuschalten; vielmehr muß es insgesamt ausgefallen gewesen sein. Auch\ndurch die Aussage des Schiffsfuhrers v. W. wird bestatigt, daß der Beklagte\nnach dem mit dem Zeugen N. auf Kanal 9 oder 11 gefuhrten Gesprach sein Gerat\nwieder auf Kanal 10 geschaltet hatte; denn er hat seinen Bekundungen zufolge\nwahrend seiner Begegnung mit MS "T." gehort, daß sich der Bergfahrer an der\nBrucke N. meldete. Dies entspricht der Aussage der Zeugin B., der Ehefrau des\nBeklagten. Das Funkgerat muß demnach nach dem Passieren der Brucke N.\nausgefallen sei. Nach den Angaben des Zeugen M. funktionierte es bei der\nÜberprufung durch die Wasserschutzpolizei nach der Kollision dann wieder. Dies\nlaßt auf einen Wackelkontakt schließen. Insofern hat der Senat keine Bedenken,\nder diesbezuglichen Aussage der Zeugin B. zu folgen.\n\n34\n\nHieraus ergibt sich allerdings nicht, daß die Haftung des Beklagten fur den\nZusammenstoß gemaß § 92 a BinSchG ausgeschlossen ware. Zwar kann der Aussage\nder Zeugin B. entgegen der Auffassung der Klagerin nicht entnommen werden, daß\ndem Beklagten schon einige Zeit vor der Kollision der Defekt des Funkgerats\nbekannt gewesen ware. Ihre Angaben zur Funktionsfahigkeit des Funkgerats (Bl.\n32 oben der Verklarungsakte) sind auf einzelne Nachfragen hin erfolgt und\ngeben das Geschehen nicht in der zeitlichen Reihenfolge wieder. Die von der\nZeugin geschilderte Probe durch Umschalten des anderen Funkgerats auf Kanal 10\nbezieht sich ersichtlich auf den Zeitpunkt unmittelbar vor der Kollision, wie\nsie dies zunachst im Zusammenhang berichtet hatte. Nach der Aussage der Zeugin\nB. ist somit davon auszugehen, daß das Funkgerat erstmals hinter der Brucke N.\nausgefallen ist. Dem Beklagten ist aber vorzuwerfen, daß er den Defekt nicht\nfruher bemerkt und das zweite Funkgerat auf Kanal 10 geschaltet hat. Ihm hatte\nauffallen mussen, daß uber einen langeren Zeitraum Funkstille herrschte. Zwar\nhat der Zeuge N. bekundet, zur fraglichen Zeit sei nicht viel Funkverkehr zu\nhoren gewesen. Auf der vor dem Beklagten liegenden Strecke war aber wegen des\nNebels Funkverkehr zu erwarten, zumal er nach seinen eigenen Angaben aufgrund\neines mit angehorten Funkgesprachs wußte, daß ihm ein Talfahrer entgegenkam.\nSpatestens zu dem Zeitpunkt, als seine mehrfachen Kursweisungen uber Kanal 10\nnicht erwidert wurden, also etwa zwei bis drei Minuten nach Passieren der N.er\nBrucke, als er den Bekundungen der Zeugin B. zufolge auf dem Radarschirm\nTalfahrt sah, hatte er stutzig werden und durch Umschalten auf das andere\nFunkgerat ausprobieren mussen, ob sein Funkgerat nicht funktionierte; denn\nwenn sein Funkspruch zu horen gewesen ware, ware zu erwarten gewesen, daß der\nihm entgegenkommende Talfahrer die Kursweisung gemaß § 6.32 Ziff. 5\nMoselschiffahrtspolizeiverordnung bestatigte. Selbst zu dem Zeitpunkt, als die\nZeugin B. MS "M." um die Ecke kommen sah und das Schallsignal gab, also in 200\nbis 300 Meter Entfernung, hatte mit einer Funkdurchsage uber das andere Gerat\ndie Kollision angesichts der relativ geringen Geschwindigkeit der beiden\nSchiffe wohl noch vermieden werden konnen, wie die Zeugin bekundet hat. Im\nubrigen hatte der Beklagte, wie das Moselschiffahrtsgericht zutreffend\nausgefuhrt hat, das Schallsignal wiederholen und den langen Ton gemaß § 6.32\nZiff. 5 Moselschiffahrspolizeiverordnung geben mussen. Allerdings kann nicht\nmit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, daß die Nichtabgabe\ndieser Schallsignale fur die Kollision ursachlich geworden ist, da dichter\nNebel die Horbarkeit von Schallzeichen oder die Orientierung danach erschwert\noder gar beseitigt (vgl. BGH VersR 74, 187) und dann, wenn die Schallzeichen\nbei weiterer Annaherung der beiden Schiffe zu horen sind, ein Ausweichen meist\nnicht mehr moglich ist. Von der beantragten Horprobe, die sinnvoll nur unter\ngleichen Bedingungen wie zur Unfallzeit - also bei Nebel mit einer Sichtweite\nvon ca. 150 m - durchgefuhrt werden konnte, hat der Senat abgesehen, da beide\nSchiffsfuhrer gleichermaßen der Vorwurf trifft, keine Schallzeichen mehr\ngegeben zu haben. Fur die Hohe der Mitverschuldensquote kann daher\noffenbleiben, ob sich die pflichtwidrige Unterlassung der Abgabe von\nSchallzeichen unfallursachlich ausgewirkt hat. Bei der gemaß § 92 c\nBinnenschiffahrtsgesetz vorzunehmenden Abwagung des beiderseitigen\nVerschuldens hat der Senat daher nur auf die ubrigen Pflichtverletzungen\nseitens der Schiffsfuhrer abgestellt.\n\n35\n\nDie vom Moselschiffahrtsgericht vorgenommene Schadensverteilung im Verhaltnis\n2:1 zu Lasten der Klagerin ist nicht zu beanstanden. Das Verschulden des\nSchiffsfuhrers v. W. ist hoher als dasjenige des Beklagten zu bewerten, da er\nbei Nebel nicht den schiffahrtsublichen Kurs gefahren ist und auch nicht die\nMaßnahmen gemaß § 6.32 Ziff. 4 b Moselschiffahrtspolizeiverordnung ergriffen\nhat. Der Beklagte ist demgegenuber einen klaren Kurs entsprechend der\nÜblichkeit im Unfallbereich gefahren und hat dem Talfahrer praktisch das\ngesamte Fahrwasser freigehalten. Seine Behauptung, er sei zur Vermeidung einer\nKollision sogar jenseits der Tonnenlinie im Uferbereich gefahren, wird\nbestatigt durch die Aussage des Zeugen N., der Bergfahrer habe zum Zeitpunkt\ndes Zusammenstoßes fast an Land gelegen. Das Verschulden des Beklagten im\nHinblick auf das verspatete Bemerken des Funkgeratausfalls ist eher gering\neinzuschatzen. Nach alledem erschien es gerechtfertigt, den schuldhaften\nVerursachungsbeitrag des Schiffsfuhrers v. W. doppelt so hoch wie denjenigen\ndes Beklagten zu bewerten.\n\n36\n\nBeide Berufungen waren daher mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1\nZPO zuruckzuweisen.\n\n37\n\nDie Entscheidung uber die vorlaufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.\n10, 711 S. 1 ZPO.\n\n38\n\nStreitwert fur das Berufungsverfahren: 221.569,- DM.\n\n39\n\nBeschwer der Klagerin: 141.046,- DM\n\n40\n\nBeschwer des Beklagten: 70.523,- DM.\n\n
312,441
ag-zeitz-2019-03-06-13-owi-5519
1,013
Amtsgericht Zeitz
ag-zeitz
Zeitz
Sachsen-Anhalt
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Amtsgericht
13 OWi 55/19
2019-03-06
2019-03-13 11:00:56
2020-12-10 13:14:05
Beschluss
#### Tenor\n\n \n\nDer Antrag auf Anordnung von Erzwingungshaft wird zuruckgewiesen.\n\n#### Grunde\n\n1\n\n \n\nDem Betroffenen wird zur Last gelegt: "Fehlender Nachweis uber den Wesenstest\nfur Ihren Hund (Pitbull-Terrier Mix Anmeldung v.14.12.2015". Wegen dieses\nVerstoßes gegen "§ 4 (1) des Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden\nausgehenden Gefahren v.1.3.2009 in z.Zt.gultiger Fassung" hat die\nBußgeldbehorde gegen den Betroffenen folgende Bußgeldbescheide erlassen:\n\n \n\n2\n\n \n--- \n13 OWi 65/19 | 10.01.2017 | 125,00 € \n13 OWi 64/19 | 22.02.2017 | 150,00 € \n13 OWi 63/19 | 03.04.2017 | 175,00 € \n13 OWi 62/19 | 18.05.2017 | 200,00 € \n13 OWi 56/19 | 19.07.2017 | 225,00 € \n13 OWi 61/19 | 06.03.2018 | 275,00 € \n13 OWi 60/19 | 23.04.2018 | 275,00 € \n13 Owi 57/19 | 08.06.2018 | 300,00 € \n13 OWi 55/19 | 17.07.2018 | 325,00 € \n13 OWi 59/19 | 30.08.2018 | 350,00 € \n13 OWi 58/19 | 08.11.2018 | 375,00 € \n \n \n\n3\n\n \n\nDas Gericht entscheidet aufgrund des geltenden Opportunitatsprinzips nach\npflichtgemaßem Ermessen unter Berucksichtigung des\nVerhaltnismaßigkeitsgrundsatzes; eine Verpflichtung zur Anordnung von\nErzwingungshaft besteht nicht (BVerfGE 36, 258 (263); KK-OWiG/Mitsch OWiG § 96\nRn. 21, zit.nach BeckOK OWiG/Nestler, 21. Ed. 1.1.2019, OWiG § 96 Rn. 26).\n\n4\n\n \n\nHier steht der Anordnung von Erzwingungshaft wegen aller nach dem ersten\nBußgeldbescheid angeordneten weiteren Bußgelder der\nVerhaltnismaßigkeitsgrundsatz entgegen.\n\n5\n\n \n\nGemaß § 4 Abs.1 HundeG LSA in der Fassung vom 21.07.2015 darf ein Hund nach §\n3 Abs. 2 gehalten werden, wenn die Hundehalterin oder der Hundehalter durch\neinen Wesenstest gemaß § 10 gegenuber der zustandigen Behorde nachgewiesen\nhat, dass der Hund zu sozialvertraglichem Verhalten in der Lage ist, so dass\nvon dem Hund keine Gefahren fur die offentliche Sicherheit ausgehen. Der\nNachweis uber den Wesenstest ist der zustandigen Behorde unbeschadet des § 10\nAbs. 2 innerhalb von sechs Monaten ab Beginn der Haltung des Hundes\nvorzulegen. Über die Vorlage des Nachweises uber den Wesenstest erteilt die\nzustandige Behorde eine Bescheinigung.\n\n6\n\n \n\nGemaß § 16 Abs.1 Nr.6 HundeG LSA handelt ordnungswidrig, wer vorsatzlich oder\nfahrlassig entgegen § 4 Abs. 1 in Verbindung mit § 10 Abs. 2 Satz 1 einen\ngefahrlichen Hund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 ohne Nachweis eines Wesenstests halt.\n\n7\n\n \n\nDie mit dem Bußgeldbescheid vom 10.01.2017 geahndete Ordnungswidrigkeit endet\nerst mit dem Nachweis des Wesenstests gegenuber der Behorde oder der\nBeendigung des Hundehaltens; es handelt sich damit um eine\nDauerordnungswidrigkeit, die grundsatzlich nur einmal zu ahnden ist.\nAllerdings wird die Auffassung vertreten, ein rechtskraftiges Urteil oder ein\nrechtskraftiger Bußgeldbescheid unterbreche die Dauerordnungswidrigkeit.\nErfulle der Tater auch jetzt nicht seine Verpflichtung, beginne eine neue Tat,\ndie wiederum geahndet werden konne (vgl.z.B.OLG Dusseldorf v. 9. 1. 81 5 Ss\nOWi 699/80 I). Diese Auffassung ist allerdings auf Kritik gestoßen.\n\n8\n\n \n\nSo fuhrt Schickedanz, Dauerordnungswidrigkeit und Verwaltungszwang, NJW 1982,\n320, beck-online, zur Nichterfullung verwaltungsrechtlicher Pflichten\nzutreffend aus: "Es besteht die Moglichkeit, die Erfullung der Pflichten durch\nZwangsmaßnahmen nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen zu erzwingen. Im\nVordergrund der Verwaltungstatigkeit steht die Wahrung der Rechtsordnung\nmittels Herbeifuhren und Aufrechterhalten rechtmaßiger Zustande; die Behorde\ndarf sich nicht nach dem Prinzip "dulde und liquidiere" auf das Erlassen von\nBußgeldbescheiden beschranken. Die Behorde hat vorrangig die Moglichkeiten der\nVerwaltungsvollstreckung zu nutzen. Andernfalls wurde das Ahndungsmittel\nBußgeld umfunktioniert zum Zwangsmittel; es handelt sich um eine\nzweckmissbrauchliche Ahndung, wenn die Verwaltungsbehorde als Bußgeldbehorde\nwiederholt tatig wird, wo sie als Erzwingungsbehorde nicht auf Ahndung,\nsondern auf Rechtsgeltung hinwirken musste. Die Nichterfullung\nverwaltungsrechtlicher Pflichten kann daher nur einmal geahndet oder bestraft\nwerden, die Wiederherstellung der Rechtsordnung fur die Zukunft hat nach dem\nVerwaltungsvollstreckungsrecht zu erfolgen. § 13 VI VwVG regelt das Verhaltnis\ndes Vollstreckungsrechts zum Straf- und Bußgeldrecht dahin, dass Zwangsmittel\nauch neben Strafen oder Geldbußen festgesetzt werden konnen\n\n9\n\n \n\nAus dem Sinn des Verwaltungsvollstreckungsrechts folgt der zwingende\nUmkehrschluss, dass es mit einer Bestrafung sein Bewenden haben muss."\n\n10\n\n \n\nDas Halten eines sog. Listenhundes rechtfertigt die Annahme einer konkreten\nGefahr (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 26. April 2016 - 3 L 129/15 -, Rn.\n16, juris). Wahrend Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr naheliegen, liegt das\nGenerieren von Bußgeldern bei einer solchen Gefahrenlage eher fern.\n\n11\n\n \n\nJedenfalls ist jede Anordnung von Erzwingungshaft wegen aller nach dem ersten\nBußgeldbescheid angeordneten weiteren Bußgelder hier unverhaltnismaßig.\n\n \n\n
312,548
lg-aachen-1996-04-03-3-t-2296
800
Landgericht Aachen
lg-aachen
Aachen
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Landgericht
3 T 22/96
1996-04-03
2019-03-13 13:10:06
2020-12-10 13:14:19
Beschluss
ECLI:DE:LGAC:1996:0403.3T22.96.00
## Tenor\n\nUnter Abanderung des angefochtenen Beschlusses wird auf die Erinnerung des\nBeteiligten zu 1) vom 22.05.1995 die Festsetzung in den Beschlussen der\nUrkundsbeamtin der Geschaftsstelle des Amtsgerichts Aachen vom 15.05.1995 - 4\nUR II 47/95 und 4 UR II 51/95 - dahingehend geandert, dass die dem Beteiligten\nzu 1) fur die Tatigkeiten, die Gegenstand der Verfahren 4 UR II 47/95 und 4 UR\nII 51/95 sind, aus der Staatskasse zu zahlenden Gebuhren und Auslagen\nanderweitig jeweils auf 261,85 DM, mithin insgesamt auf 523,70 DM festgesetzt\nwerden.\n\n \n1\n\n**G r u n d e**\n\n2\n\nDie Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Richters des\nAmtsgerichts vom 25.09.1995 ist gemaß §§ 133 Satz 1, 128 Abs. 4 Satz 1 BRAGO\nstatthaft und auch im Übrigen zulassig. Zwar ist die Frage, ob Beratungshilfe\nim Einzelfall nur in Form von Beratung oder auch in Form von Vertretung\ngewahrt werden kann, systematisch dem Bewilligungsverfahren nach § 4 Abs. 1\nBeratungshilfegesetz zuzuordnen. Wird jedoch Beratungshilfe vor der\nInanspruchnahme anwaltlicher Hilfe beantragt und infolgedessen vom\nRechtspfleger ein Berechtigungsschein erteilt, so ist der Ratsuchende befugt,\neinen Rechtsanwalt seiner Wahl aufzusuchen und dessen Rechtsrat und Vertretung\nin Anspruch zu nehmen. Die Erteilung eines Berechtigungsscheins nur zur\nEinholung eines Rechtsrates kennt das Gesetz nicht. Im Übrigen wird vor der\nInanspruchnahme anwaltlicher Hilfe haufig nicht beurteilt werden konnen, ob\ndie bloße Beratung durch einen Rechtsanwalt ausreichend oder auch eine\nanwaltliche Vertretung erforderlich sein wird. Mit Rucksicht darauf kann die\nErforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung erst nachtraglich im Rahmen der\nGebuhrenfestsetzung uberpruft werden (vgl. AG Eschweiler, Rechtspfleger 1992,\n68; Bratfisch, Anmerkung zu AG Eschweiler, Rechtspfleger, 1992, 68, 70;\nKalthoener/Buttner, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, Rn. 965). Dies muss\nauch dann gelten, wenn - wie vorliegend - die Beratungshilfe erst nach\nInanspruchnahme anwaltlicher Hilfe beantragt wird. Anderenfalls wurde der\nRatsuchende, der unmittelbar einen Rechtsanwalt aufgesucht und Beratungshilfe\nerst nachtraglich beantragt hat, benachteiligt. Denn gegen die Versagung der\nGewahrung von Beratungshilfe ist nach § 6 Abs. 2 Beratungshilfegesetz nur die\nErinnerung gegeben, uber die der Richter des Amtsgerichts nach herrschender\nMeinung abschließend zu entscheiden hat, wahrend gegen einen auf eine\nErinnerung des Rechtsanwalts ergehenden Beschluss des Amtsgerichts nach § 128\nAbs. 3 Satz 1 BRAGO bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 128 Abs. 4 Satz 1\nBRAGO die Beschwerde stattfindet (so auch AG Eschweiler, a.a.O.).\n\n3\n\nDie zulassige Beschwerde hat auch in der Sache selbst Erfolg. Sie fuhrt auf\ndie durch den angefochtenen Beschluss zuruckgewiesene Erinnerung des\nBeteiligten zu 1) vom 22.05.1995 zur Abanderung der Festsetzung in den\nBeschlussen der Urkundsbeamtin der Geschaftsstelle des Amtsgerichts vom\n15.05.1995 dahingehend, dass die dem Beteiligten zu 1) fur die\nBeratungstatigkeiten, die Gegenstand der beiden im Tenor genannten Verfahren\nsind, aus der Staatskasse zu zahlenden Gebuhren und Auslagen auf jeweils\n261,85 DM, mithin insgesamt auf 523,70 DM, festgesetzt werden.\n\n4\n\nDem Beteiligten zu 1) steht fur die Einlegung des Widerspruchs gegen die\nVerweigerung/Kurzung der Sozialhilfe fur die Monate Januar und Februar 1994\nmit Schriftsatz vom 29.03.1994 bzw. 22.04.1994 jeweils eine Gebuhr nach § 132\nAbs. 2 BRAGO in Hohe von 90,00 DM zu, weil die anwaltliche Vertretung\nerforderlich war.\n\n5\n\nGemaß § 2 Abs. 1 Beratungshilfegesetz besteht die Beratungshilfe in Beratung\nund, soweit erforderlich, in Vertretung. Die Frage, ob neben einer Beratung\nauch eine anwaltliche Vertretung erforderlich ist, ist nicht allein in das\nErmessen des Rechtsanwaltes gestellt, sondern vom Gericht selbstandig\nnachprufbar (vgl. AG Eschweiler, a.a.O.; Bratfisch, a.a.O.;\nKalthoener/Buttner, a.a.O.). In welchen Fallen und in welchem Umfang\nVertretung i. S. v. § 2 Abs. 1 Beratungshilfegesetz erforderlich ist, kann\nnicht allgemein festgelegt werden, vielmehr ist auf den Einzelfall\nabzustellen. Hierbei sind nicht die Fahigkeiten eines „Durchschnittsburgers"\noder „Normalverdiener" maßgebend (vgl. Bratfisch, a.a.O., Seite 69;\nKalthoener/Buttner, a.a.O., Rn. 964; Lindemann/Trenk-Hinterberger,\nBeratungshilfegesetz, § 2 Rn. 4; Schoreit/Dehn, Beratungshilfe,\nProzesskostenhilfe, 5. Auflage, § 2 Rn. 12). Zum einen hangt die Frage der\nErforderlichkeit anwaltlicher Vertretung auch von der individuellen\nSelbstvertretungsfahigkeit ab, die im Einzelfall geringer oder starker\nausgepragt sein kann (vgl. Kalthoener/Buttner, a.a.O., Rn. 964), zum anderen\nerscheint der Verglich mit sogenannten „Normalverdienern" unter\nBerucksichtigung des nach dem Beratungshilfegesetz berechtigten\nPersonenkreises nicht angebracht (vgl. Lindemann/Trenk-Hinterberger, a.a.O.;\nSchoreit/Dehn, a.a.O). Zum Teil wird deshalb die Auffassung vertreten, dass\ndie Erforderlichkeit der Vertretung aus der Sicht einer typischerweise nicht\nrechtskundigen Person, an deren Kenntnisse und Urteilsfahigkeit keine hohen\nAnforderungen gestellt werden durften, zu beurteilen sei (vgl.\nLindemann/Trenk-Hinterbeger, a.a.O.), wahrend andere die Sicht des\nRechtssuchenden unter Berucksichtigung seiner Fahigkeiten fur maßgeblich\nhalten (vgl. Bratfisch, a.a.O.; Kalthoener/Buttner, a.a.O.). Vorliegend kann\noffenbleiben, ob die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung rein\nobjektiv aus der Sicht einer typischerweise nicht rechtskundigen Person zu\nbeurteilen ist oder auch die individuellen Fahigkeiten des Ratsuchenden zu\nberucksichtigen sind. Denn im hier zu entscheidenden Fall war die\nInanspruchnahme anwaltlicher Vertretung sowohl aus der objektiven Sicht einer\nnicht rechtskundigen Person als auch unter Berucksichtigung der individuellen\nFahigkeiten der Betroffenen geboten. Fur die Betroffenen, die ihren\nLebensunterhalt maßgeblich durch Sozialhilfe bestreiten, war die Frage der\nGewahrung bzw. Kurzung der Sozialhilfe von existenzieller Bedeutung. Daruber\nhinaus muss davon ausgegangen werden, dass fur die bedurftigen Betroffenen\nauch eine zugige Klarung der Angelegenheit wesentlich war. Bereits aus diesen\nGrunden erscheint es nicht angebracht, die Betroffenen darauf zu verweisen,\ndass sie den Widerspruch auch selbstandig ohne anwaltliche Hilfe hatten\neinlegen konnen. Denn es darf nicht verkannt werden, dass viele Burger weder\nsprachlich gewandt noch im Abfassen von Schriftstucken geubt sind, so dass ein\nselbstandiges Tatigwerden im Hinblick darauf, dass moglicherweise unklare oder\nunzureichende Erklarungen abgegeben werden, zumindest die Gefahr einer\nzeitlichen Verzogerung in sich barg. Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch\nnicht aus dem Umstand, dass der Beteiligte zu 1) bereits zuvor in\nsozialhilferechtlichen Angelegenheiten fur die Betroffenen tatig geworden war\nund auch Widerspruchsschreiben schon aufgesetzt hatte. Denn es kann nicht\ndavon ausgegangen werden, dass den vorliegenden Verfahren ein identischer\nSachverhalt zugrunde lag und die Betroffenen die fruheren\nWiderspruchsschreiben des Beteiligten zu 1) lediglich hatten abschreiben\nmussen.\n\n6\n\nWie der Beteiligte zu 1) im Schriftsatz vom 09.10.1995 ausgefuhrt hat,\nerfolgte die Kurzung der Sozialhilfe nicht immer in gleicher Hohe und\nteilweise mit unterschiedlicher Begrundung. Zum einen ging es um die Frage, ob\nder betroffene Ehemann verpflichtet war, durch eine Erwerbstatigkeit zum\nLebensunterhalt beizutragen. Zum anderen war von Bedeutung, ob, ab welcher\nGrenze und in welcher Hohe die Einkunfte aus dem Betrieb der Gastwirtschaft\nanzurechnen waren. Ferner ist im vorliegenden Fall maßgeblich zu\nberucksichtigen, dass den Betroffenen als Anspruchsgegner eine Behorde\ngegenuberstand, die aus der Sicht des nicht rechtskundigen Burgers uber\nbesondere Sachkunde verfugt, da ihre Sachbearbeiter mit der fraglichen Materie\nstandig befasst sind und sie zu dem in Zweifelsfallen eine Auskunft der bei\nihr beschaftigten Juristen einholen kann. In Anbetracht dessen kann angenommen\nwerden, dass ein bemittelter Ratsuchender in ahnlicher Lage bereits aus\nGrunden der Waffengleichheit anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen wurde.\nAnhaltspunkte dafur, dass die Betroffenen in rechtlichen Fragen besonders\nbewandert sind, sind nicht vorhanden; vielmehr sind diese nach Angaben des\nBeteiligten zu 1) mit dem hiesigen Rechtssystem nicht vertraut, zumal sie die\nmeiste Zeit ihres Lebens im Ausland verbracht haben.\n\n7\n\nDie Inanspruchnahme anwaltlicher Vertretung war vorliegend auch nicht\nmutwillig i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 3 Beratungshilfegesetz. Mutwilligkeit ist\ndann gegeben, wenn ein sachlich gerechtfertigter Grund fur den Wunsch nach\nAufklarung oder Vertretung in einer bestimmten Rechtsangelegenheit nicht\nerkennbar ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine bemittelte\nPartei bei verstandiger Abwagung aller Umstande die Hilfe eines Rechtsanwaltes\nnicht in Anspruch nehmen wurde (vgl. Bischof NJW 1981, 894; Bratfisch, a.a.O.;\nGreißinger, Anwaltsblatt 1986, 417, 419; Schoreit/Dehn, a. a. O., § 1 Rn. 99),\nwas - wie bereits dargelegt - vorliegend nicht der Fall ist.\n\n8\n\nDie Tatigkeiten, die Gegenstand der beiden im Tenor genannten Verfahren sind,\nbetreffen auch nicht dieselbe Angelegenheit wie die Tatigkeiten, die der\nBeteiligte zu 1) in den Verfahren 4 UR II 48/95, 4 UR II 164/95 und 4 UR II\n166/95 AG Aachen entfaltet hat und fur die bereits jeweils eine Gebuhr gemaß §\n132 Abs. 3 BRAGO festgesetzt worden ist. Unter einer „Angelegenheit" im\ngebuhrenrechtlichen Sinne ist im Rahmen der Beratungshilfe das gesamte\nGeschaft (§ 675 BGB) zu verstehen, das der Anwalt auftragsgemaß fur seinen\nAuftraggeber besorgen soll; sein Inhalt bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen\nsich die anwaltliche Tatigkeit abspielt. Nach dieser Maßgabe ist das Vorliegen\neiner Angelegenheit immer dann zu bejahen, wenn ein einheitlicher,\ngleichzeitiger Auftrag, Gleichartigkeit des Verfahrens sowie ein innerer\nZusammenhang zwischen den Beratungsgegenstanden gegeben sind, wobei diese\nVoraussetzungen kumulativ vorliegen mussen (vgl. den Kammerbeschluss vom\n01.02.1994 - 3 T 436 - 438/93 -). Vorliegend kann jedenfalls nicht davon\nausgegangen werden, dass den Widerspruchsschreiben des Beteiligten zu 1) vom\n06.08.1993, 01.10.1993, 02.11.1993, 29.03.1994 und 22.04.1994 ein\neinheitlicher, gleichzeitiger Auftrag zugrunde lag. Treten namlich die zu\neinem Gesamtkomplex gehorenden einzelnen Gegenstande objektiv zeitlich erst\nnacheinander zur Beratung in Erscheinung, so ist der Begriff derselben\nAngelegenheit schon deshalb zu verneinen, weil es an dem einheitlichen Auftrag\nfehlt (vgl. Mummler, JurBuro 1986, 1522). So liegt der Fall hier. Die\nWiderspruchsschreiben vom 29.03.1994 und 22.04.1994 betrafen die\nVerweigerung/Kurzung der Sozialhilfe fur die Monate Januar und Februar 1994.\nDer Auftrag, gegen die Verweigerung/Kurzung der Sozialhilfe fur die Monate\nJanuar und Februar 1994 Widerspruch einzulegen, konnte dem Beteiligten zu 1)\nnaturgemaß erst nach der Versagung von Sozialhilfeleistungen fur die\nentsprechenden Monate erteilt werden, also nicht etwa gleichzeitig und\neinheitlich mit dem der Fertigung der Widerspruchsschreiben vom 06.08.1993,\n01.10.1993 und 02.11.1993 wegen der Verweigerung/Kurzung von Sozialhilfe fur\ndie Monate Juni, Juli, Oktober und November 1993 zugrunde liegenden Auftrage.\n\n9\n\nNach alledem sind zugunsten des Beteiligten zu 1) in den Verfahren 4 UR II\n47/95 und 4 UR II 51/95 AG Aachen jeweils folgende Gebuhren festzusetzen:\n\n10\n\nGebuhr gemaß § 132 Abs. 2 BRAGO 90,00 DM,\n\n11\n\n12/10 Erhohungsgebuhr gemaß § 6 BRAGO 108,00 DM,\n\n12\n\nEntgelte fur Post- und Telekommunikations-\n\n13\n\ndienstleistungen gemaß §§ 26, 126, 133 BRAGO 29,70 DM,\n\n14\n\n15 % Mehrwertsteuer gemaß § 25 Abs. 2 BRAGO 34,15 DM\n\n15\n\n261,85 DM.\n\n16\n\nDas Verfahren uber die Beschwerde ist gebuhrenfrei; Kosten werden nicht\nerstattet (§§ 133 Satz 1, 128 Abs. 5 BRAGO).\n\n17\n\nDr. W Q B\n\n
312,550
lg-dusseldorf-1996-04-02-4-o-29895
808
Landgericht Düsseldorf
lg-dusseldorf
Düsseldorf
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Landgericht
4 O 298/95
1996-04-02
2019-03-13 13:10:08
2020-12-10 13:14:19
Urteil
ECLI:DE:LGD:1996:0402.4O298.95.00
## Tenor\n\nI.\n\nDer Beklagte wird verurteilt, in die Loschung der unter der Nummer X im\nMarkenregister des Deutschen Patentamtes eingetragenen Marke "X"\neinzuwilligen.\n\nII.\n\nDer Beklagte tragt die Kosten des Rechtsstreits.\n\nIII.\n\nDas Urteil ist wegen der Kosten gegen eine Sicherheitsleistung in Hohe von\n25.000,-- DM vorlaufig vollstreckbar.\n\nDer Klagerin wird nachgelassen, Sicherheit auch durch die unbedingte und\nselbstschuldnerische Burgschaft einer im Bundesgebiet ansassigen, als Zoll-\nund Steuerburgin anerkannten Bank oder offentlich-rechtlichen Sparkasse zu\nerbringen.\n\n \n1\n\nTatbestand:\n\n2\n\nDie Klagerin nimmt den Beklagten auf Einwilligung in die Loschung der im\nMarkenregister beim Deutschen Patentamt (DPA) fur "medizinisch-technische\nGerate insbesondere Gerate fur die Applikation von Medikamenten sowie Teile\nhiervon, namlich vorprogrammierte Einschube sowie mit Computerprogrammen\nversehene Gerate zur Steuerung von Geraten fur die Applikation von\nMedikamenten" eingetragenen Marke X "X" (Streitmarke) in Anspruch.\nUrsprunglich eingetragene Inhaberin der Streitmarke, die am 23.4.1988\nangemeldet und am 4.4.1989 eingetragen wurde, war die X, Bad Homburg. Diese\nubertrug die Streitmarke auf den Beklagten, der am 7.10.1994 als neuer Inhaber\nin das Markenregister (Warenzeichenrolle) eingetragen wurde.\n\n3\n\nDurch schriftliche Vereinbarung vom 1.3.1995 ubertrug der Beklagte die\nStreitmarke auf die Streithelferin. Mit beim DPA am 4.7.1995 eingegangenem\nSchriftsatz vom 21.6.1995 beantragte die Streithelferin die Umschreibung der\nStreitmarke vom Beklagten auf ihren Namen. Mit Schreiben vom 25.9.1995 teilte\ndas DPA der Streithelferin mit, daß folgendes vermerkt worden sei: "Firma\numgeschrieben auf X ... (gem. Verf. v. 26.7.1995 ...)". Mit Schreiben vom\n24.11.1995 gab das DPA der Streithelferin davon Kenntnis, daß die Eintragung\nim Register vom "26.7.1995" wie folgt berichtigt werde: Die Eintragung heiße\nrichtig: "Marke umgeschrieben auf X ...".\n\n4\n\nMit Schriftsatz vom 20.10.1994 beantragte die Klagerin beim DPA die Loschung\nder Streitmarke wegen NichtBenutzung. Dem widersprach der Beklagte mit an das\nDPA\n\n
312,664
lg-dusseldorf-1996-02-15-4-o-23795
808
Landgericht Düsseldorf
lg-dusseldorf
Düsseldorf
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Landgericht
4 O 237/95
1996-02-15
2019-03-13 13:13:06
2020-12-10 13:14:36
Urteil
ECLI:DE:LGD:1996:0215.4O237.95.00
## Tenor\n\nI.\n\nDie Beklagten werden verurteilt,\n\n1.\n\nes bei Meidung eines vom Gericht fur jeden Fall der Zuwiderhandlung\nfestzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft,\noder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehr¬facher Zuwiderhandlung\nbis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen,\n\na)\n\nKleidungsstucke unter der Marke\n\nX\n\nin der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder\nzu den genannten Zwecken zu besitzen, die außerhalb der Mitgliedsstaaten der\nEuropaischen Union und außerhalb eines anderen Ver-tragsstaates des Abkommens\nuber den Europaischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht wurden oder ohne\nZustimmung des Markeninhabers in einem Mitgliedsstaat der Europaischen Union\noder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens uber den Europaischen\nWirtschaftsraum in den Verkehr gebracht wurden,\n\nb)\n\nBekleidungsstucke unter der in Ziffer a) angegebenen Marke aus einem Staat,\nder weder Mitgliedsstaat der Europaischen Union noch Vertragsstaat des\nAbkommens uber den Europaischen Wirtschaftsraum ist, einzufuhren,\n\nc)\n\ndie in Buchstabe a) angegebene Marke in der Werbung fur Bekleidungsstucke der\nzu a) und b) bezeichneten Art zu benutzen;\n\n2.\n\nder Klagerin uber den Umfang der unter Ziffer I. 1. beschriebenen und seit dem\n1. Januar 1995 begangenen Handlungen Auskunft zu geben, und zwar unter Angabe\n\nder Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer, der\ngewerblichen Abnehmer oder Auftraggeber,\n\nder Menge der ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Ware, der Lieferzeiten\nsowie der erzielten Umsatze und\n\nder Werbung unter Nennung der einzelnen Werbetrager, deren Auflagenhohe,\nVerbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet.\n\nII.\n\nEs wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind,\nder Klagerin allen Schaden zu ersetzen, der der Inhaberin der deutschen Marke\nX, der X, California/USA - durch die unter Ziffer I. beschriebenen und seit\ndem 1. Januar\n\n1995 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entsteht.\n\nIII.\n\nIm ubrigen wird die Klage abgewiesen.\n\nIV.\n\nDie Kosten des Rechtsstreits werden zu 95 % den Beklagten als Gesamtschuldnern\nund zu 5 % der Klagerin auferlegt.\n\nV.\n\nDas Urteil ist vorlaufig vollstreckbar, fur die Klagerin jedoch nur gegen\nSicherheitsleistung in Hohe von 500.000,00 DM.\n\nDer Klagerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen\nihrer Kosten durch Sicherheitsleistung in Hohe von 1.100,00 DM abzuwenden,\nfalls nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Hohe leisten.\n\nDie Sicherheitsleistungen konnen auch durch Burgschaft einer in der\nBundesrepublik Deutschland geschaftsansassigen und als Zoll- oder Steuerburgin\nanerkannten Bank oder offentlich-rechtlichen Sparkasse erbracht werden.\n\n \n1\n\n** _Tatbestand:_**\n\n2\n\nDie Klagerin betreibt einen Groß\\- und Einzelhandel fur Bekleidung und besitzt\nfur Deutschland die ausschließlichen Vertriebsrechte fur Waren der in Irvine,\nCalifornia/USA ansassigen X, die Inhaberin der am 25. Mai 1988 angemeldeten\nund fur Bekleidungsstucke insbesondere Hemden, Shorts, Badeanzuge, T-Shirts,\nTrainingsanzuge, Westen und Hosen eingetragenen deutschen Marke X (Klagemarke,\nAnlage 1)\n\n3\n\nX\n\n4\n\nist\n\n5\n\nIn einem Vertrag uber die Warenzeichendurchsetzung vom 1. Mai 1995 (vgl.\nAnlage 2, deutsche Übersetzung Anlage 2 a) hat die Markeninhaberin die\nKlagerin dazu ermachtigt, Un-terlassungs- und Schadenersatzanspruche gegen\nDritte wegen Verletzung der Klagemarke im eigenen Namen gerichtlich geltend zu\nmachen; außerdem hat sie der Klagerin alle Schadenersatz- und\nAuskunftsanspruche gegen die Beklagten aus der Verletzung der Klagemarke\nabgetreten (vgl. Anlagen 6 und 6 a). Die von der Markeninhaberin weltweit\nunter der Klagemarke in den Verkehr gebrachte Ware tragt keine besonderen\nUnterscheidungsmerkmale, anhand derer sie einem bestimmten Vertriebsgebiet\nzugeordnet werden konnte.\n\n6\n\nAuch die Beklagte zu 1), deren Geschaftsfuhrer der Beklagte zu 2) ist, bringt\nvon der Markeninhaberin stammende und mit der Klagemarke versehene\nKleidungsstucke in Deutschland auf den Markt. Die Klagerin sieht darin eine\nVerletzung der Rechte aus der Klagemarke und macht geltend: Die von der\nBeklagten zu 1) eingefuhrte Markenware sei in den Vereinigten Staaten von\nAmerika in den Verkehr gebracht worden. Einem Vertrieb dieser Ware in\nDeutschland oder in einem anderen Staat der Europaischen Union habe die\nMarkeninhaberin nicht zugestimmt. Die Markeninhaberin erlege jedem von ihr\nbelieferten Vertragshandler in Europa die Verpflichtung auf, Ware nicht an\nZwischenhandler zum Weitervertrieb außerhalb seines Vertragsgebietes\nabzugeben. In allen Landern der Europaischen Union und des Europaischen\nWirtschaftsraumes gebe es jeweils nur einen Alleinvertriebsberechtigten fur\nX-Markenware (vgl. die Aufstellung gemaß Anlage 7). Auf den bis 1994 geltenden\nGrundsatz der weltweiten Erschopfung konne sich die Beklagte nach\nInkrafttreten des Markengesetzes am 1. Januar 1995 nicht mehr berufen.\n\n7\n\nNach Treu und Glauben sei die Beklagte zu umfassenden Auskunften entsprechend\ndem nachstehend wiedergegebenen Antrag verpflichtet. Sie habe bereits vor\nInkrafttreten des Markengesetzes X-Originalware in den Verkehr gebracht und\nVerwarnungen aus der Zeit im November 1994 bis Januar 1995 (vgl. Anlagen 11\nund 12), von denen eine auch auf die Änderung des Markengesetzes zum\nJahresbeginn 1995 hingewiesen habe, unbeachtet gelassen und auch die\nvorprozessual von ihr geforderte Auskunft uber die Herkunft der Waren nicht\nerteilt.\n\n8\n\nDie Klagerin beantragt,\n\n9\n\nI.\n\n10\n\ndie Beklagten zu verurteilen,\n\n11\n\n1.\n\n12\n\nunter Androhung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel die zu 1. 1. a) bis\nc) des Urteilsausspruches naher bezeichneten Handlungen zu unterlassen,\n\n13\n\n2.\n\n14\n\nihr uber den Umfang der unter Ziffer I. I. beschriebenen und seit dem 1.\nJanuar 1995 begangenen Handlungen Auskunft zu geben, und zwar unter Vorlage\neines Verzeichnisses mit der Angabe der einzelnen Lieferungen unter Nennung\n\n15\n\n * von Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer oder Auftraggeber\n * der Menge der ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Ware, der Lieferzeiten sowie der Bezugs- und Abgabepreise\n\n16\n\nund unter Angabe der einzelnen Angebote und der Werbung unter Nennung\n\n17\n\n * der Angebotsmengen, -zeiten, -preise und\n\n18\n\nNamen und Anschriften der Angebotsempfanger,\n\n19\n\n * der einzelnen Werbetrager, deren Auflagenho-\n\n20\n\nhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsge-\n\n21\n\nbiet,\n\n22\n\nwobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der\nAngebotsempfanger statt der Klagerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr\ngegenuber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprufer\nmitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstandenen\nKosten ubernehmen und ihn ermachtigen, ihr - der Klagerin - auf Anfrage hin\nmitzuteilen, ob bestimmte Angebote und/der Angebotsempfanger in der\nRechnungslegung enthalten sind;\n\n23\n\nII.\n\n24\n\nfestzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, der Klagerin allen Schaden\nzu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1. Beschriebenen und seit dem\n1. Januar 1995 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entsteht;\n\n25\n\nhilfsweise,\n\n26\n\ndie Auskunft in vorstehend wiedergegebenen Umfang der Inhaberin der deutschen\nMarke X, X, X, Irvine, California X, USA, zu erteilen,\n\n27\n\nsowie festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, der Inhaberin der\ndeutschen Marke X, der X, 1852 Langley, Irvine, California 92714, USA, allen\nSchaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. beschriebenen und seit\ndem 1. Januar 1995 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entsteht.\n\n28\n\nDie Beklagten beantragen,\n\n29\n\ndie Klage abzuweisen,\n\n30\n\nhilfsweise,\n\n31\n\nihnen fur den Fall der Verurteilung zur Auskunftserteilung nachzulassen, die\nNamen und Anschriften von Lieferanten, Vorbesitzern, Abnehmern, Auftraggebern\noder Angebotsempfangern unter den ublichen Voraussetzungen statt der Klagerin\neinem vereidigten Wirtschaftsprufer mitzuteilen.\n\n32\n\nSie stellen eine Verletzung der Rechte aus der Klagemarke in Abrede und tragen\nvor: Die Markenrechte seien erschopft. Soweit sie - die Beklagte - die Waren\nbereits vor Inkrafttreten des neuen Markengesetzes bezogen hatten, seien die\nRechte der Markeninhaberin nach dem Grundsatz der weltweiten Erschopfung\nverbraucht, nachdem entweder die Markeninhaberin selbst oder ein mit ihrer\nZustimmung handelnder Dritter die Waren in den Verkehr gebracht habe. Die\nhierdurch einmal eingetretene Erschopfung habe das Markengesetz nicht\nruckgangig gemacht. Fur **die** seit dem 1. Januar 1995 vorgenommenen\nVertriebshandlungen seien die Rechte aus der Klagemarke nach § 24 Abs. 1\nMarkenG erschopft; die Beklagte zu 1) beziehe ihre Originalware aus einem\nMitgliedsstaat der Europaischen Union bzw. einem Staat des Europaischen\nWirtschaftsraumes, wo sie von der amerikanischen Markeninhaberin in den\nVerkehr gesetzt worden sei. Ihren Lieferanten namentlich zu benennen, sei\nihnen nicht zuzumuten; dazu bestehe auch keine Veranlassung, solange die\nKlagerin nicht die Luckenlo-sigkeit des von ihr behaupteten Vertriebssystems\ndarlege und beweise.\n\n33\n\nAußerdem habe die Klagerin keinen Anspruch auf Auskunft uber\nVerbreitungshandlungen seit dem 1. Januar 1995, nachdem sie nicht vorgetragen\nhabe, daß sie - die Beklagten - die angegriffenen Handlungen an diesem Tag\nerstmals begangen hatten. Unbegrundet sei der Auskunftsanspruch auch, soweit\ndie Klagerin Angaben uber genaue Lieferdaten und Abnehmer verlange.\n\n34\n\nWegen der weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den\nInhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen Bezug genommen.\n\n35\n\n _**Entscheidungsgr unde **:_\n\n36\n\nDie Klage ist zulassig und im wesentlichen begrundet.\n\n37\n\nI.\n\n38\n\nDie Klage ist zulassig. Die Klagerin ist berechtigt, als gewillkurte\nProzeßstandschafterin die Anspruche der Markeninhaberin X gegen die Beklagten\nwegen Verletzung der Klagemarke im eigenen Namen geltend zu machen. Ihr\nschutzwurdiges Interesse daran ergibt sich aus ihrer Stellung als\nAlleinvertriebsberechtigte fur die Waren der Markeninhaberin in der\nBundesrepublik Deutschland.\n\n39\n\nII.\n\n40\n\nDie Klage ist im wesentlichen begrundet. Die Beklagten sind der Klagerin aus §\n14 Abs. 5 des Markengesetzes (MarkenG) zur Unterlassung, gemaß § 14 Abs. 6\nMarkenG zum Schadenersatz und gemaß § 19 Abs. 1 und 2 MarkenG, §§ 242, 259 des\nBurgerlichen Gesetzbuches (BGB) zur Auskunft verpflichtet, nachdem sie\nschuldhaft die Rechte aus der Klagemarke verletzt haben. Unbegrundet ist die\nKlage nur, soweit die Klagerin Ersatz ihres eigenen Schadens und Auskunft uber\ndie einzelnen Angebote und die Angabe der Bezugs- und Abgabepreise verlangt.\n\n41\n\n1.\n\n42\n\nNach § 14 Abs. 5 MarkenG haben die Beklagten es zu unterlassen,\nBekleidungsstucke unter der Klagemarke "X" in der Bundesrepublik Deutschland\nanzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu\nbesitzen, die außerhalb der Mitgliedsstaaten der Europaischen Union und\naußerhalb eines anderen Vertragsstaates des Abkommens uber den Europaischen\nWirtschaftsraum in den Verkehr gebracht wurden oder ohne Zustimmung der\nMarkeninhaberin in einem der vorgenannten Staaten in den Verkehr gelangt sind,\nBekleidungsstucke unter der angegebenen Marke aus einem nicht zur Europaischen\nUnion und zum Europaischen Wirtschaftsraum gehorenden Staat einzufuhren und\ndie Klagemarke in der Werbung fur solche Bekleidungsstucke zu benutzen. Die\nMarkeninhaberin hat keine Zustimmung dazu gegeben, daß die Beklagten von ihr\nstammende mit der Klagemarke gekennzeichnete Waren in der Bundesrepublik\nDeutschland vertreiben, denn sie hat in Kenntnis dieser Handlungen der\nBeklagten die alleinvertriebsberechtigte Klagerin dazu ermachtigt, den\nBeklagten den Vertrieb gerichtlich verbieten zu lassen, so daß den Beklagten\ndie angegriffenen Vertriebshandlungen nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nrn. 2\nund 4 MarkenG untersagt sind.\n\n43\n\nDaß die Markeninhaberin die Bekleidungstucke bereits in den Vereinigten\nStaaten von Amerika auf den Markt gebracht hat, hat seit dem 1. Januar 1995\nnach § 24 MarkenG auf ihre Markenrechte keinen Einfluß mehr. Nach § 24 Abs. 1\nMarkenG tritt eine Erschopfung der Markenrechte nur noch ein, wenn der Inhaber\noder ein mit seiner Zustimmung handelnder Dritter die mit der geschutzten\nMarke gekennzeichnete Ware im Inland, einem der ubrigen Mitgliedsstaaten der\nEuropaischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens uber den\nEuropaischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht hat. Der bisher geltende\nGrundsatz der weltweiten Erschopfung findet seither keine Anwendung mehr. Dies\nhat die Kammer in ihrem Urteil vom 4. Juli 1995 - 4 0 211/95, WRP 1995, 979,\n981 f. - im einzelnen ausgefuhrt; hierauf wird zur Vermeidung von\nWiederholungen verwiesen.\n\n44\n\nDaß die Voraussetzungen erfullt sind, unter denen sich nach § 24 Abs. 1\nMarkenG die Rechte an einer Marke erschopfen, laßt sich im Streitfall nicht\nfeststellen. Die Beklagten konnten der Klagerin den Erschopfungseinwand nur\ndann mit Erfolg entgegenhalten, wenn samtliche von ihnen vertriebenen und mit\nder Klagemarke gekennzeichneten Bekleidungsstucke von der Markeninhaberin oder\neinem mit ihrer Zustimmung handelnden Dritten in Deutschland, einem der\nubrigen Mitgliedsstaaten der Europaischen Union oder einem anderen\nVertragsstaat des Abkommens uber den Europaischen Wirtschaftsraum in den\nVerkehr gebracht worden waren. Dafur ist jedoch dem Vorbringen der Beklagten\nnichts hinreichend Konkretes zu entnehmen. Sie haben nur vorgetragen, ihre\nWare stamme von einem namentlich nicht benannten Vertragshandler der Klagerin\nin einem Land der Europaischen Gemeinschaft oder des Europaischen\nWirtschaftsraumes. Daraus geht nicht eindeutig hervor, daß die Beklagten\ngeltend machen wollten, samtliche von ihnen vertriebenen mit der Klagemarke\nversehenen Bekleidungsstucke seien von der Markeninhaberin in einem der\nvorgenannten Staaten in den Verkehr gebracht worden und sie -die Beklagten -\nhatten diese Waren ausschließlich von in diesen Staaten ansassigen\nVertragshandlern der Markeninhaberin bezogen. Derartiges haben die Beklagten\nauch im Verhandlungstermin vom 16. Januar 1995 nicht vorgetragen, obwohl die\nKlagerin ihren diesbezuglichen Hinweis auf Bl. 13 ihres Replikschriftsatzes\nvom 3. Januar 1996 (Bl. 42 GA) im Verhandlungstermin vom 16. Januar 1996\nwiederholt hat. Da § 24 MarkenG nach der Gesetzessystematik eine\nAusnahmevorschrift darstellt und im Markenverletzungsprozeß rechtshindernde\nTatsachen normiert, hat grundsatzlich der wegen Markenverletzung in Anspruch\nGenommene - hier die Beklagten - diejenigen Tatsachen darzulegen und\ngegebenenfalls zu beweisen, die den Erschopfungseinwand begrunden.\n\n45\n\nDas bedeutet allerdings nicht, daß die Beklagten in diesem Zusammenhang den\nNamen ihres Lieferanten angeben mussen, von dem sie die angegriffene Ware\nbezogen haben. Auf diese Weise erfuhre der Markenverletzungsklager die\nHerkunft der angegriffenen mit der Klagemarke versehenen Ware bereits aus dem\nVerteidigungsvorbringen des Verletzungsbeklagten unabhangig davon, ob eine\nMarkenverletzung vorliegt oder nicht. Das wurde dem Umstand nicht gerecht, daß\nder Markeninhaber Auskunft uber die Herkunft dieser Ware nach § 19 MarkenG nur\nim Falle einer Markenverletzung verlangen kann und nicht schon bei deren\nVerdacht. Anderenfalls mußte der in Anspruch Genommene dem Inhaber der\nMarkenrechte auch solche Vertriebshandlungen offenlegen, die sich spater als\nrechtmaßig erweisen. Das ermoglichte es dem Markeninhaber, uber den\nerweiterten Auskunftsanspruch zu uberwachen, ob die von ihm belieferten\nHandler ihnen auferlegte schuldrechtliche Vertriebsbeschrankungen einhalten.\nDas ist jedoch nicht der Schutzzweck des Markengesetzes. Zugemutet werden kann\ndem Markenverletzungsbeklagten dagegen vorzutragen, ob die von ihm vertriebene\nmit der Klagemarke versehene Ware ausschließlich aus in § 24 Abs. 1 MarkenG\ngenannten Staaten stammt und dort vom Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung\nin den Verkehr gebracht wurde.\n\n46\n\nDem steht auch nicht entgegen, daß der Markenverletzungsklager sich aus den\nvorgenannten Grunden u.U. ebenfalls nicht darauf beschranken kann vorzutragen,\ndie Beklagte vertreibe mit der Klagemarke versehene Erzeugnisse. Zwar muß der\nInhaber der Markenrechte gegebenenfalls anhand nachvollziehbarer Umstande\ndarlegen, daß die fragliche Ware nicht mit seiner Zustimmung mit der fur ihn\ngeschutzten Marke versehen und in den Verkehr gesetzt worden ist. Solche\nUmstande konnen etwa darin liegen, daß die angegriffene Ware anhand besonderer\nKennzeichnungen oder ihrer sonstigen Beschaffenheit als solche identifiziert\nwerden kann, die der Markeninhaber nicht in das in § 2 4 Abs. 1 MarkenG\ngenannte Gebiet der Europaischen Union und des Europaischen Wirtschaftsraumes\nliefert. Obwohl die Klagerin derartiges nicht hat vortragen konnen, da die\nMarkeninhaberin ihre Waren nicht mit einer solchen besonderen Kennzeichnung\nversieht, greifen die Markenverletzungsanspruche im Streitfall durch, denn das\nVorbringen der Beklagten laßt die Moglichkeit offen, jedenfalls ein Teil der\nvon ihr in Deutschland auf den Markt gebrachten fraglichen Bekleidungsstucke\nstamme aus den USA. Erst wenn die Beklagten dargelegt hatten, die Waren der\nMarkeninhaberin ausschließlich von deren in Staaten der Europaischen Union\noder des Europaischen Wirtschaftsraumes ansassigen Vertragshandlern bezogen zu\nhaben, hatte die Klagerin Veranlassung gehabt, diesem Vorbringen greifbare\nAnhaltspunkte dafur entgegenzuhalten, daß die von den Beklagten vertriebene\nWare außerhalb dieser Staaten in den Verkehr gekommen ist. Offenbleiben kann\ndie im vorerwahnten Urteil der Kammer vom 4. Juli 1995 nicht entschiedene\nFrage, ob die Markenrechtsanderung die unter der Geltung des ehemaligen\nWarenzeichengesetzes eingetretene Erschopfung der Markenrechte an bis zum 31.\nDezember 1994 erstmals in den Verkehr gelangten Waren nachtraglich wieder\naufgehoben hat. Nachdem das Markengesetz nunmehr uber ein Jahr in Kraft steht\nund die mit der Klagemarke versehenen Waren beim privaten Letztabnehmer sehr\nbeliebt sind, ist die Kammer davon ausgegangen, daß die Beklagten vor dem\nInkrafttreten des Markengesetzes erstmals in den Verkehr gekommene Bestande\ninzwischen abverkauft haben, zumal sie auf den entsprechenden Hinweis der\nKammer im letzten Verhandlungstermin nicht vorgetragen haben, solche Bestande\nnoch auf Lager zu haben.\n\n47\n\n2.\n\n48\n\nNachdem die Markeninhaberin ihr ihre aus der Verletzung der Klagemarke\nhervorgegangenen Anspruche auf Schadenersatz abgetreten hat, kann die Klagerin\nvon den Beklagten nach § 14 Abs. 6 MarkenG i.V.m. § 398 BGB Ersatz aller\nSchaden verlangen, die der Markeninhaberin daraus entstanden sind, daß die\nBeklagten die ihnen in Abschnitt I 1 a) - c) des Urteilsausspruches\nuntersagten Handlungen begangen haben. Die Beklagten haben die Markenrechte\nschuldhaft verletzt, namlich zumindest fahrlassig im Sin-ne des § 276 Abs. 1\nSatz 2 BGB. Den Beklagten war die Klagemarke bekannt, nachdem die Klagerin sie\nschon im November 1994 abgemahnt (vgl. Anlage 11) und mit Schreiben vom 5.\nDezember 1994 (Anlage 12) auf die zum 1. Januar 1995 in Kraft tretende\nEinschrankung des Erschopfungsein-wandes hingewiesen hatte. Dennoch haben sie\ndas angegriffene Verhalten nicht eingestellt. Das darin liegende Verschulden\ndes Beklagten zu 2) ist der Beklagten zu 1) entsprechend § 31 BGB zuzurechnen;\naußerdem haften beide Beklagten nach den §§ 830, 840 BGB als Gesamtschuldner.\n\n49\n\nDie Verpflichtung der Beklagten zum Schadenersatz erstreckt sich auf ihre seit\nInkrafttreten des Markengesetzes begangenen Verletzungshandlungen. Die\nAbtretung enthalt keine zeitliche Begrenzung, und entgegen der Auffassung der\nBeklagten sind die Anspruche der Klagerin nicht zeitlich ruckwirkend auf\ndenjenigen Zeitpunkt beschrankt, fur den eine Verletzungshandlung erstmals\nschlussig vorgetragen wird. Soweit der I. Senat des Bundesgerichtshofes in\nseinen Entscheidungen "Indorektal/Indorexal" (GRUR 1995, 50, 54) und "Gaby"\n(GRUR 1988, 307, 308) diese Ansicht vertreten hat, stimmt die Kammer ihr aus\nden in ihren Urteilen vom 4. Oktober 1988 (GRUR 1989, 583, 586\n-Strickwarenhandel) und vom 31. Oktober 1989 (GRUR 1990, 117, 118-\nStrickwarenhandel II) dargelegten Grunden nicht zu. Auch der fur die\nVerletzung von Patenten und Gebrauchsmustern zustandige X. Zivilsenat des\nBundesgerichtshofes folgt der vorgenannten Rechtssprechung des I. Zivilsenates\nnicht (vgl. BGHZ 117, 264, 278 f.- Micola) . Im Markenrecht - wie auch bei\nanderen Schutzrechten -hangt es haufig vom Zufall ab, zu welchem Zeitpunkt der\nInhaber von der Verletzung seiner Rechte erfahrt, und es wird ihm in aller\nRegel nur selten gelingen, mehr als einen oder wenige Verletzungsfalle\nnachzuweisen. Dementsprechend billigt auch der I. Zivilsenat des Bundesge-\nrichtshofes fur nach der festgestellten ersten Verletzungshandlung begangenen\ngleichartige Handlungen Schadenersatz- und Auskunftsanspruche zu, ohne daß sie\nim einzelnen nachgewiesen werden mussen.\n\n50\n\nDie Klagerin hat ein rechtliches Interesse im Sinne des § 256 Abs. 1 der\nZivilprozeßordnung (ZPO) daran, die Verpflichtung der Beklagten zum\nSchadenersatz dem Grunde nach feststellen zu lassen, statt auf Leistung zu\nklagen. Daß der Markeninhaberin durch die Verletzungshandlungen der Beklagten\nSchaden entstanden ist, ist hinreichend wahrscheinlich; beziffern kann die\nKlagerin die daraus hervorgehenden Schadenersatzanspruche jedoch erst, wenn\nihr die Auskunft der Beklagten vorliegt.\n\n51\n\nKeinen Anspruch hat die Klagerin dagegen auf Ersatz ihres eigenen Schadens.\nEin solcher Schaden setzt voraus, daß sie entweder Inhaberin der Klagemarke\nist oder wenigstens ein dinglich wirkendes Recht daran besitzt. Beides ist\njedoch nicht der Fall. Die Klagerin ist nicht Markeninhaberin, und sie besitzt\nauch keine dinglich wirkende Lizenz daran; das ist in Ziffer 10.2 Satz 1 des\nHandlervertrages vom 1. Mai 1995 (Anlagen 2/2a) ausdrucklich klargestellt. Daß\nsie nach diesem Vertrag weiterhin ausschließlich berechtigt ist, ihr von der\nMarkeninhaberin gelieferte und mit der Klagemarke versehene Ware in der\nBundesrepublik Deutschland zu vertreiben, rechtfertigt keine andere\nBeurteilung, denn das stunde ihr nach dem Markengesetz ohnehin offen wie jedem\nanderen auch. Daß die Markeninhaberin sich verpflichtet hat, ihre Waren zu\ndiesem Zweck nur an die Klagerin zu liefern, wirkt nur schuldrechtlich und\nbegrundet ebenfalls keine Lizenz.\n\n52\n\n3.\n\n53\n\nSteht die Verpflichtung der Beklagten zum Schadenersatz dem Grunde nach fest,\nso entspricht es Treu und Glauben (§ 242 BGB) , daß sie der Klagerin uber den\nUmfang ihrer Verletzungshandlungen Auskunft zu erteilen hat. Da der\nSchadenersatz bei Markenverletzungen in aller Regel nur zu schatzen ist und\nnach der Lizenzanalogie zu berechnen sein wird, hat die Klagerin allerdings\nkeinen Anspruch auf Mitteilung der Bezugs- und Abgabepreise und der einzelnen\nAngebote, sondern nur auf Mitteilung der aus den Verletzungshandlungen\nerzielten Umsatze und der in diesem Rahmen betriebenen Werbung (vgl. BGH GRUR\n1973, 375 -Miss Petite; 1977, 491, 494 - ALLSTAR).\n\n54\n\nEine Rechtsgrundlage fur die Angabe dieser Einzelheiten ergibt sich auch nicht\naus § 19 Abs. 1 und 2 MarkenG; nach dieser Vorschrift hat die Klagerin nur\nAnspruch auf Angabe der Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer\nVorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer und Auftraggeber und der Menge der\nausgelieferten, erhaltenen und bestellten Ware.\n\n55\n\nDen Beklagten konnte nicht nachgelassen werden, die Namen und Anschriften der\nLieferanten und anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer oder\nAuftraggeber statt der Klagerin einem ihr gegenuber zur Verschwiegenheit\nverpflichteten Wirtschaftsprufer mitzuteilen. Das ware mit den Zweck des\nerweiterten Auskunftsanspruchs nach § 19 MarkenG unvereinbar, dem\nSchutzrechtsinhaber weitere an der Verletzung Beteiligte, zu denen auch die\nvorerwahnten Personen gehoren, zur Kenntnis zu bringen und ihm die Überprufung\nzu ermoglichen, ob er auch gegen sie Anspruche hat und durchsetzen will; die\ndurch den erweiterten Auskunftsanspruch angestrebte Verbesserung der\nRechtslage des Schutzrechtsinhabers besteht gerade darin, ihn nunmehr zu\nersparen, sich die Namen und Anschriften von dritter Seite besorgen zu mussen\nund beim Wirtschaftsprufer lediglich nachfragen zu konnen, ob die anderweitig\nermittelten und konkret anzugebenden Namen und Anschriften in der Auskunft\nenthalten sind. Aus welchen Grunden das unverhaltnismaßig oder ihnen nicht\nzumutbar sein soll, haben die Beklagten nicht dargelegt.\n\n56\n\nDer nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 17. Januar 1996\nrechtfertigt keine andere Beurteilung und veranlaßt auch nicht, die mundliche\nVerhandlung wiederzu-eroffnen.\n\n57\n\nIII.\n\n58\n\nEntsprechend den beiderseitigen Unterliegensanteilen hat die Kammer die Kosten\ngemaß §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO auf beide Parteien verteilt; die\nAnordnungen zur vorlaufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich fur die\nZwangsvollstreckung der Klagerin aus den §§ 709 Satz 1, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO,\nund fur die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen ihrer Kosten folgen sie\naus den §§ 708 Nr. 11, 711, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.\n\n59\n\nStreitwert: 500.000,00 DM.\n\n
312,694
olgk-1996-02-05-16-u-5495
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
16 U 54/95
1996-02-05
2019-03-13 13:13:54
2020-12-10 13:14:40
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1996:0205.16U54.95.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r u n d e :**\n\n2\n\nDie zulassige Berufung des Klagers ist nicht begrundet.\n\n3\n\nDem Klager steht, wie das Landgericht zutreffend ausgefuhrt hat, kein\nmaterieller Schadensersatz - oder Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagten\naus dem Unfallgeschehen vom 22.12.1992 zu.\n\n4\n\nVoraussetzung fur einen materiellen Schadensersatzanspruch des Klagers ware,\ndaß dieser darlegen und beweisen kann, daß der Beklagte zu 1) durch sein\nAuffahren auf das klagerische Fahrzeug die geltend gemachten Schaden ganz oder\nteilweise ursachlich herbeigefuhrt hat. Der Klager hat nicht bewiesen, daß der\ngesamte Fahrzeugschaden vom Beklagten verursacht worden ist. Er hat daruber\nhinaus nicht schlussig dargelegt, daß wenigstens ein bestimmter, naher\nabgegrenzter Teil des Schadens auf den Zusammenstoß mit dem PKW des Beklagten\nzu 1) zuruckzufuhren ist. Dies geht zu seinen Lasten. Die Darlegungs- und\nBeweislast fur seinen Schaden liegt beim Klager, da es sich um den\nanspruchsbegrundenden Tatbestand handelt.\n\n5\n\nAuch der Senat folgt dem gerichtlich bestellten Sachverstandigen Dipl.-Ing. H.\ndarin, daß es ausgeschlossen ist, daß der Beklagte zu 1) durch den\nAuffahrunfall die gesamten vom Klager geltend gemachten Schaden am Heck seines\nFahrzeugs verursacht hat. Insbesondere dem Foto Bl. 43 des Anlagenbandes kann\ndeutlich entnommen werden, daß sich beim PKW X des Klagers hinten rechts\noberhalb der Ruckleuchten in der relativ stabilen Ecke des Kofferraumdeckels\neine tiefe Eindellung befindet, die durch einen direkten kraftigen Anstoß\nentstanden sein muß, ohne daß sich beim PKW Y des Beklagten zu 1) in dieser\nHohe ein korrespondierender Beruhrungspunkt feststellen ließe. Dem steht die\nTieferlegung des Fahrwerks des klagerischen PKWs nicht entgegen, weil sich den\nkreisrunden Abdrucken beider Scheinwerfer des Y auf der Stoßstange des X\neindeutig entnehmen laßt, in welcher Hohe die Fahrzeuge aufeinandergetroffen\nsind, und aus dem Foto des Y selbst in seinem total demolierten Zustand Bl. 40\ndes Anlagenbandes klar hervorgeht, daß die Motorhaube des Y die Scheinwerfer\nnur so wenig uberragt, daß ein Kontakt mit ihr die wesentlich hoher liegende\nDelle im Kofferraumdeckel des X unmoglich verursacht haben kann. Im ubrigen\nkann die massive Delle im X nur durch einen hervorstehenden Gegenstand\nausgelost worden sein, die sich an der Frontpartie des Y aber nirgendwo\nbefindet. Abgesehen von dieser besonders auffalligen nicht mit dem Unfall zu\nvereinbarenden Schadensstelle hat der Sachverstandige Dipl.-Ing. H. weiter\nuberzeugend dargelegt, daß auch sonst im gesamten rechten hinteren Bereich des\nX ein erheblicher Vorschaden vorhanden gewesen sein muß, denn die dort rechts\nhinten eingetretenen Schaden sind viel gravierender als die links\neingetretenen Schaden, wahrend der Y uber die gesamte Frontseite ein\ngleichmaßiges Schadensbild aufweist. Insbesondere die Fotos Bl. 44 und 46 des\nAnlagenbandes zeigen die starke Stauchung des hinteren rechten Seitenteils des\nX, die sich auch seitlich nach vorne fortgepflanzt hat, wahrend die Fotos vom\nY Bl. 39 des Anlagenbandes keine massivere Beschadigung der rechten Seite\nerkennen lassen. Bei dieser Beurteilung spielt es keine entscheidende Rolle,\nob der PKW Y gradlinig auf den PKW X aufgefahren ist oder ob letzterer im\nKollisionszeitpunkt schon geringfugig nach rechts abgewinkelt war. In jedem\nFalle fehlt es auf der in Fahrtrichtung gesehen rechten Seite an\nkorrespondierenden Schadensbildern beider Fahrzeuge.\n\n6\n\nDie Aussagen der Zeugin Z. und des Beklagten zu 1) stehen der Annahme der\nteilweisen Unvereinbarkeit der Schaden nicht entgegen. Auch wenn die Zeugin Z.\nden PKW des Klagers am Morgen des Unfalltages noch in unbeschadigtem Zustand\ngesehen hat, schließt dies nicht aus, daß bis zu dem hier streitigen\nUnfallereignis um 19.10 Uhr ein Vorschaden eingetreten war. Ebensowenig\nspricht es zwingend fur eine Unfallfreiheit des klagerischen PKWs, daß dem\nBeklagten zu 1), als er in der Dammerung hinter dem Klager herfuhr, keine\nSchaden am Heck des schwarzen X auffielen. Der Unfall zeigt, daß der Beklagte\nzu 1) ohnehin unkonzentriert fuhr. Hiernach laßt sich der komplette Schaden\ndes Klagers nicht dem der Klage zugrundeliegenden Unfallereignis zuordnen.\n\n7\n\nBei dieser Sachlage hatte es dem Klager oblegen, den Vorschaden naher zu\nerlautern, um eine Prufung zu ermoglichen, ob durch den Unfall mit dem\nBeklagten zu 1) ein hiervon abgrenzbarer weiterer Schaden entstanden ist, fur\nden eine Haftung der Beklagten allein in Betracht kame. Mangels jeglicher\nDarlegungen des Klagers zu dem Vorschaden laßt sich ein etwaiger von den\nBeklagten zu ersetzender Teilschaden indes nicht ermitteln.\n\n8\n\nDer Klager kann von den Beklagten auch keine Schmerzensgeldzahlung\nbeanspruchen. Muß im Hinblick auf die Aussage der Zeugin Z. davon ausgegangen\nwerden, daß der Klager am Unfalltag schon einmal in einen Vorunfall mit einem\nnicht unerheblichen Schaden verwickelt war, so kann mangels jeglicher naherer\nAngaben des Klagers nicht ausgeschlossen werden, daß er sich seinen\nGesundheitsschaden bei diesem Ereignis zugezogen hat.\n\n9\n\nDie Berufung des Klagers war hiernach mit den Nebenfolgen aus §§ 97, 708 Nr.\n10, 713 ZPO zuruckzuweisen.\n\n10\n\nWert der Beschwer: 29.022,18 DM.\n\n
312,885
olgk-1995-10-27-6-u-1495
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
6 U 14/95
1995-10-27
2019-03-13 13:18:51
2020-12-10 13:15:08
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1995:1027.6U14.95.00
## Tenor\n\n \n1\n\n##blob##nbsp;\n\n2\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r u n d e**\n\n3\n\nDie Berufung ist zulassig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.\n\n4\n\nDie beanstandete Werbeaussage ist irrefuhrend und daher - wie durch das\nLandgericht geschehen - in ihrer konkret verwendeten Form gemaß § 3 UWG zu\nuntersagen.\n\n5\n\nDie angegriffene Werbung bringt unmißverstandlich zum Ausdruck, daß das jetzt\nvon den Beklagten gefuhrte Bestattungsunternehmen das alteste in K.-D. sei.\nDies wird auch im Berufungsverfahren von den Beklagten nicht mehr bestritten.\nIhre Behauptung, die Werbeaussage sei inhaltlich richtig und daher nicht\nirrefuhrend, trifft indes nicht zu.\n\n6\n\nAuch aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich, daß das Unternehmen des\nKlagers, also die fragliche wirtschaftliche Einheit als solche, bereits seit\n1969 existiert. Die Werbeaussage der Beklagten ware daher nur dann nicht zu\nbeanstanden, wenn das jetzt von ihnen gefuhrte Unternehmen noch fruher\ngegrundet worden ware. Das ist indes schon nach dem - uberdies\nwiderspruchlichen - Vortrag der Beklagten nicht der Fall. Danach soll auch ihr\nUnternehmen auf eine Betriebsgrundung seitens des Vaters der Beklagten zu 1)\nim Jahre 1969 zuruckgehen. Es ist schon zweifelhaft, ob sich diese Behauptung\naus dem Vortrag der Beklagten mit der erforderlichen Gewißheit ergibt. Das\nkann indes offenbleiben, weil das Unternehmen dann allenfalls gleich alt wie\ndasjenige des Klagers und die Herausstellung als _" altestes\nBestattungsunternehmen in D."_ auch in diesem Falle unrichtig und damit\nirrefuhrend ware. Ein Unternehmen, das nicht alter ist als ein\nKonkurrenzunternehmen am selben Ort, darf sich namlich nicht - da unzutreffend\n- als das alteste am Platze bezeichnen und solcherart eine ihm jedenfalls\nalleine nicht zukommende Wertschatzung, die sich auf eine langjahrige Praxis\nund Erfahrung grundet und die fur den Verkehr von nicht unerheblicher\nBedeutung ist, nicht fur sich in Anspruch nehmen.\n\n7\n\nDer Klager fuhrt zumindest einen bedeutenden Teil des Betriebes fort, den der\nVater der Beklagten zu 1), Herr P. B., im Jahre 1969 gegrundet hat. Das bedarf\nnur hinsichtlich der Frage, ob dieser Betrieb oder doch ein Teil dieses\nBetriebes von dem Rechtsvorganger des Klagers, Herrn L., im Jahre 1983\nubernommen und fortgefuhrt worden ist, naherer Begrundung. Denn daß der Klager\nspater durch den im Jahre 1987 mit diesem geschlossenen Vertrag den bis dahin\nvon Herrn L. in der A.strasse 27 gefuhrten Betrieb ubernommen hat, ist\nzwischen den Parteien außer Streit.\n\n8\n\nEin Fortfuhren des Unternehmens setzt nach dem insoweit maßgeblichen\nallgemeinen Sprachgebrauch und -Verstandnis nicht eine Übernahme des Betriebes\nmit allen Aktiva und Passiva, also insbesondere nicht die Übernahme etwa\nbestehender Verbindlichkeiten voraus, wie dies in anderem, etwa\nhandelsrechtlichen Zusammenhang von Bedeutung sein mag. Es genugt vielmehr,\nwenn der Übernehmer nicht einen vollig neuen Betrieb eroffnet, sondern an den\nbisherigen Geschaftsbetrieb unter Ausnutzung der von diesem geschaffenen\nVerhaltnisse in wirtschaftlicher Weise ohne Bruch anknupft und in einer\norganischen Entwicklung seine geschaftliche Beziehung unter Wahrung des\nwesentlichen Charakters des Unternehmens aufnimmt und sie ggfls. ausbaut (vgl.\nBaumbach/Hefermehl, UWG, 18. Aufl., § 3 Rdnr. 393 m.w.N.).\n\n9\n\nDiese Kriterien sind indes auch bei Zugrundelegung des Sachvortrages der\nBeklagten einschließlich ihres teilweise neuen Vorbringens in dem\nnachgelassenen Schriftsatz vom 2.10.1995 erfullt.\n\n10\n\nSchon die Tatsache, daß Herr L. den Betrieb in demselben Hause gefuhrt hat, in\ndem zuvor Herr B. als Bestattungsunternehmer tatig gewesen war, spricht\ndeutlich fur die Fortfuhrung des Unternehmens im vorstehenden Sinne. Wegen der\nlangjahrigen Prasenz eines Bestattungsunternehmens im Hause A.strasse 27 hatte\ndieses namlich einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Nicht wenige Kunden\nwerden daher das Unternehmen des Herrn L. im Hinblick auf diese Bekanntheit\nund ohne Rucksicht auf den inzwischen eingetretenen, im Einzelfall\nmoglicherweise von ihnen gar nicht wahrgenommenen Wechsel in Anspruch genommen\nhaben. Schon dadurch unterscheidet sich die Situation des von Herrn L.\ngefuhrten Betriebes erheblich von einem solchen, der vollig neu und\ninsbesondere in einem Hause eroffnet wird, in dem sich vorher kein\nBestattungsunternehmen befand.\n\n11\n\nEs ist uberdies davon auszugehen, daß Herr L. jedenfalls anfangs auch von\nseinem Recht Gebrauch gemacht hat, die fruhere Bezeichnung "Bestattungshaus\nB." fortzufuhren, weil die Beklagten hierzu in erster Instanz vorgetragen\nhaben, Herr L. habe "dann doch", mithin erst spater, auf die Weiterfuhrung des\nNamens verzichtet.\n\n12\n\nSelbst wenn dies im ubrigen nicht oder nur fur einen kurzen Zeitraum der Fall\ngewesen sein sollte, so zeigt doch die Tatsache, daß Herrn L. vertraglich\nausdrucklich das Recht eingeraumt worden ist, die Bezeichnung "Bestattungshaus\nB." mit Nachfolgeklausel fur seinen Betrieb zu verwenden (§ 7), daß die\ndamaligen Vertragsparteien selbst nicht von der Grundung eines vollig neuen\nUnternehmens ausgegangen sind. Denn ein von dem fruheren Unternehmen\nunabhangiges, sozusagen nur zufallig im selben Hause ansassiges Unternehmen\nkann nicht das Recht haben, den Namen des fruher dort befindlichen Betriebes\nfortzufuhren und sich so einen eventuellen guten Ruf des bisherigen\nUnternehmens zunutze zu machen.\n\n13\n\nEs kommt hinzu, daß Herr L. die Verpflichtung eingegangen ist, bestimmte\nbereits von Herrn P. B. eingegangene Beerdigungsverpflichtungen nach dem\nAbleben der betreffenden Personen zu erfullen (§ 6 a) und bestimmte\nVereinbarungen, die Herr B. uber Werbemaßnahmen, Eintragungen im Telefonbuch\nund den Bezug von Zeitungen fur seinen Betrieb getroffen hatte, gegen sich\ngelten zu lassen (§ 6 b). Auch diese Verpflichtungen und ihre anschließende\nErfullung durch Herrn L., von der mangels abweichendem Vortrag der Beklagten\nauszugehen ist, zeigt deutlich, daß der Betrieb des Hern L. an denjenigen des\nHerrn B. anknupfte und auf diesen in einer Weise aufgebaut war, daß nach dem\nmaßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch und aus der Sicht des Verkehrs von\neiner Fortfuhrung, d.h. einem wirtschaftlichen Fortleben des Unternehmens des\nHerrn B. in seinem Wesenskern, auszugehen ist.\n\n14\n\nDie Vertragsparteien haben im ubrigen die vorstehend aufgefuhrten\nVereinbarungen auch unter Berucksichtigung des Vorbringens der Beklagten in\nihrem Schriftsatz vom 2.10.1995 nicht nur in den schriftlichen Vertragstext\naufgenommen, sondern auch tatsachlich so gewollt. Die Beklagten behaupten\nnamlich nicht etwa, daß die Vertragsparteien die schriftlich niedergelegten\nVereinbarungen entgegen dem Wortlaut des Vertrages tatsachlich nicht gewollt\nhatten. Ihre Behauptung, Herr L. habe durch den Vertrag nicht das gesamte\nUnternehmen des Herrn B. ubernehmen wollen, besagt nicht, daß die\nVereinbarungen uber die Namensfortfuhrung, die bereits eingegangenen\nBeerdigungsverpflichtungen und die im § 6 b) des Vertrages enthaltenen\nRegelungen tatsachlich nicht dem ubereinstimmenden Willen der damaligen\nVertragsparteien entsprochen hatten.\n\n15\n\nGegen die Annahme einer Fortfuhrung des Betriebes des Herrn B. i.S. einer\nKontinuitat zwischen dem gegenwartigen (ubernommenen) und dem fruheren\nUnternehmen spricht auch weder, daß die Vertragsparteien ihre Vereinbarungen\nals "Kaufvertrag" bezeichnet haben, noch die von Herrn B. im § 2 des Vertrages\nubernommene - und spater erfullte - Verpflichtung, sein Unternehmen\n"aufzulosen, abzuwickeln und abzumelden".\n\n16\n\nDie Bezeichnung des Vertrages als "Kaufvertrag" vermag an der Tatsache nichts\nzu andern, daß die vertraglichen Vereinbarungen zumindest durch die vorstehend\naufgefuhrten Regelungen weit uber einen Kaufvertrag hinausgehen. Die\nBezeichnung des Vertrages als "Kaufvertrag" mag ein Anzeichen dafur sein, daß\ndie Vertragsparteien in der Übernahme des Inventars den Schwerpunkt der\nVereinbarungen gesehen haben, und konnte im ubrigen auch in der von den\nBeklagten selbst eingeraumten Tatsache begrundet sein, daß der Text von einem\nNichtjuristen aufgesetzt worden ist. Sie andert indes nichts daran, daß die\nVereinbarung auch die angesprochenen weiteren Elemente enthalt, die zumindest\nim Zusammenhang mit der Ausubung des Betriebes im selben Hause die Annahme\neiner Betriebsfortfuhrung, d.h. einer wirtschaftlichen Fortdauer des\nbestehenden Unternehmens rechtfertigen.\n\n17\n\nDas gilt auch fur die Verpflichtung des Herrn B., seinen Betrieb aufzulosen,\nabzuwickeln und abzumelden, die im ubrigen ersichtlich dem Zweck diente, eine\nKonkurrenz durch Herrn B. zu verhindern. Auch nach der formlichen Auflosung,\nAbwicklung und Abmeldung des Betriebes konnte Herr L. in wirtschaftlicher\nHinsicht und fur die angesprochenen Verkehrskreise eben diesen Betrieb ohne\nweiteres fortfuhren, was aus den vorstehenden Grunden auch geschehen ist.\n\n18\n\nNach alledem besteht der heute von dem Klager gefuhrte Betrieb in der\nA.strasse 27 in K.-D. in nicht unterbrochener Kontinuitat seit dem Jahre 1969\ndergestalt, daß er aus der maßgeblichen Sicht des Verkehrs als wesensgleich\nmit dem ursprunglichen angesehen wird (vgl. Baumbach/Hefermehl, UWG, 18.\nAufl., § 3 Rdnr. 393).\n\n19\n\nDas von den Beklagten gefuhrte Unternehmen ist somit jedenfalls nicht alter\nals dasjenige des Klagers.\n\n20\n\nIm Hinblick auf ihren wechselnden Vortrag ist schon zweifelhaft, ob uberhaupt\nvon der Richtigkeit der im Berufungsverfahren neu aufgestellten Behauptung der\nBeklagten ausgegangen werden kann, wonach es sich bei ihrem Unternehmen um den\nTeil des 1969 von Hern P. B. gegrundeten Betriebes handeln soll, der im Jahre\n1972 von diesem auf Frau Ursula B. ubergegangen ist. Zweifel sind hieran\ninsbesondere deswegen angebracht, weil uber diesen Betrieb, der\nbemerkenswerterweise in der Klageerwiderung noch uberhaupt nicht erwahnt\nworden war, in erster Instanz vorgetragen worden ist, er sei vom Jahre 1973 an\nbis Mitte 1983 von Frau K. J. gefuhrt worden, wahrend es in der\nBerufungserwiderung heißt, Frau U. B. habe den Betrieb (durchgangig) selbst\ngefuhrt und Frau J. habe zwischen 1973 und 1983 einen (dritten) selbstandigen\nBetrieb in der A.strasse gehabt.\n\n21\n\nDiesen Zweifeln braucht indes nicht naher nachgegangen zu werden. Selbst wenn\nes sich bei dem Betrieb der Beklagten namlich tatsachlich um denjenigen\nhandeln sollte, den im Jahre 1972 die Mutter der Beklagten zu 1) ubernommen\nhatte, und wenn man zu Gunsten der Beklagten uberdies annehmen wollte, Herr P.\nB. habe schon von Anfang an, also seit der Betriebsgrundung im Jahre 1969,\nnicht nur in der H.strasse, sondern auch in der A.strasse seinen Betrieb\ngefuhrt, ist der Betrieb der Beklagten jedenfalls nicht alter als derjenige\ndes Klagers, sondern nur gleich alt.\n\n22\n\nAuch unter diesen Umstanden ist indes die Bezeichnung "altestes\nBestattungsunternehmen in D." nicht zutreffend und damit irrefuhrend.\nZumindest ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise\nversteht die Aussage namlich - was der Senat selbst feststellen kann, weil\nseine Mitglieder zu den angesprochenen Verkehrskreisen zahlen - als\nAlleinstellungswerbung in dem Sinne, daß es nicht nur keine alteren, sondern\nauch keine gleich alten Bestattungsunternehmen in K.-D. gibt. Dies trifft\nindes auch nach dem Vortrag der Beklagten selbst nicht zu, sodaß die\nWerbeaussage auch unter Berucksichtigung ihres Berufungsvorbringens als\nIrrefuhrung gemaß § 3 UWG zu untersagen ist. Erfahrungsgemaß rechnet das\nPublikum bei einem alten ("eingesessenen") Unternehmen mit Vorzugen, die ein\njungeres Unternehmen nicht aufzuweisen hat, woraus - unabhangig von der\nRechtsform und moglicher Rechtsnachfolge - zwanglos die wettbewerbliche\nRelevanz einer solchen unzutreffenden Alterswerbung herzuleiten ist.\n\n23\n\nSchließlich kann dahinstehen, ob der Klager, wie die Beklagten in ihrem\nnachgelassenen Schriftsatz erstmals behaupten, selbst mit einer unrichtigen\nAltersangabe wirbt. Auch wenn dies so sein sollte, stunde der sog. Einwand der\n"unclean hands" mit Rucksicht auf die durch den verletzten § 3 UWG geschutzten\nAllgemeininteressen dem Klageanspruch und seiner Geltendmachung nicht entgegen\n(vgl. nur Baumbach/Hefermehl, § 3 UWG RZ 442 m.w.N.).\n\n24\n\nDer nach Ablauf der Schriftsatzfrist eingegangene weitere Schriftsatz der\nBeklagten vom 17.10.1995 gibt weder fur eine Erganzung der vorstehenden\nUrteilsgrunde noch fur die beantragte Wiedereroffnung der mundlichen\nVerhandlung Anlaß.\n\n25\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs.1, 100 Abs.1 ZPO.\n\n26\n\nDie Entscheidung zur vorlaufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 713\nZPO.\n\n27\n\nDie gemaß § 546 Abs.2 ZPO festzusetzende Beschwer der Beklagten entspricht dem\nWert ihres Unterliegens im Rechtsstreit.\n\n28\n\nStreitwert fur das Berufungsverfahren: 10.000 DM\n\n
313,047
olgk-1995-07-14-19-u-22294
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
19 U 222/94
1995-07-14
2019-03-13 13:23:30
2020-12-10 13:15:33
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1995:0714.19U222.94.00
1\n\nE n t s c h e i d u n g s g r u n d e\n\n2\n\nDie zulassige Berufung der Klagerin hat uberwiegend Erfolg. Das gegen sie\nergangene, die Berufung zuruckweisende Versaumnisurteil war auf den zulassigen\nEinspruch hin insoweit aufzuheben. Die Klagerin erstrebt mit ihrer Berufung\nErsatz weiterer Mietwagenkosten wegen Beschadigung eines Leasingfahrzeuges\ndurch den Beklagten zu 1). Die Klagerin ist aktivlegitimiert, nachdem ihr die\nFirma L. KG als Leasinggeberin die ihr abgetretenen Schadensersatzanspruche\ngegen Dritte zuruckabgetreten hat. Entgegen der Ansicht des Landgerichts war\ndie in § 10 Nr. 4 des Leasingvertrages enthaltene Vorababtretung aller\nSchadensersatzanspruche durch die Leasingnehmerin an die Leasingeberin\nwirksam, verstieß insbesondere nicht gegen § 9 AGB Gesetz. Diese\nVorababtretung der Schadenersatzanspruche durch den Leasingnehmer an dem\nLeasinggeber ist in Leasingvertragen vielfach ublich und ist - soweit\nersichtlich- von Rechtsprechung und Literatur bisher nicht als Verstoß gegen §\n9 AGB Gesetz angesehen worden. Vielmehr geht der Bundesgerichtshof in seinen\nEntscheidungen offenbar von der Wirksamkeit entsprechender Klauseln aus ( vgl.\nBGH VersR 1976, 943; NJW 1992, 683; s.a. Graf von Westphalen, Der\nLeasingvertrag, 4. Aufl., Rn. 692; Wolf/ Horn/Lindacher, Kommentar zum AGB-\nGesetz, 3. Aufl., § 9 Leasingvertrage Rn L 94). Eine unbillige Regelung kann\nhierin auch nicht gesehen werden. Nach § 9 Nr. 1 des Vertrages tragt der\nLeasingnehmer die Sachgefahr. Der Leasingnehmer bleibt danach bei Verlust oder\nBeschadigung der Sache zur Fortzahlung der Raten verpflichtet, allerdings\nsteht ihm ein Kundigungsrecht zu. Im Falle der vorzeitigen Kundigung hat der\nLeasingeber Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Nach § 10 Nr. 1 ist der\nLeasingnehmer verpflichtet, die Sache gegen Verlust und Beschadigung zu\nversichern und die Anspruche aus der Versicherung an den Leasinggeber\nabzutreten. Die Versicherungssumme ist auf die Anspruche des Leasinggebers\ngegen den Leasingnehmer anzurechnen, bis auf die beim Leasinggeber als\nEigentumer verbleibende Wertminderung. Im Falle der Reparatur durch den\nLeasingnehmer muß der Leasinggeber die Versicherungssumme hierfur zur\nVerfugung stellen ( BGH NJW 1985, 1537,1538). Ferner tritt der Leasingnehmer\ndem Leasinggeber die (zukunftigen) Anspruche gegen Dritte ab. Diese Abtretung\nerfaßt -entgegen der Ansicht des Landgerichts- nicht nur Anspruche wegen\nNutzungsausfalles, sondern alle dem Leasingnehmer zustehenden Anspruche, wozu\nim Falle der Beschadigung auch Anspruche wegen des unmittelbaren Sachschadens\ngehoren konnen ( sogenannter Haftungsschaden- vgl. BGH VersR 1976, 943; s. a.\nHohloch, Schadensersatzprobleme bei Unfallen mit Leasingfahrzeugen, NZV\n1992,1,9). Durch die Abtretung der Anspruche wird der Leasinggeber dagegen\ngesichert, daß der Leasingnehmer seine Anspruche gegen Dritte oder aus der\nVersicherung geltend macht, ohne die erlangte Leistung zur Wiederherstellung\nder Leasingsache oder zur Begleichung der Forderung des Leasinggebers zu\nverwenden. Außerdem fuhrt die Abtretung zur Koordinierung der nebeneinander\nmoglichen Anspruche des Leasingnehmers und des Leasinggebers gegen den Dritten\nund zu einer klaren Regelung der Aktivlegitimation. Dennoch ist der\nLeasingnehmer nicht rechtlos gestellt, insbesondere tragt er im Falle der\nReparatur neben der Sachgefahr nicht den Nutzungsschaden , wie das Landgericht\nmeint. Nach § 9 Nr. 4 ist der Leasinggeber namlich verpflichtet, Zug zum Zug\ngegen Befriedigung seines Ausgleichsanspruchs bzw. nach Instandsetzung der\nSache etwaige Anspruche gegen Dritte bis auf einen etwaig verbleibenden\nmerkantilen Minderwert, der beim Leasinggeber als Eigentumer verbleibt, an den\nLeasingnehmer abzutreten. Das umfaßt nicht nur die eigenen Anspruche des\nLeasinggebers gegen Dritte, sondern auch die ihm in § 10 Nr. 4 durch den\nLeasingnehmer abgetretenen Anspruche , wie auch der Hinweis auf § 10 zeigt.\nDiese Ruckabtretung der Anspruche durch die Leasinggeberin an die Klagerin ist\ndurch die nunmehr in Kopie vorgelegte Ruckabtretungsvereinbarung vom 2.7.1992\n( Bl. 268 d.A. ) erfolgt. Zur Hohe ist der Anspruch der Klagerin auf Ersatz\nder Mietwagenkosten uberwiegend begrundet. Mietwagenkosten sind nach § 249 S.\n2 BGB als Kosten der Herstellung im objektiv notwendigen Umfang ersatzfahig.\nNotwendig ist der Betrag, den ein verstandiger Mensch in der Lage des\nGeschadigten fur zweckmaßig halten durfte ( Palandt-Heinrichs, BGB, 54. Aufl.,\n§ 249 Rn. 6 ). Fehler der Werkstatt bei Ausfuhrung der Reparatur sind dem\nGeschadigten nicht zuzurechnen, da die Werkstatt nicht sein Erfullungsgehilfe\nist (BGH NJW 1972,160). Die Verzogerung, die bei der Durchfuhrung der\nReparatur wegen des Fehlens des Kondensators aufgetreten ist, kann deshalb der\nKlagerin nicht angelastet werden. Wenn die Fa. P. die vom Sachverstandige\naufgezeigte Moglichkeit der Notreparatur nicht erkannt hat, kann ist das der\nKlagerin nicht zuzurechnen. Der Klagerin kann auch nicht als eigenes\nVerschulden vorgeworfen werden, daß sie diese Moglichkeit nicht erkannt hat.\nWeitergehende Kenntnisse der technischen Moglichkeiten als der sachkundigen\nReparaturwerkstatt konnen der Klagerin ohne konkrete Anhaltspunkte nicht\nunterstellt werden. Daraus, daß der Geschaftsfuhrer der Klagerin sich um die\nBeschaffung des Ersatzteiles bemuht hat, kann nicht geschlossen werden, daß\ndie Klagerin technische Fachkenntnisse hat. Nach der Aussage des Zeugen P. muß\ndavon ausgegangen werden, daß dort die vom Sachverstandigen Tonk aufgezeigte\nMoglichkeit, das Fahrzeug ohne das fehlende Ersatzteil fahrbereit zu machen,\nindem der Wasserkuhler provisorisch befestigt und die Anschlusse zum\nKondensator verschlossen wurden, nicht bekannt war. Es kann von der Klagerin\nnicht verlangt werden, daß sie das besser wußte und deshalb von der Fa. P. die\nAusfuhrung dieser vom Sachverstandigen beschriebenen Notreparatur oder einer\nanderen provisorischen Maßnahme hatte verlangen mussen. Es kann ebenfalls\nnicht festgestellt werden, daß die Fa. P. fur die Klagerin erkennbar die\nMoglichkeit einer Notreparatur verkannt hat, so daß die Klagerin sich\nanderweitig um die Ausfuhrung einer solchen Reparatur hatte bemuhen mussen. Es\nkann auch kein Auswahlverschulden der Klagerin angenommen werden, weil es sich\nbei der Fa. P. nicht um eine von VAG autorisierte Fachwerkstatt handelte. Das\nist kein Hinweis darauf, daß die Fa. P. fur die Durchfuhrung der Reparatur\nfachlich ungeeignet oder unzuverlassig war. Schließlich ist auch nicht\nfestzustellen, daß die Klagerin es schuldhaft versaumt hat, durch eigene\nBemuhungen die Beschaffung des Ersatzteiles zu beschleunigen. Zwar muß nach\nder Mitteilung der VAG vom 14.4.1994 davon ausgegangen werden, daß das hier\nbenotigte Ersatzteil mit der Kennzeichnung 4AO 260 403 in dem Zentrallager in\nK. vorhanden war, die dort am 12.11.1994 eingegangene Bestellung als\nSchnellbedarf aber aus nicht mehr aufklarbaren Grunden erst am 20.12.1994\nausgeliefert wurde. Die fur das Vertriebsgebiet zustandige Fa. F., uber die\ndie Bestellung erfolgt ist, hat indes einen Lieferruckstand bestatigt ( Bl. 42\nd. A.). Daß eigene Nachfragen der Klagerin bei der Fa. F. zu einem von der\nschriftlichen Bestatigung vom 6.12.1994 abweichenden Auskunft oder zu einer\nBeschleunigung gefuhrt hatte , laßt sich unter diesen Umstanden nicht\nfeststellen, so daß auch dahinstehen kann, ob derartige Nachfragen erfolgt\nsind, wie die Klagerin behauptet. Dagegen war die Klagerin nicht verpflichtet,\nselbst im Zentrallager K. nachzufragen, was moglicherweise dazu gefuhrt hatte,\ndaß der Bestellung nachgegangen und diese fruher bearbeitet worden ware.\nVielmehr konnte die Klagerin sich auf die Auskunft der Fa. F. verlassen.\nDanach kann die Klagerin die Mietwagenkosten grundsatzlich bis zur Beendigung\nder Reparatur am 3.1.1992 ersetzt verlangen. Der Klagerin kann nicht\nvorgeworfen werden, daß sie den Mietwagen zu einem gunstigeren Pauschaltarif\nhatte anmieten mussen. Allerdings ist ein Geschadigter verpflichtet, den\ngegenuber dem Unfalltarif gunstigeren Pauschaltarif zu wahlen, wenn fur ihn\nvoraussehbar ist, daß er das Fahrzeug uber einen langeren Zeitraum benotigen\nwird. Bei der Anmietung des Fahrzeuges und auch beim Bekanntwerden der\nangeblichen Lieferschwierigkeiten beim Ersatzteil war fur die Klagerin\nunwiderlegbar nicht vorauszusehen, wie lange sich die Reparatur verzogern\nwurde. Sie tragt unwiderlegbar vor, daß mit dem taglichen Eingang des\nErsatzteils gerechnet worden sei. Es ist von der Beklagten nicht behauptet\nworden, daß die Satze der Mietwagenrechnungen nach Unfalltarif uberhoht sind.\nDie Tarife der Fa. S. und der Fa. P. sind gleich. Aus den Rechnungen ergibt\nsich aber, daß beide Firmen fur die ersten 9 Tage einen hoheren und ab dem 10.\nTag jeweils einen gunstigeren Tagessatz berechnet haben, namlich 161,76 DM\ngegenuber 105,14 DM. Da nicht erkennbar ist, daß ein Wechsel der\nMietwagenfirma objektiv erforderlich war, sind die durch den Wechsel\nentstandenen Mehrkosten nicht ersatzfahig. Ferner hat der Zeuge P. bei seiner\nVernehmung angegeben, daß der Auftrag am 11.11.1991 erteilt worden sei.\nHieraus folgt, daß die Erteilung des Auftrages eine Woche verzogert wurde.\nNachdem am 2.11.1991 das Sachverstandigengutachten vorlag, hatte am folgenden\nMontag ( d. h. am 4.1.1991) der Auftrag erteilt werden konnen. Wenn die\nKlagerin noch eine Woche gewartet hat, kann sie fur die Zwischenzeit keine\nMietwagenkosten verlangen. Sie kann auch nicht geltend machen, diese um eine\nWoche verzogerte Auftragserteilung habe sich auf die Reparaturdauer nicht\nausgewirkt, da das fehlende Ersatzteil auch bei fruherer Auftragserteilung\nnicht vorhanden gewesen ware. Wie bereits ausgefuhrt, war nach der Mitteilung\nder VAG das Ersatzteil vorhanden, jedoch ist die Bestellung nicht bearbeitet\nworden. Daß es bei einer eine Woche fruher erfolgten Bestellung zur selben\nVerzogerung gekommen ware, was die Klagerin beweisen mußte, steht nicht fest.\nAndererseits fuhrt das aber nicht dazu, daß die Klagerin deshalb fur die\ngesamte Verzogerung bei der Beschaffung des Ersatzteiles einzustehen hatte.\nZwischen der um eine Woche verzogerten Auftragserteilung und den\nSchwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung besteht kein innerer sachlicher\nZusammenhang. Die Zurechnung scheitert am fehlenden\nRechtswidrigkeitszusammenhang. Ausgehend von den Rechnungen der Fa. S. vom\n29.1.1992 (Bl. 36 d. A.) und der Fa. P. vom 3.1.1992 ( Bl. 37 und 38 d. A. )\nerrechnet sich die Forderung der Klagerin wie folgt: 12 Tage wie Rechnung Fa.\nS. 3.229,20 DM 10 Tage (anstatt 17 Tage) Ó 105,14 DM 1.051,40 DM 10 Tage Ó\n17,35 DM 173,50 DM 1261 km ( = 2145 : 17 x 10) Ó 1,31 DM 1.652,90 DM 2.877,80\nDM 2.877,80 DM 37 Tage wie Rechnung Fa. P. Bl. 38 d. A. 8.294,45DM 14.401,45\nDM abzuglich Zahlung 3.229,20 DM 11.172,25 DM vom Landgericht schon\nzugesprochen (ohne Kostenpauschale) 2.590,39 DM Restforderung 8.581,86 DM. Der\nZinsanspruch ist aus Verzug nach §§ 284,286,288 BGB gerechtfertigt. Die\nKostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 344, 515 Abs. 3\n(Anschlußberufung) ZPO. Die vorlaufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§\n708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO. Streitwert fur das Berufungsverfahren: Berufung:\n11.985,67 DM Anschlußberufung: 2.630,39 DM Gesamtstreitwert: 14.616,06 DM ab\n10.5.1995 (Rucknahme Anschlußberufung) und fur das Versaumnisurteil: 11.985,67\nDM. Beschwer fur die Klagerin: 3.403,81 DM; Beschwer fur die Beklagten:\n8.581,86 DM.\n\n
313,090
olgk-1995-06-29-5-u-24594
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
5 U 245/94
1995-06-29
2019-03-13 13:24:45
2020-12-10 13:15:39
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1995:0629.5U245.94.00
## Tenor\n\nAuf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 24. Zivilkammer des\nLandgerichts Koln vom 18. Juli 1994 - 24 O 486/93 - abgeandert.\n\nDie Klage wird abgewiesen.\n\nDie Kosten des Rechtsstreits hat die Klagerin zu tragen.\n\nDas Urteil ist vorlaufig vollstreckbar.\n\nDer Klagerin bleibt vorbehalten, die Zwangsvollstreckung durch\nSicherheitsleistung in Hohe von 15.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht die\nBeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Hohe leistet. Der\nKlagerin wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch\nselbstschuldnerische Burgschaft einer deutschen Großbank, offentlichen\nSparkasse oder Volksbank zu leisten.\n\n \n1\n\n** _T a t b e s t a n d_**\n\n2\n\nDie Klagerin schloß bei der Rechtsvorgangerin der Beklagten, der N\nLebensversicherungs AG, drei Kapitallebensversicherungsvertrage mit\nBerufsunfahigkeitszusatzversicherungsvertragen ab. Im vorliegenden\nRechtsstreit macht sie Anspruche wegen Berufsunfahigkeit aus den\nVersicherungsvertragen mit der Versicherungsnummer C 1, Versicherungsbeginn 1.\nJanuar 1985 und C 2 mit Versicherungsbeginn zum 1. Mai 1986 geltend. Die\nKlagerin, die als Kraftverkehrsmeisterin ein kleines Transportunternehmen zur\nPersonenbeforderung betreibt, hat zur Begrundung ihres Antrages vom 27.\nSeptember 1992 auf Leistung aus den beiden\nBerufsunfahigkeitszusatzversicherungen geltend gemacht, sie sei zu mehr als 50\n% berufsunfahig und hat sich hierzu auf ein nervenarztliches Attest berufen.\n\n3\n\nAufgrund der Angaben in den arztlichen Zeugnissen zur Begrundung des Antrages\nhat die Beklagte mit Schreiben vom 30. Marz 1993 die beiden vorgenannten\nVersicherungen wegen arglistiger Tauschung angefochten und hierzu falsche\nAngaben zu den Gesundheitsfragen im Antrag der jeweiligen Versicherung\nbehauptet. In dem Antrag der Klagerin vom 7. November 1984 zur\nVersicherungsnummer C 1 ist als Antwort auf die Frage 6 a) "Bestehen oder\nbestanden jemals Krankheiten/Gesundheitsstorungen folgender Art: Hirn-,\nRuckenmarks- oder Nervenkrankheiten, Geistes-, Gemutsstorungen, Epilepsie\n...?" das Nein angekreuzt.\n\n4\n\nIn der Erklarung vor dem Arzt vom Mai 1986 zum Versicherungsantrag C 2 ist als\nAntwort auf die Frage 3 e): "Leiden oder litten Sie an Krankheiten, Storungen\noder Beschwerden des Gehirns oder Ruckenmarks, der Nerven, an Gemuts- oder\nGeistesstorungen, z.B. Epilepsie, Krampfen, Ohnmachten, Lahmungen, Schwindel,\nhaufigen Kopfschmerzen?" ebenfalls "Nein" angegeben.\n\n5\n\nTatsachlich war die Klagerin zwischen Februar 1980 und 1985 bei Frau Dr. G,\neiner Psychotherapeutin, in insgesamt rund 240 Sitzungen in\npsychotherapeutischer Behandlung. Dies gab die Klagerin bei ihrer\nAntragstellung nicht an.\n\n6\n\nHierzu hat die Klagerin behauptet, ihre Besuche bei der Psychotherapeutin bzw.\nPsychoanalytikerin Dr. G seien nicht medizinisch indiziert gewesen, vielmehr\nhabe sie diese lediglich aufgrund ihres Bedurfnisses nach einem\nAnsprechpartner vor dem Hintergrund mehrerer Schicksalsschlage und einer\nangespannten familiaren Situation aufgesucht. Demzufolge habe auch die\nKrankenkasse keine der Sitzungen bezahlt.\n\n7\n\nDie Klagerin hat beantragt,\n\n8\n\n1.\n\n9\n\ndie Beklagte zu verurteilen, an sie 24.963,12 DM nebst 4 % Zinsen von\n10.698,48 DM seit dem 28. Oktober 1993 sowie 4 % Zinsen von 14.264,64 DM seit\ndem 4. Mai 1994 zu zahlen,\n\n10\n\n2.\n\n11\n\ndie Beklagte zu verurteilen, sie von samtlichen Beitragszahlungen betreffend\ndie bei der Beklagten abgeschlossenen Versicherungen Nr. C 1 und C 2\nfreizustellen,\n\n12\n\n3.\n\n13\n\nfestzustellen, daß die Beklagte fur die Zukunft verpflichtet ist, die sich\njeweils aus den unter 2. genannten Versicherungsvertragen aufgrund der\njahrlich durchzufuhrenden Anpassung ergebende Berufsunfahigkeitsrente in Hohe\nvon derzeit 1.783,08 DM zu zahlen,\n\n14\n\n4.\n\n15\n\nfestzustellen, daß die zwischen der Klagerin und der Beklagten abgeschlossenen\nLebensversicherungsvertrage mit den Nrn. C 1 und C 2 durch die beiden\nAnfechtungsschreiben der Beklagten vom 30. Marz 1993 nicht aufgelost, sondern\nweiterhin wirksam sind.\n\n16\n\nDie Beklagte hat beantragt,\n\n17\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n18\n\nSie hat die Ansicht vertreten, die beiden Versicherungsvertrage wegen\narglistiger Tauschung wirksam angefochten zu haben und hat hierzu vorgetragen,\ndie Klagerin habe an einer echten psychischen Erkrankung gelitten, was ihr\nauch bewußt gewesen sei und weshalb sie die aufgrund arztlicher Verordnung und\nDelegation bei Frau Dr. G uber langere Jahre durchgefuhrte Behandlung\narglistig verschwiegen habe. Die Behandlung hatte sie auch in jedem Fall\nangeben mussen, da auch nach Beschwerden gefragt gewesen sei.\n\n19\n\nIm ubrigen sei auch keine Berufsunfahigkeit gegeben. Aufsichtsfuhrende und\nverwaltende Tatigkeiten konne die Klagerin auch weiterhin ausfuhren.\n\n20\n\nDurch Urteil vom 18. Juli 1994, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug\ngenommen wird, hat das Landgericht der Klage bis auf den fur unzulassig\nerachteten Feststellungsantrag zu 4. stattgegeben und zur Begrundung im\nwesentlichen ausgefuhrt, die Arglistanfechtung der Beklagten greife nicht\ndurch, da die Beklagte kein arglistiges Verhalten der Klagerin dargetan und\nnachgewiesen habe, soweit es die Behandlung bei Frau Dr. G angehe. Die\nBeklagte habe nur vorgetragen, die Klagerin habe von ihren eigenen Beschwerden\naufgrund der langjahrigen Behandlung gewußt und daher vorsatzlich gehandelt.\nVorsatz allein reiche jedoch fur die Bejahung der Arglist nicht aus, vielmehr\nmusse die Tauschung gerade in Bezug auf die Abgabe einer Willenserklarung\nbegangen worden sein.\n\n21\n\nGegen dieses am 29. Juli 1994 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.\nAugust 1994 Berufung eingelegt und diese am 17. Oktober 1994, einem Montag,\nbegrundet,\n\n22\n\nDie Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und\nmacht erganzend geltend, ihre Arglistanfechtung sei entgegen der Ansicht des\nLandgerichts gerechtfertigt, weil die Klagerin ihre psychische Erkrankung bei\nAntragstellung in arglistiger Tauschungsabsicht verschwiegen bzw. negiert\nhabe. Der Klagerin sei, nachdem ihr Mann sich aus dem zunachst gemeinsam\nbetriebenen Unternehmen aus Altersgrunden zuruckgezogen habe, als nunmehr\nAlleinverantwortlicher Selbstandiger unbedingt an einer Absicherung fur den\nFall des Eintritts der Berufsunfahigkeit gelegen gewesen. Dies sei ihr wohl\nauch vor dem Hintergrund des bekannten gesundheitlichen Risikos bewußt\ngewesen, denn sie habe zum Zeitpunkt des Abschlusses der dritten Versicherung\ngerade eine mindestens funfjahrige psychoanalytische Behandlung abgeschlossen\ngehabt, wahrend derer zumindest zu Beginn ihre korperliche und seelische\nLeistungsfahigkeit erheblich eingeschrankt gewesen sei. Von daher habe sie\njederzeit damit rechnen mussen, berufsunfahig zu werden, und vor diesem\nHintergrund sei ihr unbedingt am Abschluß entsprechender Versicherungsvertrage\ngelegen gewesen, die sie nicht durch eine wahrheitsgemaße Beantwortung der\nGesundheitsfrage habe gefahrden wollen.\n\n23\n\nDie Beklagte beantragt,\n\n24\n\nunter Abanderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.\n\n25\n\nDie Klagerin beantragt,\n\n26\n\ndie Berufung zuruckzuweisen und ihr zu gestatten, Sicherheit auch durch\nBurgschaft einer deutschen Großbank, offentlichen Sparkasse oder Volksbank zu\nleisten.\n\n27\n\nAuch sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, tritt dem\nVorbringen der Beklagten entgegen und macht erganzend geltend, die Sitzungen\nbei Frau Dr. G seien nicht vor dem Hintergrund eines psychischen\nKrankheitsbildes erfolgt; jedenfalls sei ihr ein solches nicht bewußt gewesen.\nSie habe sich angesichts der familiaren Situation lediglich regelmaßig mit\njemandem aussprechen mussen. Sie sei auch nicht auf arztlichen Rat zu Frau Dr.\nG, die keine Ärztin sei, gegangen, sondern aus eigener Initiative. Sie sei\nzudem ihrem Beruf durchgehend nachgegangen und an sich vollig gesund gewesen.\nJedenfalls habe sie diese Gesprachsitzungen nicht arglistig verheimlicht,\nzumal sie aus ihrer Sicht keinen Bezug zu einer eventuellen Berufsunfahigkeit\ngehabt hatten.\n\n28\n\nDie Anfechtung sei im ubrigen verspatet erfolgt.\n\n29\n\nWegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die beiderseitigen Schriftsatze\nnebst Anlagen Bezug genommen.\n\n30\n\nDer Senat hat Beweis erhoben gemaß Beweisbeschluß vom 19. Dezember 1994\\.\nWegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Aussagen\nder Zeugen Dr. M, Dr. T und Dr. T1 Bezug genommen sowie ferner auf das\nProtokoll hinsichtlich der Vernehmung der Zeugen Dr. T2 und W vom 6. April\n1995 sowie der Zeugin Dr. G vom 1. Juni 1995.\n\n31\n\n** _E n t s c h e i d u n g s g r u n d e _**\n\n32\n\nDie zulassige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg und fuhrt\nzur umfassenden Klageabweisung.\n\n33\n\nAnspruche der Klagerin aus den Versicherungsverhaltnissen Nrn. C 1 und C 2\nbestehen nicht, weil die Beklagte diese beiden Vertragsverhaltnisse wegen\narglistiger Tauschung gemaß §§ 123 BGB, 22 VVG, 6 Nr. 4 ALB wirksam\nangefochten hat.\n\n34\n\nDie Klagerin hat bei Beantwortung der Gesundheitsfragen in dem den\nvorgenannten Vertragsschlussen zugrundeliegenden Antragsformular bzw. der\nErklarung vor einem Arzt ihre psychische Vorerkrankung arglistig verschwiegen.\n\n35\n\nGefragt war in den Antragsunterlagen unter anderem nach Krankheiten sowie\nGesundheitsstorungen (vergangenen und gegenwartigen) folgender Art:\nNervenkrankheiten, Geistes- und Gemutsstorungen. Jedenfalls wegen\nGemutsstorungen bzw. wohl schon einer psychischen Erkrankung war aber die\nKlagerin von 1980 bis 1984, also noch wahrend des Antrages vom 7. November\n1984 sowie nur ca. 1 ½ Jahre vor der Erklarung vom Mai 1986 in Behandlung\ngewesen. Dies hat die vor dem Senat durchgefuhrte Beweisaufnahme ergeben.\n\n36\n\nDie Zeugin Frau Dr. med. T1 hat hierzu bekundet, daß die Klagerin ihr\nanlaßlich einer Konsultation 1981 geschildert habe, seit einem Jahr, also seit\n1980, in psychotherapeutischer Behandlung wegen Depressionen zu sein sowie\nferner, daß die Klagerin medikamentos mit Onca und Alival behandelt worden\nist.\n\n37\n\nDer Umfang der psychoanalytischen Behandlung ergibt sich aus der Aussage der\nZeugin Dr. G, wonach die Klagerin sich schon 1980 wegen schwerster\nDepressionen in ihre psychotherapeutische Behandlung begeben hat und\ndieserhalb bei ihr uber einen Zeitraum von funf Jahren hinweg im Rahmen von\nregelmaßig ein bis zwei Wochenstunden therapiert worden ist. Die Zeugin hat\nanschaulich dargelegt, die Klagerin habe ihr geschildert, sie leide unter\nstarken Depressionen und sei regelrecht lebensmude; sie konne sich zu nichts\nmehr aufraffen, vernachlassige ihren Haushalt und konne sich zur\nBerufstatigkeit in dem Omnibusbetrieb nur schwer zwingen. Weiterhin hat die\nZeugin geschildert, die depressive Verfassung der Klagerin sei anfangs so\nintensiv gewesen, daß sie in ihrer Kontaktfahigkeit zur Behandlerin sowie auch\nzu anderen Menschen extrem eingeschrankt gewesen sei und zunachst kaum zum\nSprechen zu bewegen gewesen sei. Auch ihre sozialen Kontakte seien infolge\nihrer schwersten depressiven Verstimmungen zum Erliegen gekommen. Nach der\nweiteren eindeutigen Aussage der Zeugin hat sie mit der Klagerin anlaßlich der\nBehandlung auch wiederholt besprochen, daß ihr gesamtes Verhalten\nKrankheitswert hatte und therapiebedurftig war.\n\n38\n\nDie Aussage der Zeugin erweist, daß die Klagerin die psychotherapeutischen\nSitzungen nicht etwa wie von ihr zunachst behauptet selbst finanziert und nur\nals Moglichkeit zu einem gesprachsweisen Austausch angesehen hat, sondern daß\nsie zum einen bei der Krankenkasse einen entsprechenden Antrag auf\nKostenubernahme gestellt hat, der nach jeweils 80 Sitzungen immer wieder neu\ngestellt werden mußte, und daß von der Zeugin mit der Klagerin bei diesen\nAnlassen die Notwendigkeit weiterer Therapierung besprochen worden und ihr\nhierbei auch wiederholt klargemacht worden ist, daß die Therapie als\nBehandlung einer psychischen Erkrankung erforderlich sei. Auch wurde der\nKlagerin die Behandlung ausweislich der Aussage der Zeugin arztlicherseits\nverordnet und an die Zeugin Dr. G delegiert. Auch dies wiederlegt widerum die\nEinlassung der Klagerin, sie habe aus eigener Initiative lediglich einen\nGesprachspartner gesucht. Daß ihr vielmehr der Krankheitswert und die\nProblematik ihrer psychischen Beschwerden durchaus bewußt war, ergibt sich zum\neinen daraus, daß wie schon erwahnt anlaßlich der jeweiligen Antragstellung an\ndie Krankenkasse zwischen der Klagerin und der Zeugin Dr. G besprochen worden\nist, daß ihre psychische Verfassung Krankheitswert hatte und\nbehandlungsbedurftig war. Des weiteren hat die Zeugin anschaulich geschildert,\ndaß sie der Klagerin auch immer wieder im Rahmen der Behandlung klargemacht\nhat, daß einzelne Verhaltensmuster der Klagerin, wie zum Beispiel ein\nfluchtartiges Verlassen eines Lokals, Krankheitswert hatte, was die Klagerin\nauch verbal bejaht hat. Auch der Umstand, daß die Klagerin selbst der Zeugin\ngeschildert hat, sie leide unter schweren Depressionen und dieserhalb auch die\nZeugin immer wieder zu den einzelnen Sitzungen aufgesucht hat, erweist zur\nGenuge, daß der Klagerin der Krankheitswert ihrer Situation bewußt war.\n\n39\n\nDer Klagerin war demzufolge bei Antragstellung auch bewußt, daß ihre\nAntragsangaben, nicht an psychischen Beschwerden wie Gemutsstorungen zu\nleiden, unzutreffend war. Nach der Situation der Klagerin zum Antragszeitpunkt\nist es auch offenkundig, daß sie die falschen Angaben zu ihrer\ngesundheitlichen Situation in Tauschungsabsicht gemacht hat, um die Beklagte\nbzw. ihre Rechtsvorgangerin zum Abschluß der Kapitallebensversicherungen mit\nBerufsunfahigkeitszusatzversicherung zu veranlassen. Nach der Bekundung der\nZeugin Dr. G hat namlich die Klagerin wahrend des Behandlungszeitraumes 1980\nbis 1985 war weitergearbeitet, jedoch ihren Beruf nur unter Aufbietung\ngroßerer emotionaler Krafte wahrnehmen konnen. Dies entspricht auch der von\nder Zeugin geschilderten eigenen Äußerungen der Klagerin im Rahmen der\nTherapie, sie konne sich zur Berufstatigkeit nur schwer aufraffen, weil sie\nregelrecht lebensmude sei und ihre jede Tatigkeit psychisch extrem schwer\nfalle. Wenn sie sich allerdings zur Arbeit aufraffen konne, arbeite sie wie\nbesessen. Vor diesem Hintergrund war es fur die Klagerin auch angesichts der\nlangjahrigen Therapie und der dabei immer wieder erfolgten Hinweise auf den\nKrankheitswert ihrer Situation offenkundig, daß ihre dauerhaft depressive\nGemutslage ihr mutmaßlich in absehbarer Zeit die Ausubung ihrer\nBerufstatigkeit unter Umstanden auf Dauer unmoglich machen konne und deshalb\nVeranlassung bestand, sich gegen dieses Risiko abzusichern, wofur auch der\nUmstand spricht, daß sie immerhin in einem relativ kurzem Zeitraum gleich drei\nBerufsunfahigkeitsversicherungen abgeschlossen hat. Demzufolge spricht alles\ndafur, daß sie ihre psychische Situation bewußt falsch dargestellt hat, um das\nZustandekommen der angestrebten Versicherungsvertrage nicht zu gefahrden, denn\ndaß der Vertragsschluß bei wahrheitsgemaßer Angabe gefahrdet werden wurde, lag\nauf der Hand, dies auch aus der Sicht der Klagerin, fur die bei vernunftiger\nBetrachtungsweise kein Zweifel daran bestehen konnte, daß ein\nVersicherungsunternehmen mit einem uber lange Jahre hinweg wegen starkster\nDepressionen behandelten Patienten nicht ohne weiteres einen\nBerufsunfahigkeitsversicherungsvertrag abschließen werde.\n\n40\n\nÜberzeugend hat hierzu auch der Zeuge W ausgesagt, bei einer langer dauernden\npsychotherapeutischen oder psychoanalytischen Behandlung habe die Beklagte\nbzw. ihre Rechtsvorgangerin dies zum Anlaß genommen, in eine genaue\nRisikoprufung einzutreten. Dabei sei in aller Regel eine Lebensversicherung\nmit Berufsunfahigkeitsschutz abgelehnt worden oder allenfalls mit deutlichen\nRisikozuschlagen abgeschlossen worden. Bei wahrheitsgemaßen Angaben der\nlangjahrigen Behandlung der Klagerin ware zwar moglicherweise ein\nLebensversicherungsschutz mit Zuschlag denkbar gewesen, nicht aber eine\nBerufsunfahigkeitsversicherung. Diese Erlauterung der Risikoprufungsgrundsatze\nder Beklagten ist ohne weiteres nachvollziehbar und uberzeugend, denn bei\neiner langjahrigen psychischen Erkrankung und deren langdauernder Behandlung\nliegt es auf der Hand, daß die hier zugrundeliegende langwierige depressive\nVerfassung des Patienten diesen auf Dauer derart in seinem gesamten\nLebenszutritt blockieren kann, daß er irgendwann auch zur Ausubung einer\nBerufstatigkeit nicht mehr in der Lage ist. Der Beklagten ist deshalb ohne\nweiteres abzunehmen, daß sie bzw. ihre Rechtsvorgangerin die Vertrage mit der\nKlagerin uber die Absicherung einer eventuellen Berufsunfahigkeit bei\nwahrheitsgemaßen Angaben nicht abgeschlossen hatte.\n\n41\n\nAngesichts des arglistigen Verschweigens der tatsachlichen psychischen\nSituation der Klagerin greift demzufolge die unter dem 30. Marz 1993 erklarte\nArglistanfechtung der Beklagten durch.\n\n42\n\nDie Anfechtung ist auch rechtzeitig, namlich innerhalb der Jahresfrist des §\n124 BGB erfolgt. Die Beklagte hat fruhestens durch die arztlichen Berichte zum\nAntrag auf Leistung wegen Berufsunfahigkeit von Oktober bis Dezember 1992 von\nden unrichtigen Angaben der Klagerin erfahren, so daß die im Marz 1993\nerklarte Anfechtung rechtzeitig war.\n\n43\n\nAus dem Umstand, daß die Beklagte versehentlich nach der Anfechtungserklarung\nnoch Pramien abgebucht hat, kann nicht geschlossen werden, daß sie hierdurch\nauf die bereits erklarte Anfechtung verzichten wollte. Bei der Abbuchung von\nPramien handelt es sich um einen rein formalen buchungstechnischen Vorgang,\ndem kein Erklarungswert im Sinne eines Verzichts auf die Wirkungen einer\nbereits erklarten Arglistanfechtung beigemessen werden kann, dies auch nicht\naus der Sicht der Klagerin als Versicherungsnehmerin.\n\n44\n\nNach allem war auf die Berufung hin die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO\nabzuweisen.\n\n45\n\nDie Entscheidung uber die vorlaufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708\nZiffer 10, 711 ZPO.\n\n46\n\nBerufungsstreitwert und Wert der Beschwer der Klagerin: 129.462,62 DM (siehe\nschon Senatsbeschluß vom 26. Oktober 1994).\n\n
313,220
olgk-1995-04-12-6-u-28194
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
6 U 281/94
1995-04-12
2019-03-13 13:28:18
2020-12-10 13:15:59
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1995:0412.6U281.94.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r u n d e**\n\n2\n\nDie Berufung ist zulassig, aber nur zu einem Teil begrundet.\n\n3\n\nDie beantragte und im Beschlußwege erlassene einstweilige Verfugung ist in dem\noben tenorierten Umfange zu Recht ergangen. Insoweit ist die Berufung\nerfolglos. Demgegenuber ist die Berufung begrundet, soweit die Antragstellerin\nbeantragt, die einstweilige Verfugung auch in ihrem weitergehenden Umfang zu\nbestatigen. Insoweit ist auf die Berufung der Antragsgegnerin die einstweilige\nVerfugung aufzuheben und der auf ihren Erlaß gerichtete Antrag zuruckzuweisen.\n\n4\n\nA\n\n5\n\nDer Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfugung ist zunachst zulassig.\n\n6\n\nEr ist in der nunmehr zuerkannten Fassung durch die Bezugnahme auf die\nkonkrete Verletzungsform hinreichend bestimmt und es besteht auch der\nVerfugungsgrund der Dringlichkeit.\n\n7\n\nDie aufgrund von § 25 UWG bestehende tatsachliche Vermutung der Dringlichkeit\nist durch das Verhalten der Antragstellerin oder sonstige Umstande nicht\nwiderlegt.\n\n8\n\nBevor die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24.8.1994 (An-lage K 2 zur\nAntragsschrift) das Titellogo von "B.Sports" der Antragstellerin in Fotokopie\nubersandt hatte, bestand fur diese kein Anlaß, den Erlaß einer einstweiligen\nVerfugung zu beantragen.\n\n9\n\nAus der bereits vorher, namlich im Mai 1994, erschienenen Pilotnummer kannte\ndie Antragstellerin den endgultigen und im vorliegenden Verfahren allein\nangegriffenen Titel des neuen Druckwerks noch nicht. Denn das Pilotheft trug\nnach dem ubereinstimmenden Vortrag der Parteien den Namen "B.Sport" und damit\neinen anderen als den spater verwendeten Titel.\n\n10\n\nDaß der Unterschied nur in dem Weglassen des letzten Buchstabens des Wortes\n"Sports" bei der Vornummer bestand und damit als geringfugig anzusehen sein\nmag, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Es stand und steht der\nAntragstellerin frei, den Titel "B.Sport" zu akzeptieren, und den Titel\n"B.Sports" in seiner konkret von der Antragsgegnerin verwendeten bzw. zur\nVerwendung beabsichtigten Form demgegenuber wegen seines zu geringen Abstandes\nvon der Bezeichnung "S.L." zu beanstanden. Das gilt auch dann, wenn \\- was im\nvorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ist - auch die einen großeren\nAbstand einhaltende Fassung des Titels, wie sie in der Pilotnummer verwendet\nworden ist, verwechslungsfahig sein sollte und deswegen nicht hingenommen\nwerden mußte. Aus diesem Grunde kann die Hinnahme des abweichenden Titels der\nPilotnummer nicht einen Dringlichkeitsverlust im Hinblick auf den spateren\nendgultigen Titel der Zeitschrift begrunden. Im ubrigen konnen - worauf noch\neinzugehen ist - gerade bei Titeln von Druckwerken auch geringe Abweichungen\nzur Vermeidung der Verwechslungsgefahr ausreichen.\n\n11\n\nAuch daß die Antragstellerin - wie aus der eidesstattlichen Versicherung des\nZeugen Dr.A. vom 16.9.1994 (Anlage K 1 a zur Antragsschrift) hervorgeht -\n"Ende Juli" 1994 von der Antragsgegnerin telefonisch uber den neuen Titel\ninformiert worden ist, widerlegt mit Blick auf die Antragstellung im September\ndie Dringlichkeitsvermutung nicht.\n\n12\n\nAnlaß, einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfugung zu stellen, konnte\ndie bloße Mitteilung des Wortlautes des Titels am Telefon nicht geben, weil\ndie Frage der Verwechslungsgefahr nur anhand der konkreten Ausgestaltung der\nTitelseite und insbesondere der graphischen Darstellung des Titels im\neinzelnen beurteilt werden konnte. Der Titel "B.Sports" ist namlich nicht in\njeder denkbaren Schreibweise und graphischen Anordnung der einzelnen\nBuchstaben mit dem Titel "S.L." verwechslungsfahig. Die Antragstellerin hatte\ndamit nach dem Telefonat nicht nur keinen Anlaß, sondern noch nicht einmal die\nMoglichkeit, mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Erlaß einer\neinstweiligen Verfugung zu stellen. Dem steht nicht entgegen, daß sie spater\ntatsachlich einen zu weitgehenden und nicht hinreichend an der konkreten\nVerletzungsform ausgerichteten Verfugungsantrag gestellt hat. Denn zum einen\nist insoweit nicht auf die Einschatzung der Antragstellerin, sondern auf die\ntatsachliche Rechtslage abzustellen und zum anderen hat die Antragstellerin\nihren Antrag auch, namlich insoweit an der beabsichtigten Ausgestaltung\norientiert, als sie auf die kleinere Schreibweise des Wortes "B." abgestellt\nhat, die sich aus der telefonischen Mitteilung des bloßen Wortlautes des\nTitels gerade nicht ergab.\n\n13\n\nDanach konnte dem Ausbleiben der Antragstellung in angemessener Frist nach dem\nTelefonat allenfalls dann dringlichkeitsschadliche Wirkung beigemessen werden,\nwenn Herr G. in dem Gesprach dargelegt hatte, daß von der Neufassung des\nTitels abgesehen gegenuber der Pilotnummer keine Änderungen der Gestaltung der\nTitelseite beabsichtigt seien. Diesen Inhalt hatte das Gesprach indes weder\nausweislich der erwahnten eidesstattlichen Versicherung, noch nach dem Vortrag\nder Antragsgegnerin. Es ist auch weder dargelegt noch sonst ersichtlich, daß\ndie Titelseite tatsachlich im ubrigen unverandert von der Pilotnummer\nubernommen werden sollte.\n\n14\n\nNach Erhalt des Schreibens vom 24.8.1994 hat die Antragstellerin nach weniger\nals 4 Wochen und damit in einer Frist den Verfugungsantrag gestellt, die\nebenfalls nicht als dringlichkeitsschadlich anzusehen ist. Insoweit ist -\nabgesehen von der ohnehin noch recht kurzen bis zur Antragstellung\nabgelaufenen Zeit - zusatzlich zu berucksichtigen, daß die Antragstellerin\nbereits mit Schreiben vom 2.9.1994 den Titel gegenuber der Antragsgegnerin\nbeanstandet und Änderungsvorschlage gemacht hatte. Es konnte danach nicht als\nZeichen eines mangelnden Interesses an der schnellen Wahrung ihrer Interessen\naufgefaßt werden, daß die Antragstellerin zunachst einen angemessenen Zeitraum\nabgewartet hat, um der Antragsgegnerin die Gelegenheit zu geben, auf die\nBeanstandung einzugehen.\n\n15\n\nB\n\n16\n\nEs besteht auch der erforderliche Verfugungsanspruch, und zwar inzwischen aus\n§§ 5 Abs.1 und 3, 15 Abs.1,2 und 4 MarkenG.\n\n17\n\nDiese Bestimmungen finden gemaß § 152 des auf Grund von Art.50 Abs.3\nMarkenrechtsreformgesetz am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen Markengesetzes\nauch auf geschaftliche Bezeichnungen Anwendung, die vor dem 1. Januar 1995\nnach den bis dahin geltenden Vorschriften geschutzt waren. Zu den\ngeschaftlichen Bezeichnungen gehoren gem. § 5 Abs.1 MarkenG auch Werktitel.\nDer Titel "S.L." war auch - wie die folgenden Ausfuhrungen zeigen werden - vor\ndem 1. Januar 1995, namlich nach § 16 Abs.1 UWG geschutzt.\n\n18\n\nDie Voraussetzungen der §§ 5 Abs.1 und 3, 15 Abs.1,2 und 4 MarkenG sind\nerfullt. Zur Beurteilung dieser Frage sind die von der Rechtsprechung in der\nVergangenheit zur fruheren Gesetzeslage gemaß § 16 UWG herausgebildeten\nGrundsatze heranzuziehen, weil das neue Recht - soweit dies fur den vorliegend\ngeltendgemachten Unterlassungsanspruch von Bedeutung ist - gegenuber der\nfruheren Rechtslage inhaltlich keine abweichenden Voraussetzungen enthalt.\n\n19\n\nI\n\n20\n\nDanach ist zunachst von Bedeutung, ob dem von der Antragstellerin benutzten\nTitel Kennzeichnungskraft zukommt (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht,\n17.Aufl., § 16 UWG RZ 118a m.w.N.). Diese Frage ist entgegen der Auffassung\nder Antragsgegnerin zu bejahen.\n\n21\n\nMit der Antragsgegnerin und dem Landgericht, auf dessen Begrundung der Senat\ninsoweit gemaß § 543 Abs.1 ZPO Bezug nimmt, ist dabei davon auszugehen, daß\nder Titel der von der Antragstellerin herausgegebenen Zeitschrift inzwischen\n"S.L." lautet, wie er in der Werbung und seit Marz 1994 auf dem Titelblatt\nverwendet wird. Dieser Bezeichnung kommt indessen nach altem und neuem Recht\nKennzeichnungskraft und damit Titelschutz zu.\n\n22\n\nDer Titel ist nicht etwa rein beschreibend, weil die englischen Worte S.L. im\ndeutschen - ebenso wie ubrigens im englischen - Sprachraum keine Zeitschrift,\nauch nicht eine solche beschreiben, die sich ausschließlich oder vorwiegend\nmit Themen des Sports beschaftigt. Die englische Wortkombination ist im\nubrigen unterscheidungskraftig und daher geeignet, sich bei der Leserschaft\nals Titel einzupragen. Das gilt auch fur seinen den Titel zu einem\nwesentlichen Teil schlagwortartig pragenden Bestandteil "SPORTS". Das\nenglische Wort "sports" ist keineswegs so weit eingedeutscht, daß es nunmehr\nim deutschen Sprachraum ein reiner Gattungsbegriff geworden und deshalb\n(vgl.Baumbach/Hefer- mehl, a.a.O., RZ 120a) nicht (mehr) schutzfahig ware.\nDies belegen auch die von der Antragsgegnerin angefuhrten Beispiele nicht.\n\n23\n\nDie Antragsgegnerin beruft sich unter Bezugnahme auf die von ihr vorgelegten\nAnlagen AG 8 - AG 10 auf Warenzeichen, Buchtitel und Titel von\nFernsehsendungen, in denen das Wort "Sports" in Kombination mit anderen\nBegriffen Verwendung findet. Aus der Tatsache, daß das englische Wort "sports"\nin Verbindung mit anderen Begriffen als Titel oder Warenzeichen gebraucht\nwird, kann indes nicht geschlossen werden, daß "Sports" fur sich genommen\nbereits als Begriff im deutschen Sprachraum verwendet werde und einen\nbestimmten Inhalt habe, der es ausschließe, dem Wort als Titelbezeichnung\neiner Zeitschrift Kennzeichnungskraft beizumessen. Die Beifugung weiterer\nBegriffe mag zur Abgrenzung von anderen Bezeichnungen oder zum Zwecke der\nnaheren inhaltlichen Beschreibung des reprasentierten Titels fur ein Buch oder\neine Fernsehsendung fur erforderlich gehalten worden sein, als Beleg fur die\nBehauptung der Eindeutschung des englischen Wortes "sports" als\nGattungsbegriff in den deutschen Sprachraum sind die aufgefuhrten Titel indes\nnicht geeignet.\n\n24\n\nII\n\n25\n\nDer von der Antragsgegnerin in Anspruch genommene Titel "B.Sports" ist in\nseinen konkreten, durch die vorliegende Entscheidung untersagten Aufmachungen\nauch im Sinne des § 15 Abs.2 MarkenG bzw. des bis zum 31.12.1994 einschlagigen\n§ 16 Abs.1 UWG geeignet, Verwechslungen mit der geschutzten Bezeichnung "S.L."\nhervorzurufen.\n\n26\n\nIn beiden Titeln kommt dem Bestandteil "SPORTS" bzw. "Sports" eine besondere,\nden jeweiligen Gesamttitel pragende Bedeutung zu.\n\n27\n\nDas ergibt sich fur den von der Antragstellerin verwendeten Titel "S.L." schon\ndaraus, daß der Zusatz "Life" wesentlich kleiner geschrieben und unauffalliger\naufgemacht ist als der ganz im Vordergrund stehende Bestandteil "SPORTS".\nWahrend das Wort "SPORTS" bei entsprechender Große der Buchstaben die gesamte\nBreite des Titelblattes einnimmt, ist das gesamte Wort "Life" kaum langer als\nder Buchstabe "S" am Ende von "SPORTS", in dessen unmittelbarer Nahe das Wort\nangeordnet ist. Überdies ist das Wort "Life" in relativ unauffalliger\nSchreibschrift geschrieben und setzt sich z.B. in der Ausgabe vom August 1994\ndurch die blaue Farbe wesentlich weniger von dem ebenfalls blau gehaltenen\nHintergrund ab, als das Wort "SPORTS", bei dem u.a. die Großbuchstaben in\nDruckschrift und die Verwendung der kontrastierenden Farbe rot eine besondere\nAuffalligkeit bewirken.\n\n28\n\nHinzukommt, daß der Zusatz "Life" sich erst seit der Ausgabe vom Marz 1994 auf\nder Titelseite befindet, wahrend die Zeitschrift schon seit dem Jahre 1987\nvertrieben wird. Dies und die Tatsache, daß auf den ubrigen Seiten auch in den\njungeren Ausgaben der (alte) Titel "SPORTS" ohne den Zusatz "Life" Verwendung\nfindet, verstarkt die pragende Bedeutung des Titelbestandteiles "SPORTS" und\ntragt zur schlagwortartigen Verkurzung des Titels allein auf "SPORTS" bei.\n\n29\n\nDer Bestandteil "Sports" hat auch in den von der Antragsgegnerin in Anspruch\ngenommenen, auf den vorstehenden Seiten 3-5 bildlich wiedergegebenen\nAufmachungen des Titels "B.Sports" eine wesentliche, den Titel pragende\nBedeutung. Auch bei diesem Titel ist der Bestandteil "Sports" graphisch\ngegenuber dem weiteren Bestandteil deutlich hervorgehoben. Die Buchstaben sind\nwesentlich großer, uberdies wird allein das Wort "Sports" durch die\nSchattierung der Buchstaben und - bei der Verwendung als Titel wie auf Seite 3\noben dieses Urteils dargestellt - durch die Mehrfarbigkeit hervorgehoben.\n\n30\n\nHinzukommt, daß dem Bestandteil "Sports" in dem Titel der Antragsgegnerin auch\nzu Unterscheidungszwecken besondere Bedeutung zukommt, weil die\nAntragsgegnerin auch andere Zeitschriften vertreibt, die im Titel das Wort\n"B." fuhren oder deren Titel sogar allein aus dem Wort "B." besteht. Gerade\nbei der von der Antragsgegnerin behaupteten Bekanntheit der beiden\nZeitschriften "B." und "B.GIRL" ist es zu Unterscheidungszwecken fur die\nLeserschaft erforderlich, sich den Bestandteil "Sports" einzupragen, weil etwa\nder an einem Kiosk geaußerte Wunsch, die Zeitschrift "B." zu erwerben, zur\nAushandigung der (allein) diesen Titel tragenden Zeitschrift oder bestenfalls\nzur Ruckfrage wegen der fehlenden Eindeutigkeit der Bitte angesichts der\nmehreren von der Antragsgegnerin vertriebenen Titel fuhren wird.\n\n31\n\nKommt mithin dem Begriff "Sports" in beiden Titeln entscheidende Bedeutung zu,\nso kann an der Verwechslungsgefahr kein Zweifel bestehen. Die Begriffe sind in\nder gesprochenen Sprache identisch und unterscheiden sich nur im Schriftbild\nvoneinander.\n\n32\n\nDamit besteht Verwechslungsgefahr auch dann, wenn man den\n\n33\n\nvon der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, wonach bei Titeln von\nTageszeitungen schon geringe Unterscheidungen genugen, um die\nVerwechselbarkeit auszuschließen (vgl. BGH GRUR 63,378,379 - "Deutsche\nZeitung"; Großkommentar/Te- plitzky, § 16 RZ 210), auf den vorliegenden Fall\nanwenden wollte. Es bestehen allerdings erhebliche Zweifel, ob dies moglich\nware. Der BGH hat in der vorerwahnten Entscheidung maßgeblich darauf\nabgestellt, daß die Leser von Tageszeitungen seit langem daran gewohnt seien,\nauf kleine Unterschiede im Titel zu achten, weil es schon lange Zeit viele\nTageszeitungen mit nur geringfugig unterschiedlichem Titel gebe. Diese\nBegrundung trifft indes auf den vorliegenden Fall allenfalls begrenzt zu. Es\nhandelt sich bei dem Druckwerk der Antragstellerin um eine monatlich\nerscheinende Illustrierte, die uberdies erst seit dem Jahre 1987 auf dem Markt\nund damit noch relativ jung ist. Daß die Leser von monatlich erscheinenden\nIllustrierten auch daran gewohnt seien, auf kleine Unterschiede in deren Titel\nzu achten, wird kaum festgestellt werden konnen.\n\n34\n\nDie Frage kann indes angesichts der dargelegten Identitat der pragenden\nBegriffe in beiden Titeln, durch die Verwechslungen auch bei Anwendung der\nvorbeschriebenen Maßstabe nicht ausgeschlossen sind, dahinstehen.\n\n35\n\nNach alledem ist der Verfugungsanspruch im oben tenorierten Umfang begrundet.\nDem steht auch § 153 Abs. 1 MarkenG nicht entgegen, weil der Antragstellerin -\nwie oben dargestellt - der Unterlassungsanspruch auch nach der fruher\neinschlagigen Bestimmung des § 16 Abs.1 UWG insoweit zustand.\n\n36\n\nC\n\n37\n\nÜber den oben tenorierten Umfang hinaus besteht ein Verfugungsanspruch nicht.\nInsbesondere ist die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, die Verwendung des\nTitels "B.Sports" in jeglicher Schreibweise und graphischen Darstellung zu\nunterlassen, bei der der Bestandteil "B." kleiner als der Bestandteil "Sports"\ngeschrieben ist.\n\n38\n\nDie im Beschlußwege erlassene einstweilige Verfugung ist indes auch hierauf\ngerichtet. Ihr eindeutiger Tenor wird durch die Entscheidungsgrunde des\nangefochtenen Urteils nicht relativiert. Die einstweilige Verfugung ist daher\ninsoweit auf die Berufung der Antragsgegnerin in Abanderung des angefochtenen\nUrteils aufzuheben und der Antrag auf ihren Erlaß zuruckzuweisen.\n\n39\n\nDer Titel "B.Sports" ist - wie bereits oben unter A dargelegt worden ist -\nnicht in jeder denkbaren Schreibweise und jeder denkbaren Aufmachung, bei der\ndas Wort "B." kleiner geschrieben ist als das Wort "Sports", mit dem Titel\n"S.L." in der konkreten Aufmachung, wie ihn die Antragstellerin in\nschutzenswerter Weise benutzt, verwechslungsfahig. Es sind vielmehr - ohne daß\nder Senat insoweit Anlaß hatte, Einzelheiten etwa beispielhaft darzulegen -\nGestaltungsformen denkbar, die eine Verwechslung der beiden Titel nicht\nbefurchten lassen, auch wenn die Bestandteile des Titels "B.Sports" das in der\neinstweiligen Verfugung beschriebene Großenverhaltnis zueinander haben.\n\n40\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO.\n\n41\n\nDas Urteil ist gemaß § 545 Abs.2 ZPO mit seiner Verkundung rechtskraftig.\n\n42\n\nStreitwert fur das Berufungsverfahren: 100.000 DM.\n\n
313,363
olgk-1994-12-21-11-u-9594
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
11 U 95/94
1994-12-21
2019-03-13 13:32:28
2019-03-27 09:45:47
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1994:1221.11U95.94.00
1\n\nE n t s c h e i d u n g s g r u n d e:\n\n2\n\nDie zulassige Berufung des Beklagten zu 2) fuhrt nur bezuglich der\nNebenkostenvorauszahlungen und eines Teilbetrages der Zinsen zu einem Erfolg\nund ist im ubrigen zuruckzuweisen.\n\n3\n\nDer Beklagte zu 2) haftet den Klagern wegen der im Vertrag vom 19\\. Marz 1993\ndurch die ,G.v.R. AG, A." eingegangenen Verpflichtungen.\n\n4\n\nDas ergibt sich, wie schon in einer Zuschrift an die Parteien ausgefuhrt\nworden ist, allerdings nicht aus § 41 Abs. 1 Satz 1 AktG, wonach derjenige,\nder vor der Eintragung der Aktiengesellschaft in das Handelsregister in ihrem\nNamen handelt, personlich haftet. Diese Bestimmung ist nur anwendbar, wenn die\nAktiengesellschaft bereits gemaß § 29 AktG errichtet ist (vgl. BGH NJW\n1984/2164; Huffer AktG § 41 Randziffer 23; Kraft im Kolner Kommentar zum\nAktiengesetz 2. Aufl. § 41 Randziffer 98). Das war unstreitig nicht der Fall.\nEs wird von keiner Partei etwas daruber vorgetragen, daß eine deutsche\nAktiengesellschaft gegrundet worden ist oder gegrundet werden sollte.\n\n5\n\nAnspruchsgrundlage ist vielmehr § 179 Abs. 1 BGB. Wer fur eine nicht\nexistierende Person rechtsgeschaftlich handelt, haftet wie ein Vertreter ohne\nVertretungsmacht (vgl. BGH a.a.O.).\n\n6\n\nDer Beklagte ist laut Vertragsurkunde, die er ,gelesen, uberall genehmigt und\neigenhandig unterschrieben" hat, als ,Geschaftsfuhrer" der G.v.R. AG in A.\naufgetreten. So ist das Vertragsangebot Dr. B. B. vorgelegt worden, der es fur\ndie Klager angenommen hat.\n\n7\n\nDie Beweisaufnahme hat nicht ergeben, daß der Beklagte gegenuber dem\nVerhandlungsfuhrer der Klager, dem Zeugen N.C., klargestellt hat, er miete die\nRaume in Wahrheit als Bevollmachtigter einer G.v.R. Vermogensverwaltung AG in\nCheyenne, Wyoming.\n\n8\n\nDer Zeuge N.-C. hat nach seinen Angaben aufgrund von Äußerungen des Beklagten\nden Eindruck gehabt, er trete unter einem gekauften Titel auf, was im Fall der\nRichtigkeit sogar bedeutet hatte, daß der Beklagte personlich Vertragspartei\nhatte werden sollen. Die Aussagen der Zeugen G. und V., die bei den\nVorgesprachen als Angehorige der in Grundung befindlichen Firma E. GmbH mit\nder Angelegenheit befaßt gewesen sind, erbringen nicht den Beweis, daß der\nBeklagte zu dieser Zeit unter Vorlage der Vollmacht vom 23. Juli 1992 ein\nVertretungsverhaltnis offengelegt hat. Ihre Erinnerung und ihre Angaben waren\nso ungenau, daß nicht deutlich wird, ob der Zeuge N.-C. die Vollmacht gezeigt\nerhalten hat.\n\n9\n\nEs bleibt vielmehr dabei, daß die Tatsache, daß weder dieser Zeuge noch der\nBeklagte selbst dafur gesorgt haben, daß das amerikanische Unternehmen im\nVertrag genannt wurde, zeigt, daß der Beklagte sich hierum gar nicht bemuht\nhat. Andernfalls ware es unverstandlich, daß der Vertrag trotzdem mit dem\nvorliegenden Inhalt abgefaßt und unterschrieben worden ist.\n\n10\n\nBei dieser Sachlage ist eine Fahrlassigkeit des Klagers (§ 179 Abs. 3 BGB)\nnicht gegeben.\n\n11\n\nAus den obigen Ausfuhrungen folgt, daß der Beklagte zu 2) fur die\nMietzinsanspruche der Klager aus der Zeit von Juni bis November 1993 in der\nunstreitigen Hohe von 24.843,12 DM einzustehen hat.\n\n12\n\nDer auf die Nebenkostenvorauszahlungen in Hohe von 6.440,82 DM gerichtete\nAnspruch ist dagegen abzuweisen. Nachdem die Abrechnungsperiode - unstreitig\ndas Kalenderjahr - seit langem abgelaufen ist, konnen die Klager keine\nAbschlagszahlungen mehr verlangen, sondern mußten sie uber die Kosten\nabrechnen und das sich ergebende Guthaben geltend machen. Die in der letzten\nmundlichen Verhandlung uberreichte Aufstellung zeigt, daß Hinderungsgrunde\nnicht gegeben sind. Entgegen der Ansicht der Klager sind bei Gewerberaumen\nkeine anderen Beurteilungsmaßstabe anzulegen.\n\n13\n\nÜber die Jahresabrechnung ist nicht zu entscheiden. Die Überreichung allein\nder Aufstellung fur 1993 reicht zur prozessualen Geltendmachung durch die\nKlager nicht aus, die auch gar nicht ihren Antrag geandert haben. Ihnen ist\nnicht Gelegenheit zu geben, ihre Vorbringen zu erganzen. Das wurde die\nErledigung des Rechtsstreits verzogern und ware verspatet.\n\n14\n\nDer Zinsanspruch der Klager ist auf 4 % zu beschranken (§ 288 BGB). Es ist\nnicht ersichtlich, daß die Vermietung fur sie ein Handelsgeschaft (vgl. § 352\nHGB) ist.\n\n15\n\nUnbegrundet ist die Berufung, soweit sie die Verurteilung zur Verschaffung\neiner Burgschaft gemaß § 13 des Mietvertrages betrifft. Die Verpflichtung ist\nnicht durch die Verurteilung des Beklagten zu 1) wie auch des Beklagten zu 2)\nzur Zahlung gegenstandslos geworden. Das Sicherungsbedurfnis der Klager endet\nerst mit der Erfullung der Mietzinsanspruche. Eine Burgschaft fuhrt nicht etwa\nzu einer Doppelzahlung.\n\n16\n\nDen Klagern ist ein Rechtschutzbedurfnis nicht vollig abzusprechen, obwohl der\nBeklagte nicht mit Mitteln der Zwangsvollstreckung dazu angehalten werden\nkonnte, eine Bank zur Abgabe eines Vertragsangebots zu bewegen. Eine\nVerurteilung zur Beschaffung einer Burgschaft kann aber Grundlage einer\nErsatzvornahme oder von Folgeanspruchen sein. Außerdem konnte ein Mieter die\nVerpflichtung zur Vermeidung von Nachteilen freiwillig erfullen.\n\n17\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung\nuber die vorlaufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.\n\n18\n\nStreitwert des Berufungsverfahrens: 38.783,94 DM Beschwer der Klager: ca.\n6.800,00 DM Beschwer des Beklagten zu 2): 32.343,12 DM\n\n19\n\n4 - -\n\n
313,560
olgk-1994-07-20-15-w-5894
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
15 W 58/94
1994-07-20
2019-03-13 13:37:34
2019-03-27 09:45:18
Beschluss
ECLI:DE:OLGK:1994:0720.15W58.94.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**G R Ü N D E**\n\n2\n\nDas Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluß das Gesuch des Klagers,\nmit dem er den Vorsitzenden Richter am Landgericht Weiss wegen der Besorgnis\nder Befangenheit abgelehnt hat, zuruckgewiesen.\n\n3\n\nGegen diesen, dem Klager am 20.06.1994 zugestellten Beschluß richtet sich\nseine am 27.06.1994 eingegangene sofortige Beschwerde vom 20.06.1994.\n\n4\n\nDie sofortige Beschwerde ist gemaß §§ 46 Abs. 2, 577 Abs. 2 ZPO zulassig,\ninsbesondere fristgerecht eingelegt worden. Sachlich ist sie jedoch nicht\nbegrundet.\n\n5\n\nDas Landgericht hat mit zutreffender Begrundung das Ablehnungsgesuch des\nKlagers zuruckgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird in\nentsprechender Anwendung des § 543 Abs. 1 ZPO auf die Grunde der angefochtenen\nEntscheidung bezug genommen.\n\n6\n\nDas Beschwerdevorbringen des Klagers gibt keinen Anlaß zu einer Änderung der\nEntscheidung.\n\n7\n\nDie Mitwirkung des abgelehnten Richters in einem gegen den Klager gerichteten\nStrafverfahren rechtfertigt aus der Sicht einer objektiv vernunftig\nurteilenden Partei nicht die Besorgnis, der Richter werde den Rechtsstreit\nnicht unparteiisch sachlich entscheiden. Die gegen den abgelehnten Richter\nerhobenen Vorwurfe, er habe das Strafverfahren willkurlich zu Lasten des\nKlagers gefuhrt und vorsatzlich strafbare Handlungen zum Nachteil des Klagers\nbegangen, sind weder nachvollziehbar dargelegt noch glaubhaft gemacht.\n\n8\n\nDie Kostenentscheidung entspricht § 97 ZPO.\n\n9\n\nWert des Gegenstandes der Beschwerde: 4.000,00 DM\n\n
313,639
olgk-1994-05-18-11-u-4893
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
11 U 48/93
1994-05-18
2019-03-13 13:39:38
2019-03-27 09:45:07
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1994:0518.11U48.93.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**T a t b e s t a n d**\n\n2\n\n##blob##nbsp;\n\n3\n\nDer im Marz 1993 verstorbene Beklagte zu 1. war Eigentumer des Objektes\nS.-straße 2 c in St., das er am 2\\. Mai 1975 durch einen Vertrag mit Wert-\nsicherungsklausel dem Klager vermietet hat. Der Vertrag wurde mit Nachtrag vom\n21.10.1980 bis zum 30.6.2001 verlangert. Am 31.10.1991 erfolgte als Nachtrag\nzum ursprunglichen Vertrag eine weitere Verlangerung bis 31.12.2021, der außer\nvom Klager und dem ehemaligen Beklagten zu 1. auch von der Beklagten zu 2. und\nder Tochter der Beklagten unterschrieben ist (Bl. 49 d.A.). Letztere ist\nRechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Vaters.\n\n4\n\n##blob##nbsp;\n\n5\n\nAm 7.11.1991 unterzeichneten der Klager und die Zeugin V. und M. einen\nMietvertrag uber gewerb-liche Raume in diesem Objekt fur die Dauer von 10\nJahren zu einem Brutto-Mietzins von 6.619,-- DM (Bl. 50).\n\n6\n\n##blob##nbsp;\n\n7\n\nNach vorangegangener Korrespondenz kundigte der Beklagte zu 1. den Mietvertrag\nmit dem Klager unter dem 20.1.1992 fristlos. Er wiederholte diese Kundigung\nmit Schriftsatz vom 31.3.1992. Dagegen wehrt sich der Klager mit der Klage.\n\n8\n\n##blob##nbsp;\n\n9\n\nEr hat die Ansicht vertreten, die fristlose Kun-digung sei schon deshalb\nunwirksam, weil der Be-klagte zu 1. nicht allein dazu berechtigt gewesen sei.\nAuch die Beklagte zu 2. und deren Tochter, J. L., seien Parteien des\nMietvertrages geworden, das folge bereits aus deren Mitunterzeichnung des\nNachtrages vom 31.10.1991. Im ubrigen bestunden materiell keinerlei\nKundigungsgrunde.\n\n10\n\n##blob##nbsp;\n\n11\n\nDer Klager hat beantragt,\n\n12\n\n##blob##nbsp;\n\n13\n\n##blob##nbsp;\n\n14\n\nbezuglich beider Beklagten festzustellen, daß der zwischen den Parteien\nabgeschlossene Miet-vertrag betreffend das Objekt St., S.-straße 2 c nicht\ndurch Kundigungserklarung des Be-klagten vom 20.1.1992 bzw. 31.3.1992 fristlos\naufgelost ist und bis zum 31.12.2021 fortbe-steht.\n\n15\n\n##blob##nbsp;\n\n16\n\nDie Beklagten haben beantragt,\n\n17\n\n##blob##nbsp;\n\n18\n\n##blob##nbsp;\n\n19\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n20\n\n##blob##nbsp;\n\n21\n\nDer Beklagte zu 1. hat daruber hinaus Widerklage erhoben mit dem Antrag,\n\n22\n\n##blob##nbsp;\n\n23\n\n##blob##nbsp;\n\n24\n\nan ihn das im Erdgeschoß und Kellergeschoß des Hauses S.-straße 2 c, .... St.,\ngelegene Laden-lokal mit Außenvitrine sowie einen Kellerraum mit Toilette\nherauszugeben;\n\n25\n\n##blob##nbsp;\n\n26\n\n##blob##nbsp;\n\n27\n\nhilfsweise, den Klager und Widerbeklagten zu verurteilen, ihm den Anspruch auf\nHerausgabe des vorgenannten Ladenlokals nebst Kellers und Toilettenraumes\ngegen die derzeitigen Untermie-ter Ch. V. und K. M. abzutreten.\n\n28\n\n##blob##nbsp;\n\n29\n\nSie haben ausgefuhrt, der Beklagte zu 1\\. sei allein zur Kundigung befugt\ngewesen. Lediglich auf Wunsch des Klagers und im Hinblick auf Nr. 3 der\nVertragsverlangerung sei der Nachtrag auch von der Beklagten zu 2. und deren\nTochter unterschrieben worden.\n\n30\n\n##blob##nbsp;\n\n31\n\nNach ihrer Ansicht habe der Klager den Beklagten zu 1. im Rahmen der\nVerhandlungen, die zur Ver-tragsverlangerung vom 31.10.1991 fuhrten, argli-\nstig getauscht. Er habe namlich erklart, nachdem die Firma Sch. aus dem\nMietverhaltnis ausgeschie-den sei, seien andere Interessenten wegen der viel\nzu hohen Miete nicht zum Abschluß eines Vertrages bereit. Das kame fur die\npotentiellen Mieter nur in Betracht, wenn die Miete bei lediglich 3.500,-- DM\nbis 4.000,-- DM inclusive Mehrwert-steuer zuzuglich Nebenkosten liege und wenn\ner, der Klager, mit den Interessenten einen Vertrag fur die Dauer von\nmindestens 30 Jahren abschließen konne. Tatsachlich habe der Klager\nverschwiegen, daß er schon zu diesem Zeitpunkt den am 7.11.1991\nunterzeichneten Mietvertrag mit den Zeugen V. und M. abgeschlossen gehabt\nhabe. Der Klager habe auch gewußt, daß der Beklagte zu 1. angesichts der Dif-\nferenz von ca. 2.000,-- DM monatlich zwischen dem Mietpreis, der an ihn zu\nzahlen sei und den der Klager erhalten sollte, entsprechend § 5 Nr. 5 ei-nen\nUntermietzuschlag verlangt hatte.\n\n32\n\n##blob##nbsp;\n\n33\n\nDer Klager hat Abweisung der Widerklage beantragt. Er hat behauptet, er habe\nden Mieter M. zufal-lig nach der Unterzeichnung der Verlangerung am 4.11.1991\ngetroffen. Dieser habe noch an diesem Tag einen Mietvertrag abschließen\nwollen, nachdem er erfahren habe, daß er einen weiteren Inter-essenten fur das\ngesamte Objekt habe. Dazu sei es jedoch nicht gekommen, weil er, der Klager,\nerklart habe, er musse die Vertrage vorbereiten. Nach weiteren Verhandlungen\nsei dann der Vertrag mit den Zeugen V. und M. am 7.11.1991 unterzeich-net\nworden.\n\n34\n\n##blob##nbsp;\n\n35\n\nWegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags wird auf die\ngewechselten Schrift-satze nebst Anlagen erganzend Bezug genommen.\nHinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der\nSitzungsniederschrift vom 3.12.1992 verwiesen.\n\n36\n\n##blob##nbsp;\n\n37\n\nDas Landgericht hat durch das angefochtene Urteil vom 28. Januar 1993 - auf\ndas verwiesen wird - die Klage abgewiesen und den Klager auf die Widerklage\nverurteilt, das im Erdgeschoß und Kellergeschoß des Hauses der Beklagten\ngelegene Ladenlokal mit Außenvitrine sowie einen Kellerraum mit Toilette\nherauszugeben.\n\n38\n\n##blob##nbsp;\n\n39\n\nZur Begrundung hat das Landgericht ausgefuhrt, in-folge der fristlosen\nKundigung des Beklagten zu 1. vom 20.1.1992 sei das Vertragsverhaltnis\nzwischen dem Klager und dem Beklagten beendet worden. Nach dem Ergebnis der\nBeweisaufnahme sei zudem nicht davon auszugehen, daß auch die Beklagte zu 2.\nund deren Tochter Mietvertragsparteien geworden seien.\n\n40\n\n##blob##nbsp;\n\n41\n\nGegen das ihm am 2. Februar 1993 zugestellte Urteil hat der Klager am 26.\nFebruar 1993 Berufung eingelegt und diese nach Verlangerung der Beru-\nfungsbegrundungsfrist bis zum 26.4.1993 mit einem bei Gericht an diesem Tage\neingegangenen Schrift-satz begrundet.\n\n42\n\n##blob##nbsp;\n\n43\n\nMit der Berufung macht der Klager weiterhin die Fortgeltung des mit ihm\ngeschlossenen Mietver-trages geltend und beharrt darauf, daß Frau und Tochter\ndes verstorbenen Herrn L. durch die Mit-unterzeichnung des Nachtrages zum\nMietvertrag vom 31.10.1991 zusatzliche Vertragspartner geworden seien, so daß\ndie Kundigung von allen dreien hat-ten ausgesprochen werden mussen.\n\n44\n\n##blob##nbsp;\n\n45\n\nEr vertritt die Auffassung, wegen arglistiger Tau-schung kundbar sei\nallenfalls der Nachtrag, nicht der gesamte Mietvertrag gewesen entsprechend §\n123 BGB, der nur die Anfechtung der auf der Tauschung beruhenden\nWillenserklarung gestatte.\n\n46\n\n##blob##nbsp;\n\n47\n\nEr bestreitet nach wie vor, in der ihm vorge-worfenen Weise getauscht zu haben\nund behauptet weiterhin, bis zum 31.10.1991 habe sich fur ihn keine\nMoglichkeit ergeben, das Ladenlokal auch nur kostendeckend unterzuvermieten.\nEr bestreitet, dem verstorbenen Beklagten zu 1. erklart zu haben, er konnte\nUntermieter nur gewinnen, wenn er ihnen bei einer Miethohe von maximal\n4.000,-- DM eine Miet-zeit von 30 Jahren anbiete. Er listet 13 Mietinte-\nressenten auf, die wegen der Miethohe, der Lage oder aus anderen Grunden\nabgesagt hatten, und 7, die am 4.11.1991 neben den Zeugen V. und M. noch "im\nRennen gewesen seien", einschließlich des In-teressenten Weber, der uber\n6.000,-- DM zu zahlen bereit gewesen sei.\n\n48\n\n##blob##nbsp;\n\n49\n\nDer Klager beantragt,\n\n50\n\n##blob##nbsp;\n\n51\n\n##blob##nbsp;\n\n52\n\ndas angefochtene Urteil abzuandern und nach seinem Schlußantrag zur Klage und\nWiderklage aus erster Instanz zu erkennen.\n\n53\n\n##blob##nbsp;\n\n54\n\nDie Beklagten beantragen,\n\n55\n\n##blob##nbsp;\n\n56\n\n##blob##nbsp;\n\n57\n\ndie Berufung zuruckzuweisen,\n\n58\n\n##blob##nbsp;\n\n59\n\n##blob##nbsp;\n\n60\n\nihnen hilfsweise zu gestatten, Sicherheit auch durch selbstschuldnerische\nBurgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder offentlichen\nSparkasse leisten zu konnen.\n\n61\n\n##blob##nbsp;\n\n62\n\nDie Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und treten den Ausfuhrungen\ndes Klagers unter Wie-derholung ihres Vorbringens aus dem ersten Rechts-zug\nentgegen.\n\n63\n\n##blob##nbsp;\n\n64\n\nWegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf die zwischen ihnen\ngewechselten Schrift-satze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat Beweis\nerhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die\nSitzungsniederschrift vom 8. April 1994 verwiesen.\n\n65\n\n##blob##nbsp;\n\n66\n\nE n t s c h e i d u n g s g r u n d e\n\n67\n\n##blob##nbsp;\n\n68\n\nDie Berufung ist zulassig, jedoch nicht begrundet.\n\n69\n\n##blob##nbsp;\n\n70\n\nMit Recht hat das Landgericht die Passivlegitima-tion der Beklagten zu 2.\nverneint und daher die gegen sie gerichtete Klage abgewiesen.\n\n71\n\n##blob##nbsp;\n\n72\n\nDen gesamten Umstanden - insbesondere dem Wortlaut der Vereinbarung vom\n31.10.1991 - ist nicht zu entnehmen, daß der verstorbene Beklagte zu 1. seinen\n"beiden Damen" volle Vermieterrechte neben sich einraumen wollte, noch ist\ndavon auszugehen, daß die Beklagte zu 2., die kein eigenes Verfu-gungsrecht\nuber die Mietsache besaß, und ihre Tochter neben dem Beklagten zu 1. - und\nnicht nur ggf. an seiner Stelle - Vermieterpflichten uber-nehmen wollten.\nVielmehr gibt der gesamte Text der am 31.10.1991 unterschriebenen\nVertragserganzung keinerlei Hinweis darauf, daß bei den Parteien des erganzten\nVertrages eine personelle Änderung ein-treten sollte. Insbesondere Nr. 4 des\nNachtrages steht einer solchen Annahme entgegen. Danach gibt Herr L. seine\nZustimmung zu einer Übertragung des Mietvertrages mit Nachtrag auf die\nGesellschaft fur den Fall, daß der Klager eine Kapitalgesell-schaft grundet\noder mitgrundet. Die Tatsache, daß drei Zeilen fur Unterschriften eines\nVermieters vorgesehen sind und daß die Damen L. ihre Unter-schrift dorthin\ngesetzt haben, rechtfertigt dem-gegenuber keine Auslegung im Sinne des\nKlagers. Wenn auch der Beklagte zu 1. in seinem Schreiben vom 28.11.1991 die\nFormulierung wahlt:"Meine Damen und...ich sind nicht mehr gewillt", und der\nKlager in seiner Entgegnung vom 7.12.1991 erinnert, auf-grund seines Alters\nund seines Gesundheitszustan-des habe L. gewunscht, daß bei der Vertragsver-\nlangerung seine Frau und Tochter neben ihm selbst "als Vertragspartner"\nebenfalls mit eingebracht werden sollten. So kann daraus im Rahmen einer\nGesamtwurdigung nicht geschlossen werden, auch die Beklagte zu 2. sei\nVermieterin geworden. Naher liegt die Erklarung des Beklagten zu 1., Ehefrau\nund Tochter hatten die Urkunde vom 31.10.1991 wegen des Nachtrages zu Nr. 3\nunterschrieben und zur weiteren Information, weil sich die Regelung mit 30\nJahren beschaftigte, die er voraussichtlich nicht erleben werde (vgl. Bl. 86\nGA und Schreiben vom 26.10.1992, Bl. 133 d. GA).\n\n73\n\n##blob##nbsp;\n\n74\n\nDie vom Beklagten zu 1. erklarte fristlose Kundi-gung des gesamten\nMietverhaltnisses war aufgrund des vertragswidrigen Verhaltens des Klagers ge-\nrechtfertigt (§ 545 a BGB). Insoweit kann zunachst auf die Ausfuhrungen des\nLandgerichts verwiesen werden.\n\n75\n\n##blob##nbsp;\n\n76\n\nDer Klager hatte L. unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Verzicht auf\ndie ihm vertraglich zu-stehende Mietanhebung fur 5 Jahre und zum Abschluß des\nMietverlangerungsvertrages vom 31.10.1991 be-wogen, indem er ihn uber die\nbestehenden Unter-vermietungsaussichten tauschte. Dies rechtfertigte die mit\nSchreiben vom 28.11.1991 erklarte Anfech-tung des Vertrages vom 31.10.1991\nsowie die frist-lose Kundigung des gesamten Mietverhaltnisses. Das erwiesene\nVerhalten des Klagers laßt zudem die Fortsetzung des Dauerschuldverhaltnisses\nals unzu-mutbar erscheinen.\n\n77\n\n##blob##nbsp;\n\n78\n\nNach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in Verbindung mit dem unstreitigen\nSachverhalt steht fest, daß die Zeugen V. und M. bereits im Oktober 1991 das\nGeschaftslokal besichtigt haben und bereit waren, einen Mietpreis zu zahlen,\nder nach ihrer Erinne-rung unter den von der Firma Sch. gezahlten von 8.000,--\nDM und um die 6.600,-- DM einschließlich Nebenkosten liegen sollte. Schon zu\ndiesem Zeit-punkt hielten die Zeugen nach Besichtigung des Ge-schaftslokals\nden ihnen vom Klager genannten Miet-preis fur angemessen und wollten sich nur\nnoch die Dauer des Mietvertrages uberlegen. Der Abschluß bereits im Oktober\nscheiterte jedoch am Klager, der vorgab, noch andere Interessenten zu haben.\nAuch unter Berucksichtigung des weiteren Termins im Geschaftslokal vom\n4.11.1991 und des engen zeitlichen Zusammenhangs zu der schriftlichen\nNiederlegung des Untermietvertrages am 7.11.1991 bestand die sichere Aussicht,\neinen derartigen Vertrag mit den Zeugen V. und M. bereits vor dem 31.10.1991\nabzuschließen. Die in der Berufungs-begrundung aufgelistete Zahl von Anfang\nNovem-ber noch vorhandenen ernsthaften Mietinteressenten spricht weiter dafur,\ndaß der Klager am 31.10.1991 sicher war, das Objekt fur weit mehr als 4.000,--\nDM untervermietet zu bekommen. Diese si-chere Erwartung verschwieg der Klager\ndem verstor-benen Herrn L., um eine langjahrige Verlangerung des Mietvertrages\nzu erreichen. In Verfolg dieser Absicht schrieb der Klager noch am 15.12.1991\nes sei ihm: "anscheinend nun doch gelungen, einen Mieter zu finden". Soweit\nder Klager diese For-mulierung damit zu erklaren versucht, die beiden Zeugen\nhatten keinen seriosen Eindruck gemacht, er habe sie notgedrungen akzeptiert,\nda es fur ihn "eine Minute vor 12" gewesen sei, steht dies auch in Widerspruch\nzu den von ihm selbst aufgelisteten schwebenden Kontakten am 4.11.1991 und\nvermag sein treuwidriges von unlauterer Absicht getragenes Verhalten dem\nverstorbenen Herrn L. gegenuber nicht zu rechtfertigen.\n\n79\n\n##blob##nbsp;\n\n80\n\nNach erneuter Vernehmung der Zeugen V. und M. ist auch der Senat von deren\nGlaubwurdigkeit uber-zeugt. Ihre Bekundungen sind widerspruchsfrei, sie decken\nsich mit ihrer Aussage in erster Instanz und stimmen in allen wesentlichen\nPunkten uberein. Weder ihr angebliches eigenes Interesse noch der Inhalt der\nAkten des Rechtsstreits 12 O 137/92 LG Aachen, soweit er vom Klager\nvorgetragen worden ist, rechtfertigen durchgreifende Zweifel an der\nZuverlassigkeit der Zeugen. Dies gilt auch bei Berucksichtigung der Bekundung\ndes Zeugen D.. Ihr laßt sich nicht entnehmen, daß der Klager den Zeugen M.\nerstmalig am 4.11.1991 kennengelernt hat. Selbst wenn D. den Zeugen M. Anfang\nNovember vor oder spater mit dem Klager in dem Ladenlokal gesehen hat,\nbegrundet dies keine Zweifel in die Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Zeugen\nV. und M.. Die Aussage des Zeugen D., er habe sich im November 1991 als\nInteressent bei der angegebenen Telefonnummer gemeldet, und der Klager habe am\nselben Tag zuruckgerufen, unterstutzt aber die Schilderung dieser Zeugen, die\nden Klager bereits im Oktober in dem Ladenlokal getroffen haben. Das Treffen\ndes Zeugen D. mit dem Klager scheiterte namlich nur daran, daß der Zeuge D.\nvorher nicht abkommlich war. Auch die unstreitige Tatsache, daß der Klager mit\nden Zeugen M. und V. bereits am 7.11. den schriftlichen Vertrag geschlossen\nhat, paßt eher in die Darstellung dieser Zeugen und spricht angesichts der\nzeitlichen Nahe gegen ein erstes Treffen des Klagers mit M. am 4.11.1991.\n\n81\n\n##blob##nbsp;\n\n82\n\nDas Vorbringen des Klagers, er sei mit M. am 04.11.1991 "per Zufall"\nzusammengekommen, steht auch im Widerspruch zum Inhalt seines Schreibens vom\n25.01.1992. Danach hat er, nachdem ihm die Übereinkunft des verstorbenen Herrn\nL. mit der Fa. Sch. bekannt war, "Herrn K. angerufen und am glei-chen Abend\neinen zweiten und letzten Ortstermin mit ihm gehabt".\n\n83\n\n##blob##nbsp;\n\n84\n\nRechtfertigt sich das außerordentliche Kundigungs-recht bereits aus dem\nvorgeschilderten vertrags-widrigen Verhalten des Klagers, so kann dahinste-\nhen, ob der Vorwurf weiterer gravierender Pflicht-verletzungen begrundet ist.\n\n85\n\n##blob##nbsp;\n\n86\n\nDie fristlose Kundigung des Mietverhaltnisses ist auch innerhalb angemessener\nFrist nach Bekanntwer-den des Kundigungsgrundes erklart worden. Im Miet-recht\nist die außerordentliche Kundigung an keine feste Frist gebunden. Eine\nvertragliche Regelung haben die Parteien auch nicht getroffen. Gemaß § 9 Abs.\n4 des Mietvertrages muß zwar der Vermieter eine nicht genehmigte\nUntervermietung binnen eines Monats beanstanden, nachdem er davon Kenntnis\nerlangt hat, um sein daraus abzuleitendes Kundi-gungsrecht nicht zu verlieren.\nDiese Regelung laßt sich aber nicht auf andere außerordentliche Kundi-\ngungsrechte ubertragen.\n\n87\n\n##blob##nbsp;\n\n88\n\nOffenbar hat L. von dem Ausmaß der vom Klager verubten Tauschung in zwei\nEtappen erfahren. Bei Abfassung seines Schreibens vom 28.11.1991 wußte er, daß\nder Klager nicht auf die erstrebte Ver-tragsverlangerung angewiesen war, um\neinen neuen Untermieter zu finden. Aber nach seinem Schreiben vom 20.1.1992\nhat er erst im Dezember 1991 erfah-ren, daß die neuen Untermieter dem Klager\nmehr als 4.000,-- DM im Monat zahlten. Diese zusatzliche Erkenntnis durfte der\nAusloser fur seinen Kundi-gungsentschluß gewesen sein. Bis zu dessen Aus-\nfuhrung hat er insgesamt weniger als 7 Wochen ge-braucht, eine unter\nBerucksichtigung aller Umstan-de noch angemessene Zeit.\n\n89\n\n##blob##nbsp;\n\n90\n\nDie auf Ruckgabe der Mietsache gerichtete Widerklage ist gem. § 556 BGB\ngerechtfertigt, da - wie dargelegt - die am 20.1.1992 ausgesprochene Kundigung\ndes Mietverhaltnisses wirksam ist.\n\n91\n\n##blob##nbsp;\n\n92\n\nDie Ausfuhrungen des Klagers mit nicht nachgelas-senem Schriftsatz vom\n26.4.1994 und der zu den Akten gereichte Terminkalender rechtfertigen keine\nWiedereroffnung der Verhandlung. Abgesehen davon, daß neues Vorbringen\nverspatet ist, bringt der Eintrag, daß am 4.11. um 19.15 Uhr ein Treffen mit\nM. stattfinden sollte, kaum weitere sichere Er-kenntnis, die im Rahmen einer\nGesamtwurdigung ge-eignet ware, die Glaubwurdigkeit der Zeugen V. und M.\nernstlich in Zweifel zu ziehen.\n\n93\n\n##blob##nbsp;\n\n94\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch uber die\nvorlaufige Vollstreckbar-keit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.\n\n95\n\n##blob##nbsp;\n\n96\n\nGebuhrenstreitwert fur das Berufungsverfahren: 95.514,00 DM.\n\n97\n\n##blob##nbsp;\n\n98\n\nBeschwer des Klagers: weit uber 100.000,00 DM (§ 8 ZPO).\n\n
313,811
olgk-1994-01-21-22-w-4593
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
22 W 45/93
1994-01-21
2019-03-13 13:44:00
2019-03-27 09:44:42
Beschluss
ECLI:DE:OLGK:1994:0121.22W45.93.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**G r u n d e**\n\n2\n\n##blob##nbsp;\n\n3\n\nDie zulassige Beschwerde erweist sich als begrun-det. Unter Berucksichtigung\ndes bisherigen Sach- und Streitstandes, der nach § 91 a ZPO zugrundezu-legen\nist, entspricht es bei verstandiger Wurdigung des erledigenden Ereignisses\nbilligem Ermessen, allein die Beklagte mit den Kosten zu belasten. Die\nBeklagte hat die Klageforderung sowohl be-zuglich der Hauptforderung als auch\nhinsichtlich der Zinsen in voller Hohe akzeptiert. Bei einer solchen\nFallgestaltung entspricht es grundsatzlich billigem Ermessen, ihr auch die\nvollen Kosten auf-zuerlegen (vgl. Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, 52. Aufl.\n1994, § 91 a Rdnr. 120), zumal sie auch durch ihren Zahlungsverzug zur\nErhebung der Klage Anlaß gegeben hat.\n\n4\n\n##blob##nbsp;\n\n5\n\nBesondere Umstande, die es rechtfertigen konnten, der Klagerin einen Teil der\nKosten aufzuerlegen, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Die bloße Tatsache,\ndaß die Klagerin der Beklagten wirt-schaftlich entgegengekommen ist, indem sie\nihr vergleichsweise eine Ratenzahlung gestattete, ist nicht geeignet, eine\nanteilige Kostenpflicht der Klagerin zu begrunden, da keine Anhaltspunkte\ndafur bestehen, daß die Beklagte, die keinerlei Einwen-dungen gegen die Klage\nerhoben hat, die Forderung der Klagerin vergleichsweise nur deshalb voll aner-\nkannt hat, um in den Genuß von Ratenzahlungen zu kommen.\n\n
313,872
olgk-1993-12-22-27-u-393
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
27 U 3/93
1993-12-22
2019-03-13 13:45:40
2019-03-27 09:44:33
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1993:1222.27U3.93.00
## Tenor\n\n \n1\n\nT A T B E S T A N D\n\n2\n\nDie am 14. April 1984 geborene Klagerin wurde am 30. Juli 1990 als\nKassenpatientin zur stationaren Behandlung in die Kinderklinik der Beklagten\nzu 1) in B.-D., deren Chefarzt und arztlicher Leiter der Beklagte zu 2) ist,\naufgenommen. Sie sollte am 13. August 1990 wegen einer Nierenerkrankung ope-\nriert werden. Sie war nicht bettlagerig.\n\n3\n\nAm Spatnachmittag des 10. August 1990 wurde sie von ihren geschiedenen Eltern\nbesucht, die ihren Besuch gegen 17.30 Uhr beendeten und das Kran- kenhaus\nwieder verließen. Etwa zur gleichen Zeit besuchte die Zeugin L. in Begleitung\nihres am 19. Oktober 1985 geborenen Sohnes M. ihre Tochter, die sich ebenfalls\nzur stationaren Behandlung in dem Krankenhaus befand, und zwar auf derselben\nStation wie die Klagerin. Diese Station war zu der Zeit mit 28 Kindern belegt,\ndie in der Spatschicht von vier weiblichen Pflegekraften ("Schwestern")\nbetreut wurden. Die Station befand sich im zweiten Stockwerk. Die\nKrankenzimmer lagen nebeneinander und waren von einem langen Flur zu\nerreichen, der vom Treppenhaus durch eine unverschlossene Tur (Haupteingangs-\nund -ausgangstur) abgegrenzt war, die sich gegenuber dem Schwesternzimmer\nbefand. Der Stationsflur konnte desweiteren durch unver- schlossene Turen im\nmittleren und hinteren Teil verlassen bzw. betreten werden, die in die darun-\nterliegenden bzw. angrenzenden Stationen fuhrten. Der Gebaudehaupteingang bzw.\n-ausgang war nicht mit einer von einem Portier besetzten Schleuse versehen,\nkonnte also von jedermann unkontrolliert benutzt werden. Außerdem war das\nGebaude uber die Cafeteria und den Keller zuganglich.\n\n4\n\nNachdem ihre Eltern den Besuch beendet hatten, verließ die Klagerin zusammen\nmit M. unbemerkt die Station. Dem fur sie zustandigen Pflegepersonal war sie\nals aktives Kind bekannt, das bereits zuvor verbotenerweise die Station\nverlassen hatte. Ihr waren deswegen Vorhaltungen gemacht worden. M. und die\nKlagerin waren einander als Nachbars- kinder bekannt. Die Kinder verließen das\nKranken- hausgebaude und suchten die unweit gelegene St. Q.-Kirche auf und\nnahmen Zeitschriften an sich. Danach begaben sie sich in ein zwischen Kirche\nund Pfarrhaus gelegenes Gebusch. Dort entzundete M. das Papier. Dabei fing\nunter nicht naher geklarten Umstanden die Kleidung der Klagerin Feuer. Sie\nerlitt schwere Brandverletzungen, die im Kinder- krankenhaus ......Straße in\nK. behandelt wurden. Es wurden ausgedehnte Verbrennungen dritten Grades\nfestgestellt, die etwa 60 bis 65 % der gesamten Korperoberflache einnahmen.\nDie Klagerin mußte bis Ende Januar 1991 24 Operationen unter Vollnarkose\nerdulden. Ihr gesamter Korperstamm und die Arme sind mit Keloidnarben bedeckt.\nDie Beweglichkeit der Huft-, Knie- und Schultergelenke ist einge- schrankt,\ndas Gangbild unbeholfen. Weitere Narben- korrekturen und Hauttransplantationen\nsind erfor- derlich. Ob Spatschaden wie Gelenkarthrosen und\nBrustminderentwicklung eintreten werden, ist noch nicht abschließend\nbeurteilbar.\n\n5\n\nDie Klagerin hat die Beklagten mit dem Vorwurf, die ihnen ihr gegenuber\nobliegenden Aufsichts- und Obhutspflichten verletzt zu haben, auf Zahlung von\nSchmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht wegen der materiellen und\nkunftigen immateriellen Schaden in Anspruch genommen.\n\n6\n\nSie hat beantragt,\n\n7\n\ndie Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie zu Handen ihrer ge-\nsetzlichen Vertreterin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit\ndem 10. August 1990 zu zahlen,\n\n8\n\nfestzustellen, daß die Beklagten als Ge- samtschuldner verpflichtet seien, ihr\nsamtliche materiellen und kunftigen im- materiellen Schaden aus dem Unfall vom\n10. August 1990 zu ersetzen, soweit die Anspruche nicht auf\nSozialversicherungs- trager oder sonstige Dritte ubergegangen seien.\n\n9\n\nDie Beklagten haben beantragt,\n\n10\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n11\n\nSie haben behauptet, die Eltern der Klagerin seien wegen deren bekannter\nNeigung, die Station zu verlassen, mehrfach gebeten worden, die Beendigung\nihrer Besuche jeweils bei der Gruppenschwester an- zuzeigen. Am Nachmittag des\nUnfalltages hatten die Eltern dies jedoch unterlassen. Die Treppenhaus-\nausgangstur der Station werde, soweit es die Ar- beitsbelastung zulasse, von\ndem im Schwesternzim- mer befindlichen Pflegepersonal uberwacht. Im ub- rigen\nfehle es am Zurechnungszusammenhang zwischen etwaiger Pflichtverletzung und\nSchadenseintritt.\n\n12\n\nDas Landgericht hat die Beklagten als Gesamt- schuldner zur Zahlung von\n100.000,-- DM Schmer- zensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 19. August 1992\nverurteilt und festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner\nverpflichtet seien, ihr samtliche materiellen und kunftigen immateriellen\nSchaden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, soweit die Anspruche nicht auf\nSozialversicherungstrager oder sonstige Dritte ubergegangen seien.\n\n13\n\nGegen dieses, ihnen am 7. Dezember 1992 zuge- stellte Urteil haben die\nBeklagten am 5. Januar 1993 formgerecht Berufung eingelegt, die sie nach\nVerlangerung der Berufungsbegrundungsfrist bis zum 5. Marz 1993 form- und\nfristgerecht am 4. Marz 1993 begrundet haben.\n\n14\n\nSie wiederholen ihre Behauptung, daß die Eltern der Klagerin ausdrucklich\ngebeten worden seien, die Beendigung eines Besuchs bei der Klagerin mit-\nzuteilen, um darauf aufmerksam zu werden, denn das Schwesternpersonal hatte\nbesonders auf die Klage- rin geachtet, weil deren Neigung bekannt gewesen sei,\ndie Station zu verlassen. Dieser Bitte seien die Eltern am Ungluckstag nicht\nnachgekommen. Hat- ten die diensthabenden Schwestern gewußt, daß die Klagerin\nwieder allein gewesen sei, hatten sie auf sie geachtet, dann hatte sie die\nKlinik nicht ver- lassen konnen.\n\n15\n\nEs sei unmoglich, allgemeine Maßnahmen zu tref- fen, die geeignet seien,\nKinder am Verlassen der Klinik zu hindern. Eine standige Aufsicht an der\nStationstur sei nicht bezahlbar. Ein Verschließen der Tur sei aus\nfeuerpolizeilichen Grunden nicht statthaft. Die Kinderklinik der Beklagten zu\n1) entspreche in diesem Punkt allgemeinem Standard. Es fehle deshalb\njedenfalls am Verschulden. Im ubrigen fehle es an der Kausalitat und dem\nZurech- nungszusammenhang zwischen etwaiger Pflichtverlet- zung und Schaden.\n\n16\n\nJedenfalls musse sich die Klagerin ein Mitver- schulden ihrer Eltern anrechnen\nlassen, das mit 50 % zu bewerten sei.\n\n17\n\nSie beantragen,\n\n18\n\ndie Klage unter Abanderung des angefoch- tenen Urteils abzuweisen.\n\n19\n\nDie Klagerin beantragt,\n\n20\n\ndie Berufung zuruckzuweisen.\n\n21\n\nSie tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.\n\n22\n\nWegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstan- des wird auf Tatbestand und\nEntscheidungsgrunde des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungs-\nrechtszug gewechselten Schriftsatze der Parteien Bezug genommen.\n\n23\n\nDer Senat hat Beweis erhoben durch Zeugenver- nehmung. Wegen der\nBeweisanordnung wird auf den Beschluß vom 14. Juli 1993, wegen des Ergebnisses\nder Beweiserhebung auf die Sitzungsniederschrift vom 22\\. November 1993\nverwiesen.\n\n24\n\nE N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E\n\n25\n\nDie nach §§ 511, 511 a ZPO statthafte Berufung der Beklagten ist form- und\nfristgerecht eingelegt und begrundet worden (§§ 516, 518, 519 ZPO) und damit\nzulassig. Sie ist sachlich jedoch nicht gerecht- fertigt.\n\n26\n\nDas Landgericht hat die Beklagten mit Recht wegen unerlaubter Handlung und,\nsoweit es um den materiellen Schaden geht, aus dem Gesichtspunkt der positiven\nVertragsverletzung zum Ersatz der infolge des Unfallereignisses vom 10. August\n1990 erlittenen materiellen und immateriellen Schaden verurteilt (§§ 847, 823,\n831, 31, 611, 242 BGB).\n\n27\n\nDie Beklagte zu 1) haftet, weil sie es vorwerfbar unterlassen hat, die\nnotwendigen Vorkehrungen und Anordnungen zu treffen, um die in der Obhut ihres\nKlinikpersonals aufgenommene Klagerin vor Schaden zu bewahren.\n\n28\n\nEs ist in der hochstrichterlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, seit\nlangem anerkannt, daß der Krankenhaustrager geeignete Maßnahmen zu tref- fen\nhat, die vermeiden, daß aufgenommene Patienten durch andere Kranke oder\nBesucher zu Schaden kom- men (vgl. BGH NJW 1976, 1145). Hieraus und aus dem\nGrundsatz, daß die Sicherheit des Patienten ober- stes Gebot ist (vgl. BGH\nVersR 1954, 290), folgt, daß daruber hinaus geeignete Vorkehrungen zu tref-\nfen sind, die verhindern, daß ein Patient sich selbst allein oder im\nZusammenwirken mit anderen Schaden zufugt, wenn dies nach der Art der Erkran-\nkung oder sonstigen Eigenarten des Patienten, wozu auch kindliche Unreife\ngehort, bei verstandiger Betrachtungsweise ernsthaft in Erwagung zu ziehen\nist.\n\n29\n\nSo liegt es im Streitfall. Ein sechs Jahre altes Kind bedarf der Aufsicht,\ndamit es sich nicht in der ihm fremden Umgebung an potentiell-gefahr- lichen\nGegenstanden, Maschinen oder ahnlichem ver- letzen oder den sicheren behuteten\nBereich verlas- sen kann und dadurch auch unvermuteten Gefahren ausgesetzt\nwird, die sich verwirklichen konnen, so daß es zu Schaden kommt. An solchen\nschadenverhu\\- tenden Maßnahmen hat es gefehlt. Die Klagerin war durch keine\ngeeigneten Vorkehrungen daran gehin- dert, zusammen mit dem etwa ein Jahr\njungeren M. die Klinik zu verlassen. Das stellt einen Organi- sationsmangel\ndar.\n\n30\n\nDer Senat sieht sich nicht gehalten zu entschei- den, welche konkreten\nMaßnahmen im allgemeinen und erforderlichenfalls fur den besonderen Einzel-\nfall vom Kliniktrager zu ergreifen sind, um die in seiner Obhut befindlichen\nbehandlungsbedurfti- gen Kinder am unerlaubten Verlassen des behuteten\nBereichs zu hindern. Es sind viele Maßnahmen denk- bar, deren Wirksamkeit von\nden jeweiligen Umstan- den abhangt, so daß im Einzelfall relativ einfache und\nkostengunstige Vorkehrungen ausreichen mogen, wahrend in anderen Fallen ein\nhoher Aufwand erfor- derlich sein mag. In jedem Fall ist aber ein Min-\ndeststandard erforderlich, der gewahrleistet, daß jedenfalls nach dem normalen\nLauf der Dinge ein aufsichtsbedurftiges Kind den Obhutsbereich nicht unbemerkt\nverlassen kann. Daran hat es in der Kli- nik der Beklagten zu 1) gefehlt.\n\n31\n\nWeder die Station, auf der sich die Klagerin befand, noch das\nKrankenhausgebaude insgesamt war insoweit in irgendeiner Weise durch bauliche\nMaß\\- nahmen im weitesten Sinne gesichert. Die Kinder konnten jederzeit\nunbemerkt ihr Krankenzimmer ver- lassen, den Stationsflur betreten und von\ndort aus durch ungesicherte Turen unbemerkt in das Treppen- haus gelangen, und\nzwar entweder unmittelbar oder mittelbar uber eine andere Station. Ob sie\ndabei bemerkt und daran gehindert wurden, hing mehr oder weniger vom Zufall\nab, namlich davon, ob sich eine Pflegekraft zufallig auf dem Flur oder in dem\nSchwesternzimmer befand und zudem gerade auf die Tur achtete. Die Turen waren\nunverschlossen und von sechsjahrigen Kindern zu offnen, wie die Beklagten\nselbst einraumen, mogen die Turen auch schwergangig gewesen sein. Ab dem\nTreppenhaus waren die Kinder jeglicher Kontrolle entzogen und konnten ohne\nweiteres das Gebaude verlassen. Danach sind uberhaupt keine\nSicherungsvorkehrungen ersichtlich.\n\n32\n\nAls relativ einfache, gleichwohl aber durchaus effektive Maßnahme hatte es\nsich zumindest angebo- ten, die Stationsflurturen mit erhoht angebrachten\nKlinken zu versehen, die von Kindern im Alter der Klagerin gewohnlich nicht\nhatten erreicht werden konnen, oder die Turen dadurch zu sichern, daß sie nur\nmittels von Kindern nicht ohne weiteres erreichbaren automatischen\nDruckknopfen hatten ge- offnet werden konnen. Ferner ware eine Überwachung der\nTuren und/oder des Hauptflures mittels einer Videoanlage zu erwagen gewesen.\nMan hatte auch daran denken konnen, bestimmte Kinder in einem besonderen\nBereich zusammenzulegen, der uberhaupt nur durch eine personell gesicherte\nSchleuse oder durch eine nur auf Anforderung (Klingel, Lichtsi- gnal) vom\nPflegepersonal zu offnende Tur betreten und verlassen hatte werden konnen. Daß\nsolche Maßnahmen keinen absoluten Schutz geboten hatten, macht sie nicht von\nvornherein uberflussig. Darum geht es auch nicht. Gefordert sind zumindest\nsolche Vorkehrungen, die wirksame Schranken bewir- ken, mogen sie auch durch\nbesonderes Geschick und gezieltes Ausnutzen unvermeidlicher Defizite uber-\nwunden werden konnen.\n\n33\n\nWieso solchen Maßnahmen feuerpolizeiliche Grunde ernsthaft entgegenstehen\nsollten, ist nicht recht nachvollziehbar. Eine Station kann mit sogenannten\nBrandmeldern ausgestattet werden, die dafur sor- gen, daß im Brandfalle\nsamtliche Turen automatisch aufspringen. Im ubrigen ist die Station immer mit\nPflegepersonal besetzt, das selbstverstandlich sofort die notigen Maßnahmen\nergreifen kann, ohne daß es zu unvertretbaren Zeitverzogerungen kommt. Ferner\nist darauf hinzuweisen, daß es in vielen Kliniken Bereiche gibt, die vor\nunbefugtem Zutritt oder Verlassen geschutzt sind, wie der Intensiv-,\nQuarantane- oder auch Sauglingsbereich. Es ist nicht einzusehen, warum\ngleiches nicht auch fur bestimmte Bereiche einer Kinderklinik gelten soll.\n\n34\n\nDaß Sicherungsmaßnahmen Kosten verursachen, muß im Interesse der\nGefahrenabwehr fur den Pa- tienten hingenommen werden, zumal die von den\nBeklagten angegebene Großenordnung von mehreren 100.000,-- DM jahrlich fur den\nFall einer nahezu optimalen Sicherungsmaßnahme, namlich einer perso- nell\npermanent besetzten Schleuse, im Verhaltnis zu den Gefahren nicht unangemessen\noder unzumutbar erscheint.\n\n35\n\nDie Beklagte zu 1) meint zu Unrecht, die fehlenden Sicherungsmaßnahmen seien\nihr jedenfalls mangels Verschuldens nicht anzulasten, weil ihre Klinik\ninsoweit dem gewohnlichen Standard vergleichbarer Kliniken, sogar solcher\nmodernerer Bauart, ent- spreche. Der Fahrlassigkeitsbegriff (§ 276 Abs. 1 Satz\n2 BGB) orientiert sich an der im Verkehr er- forderlichen Sorgfalt, die nicht\nnotwendig der ub- lichen entspricht (vgl. BGH NJW 1965, 1075). Soll- te die\nBehauptung der Beklagten zutreffen, so sind offenbar Nachlassigkeiten\neingerissen, die der be- troffene Patient nicht hinzunehmen braucht und die\nauch nicht zu entschuldigen vermogen (vgl. BGHZ 5, 319; 23, 290).\n\n36\n\nDie Beklagte zu 1) ist der ihr obliegenden Auf- sichts- und Obhutspflichten im\nStreitfall auch nicht anderweitig durch besondere personenbezogene\nEinzelbetreuung nachgekommen. Sie behauptet selbst nicht eine Anordnung\ngetroffen zu haben, wonach eine Pflegekraft standig den Aufenthalt der Klage-\nrin unter Kontrolle zu halten gehabt hatte, weil sich die Klagerin als\n"uberaktiv" erwiesen hatte und offenbar dazu neigte, unerlaubt die Station zu\nverlassen.\n\n37\n\nDie nach allem vorwerfbare Pflichtverletzung hat auch adaquatkausal zum\nKorperschaden der Klagerin gefuhrt. Nach der im Zivilrecht allgemein vertre-\ntenen Adaquanztheorie (vgl. die Nachweise bei Pa- landt/Heinrichs, 52. Aufl.,\nVorbemerkung vor § 249 Rdn. 58 bis 61), ist die Ursache, sofern sie wie hier\nnicht hinweggedacht werden kann, ohne daß auch der Erfolg entfiele, nur dann\nrechtlich irre- levant, wenn der Zusammenhang zwischen Pflichtver- letzung als\nschadigendem Ereignis und Verletzungs- erfolg auf besonders eigenartigen,\nunwahrscheinli- chen und nach dem gewohnlichen Verlauf der Dinge außer\nBetracht zu lassenden Umstanden beruht. Das ist hier nicht der Fall. Es liegt\nweder außerhalb aller Lebenserfahrung, daß sich Kinder im Alter der Klagerin\naus einem fur sie bedrohlich oder auch nur langweilig wirkenden Krankenhaus\nentfer- nen, um außerhalb zu spielen, um sich gleichsam wenigstens zeitweilig\nder Isolierung zu entziehen, noch ist es unwahrscheinlich, daß sie sich dabei\ngefahrlichen Spielen zuwenden, wozu das Anzunden von Papier und ahnlichem\ngehort. Derartiges ist nicht selten fur Kinder dieses Alters besonders\nreizvoll; die darin liegenden Gefahren werden von ihnen nicht genugend\nrealisiert. Daß es dabei zu erheblichen Verletzungen kommen kann, wird man\nebenfalls nicht in Abrede stellen konnen. Das Hin- zutreten weiterer Kinder,\nhier des M., ist eben- falls nicht außergewohnlich.\n\n38\n\nDer eingetretene Schaden hat zur Pflichtverletzung auch nicht bloß eine\nzufallige außere Verbindung, sondern steht im inneren Zusammenhang zu der von\nder Beklagten durch Unterlassung geschaffenen Gefahrenlage. Insoweit\nunterfallt er auch dem Schutzzweck der verletzten Norm, namlich der Verletzung\nder Obhutspflicht (vgl. BGH NJW 1986, 1332). Die Pflicht, die Klagerin am\nVerlassen des behuteten und kontrollierten Bereichs zu hindern, sollte sie\nauch davor schutzen, in fremder Umge- bung zu Schaden zu kommen, mag die\nSchadensquelle auch letztlich im kindlichen Spieltrieb begrundet sein. Es\nbedarf einer besonderen Prufung und Abwa\\- gung aller Umstande, insbesondere\nauch der Eigen- arten des Kindes und seiner Freunde, bevor man ein nicht\nschulpflichtiges Kind sich selbst unbeauf- sichtigt aushausig uberlaßt.\n\n39\n\nDer Haftung der Beklagten zu 1) steht auch nicht ihre Behauptung entgegen, ihr\nPflegepersonal habe die Eltern der Klagerin gebeten, die Beendigung ihres\nBesuches anzuzeigen, um es in die Lage zu versetzen, auf das Kind besonders zu\nachten. Dem seien die Eltern nicht nachgekommen, weshalb die besondere\nÜberwachung unterblieben sei. Es kann offenbleiben, ob diese Behauptung\nbereits aus Rechtsgrunden unerheblich ist, wie das Landgericht meint, und\nwelches anspruchsbegrundende Merkmal gegebenenfalls davon betroffen ware. Nach\ndem Ergebnis der Beweisaufnahme steht namlich nicht fest, daß die Behauptung\nrichtig ist. Die Zeugin K., die am Ungluckstag ihren Dienst verrichtete, hat\nbekundet, Eltern wurden allgemein gebeten, sich abzumelden, wenn sie mit ihrem\nKind die Sta- tion verlassen wurden, beispielsweise um die Cafe- teria\naufzusuchen (Bl. 329/330 d. A.). Gesprache mit den Eltern der Klagerin habe\nsie diesbezuglich nicht gefuhrt. Sie wisse lediglich, daß eine ihrer\nKolleginnen die Eltern gebeten hatte, der Klagerin ins Gewissen zu reden,\ndamit sie nicht unbefugt die Station verlasse. Auch die Zeugin P., die nach\nden Angaben der Zeugin T. u.a. fur die Klagerin "zustandig" war (Bl. 335 d.\nA.), konnte sich nicht erinnern, ob mit den Eltern der Klagerin etwas ab-\ngesprochen worden ist (Bl. 332 d. A.). Schließlich hat auch die Zeugin T.\nnicht bestatigt, mit den Eltern der Klagerin daruber gesprochen zu haben. Sie\nwill lediglich vor dem Unfall von der Schwe- sternschulerin S. davon\nunterrichtet worden sein, daß jene den Eltern gesagt habe, sie mochten sich\nabmelden, wenn sie gingen, weil die Klagerin eine sehr unruhige Patientin sei\n(Bl. 334 d. A.). Das genugt nicht, zumal nicht klar ist, welche Kon- sequenzen\ndenn das Abmelden gehabt haben sollte. S. war fur die personliche Betreuung\nder Klagerin gar nicht zustandig. Ferner ist unklar, zu welchem Zweck die\nEltern der Klagerin von S. darum gebeten worden sein sollen.\n\n40\n\nDie Vernehmung der Zeugin S. ist entbehrlich. Sie hatte unstreitig am\nUnfalltag Urlaub und kann deshalb uber die Vorgange dieses Tages nichts\nbekunden. Sie soll auch nicht personlich mit den Eltern der Klagerin uber\nderen Verhaltensweise bei Beendigung von Krankenbesuchen gesprochen sondern\nlediglich die diensthabenden Schwestern angewiesen haben, dies mit den Eltern\nzu besprechen. Das ist aber unerheblich. Wenn uberhaupt, kommt es darauf an,\nwas mit den Eltern vereinbart worden ist.\n\n41\n\nDie nach Schluß der mundlichen Verhandlung vor- gebrachten weiteren\nBeweismittel (Vernehmung der Zeuginnen Sch. und S.) mussen gemaß §§ 523, 296 a\nZPO unberucksichtigt bleiben. Es besteht auch kein Grund, die mundliche\nVerhandlung wiederzueroffnen. Der Beklagten war aus dem Dienstplan\nersichtlich, welche Schwestern seinerzeit Dienst hatten. Es war ihre Sache,\ndiese rechtzeitig zu benennen. Sie be- hauptet selbst nicht, erst infolge der\nBeweisauf- nahme Kenntnisse erlangt zu haben, die Veranlas- sung gegeben\nhatten, nunmehr weitere Zeugen zu be- nennen.\n\n42\n\nArt und Hohe des vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldes werden von der\nBerufung, abgese- hen von dem Mitverschuldenseinwand, der nach den\nvorstehenden Ausfuhrungen nicht durchgreift, weil den Eltern der Klagerin\njedenfalls kein schadens- ursachlicher Beitrag anzulasten ist, nicht ange-\ngriffen, so daß es damit sein Bewenden hat (§ 536 ZPO).\n\n43\n\nEntgegen der Ansicht der Beklagten bedarf der Tenor des angefochtenen Urteils\nauch in bezug auf den nach allem begrundeten Feststellungsanspruch keiner\nKorrektur zum Zwecke der Klarstellung. Die Einschrankung, daß sich die\nErsatzpflicht gegen- uber der Klagerin nicht auf Anspruche bezieht, die auf\nDritte ubergegangen sind, bezieht sich ersichtlich auf samtliche materiellen\nSchaden. Die genaue Abgrenzung der kunftigen von den durch das ausgeurteilte\nSchmerzensgeld bereits abgegoltenen immateriellen Schaden ist zulassigerweise\nund in der moglichen Klarheit in den Entscheidungsgrunden erfolgt.\n\n44\n\nDer Beklagte zu 2) haftet als verantwortlicher Chefarzt der Klagerin in\ndemselben Umfang aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung (§§ 823, 847\nBGB) auf Schadenersatz, und zwar gesamtschuld- nerisch mit der Beklagten zu 1)\n(§§ 840, 421 BGB). Es gehort zu seinem Verantwortungsbereich als arztlicher\nLeiter der Kinderklinik darauf hinzuwirken, daß die notwendigen Vorkehrungen\nzur Sicherheit und Obhut der Kinder getroffen und eingehalten werden. Diese\nPflicht hat er verletzt. Er behauptet selbst nicht, Maßnahmen irgendwelcher\nArt ergriffen oder angeordnet zu haben.\n\n45\n\nDie prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711\nZPO.\n\n46\n\nWert der Beschwer fur die Beklagten: uber 60.000,-- DM.\n\n
314,040
olgk-1993-08-30-12-u-4993
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
12 U 49/93
1993-08-30
2019-03-13 13:52:30
2019-03-27 09:44:08
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1993:0830.12U49.93.00
## Tenor\n\n \n1\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r u n d e**\n\n2\n\n##blob##nbsp;\n\n3\n\nDie zulassige Berufung ist unbegrundet.\n\n4\n\n##blob##nbsp;\n\n5\n\nDas Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.\n\n6\n\n##blob##nbsp;\n\n7\n\nUnbeschadet der bislang nicht mit den Parteien erorterten Frage, ob nicht\nbereits jegliche An-spruche der Klagerin wegen des von ihr behaupteten Fehlers\nder Beklagten bei der Erstellung der Druckfilme und Andrucke wegen\nunterlassener Ruge nach den §§ 377 Abs. 1 und 3, 381 Abs. 2 HGB aus-\ngeschlossen sind (was voraussetzen wurde, daß es sich bei dem abgeschlossenen\nVertrag nicht um ei-nen Werkvertrag, sondern um einen Werklieferungs-vertrag\nim Sinne von § 651 BGB handelt), hat die Klagerin jedenfalls deshalb keinen\nAnspruch auf Ersatz der ihr durch den ersten - fehlerhaften - Druck der\nKataloge entstandenen Kosten und Fest-stellung einer weitergehenden\nSchadenersatzpflicht der Beklagten, weil sie sich insoweit ein die Haf-tung\nder Beklagten ausschließendes Mitverschulden anrechnen lassen muß, § 254 Abs.\n1 BGB.\n\n8\n\n##blob##nbsp;\n\n9\n\nDa es sich bei den von der Beklagten herzustel-lenden Filmen und Andrucken um\nnicht vertretbare Sachen handelt, richtet sich die Haftung der Beklagten fur\nWerkmangel unmittelbar oder uber § 651 Abs. 1 BGB nach den §§ 633 ff. BGB. Im\nvor-liegenden Rechtsstreit macht die Klagerin einen nach § 635 BGB zu\nersetzenden unmittelbaren Man-gelfolgeschaden geltend. Nach der Rechtsprechung\ndes Bundesgerichtshofs (BGHZ 92, 308, 310; 96, 221, 226; BGH NJW-RR 1990, 786,\n787), welcher der Senat folgt, ist fur den Ersatz derartiger Schaden die nach\n§ 634 Abs. 1 BGB grundsatzlich gebotene Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung\nnicht erfor-derlich.\n\n10\n\n##blob##nbsp;\n\n11\n\nAuch wenn zu Gunsten der Klagerin unterstellt wird, daß die von der Beklagten\ngefertigten Druck-folien und/oder Andrucke mangelbehaftet waren, weil die\nBeklagte es unterließ, die beim Druck auf einer Bogendruckmaschine eintretende\nTonwertzunah-me zu simulieren, muß sich die Klagerin jedoch ein erhebliches\nMitverschulden an der Entstehung des hier geltend gemachten Schadens\nanzurechnen las-sen. Wie die Klagerin selbst vortragt, fielen die Folgen des\nvon ihr behaupteten Mangels der Druck-filme bereits vor dem Druck der spater\nvon der Firma c. nicht abgenommenen Kataloge auf. In der Klageschrift vom 14.\nOktober 1992 wurde unter Be-weis gestellt, daß nach Fertigung der eigentlichen\nDruckplatten durch die Kolner Verlagsdruckerei bereits bei dem\nMaschinenandruck am 25. Juni 1992 festgestellt wurde, daß die\nMaschinenandrucke gegenuber den von der Beklagten gelieferten und von der\nFirma c. genehmigten Flachbettandrucken zu kontrastlos ausfielen, weil die\nHell-Dunkelanteile nicht im richtigen Verhaltnis zueinander standen. Diesen\nVortrag hat die Klagerin auf Seite 7 der Berufungsbegrundung wiederholt. Wenn\ndie Klagerin danach gleichwohl den von ihr an die Firma c. zu liefernden\nKatalog drucken ließ, verstieß sie ge-gen die von § 254 Abs. 1 BGB geforderte\nSorgfalt, sich selbst vor Schaden zu bewahren. Dem steht nicht entgegen, daß\nnach dem weiteren Vorbringen der Klagerin fur diese und fur die Mitarbeiter\nder Kolner Verlagsdruckerei nicht feststand, daß mit den von den Druckfilmen\nder Beklagten zunachst gefertigten Druckplatten keinesfalls ein vertret-bares\nDruckergebnis zu erzielen sei. Insoweit lief die Entscheidung der Klagerin,\nden kompletten Ka-talog mit den mangelbehafteten Druckplatten druk-ken zu\nlassen, auf eine Art Lotteriespiel zu La-sten der Beklagten hinaus. Wenn sich\ndie Klagerin dazu entschied, handelte sie auf eigenes Risiko.\n\n12\n\n##blob##nbsp;\n\n13\n\nDie Entscheidung der Klagerin, trotz der erkannten Kontrastprobleme die\ngesamte Auflage des Katalogs drucken zu lassen, war nicht deshalb gerechtfer-\ntigt, weil der Grund der Abweichungen des Maschi-nenandrucks von den von der\nBeklagten gelieferten Flachbettandrucken am 25. Juni 1992 nicht erkannt wurde.\nDa es zur Erhaltung von Gewahrleistungs-anspruchen wegen der Druckfilme selbst\nohnehin erforderlich war, der Beklagten Gelegenheit zur Nachbesserung nach §\n634 BGB zu geben, hatte fur die Klagerin nichts naher gelegen, als die Beklag-\nte zu informieren und bei ihr nachzufragen, ob diese eine Erklarung fur die\nfarblich abweichen-den Maschinenandrucke habe und erforderlichenfalls\nkurzfristig neue Druckfilme liefern konne. Die Klagerin hatte dann erfahren,\nunter welchen Be-dingungen die von der Beklagten gelieferten Filme und\nAndrucke erstellt wurden. Auch unter Beruck-sichtigung der Tatsache, daß die\nvon der Beklagten gelieferten Andrucke erst beim vierten Andruck von der Firma\nc. abgenommen wurden, war der Klagerin ein derartiges Verfahren ohne weiteres\nzumutbar.\n\n14\n\n##blob##nbsp;\n\n15\n\nEbensowenig kann sich die Klagerin darauf berufen, die fur den 7. und 10. Juli\n1992 vorgesehene Ablieferung der Kataloge an die Firma c. zur\nMessevorbereitung habe einen sofortigen Druck un-umganglich gemacht. Wie sich\naus dem Vorbringen des Geschaftsfuhrers der Klagerin in der mundli-chen\nVerhandlung vor dem Senat ergibt, war es der Kolner Verlagsdruckerei nach\nerfolgter Beanstan-dung der zunachst gedruckten und ausgelieferten Prospekte\ndurch die Firma c. moglich, mit den von der Beklagten gelieferten Druckfilmen\n"ganz kurzfristig" neue Druckplatten zu erstellen, wel-che sodann einen\neinwandfreien Nachdruck des Kata-logs ermoglichten. Ausweislich der in erster\nIn-stanz vorgelegten Rechnung vom 31. Juli 1992 uber 42.477,52 DM wurden die\nersten Exemplare der nach-gedruckten Kataloge am 16. Juli 1992 ausgeliefert.\nZwischen der Auslieferung der fehlerhaften Kata-loge am 7. Juli 1992 und der\nNachlieferung lagen damit lediglich 9 Tage. Es ist kein Grund ersicht-lich,\nwarum der Klagerin bzw. der K.er Verlags-druckerei ein derartiger Druck mit\nuberarbeiteten Druckplatten nach Einholung von Informationen uber das von der\nBeklagten verwendete Verfahren nicht in der Zeit vom 25. Juni 1992 bis zum 7.\nJuli 1992 moglich gewesen sein sollte. Ob die Beklagte dann verpflichtet\ngewesen ware, die Mehrkosten fur die Erstellung neuer Druckplatten zu tragen,\nbedarf hier keiner Entscheidung, da diese Kosten nicht Gegenstand des\nRechtsstreits sind.\n\n16\n\n##blob##nbsp;\n\n17\n\nDa der Eintritt des eingeklagten Schadens nach dem zuvor Gesagten letztlich\nallein auf die Entscheidung der Klagerin zuruckzufuhren ist, den Katalog trotz\nder erkannten Problematik drucken zu lassen, halt es der Senat fur\nsachgerecht, daß die Klagerin die dadurch verursachten Druckkosten nach § 254\nAbs. 1 BGB in voller Hohe selbst tragt.\n\n18\n\n##blob##nbsp;\n\n19\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 515 Abs. 3 Satz 1 ZPO, die\nEntscheidung uber die vorlaufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713\nZPO.\n\n20\n\n##blob##nbsp;\n\n21\n\nStreitwert des Berufungsverfahrens:\n\n22\n\n##blob##nbsp;\n\n23\n\nbis zum 12. Juli 1993: 24.668,33 DM,\n\n24\n\n##blob##nbsp;\n\n25\n\nseit dem 12. Juli 1993: 24.235,18 DM.\n\n26\n\n##blob##nbsp;\n\n27\n\nRevisionsbeschwer fur die Klagerin:\n\n28\n\n##blob##nbsp;\n\n29\n\nunter 60.000,01 DM.\n\n
314,042
olgk-1993-08-27-6-u-19592
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
6 U 195/92
1993-08-27
2019-03-13 13:52:36
2019-03-27 09:44:08
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1993:0827.6U195.92.00
## Tenor\n\nDie Berufung des Beklagten gegen das am 13. Oktober 1992 verkundete Urteil der\n31. Zivilkammer des Landgerichts Koln - 31 0 284/92 - wird mit der Maßgabe\nzuruck­gewiesen, daß der zur Unterlassung verurtei­lende Teil des\nUrteilsausspruchs wie folgt klargestellt wird:\n\nDer Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht fur jeden Fall\nder Zuwi­derhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Hohe von bis zu\n500.000,-- DM, ersatzwei­se von Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu 6\nMonaten zu unterlassen,\n\nTeilnehmern an der von der L Steu­er-Fachschule Dr. F abge­nommenen Prufung\nunter Hinweis auf die Ver­ordnung uber die Prufung vom 29. Marz 1990, BGBl. I,\nS. 707, durch Urkunde zu bestati­gen, daß sie die Prufung zum Abschluß\n"Geprufter Bilanzbuchhalter" bestanden haben, ohne daß darauf hingewiesen\nwird, daß die Prufung nicht vor der gemaß § 1 Abs. 1 der Verordnung uber die\nPrufung zum anerkannten Abschluß "Geprufter Bilanzbuchhalter/Gepruf­te\nBilanzbuchhalterin" vom 29. Marz 1990 zu­standigen Stelle abgelegt worden ist,\n\nwie nachstehend wiedergegeben:\n\nBild/Grafik nur in Originalentscheidung vorhanden\n\nDie Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.\n\nDas Urteil ist vorlaufig vollstreckbar.\n\nDie Beschwer des Beklagten betragt 30.267,50 DM.\n\n \n1\n\n** _Entscheidungsgr unde _**\n\n2\n\nDie zulassige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das\nLandgericht hat im Ergeb­nis zutreffend den Beklagten verurteilt, es zu\nun­terlassen, Teilnehmern der von seiner Steuer-Fach­schule abgenommenen\nPrufung eine Urkunde in der angegriffenen, konkreten Form auszustellen.\n\n3\n\nDer Klager kann gemaß §§ 3, 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG verlangen, daß der Beklagte es\nunterlaßt, durch eine Urkunde in der im Urteilstenor wiedergegebe­nen,\nkonkreten Form Teilnehmern an der von der L Steuer-Fachschule Dr. F\nabgenommenen Prufung unter Hinweis auf die Verord­nung uber die Prufung vom\n29. Marz 1990, BGBl. I, S. 707, zu bestatigen, daß sie die Prufung zum\nAbschluß "Geprufter Bilanzbuchhalter" bestanden haben, ohne daß darauf\nhingewiesen wird, daß die Prufung nicht vor der gemaß § 1 Abs. 1 der\nVerord­nung vom 29. Marz 1990 zustandigen Stelle abgelegt worden ist.\n\n4\n\nMit dem Ausstellen der streitgegenstandlichen Ur­kunde und dem Aushandigen\ndieser Urkunde an Pru­fungsteilnehmer handelt der Beklagte im geschaft­lichen\nVerkehr zu Wettbewerbszwecken, da dies nicht nur zu den innerbetrieblichen\nAngelegenhei­ten seiner Steuer-Fachschule gehort, sondern mit der Verleihung\nan die Absolventen Außenwirkung er­fahrt, zumal sich die Pruflinge mit dieser\nUrkunde auf bestimmte Arbeitsstellen bewerben konnen.\n\n5\n\nDie Urkunde ist in ihrer konkreten Form auch irrefuhrend im Sinne des § 3 UWG,\nweil sie bei einem nicht unbeachtlichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise\ndie irrige Vorstellung hervorruft, der Inhaber dieser Urkunde habe eine\nstaatlich anerkannte Prufung als Bilanzbuchhalter abgelegt. Auch wenn die in\nder Steuer-Fachschule des Beklag­ten abgelegte Prufung von Inhalt und Qualitat\nher den Prufungen, die vor der Industrie- und Handels­kammer als der\nzustandigen Stelle gemaß § 1 Abs. 1 der Verordnung vom 29. Marz 1990\nabgenommen worden sind, nicht nachsteht - wie der Beklagte behaup­tet -, so\nist doch zwischen den Parteien unstrei­tig, daß es sich bei der durch die\nstreitgegen­standliche Urkunde bescheinigten Prufung nicht um eine staatlich\nanerkannte Prufung handelt.\n\n6\n\nIn diesem Zusammenhang kann es dahinstehen, ob der Beklagte in der Urkunde den\nBegriff "geprufter Bilanzbuchhalter" benutzen darf - wie sich aus dem von ihm\nvorgelegten Schreiben des Bundesministers fur Wirtschaft vom 8. Juli 1991\nergibt - oder ob - wie der Klager meint - diese Bezeichnung nur denen\nvorbehalten ist, die von der Industrie- und Handelskammer gepruft worden sind.\nAuch wenn die Bezeichnung "geprufter Bilanzbuchhalter" in der Urkunde objektiv\nrichtig ist, kann ihre Wiedergabe in der konkreten Form dieser Urkunde\nirrefuhrend im Sinne des § 3 UWG sein, wenn ein nicht vollig unerheblicher\nTeil der angesprochenen Verkehrs­kreise mit dem objektiv richtigen Begriff\neine unrichtige Vorstellung verbindet (Baumbach/Hefer­mehl, 17. Aufl., § 3 UWG\nRdn. 25 m.w.N.).\n\n7\n\nZwar hat der Beklagte in der streitgegenstandli­chen Urkunde nicht\nbescheinigt, daß es sich um einen "anerkannten" Abschluß handelt, wie es in\nder Verordnung uber die Prufung zum anerkannten Abschluß Geprufter\nBilanzbuchhalter/Geprufte Bi­lanzbuchhalterin vom 29. Marz 1990 und in dem zu\ndieser Verordnung beigefugten Muster uber ein entsprechendes Zeugnis\nvorgesehen ist; dies wird jedoch dem fluchtigen Betrachter nicht auffallen,\nzumal der Begriff "Geprufter Bilanzbuchhalter" ebenso wie in dem Musterzeugnis\n(Anlage zu § 7 Abs. 3 der VO vom 29.3.1990) drucktechnisch in der Urkunde\nbesonders hervorgehoben ist, so daß der weitere Text dahinter zurucktritt. Der\nunbefangene Betrachter wird das Wort "anerkannt" nicht vermis-\n\n8\n\nsen, zumal sich der Text der Urkunde eng an das Musterzeugnis zur VO vom\n29.3.1990 anlehnt. Wenn es dort lautet "Zeugnis uber die Prufung zum\naner­kannten Abschluß Geprufter Bilanzbuchhalter", so ist der Unterschied zu\nder Formulierung in der von dem Beklagten ausgestellten Urkunde "bestatigen\nwir die bestandene Prufung zum Abschluß Geprufter Bilanzbuchhalter" so gering,\ndaß das Fehlen eines einzelnen Wortes nicht ins Gewicht fallt, zumal das Wort\n"anerkannt" dadurch ersetzt wird, daß der Text der streitgegenstandlichen\nUrkunde das eben- falls bestarkende Wort "bestatigen" enthalt.\n\n9\n\nDie schon durch die gesamte Eingangsformulierung, die Verwendung des Begriffs\n"Geprufter Bilanzbuch­halter" und dessen drucktechnische Hervorhebung\nhervorgerufene Irrefuhrungsgefahr wird verstarkt durch den Klammerzusatz am\nEnde der Urkunde, in dem auf die Verordnung uber die Prufung vom 29.3.1990\nhingewiesen wird.\n\n10\n\nDieser Klammerzusatz ist schon fur sich allein in der konkreten Fassung der\nUrkunde geeignet, einen nicht unerheblichen Teil der angesprochenen\nVer­kehrskreise zu tauschen. Bei dem Betrachter wird hierdurch der\nunzutreffende Eindruck erweckt, die abgenommene Prufung sei gerade die\nPrufung, die in der zitierten Verordnung geregelt ist. Dies ist jedoch\nunstreitig nicht der Fall, da die Prufung nicht von der zustandigen Stelle\nabgenommen worden ist.\n\n11\n\nEntgegen der Auffassung des Beklagten geht aus der Urkunde auch nicht\neindeutig hervor, daß sich dieser Klammerzusatz, in dem auf die Verordnung\nverwiesen wird, lediglich auf die zuvor genannten Prufungsgebiete bezieht, so\ndaß lediglich, zum Aus­druck komme, es waren Prufungen abgenommen worden, die\ninhaltlich mit den Vorgaben in der zitierten Verordnung identisch seien. Zwar\nist die Verord­nung vom 29.3.1990 in dem Klammerzusatz in unmit­telbarem\nAnschluß an die im einzelnen aufgefuhrten Prufungsgebiete zitiert, dieses\nZitat bildet aber gleichzeitig auch den Abschluß der gesamten Urkun­de, so daß\nsich das Zitat ebenso auf den Text der gesamten Urkunde beziehen kann.\n\n12\n\nZumindest wird aber der Gesamtaufbau der streit­gegenstandlichen Urkunde, in\ndem die Eingangsfor­mulierung in starker Anlehnung an den Mustertext zu der\nVerordnung vom 29.3.1990 gewahlt ist, der Begriff "Geprufter Bilanzbuchhalter"\nunter drucktechnischer Hervorhebung verwendet wird und zugleich auf die\nVerordnung uber die Prufung vom 29. Marz 1990, BGBl. I, S. 707 in einem\nKlammer­zusatz am Ende der Urkunde verwiesen, ist, bei einem nicht\nunbeachtlichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise die irrige Vorstellung\nhervorrufen, der Inhaber dieser Urkunde habe eine staatlich anerkannte Prufung\nals Bilanzbuchhalter vor der gemaß der zitierten Verordnung zustandigen Stelle\nabgelegt.\n\n13\n\nDie Irrefuhrungsgefahr wird auch nicht dadurch ausgeraumt, daß der Beklagte\ntatsachlich befugt ist, Prufungen durch die Prufungskommission seiner Schule\nabzunehmen. Auch die vom Beklagten vorge­tragene Moglichkeit, daß Pruflinge\nzunachst Kurse der Industrie- und Handelskammer besucht haben, die sich dann\njedoch von der Prufungskommission seiner Schule prufen lassen, fuhrt nicht zu\neinem Ausschluß der Irrefuhrungsgefahr. Denn die Prufun­gen vor der\nzustandigen Stelle (Industrie- und Handelskammer) haben eine andere Bedeutung\nund ei­nen anderen Stellenwert als staatlich nicht aner­kannte Prufungen einer\nprivaten Institution, ohne daß hierin ein Werturteil uber die inhaltliche\nQualitat dieser Prufungen und die Qualifikation der Absolventen liegt.\n\n14\n\nDa der Verordnungsgeber Abschlußprufungen vor der zustandigen Stelle und damit\nstaatlich anerkannte Prufungen geregelt hat, kommt diesem Abschluß eine andere\nBedeutung zu als nicht anerkannten Prufungen. Dies geht auch aus dem vom\nBeklagten vorgelegten Schreiben des Bundesministers fur Wirtschaft hervor, der\nausdrucklich auf die Mog­lichkeit einer "Gleichstellungsverordnung" hin­weist,\nnach der auch private Institutionen aner­kannte Prufungen abnehmen konnen,\nwenn sie sich selbst von Sachverstandigen oder staatlichen Stel­len von Zeit\nzu Zeit uberprufen lassen. Da eine solche Gleichstellung bisher noch nicht\nvollzogen ist, muß von einer unterschiedlichen Wertigkeit der beiden\nAbschlußprufungen ausgegangen werden.\n\n15\n\nErweckt aber das Abschlußzeugnis uber eine nicht anerkannte Prufung bei einem\nnicht unerheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise die irrige\nVorstellung, es handele sich um die Bescheinigung einer staatlich anerkannten\nPrufung, liegt eine Irrefuhrung im Sinne des § 3 UWG - wie oben darge­legt -\nvor.\n\n16\n\nAuch die Tatsache, daß in der Kopfzeile der Urkunde die "L Steuer-Fachschule"\nangegeben ist und darunter etwas kleingedruckter der Name Dr. F hervorgeht,\nfuhrt - ent­gegen der Auffassung des Beklagten - nicht dazu, daß der fluchtige\nBetrachter ohne weiteres er kennt, daß es sich nicht um eine Urkunde handelt,\ndie von der zustandigen Stelle im Sinne der Ver­ordnung vom 29.3.1990\nausgestellt ist. Zum einen ist schon fraglich, ob der Hinweis auf die "L\nSteuer-Fachschule" von einem fluchtigen Betrachter uberhaupt wahrgenommen\nwird, zumal sie raumlich von dem ubrigen Text und besonders von der\ndruck­technisch hervorgehobenen Bezeichnung "Geprufter Bilanzbuchhalter"\nentfernt ist; zum anderen wird auch derjenige Teil der angesprochenen\nVerkehrs­kreise, der diesen Hinweis wahrnimmt, nicht davon ausgehen konnen,\ndaß es sich nicht um eine Prufung im Sinne der Verordnung vom 29.3.1990\nhandelt, da sonst der Hinweis auf diese Verordnung nicht verstandlich ist. Ein\nnicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise, die diesen Hinweis\nuberhaupt wahrnehmen, wird vielmehr aufgrund der\n\n17\n\ngesamten Gestaltung der Urkunde mit der Verwendung des Begriffes "Geprufter\nBilanzbuchhalter" und dem Hinweis auf die Prufungsverordnung davon ausgehen,\ndaß es sich bei der genannten Fachschule um die nach dem Gesetz zustandige\nStelle fur die Abschlußprufung oder um eine von staatlicher Seite beauftragte\noder aufgrund einer Gleichstellungs­verordnung staatlich anerkannten Stelle\nhandele. In allen diesen Fallen unterliegen die angespro­chenen Verkehrskreise\neiner Irrefuhrung im Sinne des § 3 UWG, da den durch den Beklagten\nvorgenom­menen Prufungen die staatliche Anerkennung fehlt.\n\n18\n\nDer Senat sieht keine Bedenken, die vorstehend beschriebenen\nVerkehrsvorstellungen und deren wettbewerbliche Relevanz, die sich schon\ndaraus ergibt, daß staatlich anerkannte Prufungen eine hohere Wertschatzung\ngenießen als staatlich nicht anerkannte Abschlußprufungen privater Institute,\naus eigener Sachkunde und Lebenserfahrung festzu­stellen. Die angesprochenen\nVerkehrskreise sind nicht auf bestimmte Fachleute beschrankt, die eine\nbesondere Sachkenntnis benotigen. Ein Bilanz­buchhalter mit abgeschlossener\nPrufung kann sich als unselbstandiger Bilanzbuchhalter bei jedem Unternehmen\nmit dieser Urkunde bewerben oder als selbstandiger Bilanzbuchhalter jedermann\nge­genubertreten, der Bilanzen zu erstellen oder zu prufen hat. Auch wenn die\nMitglieder des Senats in der Regel nicht die Hilfe eines Bilanzbuchhalters in\nAnspruch zu nehmen pflegen, gehoren sie doch\n\n19\n\ngleichwohl zu einem potentiellen Kundenkreis und damit im weiteren Sinne auch\nzu den angesprochenen Verkehrskreisen. Nach der standigen Rechtsprechung des\nBundesgerichtshofes ist es nicht ausgeschlos­sen, daß der Tatrichter die\nAnschauungen der beteiligten Verkehrskreise aufgrund seiner eigenen Sachkunde\nund Lebenserfahrung hinreichend beurtei­len kann, sofern die Anschauungen des\nunbefangenen Durchschnittsverbrauchers zu ermitteln sind und die Richter des\nzur Entscheidung berufenen Kolle­giums selbst dem potentiellen Personenkreis\nange­horen. Dieser- Grundsatz gilt uneingeschrankt vor allem in den Fallen, in\ndenen das Gericht eine Ir­refuhrung bejahen zu konnen glaubt, da es insoweit\nentscheidend nur auf. die Anschauung eines nicht ganz unerheblichen Teils des\nVerkehrs ankommt (vgl. BGH GRUR 1987, 45, 47 "Sommerpreis-Werbung" m.w.N.).\nDiese Voraussetzungen sind hier erfullt, da - wie ausgefuhrt die Mitglieder\ndes Senats dem angesprochenen Personenkreis zuzuordnen sind und weil der Senat\ndie Irrefuhrung bejaht.\n\n20\n\nDer auf Ersatz der Aufwendungen des Klagers _ge ­richtete _Zahlungsantrag ist\naus dem Gesichtspunkt der Geschaftsfuhrung ohne Auftrag - §§ 677, 683, 670 BGB\n- gerechtfertigt. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausfuhrungen des\nlandgerichtlichen Urteils und die dort in Bezug genommene Rechtspre­chung\nverwiesen.\n\n21\n\nDer geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.\n\n22\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.\n\n23\n\nSoweit der Klager im Berufungsrechtszug den Antrag auf\nUnterlassungsverurteilung neu gefaßt hat, liegt hierin keine teilweise\nKlagerucknahme oder Klageanderung, sondern lediglich eine bessere An­passung\nan die von der Klagerin angegriffene kon­krete Verletzungsform.\n\n24\n\nDie Entscheidung uber die vorlaufige Vollstreck- barkeit folgt aus §§ 708 Nr.\n10, 713 ZPO. Die nach § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzende Beschwer des Be­klagten\nentspricht dem Wert seines Unterliegens im Rechtsstreit.\n\n
314,065
olgk-1993-08-13-6-u-14292
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
6 U 142/92
1993-08-13
2019-03-13 13:53:16
2019-03-27 09:44:05
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1993:0813.6U142.92.00
## Tenor\n\n \n1\n\n##blob##nbsp;\n\n2\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r u n d e**\n\n3\n\n##blob##nbsp;\n\n4\n\nDie Berufung der Beklagten ist zulassig; sie hat jedoch in der Sache keinen\nErfolg.\n\n5\n\n##blob##nbsp;\n\n6\n\nDas Landgericht hat die Beklagte zu Recht verur-teilt, an die Klagerin einen\nSchadensersatz i.H.v. 20.266,47 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 9. Janu-ar 1992\nzu zahlen.\n\n7\n\n##blob##nbsp;\n\n8\n\nDer Schadenserstzanspruch ist aus § 97 Abs. 1 UrhG begrundet, da die Beklagte\ndurch die Einblendung eines Filmausschnittes aus dem Spielfilm "...aber\nJonny!" in ihrer Sendung "Der flotte Dreier" die urheberrechtlichen\nVerwertungsrechte der Klagerin gemaß §§ 15 ff. UrhG verletzt hat.\n\n9\n\n##blob##nbsp;\n\n10\n\nDie Klagerin ist unstreitig Inhaberin der aus-schließlichen\nFernsehauswertungsrechte an dem Spielfilm "...aber Jonny!" fur die\ndeutschsprachi-gen Lander. Damit besitzt sie das Senderecht gemaß § 20 UrhG\nund das Wiedergaberecht gemaß § 22 UrhG, die als urheberrechtliche\nVerwertungsrechte durch § 97 UrhG geschutzt werden. Dabei ist nicht nur der\nUrheber selbst, sondern auch der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts\nzur Verfolgung der urheberrechtlichen Verletzungshandlungen berech-tigt\n(Schricker/Wild, UrhG § 97 Rn. 28).\n\n11\n\n##blob##nbsp;\n\n12\n\nDa die Beklagte vor Ausstrahlung des Spielfilmaus-schnittes auch kein\neinfaches Nutzungsrecht von der Klagerin erworben hatte, hat sie eine Verlet-\nzungshandlung im Sinne des § 97 UrhG begangen.\n\n13\n\n##blob##nbsp;\n\n14\n\nDie Beklagte kann sich nicht darauf berufen, daß die Wiedergabe des\nFilmausschnittes in ihrer Sendung als Kurzzitat im Sinne des § 51 Nr. 2 UrhG\nzulassig gewesen sei und somit keine Verletzung der Rechte der Klagerin\ndarstelle.\n\n15\n\n##blob##nbsp;\n\n16\n\n§ 51 Nr. 2 UrhG ist entsprechend anzuwenden, wenn es sich bei dem zitierenden\nWerk nicht um ein Sprachwerk gemaß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG handelt, sondern um\nein Filmwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG (BGH GRUR 1987, 362, 363 -\n"Filmzi-tat" -; Ulmer GRUR 1972, 323, 325 f.).\n\n17\n\n##blob##nbsp;\n\n18\n\nNach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, in der die streitgegenstandliche Sendung\n"Der flotte Dreier" auf Videokassette in Augenschein genommen worden ist, hat\nder Senat schon Bedenken, ob es sich bei dieser Sendung um ein\nurheberrechtsschutzfa-higes Werk im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG handelt, das\neine personliche geistige Schopfung darstellt. Diese liegt namlich nur dann\nvor, wenn der Film sich durch Auswahl, Anordnung und Sammlung des Stoffes und\ndie Art der Zusammenstellung der einzelnen Bildfolgen als Ergebnis\nindividuellen geistigen Schaffens darstellt (BGHZ 90, 219, 222 -\n"Filmregisseur" -; BGH GRUR 1987, 362, 363 - "Filmzitat" -). Abgesehen von der\nSpielfilmein-blendung beschrankt sich der Inhalt der streitge-genstandlichen\nSendung im Wesentlichen jedoch auf Interviews mit einem durch eine\nGesichtsmaske unkenntlich gemachten Mann, der uber seine Berufs-tatigkeit als\n"Callboy" berichtet, und mit einer gleichfalls durch eine Gesichtsmaske\nunkenntlich gemachten Frau, die als Kundin von "Callboys" vorgestellt und zu\ndem Thema der Sendung sowie zu ihren Beweggrunden und Motiven befragt wird.\nBeide Interviews erschopfen sich dabei in einem Frage- und Antwortspiel zu dem\nbehandelten Thema. Zwar kann Interviewsendungen nicht grundsatzlich der\nWerkcharakter abgesprochen werden; der hierfur notige schopferische\nEigentumlichkeitsgrad ist je-doch nur dann zu bejahen, wenn sich die\nInterviews durch phantasievolle Fragen, Überleitungen und Einwurfe deutlich\nvon einem alltaglichen Geplauder abheben (BGHZ 38, 356, 358 f. -\n"Fernsehwiedergabe von Sprachwerken" -; BGHZ 79, 362, 367 - "Quizma-ster" -).\nOb der streitgegenstandlichen Sendung "Der flotte Dreier" ein solcher\nschopferischer Eigentumlichkeitsgrad zukommt, erscheint zweifel-haft; dies\nkann jedoch vorliegend offenbleiben.\n\n19\n\n##blob##nbsp;\n\n20\n\nAn einem zulassigen Kurzzitat im Sinne des § 51 Nr. 2 UrhG fehlt es namlich\nschon deshalb, weil die Einblendung des Filmausschnittes aus dem Spielfilm\n"...aber Jonny!" nicht durch einen zu-lassigen Zitatzweck gerechtfertigt war.\nZwischen der Sendung "Der flotte Dreier" und dem in die-ser Sendung\nverwendeten Zitat aus dem Spielfilm bestand keine innere Verbindung, da das\nZitat weder als Beleg fur eine im zitierenden Werk vertretene Auffassung dient\nnoch eine Grundlage fur Erorterungen in dem zitierenden Werk bildet (vgl. BGH\nGRUR 1987, 34, 35 - "Liedertextwiederga-be I" -).\n\n21\n\n##blob##nbsp;\n\n22\n\nIn der Sendung der Beklagten beginnt die Moderato-rin die Überleitung zu dem\nFilmausschnitt mit der Frage "Was sind das fur Manner und was sind das fur\nFrauen, die diese Manner fur Sex bezahlen?". Soweit der Filmausschnitt auf\ndiese Frage, auf die die Moderatorin selbst keine Antwort bietet, die Frage\nbeantworten soll, erspart sich die Modera-torin durch das Zitat lediglich\neigene Ausfuhrun-gen, so daß kein zulassiger Zitatzweck vorliegt (KG GRUR\n1970, 616, 618 - "Eintanzer" -).\n\n23\n\n##blob##nbsp;\n\n24\n\nMit der weiteren Moderation "Ich zeige Ihnen jetzt erst einmal einen\nAusschnitt aus dem Film ..., der zeigt, wie schwer man sich als Mann in diesem\nun-gewohnlichen Beruf tut" gibt die Moderatorin zwar einen Zweck des folgenden\nFilmzitates an, namlich die Schwierigkeit aufzuzeigen, die ein Callboy mit\nseinem "Beruf" und dem eigenen Rollenverstandnis hat; dieser Zweck ist jedoch\nmit dem betreffenden Filmausschnitt nicht zu erreichen, da es sich nicht um\neine dokumentarische Aufnahme auf der Grundlage eines authentischen\nSchicksals, sondern um die Verfilmung einer fiktiven, zu Unterhal-tungszwecken\nerdachten Geschichte handelt. Dies ergibt sich auch aus dem Kommentar der\nModeratorin nach der Einblendung des Filmausschnittes, in dem sie wortlich\nerklart "Das war er also, unser Film-spaß, aber jetzt zur harten\nWirklichkeit". Damit gibt die Moderatorin zu erkennen, daß sie das Zi-tat\nnicht ernstlich zum Beleg uber die Schwierig-keiten eines Mannes in diesem\n"ungewohnlichen Be-ruf" heranziehen will. Mit diesem Kommentar belegt die\nModeratorin selbst, daß der Filmausschnitt mit dem Thema der Fernsehsendung,\nnamlich der "harten Wirklichkeit", nichts zu tun hat.\n\n25\n\n##blob##nbsp;\n\n26\n\nAuch aus den anschließend gesendeten Interviews mit den beiden Studiogasten\nergibt sich nicht, daß das Filmzitat zum Beleg eigener Gedanken der Mode-\nratorin diente oder Grundlage fur die Erorterungen mit den Gesprachspartnern\nbildete (BGH GRUR 1987, 34, 35 - "Liedertextwiedergabe I "). In dem ein-\ngeblendeten Filmausschnitt ging es lediglich da-rum, daß eine "Kundin" auf\neine Anzeige hin die Wohnung eines Mannes betrat, der wohl als "Call-boy"\ninseriert hatte. Der Filmausschnitt zeigt die Verlegenheit der handelnden\nPersonen, die an-schließenden Verhandlungen uber den Preis mit dem\nGeschaftspartner des "Callboys" und die einleiten-den Gesprache zwischen\n"Callboy" und "Kundin" uber deren Wunsche. Diese Thematik wird in den beiden\nanliegenden Interviews nicht angesprochen. Der mannliche Interviewpartner\nschilderte auf Frage vielmehr, wie er zu seinem "Beruf" gekommen war, welche\nVoraussetzungen man fur diese Tatigkeit erfullen musse, welche Leistungen er\nselbst biete und welche besonderen Erlebnisse er gehabt habe. Lediglich die\nvon dem mannlichen Interviewpartner genannten Preise stimmten mit denen\nuberein, die im Film genannt wurden. Selbst bei diesem einzigen\nBeruhrungspunkt gingen weder die Moderatorin noch ihr Interviewpartner auf den\ngezeigten Ausschnitt des Spielfilmes ein.\n\n27\n\n##blob##nbsp;\n\n28\n\nEbenso wurde in dem Interview mit der als "Kundin" vorgestellten\nGesprachspartnerin nicht auf den gezeigten Ausschnitt des Spielfilmes\neingegangen. Die Interviewpartnerin schilderte vielmehr, aus welchen\nBeweggrunden sie "Callboys" aufsucht, wie haufig sie dies schon getan habe und\nwelche Erleb-nisse sie dabei gehabt habe. Auf die in dem Spiel-film gezeigten\nHemmungen und Unsicherheiten der dort dargestellten "Kundin" ging weder die\nModera-torin noch ihre Gesprachspartnerin ein.\n\n29\n\n##blob##nbsp;\n\n30\n\nAuch in den anschließend gesendeten Gesprachen mit vier verschiedenen\nTelefonanrufern werden keine Beitrage zu dem gezeigten Filmausschnitt\ngebracht, sondern vielmehr Fragen an die beiden Inter-viewpartner gestellt.\n\n31\n\n##blob##nbsp;\n\n32\n\nNach allem diente der Filmausschnitt nicht als Grundlage fur die\nvorangegangenen oder folgenden Eroterungen zum Thema der Sendung, sondern\nledig-lich als "Dekoration" oder gar als "Blickfang" fur diese Sendung, so daß\nes an einer inneren Verbin-dung zwischen der zitierenden Sendung und dem zi-\ntierten Filmausschnitt fehlt.\n\n33\n\n##blob##nbsp;\n\n34\n\nSoweit die Beklagte sich darauf beruft, daß die Einblendung des\nFilausschnittes belegen solle, daß es sich bei "Callboys" weder um eine\nErfindung noch um eine Erscheinung jungster Vergangenheit handelt und daß\ndieser "Beruf" nicht auf den Bereich mannlicher Homosexualitat beschrankt ist,\nso ist der Ausschnitt aus einem Unterhaltungs-film, dem eine erfundene\nGeschichte zugrundeliegt, ohnehin nicht geeignet, eine Aussage uber die\nRealitat des "Callboy-Lebens" zu belegen. Daruber hinaus mußte der Zitatzweck\nauch in der objektiven Gestaltung des zitierenden Werkes seinen Nieder-schlag\ngefunden haben. Der vorgetragene Zweck des Zitats, zu belegen, daß der Callboy\nein alt-hergebrachter "Berufsstand" auch im Bereich der Heterosexualitat ist,\nergibt sich weder aus der Anmoderation des Filmausschnittes, noch aus dem\nFilmausschnitt selbst, noch aus der nachfolgenden Überleitung zu den\nStudiogesprachen. Somit war der - von der Beklagten behauptete \\-\nbeabsichtigte Zweck des Zitats in der objektiven Gestaltung der Sendung nicht\nerkennbar; es fehlte jeder außere Bezug zwischen den Aussagen der Moderatorin\nund dem Zitat selbst.\n\n35\n\n##blob##nbsp;\n\n36\n\nDa die Voraussetzungen eines zulassigen Kurzzitats nach § 51 Nr. 2 UrhG analog\nnicht vorliegen, hat die Beklagte durch die Einblendung des Filmaus-schnittes\ndas ausschließliche Senderecht der Kla-gerin aus § 20 UrhG verletzt.\n\n37\n\n##blob##nbsp;\n\n38\n\nBei der Bestimmung der Schadenshohe macht die Klagerin, der grundsatzlich drei\nBerechnungsmog-lichkeiten zur Verfugung stehen, zulassigerweise von derjenigen\nder Zahlung einer angemessenen Lizenzgebuhr, die die Beklagte hatte entrichten\nmussen, wenn sie das verletzte Recht ordnungsgemaß erworben hatte Gebrauch\n(Lizenzanalogie). Angemes-sen ist hierbei ein Lizenzbetrag, den bei vertrag-\nlicher Einraumung eines entsprechenden Nutzungs-rechtes ein vernunftiger\nLizenzgeber gefordert und ein vernunftiger Lizenznehmer gewahrt hatte (BGH\nGRUR 1987, 36 - "Liedertextwiedergabe II" -). Der Verletzte darf grundsatzlich\nweder besser noch schlechter gestellt werden als ein vertraglicher\nLizenznehmer. Da die Klagerin die alleinige Inha-berin der\nFernsehauswertungsrechte fur den streit-gegenstandlichen Film im\ndeutschsprachigen Raum ist, hatte die Beklagte das Senderecht fur den von ihr\nausgestrahlten Filmausschnitt nur von der Klagerin und nur zu deren ublichen\nKonditionen erwerben konnen. Daher bildet der von der Klagerin im Verhaltnis\nzu privaten Fernsehanstalten ubli-cherweise geforderte Betrag von 275,00\nDM/NFM die angemessene Lizenzgebuhr, § 287 Abs. 1 ZPO. Die Klagerin hat\ndargelegt, daß auch die Beklagte Lizenzgebuhren in dieser Hohe mehrfach an sie\ngezahlt hat. Zwar wurden diese von der Klagerin vorgelegten Vertrage erst nach\nder Ausstrahlung der streitgegenstandlichen Sendung abgeschlossen, sie liegen\njedoch in einem zeitlich engen Zusam-menhang mit der ausgestrahlten Sendung,\nda der erste - vorgelegte - Vertrag weniger als 3 Wochen nach dieser Sendung\ngeschlossen wurde. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht hinreichend\nsubstantiiert, wenn die Beklagte die Hohe der an-gemessenen Lizenzgebuhr\nlediglich mit Nichtwissen bestreitet. Auch die Tatsache, daß die Klagerin im\nJahre 1991 von offentlich-rechtlichen Rund-funkanstalten lediglich eine\nLizenzgebuhr i.H.v. 250,00 DM/NFM zuzuglich Mehrwertsteuer verlangt hat, ist\nkein hinreichendes Indiz dafur, daß die geforderte Lizenzgebuhr i.H.v. 275,00\nDM/NFM uber-hoht ist. Die Klagerin hat - unbestritten - dar-gelegt, daß diese\nLizenzgebuhren auf langerfristi-ge Vertrage mit offentlich-rechtlichen\nRundfunkan-stalten zuruckzufuhren sind.\n\n39\n\n##blob##nbsp;\n\n40\n\nDa der von der Beklagten gesendete Filmausschnitt unstreitig eine Dauer von 2\nMinuten und 25 Sekun-den mit einer Lange von 68,875 NFM hatte, ergibt sich\ndaraus eine Netto-Lizenz von 18.940,00 DM, so daß zuzuglich Mehrwertsteuer ein\nGesamtbetrag von 20.266,47 DM gerechtfertigt ist.\n\n41\n\n##blob##nbsp;\n\n42\n\nDer Zinsanspruch ist gemaß §§ 284, 288 BGB begrun-det, da sich die Beklagte\nnach Fristsetzung seit dem 9. Januar 1992 in Verzug befand.\n\n43\n\n##blob##nbsp;\n\n44\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung uber die\nvorlaufige Vollstreck-barkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.\n\n45\n\n##blob##nbsp;\n\n46\n\nDie nach § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzende Beschwer der Beklagten entspricht dem\nWert ihres Unterlie-gens im Rechtsstreit.\n\n
314,355
olgk-1993-01-08-19-u-12392
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
19 U 123/92
1993-01-08
2019-03-13 14:00:48
2020-12-10 13:16:13
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1993:0108.19U123.92.00
## Tenor\n\nDie Berufung des Klagers gegen das am 16.4.1992 verkundete Urteil der 21.\nZivilkammer des Landgerichts Koln - 21 O 192/90 - wird auf seine Kosten\nzuruckgewiesen.\n\nDas Urteil ist vorlaufig vollstreckbar.\n\n \n1\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r u n d e**\n\n2\n\nDie zulassige Berufung des Klagers ist nicht be-grundet.\n\n3\n\nDer Beklagte ist nach Ziff. 11 b des in hollandi-scher Sprache abgefaßten,\nundatierten Kaufvertra-ges verpflichtet, an den Klager die Vertragsstrafe in\nHohe von 17.000,00 DM zu zahlen.\n\n4\n\nEin wirksamer Kaufvertrag ist auf der Grundlage dieser Urkunde\nzustandegekommen.\n\n5\n\nBeide Parteien haben die "Koopakte" in dem Bewußt-sein unterzeichnet, daß es\nsich dabei um kaufver-tragliche Regelungen handelte. Auch wenn der Be-klagte\nder niederlandischen Sprache nicht machtig ist, wußte er zumindest aus dem\nBegleitschreiben des Klagers ohne Datum (Bl. 147 d.A.), daß es sich um "die\nKaufakte zur Erstellung des Notarvertra-ges" handelte. Der Beklagte kann sich\nnicht darauf berufen, er habe keinen Erklarungswillen im Hin-blick auf den\nAbschluß eines Kaufvertrages gehabt. Sein objektiv erklarter Wille ist\neindeutig; wer einen Vertrag unterschreibt, den er nicht oder jedenfalls nicht\nin vollem Umfang versteht, ohne sich vorher uber den Inhalt zu vergewissern,\nmuß die damit verbundenen Nachteile in Kauf nehmen.\n\n6\n\nDer Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, die Kaufakte habe nur als\nBeleg fur die Finanzie-rung des Grundstuckskaufes dienen sollen. Diese\nBehauptung ist in der vom Landgericht durchgefuhr-ten Beweisaufnahme nicht\nbestatigt worden.\n\n7\n\nDer Kaufvertrag ist wirksam, obwohl er nicht notariell beurkundet worden ist.\nDenn auf ihn ist niederlandisches Recht anzuwenden, das auch den\nGrundstuckskaufvertrag formlos gultig sein laßt, wie die vom Landgericht\neingeholte Auskunft des niederlandischen Justizministers einwandfrei ergibt.\n\n8\n\nDie Wahl niederlandischen Rechts ergibt sich mit hinreichender Sicherheit aus\nden Bestimmungen des Vertrages (vgl. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 EGBGB), und zwar im\neinzelnen aus den folgenden:\n\n9\n\nDie Vertragsurkunde selbst ist von einem nie-derlandischen Notar entworfen\nworden, wobei der Klager lediglich konkrete Erganzungen vorgenommen hat. Es\nentspricht bereits dem gewohnlichen Ab-lauf, daß ein niederlandischer Notar\neinem von ihm angefertigten Kaufvertragsformular uber ein inlan-disches\nGrundstuck niederlandischess Recht zugrun-delegt, an das auch mehrere\nBestimmungen des Ver-trages ausdrucklich anknupfen.\n\n10\n\nIn diesem Zusammenhang ist anerkannt, daß die Bezugnahme auf Rechtsfiguren\noder Vorschriften eines bestimmten Rechts ein wichtiges Indiz fur die\nstillschweigende Rechtswahl in Bezug auf diese Rechte sein konnen (vgl. BGH\nDeutsche Notarzeitung 1969, 300; NJW 1970, 2180; MK/Spel-lenberg, BGB 2.\nAufl., Art. 27 EGBGB Rdnr. 49 a, 50; Palandt/Heldrich, BGB 51. Aufl., Art. 27\nEGBGB Rdnr. 6). In der Kaufakte ist unter anderem in Ziff. 4, 5, 8 und 9 von\nder "akte tot levering" die Rede. Damit bezeichnet das niederlandische Recht\ndie fur die Übertragung des Eigentums an Grundstucken erforderliche notarielle\nUrkunde, auf deren spatere Erstellung der Kaufvertrag abzielt. Daruber hinaus\nnimmt Ziff. 8 des Kaufvertrages ausdrucklich auf eine Vorschrift des\nniederlandi-schen Burgerlichen Gesetzbuches Bezug.\n\n11\n\nBesonders bedeutsam ist die Klausel in Ziff. 12 des Vertrages, in der es\nheißt: "Beide Parteien domizilieren fur das Abkommen mit allen seinen Folgen\nin der Kanzlei des oben genannten Notars, wo dieser Vertrag aufbewahrt wird."\nDiese Be-stimmung kann nur so verstanden werden, daß die Parteien etwaige aus\ndem Vertrag folgenden Ausein-andersetzungen am Sitz des Notars austragen wol-\nlen. Damit kommt die Klausel einer Gerichtsstands-vereinbarung nahe, in der\nubereinstimmend ein besonders deutliches Indiz fur eine stillschwei-gende\nRechtswahl des am gewahlten Gerichtsstand geltenden Rechts gesehen wird (BGH\nWM 1964, 1023, 1024; OLG Frankfurt, RIW 1983, 785; MK/Spellenberg a.a.O. Art.\n27 Rdnr. 47; Palandt/Heldrich a.a.O.).\n\n12\n\nDie Formvorschrift des § 313 BGB gehort nicht zu den Bestimmungen des\ndeutschen Rechts, die nach Art. 34 EGBGB ohne Rucksicht auf das auf den\nVertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln. Der\nAnwendungsbereich dieser Vor-schrift betrifft andere, mit der Formvorschrift\ndes § 313 BGB nicht zu vergleichende privat- oder offentlichrechtliche\nBestimmungen, die im offent-lichen Interesse in Schuldverhaltnisse eingreifen,\nwie es etwa bei Vorschriften des Außenwirtschafts-rechts, des GWB, des\nWohnraummietrechts oder ahn-licher Gesetze der Fall ist (vgl. Palandt/Heldrich\na.a.O. Art. 34 EGBGB Rdnr. 3).\n\n13\n\nDie Parteien haben auch nicht vereinbart, daß ungeachtet ihrer Rechtswahl der\nKaufvertrag jeden-falls notariell beurkundet werden solle.\n\n14\n\nDabei kann zugunsten des Beklagten unterstellt werden, daß die Parteien sich\nzunachst einig waren, den Kaufvertrag vor einem Notar beurkunden zu lassen.\nEine solche Übereinkunft, wie sie der Beklagte auch in der mundlichen\nVerhandlung vom 4.12.1992 behauptet und durch Parteivernehmung des Klagers\nunter Beweis gestellt hat, hatte zeitlich vor Unterzeichnung der Kaufakte in\nniederlandi-scher Sprache gelegen. Indem die Parteien dann diese Kaufakte\nunterzeichneten, hoben sie gleich-zeitig eine vorangegangene abweichende\nFormverein-barung wieder auf. Denn wie dargelegt geht aus der Kaufakte\neindeutig hervor, daß die Parteien nun-mehr, abweichend von dem vorangegangen\nVorvertrag, ihr Rechtsverhaltnis niederlandischem Recht unter-stellen wollten,\ndas die notarielle Beteiligung erst fur die schon erwahnte "akte tot levering"\nvorsieht. Wenn die Parteien gleichzeitig mit der Wahl des niederlandischen\nRechts abweichend von diesem die notarielle Beurkundung schon fur den\nKaufvertrag selbst hatten vorsehen bzw. ihre vor-angegangene Übereinkunft\nhatten aufrechterhalten wollen, dann hatte dies in der Kaufakte zum Aus-druck\nkommen mussen. Da dies nicht der Fall ist, kann der von den Parteien erklarte\nWille nur so ausgelegt werden, daß sie nunmehr nach niederlan-dischem Recht\nvorgehen wollten, das den Kaufver-trag selbst auch formlos gultig werden laßt.\n\n15\n\nWenn der Beklagte tatsachlich eine von seinem erklarten Willen abweichende\nVorstellung gehabt haben sollte, hatte dies moglicherweise ein\nAnfechtungsgrund sein konnen. Eine Anfechtung der Kaufakte hat er jedoch zu\nkeinem Zeitpunkt erklart, auch nicht, nachdem er anwaltlich beraten war.\n\n16\n\nDie in Ziff. 11 des Kaufvertrages vorgesehenen Voraussetzungen fur die\nVerwirkung der Vertragsstrafe sind eingetreten, auch soweit ein Vertragsteil\nmit der Erfullung seiner Vertragspflichten, durch Gerichtsvollzieherbeschluß\nfestgestellt, in Verzug geraten sein muß.\n\n17\n\nOb Verzug eingetreten ist, war nach niederlandi-schem Recht zu beurteilen.\nDies folgt aus Art. 32 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB, wo es heißt, daß das jewei-lige\nGeschaftsstatut maßgebend sein soll fur die Folgen der Nichterfullung von\nVertragspflichten einschließlich der Schadensbemessung. Hierunter fallt auch\ndie Beurteilung der Voraussetzungen fur den Verzugseintritt (Palandt/Heldrich\na.a.O. Art. 32 EGBGB Rdnr. 5).\n\n18\n\nDer Beklagte ist seiner Verpflichtung aus dem Kaufvertrag, den Kaufpreis\nspatestens bis zum 30.4.1987 zu zahlen, nicht nachgekommen. Dieses Datum war\nals spatester Zahlungszeitpunkt verein-bart, denn nach Ziff. 1 des Vertrages\nwar der Kaufpreis spatestens an dem Tag zu zahlen, an dem die Übergabeakte\n(akte tot levering) gultig werden sollte. Nach Ziff. 9 des Vertrages sollte\ndiese Übergabeakte spatestens am 30.4.1987 in der Kanz-lei des Notars von Wijk\nubergeben werden.\n\n19\n\nDie weitere Voraussetzung fur die Verwirkung der Vertragsstrafe, daß namlich\nder Verzug durch Ge-richtsvollzieherbeschluß festgestellt worden sein muß,\nliegt hier als solche nicht vor. Dieses Erfordernis ist jedoch durch die\nZustellung des das Verfahren eroffnenden Mahnbescheids an den Be-klagten am\n9.4.1990 ersetzt worden. Wie in der vom Landgericht eingeholten Auskunft des\nniederlandi-schen Justizministers ausgefuhrt wird, besteht die Moglichkeit,\ndaß die den Prozeß einleitende Klage-schrift den Verzug begrundet. So liegt es\nhier, da der Zweck des vorgesehenen Gerichtsvollzieher-beschlusses, gegenuber\ndem Beklagten den Eintritt des Verzuges formlich geltend zu machen, auch durch\ndie Zustellung des Mahnbescheides erreicht wurde. Dem steht nicht entgegen,\ndaß sowohl der Mahnbescheid als auch die anschließende Klage allein die\nZahlung der Vertragsstrafe und nicht mehr die des Kaufpreises zum Gegenstand\nhabe. Denn der Klager hat insoweit nur die Konsequenz aus der Weigerung des\nBeklagten, den Vertrag zu erfullen, gezogen und von dem ihm nach Ziff. 11 des\nVertra-ges zustehenden Wahlrecht Gebrauch gemacht, statt der Erfullung des\nVertrages die Vertragsstrafe zu wahlen. Auch die weiteren Voraussetzung in\nZiff. 11, daß der Vertrag uber einen Zeitraum von 14 Tagen fortbestanden haben\nmuß, ist erfullt.\n\n20\n\nDaß der Klager das Verfahren vor dem Notar nicht mehr in Gang gesetzt hat,\nandert nach niederlandi-schem Recht an der Wirksamkeit des Kaufvertrages und\nder Verpflichtungen des Beklagten hieraus nichts.\n\n21\n\nSchließlich ist der Klager auch berechtigt, allein die Rechte aus dem Vertrag\ngeltend zu machen. Dies gilt auch dann, wenn seine Ehefrau, die Zeugin R.,\nMiteigentumerin und als solche auch Mit-verkauferin des Grundstucks gewesen\nsein sollte. Die Zeugin hat namlich vor dem Senat eindeutig bekundet, daß sie\nuber die Verkaufsabsichten des Klagers unterrichtet und damit einverstanden\ngewe-sen sei. Aus dem Gesamtinhalt ihrer Aussage ergibt sich auch, daß sie\ndamit einverstanden ist, daß der Klager Zahlung der Vertragsstrafe an sich\nver-langt. Die Zeugin selbst will ersichtlich aus dem Vertrag keinerlei Rechte\nfur sich geltend machen, sondern uberlaßt die Rechtsverfolgung erkennbar\nallein dem Klager. Dem Beweisantritt des Beklag-ten, daß die Zeugin R.\nMiteigentumerin des Grundstuck sei, braucht der Senat deshalb nicht\nnachzugehen.\n\n22\n\nAnhaltspunkte dafur, daß die Vertragsstrafe nach niederlandischem Recht\nuberhoht sei, hat der Senat nicht. Der Beklagte hat solches auch nicht\nvorgetragen.\n\n23\n\nDa seine Berufung keinen Erfolg hatte, muß der Beklagte ihre Kosten nach § 97\nAbs. 1 ZPO tragen.\n\n24\n\nDas Urteil ist nach den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO vorlaufig vollstreckbar.\n\n25\n\nStreitwert und Wert der Beschwer des Beklagten: **17.000,00 DM**\n\n
314,417
olgk-1992-11-25-11-u-14192
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
11 U 141/92
1992-11-25
2019-03-13 14:02:31
2020-12-10 13:16:23
Urteil
ECLI:DE:OLGK:1992:1125.11U141.92.00
1\n\nE n t s c h e i d u n g s g r u n d e\n\n2\n\nDie zulassige Berufung des Beklagten ist begrundet und fuhrt zur Abweisung der\nKlage. Die Klager haben nicht dargetan, daß ihnen gegen den Beklagten ein\nSchadensersatzanspruch zusteht, was zugleich dem bisher noch beim Landgericht\nanhangigem Betragsverfahren die Grundlage entzieht.\n\n3\n\nAllerdings ist dem Beklagten bei Zugrundelegung der Ausfuhrungen des\nFinanzamts in den Bescheiden vom 19. April 1990 eine Verletzung von Beratungs-\nund Aufklarungspflichten zum Vorwurf zu machen.\n\n4\n\nEine derartige Verpflichtung kann nicht mit der Begrundung verneint werden,\nder Geschaftsbesorgungsvertrag zwischen den Parteien sei erst am 5. August\n1982 und damit nach dem Grundstuckskauf vom 12. Mai 1982 wirksam geworden. Die\nErklarung des Beklagten vom 5. August 1982 war nur noch eine Formlichkeit. Er\nhatte schon am 12. Mai 1982 von der ihm in der Annahmeerklarung der Klager\nerteilten Vollmacht Gebrauch gemacht. Daraus erwuchsen ihm bereits\nAufklarungspflichten, wenn nicht vertragliche, dann zumindest vorvertragliche.\n\n5\n\nDer Beklagte kann den Klagern auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, sie hatten\nnichts getan, um im Fruhjahr 1982 seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Daran ist\nnur richtig, daß der Beklagte die Klager nicht von sich aus umfassend uber\nsamtliche Auswirkungen ihres Beitritts auf die individuellen steuerlichen\nVerhaltnisse (Einkommenssteuer, Umsatzsteuer) zu belehren brauchte. Wegen\neiner solchen Beratung hatten die Klager mit ihren Unterlagen an ihn\nherantreten mussen. Sie außern sich nicht dazu, aufgrund welcher eigenen\nÜberlegungen oder sonstigen Informationen sie sich zum Beitritt zu der\nBauherrengemeinschaft entschlossen haben.\n\n6\n\nAnders verhalt es sich aber bei der Grunderwerbssteuer. Hier ergibt sich die\nHinweispflicht unabhangig von den personlichen Verhaltnissen der Klager oder\nanderer Interessenten aus der Ungenauigkeit und damit Unrichtigkeit des dem\nBeitritt zugrunde liegenden Prospekts. Bei der Darstellung der steuerlichen\nKonzeption (Seite 23) wurde bezuglich der Grunderwerbssteuer vor allem auf\neinen Befreiungstatbestand hingewiesen. Der Gesamtaufwand war auf Seite 6 ohne\nBerucksichtigung einer Grunderwerbssteuer errechnet. Dasselbe gilt fur die\nBeispiele zur Finanzierung und zu den Steuervorteilen sowie zur\nWirtschaftlichkeitsberechnung auf Seite 16 und Seite 17. Das erweckte den\nEindruck, im Regelfall brauche ein Bauherr keine Grunderwerbssteuer zu\nentrichten, die wegen ihrer Hohe das wirtschaftliche Ergebnis in nicht\nunerheblicher Weise beeinflussen konnte. Ferner lag auch dem Kaufvertrag die\nAnnahme zugrunde, die Klager konnten eine Befreiung von der Grunderwerbssteuer\nerlangen. Demgegenuber hat das Finanzamt ausgefuhrt, daß das schon damals nach\nder Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in Frage gestellt war.\n\n7\n\nEin Ersatzanspruch der Klager wegen unrichtiger Informationen und\nunterlassener Hinweise kann jedoch nicht auf die vollstandige oder teilweise\nErstattung der Grunderwerbssteuer gerichtet werden.\n\n8\n\nWer vertragswidrig eine unrichtige Auskunft erteilt, hat den Vertragspartner\nnicht so zu stellen, als ware die Auskunft richtig (Garantie), sondern so, als\nhatte er die richtige Auskunft erteilt (vgl. BGH NJW-RR 1991/1125; Palandt-\nHeinrichs, BGB, 51. Aufl., Vorbem. vor § 249 Rz. 18; neuerdings BGH NJW\n1992/2148).\n\n9\n\nDie Klager tragen nichts vor, woraus sich ergeben konnte, daß sie im Falle\neiner zutreffenden Beratung bei einem Beitritt zur Bauherrengemeinschaft die\nGrunderwerbssteuer hatten vermeiden konnen. Das ist unter Berucksichtigung des\nInhalts der Bescheide des Finanzamtes auch sonst nicht ersichtlich. Mit dem\nAbschluß des Kaufvertrages war der Steuertatbestand erfullt, auch wenn das\nerst spater festgestellt worden ist. Die Klager hatten das zu errichtende Haus\nunter den gegebenen Umstanden nicht "steuerfrei" erlangen konnen. Sie machen\ndemgemaß auch selbst geltend, bei Kenntnis von der Belastung mit der\nGrunderwerbssteuer hatten sie von dem Beitritt Abstand genommen.\n\n10\n\nDas fuhrt aber, wie der Beklagte zu Recht darlegt, zu einer ganz anderen\nBerechnungsweise fur einen etwaigen Schaden. Er mußte durch eine\nGegenuberstellung der Vermogenslage ohne einen Beitritt im Vergleich zu der\ntatsachlichen Entwicklung ermittelt werden. Ein Ersatzanspruch wurde sich auf\nalle Nachteile erstrecken, die den Klagern aus der Anlageentscheidung\nerwachsen sind, unter Ausgleichung der entstandenen Vorteile (vgl. BGH NJW\n1992/2148, 2149). Die Grunderwerbssteuer ist dann nur ein einzelner Faktor der\nGesamtabrechnung. Die Nachteile der Klager bestehen in dem "Gesamtaufwand",\nder sich nach ihren Angaben auf 487.499,06 DM belaufen hat, zuzuglich\nFinanzierungszinsen, da nach dem erstinstanzlichen Vorbringen uberhaupt kein\nEigengeld und nach dem zweitinstanzlichen nur der im Beteiligungsprospekt\nvorgesehene Mindestbetrag vorhanden war. Jetzt kommt noch die\nGrunderwerbssteuer hinzu. Dem stehen der Erwerb des Eigentums sowie\nSteuervergunstigungen und Mieteinnahmen aus dem anscheinend von den Klagern\nnicht selbst bewohnten Haus gegenuber. Nur durch einen Vergleich zwischen den\nAuswirkungen des Beitritts zur Bauherrengemeinschaft und einer anderweitigen\nEntscheidung konnte ermittelt werden, ob die Grunderwerbssteuer zu einem\nSchaden gefuhrt hat oder nur zu verringerten Vorteilen. Die Klager sehen davon\nab, die Gegenuberstellung vorzunehmen, die sich auf die Entwicklung in der\nVergangenheit und ebenso auf die Erwartungen fur die Zukunft beziehen mußte.\nSie bringen auch nicht zum Ausdruck, daß sie bereit waren, im Wege einer\nSchadensersatzabwicklung das Eigentum am Haus aufzugeben.\n\n11\n\nUnter den gegebenen Umstanden kann dahingestellt bleiben, ob die Verjahrung\neines etwaigen Anspruchs gegen den Beklagten bereits mit dem Beitritt der\nKlager zur Bauherrengemeinschaft begonnen hat oder erst mit der Zustellung des\nBescheids des Finanzamtes.\n\n12\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung uber die\nvorlaufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.\n\n13\n\nStreitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer der Klager: 50.851,50 DM.\n\n
315,175
olgk-1989-11-23-2-w-19189
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
2 W 191/89
1989-11-23
2019-03-13 14:48:25
2019-03-27 10:01:09
Beschluss
ECLI:DE:OLGK:1989:1123.2W191.89.00
## Tenor\n\nI. Die sofortige weitere Beschwerde wird auf Kosten der Glaubigerin\nzuruckgewiesen.\n\nII. Der Beschwerdewert wird auf 1.499,23 DM festgesetzt.\n\n \n1\n\nG r u n d e\n\n2\n\nI .\n\n3\n\nDie Glaubigerin, Tochter der 78jahrigen Schuldnerin, hat zur Vollstreckung aus\nzwei Kostenfestsetzungsbeschlussen den Erlaß eines Pfandungs- und\nÜberweisungsbeschlusses beantragt. Die Kostenfestsetzungsbeschlusse sind nach\nerfolgloser Unterhaltsklage der Schuldnerin zugunsten der Glaubigerin\nergangen. Die Unterhaltsklage\n\n4\n\nwar erfolglos, weil vom Blindengeld in Hohe von 812,-- DM, das die Schuldnerin\nbezieht, ein Teilbetrag von 302,-- DM dem Einkommen zugerechnet worden ist,\nweil Amts- und Landgericht von einem blindheitsbedingten Mehrbedarf in Hohe\nvon nur 510,-- DM monatlich ausgegangen sind. Außerdem ist dem Einkommen der\nSchuldnerin im Unterhaltsverfahren eine Zahlung der Unterstutzungseinrichtung\nder Rennstalle und Trainingsanstalten des Bundesgebietes in Hohe von 270,-- DM\nmonatlich zugerechnet worden. Insoweit handelt es sich um eine freiwillige aus\nSpenden finanzierte Leistung dieser Unterstutzungseinrichtung, die als\nanrechenbares Einkommen angesehen worden ist, weil nach langjahriger Zahlung\ndurch die Unterstutzungseinrichtung von einer\n\n5\n\ndauerhaften Leistung auszugehen sei.\n\n6\n\nDie Glaubigerin hat beantragt,\n\n7\n\ndie von der Landesversicherungsanstalt Rheinland gezahlte Witwenrente in Hohe\nvon jetzt 490,45 DM monatlich zu pfanden und zur Feststellung des pfandbaren\nEinkommens dieser Rente hinzuzurechnen\n\n8\n\na) Mehrbetrag der Rente fur Kindererziehungszeiten 170,-- DM;\n\n9\n\nb) Unterhaltsleistungen des Sohnes V. 65,-- DM;\n\n10\n\nc) Wohngeld 155,-- DM;\n\n11\n\nd) Zahlung der Unterstutzungseinrichtung der Rennstalle und Trainingsanstalten\n270,-- DM.\n\n12\n\nDer Antrag auf Hinzurechnung des Blindengeldes ist mit Schriftsatz vom 7.\nNovember 1988 zuruckgenommen worden.\n\n13\n\nDie Schuldnerin bezieht gemaß Bescheid der Gemeinde Waldfeucht vom 11. April\n1989 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Hohe von 468,88 DM monatlich. Dabei\nist das Sozialamt von einem Regelsatzbedarf (einschließlich der Wohn- und\nHeizungskosten sowie des Mehrbedarfs nach Vollendung des 60. Lebensjahres) in\nHohe von 949,33 DM\n\n14\n\nausgegangen, von dem es aus den Einkunften der Schuldnerin nur die Witwenrente\nin Hohe von 490,45 DM abgezogen hat.\n\n15\n\nDie Unterstutzungseinrichtung der Rennstalle hat mit Schreiben vom 4. Juli\n1989 mitgeteilt, daß die Leistungen im Falle einer Pfandung eingestellt\nwerden.\n\n16\n\nAm 31. Mai 1989 hat das Amtsgericht den Pfandungs- und Überweisungsbeschluß\nbei Gewahrung eines unpfandbaren Betrages von 900,-- DM erlassen, weil die\nSchuldnerin\n\n17\n\nauch ohne das Blindengeld monatliche Einkunfte von uber 1.200,-- DM habe und\ndie gegen diese Entscheidung gerichtete Erinnerung zuruckgewiesen.\n\n18\n\nAuf die sofortige Beschwerde hat das Landgericht den Pfandungs- und\nÜberweisungsbeschluß unter Zuruckweisung des Antrages der Glaubigerin\naufgehoben.\n\n19\n\nII.\n\n20\n\nDie sofortige Beschwerde ist gemaß § 568 Abs. 2 ZPO statthaft und auch im\nubrigen zulassig. In der Sache ist sie aber nicht begrundet. Das Landgericht\nist zu Recht davon ausgegangen, daß auch nach Zusammenrechnung der Einkunfte\ngemaß § 850 e Nr. 2 bzw. 2 a ZPO die Anspruche nicht pfandbar sind.\n\n21\n\n1 .\n\n22\n\nWohngeld ist schon deshalb nicht zu berucksichtigen, weil die Schuldnerin\nlaufende Hilfe zum Lebensunterhalt jedenfalls seit Dezember 1988 bezieht und\nWohngeld daher nicht mehr gezahlt wird bzw. gewahrte Leistungen gemaß §§ 104\nff. SGB X zu erstatten sind.\n\n23\n\n2 .\n\n24\n\nDie Zahlung der Unterstutzungseinrichtung der Rennstalle erfolgt freigiebig\nund aus Fursorge, die Schuldnerin hat keinen entsprechenden Rechtsanspruch.\nMit Recht hat\n\n25\n\ndas Landgericht daher die Pfandbarkeit nach § 850 Beklagte Abs. 1 Nr. 3, Abs.\n2 ZPO beurteilt. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Glaubigerin\n(vgl. Stober, Forderungspfandung, 8. Auflage, Rdn. 1027 m.w.N.) hat nicht\ndargetan, daß die Pfandung nach den Umstanden der Billigkeit entspricht.\nDagegen spricht schon, daß nach der schriftlichen Mitteilung der\nUnterstutzungseinrichtung fur den Fall der Pfandung eine Zahlungseinstellung\nerfolgen wird. Auf die pfandungsrechtliche Billigkeitsprufung\n\n26\n\nbleibt insoweit ohne Einfluß, daß die freiwillige Leistung der\nUnterstutzungseinrichtung im Unterhaltsprozeß als Einkommen der Schuldnerin\nangerechnet worden ist. Die pfandungsrechtliche Billigkeitsbeurteilung muß\nselbstandig erfolgen, wie sich schon daraus ergibt, daß der freiwillig\nLeistende im Unterhaltsprozeß nicht gehort worden ist und erst bei der\nInanspruchnahme als Drittschuldner deutlich wird, ob er eine Pfandung zum\nAnlaß der Einstellung der Leistungen nehmen wird.\n\n27\n\nAuch bei der Zusammenrechnung nach § 850 e ZPO ist die Leistung nicht zu\nberucksichtigen, denn außer im Ausnahmefall des § 850 b Abs. 2 ZPO sind die\nLeistungen\n\n28\n\nvoll unpfandbar, so daß sie den unpfandbaren Leistungen nach § 850 a ZPO\ngleichzustellen sind, die nach § 850 e ZPO bei der Zusammenrechnung nicht\nberucksichtigt\n\n29\n\nwerden durfen (vgl. Stein/Jonas/Munzberg, 20. Auflage, § 850 e Nr. 2;\nZoller/Stober, 15. Auflage, § 850 e Rdn. 11).\n\n30\n\n3.\n\n31\n\nDas Landgericht hat mit Recht ausgefuhrt, daß Unterhaltsleistungen des Sohnes\nUdo gemaß § 850 b Nr. 2 ZPO unpfandbar sind und daher bei der Zusammenrechnung\ngemaß § 850 e ZPO nur zu berucksichtigen waren, wenn sie gemaß § 850 b Abs. 2\nZPO fur pfandbar erklart werden konnten. Ob das Landgericht dies mit Recht\nverneint hat, kann dahinstehen, da nach der eidesstattlichen Versicherung des\nSohnes vom 10. Juni 1989 Barunterhaltsleistungen des Sohnes an die Mutter\nnicht mehr erbracht werden.\n\n32\n\nInsoweit ist schon nicht dargetan, daß die Schuldnerin Barunterhaltsanspruche\ngegen ihren Sohn hat, zumal die Glaubigerin selbst Unterhaltsanspruche der\nMutter unter Hinweis auf deren mangelnde Bedurftigkeit abgewehrt hat. Bloße\ntatsachliche Hilfeleistungen fur die Schuldnerin, die im selben Haus in einer\neigenen Wohnung lebt, sind keine pfandbaren Leistungen.\n\n33\n\n4.\n\n34\n\nDie Pfandbarkeit der Rentenanspruche der Schuldnerin richtet sich nach § 54\nSGB I.\n\n35\n\nDies gilt auch fur den Teil der Rente, der auf dem\nKindererziehungsleistungsgesetz (KLG vom 12. Juli 1987 BGBI 1987, I, 1585)\nberuht. Nach Art. 2 dieses Gesetzes ist das Arbeiterrentenversicherungs-\nNeuregelungsgesetz (ArVNG) in § 66 dahin geandert worden, daß die Leistung fur\nKindererziehung als Einkommen unberucksichtigt bleibt, wenn bei\nSozialleistungen aufgrund von Rechtsvorschriften die Gewahrung oder die Hohe\ndieser Leistung von anderem Einkommen abhangig ist. Daher hat das Sozialamt\nbei der Berechnung der Sozialhilfe diesen Teil der Rente mit Recht außer\nBetracht gelassen. Anders als fur das Erziehungsgeld nach dem\nBundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) in § 54 Abs. 5 SGB I ist fur\nKindererziehungsleistungen aber nicht ausdrucklich bestimmt,\n\n36\n\ndaß sie unpfandbar sind. Daraus folgt, daß sich ihre Pfandbarkeit nach den\nallgemeinen Vorschriften in § 54 SGB I richtet.\n\n37\n\nDie Pfandbarkeitsvoraussetzungen nach § 54 Abs. 2, Abs. 3 SGB I sind jedoch\nfur den Gesamtbetrag der Rente nicht erfullt. Bei der Billigkeitsprufung gemaß\n§ 54 Abs. 2, Abs. 3 SGB I konnen nur die Teile des Einkommens berucksichtigt\nwerden, die nicht aufgrund anderer Vorschriften unpfandbar sind. Auch wenn\nhier unterhaltsrechtlich ein Teil des Blindengeldes (das nach § 4 Abs. 1\nLandesblindengesetz unpfandbar ist) und die freiwillige Leistung der\nUnterstutzungseinrichtung als Einkommen der Schuldnerin berucksichtigt worden\nsind, bleibt es pfandungsrechtlich dabei, daß diese Teile wegen ihrer\nUnpfandbarkeit nicht bei der Zusammenrechnung nach § 850 e Nr. 2, Nr. 2 a ZPO\nberucksichtigt werden durfen. Gleiches gilt fur die nach § 4 Abs. 1 BSHG\nunpfandbare Sozialhilfe.\n\n38\n\nDa fur die Billigkeitsprufung somit nur auf das Renteneinkommen in Hohe von\ninsgesamt 660,45 DM abzustellen ist, ergibt sich die Unbilligkeit schon\ndaraus, daß die Mindestbetrage des § 850 c ZPO nicht erreicht werden (vgl.\ndazu Senatsentscheidung in OLGZ 1987, 92).\n\n39\n\nAngesichts dieser Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob der Pfandbarkeit\naußerdem entgegensteht, daß gemaß § 54 Abs. 3 SGB I dadurch Hilfsbedurftigkeit\nim Sinne der Vorschriften des BSHG uber die Hilfe zum Lebensunterhalt\neintreten wurde.\n\n40\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.\n\n
315,214
lg-dusseldorf-1989-07-07-32-o-3989
808
Landgericht Düsseldorf
lg-dusseldorf
Düsseldorf
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Landgericht
32 O 39/89
1989-07-07
2019-03-13 14:49:30
2019-03-27 10:01:03
Urteil
ECLI:DE:LGD:1989:0707.32O39.89.00
## Tenor\n\nDie Klage wird abgewiesen.\n\nDie Kosten des Rechtsstreits tragt die Klagerin.\n\nDas Urteil ist vorlaufig vollstreckbar gegen Sicher-heitsleistung von\n45.000,-- DM, die auch durch die\n\nselbstschuldnerische Burgschaft einer Großbank oder eines offentlich-\nrechtlichen Kreditinstituts mit dem Sitz in der Bundesrepublik Deutschland\noder West-Berlin erbracht werden kann.\n\n \n1\n\nTatbestand :\n\n2\n\nÜber das Vermogen der H AG wurde nach erfolglosem Vergleichsantrag am 28.\nFebruar 1989 das Anschlußkonkursverfahren eroffnet.\n\n3\n\nDas Unternehmen hatte in den vergangenen Jahren bereits durch erhebliche\nUmsatzverluste in verschiedenen Sparten seines Tatigkeitsbereiches negative\nBilanzergebnisse gehabt. Betriebswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen waren\nseit langerem angelaufen, hatten aber noch keinen durchgreifenden Erfolg\ngezeitigt.\n\n4\n\nEin besonderes Problem fur die Eigenkapitalbasis des Unternehmens ergab sich\nzusatzlich aus einer Unterdeckung der Unterstutzungskasse, die in fruheren\nJahren fur die von ihr ubernommenen Pensionsverpflichtungen nicht ausreichend\ndotiert worden war. Diese Situation war bekannt; es war daruber schon in den\nGeschaftsberichten 1986 und 1987 informiert worden. Fur die Unterdeckung\nhaftete die H AG als Trager-Unternehmen; diese Eventualverbindlichkeit war\naber noch nicht bilanziert worden. In der Bilanz 1988 mußte der erforderliche\nDeckungsaufwand aufgrund des Bilanzrichtlinien-Änderungsgesetzes\nberucksichtigt werden, und zwar in einer Hohe von DM 58 .Mio.\n\n5\n\nEnde 1988 zeichnete sich die finanzwirtschaftliche Lage des Unternehmens bei\nden Eigenmitteln dadurch aus, daß von dem Nominalkapital von DM 49,9 Mio\n(Bilanzwert 31.12.1987: DM 44 Mio) Verluste von DM 13 Mio und weitere\nSanierungsaufwendungen von DM 1.1 Mio abzusetzen waren, so daß sich bereits\nohne den außerordentlichen Aufwand fur die Pensionsverpflichtungen das\nNominalkapital auf rund 20 Mio DM vermindert hatte, ein Fall, der gemaß § 92\nAbs. 1 AktG der Hauptversammlung des Unternehmens durch den Vorstand\nanzuzeigen ist.\n\n6\n\n**In Wirklichkeit war das gesamte Kapital und dar uberhinaus ein weiterer\nBetrag von per Saldo DM 38 Mio verloren.**\n\n7\n\n**Der Vorstand des Unternehmens hatte sich in langen Verhandlungen mit den\nbeteiligten Gl aubigern und sonstigen Betroffenen um einen grundlichen Wechsel\nder finanzwirtschaftlichen Lage bemuht und einen Sanierungsplan ausgehandelt,\nder im wesentlichen wie folgt aussah:**\n\n8\n\n**Der Q Verein (k unftig: Q) war bereit, 50 _%_ der Verpflichtungen der G AG\naus den Altersversorgungszusagen zu ubernehmen wegen wirtschaftlicher Notlage\ndes Unternehmens. Der Sanierungsgewinn hieraus hatte sich auf insgesamt ca. 44\nMio DM belaufen.**\n\n9\n\n 1. **Die Arbeitsverwaltung war bereit, auf die Erstattung von Ausgleichszahlungen f ur vorzeitig pensionierte Mitarbeiter (ein Teil des Sanie-**\n\n10\n\n**rungsplans sah Entlassungen und vorgezogenen Ruhestand vor) zu verzichten.\nAuf diese Weise w are das Unternehmen um ca. 16 Mio DM entlastet worden.**\n\n11\n\n 3. **Die Gl aubiger-Banken hatten zugesagt, auf einen Teilbetrag der ausgelegten Kredite in Hohe von rund 10 Mio DM zu verzichten.**\n 4. **Die Belegschaft des Unternehmens wollte f ur das Jahr 1989 auf das Urlaubsgeld und die Jahressonderzahlung verzichten. Das bedeutete einen um ca. 5 Mio DM verminderten Aufwand.**\n 5. **Lieferanten und Kreditversicherer hatten ebenfalls einen Sanierungsbeitrag von rund 3 Mio DM in Aussicht gestellt.**\n 6. **Die Aktion are ihrerseits sollten- dergestalt an **der **Sanierung mitwirken, da ß sie einer Kapitalherabsetzung **im **Verh altnis 5:2 zustimmten. Dies hatten der Q **und **die** Glaubiger-Banken ausdrucklich zur Bedingung **f ur ihre Sanierung-sbeitrage **gemacht.\n\n12\n\n**Der Vorstand** der **H AG** hatte in diesem Zusammenhang fur den 3. Februar\n1989 zu einer außerordentlichen Hauptversammlung eingeladen. Gegenstand der\nTagesordnung (Anlage WK 2) sollten folgende Punkte sein:\n\n13\n\n1\\. Anzeige gemaß § 92 Abs. 1 AktG uber den Verlust von mehr als der Halfte\ndes Grundkapitals. Bericht des Vorstands uber die wirtschaftliche Situation\nder Gesellschaft, uber das Sanierungskonzept und dessen Realisierung.\n\n
315,283
olgham-1989-01-23-3-ws-3989
821
Oberlandesgericht Hamm
olgham
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
3 Ws 39/89
1989-01-23
2019-03-13 14:51:24
2019-03-27 10:00:52
Beschluss
ECLI:DE:OLGHAM:1989:0123.3WS39.89.00
## Tenor\n\nDie sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdefuhrers als unzulassig\nverworfen.\n\n \n1\n\n**Gr unde:**\n\n2\n\nDurch den angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer die dem\nVerurteilten durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 3. November 1986\nbewilligte Strafaussetzung zur Bewahrung widerrufen.\n\n3\n\nHiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.\n\n4\n\nDas Rechtsmittel ist gemaß § 453 Abs. 2 S. 2 StPO statthaft, es ist jedoch\nnicht rechtzeitig eingelegt worden.\n\n5\n\nDer Beschluß ist dem Beschwerdefuhrer mit Rechtsmittelbelerung ausweislich der\nAkten am 16. Dezember 1988 selbst in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-\nBrackwede II zugestellt worden. Die sofortige Beschwerde, die gemaß §§ 311\nAbs. 2, 35 Abs. 2 StPO innerhalb einer Woche seit der Zustellung einzulegen\ngewesen ware, hatte daher nach § 43 Abs. 1 StPO spatestens bis zum 23.\nDezember 1988 bei dem Landgericht Bielefeld eingehen mussen. Sie ist aber\ntatsachlich erst am 27. Dezember 1988, also verspatet, dort eingegangen. Das\nRechtsmittel mußte daher mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden\nKostenfolge als unzulassig verworfen werden.\n\n6\n\nEs besteht kein Anlaß, dem Beschwerdefuhrer von Amts wegen Gelegenheit zur\nStellung eines Gesuchs um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die\nVersaumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu geben, da das\nRechtsmittel auch aus sachlichen Grunden keine Aussicht auf Erfolg geboten\nhaben wurde.\n\n
315,297
lg-dusseldorf-1988-12-15-17-o-8687
808
Landgericht Düsseldorf
lg-dusseldorf
Düsseldorf
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Landgericht
17 O 86/87
1988-12-15
2019-03-13 14:51:43
2019-03-27 10:00:50
Teilurteil
ECLI:DE:LGD:1988:1215.17O86.87.00
## Tenor\n\nDer Beklagte wird verurteilt, an den Klager 8.000,-- DM nebst 4% Zinsen seit\ndem 03.11.1987 zu zahlen.\n\nDas Urteil ist gegen Sicherheitsleistung des Klagers in Hohe von 8.000,-- DM\nvorlaufig vollstreckbar.\n\nDie Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.\n\n \n1\n\n _Tatbestand_\n\n2\n\nDer am 12.02.1931 geborene Klager macht im Zusammenhang mit einem bei ihm\nerfolgten Unterkieferbruch bei einer Zahnextraktion durch den Beklagten am\n20.07.1987 gegen diesen die Zahlung von Schmerzensgeld und die Feststellung\nder Ersatzpflicht zukunftigen Schadens geltend.\n\n3\n\nDer den Klager zunachst behandelnde Zahnarzt Dr. X in X empfahl Ende April\n1987 dem Klager, zwei in den beiden Unterkieferhalften befindliche\nWeisheitszahne durch einen Spezialisten vorsorglich entfernen zu lassen,\nobwohl der Klager zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der Weisheitszahne vollig\nbeschwerdefrei war.\n\n4\n\nZwecks deren Entfernung begab er sich vereinbarungsgemaß am 20.07.1987 in die\nPraxis des Beklagten. Geplant war zunachst die Entfernung eines\nWeisheitszahnes, danach mit etwa zweiwochigem Abstand die des nachsten. Der\nKlager erhielt eine ortliche Betaubungsspritze, ohne dass ihn der Beklagte\nuber eventuelle Risiken des von ihm beabsichtigten Eingriffs sowie uber dessen\nArt und Weise aufklarte. Sodann begann der Beklagte, den \\- verlagerten -\nWeisheitszahn im rechten Unterkiefer herauszuhebeln. Der Zahn war aber so fest\nmit dem umgebenden Knochen verbunden, dass eine erhohte Druckanwendung des\nHebels notwendig war (zu dieser Zeit war der Zahn weitgehend freigelegt), um\ndenselben herauszubekommen, was auch gelang. Andererseits versuchte der\nBeklagte nicht, mit dem Instrument den Zahn vorher zu lockern. Trotz der\nBetaubung handelte es sich um einen fur den Klager schmerzhaften Eingriff.\nDurch die erhohte Druckanwendung des Hebels kam es bei dem Klager zu dem\nKieferbruch.\n\n5\n\nDer Beklagte fixierte daraufhin den Unterkiefer gegen den Oberkiefer. Der mit\nSchmerzen verbundene Heilungsverlauf des Bruches war zwar weitgehend\nkomplikationslos, jedoch konnte der Klager fur die Dauer von 3 Wochen den Mund\nnicht mehr offnen und dadurch wahrend dieser Zeit weder sprechen noch husten.\nEr konnte aufgrund dessen ferner wahrend der 3 Wochen nur sogenannte\nAstronautennahrung durch eine Schnabeltasse, deren Ausguss er durch eine\nZahnlucke in den Mund fuhren musste, zu sich nehmen und sich jeglicher Hygiene\nim Mundbereich enthalten, wobei er insbesondere auch nicht das hinaustretende\nBlut aus der Wunde, die der herausgehebelte Weisheitszahn hinterlassen hatte,\nausspulen konnte. Er verlor wahrend der 3 Wochen 10 Kilo an Gewicht und war\nwahrend dieser Zeit durch den Kieferbruch arbeitsunfahig. Wenige Tage nach der\nEntfernung der Kieferfixierung trat eine Entzundung durch Speisereste oder\nandere Fremdkorper auf. Dr. Dr. X, der in Gemeinschaft mit dem Beklagten\npraktiziert, verschrieb deshalb ein Antibiotikum, in dessen Folge der Klager\neine schlaflose Nacht durch Nierenschmerzen erlitt.\n\n6\n\nDer Beklagte befindet sich wegen eines geltend gemachten\nSchmerzensgeldbetrages von 8.000,-- DM spatestens seit dem 03\\. 11.1987 in\nVerzug.\n\n7\n\nDer Klager tragt vor, der Eingriff des Beklagten sei nicht nach den Regeln der\narztlichen Kunst erfolgt. Es sei nicht sachgerecht und ublich gewesen, einen\nfest mit dem umgebenden Knochen verbundenen Weisheitszahn mit einem Hebel aus\ndem Kiefer zu brechen. Außerdem sei der Eingriff nicht indiziert gewesen.\n\n8\n\nIm ubrigen beruft sich der Klager auf eine Verletzung der Aufklarungspflicht\ndurch den Beklagten und bringt hinsichtlich der Folgen des Kieferbruches noch\nvor: Wahrend der 3 Wochen, wahrend der die beiden Kieferhalften\nzusammengebunden gewesen seien, habe er vor Schmerzen im Sitzen schlafen und\nSchmerzen bei jeder Bewegung des Kopfes, beispielsweise beim Bucken, erdulden\nmussen. Jeder Schritt habe weh getan. Bis heute habe er Kauschwierigkeiten und\nSchmerzen im rechten Kiefergelenk. Der Unterkieferbereich sei innen immer noch\ntaub und gefuhllos Was den Feststellungsanspruch angehe, so bestehe das\nerhohte Risiko eines erneuten Kieferbruches etwa dann, wenn ihm bei festem\nZubeißen ein unerwartetes hartes Hindernis zwischen die Zahne gerate oder er\nbeispielsweise bei Schreck oder Schmerz oder großer Anstrengung die Zahne\nzusammenbeißen wurde.\n\n9\n\nDer Klager beantragt,\n\n10\n\nden Beklagten zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Hohe in das\nErmessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber 8.000,-- DM nebst 4%\nZinsen seit dem 03.11.1987, zu zahlen und festzustellen, dass der Beklagte\nverpflichtet ist, ihm allen kunftigen materiellen und immateriellen Schaden,\nden er aus der Zahnbehandlung vom 20.07.87 noch erleiden wird, zu ersetzen .\n\n11\n\nDer Beklagte beantragt,\n\n12\n\ndie Klage abzuweisen,\n\n13\n\nggf. ihm nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung, die\nauch durch die Burgschaft einer Bank oder Sparkasse erbracht werden kann,\nabzuwenden.\n\n14\n\nEr bestreitet, einen arztlichen Behandlungsfehler begangen zu haben und tragt\ndazu vor, die Benutzung eines Hebels sei sachgerecht und ublich sowie der\nKieferbruch nicht vermeidbar gewesen.\n\n15\n\nDaruber hinaus tritt der Beklagte der Ruge verletzter Aufklarungspflicht sowie\ndem sonstigen Vorbringen des Klagers entgegen.\n\n16\n\nHinsichtlich der sonstigen Einzelheiten des Parteivorbringens wird erganzend\nauf den Inhalt der gewechselten Schriftsatze und uberreichten Unterlagen Bezug\ngenommen.\n\n17\n\nEntscheidungsgrunde\n\n18\n\nDie Klage ist zumindest hinsichtlich eines Schmerzensgeld-Betrages in Hohe von\n8.000,-- DM gemaß §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB begrundet.\n\n19\n\nEs muss davon ausgegangen werden, dass der bei dem Klager unstreitig\neingetretene Kieferbruch auf einem fahrlassigen arztlichen Behandlungsfehler\ndes Beklagten beruht hat. Dafur spricht vorliegend unter Berucksichtigung des\nGeschehensablaufes der Beweis des ersten Anscheins mit der Folge, dass der\nBeklagte das Gegenteil vortragen und beweisen muss. Sein Vortrag ist aber\nnicht ausreichend, sich von einem vorwerfbaren arztlichen Behandlungsfehler zu\nentlasten. Der Beklagte tragt hinsichtlich der Durchfuhrung der Entfernung des\nWeisheitszahnes lediglich vor, die Benutzung eines Hebels sei sachgerecht und\nublich und der Kieferbruch unvermeidbar gewesen, macht aber nicht die\nerforderlichen Angaben dazu, wieso eine Unvermeidbarkeit vorgelegen hat.\nInsbesondere tragt der Beklagte nichts dazu vor, weshalb er, als er bemerkt\nhat, dass der Zahn des Klagers fest mit dem umgebenden Knochen verbunden war,\nnicht versucht hat, diesen vor der Extraktion zunachst zu lockern oder weshalb\ner es unterlassen hat, eine andere Entfernungsmethode als das bloße\nHeraushebeln anzuwenden, etwa ein Zerstuckeln des Zahnes. Damit ist die Klage\ndem Grunde nach gerechtfertigt, ohne dass es noch darauf ankommt, ob der\nEingriff nicht indiziert war und der Beklagte seine Aufklarungspflicht\nschuldhaft verletzt hat.\n\n20\n\nWas die Hohe des Schmerzensgeld-Anspruches des Klagers angeht, so ist das\nSchmerzensgeld nach § 287 ZPO nach freiem Ermessen zu bestimmen, muss aber\nerkennbar zu der Art und Dauer der erlittenen Schadigung in eine angemessene\nBeziehung gesetzt werden. Bereits die unstreitigen erheblichen Folgen des\nanzunehmenden Behandlungsfehlers des Beklagten rechtfertigen den von dem\nKlager geltend gemachten Mindestbetrag von 8.000,-- DM: Schon der fehlerhafte\nEingriff selbst fuhrte bei dem Klager zu Schmerzen. Der Heilungsverlauf des\nKieferbruches war ebenfalls mit Schmerzen verbunden. Aufgrund der durch den\nBruch erforderlich gewordenen Fixierung des Unterkiefers gegen den Oberkiefer\nkonnte der Klager 3 Wochen den Mund nicht mehr offnen und wahrend dieser Zeit\nweder sprechen noch husten, konnte nur sogenannte Astronautennahrung durch\neine Schnabeltasse zu sich nehmen und musste sich jeglicher Hygiene im\nMundbereich enthalten, wobei er insbesondere auch nicht das heraustretende\nBlut aus der Wunde, die der herausgehebelte Weisheitszahn hinterlassen hatte,\nausspulen konnte. Daruber hinaus verlor der Klager wahrend der 3 Wochen 10\nKilo an Gewicht und war in diesem Zeitraum durch den Kieferbruch\narbeitsunfahig. Schließlich trat wenige Tage nach Entfernung der\nKieferfixierung eine Entzundung durch Speisereste oder andere Fremdkorper auf,\ndie aufgrund der Einnahme eines seitens des in Gemeinschaft mit dem Beklagten\npraktizierenden Dr. Dr. X verschriebenen Antibiotikums zu einer schlaflosen\nNacht des Klagers durch Nierenschmerzen fuhrte. Unter Berucksichtigung dieser\nunstreitigen Gesamtfolgen halt das Gericht eine Schmerzensgeld-Entschadigung\nin der von dem Klager begehrten Mindesthohe von 8.000,-- DM fur angemessen.\n\n21\n\nDa noch weitergehende Folgen des Kieferbruches zwischen den Parteien streitig\nund damit aufklarungsbedurftig sind, konnte jedoch uber die Zuerkennung des\nendgultigen Schmerzensgeldbetrages nicht entschieden werden. Das gleiche gilt\nfur den Feststellungsantrag des Klagers, da das von ihm behauptete erhohte\nRisiko eines erneuten Kieferbruches vom Beklagten bestritten wird.\n\n22\n\nDer Zinsanspruch des Klagers rechtfertigt sich aus § 288 Abs. 1 BGB.\n\n23\n\nNach alledem war wie geschehen durch Teilurteil gemaß § 301 Abs. 1 ZPO zu\nerkennen unter Vorbehalt der Kostenentscheidung im Schlussurteil.\n\n24\n\nDie Entscheidung uber die vorlaufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.\nDer Antrag des Beklagten auf Gewahrung von Vollstreckungsnachlass war\nzuruckzuweisen, da die gesetzlichen Voraussetzungen dafur (§ 712 ZPO) nicht\ndargetan sind.\n\n
315,363
lg-kleve-1988-05-31-6-s-33687
811
Landgericht Kleve
lg-kleve
Kleve
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Landgericht
6 S 336/87
1988-05-31
2019-03-13 14:53:45
2019-03-27 09:43:19
Urteil
ECLI:DE:LGKLE:1988:0531.6S336.87.00
## Tenor\n\nDie Berufung der Beklagten gegen das am 2. September 1987 verkundete Urteil\ndes Amtsgerichts Emmerich wird mit der Maßgabe zuruckgewiesen, daß den\nBeklagten eine Raumungsfrist bis zum 31. Juli1988 gewahrt wird.\n\nDie Beklagten haben die Kosten der Berufung als Gesamtschuldner zu tragen.\n\n \n1\n\nTatbestand\n\n2\n\nVon der Darstellung des Tatbestandes wird gemaß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.\n\n3\n\nEntscheidungsgrunde\n\n4\n\nDie Berufung der Beklagten, mit der sie sicn gegen ihre Verurteilung zur\nRaumung und Herausgabe des durch sie gemieteten Hauses wenden, ist zwar\nzulassig, in der Sache jedoch nicht begrundet. Denn das Amtsgericht hat die\nBeklagten zu Recht zur Raumung und Herausgabe verurteilt. Dabei hat entweder\ndie Kundigungserklarung vom 15. Mai 1987, wenn ihr eine Vollmacht beilag, was\nzwischen den Parteien streitig ist, oder die inhaltlich gleiche\nKundigungserklarung vom 26. Mai 1987 zur sofortigen Beendigung des\nMietverhaltnisses gefuhrt; von einer Wirksamkeit der Kundigungserklarung vom\n4. Marz 1987, vier unstreitig eine Vollmacht des Klagervertreters nicht\nbeigefugt war und die vermutlich weswegen von den Beklagten zuruckgewiesen\nworden ist, geht auch der Klager nicht aus.\n\n5\n\nDie fristlose Kundigung des Klagers war gemaß § 554 a BGB berechtigt. Die\nBeklagten haben, wie das Amtsgericht im angefochtenen Urteil bereits\nzutreffend ausgefuhrt hat (§ 543 ZPO), durch standige unpunktliche\nMietzahlungen ihre Verpflichtungen aus dem Mietvertrag in einem solchen Maße\nverletzt, daß dem Klager eine Fortsetzung des Mietverhaltnisses nicht mehr\nzugemutet werden kann.\n\n6\n\nDie Mietzahlungen der Beklagten erfolgten verspatet, weil sie nicht am 3.\nWerktag eines Monats auf dem Konto ues Klagers eingingen. Daß es fur die\nRechtzeitigkeit der Mietzahlungen nicht auf die Absendung des Geldes, sondern\nauf die Ankunft des Geldes beim Klager ankommt, ist im Mietvertrag\nausdrucklich geregelt. Diese Regelung findet sich nicht nur in §\'4 Ziffer 1\ndes Mietvertrages, der vom 1. Oktober 1982 datiert, sondern auch in § 4 Ziffer\n3 des Mietvertrages, der vom 23. September 1982 datiert. Die Regelung ist, wie\ndas Amtsgericht im angefocriterien Urteil bereits zutreffend ausgefuhrt hat,\nauch wirksam (vgl. hierzu auch Sternel Mietrecht, 2. Auflage, Anm. II 95,\nStaudinger-Emmerich, 12. Auflage, §§ 535, 536 BGB, Randnr. 113, § 554 BGB\nRandnr. 13).\n\n7\n\nDie Mietzahlungen der Beklagten sind auch in erneblichem Umfang unpunktlich\nauf dem Konto des Klagers eingegangen. In uer Zeit von Januar 1986 bis Mai\n1987 (17 Monate) sind nur die Mietzahlungen fur 2 Monate, namlich fur Februar\n1986 und Mai 1986, punktlich erfolgt, alle anderen Mietzahlungen sind\nverspatet auf dem Konto des Klagers eingegangen. Soweit die Beklagten sich\ndarauf berufen, sie hatten die jeweilige Überweisung bzw. Einzahlung\nspatestens am 3. Werktag der jeweiligen Monate vorgenommen und hatten damit\nrechnen konnen, daß die Betrage noch am gleichen Tag dem bei der selben\nBankfiliale gefuhrten Konto des Klagers gutgeschrieben werden wurden, vermag\nsie dies nicht zu entlasten. Denn zum einen haben die Beklagten nicht einmal\nspezifiziert dargelegt, wann jeweils von ihnen die Leistungshandlungen\nvorgenommen worden sind. Ihr pauschales Vorbringen, die jeweilige\nLeistungshandlung sei spatestens am 3. Werktag vorgenommen worden, reicht\nhierzu nicht aus, zumal sich aus mehreren der vom Klager uberreichten\nÜberweisungstrager ergibt, daß diese erst nach dem 3. Werktag bei der Bank\neingereicht worden sind. Im ubrigen war den Beklagten aufgrund der\nBeanstandung des Klagers bekannt, daß es tatsachlich immer wieder zu\nverspatetem Mieteingang auf dem Konto des Klagers gekommen ist, so aai3 innen\nbekannt war, daß ihre Erwartung, die Mieten wurden immer am Einzahlungstag\nbereits dem Konto des Klagers gutgeschrieben, nicht zutraf.\n\n8\n\nDie in den Monaten bis Mai 1987 einschließlich nahezu\n\n9\n\nstandig erfolgten unpunktlichen Zahlungen stellen insgesamt einen so\nschwerwiegenden Vertragsverstoß dar, daß dem Klager die Fortsetzung des\nMietverhaltnisses nicht mehr zugemutet werden konnte. Trotz der Aufforderungen\ndes Klagers vorn Mai 1986, vom 11. Februar 1987 und vom Marz 1987 und der\nAusfuhrungen des Klagers im Vorprozeß der Parteien 2 C 49/87 Amtsgericht\nEmmerich, aus dem sich ergab, daß der Klager auf einen punktlicnen Eingang der\nMietzanlurigen besonderen Wert legte, naben die Beklagten ihr Verhalten\nfortgesetzt. Sie haben damit zu erkennen gegeben, daß sie nicht bereit waren,\nihre Pflichten termingerecht auszufuhren, und haben das berechtigte Interesse\ndes Klagers an einem punktlicnen Eingang der Mieten und an einer zeitgerechten\nDisponierung uber die Mieten hartnackig mißachtet. Diese Einstellung der\nBeklagten zur Mietzahlungspflicht machte die Fortsetzung des,\nMietverhaltnisses fur den Klager unzumutbar. Das Mietverhaltnis war bis 1992\nfest abgeschlossen. Es war dem Klager nicht zuzumuten, die unpunktlichen\nZahlungen der Beklagten noch auf Jahre hinaus in Kauf zu nehmen, auch wenn es\nsich jeweils nur um Zeitverzogerungen von wenigen Tagen handelte. Dass der\nKlager das Verhalten der Beklagten zu Recht als hartnackige Weigerung einer\npunktlichen Erfullung der Pflicht zur Mietzahlung verstanden hat, ergibt sich\nim ubrigen auch aus dem Verhalten, das die Beklagten selbst noch nach Kenntnis\nvon dem Teilurteil des Amtsgerichts Emmerich vom 10. April 1984 im\nVorverfahren, aus dem sich fur sie**** klar ergab, dass das Geld am 3. Werktag\nauf dein Konto des Klagers einzugehen hatte, sowie weiter nach Ausspruch der\nKundigung von Mai 1987 gezeigt haben. So haben sie nicht nur im Mai 1987,\nsondern auch im Juli 1987, im September 1987 und im November.1987 die\nÜberweisungsauftrage erst so spater erteilt, dass die Zahlungen nicht bis zum\n3. Werktag der jeweiligen Monate auf dem Konto des Klagers eingingen.\n\n10\n\nDas Raumungsbegehren des Klagers scheitert auch nicht daran, daß das\nMlietverhaltnis nach der vom Klager ausgesprochenen Kundigung gemaß § 568 BGB\nstillschweigend verlangert worden ware. Zwar bestimmt § 568 BGB, daß dann,\nwenn nach dem Ablauf der Mietzeit der Gebrauch der Sache von dem Mieter\nfortgesetzt wird, das Mietverhaltnis als auf unbestimmte Zeit verlangert gilt,\nsofern nicht der Vermieter seinen entgegenstehenden Willen binnen einer Frist\nvon 2 Wochen, die mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Vermieter von der\nFortsetzung Kenntnis erlangt, dem Mieter gegenuber erklart. Die Geltung des §\n568 BGB ist jedoch in § 2 Ziffer 4 des von den Parteien am 1. Oktober 1982\nunterzeichneten Mietvertrages abbedungen worden; eine Abbedingung der Geltung\ndes § 568 BGB ist auch in allgemeinen Geschaftsbedingungen wirksam moglich (s.\nPalandt-Putzo, 46. Auflage, § 568 BGB Anm. 1 d). Fur die Frage der Fortsetzung\ndes Mietvernaltnisses ist es auch ohne Bedeutung, daß der von den Parteien\nunterzeichnete Mietvertrag vom 23. September 1982 eine dem § 2 Ziffer 4 des\nMietvertrages vom 1. Oktober 1982 entsprechende Bestimmung nicht enthalt.\nEntweder gelten namlich insoweit die Bestimmungen des zuletzt abgeschlossenen\nMietvertrages vom 1. Oktober 1982, der, soweit er Abweichungen zum Mietvertrag\nvom 23. September 1982 enthalt, als der zeitlich nachfolgend abgeschlossene\nMietvertrag maßgeblich ist; Dann verbleibt es bei der Abbedingung des § 568\nBGB. Aber auch wenn, man annehmen wollte, dass die Parteien die Vorstellung\nhatten, mit dem Mietvertrag vom 1. Oktober 1982 keine abandernden\nVereinbarungen zum Inhalt des bereits am 23. September 1982 geschlossenen\nMietvertrages zu treffen und zwei inhaltlich gleich lautende Mietvertrage zu\nunterzeichnen, und wenn insoweit gemaß § 155 BGB ein Dissens vorlage, so dass\n§ 568 BGB mangels Abbedingung grundsatzlich Anwendung finden wurde, kann von\neiner Fortsetzung des Mietverhaltnisses nach § 568 BGB nicht ausgegangen\nwerden. Fur den Fall, daß die Kundigung vom 15. Mai 1987 bereits wirksam war,\nweil ihr entsprechend der Behauptung des Klagers eine Kundigungsvollmacht\nbeigefugt war, liegt ein Widerspruch des Klagers gegen die Fortsetzung des\nMietverhaltnisses uber den 23. Mai 1987 hinaus in der erneuten Kundigung im\nSchreiben des Klagers vom 26. Mai 1987, mit dem der Klager deutlich zu\nerkennen gegeben hat, daß er eine Fortsetzung des Mietverhaltnisses mit dem\nBeklagten nicht wunschte. Fur den Fall, daß der Kundigung vom 15. Mai 1987\nentsprechend der Behauptung der Beklagten eine Kundigungsvollmacht nicht\nbeigefugt war und erst die Kundigungserklarung vom 26. Mai 1987 zur fristlosen\nBeendigung des Mietverhaltnisses fuhrte, liegt der Widerspruch des Klagers\ngegen die Fortsetzung des Mietverhaltnisses in der Raumungsklage, die dem\nBeklagten am 16. Juni 1987 zugestellt worden ist. Die Beklagten haben nicht\ndargetan und unter Beweis gestellt, daß dieser Widerspruch deswegen verspatet\nwar, weil der Klager noch vor dem 2. Juni 1987 Kenntnis von der Fortsetzung\ndes Mietgebrauchs durch die Beklagten hatte. So haben die Beklagten weder\ndargetan, wann ihnen uberhaupt die vom 26. Mai 1987 datierende Kundigung\nzugegangen ist und daß dies insbesondere noch vor dem 2. Juni 1987 der Fall\nwar, noch dargetan, daß der Klager vor dem 2. Juni 1987 Kenntnis von der\nFortsetzung des Gebrauchs nach Zugang der Kundigung vom 26. Mai 1987 erhalten\nhat.\n\n11\n\nDen Beklagten wird gemaß § 721 ZPO aus den Grunden, die hierzu bereits im\namtsgerichtlichen Urteil angefuhrt worden sind, eine Raumungsfrist von 2\nMonaten bewilligt.\n\n12\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 100 Abs. 4 ZPO.\n\n
315,394
olgham-1988-02-22-22-u-23987
821
Oberlandesgericht Hamm
olgham
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
22 U 239/87
1988-02-22
2019-03-13 14:54:31
2019-03-27 09:43:14
Urteil
ECLI:DE:OLGHAM:1988:0222.22U239.87.00
## Tenor\n\nAuf die Berufung der Klager wird das am 1. Juli 1987 verkundete Urteil der 2.\nZivilkammer des Landgerichts Munster dahin abgeandert, daß die Beklagten als\nGesamtschuldner verurteilt werden, an die Klager 3.277,80 DM zu zahlen.\n\nIm ubrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zuruckgewiesen.\n\nDie Kosten des Rechtsstreits tragen die Klager zu 45% und die Beklagten zu 55\n%.\n\nDas Urteil ist vorlaufig vollstreckbar.\n\nDie Beschwer der Parteien ubersteigt nicht den Betrag von 40.000,-- DM.\n\n \n1\n\n** _Entscheidungsgr unde_**\n\n2\n\nDurch notariellen Vertrag vom 9. Juni 1983 verkauften die Klager an die\nBeklagten eine Eigentumswohnung im Obergeschoß des von ihnen bewohnten Hauses\nzum Preise von 140.000,-- DM.\n\n3\n\nZum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Teilung noch nicht vollzogen, es\nwaren noch Umbauarbeiten erforderlich, zu deren Vornahme sich die Klager in §\n3 des Vertrages verpflichteten. Im ubrigen wurden die Gewahrleistungsanspruche\nausgeschlossen.\n\n4\n\nDer Kaufpreis sollte ebenso wie der Besitzubergang zunachst am 1. August 1983\nfallig sein, spater einigten sich die Parteien darauf, daß dies erst am 1.\nOktober 1983 der Fall sein sollte. Der Kaufpreis sollte zahlbar sein auf ein\nvom beurkundenden Notar einzurichtendes Notaranderkonto. Es wurden ferner als\nVoraussetzung fur die Falligkeit des Kaufpreises u.a. vereinbart, daß die\nTeilungserklarung von den Beklagten privatschriftlich genehmigt sei, daß\nTeileigentum begrundet sei, eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Beklagten\neingetragen sei und der Notar bestatige, daß alle Genehmigungen mit Ausnahme\nder steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung vorlagen.\n\n5\n\nDie Wohnung wurde den Beklagten am 1. Oktober 1983 ubergeben. Sie zogen am 15.\nOktober 1983 ein. Unstreitig waren bei Einzug der Beklagten noch nicht alle\nArbeiten erledigt. Der Umfang der noch ausstehenden Arbeiten ist allerdings\nzwischen den Parteien streitig.\n\n6\n\nErst am 29. Februar 1984 wurde die Auflassungsvormerkung zugunsten der\nBeklagten eingetragen. Mit Schreiben vom 2. Marz 1983 teilte der Notar den\nBeklagten mit, daß nunmehr alle Falligkeitsvoraussetzungen gegeben seien. Die\nBeklagten zahlten daraufhin den Kaufpreis wie folgt, wobei auf Wunsch der\nKlager die Zahlung auf ein Notaranderkonto des Notars xxx erfolgte:\n\n \n7 15.03. | 7.800,-- DM \n---|--- \n26.03.1984 | 45.406,-- DM \n04.04.1984 | 20.000,-- DM \n03.05.1984 | 7.794,-- DM \n12.06.1984 | 59.000,-- DM \n \n8\n\nWahrend der Abwicklung stellte man fest, daß die Auflassung noch nicht erklart\nwar, was am 4. April nachgeholt wurde, worauf die Beklagten als Eigentumer\neingetragen wurden.\n\n9\n\nMit der Klage verlangen die Klager Zahlung einer Nutzungsentschadigung fur die\nZeit vom 1. Oktober 1983 bis zum 15. Marz 1984 in Hohe von monatlich 546,-- DM\nfur die 84 m2 große Wohnung. Ferner machen sie fur die Zeit vom 15. Marz 1984\nbis zum 12. Juni 1984 Verzugszinsen in Hohe von 16 % geltend, die sie bei\nInanspruchnahme von Bankkredit hatten zahlen mussen. Insgesamt verlangen sie\nZahlung von 5.841,47 DM.\n\n10\n\nDas Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil im Kaufvertrag eine\nNutzungsentschadigung nicht vereinbart worden sei. Auch fehle es fur das\nVorliegen eines Verzuges an einer Mahnung.\n\n11\n\nDie Klager waren bereits mit einer Klage gegen den Notar erfolglos (6 O 391/86\nLG Munster). Das Landgericht hatte sie dabei auf eine anderweitige\nErsatzmoglichkeit durch Inanspruchnahme der Kaufer aus § 812 BGB wegen der\ngezogenen Nutzungen verwiesen.\n\n12\n\nMit der Berufung verfolgen die Klager ihren Anspruch weiter. Sie berufen sich\ndarauf, daß die Parteien einverstandlich davon ausgegangen seien, daß eine\nFalligkeit bereits am 1. Oktober 1983 gegeben sein werde und nicht\nbeabsichtigt gewesen sei, die Beklagten die Wohnung kostenlos nutzen zu\nlassen. Im ubrigen seien die Beklagten auch mehrfach gemahnt worden.\n\n13\n\nDie Beklagten wenden ein, die Klager hatten, als das Problem der\nNutzungsentschadigung bei Beurkundung angesprochen worden sei, nicht darauf\nbestanden. Man habe abgewinkt. Außerdem habe man sich im Sommer 1984 dahin\nverglichen, daß die Klager Nutzungsersatzanspruche nicht mehr geltend machen\nwollten. Eine Zahlung komme auch deshalb nicht in Betracht, weil die Wohnung\nbei Einzug mit derart gravierenden Mangeln behaftet gewesen sei, daß ein\nNutzungsvorteil nicht gegeben gewesen sei. Auch eine Anwendung des § 452 BGB\nkomme nicht in Betracht, weil er die Falligkeit des Kaufpreises voraussetze,\ndie hier erst nach dem 2. Marz 1984 eingetreten sei.\n\n14\n\nDie Berufung ist in Hohe eines Betrages von 3.277,80 DM begrundet, weil die\nBeklagten verpflichtet sind, den Kaufpreis fur die Zeit, fur die ihnen die\nNutzung der Wohnung moglich war, mit 4 % gem. § 452 BGB zu verzinsen.\n\n15\n\nDen Klagern steht allerdings ein Anspruch auf Nutzungsentschadigung nicht zu.\nDie Besitzverschaffung erfolgte nicht rechtsgrundlos. Auch eine Anwendung des\n§ 812 Abs. 1 S. 2 BGB im Hinblick auf eine Zweckverfehlung scheidet aus. Das\nLandgericht hat im Vorprozeß gegen den Notar verkannt, daß ein derartiger\nAnspruch nicht gegeben ist, wenn es sich um eine Leistung aus einem\ngegenseitigen Vertrag handelt. Die Übergabe stand mit der Zahlung des\nKaufpreises im Verhaltnis der Gegenseitigkeit, so daß fur Leistungsstorungen\ndie Regeln der §§ 323 ff BGB maßgebend sind (Palandt-Heinrichs, § 812 Anm. 6 A\nd; BGH NJW 1966, 541; BGH NJW 1963, 806). Hier bietet zudem das Gesetz selbst\neine Regelung in § 452 BGB an. Danach soll der Kaufer, der den Kaufpreis nicht\nzahlen muß, jedoch die Nutzungen der Sache bereits genießt, sog.\nNutzungszinsen auf den Kaufpreis zahlen. Es ist zwar richtig, daß die\nVorschrift nicht auf andere Vertragsverhaltnisse ausgedehnt werden darf,\njedoch ist auf den vorliegenden Vertrag, der im wesentlichen Kaufvertrag und\nnur zu einem geringen Teil Werkvertragscharakter hat, die Vorschrift im\nHinblick auf § 651 BGB anwendbar.\n\n16\n\nEntgegen der Ansicht der Beklagten ist die Zinspflicht auch dann schon\ngegeben, wenn der Kaufpreis noch nicht fallig ist (Planck, BGB, § 452 Anm. 2;\nStaudinger-Kohler, § 452 Rdn. 4; OLG Oldenburg NJW RR 1987, 722). Der\nGesetzgeber wollte einen Ausgleich dafur schaffen, daß der Verkaufer die\nNutzungsmoglichkeit der Kaufsache dem Kaufer uberlaßt , ohne den Kaufpreis zu\nerhalten. Ausnahme ist lediglich der Fall der Stundung, in dem der Verkaufer\nfreiwillig auf die Nutzung der Kaufsache verzichtet, ohne gleichzeitig den\nKaufpreis nutzen zu konnen, d.h. die Stundung im Kaufpreis einkalkulieren\nkann. Die Gegenansicht (Soergel-Huber, § 452 BGB Rdnr. 6; ihm folgend\nMunchener Kommentar Westermann, § 452 BGB Rdnr. 3 und Palandt-Heinrichs, § 452\nBGB Anm. 1b), die es fur ausgeschlossen halt, daß der Gesetzgeber eine Pflicht\nzur Verzinsung nicht falliger oder einredebehafteter Forderungen habe schaffen\nwollen, verkennt den klaren Wortlaut des § 452 BGB, der gerade nur fur den\nFall der Stundung diese Zinspflicht entfallen lassen will (die von den Klagern\nzitierte Entscheidung BGH NJW 1978, 1482 betrifft nicht das Problem der\nVoraussetzungen des § 452 BGB, sondern behandelt die Frage, ob die\nGeltendmachung der Zinsen aus § 452 BGB rechtsmißbrauchlich sein kann). Im\nubrigen bleibt es dem Kaufer auch unbenommen, darauf zu bestehen, daß die\nRegelung des § 452 BGB ausgeschlossen wird.\n\n17\n\nDie zur ahnlichen Regelung in § 641 BGB ergangene Rechtsprechung, die eine\nVerzinsung ablehnt, wenn dem Vergutungsanspruch die Einrede des\nZuruckbehaltungsrechts entgegenstehe (BGH NJW 1971, 2310), ist auf den Fall\ndes § 452 BGB nicht ubertragbar, da das Werkvertragsrecht synallagmetischen\nVoraussetzungen unterliegt. Das zeigt sich schon daran, daß § 452 BGB nicht\nauf die tatsachliche Nutzung, sondern lediglich auf die Nutzungsmoglichkeit\nabstellt; § 641 BGB jedoch auf die Abnahme des Werks.\n\n18\n\nDie Beklagten waren somit verpflichtet, bis zur endgultigen Bezahlung des\nKaufpreises Nutzungszinsen vom 1. Oktober 1983 an in Hohe von insgesamt\n3.277,80 DM zu zahlen. Wenn sie einwenden, die Wohnung sei mit Mangeln\nbehaftet gewesen, so ist dies unerheblich, da die Mangel entweder die Nutzung\nnicht beeintrachtigt haben oder dem Gewahrleistungsausschluß unterfielen. Von\nden Beklagten ist im ubrigen auch nicht vorgetragen worden, wann die Mangel\nvon den Klagern beseitigt worden sind, unstreitig lagen sie jedenfalls zum\nZeitpunkt der Falligkeit nicht mehr vor.\n\n19\n\nDer Vortrag der Beklagten zum Verzicht der Klager auf Nutzungsentschadigung\nist sowohl im Hinblick auf einen Ausschluß des § 452 BGB als auch im Hinblick\nauf einen Verzicht auf die entstandenen Anspruche unerheblich. Das Abwinken\nbei der Frage nach der Nutzungsentschadigung, das von den Klagern im ubrigen\nauch bestritten wird, kann als rechtsgeschaftliche Erklarung im Hinblick auf\nden Ausschluß von Anspruchen nicht gewertet werden, zumal die Parteien\nubereinstimmend davon ausgingen, daß der Vertrag rechtzeitig abgewickelt\nwerden konnte. Hinsichtlich des angeblichen Verzichts haben die Beklagten\nweder Gelegenheit noch Hintergrunde vorgetragen. Auch insoweit ist ihr Vortrag\nunsubstantiiert.\n\n20\n\nEin Anspruch der Klager auf Verzugszinsen besteht dagegen nicht. Die Klager\nhaben zwar in zweiter Instanz Mahnschreiben vorgelegt, jedoch richten sich\ndiese entweder an den Notar oder an die finanzierenden Banken. Lediglich ein\nAktenvermerk uber ein Telefongesprach mit dem Beklagten betrifft eine\nRestzahlung von 8.000,-- DM. Es ist aber unklar, ob es sich dabei uberhaupt um\neinen Teil des Kaufpreises handelt, weil zu diesem Zeitpunkt unstreitig noch\nein Betrag von 59.000,-- DM ausstand.\n\n21\n\nDie Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.\n\n
315,477
olgk-1987-04-10-25-uf-25386
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
25 UF 253/86
1987-04-10
2019-03-13 14:56:46
2019-03-27 09:43:01
Teilurteil
ECLI:DE:OLGK:1987:0410.25UF253.86.00
## Tenor\n\nAuf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Verbundurteil des Amtsgerichts -\nFamiliengericht - Koln vom 17. September 1986 (315 F 106/85) teilweise\nabgeandert, soweit es den Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin betrifft\n(Ziffer III. der Entscheidungsformel des genannten Urteiles).\n\nInsoweit wird die Entscheidungsformel des genannten Urteiles wie folgt neu\ngefasst:\n\nIII.\n\n1\\.\n\nDer Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bezuglich des Unterhaltes\nwird zuruckgewiesen.\n\nDer Antragsteller wird verurteilt, an die Antragsgegnerin fur die Zeit vom 22.\nMai 1986 bis zum 13. Marz 1987 Trennungsunterhalt in Hohe von 500,- DM\nmonatlich zu zahlen, und zwar jeweils bis zum 22. eines jeden Monates voraus.\n\n3\\.\n\nDer Antragsteller wird weiter verurteilt, an die Antragsgegnerin ab 14. Marz\n1987 nachehelichen Unterhalt in Hohe von 335,-- DM monatlich zu zahlen.\n\nDie Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.\n\nDieses Urteil ist vorlaufig vollstreckbar.\n\n \n1\n\nTatbestand:\n\n2\n\nDie Parteien waren miteinander verheiratet. Seit Anfang Mai 1982 leben sie\nvoneinander getrennt. Am 4.5.1982 unterzeichneten sie eine "Vereinbarung", in\nwelcher es u.a. heißt:\n\n3\n\n"1. Ein monatlicher Unterhalt fur meine Ehefrau von 500,-- DM bis zu einer\neventuellen Scheidung. Ein endgultiger Abschluß der Eheangelegenheit sollte\njedoch nach einem Jahr getatigt werden."\n\n4\n\nDer Antragsteller zahlte den Betrag von 500,-- DM monatlich bis einschließlich\nApril 1986.\n\n5\n\nIn dem vom Antragsteller eingeleiteten Ehescheidungsrechtsstreit stimmte die\nAntragsgegnerin der Ehescheidung zunachst nicht zu. Sie begehrte ihrerseits\njedoch die Zuerkennung nachehelichen Unterhalts in Hohe von 500,-- DM\nmonatlich und den Erlaß einer einstweiligen Anordnung uber denselben Betrag,\nbeginnend mit dem 22. Mai 1986.\n\n6\n\nMit Verbundurteil vom 17.9.1986 hat das Familiengericht die Ehe der Parteien\ngeschieden, den Versorgungsausgleich durchgefuhrt und die Antrage der\nAntragsgegnerin bezuglich des Unterhaltes zuruckgewiesen.\n\n7\n\nGegen dieses Urteil hat die Antragsgegnerin Berufung eingelegt, mit welcher\nsie die Entscheidung zum Versorgungsausgleich angreift, Trennungsunterhalt in\nHohe von 500,- DM monatlich fur die Zeit vom 22.5.1986 bis zur Rechtskraft der\nEhescheidung sowie nachehelichen Unterhalt in Hohe von 335,-- DM monatlich\nbegehrt.\n\n8\n\nDer Antragsteller beantragt die Zuruckweisung der Berufung.\n\n9\n\nDie Berufungsbegrundungsschrift ist am 9.1.1987 zugestellt worden, jedoch\nnicht an den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmachtigten des Antragstellers, der\nsich schon vorher fur diesen bestellt hatte, sondern an den erstinstanzlichen\nProzeßbevollmachtigten des Antragstellers; von diesem weitergeleitet, ist die\nBerufungsbegrundung am 14.1.1987 beim zweitinstanzlichen\nProzeßbevollmachtigten eingegangen. In der mundlichen Verhandlung vor dem\nSenat am 13.3.1987 haben beide Prozeßbevollmachtigten erklart, daß auf\nRechtsmittel gegen den Scheidungsauspruch verzichtet werde.\n\n10\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist der Senat\nauf den Inhalt der Akte.\n\n11\n\nEntscheidungsgrunde:\n\n12\n\nDie Berufung ist zulassig.\n\n13\n\nIn Hinsicht auf das Unterhaltsbegehren der Antragsgegnerin fur die Zeit des\nGetrenntlebens der Parteien und fur die Zeit nach der Rechtskraft der\nEhescheidung ist das Rechtsmittel auch begrundet. Insoweit sind die\nVoraussetzungen fur den Erlaß eines Teilurteils gemaß § 301 Abs. 1 ZPO\ngegeben.\n\n14\n\nTrennungsunterhalt hat die Antragsgegnerin vor dem Familiengericht nur im\nRahmen ihres Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung begehrt, erst im\nBerufungsrechtszug hat sie ihn zum Gegenstand eines Hauptsacheantrages\ngemacht. Da der Anspruch auf Trennungsunterhalt und derjenige auf\nnachehelichen Unterhalt nicht identisch sind, liegt eine nachtragliche\nobjektive Klagenhaufung und damit eine Klageanderung im Sinne von § 263 ZPO\nvor. (allgemeine Meinung, vgl. z.B. Zoller-Stephan, ZPO, 14. Aufl., Rdziff. 5\nzu § 263). Sie unterliegt den Zulassungsvoraussetzungen gemaß § 263 ZPO, nach\nder Zulassung aber nicht mehr auch noch denjenigen gemaß § 528 ZPO (vgl. z.B.\nZoller-Schneider, ZPO, 14. Aufl., Rdziff. 11 zu § 528). Die Zulassung der\nKlageanderung ist sachdienlich. Auch der Antrag, den Antragsteller zur Zahlung\nvon Unterhalt fur die (restliche) Zeit des Getrenntlebens zu verurteilen, ist\nentscheidungsreif, ohne daß noch weiterer Sachvortrag oder etwa noch eine\nBeweisaufnahme erforderlich waren. Zudem haben die Parteien sich schon vor dem\nFamiliengericht, wenn auch nur im Rahmen des Antrages auf Erlaß einer\neinstweiligen Anordnung, mit dem hier in Rede stehenden Anspruch beschaftigt.\n\n15\n\nDer Anspruch auf Zahlung von Unterhalt fur die Zeit des Getrenntlebens findet\nseine Rechtsgrundlage in § 1361 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. der Vereinbarung der\nParteien vom 4.5.1982 in welcher die Parteien den Unterhaltsanspruch der\nAntragsgegnerin fur die Zeit des Getrenntlebens der Parteien nach der\ngenannten Vorschrift naher geregelt haben.\n\n16\n\nIn der erwahnten Vereinbarung hat der Antragsteller es ubernommen, an die\nAntragsgegnerin einen monatlichen Unterhalt in Hohe von 500,- DM "bis zu einer\neventuellen Scheidung" zu zahlen. Dieser Text ist eindeutig. Der Antragsteller\nhat sich zur Entrichtung der genannten Unterhaltsrente fur die gesamte Zeit\ndes Getrenntlebens der Parteien verpflichtet. Eine Befristung seiner\nZahlungspflicht im Sinne von § 163 BGB bis zu einem Zeitpunkt vor der\nRechtskraft der Ehescheidung ist dem Text nicht zu entnehmen.\n\n17\n\nEine solche Befristung haben die Parteien auch nicht in dem unmittelbar\nanschließenden Satz vereinbart: "Ein endgultiger Abschluß der Eheangelegenheit\nsollte jedoch nach einem Jahr getatigt werden". Auch der Wortlaut dieses\nTeiles der Vereinbarung der Parteien enthalt keinen Hinweis darauf, daß die\nZahlungspflicht des Antragstellers auf ein Jahr, etwa gerechnet vom Abschluß\nder Vereinbarung an, begrenzt sein soll. Dieser Teil der Vereinbarung zeigt\nvielmehr, daß die Parteien seinerzeit von der Erwartung ausgegangen sind, nach\netwa einem Jahr werde es zur rechtskraftigen Scheidung ihrer Ehe kommen und\ndamit werde dann die Zahlungspflicht des Antragstellers gemaß der Vereinbarung\nentfallen.\n\n18\n\nWenn der Antragsteller vorbringt, die Vereinbarung vom 4.5.1982 sei zwar\nmoglicherweise mißverstandlich formuliert worden, in Wahrheit habe er sich\naber jedenfalls mit der Antragsgegnerin auf eine Befristung seiner\nZahlungspflicht geeinigt, so mag eine derartige Sachgestaltung grundsatzlich\nvorstellbar sein. In diesem Fall oblage es aber dem Antragsteller, die\nRichtigkeit seiner Darstellung, welche von der Antragsgegnerin bestritten\nwird, zu beweisen (vgl. z.B. Palandt-Heinrichs, Anm. 7 vor § 158 ff. und den\ndortigen Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH). Ein geeignetes Beweismittel\nhat er jedoch nicht angeboten, er hat sich lediglich auf seine eigene\nParteivernehmung berufen.\n\n19\n\nFur die Annahme eines versteckten Dissenses im Sinne von § 155 BGB, namlich\ndafur, daß die Antragsgegnerin in der Annahme gehandelt habe, der\nAntragsteller werde ihr bis zur rechtskraftigen Ehescheidung den vereinbarten\nUnterhalt zahlen, voraussichtlich ein Jahr lang, wahrend der Antragsteller\nsich seinerseits nur fur diesen Zeitraum habe binden wollen, ist kein Raum.\nDenn § 155 BGB ist nicht anwendbar, wenn der objektive Erklarungswert der\nbeiderseits abgegebenen Erklarungen ubereinstimmt. Das ist hier der Fall. Mit\nder Unterzeichnung der Vereinbarung vom 4.5.1982 haben der Antragsteller und\ndie Antragsgegnerin ein und dieselbe Erklarung abgegeben. Haben sie trotz\ndieser ubereinstimmenden Erklarung mit voneinander abweichender\nWillensrichtung gehandelt, so kann nur eine Anfechtung des Rechtsgeschaftes\nwegen Irrtums in Frage kommen. Eine Anfechtung der Vereinbarung vom 4.5.1982\nhat der Antragsteller aber nicht erklart, augenscheinlich auch gar nicht\nerwogen.\n\n20\n\nEs laßt sich schließlich daran denken, die Vereinbarung vom 4.5.1982 habe als\nGegenleistung zur Zahlungsverpflichtung des Antragstellers die Verpflichtung\nder Antragsgegnerin begrundet, alles zu tun, um, entsprechend der in der\nVereinbarung ausgedruckten Erwartung der Parteien, eine rechtskraftige\nEhescheidung nach etwa einem Jahr herbeizufuhren. Gegen diese Verpflichtung\nkonnte die Antragsgegnerin verstoßen haben, indem sie in der mundlichen\nVerhandlung vor dem Familiengericht vom 4.4.1986 erklarte, sie stimme der\nEhescheidung nicht zu. Dies kann jedoch auf sich beruhen. Denn Rechtsfolgen zu\nseinen Gunsten konnte der Antragsteller aus dem Verhalten der Antragsgegnerin\nnur unter den Voraussetzungen von § 326 BGB fur sich in Anspruch nehmen, also\nnur nach Nachfristsetzung und Ablehnungsandrohung. Er hat der Antragsgegnerin\ngegenuber aber weder das eine noch das andere erklart.\n\n21\n\nNach alledem schuldet der Antragsteller der Antragsgegnerin den vereinbarten\nUnterhalt fur die Zeit des Getrenntlebens in Hohe von 500,-- DM monatlich bis\nzur Rechtskraft der Ehescheidung.\n\n22\n\nDiese ist erst in der mundlichen Verhandlung vor dem Senat am 13.3.1987\neingetreten, und zwar aufgrund der ubereinstimmenden Erklarung beider\nParteien, auf Rechtsmittel gegen den Scheidungsausspruch zu verzichten.\n\n23\n\nNach § 629 a III 1 ZPO kann in einem Fall, in welchem, wie vorliegend, ein\nVerbundurteil teilweise angefochten worden ist, eine Änderung der Teile der\neinheitlichen Entscheidung, die eine andere Familiensache betreffen, nur noch\nbis zum Ablauf eines Monats seit der Zustellung der\nRechtsmittelbegrundungsschrift beantragt werden. Das bedeutet, daß das\nVerbundurteil dann, wenn die vorgenannte Frist ungenutzt verstrichen ist,\ninsoweit rechtskraftig wird, als es nicht angefochten worden ist. Dies gilt\ninsbesondere fur die Ehescheidung selbst (vgl. hierzu z.B. Kemnade, FamRZ\n1986, 625 f).\n\n24\n\nDer Eintritt dieser Rechtsfolge setzt jedoch, wie § 629 a III 1 ZPO ausweist,\neine Zustellung der Rechtsmittelbegrundung voraus, und zwar, das durfte keiner\nweiteren Begrundung bedurfen, eine wirksame Zustellung. Zu einer solchen ist\nes im vorliegenden Fall aber nicht gekommen, weil die\nBerufungsbegrundungsschrift der Antragsgegnerin dem erstinstanzlichen\nProzeßbevollmachtigten des Antragstellers und nicht dem zweitinstanzlichen\nProzeßbevollmachtigten zugestellt worden ist, der sich schon vor dem Zeitpunkt\nder Zustellung fur den Antragsteller bestellt hatte. Damit ist § 176 ZPO\nunbeachtet geblieben, der zwingend vorschreibt, daß Zustellungen in einem\nanhangigen Rechtsstreit an den fur den jeweiligen Rechtszug bestellten\nBevollmachtigten erfolgen mussen. Geschieht das nicht, bleibt die Zustellung\nunzulassig und damit unwirksam (so schon RGZ 103-336).\n\n25\n\nDer Zugang der Rechtsmittelbegrundung i.S. des § 187 Satz 1 Z heilt den\nZustellungsmangel nicht. Die Berufungsbegrundung ist dem zweitinstanzlichen\nProzeßbevollmachtigten des Antragstellers allerdings wenige Tage nach der\nZustellung an den erstinstanzlichen Prozeßbevollmachtigten zugegangen. Dennoch\nkann die Zustellung nicht, wie § 187 S. 1 ZPO es vorsieht, als in dem\nZeitpunkt des Zuganges beim zweitinstanzlichen Prozeßbevollmachtigten bewirkt\nangesehen werden. Dem steht § 187 S. 2 ZPO entgegen, demzufolge § 187 S. 1 ZPO\nnicht eingreift, soweit durch die Zustellung der Lauf einer Notfrist in Gang\ngesetzt werden soll.\n\n26\n\nDie durch die Zustellung der Berufungsbegrundung nach § 629 a III 1 ZPO in\nLauf gesetzte Monatsfrist ist freilich keine Notfrist, weil das Gesetz sie\nnicht als solche bezeichnet, § 223 III ZPO (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1986,\n1122, 1123). Hieran andert der in § 629 a III 4 ZPO enthaltene Hinweis auf §§\n516, 552 ZPO und § 621 e III 2 ZPO in Verbindung mit §§ 516, 552 ZPO nichts.\nDenn die Regelung, daß diese Bestimmungen "unberuhrt bleiben sollen", hat nur\ndie Funktion klarzustellen, daß die Rechtsmittelfrist hinsichtlich des\nHauptrechtsmittels sich nach den diesbezuglichen allgemeinen Bestimmungen\nrichtet, daß insofern also der bisherige Rechtszustand unverandert geblieben\nist (vgl. den Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 10/4514, 24 (OLG\nFrankfurt a.a.O). Wenn das OLG Nurnberg (FamRZ 1986, 923 (924)) ausfuhrt, "bei\nden Fristen des § 629 a III ZPO" sei "keine Heilung nach § 187 ZPO moglich,\nweil es sich insoweit um Notfristen" handele, so liegt moglicherweise eine\nmißverstandliche Formulierung vor; das Gesetz hat die hier in Rede stehende\nMonatsfrist jedenfalls nicht als Notfrist bezeichnet.\n\n27\n\nSeit langem ist aber anerkannt, daß § 187 S. 2 ZPO uber seinen Wortlaut hinaus\nauch auf solche Fristen Anwendung findet, die, ohne Notfristen zu sein, doch\ndurch ihren Ablauf zwingende Rechtsfolgen auslosen (vgl. Birgerfurth, Fam.RZ\n1987, 177). Dies gilt fur die Berufungs- und Revisionsbegrundungsfrist nach §§\n519, 554 ZPO (BGHZ 28, 398); die gesetzliche Ausschlußfrist zur Beschreitung\ndes Rechtsweges vor den ordentlichen Gerichten wegen der Hohe der\nEnteignungsentschadigung gemaß Art. 14 III 4 GG (BGHZ 14, 11), die durch die\nZustellung des Entmundigungsbeschlusses in Lauf gesetzte Frist nach § 683 II\nZPO (LG Hamm, NJW 1962, 641), aber auch die in § 296 Abs. 1 ZPO genannten\nFristen, die durch die Verfugung des Vorsitzenden in Gang gesetzt werden (vgl.\nBGHZ 76, 238 = NJW 1980 1167).\n\n28\n\nAllen diesen Fallgestaltungen ist gemeinsam, daß die Zustellung zu\nRechtsfolgen fuhrt oder doch fuhren kann, die in ihrer Bedeutung den durch den\nAblauf einer Notfrist ausgelosten Auswirkungen gleichstehen. So geht es etwa\ndarum, daß einer Prozeßpartei bei ungenutzten Verstreichenlassen der\nRechtsmittelbegrundungsfrist der Verlust des Rechtsmittels droht, §§ 519 b,\n554 a ZPO, oder daß ein Entmundigungsbeschluß wirksam wird. Im vorliegend\ngegebenen Zusammenhang tritt nach dem Ablauf der Monatsfrist gemaß § 629 a III\n1 ZPO, welche durch die Zustellung der Rechtsmittelbegrundung in Gang gesetzt\nwird, eine vergleichbare, wenn nicht gar weitreichendere Rechtsfolge ein,\nnamlich die Rechtskraft der Ehescheidung mit allen ihren Konsequenzen. Der\nVerlust eines Rechtsmittels (wegen nicht rechtzeitiger Rechtsmittelbegrundung)\nist fur die betroffene Prozeßpartei gewiß eine schwerwiegende Rechtsfolge, sie\nwird aber kaum als so schwerwiegend und weitreichend angesehen werden konnen\nwie die Rechtskraft der Ehescheidung. Die Ehe gehort zu den vom Grundgesetz in\nbesonderem Maße geschutzten Rechtsinstituten, vgl. Art. 6 I GG;\ndementsprechend setzt die Ehescheidung ein sorgfaltig ausgestaltetes\ngerichtliches Verfahren voraus; vgl. §§ 606 ff ZPO. Die besondere Stellung der\nEhe selbst und des ihre Scheidung betreffenden Verfahren duldet noch weniger\nals ein anderes gerichtliches Verfahren Unsicherheiten, weder im Hinblick auf\nden Inhalt der gerichtlichen Entscheidung noch im Hinblick auf deren\nWirksamwerden. Nach Durchfuhrung eines Ehescheidungsverfahrens darf es fur die\nBeteiligten, vor allem die Parteien selbst, keine Zweifel daruber geben, ob\nund ab wann die Ehe nun geschieden ist. Vor diesem Hintergrund kann eine\nFrist, deren Lauf fur die Rechtskraft der Ehescheidung maßgebend ist, nur\ndurch die - zweifelsfrei feststellbare - formliche Zustellung in Gang gesetzt\nwerden; mit der Bedeutung der Sache ware das Abstellen auf den vor dem im\nZeitpunkt unsicheren - formlosen Zugang nach § 187 S. 1 ZPO nicht vereinbar,\nzumal die Anwendung dieser Vorschrift dem Ermessen des Gerichts unterliegt.\nWare die Monatsfrist nach § 629 a III 1 ZPO einer derartigen Ungewißheit\nunterworfen, dann ware es, da ein Rechtsmittelverfahren, etwa uber\nnachehelichen Unterhalt, erfahrungsgemaß lange Zeit dauern kann, fur die\nParteien ebenso lange ungewiß, ob und ggf. von welchem Zeitpunkt ab sie nun\nrechtskraftig geschieden sind oder nicht. Ob namlich eine fehlerhafte\nZustellung der Rechtsmittelbegrundung nach § 187 S. 1 ZPO als bewirkt\nanzusehen ware, hatte das Gericht entweder erst im Rahmen eines Verfahrens\nbetreffend die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses zu den nicht\nangefochtenen Teilen des Verbundurteiles oder nach Einlegung eines\n(unselbstandigen) Anschlußrechtsmittels zu entscheiden, die noch bis zum\nSchluß der letzten mundlichen Verhandlung erfolgen kann.\n\n29\n\nDaß § 629 a III 1 ZPO die durch die Zustellung in Gang gesetzte Monatsfrist\nnicht als Notfrist bezeichnet, steht, wie schon ausgefuhrt, der Anwendung von\n§ 187 S. 2 ZPO nicht entgegen. Dies gilt um so mehr, als § 629 a ZPO zu den\nNormen gehort, die beim Erlaß des Gesetzes zur Änderung unterhaltsrechtlicher,\nverfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften (UÄndG) vom 20.2.1986 geandert\nworden sind und nicht eben als besonders gegluckt bezeichnet werden durfen.\nBergerfurth bezeichnet die Bestimmung, ohne, soweit ersichtlich, auf\nWiderspruch gestoßen zu sein, als "die Sphinx im neuen Verfahrensrecht" (FamRZ\n1986, 940; vgl. auch Jaeger FamRZ 1985, 869; Sedemund-Treiber FamRZ 1986, 209:\nKemnade FamRZ 1986, 625). Angesichts dessen erscheint es nicht angebracht, dem\nWortlaut der Bestimmung allzu große Bedeutung beizumessen. Nach alledem hat\ndie fehlerhafte Zustellung der Berufungsbegrundung den Lauf der Monatsfrist\nnach § 629 a III 1 ZPO nicht in Gang gesetzt, und die Zustellung kann auch\nnicht gemaß § 187 S. 1 ZPO als in dem Zeitpunkt als bewirkt angesehen werden,\nin dem die Berufungsbegrundung dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmachtigten\ndes Antragstellers zugegangen ist. Demzufolge ist die Ehescheidung erst mit\nder Erklarung der Parteien in der mundlichen Verhandlung vor dem Senat, auf\n(Anschluß-)Rechtsmittel gegen die Ehescheidung selbst zu verzichten,\nrechtskraftig geworden. Fur die Zeit ab Rechtskraft der Ehescheidung steht der\nAntragsgegnerin ein Aufstockungsunterhalt gemaß § 1573 Abs. 2 BGB zu.\n\n30\n\nAusweislich der Lohn-/ Gehaltsabrechnung fur Dezember 1986, welche auch die\nJahreszahlen fur dieses Jahr enthalt, hat der Antragsteller im Jahre 1986 ein\ndurchschnittliches Nettoeinkommen erzielt in Hohe von monatlich 3.427,93 DM.\nHinzu tritt die Lohnsteuererstattung, welche der Antragsteller im Jahre 1986\nfur 1985 in Hohe von 1.600,-- DM erhalten hat, das sind umgelegt auf 12 Monate\nmonatlich 133,33 DM, so daß sich ein Gesamtnettoeinkommen ergibt in Hohe von\nmonatlich 3.561,26 DM.\n\n31\n\nHiervon sind die berufsbedingten Fahrtkosten abzuziehen. Diese belaufen sich\nbei 182 Arbeitstagen im Jahre 1986 (in der Lohn-/ Gehaltsabrechnung\nausgewiesen) und bei 86 km Fahrtstrecke taglich, wie der Antragsteller sie\nbehauptet auf\n\n32\n\n182 x 86 x 0,32 DM = 5.008,64 DM,\n\n33\n\ndas sind im Monatsdurchschnitt 417,39 DM.\n\n34\n\nNach Abzug dieses Betrages verbleibt ein bereinigtes Nettoeinkommen in Hohe\nvon monatlich 3.143,87 DM.\n\n35\n\nDas Vorbringen des Antragstellers, ein Teil seiner Einkunfte musse\nunberucksichtigt bleiben, weil er Überstunden leiste, welche nicht\nberufsublich seien, wird durch seinen eigenen, mit den vorgelegten Lohn-/\nGehaltsabrechnungen ubereinstimmenden Vortrag widerlegt, demzufolge er\ndurchgehend jeden Monat eine Überstundenvergutung erzielt. Die Überstunden\nsind danach augenscheinlich betriebsbedingt und in dem vom Antragsteller\nausgeubten Beruf ublich, weshalb diese Vergutung ebenso wie das ubrige\nEinkommen zu den unterhaltspflichtigen Einkunften zahlt (vgl. die Nachweise\nauf die BGH-Rechtsprechung bei Lohmann, Neue Rechtsprechung des\nBundesgerichtshofes zum Familienrecht, 5. Aufl., S. 103 f.).\n\n36\n\nDie Antragsgegnerin hat im Jahre 1986 Nettoeinkunfte erzielt in Hohe von\ninsgesamt 27.207,32 DM,\n\n37\n\ndas sind im Monatsdurchschnitt 2.267,28 DM.\n\n38\n\nWerden hiervon die berufsbedingten Fahrtkosten abgezogen in der Hohe, in\nwelcher sie bei der Benutzung offentlicher Verkehrsmittel entstehen, das heißt\nmit monatlich etwa 60,-- DM, so verbleibt ein Nettoeinkommen in Hohe von\nmonatlich 2.207,28 DM.\n\n39\n\nDie Differenz zwischen den beiderseitigen anrechenbaren Nettoeinkunften\nbelauft sich danach monatlich auf 3.143,87 DM\n\n40\n\n\\- 2.207,28 DM\n\n41\n\nÜbertrag: = 936,59 DM.\n\n42\n\n3/7 hiervon stehen der Antragsgegnerin als Aufstockungsunterhalt zu, das sind\nmonatlich 401,39 DM.\n\n43\n\nDa sie nur monatlich 335,-- DM begehrt, ist ihrem Antrag in vollem Umfang\nstattzugeben.\n\n44\n\nDie Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.\n\n45\n\nDer Ausspruch zur Vorlaufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10,\n711, 713 ZPO.\n\n
315,491
ag-dusseldorf-1987-02-26-291-ii-14586-weg
653
Amtsgericht Düsseldorf
ag-dusseldorf
Düsseldorf
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Amtsgericht
291 II 145/86 WEG
1987-02-26
2019-03-13 14:57:10
2019-03-27 09:42:59
Beschluss
ECLI:DE:AGD:1987:0226.291II145.86WEG.00
## Tenor\n\nhat das Amtsgericht Dusseldorf\n\ndurch den Richter am Amtsgericht C\n\nam 26. Februar 1987\n\nb e s c h l o s s e n :\n\n1\\. Den Antragsgegnern wird aufgegeben, das entlang des von ihnen genutzten\nAnbaus im Hause Gwall 00, E als „Lager" bezeichneten Teileigentums an der\nAußenwand verlegte Kuchenablußrohre zu beseitigen.\n\n2\\. Den Antragsgegnern wird ferner aufgegeben, den Außenputz des von ihnen\ngenutzten Anbaus im Hofgelande (fruhere Kegelbahn) und den Außenputz der im\nErdgeschoß liegenden Toilettenanlage auszubessern.\n\n3\\. Die weitergehenden Antrage werden zuruckgewiesen.\n\n4\\. Die Antragsteller tragen 9/10, die Antragsgegner 1/10 der Gerichtskosten;\naußergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.\n\n5\\. Der Geschaftswert wird auf 15.000,-- DM festgesetzt (Ziffer 1. 5.000,--,\nZiffer 2. 3.000,--, Ziffer 3. 1.000,--, Ziffer 4. 1.000,--, Ziffer 5.\n3.000,--, Ziffer 6. 1.000,--, Ziffer 7. 1.000,-- DM).\n\n \n1\n\nG r u n d e :\n\n2\n\nI.\n\n3\n\nDie Beteiligten sind mit Ausnahme des Beteiligten zu 5., des Verwalters,\nWohnungseigentumer im Hause Gwall 00 in E. Den Antragsgegnern steht das\nMiteigentum an den Raumen im Erdgeschoß zu.\n\n4\n\nSeitens der Antragsteller werden folgende Antrage gestellt:\n\n5\n\n 1. Die Antragsgegner werden verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zum DM 500.000,--, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft zu unterlassen, das Teileigentum im Erdgeschoß des Hauses Gwall 00, 0000 E nach Ablauf des bestehenden Mietvertrages neu als Wohnung zu vermieten.\n\n6\n\n 2. Die Beklagten werden verurteilt, folgende Instandsetzungsarbeiten im Hause Gwall 00, E, durchzufuhren:\n\n7\n\n 1. den Außenputz des von ihnen genutzten Anbaues im Hofgelande (fruhere Kegelbahn) und den Außenputz der im Erdgeschoß liegenden Toilettenanlage instandzusetzen und mit einem Anstrich zu versehen, \n\n8\n\n 2. die vier Außenfenster, Rollladen und Fensterbanke des von ihnen genutzten Anbaus im Hofgelande (fruhere Kegelbahn) instandzusetzen und zu lackieren,\n\n9\n\n 3. die beiden Zugangsturen zum Hinterhof des Objektes Gwall 00 sowie die vier Außenfenster der im Erdgeschoß befindlichen Toilettenanlage zu streichen.\n\n10\n\n 3. Der Beklagte wird verurteilt, eine Genehmigung des Bauamtes fur den Turdruckbruch zwischen dem fruheren "Lager" und dem "Ladenlokal" seines im Erdgeschoß des Hauses Gwall , E gelegenen Teileigentums dem Verwalter vorzulegen.\n\n11\n\n 4. Die Antragsgegner werden verurteilt, das entlang des von ihnen genutzten Anbaus im Hause Gwall 00, E als "Lager" bezeichneten Teileigentums an der Außenwand verlegte Kuchenablußrohr zu beseitigen.\n\n12\n\n 5. Die Beklagten werden verurteilt, samtliche Stromleitungen, Brauchwasserleitungen, Abflußleitungen sowie die Warmwasserleitungen der Etagenheizung, welche der Versorgung der Raume im Erdgeschoß des Hauses Gwall 00 in E dienen, zu beseitigen.\n\n13\n\n 6. Die Beklagten werden verurteilt, den zusatzlich eingebauten Stromzahler fur die Wohnung im Erdgeschoß des Hauses Gwall 00, E, zu beseitigen.\n\n14\n\n 7. Die Beklagten werden verurteilt, die zur Straße gerichteten Außenfenster zum Ladenlokal im Erdgeschoß des Hauses Gwall 00, E, fachmannisch zu streichen oder streichen zu lassen. \n\n15\n\nDie Antragsgegner beantragen,\n\n16\n\ndie Antrage zuruckzuweisen.\n\n17\n\nDie Beteiligen tragen vor:\n\n18\n\nZu Ziffer 1.:\n\n19\n\nDie Antragsteller sind der Auffassung, dass es unzulassig ist, dass die\nAntragsgegner ihr Teileigentum im Erdgeschoß teilweise zu Wohnzwecken\nvermietet haben. Dies widerspreche der Teilungserklarung und werde von den\nubrigen Wohnungseigentumern auch nicht gebilligt. Die Antragsgegner sind der\nAuffassung, dass ihnen nichts verbiete, ihr Eigentum auch fur Wohnzwecke zu\nnutzen.\n\n20\n\nZu Ziffer 2.:\n\n21\n\nDie Beteiligten streiten daruber, ob die Antragsgegner verpflichtet sind, die\nmit dem Antrag zu 2. verlangten "Instandsetzungsarbeiten" durchfuhren. Die\nAntragsteller machen geltend, alles sei in einem desolaten Zustand, so dass\ndie Antragsgegner die von ihnen verursachten Schaden beseitigen mussten. Die\nAntragsgegner bestreiten dies.\n\n22\n\nZu Ziffer 3.:\n\n23\n\nZwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Genehmigung des Bauamtes\nvorliegt.\n\n24\n\nZu Ziffer 4.:\n\n25\n\nInsoweit wird der Anspruch von den Antragsgegnern anerkannt.\n\n26\n\nZu Ziffer 5.:\n\n27\n\nUnstreitig haben die Antragsgegner verschiedene Leitungen durch die\nKellerraume der Miteigentumer bzw. durch die Gemeinschaftskeller gefuhrt, ohne\ndass sie dazu die Genehmigung des Verwalters oder der anderen Miteigentumer\nbesaßen. Die Antragsteller sprechen von einem "Leitungsgewirr" und machen\ngeltend, die Rohre hatten auch durch die Wande des Teileigentums der\nAntragsgegner verlegt werden konnen. Die Antragsgegner verweisen darauf, dass\nsie ausdrucklich aufgefordert worden sind, fur den Einbau einer Etagenheizung\nzu sorgen. Die Leitungen seien daraufhin von einer Fachfirma verlegt worden.\n\n28\n\nZu Ziffer 6.:\n\n29\n\nUnstreitig haben die Antragsgegner einen zweiten Zahler installiert und damit\nden letzten freien Zahlerplatz besetzt. Die Beteiligten streiten sich daruber,\nob dieser letzte freie Platz jetzt benotigt wird.\n\n30\n\nZu Ziffer 7.:\n\n31\n\nDie Antragsteller behaupten, die Antragsgegner hatten die Fenster durch einen\nmangelhaften Anstrich "beschadigt". Die Antragsgegner sind der Auffassung,\ndass der Anstrich Sache der Gemeinschaft ist.\n\n32\n\nII.\n\n33\n\nDie Antrage sind nur zu einem geringen Teil gerechtfertigt, namlich nur\ninsoweit, als sie von den Antragsgegnern anerkannt werden. Im ubrigen sind sie\nunbegrundet und waren demgemaß zuruckzuweisen.\n\n34\n\n1.\n\n35\n\nDen Antragsgegnern wird weder durch die Teilungserklarung noch durch das\nGesetz verwehrt, ihr Wohnungseigentum zu Wohnzwecken zu nutzen. In der\nTeilungserklarung heißt es zwar, dass gewerbliche Nutzung jederzeit zulassig\nist. Andererseits wird eine Nutzung zu Wohnzwecken nicht untersagt.\n\n36\n\n2.\n\n37\n\nDie Antragsgegner sind lediglich verpflichtet, den Außenputz des von ihnen\ngenutzten Anbaus im Hofgelande (fruhere Kegelbahn) und den Außenputz der im\nErdgeschoß liegenden Toilettenanlage auszubessern. Weitergehende\nVerpflichtungen bestehen insoweit nicht. Im Verhaltnis der Beteiligten ist\nmaßgebend § 8 Nr. 4 der Teilungserklarung, nach der das gemeinschaftliche\nEigentum durch den Verwalter auf gemeinschaftliche Kosten ordnungsgemaß\ninstandzuhalten und bei Beschadigung instandzusetzen ist. Instandhaltung und\nInstandsetzung sind somit grundsatzlich Sache der Gemeinschaft. Eine Ausnahme\ngilt gemaß § 8 Nr. 9 der Teilungserklarung lediglich fur die von den\nAntragsgegnern verursachten Schaden am Außenputz des Anbaus und der\nToilettenanlage. Nur soweit es sich um Schaden handelt, sind die Antragsgegner\nzur Instandsetzung verpflichtet. Jeglicher Anstrich ist einschließlich der\nvorbereitenden kleineren Ausbesserungsarbeiten Sache der Gemeinschaft.\n\n38\n\n3.\n\n39\n\nNachdem unstreitig ist, dass die Genehmigung des Bauamtes fur den\nTurdurchbruch zwischen dem fruheren Lager und dem Ladenlokal vorliegt, ist der\nentsprechende Antrag zuruckzuweisen, da Erfullung eingetreten ist. Die\nAntragsteller hatten dies vermeiden konnen, wenn sie die Hauptsache insoweit\nfur erledigt erklart hatten.\n\n40\n\n4.\n\n41\n\nDie Beseitigung des Kuchenabflußrohres war den Antragsgegnern auf ihr\nentsprechendes Anerkenntnis hin aufzuheben.\n\n42\n\n5.\n\n43\n\nDie Antragsteller konnen von den Antragsgegnern nicht verlangen, dass\nsamtliche Strom-, Brauchwasser- und Abflußleitungen sowie die\nWarmwasserleitungen der Etagenheizung beseitigt werden. Zwar hatten die\nAntragsgegner hierfur der Genehmigung der ubrigen Wohnungseigentumer,\nzumindest aber der Genehmigung des Verwalters bedurft. Diese Genehmigung hatte\nihnen aber billigerweise nicht versagt werden konnen. Bezuglich der\nWarmwasserleitungen der Etagenheizung gilt dies schon deshalb, weil die\nAntragsgegner selbst aufgefordert worden sind, eine derartige Heizung zu\ninstallieren. Bezuglich der ubrigen Leitungen ist davon auszugehen, dass die\nAntragsteller zur Duldung verpflichtet sind. Anhand der uberreichten\nLichtbilder vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass die Antragsteller durch\ndie Verlegung der Leitungen in unzumutbarer Weise beschwert worden sind. Die\nvon den Antragsgegnern verlegten Leitungen wirken zwar nicht ausgesprochen\nasthetisch. Andererseits ist es in Kellerraumen durchaus ublich, dass\nLeitungen an den Wanden oder an der Decke verlegt werden. Es ist auch nicht\nersichtlich, was die Antragsteller konkret gegen die Verlegung der Leitungen\neinzuwenden haben.\n\n44\n\n6.\n\n45\n\nAlle Beteiligten gingen ubereinstimmend davon aus, dass der letzte freie\nZahlerplatz dadurch besetzt worden ist, dass die Antragsgegner einen zweiten\nZahler installiert haben. Die Antragsteller tragen dazu vor, dass nunmehr eine\ngetrennte Verbrauchserfassung eines gemeinsamen Wasch- und Trockenraumes oder\neiner Gemeinschaftssauna nicht mehr moglich ware. dies ist nicht erheblich,\nzumal nicht ersichtlich ist, dass solche Raume uberhaupt vorhanden sind.\nErganzend dazu haben die Antragsteller nunmehr vorgetragen, dass zwei\nKellerraume wegen Beseitigung der Heizung frei werden, so dass die Absicht zur\nAufstellung eines Wasch- und Trockenautomaten besteht. Fur einen solchen\nAutomaten ware nach dem Vortrag der Antragsteller der freie Zahlerplatz\nerforderlich. Insoweit mußte jedoch erst ein Beschluß der\nEigentumergemeinschaft herbeigefuhrt werden. Erst wenn ein solcher Beschluß\nzustande gekommen ist, stellt sich die Frage, ob die Antragsgegner den zweiten\nZahlerplatz wieder zur Verfugung stellen mussen. Da nicht voraussehbar ist, ob\nein solcher Beschluß uberhaupt zustande kommt, kann dem Antrag zu Ziffer 6.\njedenfalls im derzeitigen Zeitpunkt nicht entsprochen werden.\n\n46\n\n7.\n\n47\n\nSoweit die Antragsteller verlangen, dass die Antragsgegner die zur Straße\ngerichteten Außenfenster zum Ladenlokal im Erdgeschoß fachmannisch streichen\noder streichen lassen, gilt das unter Ziffer 2 Gesagte entsprechend. Der\nAnstrich der Außenfenster ist Sache der Eigentumergemeinschaft.\n\n48\n\nIII.\n\n49\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG.\n\n50\n\nDie Gerichtskosten waren den Beteiligten in dem Verhaltnis aufzuerlegen, dem\nsie unterlegen sind. Bezuglich der außergerichtlichen Kosten sah das Gericht\nkeine Veranlassung, von der gesetzlichen Kostenregelung abzuweichen.\n\n
315,703
olgham-1984-02-16-15-w-4284
821
Oberlandesgericht Hamm
olgham
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
15 W 42/84
1984-02-16
2019-03-13 15:11:47
2019-03-27 09:42:26
Beschluss
ECLI:DE:OLGHAM:1984:0216.15W42.84.00
## Tenor\n\nDer 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 16. Februar 1984 auf die\nweitere Beschwerde der Beteiligten vom 9. Januar 1984 gegen den Beschluß der\n3. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 8. Dezember 1983 durch den\nVorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Kuntze, den Richter am\nOberlandesgericht Arps und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Muller\nbeschlossen:\n\nDie weitere Beschwerde wird zuruckgewiesen.\n\n \n1\n\n** _Gr unde:_**\n\n2\n\n**I.**\n\n3\n\nDas eingangs genannte Kind wurde am 20. Mai 1977 als eheliches Kind der\nBeteiligten im Kreiskrankenhaus XXX geboren. Die Eltern haben ihren jetzigen\nVerfahrensbevollmachtigten aufgesucht, um Schadenersatzanspruche fur ihr Kind\ngegen den Krankenhaustrager und die behandelnde Geburtsarztin zu verfolgen.\nDieser hat den 17-seitigen Entwurf einer Klageschrift mit darin enthaltenen\nAntragen auf Verurteilung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes und auf\nFeststellung der Ersatzpflicht fur den entstandenen und entstehenden Schaden,\nder aus der Verletzung arztlicher Pflichten anlaßlich des Geburtsvorganges\nherruhre, gefertigt.\n\n4\n\nDie Eltern haben mit Antrag vom 7. November 1983 beim Vormundschaftsgericht\nXXX angeregt, fur ihren Sohn XXX eine Erganzungspflegschaft mit dem\nWirkungskreis der Vertretung bei der Geltendmachung samtlicher\nSchadenersatzanspruche aus fehlerhaften geburtshilflichen Maßnahmen\nanzuordnen.\n\n5\n\nDurch Beschluß vom 8. November 1983 hat das Amtsgericht Bielefeld -\nRechtspfleger - die Einleitung einer Erganzungspflegschaft abgelehnt, da ein\nBedurfnis hierfur nicht bestehe.\n\n6\n\nGegen diese Entscheidung haben die Beteiligten Erinnerung vom 10. November\n1983 eingelegt und zur Begrundung im wesentlichen vorgetragen: Ihr Sohn leide\nan einem Hirnschaden, der auf arztliches Fehlverhalten bei der Geburt\nzuruckzufuhren sein durfe. Ein Bedurfnis fur eine Pflegschaftsanordnung sei zu\nbejahen, weil fur das Kind ein lebenswichtiger Prozeß mit hohen\nSchadenersatzanspruchen gefuhrt werden musse, der mit einem erheblichen\nKostenrisiko verbunden sei. Diese Kosten mußten sie als Eltern auf Grund ihrer\nUnterhaltspflicht tragen. Es bestehe die Gefahr fur ihr Kind, daß sie im\nHinblick auf dieses Risiko und die voraussichtlich lange Prozeßdauer im\nVerlaufe des Rechtsstreits den Mut verloren und vor den hohen Kosten\nzuruckschreckten. Sie seien an der Vertretung ihres Kindes in dem zu fuhrenden\nProzeß verhindert, weil ihr finanzielles und gesundheitliches Interesse dem\ndes Kindes an der Durchsetzung seiner lebenswichtigen Anspruche entgegenstehe.\nSie mußten außerdem ihrem Kind im Prozeß als Zeugen zur Verfugung stehen, um\ndie Prozeßsituation zu verbessern. Bei einer Ablehnung der Pflegschaft\nbehielten sie die Stellung als gesetzliche Vertreter ihres Kindes innerhalb\ndieses Wirkungskreises und konnten nicht als Zeugen auftreten.\n\n7\n\nRechtspfleger und Richter des Amtsgerichts haben dieser Erinnerung nicht\nabgeholfen.\n\n8\n\nDas Landgericht hat die von ihm als Beschwerde gegen die\nRechtspflegerentscheidung vom 8. November 1983 behandelte Erinnerung durch\nBeschluß vom 8. Dezember 1983 zuruckgewiesen, da die Beteiligten weder aus\ntatsachlichen noch aus rechtlichen Grunden verhindert seien, etwaige\nSchadenersatzanspruche ihres Kindes geltend zu machen.\n\n9\n\nGegen die landgerichtliche Entscheidung wenden sich die Beteiligten mit ihrer\nweiteren Beschwerde vom 9. Januar 1984, mit der sie weiterhin die Einrichtung\neiner Erganzungspflegschaft anstreben.\n\n10\n\n**II.**\n\n11\n\nDie statthafte und in der rechten Form eingelegte weitere Beschwerde der\nBeteiligten ist auch sonst zulassig (§§ 27, 29 FGG). Die Beschwerdebefugnis\nder Beschwerdefuhrer folgt bereits daraus, daß ihre erste Beschwerde ohne\nErfolg geblieben ist (Keidel/Kuntze/Winkler, FG, 11. Aufl., Rz. 10 zu § 27\nFGG). Die Beteiligten sind als Beschwerdefuhrer anzusehen, da das Rechtsmittel\nvon ihrem Verfahrensbevollmachtigten ausdrucklich in ihrem Namen eingelegt\nworden ist.\n\n12\n\nDie weitere Beschwerde der Beteiligten ist aber unbegrundet, weil die\nangefochtene Beschwerdeentscheidung nicht auf einer Verletzung des Gesetzes\nberuht (§ 27 FGG). Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht die Voraussetzungen\nfur die Anordnung einer Erganzungspflegschaft verneint.\n\n13\n\n1) Die Vorinstanz war mit einer statthaften und formgerecht angebrachten\nErstbeschwerde der Beteiligten befaßt. Die Erinnerung gegen die ablehnende\nEntscheidung des Rechtspflegers war nach § 11 Abs. 2 Satze 4 und 5 RPflG als\nBeschwerde im Sinne des § 19 EGG zu behandeln. Gegen die Ablehnung der\nAnordnung der Erganzungspflegschaft durch den gemaß §§ 3 Nr. 2a, 14 Nr. 4\nRPflG hierfur zustandigen Rechtspfleger fand nach der Nichtabhilfe die\nunbefristete Beschwerde statt (Palandt/Diederichsen, BGB, 43. Aufl., Anm. 5 zu\n§ 1909 BGB). Das Beschwerderecht stand nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG den Eltern\ndes Kindes zu. Im Wege der Auslegung hat das Landgericht bedenkenfrei nur die\nEltern als Beschwerdefuhrer angesehen, denn in der Erinnerungsschrift vom 10.\nNovember 1983 sind diese von ihrem Verfahrensbevollmachtigten als\nAntragsteller im Pflegschaftsverfahren bezeichnet. Den Hinweis im erlauternden\nSchriftsatz vom 17. November 1983, die Gegenvorstellungen vom 10. November\n1983 als Erinnerung namens des Kindes aufzufassen, hat das Landgericht\nerkennbar bedenkenfrei dahin gedeutet, daß die Eltern damit ihr rechtliches\nInteresse an der Vornahme dieser Verfahrenshandlung haben aufzeigen wollen,\ndas aus dem Eltern-Kind-Verhaltnis herruhrt.\n\n14\n\n2) In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat das Landgericht ohne durchgreifenden\nRechtsfehler von einer personlichen Anhorung der Eltern und des Kindes gemaß\n§§ 50a, 50b FGG abgesehen, die auch das Amtsgericht unterlassen hat. In dieser\nvermogensrechtlichen Angelegenheit sollte nach der Vorstellung der Eltern\nnicht zwangsweise in ihre Rechte eingegriffen werden, sondern sie wollten sich\nfreiwillig eines Teils ihrer Elternrechte begeben. Wegen des fehlenden\nEingriffstatbestandes und des fur eine Erganzungspflegschaft von vornherein\nunschlussigen Vortrags war eine personliche Anhorung der schriftlich\nhinreichend zu Wort gekommenen Eltern nicht geboten. Außerdem waren fur die\nAnhorung des Kindes die Voraussetzungen des § 50b Abs. 1 FGG nicht erfullt.\n\n15\n\n3) In sachlicher Hinsicht halt die angefochtene Entscheidung der rechtlichen\nNachprufung stand.\n\n16\n\nGemaß § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB erhalt eine unter elterlicher Sorge stehende\nPerson fur Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern verhindert sind,\neinen Pfleger. Eine Erganzungspflegschaft fur ein Kind hangt mithin von drei\nVoraussetzungen ab: Die schutzbedurftige Person muß unter elterlicher Sorge\nstehen - davon kann hier im Verhaltnis der Beteiligten zu ihrem Kind gemaß §\n1626 Abs. 1 BGB ausgegangen werden - , die Eltern (oder der allein\nvertretungsberechtigte Elternteil) mussen an der Besorgung einer Angelegenheit\noder einzelner Angelegenheiten des Kindes verhindert sein und es muß ein\nFursorgebedurfnis vorliegen. Dabei kann die Verhinderung an der Wahrnehmung\nvon personlichen oder vermogensrechtlichen Angelegenheiten tatsachlicher (etwa\nAbwesenheit, Haft oder Krankheit des Elternteils) oder rechtlicher Art (z.B.\nAusschluß der Vertretungsmacht gemaß §§ 1629 Abs. 2, 1670 in Verbindung mit\n1680, 1666 1667, 1680, 1795, 1796 BGB) sein. Eine solche Verhinderung laßt\nsich vorliegend nicht feststellen. Die Eltern sind nach der rechtlich\nbedenkenfreien Auffassung des Landgerichts gegenwartig tatsachlich und\nrechtlich zum Handeln fur ihr Kind in der Lage, mogen sie im Verhaltnis zu den\nmeisten anderen Eltern durch den Gesundheitszustand ihres Kindes auch ungleich\nstarker belastet sein.\n\n17\n\na) Die Furcht vor dem Kostenrisiko des beabsichtigten Schadenersatzprozesses\nbedeutet keine Verhinderung im dargelegten Sinne. Sollten die Eltern\nProzeßkosten kraft ihrer Unterhaltspflicht fur das Kind bestreiten mussen, so\nwurde die Einrichtung einer Pflegschaft an ihrer fortbestehenden\nUnterhaltspflicht nichts andern. Von ihr wurden sie durch das Vorhandensein\neines Pflegers nicht entbunden. Sollten bei dem Kind Hilfsbedurftigkeit\nvorliegen und außerdem die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten\nKlage gegeben sein, dann konnen die Eltern fur das Kind Prozeßkostenhilfe\nunter Beiordnung des zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts gemaß §§ 114, 115,\n121 ZPO beantragen.\n\n18\n\nb) Neben dem Kostenrisiko berufen sich die Beteiligten darauf, daß die\nUmstande der Prozeßfuhrung ihre Gesundheit angreifen konnten. Damit ist aber\neine gegenwartige Verhinderung nicht dargelegt. Einen Sachverhalt, daß sie\netwa nach dem Stand ihrer Einsicht und Erfahrung, insbesondere aber mangels\nausreichender Geschaftsgewandtheit, fur einen Geschaftskreis ihres Kindes\nkeine geeigneten Sachwalter ihres Kindes seien, machen die Beteiligten mit\nihrem Vortrag nicht geltend. Bei einer derartigen Sachlage ist schon eine\n"tatsachliche Verhinderung" des Vertretungsberechtigten angenommen worden\n(BayObLGZ 1976, 214, 217; kritisch dazu: Gernhuber, Lehrbuch des\nFamilienrechts, § 70 V 1). Denn die Beteiligten haben sich einen\nrechtskundigen Anwalt als Prozeßbevollmachtigten ausgewahlt, der bereits einen\numfangreichen Entwurf einer Klageschrift gefertigt hat und auf Grund des mit\nihm geschlossenen Vertrags zur fortlaufenden Beratung der Beteiligten\nverpflichtet ist. Die Eltern sind derzeit erkennbar bereit, Anspruche ihres\nKindes gerichtlich geltend zu machen.\n\n19\n\nDie bloße Furcht vor etwaigen gesundheitlichen Beeintrachtigungen nimmt den\nBeteiligten nicht die gegenwartige Handlungsfahigkeit fur ihr Kind. Die\nerganzende Fursorge des § 1909 BGB ist an _gegenw artige Aufgaben_ gebunden,\ndie an sich von den Eltern zu losen sind, von diesen aber nicht gelost werden\nkonnen. Nur befurchtete zukunftige Entwicklungen rechtfertigen dagegen keinen\nErganzungspfleger, weil § 1909 BGB weder eine "Beobachtungspflegschaft" noch\neine vorsorglich eingerichtete Pflegschaft kennt (BGH, NJW 1976, 49, 51;\nErman/H. Holzhauer, BGB, 7. Aufl., Rz. 3 zu § 1909 BGB; Gernhuber, § 70 V 3;\nPalandt/Diederichsen, Anm. 2b zu § 1909 BGB). Bei zusammenlebenden Eltern und\ntatsachlicher Verhinderung eines vertretungsberechtigten Elternteils an der\nAusubung der elterlichen Sorge wurde im ubrigen zunachst der andere Elternteil\ndie elterliche Sorge allein ausuben und das Recht der Vertretung des Kindes\nhaben (vgl. § 1678 BGB).\n\n20\n\nc) Auch die Tatsache, daß die Beteiligten in einem von ihnen als den\ngesetzlichen Vertretern ihres Kindes gefuhrten Rechtsstreit nicht als Zeugen\nauftreten konnen, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht als berechtigten\nAnlaß fur eine Erganzungspflegschaft bewertet. Die Behinderung der Eltern, als\nZeugen ihres Kindes in dem Schadenersatzprozeß aufzutreten, kann nicht mit\neiner Behinderung der Eltern in der Ausubung ihrer Stellung als gesetzliche\nVertreter gleichgesetzt werden. Zwar liegt in der prozessualen Behinderung\nunter Umstanden fur das Kind ein Nachteil. Aber dies bedeutet keinen\nWiderstreit materieller Interessen zwischen Eltern und dem Kind, wie er etwa\nin § 1796 Abs. 2 BGB vorausgesetzt wird. Die materiellen Interessen von Eltern\nund Kind, stehen bei dem Klagevorhaben nicht im Gegensatz, sondern sind\ngleichgerichtet. Sowohl Eltern als auch Kind erstreben die Verurteilung der\nbeiden Beklagten zu Schadenersatzleistungen. Die verbleibende nur\nprozeßrechtliche Unvereinbarkeit rechtfertigt keine Anwendung des § 1909 BGB\n(KG, OLG 16, 36, Fußnote 1; OLG 46, 197; OLG Dresden, JW 1931, 1380; RGRK-\nScheffler, BGB, 10./11. Aufl., Anm. 6 zu § 1909 BGB). Im ubrigen liegt das\nSchwergewicht der Beweisantritte im Entwurf der Klageschrift dem\nStreitgegenstand gemaß bei der Vorlage der Krankenunterlagen und bei dem\nSachverstandigenbeweis. Auch bleibt dem Kinde als Beweismittel die\nParteivernehmung der Eltern erhalten.\n\n21\n\n4) Die weitere Beschwerde ist unter diesen Umstanden als unbegrundet\nzuruckzuweisen. Eine Kostenentscheidung gemaß § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG ist\nnicht veranlaßt.\n\n
315,955
olgk-1980-02-21-1-ss-109479
822
Oberlandesgericht Köln
olgk
Nordrhein-Westfalen
Oberlandesgericht
1 Ss 1094/79
1980-02-21
2019-03-13 15:18:32
2019-03-27 09:41:47
Beschluss
ECLI:DE:OLGK:1980:0221.1SS1094.79.00
## Tenor\n\nDie Gegenvorstellungen des Betroffenen geben zu einer Änderung der\nSenatsentscheidung vom 8. Januar 1980 keinen Anlaß.\n\n \n1\n\n**Gr unde:**\n\n2\n\nDie Voraussetzungen einer unmittelbaren oder rechtsahnlichen Anwendung des §\n33 a StPO sind nicht gegeben. Der Senat halt seine Entscheidung weiterhin fur\nverfassungskonform.\n\n3\n\nWie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, sind Bedeutung und Tragweite\ndes Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht verkannt, wenn eine Verletzung\ndieses Verfahrensgrundrechts _im Einzelfall_ nicht als Zulassungsgrund i.S.\ndes § 80 Abs. 1 OviG gewertet wird (BVerfGE 42, 252 = NJW 1976, 1839; a.A.\nGohler in Festschrift fur Karl Schafer, 1980, S. 54 f. und OWiG, 5. Aufl., §\n80 Anm. 4) A. b)). Vorliegend aber ist, anders als in dem vom\nBundesverfassungsgericht entschiedenen Fall, das Recht des Betroffenen auf\nGewahrung rechtlichen Gehors durch das Amtsgericht nicht verletzt. Eine\nVerletzung des rechtlichen Gehors ist insbesondere nicht schon darin zu sehen,\ndaß die Ladung des Verteidigers des Betroffenen zur Hauptverhandlung vom\n12.10.1979 unterblieben ist und die Hauptverhandlung ohne den Verteidiger\nstattgefunden hat. Denn Art. 103 Abs. 1 GG gewahrleistet das rechtliche Gehor\ngrundsatzlich nur als solches, nicht gerade durch die Vermittlung eines\nRechtsanwalts (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 39, 156\n(168), 38, 105 (118) u.a.). Der hier zu beurteilende Sachverhalt liegt auch\nanders als bei einer vom Amtsgericht _au ßerhalb_ einer Hauptverhandlung,\nnamlich im Beschlußverfahren gem. § 72 OWiG, beabsichtigten Entscheidung; dort\nist in der Rechtsprechung ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dann\nfestgestellt worden, wenn lediglich dem Betroffenen, nicht aber seinem\nVerteidiger Gelegenheit zur Äußerung zu Tatsachen oder Beweiserhebungen\ngegeben wurde, zu denen der Betroffene bisher noch nicht gehort worden ist\n(vgl. OLG Karlsruhe NJW 1968, 1438; BGHSt 25, 252 = NJW 1974, 371 erweiternd\nf.d. Fall, daß der gem. § 72 I 2 OWiG erforderliche Hinweis nur dem\nBetroffenen, nicht aber dem Verteidiger erteilt wurde; insoweit a.A. Gohler,\nFestschrift a.a.O., S. 59).\n\n4\n\nAuch eine Verletzung anderer Grundrechte des Betroffenen ist nicht\nersichtlich.\n\n
316,373
eugh-2014-10-23-c-30213
2
Europäischer Gerichtshof
eugh
Europäische Union
C-302/13
2014-10-23
2019-03-14 08:28:01
2019-03-14 08:28:01
Urteil
ECLI:EU:C:2014:2319
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)\n\n23. Oktober 2014 ( *1 )\n\n„Vorlage zur Vorabentscheidung -- Verordnung (EG) Nr. 44/2001 -- Art. 31 --\nAntrag auf Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, mit der\neinstweilige und sichernde Maßnahmen angeordnet werden -- Art. 1 Abs. 1 --\nAnwendungsbereich -- Zivil- und Handelssachen -- Begriff -- Klage auf Ersatz\ndes durch angebliche Verstoße gegen das Wettbewerbsrecht der Europaischen\nUnion entstandenen Schadens -- Ermaßigung auf Flughafenentgelte -- Art. 22 Nr.\n2 -- Ausschließliche Zustandigkeiten -- Begriff -- Gesellschaften und\njuristische Personen betreffender Rechtsstreit -- Entscheidung uber die\nGewahrung von Ermaßigungen -- Art. 34 Nr. 1 -- Grunde fur die Versagung der\nAnerkennung -- Ordre public des Staates, in dem die Anerkennung geltend\ngemacht wird"\n\nIn der Rechtssache C‑302/13\n\nbetreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom\nAugstākās Tiesas Senāts (Lettland) mit Entscheidung vom 15. Mai 2013, beim\nGerichtshof eingegangen am 3. Juni 2013, in dem Verfahren\n\nflyLAL-Lithuanian Airlines AS, in Insolvenz,\n\ngegen\n\nStarptautiskā lidosta Rīga VAS,\n\nAir Baltic Corporation AS\n\nerlasst\n\nDER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)\n\nunter Mitwirkung des Kammerprasidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh,\nder Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Jarašiūnas\nund C. G. Fernlund,\n\nGeneralanwaltin: J. Kokott,\n\nKanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,\n\naufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mundliche Verhandlung vom\n14. Mai 2014,\n\nunter Berucksichtigung der Erklarungen\n\n-- | der flyLAL-Lithuanian Airlines AS, in Insolvenz, vertreten durch R.\nAudzevičius, advokatas, sowie durch V. Skrastiņš und A. Guļajevs, advokāti, \n---|--- \n-- | der Starptautiskā lidosta Rīga VAS, vertreten durch U. Zeltiņš, G.\nLejiņš, M. Aljēns, S. Novicka und K. Zīle, advokāti, \n---|--- \n-- | der Air Baltic Corporation AS, vertreten durch J. Jerņeva, D. Pāvila und\nA. Lošmanis, advokāti, sowie durch J. Kubilis, advokāta palīgs, \n---|--- \n-- | der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und I. Ņesterova\nals Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der litauischen Regierung, vertreten durch A. Svinkūnaitė und D.\nKriaučiūnas als Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der niederlandischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman als\nBevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der Europaischen Kommission, vertreten durch A. Sauka, A.‑M. Rouchaud-\nJoet und I. Rubene als Bevollmachtigte, \n---|--- \n \nnach Anhorung der Schlussantrage der Generalanwaltin in der Sitzung vom 3.\nJuli 2014\n\nfolgendes\n\nUrteil\n\n1 | Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1, Art. 22 Nr. 2, Art. 34 Nr. 1 und Art. 35 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 uber die gerichtliche Zustandigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen ([ABl. 2001, L 12, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2001:012:TOC)). \n---|--- \n2 | Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der flyLAL-Lithuanian Airlines AS, in Insolvenz (im Folgenden: flyLAL), einer Gesellschaft litauischen Rechts, auf der einen Seite, und der Starptautiskā lidosta Rīga VAS (im Folgenden: Starptautiskā lidosta Rīga), einer Gesellschaft lettischen Rechts, die den Flughafen von Riga (Lettland) betreibt, und der Air Baltic Corporation AS (im Folgenden: Air Baltic), einer Gesellschaft lettischen Rechts, auf der anderen Seite, uber einen Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung eines litauischen Gerichts, mit der einstweilige und sichernde Maßnahmen angeordnet werden, in Lettland. \n---|--- \n \nRechtlicher Rahmen\n\nUnionsrecht\n\n3 | Die Erwagungsgrunde 6, 7, 16, 17 und 19 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten: | „(6) | Um den freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu gewahrleisten, ist es erforderlich und angemessen, dass die Vorschriften uber die gerichtliche Zustandigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Wege eines Gemeinschaftsrechtsakts festgelegt werden, der verbindlich und unmittelbar anwendbar ist. \n---|--- \n(7) | Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken. \n---|--- \n \n…\n\n(16) | Das gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Gemeinschaft rechtfertigt, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, außer im Falle der Anfechtung, von Rechts wegen, ohne ein besonderes Verfahren, anerkannt werden. \n---|--- \n(17) | Aufgrund dieses gegenseitigen Vertrauens ist es auch gerechtfertigt, dass das Verfahren, mit dem eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung fur vollstreckbar erklart wird, rasch und effizient vonstatten geht. Die Vollstreckbarerklarung einer Entscheidung muss daher fast automatisch nach einer einfachen formalen Prufung der vorgelegten Schriftstucke erfolgen, ohne dass das Gericht die Moglichkeit hat, von Amts wegen eines der in dieser Verordnung vorgesehenen Vollstreckungshindernisse aufzugreifen. \n---|--- \n \n…\n\n(19) | Um die Kontinuitat zwischen dem … Übereinkommen [vom 27. September 1968 uber die gerichtliche Zustandigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ([ABl. 1972, L 299, S. 32](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1972:299:TOC)) in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen uber den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brusseler Übereinkommen)] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch fur die Auslegung der Bestimmungen des Brusseler Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europaischen Gemeinschaften. Ebenso sollte das [Erste Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens von 1968 durch den Gerichtshof in seiner revidierten und geanderten Fassung ([ABl. 1998, C 27, S. 28](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:C:1998:027:TOC))] auf Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits anhangig sind, anwendbar bleiben." \n---|--- \n4 | Gemaß ihrem Art. 1 Abs. 1 ist die Verordnung Nr. 44/2001 in Zivil- und Handelssachen anzuwenden. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. \n---|--- \n5 | In Art. 5 Nrn. 3 und 4 der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es: „Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden: … | 3. | wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Anspruche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem das Gericht des Ortes, an dem das schadigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht; \n---|--- \n4. | wenn es sich um eine Klage auf Schadensersatz oder auf Wiederherstellung des fruheren Zustands handelt, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestutzt wird, vor dem Strafgericht, bei dem die offentliche Klage erhoben ist, soweit dieses Gericht nach seinem Recht uber zivilrechtliche Anspruche erkennen kann". \n---|--- \n6 | In Kapitel II der Verordnung Nr. 44/2001 sind die Regelungen uber die gerichtliche Zustandigkeit niedergelegt. In Abschnitt 6 dieses Kapitels sind Regelungen uber die ausschließliche Zustandigkeit enthalten. Art. 22 der Verordnung bestimmt insbesondere: „Ohne Rucksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zustandig: … | 2. | fur Klagen, welche die Gultigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflosung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gultigkeit der Beschlusse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat. Bei der Entscheidung daruber, wo der Sitz sich befindet, wendet das Gericht die Vorschriften seines Internationalen Privatrechts an". \n---|--- \n7 | Nach Art. 31 der Verordnung Nr. 44/2001 konnen die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn fur die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zustandig ist. \n---|--- \n8 | Die Art. 33 bis 37 der Verordnung Nr. 44/2001 regeln die Anerkennung von Entscheidungen. Art. 33 dieser Verordnung stellt den Grundsatz auf, dass die Entscheidungen eines Gerichts eines Mitgliedstaats ohne besonderes Verfahren anerkannt werden. Die Art. 34 und 35 regeln die Grunde, aus denen eine Entscheidung ausnahmsweise nicht anerkannt werden kann. \n---|--- \n9 | Art. 34 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet: „Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn | 1. | die Anerkennung der offentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen wurde; \n---|--- \n \n…" \n \n10 | Art. 35 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet wie folgt: „Eine Entscheidung wird ferner nicht anerkannt, wenn die Vorschriften der Abschnitte 3, 4 und 6 des Kapitels II verletzt worden sind oder wenn ein Fall des Artikels 72 vorliegt." \n---|--- \n11 | Die Art. 36 und 45 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 sehen vor, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung zum Zweck ihrer Anerkennung und Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat nicht in der Sache selbst nachgepruft werden darf. \n---|--- \n \nLettisches Recht\n\n12 | Nach dem Likums „Par aviāciju" (Luftverkehrsgesetz) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung entrichten die Betreiber von Luftfahrzeugen Gebuhren u. a. fur die Flughafennutzung. \n---|--- \n13 | Gemaß diesem Gesetz wird das Verfahren zur Festlegung und Verteilung der Gebuhren vom Ministerrat festgelegt. \n---|--- \n14 | Nr. 3.5 des Dekrets Nr. 20 des Ministerrats vom 3. Januar 2006 zur Festlegung der Gebuhren fur Luftverkehrsdienstleistungen und die von Starptautiskā lidosta Rīga erbrachten Dienstleistungen sowie das Verfahren zu ihrer Verteilung (Latvijas Vēstnesis, 2006, Nr. 10) bestimmt, dass jedes Beforderungsunternehmen, das den Flughafen Riga anfliegt oder von ihm abfliegt, Anspruch auf eine Ermaßigung der Gebuhren hat, die sich nach der Anzahl der von Riga abreisenden Passagiere richtet, die es im Laufe eines Jahres befordert hat. \n---|--- \n \nAusgangsverfahren und Vorlagefragen\n\n15 | Wie aus der Vorlageentscheidung, den dem Gerichtshof zur Verfugung stehenden Akten sowie den im schriftlichen Verfahren und in der mundlichen Verhandlung abgegebenen Erklarungen hervorgeht, steht das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen im Zusammenhang mit einem umfassenderen Rechtsstreit, der beim Lietuvos apeliacinis teismas (Litauischer Appellationsgerichtshof) anhangig ist. Mit der entsprechenden Klage begehrt flyLAL Ersatz des Schadens, der zum einen durch einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung von Air Baltic auf dem Markt fur Fluge von oder nach dem Flughafen Vilnius (Litauen) und zum anderen durch eine wettbewerbswidrige Vereinbarung zwischen den Beklagten entstanden sei. Zu diesem Zweck beantragte die Klagerin des Ausgangsverfahrens einstweilige und sichernde Maßnahmen. \n---|--- \n16 | Mit Urteil vom 31. Dezember 2008 gab der Lietuvos apeliacinis teismas diesem Antrag statt und ordnete die vorlaufige und sichernde Beschlagnahme des unbeweglichen und/oder beweglichen Vermogens sowie der Vermogensrechte von Air Baltic und Starptautiskā lidosta Rīga in Hohe von 199830000 litauischen Litas (LTL), d. h. 40765320 lettischen Lats (LVL) (58020666,10 Euro) an. \n---|--- \n17 | Mit Entscheidung vom 19. Januar 2012 entschied die Rīgas pilsētas Vidzemes priekšpilsētas tiesa (Gericht fur den Bezirk Vidzeme der Stadt Riga, Lettland), dieses Urteil in Lettland hinsichtlich der Beschlagnahme des beweglichen und/oder unbeweglichen Vermogens und der Vermogensrechte von Air Baltic und Starptautiskā lidosta Rīga anzuerkennen und fur vollstreckbar zu erklaren. Der Antrag von flyLAL auf Sicherung der Vollstreckung dieses Urteils wurde zuruckgewiesen. Im Berufungsverfahren wurde diese Entscheidung von der Rīgas apgabaltiesas Civillietu tiesu kolēģija (Zivilkammer des Regionalgerichts Riga, Lettland) bestatigt. \n---|--- \n18 | Gegen die Entscheidung der Rīgas apgabaltiesas Civillietu tiesu kolēģija wurden Rechtsmittel bei dem vorlegenden Gericht eingelegt. Starptautiskā lidosta Rīga und Air Baltic machen geltend, dass die Anerkennung und Vollstreckung des Urteils des Lietuvos apeliacinis teismas vom 31. Dezember 2008 sowohl gegen die volkerrechtlichen Regeln uber die Befreiung von der Gerichtsbarkeit als auch gegen die Verordnung Nr. 44/2001 verstießen. Die vorliegende Rechtssache falle nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Da sich der Rechtsstreit auf durch staatliche Vorschriften festgelegte Flughafenentgelte beziehe, betreffe er namlich keine Zivil- und Handelssache im Sinne dieser Verordnung. Dieses Urteil durfe in Lettland weder anerkannt noch vollstreckt werden. In ihrer Erwiderung darauf vertritt flyLAL die Auffassung, dass ihre Klage zivilrechtlicher Art sei, da mit ihr Ersatz des aus dem Verstoß gegen die Art. 81 EG und 82 EG entstandenen Schadens erlangt werden solle. \n---|--- \n19 | Wegen der Natur der Regeln, die die Hohe der Flughafenentgelte und deren Ermaßigungen festlegen, zweifelt das vorlegende Gericht zunachst daran, dass die Rechtssache, mit der es befasst ist, eine Zivil- oder Handelssache im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 ist. Unter Verweis auf die im Urteil St. Paul Dairy (C‑104/03, [EU:C:2005:255](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2005%3A255&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab)) gefundene Losung fuhrt es namlich aus, dass eine Entscheidung, mit der einstweilige und sichernde Maßnahmen angeordnet wurden, auf der Grundlage dieser Verordnung nur dann anerkannt werden konne, wenn die Rechtssache, in der diese Maßnahmen beantragt worden seien, eine Zivil- oder Handelssache im Sinne dieser Verordnung sei. \n---|--- \n20 | Falls der Gerichtshof die Auffassung vertreten sollte, dass der Ausgangsrechtsstreit in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 falle, stelle sich sodann die Frage nach der ausschließlichen Zustandigkeit. Art. 22 Nr. 2 dieser Verordnung sehe eine solche Zustandigkeitsregel im Bereich der Gultigkeit von Entscheidungen der Organe von Gesellschaften oder juristischen Personen zugunsten der Gerichte des Mitgliedstaats vor, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz habe. Die Ermaßigung der Flughafenentgelte werde jedoch mittels Entscheidungen angewandt, die von Organen von Handelsgesellschaften getroffen wurden. Folglich bestehe zum einen eine Unsicherheit hinsichtlich der Zustandigkeit der litauischen Gerichte. Da es zum anderen Art. 35 Abs. 1 dieser Verordnung verbiete, Entscheidungen anzuerkennen, wenn diese gegen die Vorschriften uber die ausschließliche Zustandigkeit verstießen, fragt sich das vorlegende Gericht, ob eine solche Frage zu prufen sei. \n---|--- \n21 | Schließlich bestimme Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, dass eine Entscheidung nicht anerkannt werde, wenn ihre Anerkennung der offentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht werde, offensichtlich widersprechen wurde. Erstens sei jedoch der geforderte Betrag betrachtlich, ohne dass das Urteil des Lietuvos apeliacinis teismas vom 31. Dezember 2008 uber die Art der Berechnung der in Rede stehenden Betrage Aufschluss gebe. Zweitens sei die Klage gegen Handelsgesellschaften gerichtet, deren Aktionar der Staat sei. Da sich flyLAL in Insolvenz befinde, hatten Starptautiskā lidosta Rīga, Air Baltic und die Republik Lettland bei einer Abweisung der Klage in der Hauptsache keine Moglichkeit, die Verluste, die sie wegen der Anwendung der mit diesem Urteil angeordneten einstweiligen und sichernden Maßnahmen erleiden wurden, zuruckzuerlangen. Solche Umstande ließen daher Zweifel an der Vereinbarkeit der Anerkennung dieses Urteils mit der offentlichen Ordnung (ordre public) des Anerkennungsstaats im Sinne dieser Bestimmung aufkommen. \n---|--- \n22 | Unter diesen Umstanden hat der Augstākās Tiesas Senāts das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: | 1. | Ist ein Rechtsstreit, in dem Schadensersatz geltend gemacht und beantragt wird, ein Verhalten der Beklagten fur rechtswidrig zu erklaren, das in einer verbotenen Vereinbarung und dem Missbrauch einer beherrschenden Stellung besteht und auf die Anwendung von Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats mit allgemeiner Reichweite gestutzt ist, unter Berucksichtigung dessen, dass verbotene Vereinbarungen bereits bei ihrem Abschluss nichtig sind, wahrend der Erlass einer Norm ein staatlicher Rechtsakt im Bereich des offentlichen Rechts ist (acta iure imperii), auf den die volkerrechtlichen Normen uber die Staatenimmunitat anzuwenden sind, als Zivil- oder Handelssache im Sinne der Verordnung Nr. 44/2001 zu betrachten? \n---|--- \n2. | Sollte die erste Frage bejaht werden (bei der Rechtssache handelt es sich um eine Zivil- oder Handelssache im Sinne der Verordnung Nr. 44/2001): Ist das Schadensersatzverfahren ein Rechtsstreit uber die Wirksamkeit von Beschlussen von Gesellschaftsorganen im Sinne von Art. 22 Nr. 2 der Verordnung, so dass die Moglichkeit besteht, der Entscheidung gemaß Art. 35 Abs. 1 der Verordnung die Anerkennung zu versagen? \n---|--- \n3. | Wenn der Klagegegenstand im Schadensersatzverfahren in den Anwendungsbereich von Art. 22 Nr. 2 der Verordnung fallt: Ist das Gericht des Staates, in dem die Anerkennung beantragt wird, verpflichtet, zu prufen, ob hinsichtlich der Anerkennung einer Entscheidung, mit der eine einstweilige Anordnung erlassen wird, die in Art. 35 Abs. 1 der Verordnung genannten Voraussetzungen vorliegen? \n---|--- \n4. | Kann die Ordre-public-Klausel des Art. 34 Nr. 1 der Verordnung dahin verstanden werden, dass die Anerkennung einer Entscheidung, mit der eine einstweilige Anordnung erlassen wird, der offentlichen Ordnung eines Mitgliedstaats widerspricht, wenn erstens der wesentliche Grund fur den Erlass der einstweiligen Anordnung die beachtliche Hohe des geltend gemachten Betrags ist, ohne dass eine begrundete und gerechtfertigte Berechnung vorgenommen wurde, und zweitens bei Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung den beklagten Parteien ein Schaden entstehen kann, den die klagende Partei ? eine Gesellschaft, uber deren Vermogen das Insolvenzverfahren eroffnet wurde ? nicht wiedergutmachen kann, falls die Klage im Schadensersatzverfahren abgewiesen wird, was die wirtschaftlichen Interessen des Staates, in dem die Anerkennung beantragt wird, beruhren und folglich die Sicherheit des Staates ernsthaft gefahrden kann, da die Republik Lettland 100 % der Anteile von Starptautiskā Lidosta Rīga und 52,6 % von Air Baltic halt? \n---|--- \n \nZu den Vorlagefragen\n\nZur ersten Frage\n\n23 | Mit seiner ersten Frage mochte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Ersatz des durch angebliche Verstoße gegen das Wettbewerbsrecht der Union entstandenen Schadens unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen" im Sinne dieser Bestimmung und demzufolge in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallt. \n---|--- \n24 | Zunachst ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen" nach standiger Rechtsprechung nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht des einen oder anderen beteiligten Staates verstanden werden kann, da sichergestellt werden muss, dass sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 fur die Mitgliedstaaten und die betroffenen Personen so weit wie moglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben. Er ist als autonomer Begriff anzusehen, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik dieser Verordnung sowie die allgemeinen Rechtsgrundsatze, die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtsordnungen ergeben, berucksichtigt werden mussen (vgl. in diesem Sinne Urteile Apostolides, C‑420/07, [EU:C:2009:271](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A271&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 41 und die dort angefuhrte Rechtsprechung, Cartier parfums-lunettes und Axa Corporate Solutions Assurance, C‑1/13, [EU:C:2014:109](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2014%3A109&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 32 und die dort angefuhrte Rechtsprechung, sowie Hi Hotel HCF, C‑387/12, [EU:C:2014:215](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2014%3A215&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 24 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n25 | Sodann gilt, da die Verordnung Nr. 44/2001 in den Beziehungen der Mitgliedstaaten nunmehr an die Stelle des Brusseler Übereinkommens getreten ist, die Auslegung der Bestimmungen dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof auch fur die Bestimmungen der Verordnung, soweit die Bestimmungen dieser Rechtsakte als gleichbedeutend angesehen werden konnen (vgl. in diesem Sinne Urteile Sunico u. a., C‑49/12, [EU:C:2013:545](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A545&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 32 und die dort angefuhrte Rechtsprechung, sowie Brogsitter, C‑548/12, [EU:C:2014:148](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2014%3A148&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 19 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n26 | Der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 wird wie der des Brusseler Übereinkommens durch den Begriff der Zivil- und Handelssachen begrenzt. Um zu klaren, ob ein Bereich in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fallt oder nicht, sind die Gesichtspunkte zu prufen, die die Natur der zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Rechtsbeziehungen oder dessen Gegenstand kennzeichnen (vgl. in diesem Sinne Urteile Sapir u. a., C‑645/11, [EU:C:2013:228](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A228&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 32 und 34 und die dort angefuhrte Rechtsprechung, sowie Sunico u. a., [EU:C:2013:545](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A545&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 33 und 35 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n27 | Aus Art. 5 Nrn. 3 und 4 der Verordnung Nr. 44/2001 ergibt sich, dass Klagen auf Schadensersatz grundsatzlich zu den Zivil- und Handelssachen gehoren und daher in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen. Wie in ihrem siebten Erwagungsgrund ausgefuhrt wird, sollte sich der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken. Die vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 ausgeschlossenen Bereiche stellen Ausnahmen dar, die wie jede Ausnahme - und in Anbetracht des Ziels dieser Verordnung, namlich einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln, in dem der freie Verkehr der Entscheidungen gefordert wird - eng auszulegen sind. \n---|--- \n28 | Gegenstand der von flyLAL erhobenen Klage ist der Ersatz des Schadens, der mit einer angeblichen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht in Verbindung steht. Somit unterliegt sie dem Recht uber die Schadensersatzpflicht wegen unerlaubter Handlung (vgl. entsprechend Urteil Sunico u. a., [EU:C:2013:545](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A545&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 37). \n---|--- \n29 | Daher ist eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die den Ersatz des Schadens zum Gegenstand hat, der aus einer Verletzung der Wettbewerbsvorschriften entstanden ist, zivil- und handelsrechtlicher Natur. \n---|--- \n30 | Gewiss hat der Gerichtshof entschieden, dass zwar bestimmte Rechtsstreitigkeiten, in denen sich eine Behorde und eine Privatperson gegenuberstehen, unter den Begriff der Zivil- und Handelssache fallen konnen, dass es sich jedoch anders verhalt, wenn die Behorde in Ausubung hoheitlicher Befugnisse tatig wird (Urteile Sapir u. a., [EU:C:2013:228](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A228&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 33 und die dort angefuhrte Rechtsprechung, sowie Sunico u. a., [EU:C:2013:545](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A545&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 34 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n31 | Die Wahrnehmung von Hoheitsrechten durch eine der Parteien des Rechtsstreits schließt einen solchen Rechtsstreit namlich von den Zivil- und Handelssachen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 aus, da diese Partei Befugnisse ausubt, die von den im Verhaltnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Regeln abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteil Apostolides, [EU:C:2009:271](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A271&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 44 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n32 | In Bezug auf Streckennavigationsgebuhren hat der Gerichtshof so die Auffassung vertreten, dass die Kontrolle und die Überwachung des Luftraums originar hoheitliche Tatigkeiten sind, die fur ihre Realisierung die Ausubung solcher Hoheitsrechte erfordern (vgl. in diesem Sinne Urteil SAT Fluggesellschaft, C‑364/92, [EU:C:1994:7](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1994%3A7&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 28). \n---|--- \n33 | Allerdings hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Zurverfugungstellung von Flughafenanlagen gegen Zahlung einer Gebuhr eine wirtschaftliche Tatigkeit darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile Aeroports de Paris/Kommission, C‑82/01 P, [EU:C:2002:617](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2002%3A617&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 78, sowie Mitteldeutsche Flughafen und Flughafen Leipzig-Halle/Kommission, C‑288/11 P, [EU:C:2012:821](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A821&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 40 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). Daher fallen solche Rechtsverhaltnisse sehr wohl unter die Zivil- und Handelssachen. \n---|--- \n34 | Unter Umstanden wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden steht einer solchen Schlussfolgerung weder der Umstand, dass sich die angeblichen Verstoße gegen das Wettbewerbsrecht aus lettischen Rechtsvorschriften ergeben sollen, noch die Beteiligung des Staates in Hohe von 100 % und 52,6 % am Kapital der Beklagten des Ausgangsverfahrens entgegen. \n---|--- \n35 | Erstens ist es namlich ohne Belang, dass Starptautiskā lidosta Rīga bei der Festlegung der Flughafenentgelte und deren Ermaßigungen allgemein geltenden gesetzlichen Vorgaben der Republik Lettland unterliegt. Dieser Umstand betrifft vielmehr die Rechtsbeziehungen zwischen diesem Mitgliedstaat und Starptautiskā lidosta Rīga und beruhrt nicht deren Rechtsbeziehungen zu den Luftverkehrsgesellschaften, die Empfangerinnen ihrer Dienstleistungen sind. \n---|--- \n36 | Wie die Generalanwaltin in Nr. 61 ihrer Schlussantrage ausgefuhrt hat, ist die Nichtanwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen des nationalen Rechts keine unmittelbare Folge der Schadensersatzklage, sondern wurde hochstens eine mittelbare Folge darstellen, die das Ergebnis einer auf eine entsprechende Einrede hin vorgenommenen Kontrolle ware. \n---|--- \n37 | Zweitens ist der lettische Staat nicht Partei des Ausgangsverfahrens, und die bloße Erwagung, dass er Aktionar der genannten Unternehmen ist, stellt keinen Umstand dar, der der Situation, in der dieser Mitgliedstaat hoheitliche Befugnisse ausuben wurde, gleichzustellen ware. Dies gilt umso mehr, wenn sich diese Unternehmen, auch wenn sie mehrheitlich oder ausschließlich vom lettischen Staat gehalten werden, wie irgendein beliebiger Wirtschaftsteilnehmer - sei es eine naturliche oder eine juristische Person - verhalten, der auf einem bestimmten Markt tatig ist. Die so erhobene Klage richtet sich nicht gegen Verhaltensweisen oder Verfahren, die die Wahrnehmung von Hoheitsrechten durch eine der Parteien des Rechtsstreits voraussetzen, sondern gegen von Privatpersonen vorgenommene Handlungen (vgl. in diesem Sinne Urteil Apostolides, [EU:C:2009:271](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A271&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 45). \n---|--- \n38 | Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Ersatz des durch angebliche Verstoße gegen das Wettbewerbsrecht der Union entstandenen Schadens unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen" im Sinne dieser Bestimmung und demzufolge in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallt. \n---|--- \n \nZur zweiten und zur dritten Frage\n\n39 | Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prufen sind, mochte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Ersatz des durch angebliche Verstoße gegen das Wettbewerbsrecht der Union entstandenen Schadens als ein Verfahren uber die Gultigkeit von Beschlussen von Gesellschaftsorganen im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. Sollte dies bejaht werden, mochte es wissen, ob, wenn das Verfahren in der Hauptsache bei einem anderen Gericht als dem, das gemaß Art. 22 Nr. 2 zustandig ware, eingeleitet wird, diese Vorschrift in Verbindung mit Art. 35 dieser Verordnung der Anerkennung einer Entscheidung des entsprechenden anderen Gerichts, mit der einstweilige und sichernde Maßnahmen angeordnet werden, entgegensteht. \n---|--- \n40 | Was Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 anbelangt, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass ihr Anwendungsbereich nur solche Rechtsstreitigkeiten erfasst, in denen eine Partei die Gultigkeit eines Beschlusses des Organs einer Gesellschaft im Hinblick auf das geltende Gesellschaftsrecht oder die satzungsmaßigen Vorschriften uber das Funktionieren der Organe dieser Gesellschaft anficht (Urteil Hassett und Doherty, C‑372/07, [EU:C:2008:534](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2008%3A534&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 26). \n---|--- \n41 | Wie aus der Antwort auf die erste Frage hervorgeht, betrifft der Ausgangsrechtsstreit in der Hauptsache eine Klage auf Ersatz des durch angebliche Verstoße gegen das Wettbewerbsrecht der Union entstandenen Schadens und nicht die Gultigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflosung von Gesellschaften oder juristischen Personen oder die Gultigkeit der Beschlusse ihrer Organe im Sinne von Art. 22 Nr. 2 dieser Verordnung. \n---|--- \n42 | Daher ist auf den ersten Teil der zweiten und der dritten Frage zu antworten, dass Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Ersatz des durch angebliche Verstoße gegen das Wettbewerbsrecht der Union entstandenen Schadens nicht als ein Verfahren uber die Gultigkeit von Beschlussen von Gesellschaftsorganen im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. \n---|--- \n43 | In Anbetracht der Antwort auf den ersten Teil der zweiten und der dritten Frage ist es nicht notwendig, auf den zweiten Teil dieser Fragen bezuglich Art. 35 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 zu antworten. \n---|--- \n \nZur vierten Frage\n\n44 | Mit seiner vierten Frage mochte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass das Fehlen einer Begrundung der Berechnung der Hohe der Betrage, auf die sich die einstweiligen und sichernden Maßnahmen beziehen, die mit einer Entscheidung angeordnet werden, deren Anerkennung und Vollstreckung beantragt werden, oder die Berufung auf schwerwiegende wirtschaftliche Folgen Grunde darstellen, die einen Verstoß gegen die offentliche Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem der Antrag gestellt wird, begrunden, der es erlaubt, die Anerkennung und die Vollstreckung einer solchen in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung in diesem Mitgliedstaat zu versagen. \n---|--- \n45 | Zunachst ist festzustellen, dass - wie aus den Erwagungsgrunden 16 und 17 der Verordnung Nr. 44/2001 hervorgeht - die Anerkennungs- und Vollstreckungsregelung dieser Verordnung auf das gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Union gestutzt ist. Ein solches Vertrauen erfordert, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidungen nicht nur von Rechts wegen in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden, sondern auch, dass das Verfahren, mit dem diese Entscheidungen in dem anderen Mitgliedstaat fur vollstreckbar erklart werden, rasch und effizient vonstatten geht. Ein solches Verfahren darf nach dem 17. Erwagungsgrund der Verordnung nur eine einfache formale Prufung der Schriftstucke umfassen, die fur die Erteilung der Vollstreckbarerklarung in dem Mitgliedstaat, in dem der entsprechende Antrag gestellt wird, erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Prism Investments, C‑139/10, [EU:C:2011:653](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A653&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 27 und 28). \n---|--- \n46 | Nach Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 wird eine Entscheidung sodann nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der offentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen wurde. Die Anfechtungsgrunde, die geltend gemacht werden konnen, werden ausdrucklich in den Art. 34 und 35 der Verordnung Nr. 44/2001 aufgefuhrt. Die Aufzahlung dieser Grunde, die eng auszulegen sind, ist abschließend (vgl. in diesem Sinne Urteile Apostolides, [EU:C:2009:271](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A271&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 55 und die dort angefuhrte Rechtsprechung, sowie Prism Investments, [EU:C:2011:653](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A653&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 33). \n---|--- \n47 | Schließlich konnen die Mitgliedstaaten nach standiger Rechtsprechung zwar aufgrund des in Art. 34 Nr. 1 vorgesehenen Vorbehalts grundsatzlich selbst festlegen, welche Anforderungen sich nach ihren innerstaatlichen Anschauungen aus ihrer offentlichen Ordnung ergeben, doch gehort die Abgrenzung dieses Begriffs zur Auslegung dieser Verordnung. Es ist demnach zwar nicht Sache des Gerichtshofs, den Inhalt der offentlichen Ordnung eines Mitgliedstaats zu definieren, doch hat er uber die Grenzen zu wachen, innerhalb deren sich das Gericht eines Mitgliedstaats auf diesen Begriff stutzen darf, um einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung die Anerkennung zu versagen (vgl. in diesem Sinne Urteile Krombach, C‑7/98, [EU:C:2000:164](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2000%3A164&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 22 und 23, sowie Renault, C‑38/98, [EU:C:2000:225](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2000%3A225&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 27 und 28). \n---|--- \n48 | Mit dem Verbot, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in der Sache selbst nachzuprufen, untersagen es die Art. 36 und 45 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dem Gericht des Staates, in dem die Anerkennung oder Vollstreckung der entsprechenden Entscheidung geltend gemacht wird, diese nur deshalb zu versagen, weil die vom Gericht des Ursprungsstaats angewandten Rechtsvorschriften von denen abweichen, die das Gericht des Vollstreckungsstaats im Fall seiner eigenen Befassung mit dem Rechtsstreit angewandt hatte. Ebenso wenig darf das Gericht des Vollstreckungsstaats nachprufen, ob das Gericht des Ursprungsstaats den Fall rechtlich und tatsachlich fehlerfrei gewurdigt hat (vgl. Urteil Apostolides, [EU:C:2009:271](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A271&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 58 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n49 | Eine Anwendung der Ordre-public-Klausel des Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stunde. Damit das Verbot, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in der Sache nachzuprufen, gewahrt bleibt, muss es sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (vgl. Urteil Apostolides, [EU:C:2009:271](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A271&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 59 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n50 | Im vorliegenden Fall fragt sich das vorlegende Gericht zum einen nach den Konsequenzen, die aus dem Begrundungsmangel hinsichtlich der Modalitaten der Berechnung der Hohe der Betrage zu ziehen seien, die die einstweiligen und sichernden Maßnahmen betreffen, die mit der Entscheidung angeordnet worden sind, deren Anerkennung und Vollstreckung beantragt werden, und zum anderen nach den Konsequenzen, die mit der Hohe dieser Betrage in Zusammenhang stehen. \n---|--- \n51 | Was erstens den Begrundungsmangel betrifft, hat der Gerichtshof entschieden, dass das Recht auf ein faires Verfahren verlangt, dass jede gerichtliche Entscheidung mit Grunden zu versehen ist, damit der Beklagte die Grunde seiner Verurteilung verstehen und gegen eine solche Entscheidung auf zweckdienliche und wirksame Weise ein Rechtsmittel einlegen kann (Urteil Trade Agency, C‑619/10, [EU:C:2012:531](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A531&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 53 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n52 | Es ist festzustellen, dass der Umfang der Begrundungspflicht je nach Art der in Rede stehenden gerichtlichen Entscheidung variieren kann und im Hinblick auf das Verfahren als Ganzes und unter Berucksichtigung aller relevanten Umstande und der mit dieser Entscheidung einhergehenden Verfahrensgarantien zu beurteilen ist, um zu prufen, ob diese Verfahrensgarantien den betroffenen Personen die Moglichkeit geben, gegen die Entscheidung in zweckdienlicher und wirksamer Weise ein Rechtsmittel einzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil Trade Agency, [EU:C:2012:531](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A531&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 60 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n53 | Im vorliegenden Fall geht aus der Gesamtheit der Informationen, uber die der Gerichtshof verfugt, zum einen hervor, dass die Bestandteile der Begrundung nicht fehlen, da es moglich ist, dem Gedankengang zu folgen, der zur Bestimmung der Hohe der in Rede stehenden Betrage gefuhrt hat. Zum anderen verfugten die betroffenen Parteien uber die Moglichkeit, ein Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung einzulegen, und die Parteien haben von dieser Moglichkeit Gebrauch gemacht. \n---|--- \n54 | Die elementaren Grundsatze des fairen Verfahrens wurden daher gewahrt, und demzufolge kann nicht angenommen werden, dass ein Verstoß gegen die offentliche Ordnung (ordre public) stattgefunden hat. \n---|--- \n55 | Was zweitens die Konsequenzen anbelangt, die mit der Hohe der Betrage verbunden sind, die die einstweiligen und sichernden Maßnahmen betreffen, die mit der Entscheidung, deren Anerkennung beantragt wird, angeordnet werden, ist entsprechend den Ausfuhrungen in Rn. 49 des vorliegenden Urteils hervorzuheben, dass der Begriff der offentlichen Ordnung (ordre public) zum Ziel hat, eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts zu verhindern. \n---|--- \n56 | Wie die Generalanwaltin in den Nrn. 84 und 85 ihrer Schlussantrage ausgefuhrt hat, zielt der Begriff „ordre public" im Sinne von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 darauf ab, rechtliche Interessen zu schutzen, die in einer Rechtsnorm zum Ausdruck kommen, und nicht rein wirtschaftliche Interessen. Dies gilt auch dann, wenn, wie in Rn. 37 des vorliegenden Urteils dargelegt wurde, der Inhaber der offentlichen Gewalt als Marktteilnehmer - im vorliegenden Fall als Aktionar - tatig wird und bestimmte Schaden erleiden kann. \n---|--- \n57 | Aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklarungen geht zum einen hervor, dass die finanziellen Folgen, die mit der Hohe der moglichen Verluste verbunden sind, bereits vor den litauischen Gerichten erortert wurden. Zum anderen bestehen, wie die Europaische Kommission hervorhebt, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einstweiligen und sichernden Maßnahmen nicht in der Zahlung eines Betrags, sondern nur in der Überwachung des Vermogens der Beklagten des Ausgangsverfahrens. \n---|--- \n58 | Daher ist davon auszugehen, dass die bloße Berufung auf schwerwiegende wirtschaftliche Folgen keinen Verstoß gegen die offentliche Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, im Sinne von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung 44/2001 darstellt. \n---|--- \n59 | Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass weder die Modalitaten der Berechnung der Hohe der Betrage, auf die sich die einstweiligen und sichernden Maßnahmen beziehen, die mit einer Entscheidung angeordnet werden, deren Anerkennung und Vollstreckung beantragt werden - wenn es moglich ist, den Gedankengang nachzuvollziehen, der zur Bestimmung der Hohe dieser Betrage gefuhrt hat, und Rechtsbehelfe offenstanden und eingelegt wurden, um diese Berechnungsmodalitaten zu rugen -, noch die bloße Berufung auf schwerwiegende wirtschaftliche Folgen Grunde darstellen, die einen Verstoß gegen die offentliche Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, begrunden, der es erlaubt, die Anerkennung und Vollstreckung einer solchen in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung in diesem Mitgliedstaat zu versagen. \n---|--- \n \nKosten\n\n60 | Fur die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhangigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter fur die Abgabe von Erklarungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfahig. \n---|--- \n| Aus diesen Grunden hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) fur Recht erkannt: \n---|--- \n| | 1. | Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 uber die gerichtliche Zustandigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Ersatz des durch angebliche Verstoße gegen das Wettbewerbsrecht der Union entstandenen Schadens unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen" im Sinne dieser Bestimmung und demzufolge in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallt. \n---|--- \n| | 2. | Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Ersatz des durch angebliche Verstoße gegen das Wettbewerbsrecht der Union entstandenen Schadens nicht als ein Verfahren uber die Gultigkeit von Beschlussen von Gesellschaftsorganen im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. \n---|--- \n| | 3. | Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass weder die Modalitaten der Berechnung der Hohe der Betrage, auf die sich die einstweiligen und sichernden Maßnahmen beziehen, die mit einer Entscheidung angeordnet werden, deren Anerkennung und Vollstreckung beantragt werden - wenn es moglich ist, den Gedankengang nachzuvollziehen, der zur Bestimmung der Hohe dieser Betrage gefuhrt hat, und Rechtbehelfe offenstanden und eingelegt wurden, um diese Berechnungsmodalitaten zu rugen -, noch die bloße Berufung auf schwerwiegende wirtschaftliche Folgen Grunde darstellen, die einen Verstoß gegen die offentliche Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, begrunden, der es erlaubt, die Anerkennung und Vollstreckung einer solchen in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung in diesem Mitgliedstaat zu versagen. \n---|--- \n| Unterschriften \n---|--- \n \n* * *\n\n( *1 ) Verfahrenssprache: Lettisch.\n\n
316,399
eugh-2014-10-16-c-60512
2
Europäischer Gerichtshof
eugh
Europäische Union
C-605/12
2014-10-16
2019-03-14 08:28:26
2019-03-14 08:28:26
Urteil
ECLI:EU:C:2014:2298
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)\n\n16. Oktober 2014 ( *1 )\n\n„Vorabentscheidungsersuchen -- Gemeinsames Mehrwertsteuersystem -- Richtlinie\n2006/112/EG -- Art. 44 -- Begriff der ‚festen Niederlassung\' des Empfangers\neiner Dienstleistung -- Ort, an dem die Dienstleistungen als an\nSteuerpflichtige erbracht gelten -- Innergemeinschaftlicher Umsatz"\n\nIn der Rechtssache C‑605/12\n\nbetreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom\nNaczelny Sąd Administracyjny (Polen) mit Entscheidung vom 25. Oktober 2012,\nbeim Gerichtshof eingegangen am 24. Dezember 2012, in dem Verfahren\n\nWelmory sp. z o.o.\n\ngegen\n\nDyrektor Izby Skarbowej w Gdańsku\n\nerlasst\n\nDER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)\n\nunter Mitwirkung des Kammerprasidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh,\nder Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund\n(Berichterstatter),\n\nGeneralanwaltin: J. Kokott,\n\nKanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,\n\naufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mundliche Verhandlung vom 6.\nMarz 2014\n\nunter Berucksichtigung der Erklarungen\n\n-- | der Welmory sp. z o.o., vertreten durch M. Gorazda, adwokat, \n---|--- \n-- | des Dyrektor Izby Skarbowej w Gdańsku, vertreten durch T. Tratkiewicz\nund J. Kaute als Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und A. Kramarczyk\nals Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der zyprischen Regierung, vertreten durch K. Kleanthous und E.\nSymeonidou als Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der Regierung des Vereinigten Konigreichs, vertreten durch L. Christie\nals Bevollmachtigten im Beistand von O. Thomas, Barrister, \n---|--- \n-- | der Europaischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann, L. Lozano\nPalacios und R. Lyal als Bevollmachtigte, \n---|--- \n \nnach Anhorung der Schlussantrage der Generalanwaltin in der Sitzung vom 15.\nMai 2014\n\nfolgendes\n\nUrteil\n\n1 | Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 44 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 uber das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ([ABl. L 347, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2006:347:TOC)) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 ([ABl. L 44, S. 11](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2008:044:TOC)) geanderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie). \n---|--- \n2 | Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Welmory sp. z o.o., die ihren Sitz in Polen hat (im Folgenden: polnische Gesellschaft), und dem Dyrektor Izby Skarbowej w Gdańsku (Direktor der Finanzverwaltung Gdańsk, im Folgenden: Dyrektor) wegen des Ortes der Erhebung der Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen, die diese Gesellschaft an eine andere Gesellschaft erbracht hat, die den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tatigkeit in einem anderen Mitgliedstaat hat. \n---|--- \n \nRechtlicher Rahmen\n\nUnionsrecht\n\n3 | Die Mehrwertsteuerrichtlinie hat gemaß ihrem Art. 411 und Art. 413 ab 1. Januar 2007 die Rechtsvorschriften der Europaischen Union auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, insbesondere die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten uber die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ([ABl. L 145, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1977:145:TOC), im Folgenden: Sechste Richtlinie), aufgehoben und ersetzt. Art. 9 („Dienstleistungen") Abs. 1 der Sechsten Richtlinie lautete wie folgt: „Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tatigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein ublicher Aufenthaltsort." \n---|--- \n4 | Bis zum 31. Dezember 2009 sah Art. 43 der Richtlinie 2006/112, der zu deren Kapitel 3 („Ort der Dienstleistung") gehorte, vor: „Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tatigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewohnlicher Aufenthaltsort." \n---|--- \n5 | Die Richtlinie 2008/8 hat mit Wirkung zum 1. Januar 2010 die Art. 43 bis 59 dieses Kapitels der Richtlinie 2006/112 ersetzt. \n---|--- \n6 | Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt: „Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tatigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tatigkeit gelegen ist, erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewohnliche Aufenthaltsort des steuerpflichtigen Dienstleistungsempfangers." \n---|--- \n7 | Im vierten Erwagungsgrund der ab 1. Juli 2011 geltenden Durchfuhrungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. Marz 2011 zur Festlegung von Durchfuhrungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112 ([ABl. L 77, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2011:077:TOC), im Folgenden: Durchfuhrungsverordnung) heißt es: „Das Ziel dieser Verordnung ist, die einheitliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems in seiner derzeitigen Form dadurch sicherzustellen, dass Vorschriften zur Durchfuhrung der Richtlinie 2006/112/EG erlassen werden, und zwar insbesondere in Bezug auf den Steuerpflichtigen, die Lieferung von Gegenstanden und die Erbringung von Dienstleistungen sowie den Ort der steuerbaren Umsatze …" \n---|--- \n8 | Im 14. Erwagungsgrund der Durchfuhrungsverordnung heißt es: „Um die einheitliche Anwendung der Regeln fur die Bestimmung des Ortes der steuerbaren Umsatze sicherzustellen, sollten der Begriff des Ortes, an dem ein Steuerpflichtiger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tatigkeit hat, und der Begriff der festen Niederlassung, des Wohnsitzes und des gewohnlichen Aufenthaltsortes klargestellt werden. Die Zugrundelegung moglichst klarer und objektiver Kriterien sollte die praktische Anwendung dieser Begriffe erleichtern, wobei der Rechtsprechung des Gerichtshofs [der Europaischen Union] Rechnung getragen werden sollte." \n---|--- \n9 | Art. 11 Abs. 1 der Durchfuhrungsverordnung lautet: „Fur die Anwendung des Artikels 44 der [Mehrwertsteuerrichtlinie] gilt als ‚feste Niederlassung\' jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tatigkeit …, die einen hinreichenden Grad an Bestandigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die fur den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden." \n---|--- \n \nPolnisches Recht\n\n10 | Auf das Ausgangsverfahren ist das Gesetz uber die Steuer auf Waren und Dienstleistungen (Ustawa o podatku od towarow i usług vom 11. Marz 2004, Dz. U. Nr. 54, Position 535) in seiner vom 1. Januar 2010 bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) anwendbar. \n---|--- \n11 | Art. 19 Abs. 1 und 4 des Mehrwertsteuergesetzes sieht vor: „(1) Die Steuerschuld entsteht zum Zeitpunkt der Übergabe des Gegenstands oder der Erbringung der Dienstleistung, vorbehaltlich der Abs. 2 bis 21 sowie des Art. 14 Abs. 6, des Art. 20 und des Art. 21 Abs. 1. … (4) Wenn die Lieferung eines Gegenstands oder die Erbringung einer Dienstleistung durch Rechnung bestatigt werden muss, entsteht die Steuerschuld zum Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung, spatestens jedoch am siebten Tag ab dem Tag der Übergabe des Gegenstands oder der Erbringung der Dienstleistung." \n---|--- \n12 | Art. 28b Abs. 1 und 2 dieses Gesetzes bestimmt: „(1) Als Ort der Dienstleistung im Fall der Erbringung von Dienstleistungen gilt fur den Steuerpflichtigen der Ort, an dem der steuerpflichtige Dienstleistungsempfanger den Sitz oder Wohnsitz hat, unter Vorbehalt der Abs. 2 bis 4 und der Art. 28e, 28f Abs. 1, 28g Abs. 1, 28i, 28j und 28n. (2) Werden diese Dienstleistungen jedoch an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tatigkeit gelegen ist, erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung." \n---|--- \n \nAusgangsverfahren und Vorlagefrage\n\n13 | Die Welmory LTD mit Sitz in Nikosia (Zypern, im Folgenden: die zyprische Gesellschaft) veranstaltet Auktionen auf einer Online-Verkaufsplattform. Dabei verkauft sie Lose von „Bids" (Gebote), d. h. Titeln, die dazu berechtigen, ein Gebot fur den Kauf eines versteigerten Produkts abzugeben und dabei einen hoheren Preis als den zuletzt gebotenen Preis zu bieten. \n---|--- \n14 | Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die zyprische Gesellschaft am 2. April 2009 einen Kooperationsvertrag mit der polnischen Gesellschaft schloss, mit dem sie sich dazu verpflichtete, der Letztgenannten eine Internet-Auktionsseite unter dem Domainnamen www.za10groszy.pl zur Verfugung zu stellen, wobei zu dieser Dienstleistung auch die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Pacht der fur den Betrieb der Website erforderlichen Server und mit dem Einstellen der versteigerten Produkte gehorte. Die polnische Gesellschaft verpflichtete sich in erster Linie dazu, uber diese Seite Produkte zu verkaufen. \n---|--- \n15 | Der Verkaufsvorgang lief wie folgt ab. Zunachst erwarb der Kunde von der zyprischen Gesellschaft eine Anzahl „Bids" auf der genannten Internet-Handelsplattform. Diese „Bids" gaben dem Kunden sodann das Recht, am Verkauf von Produkten teilzunehmen, die von der polnischen Gesellschaft auf derselben Website zur Auktion angeboten wurden, und ein Gebot fur den Erwerb eines dieser Produkte abzugeben. Im Unterschied zu herkommlichen Auktionen musste sich der Kunde, um zu uberbieten, nicht nur dazu verpflichten, einen hoheren Betrag als den zuletzt gebotenen zu bezahlen, sondern er musste hierzu „Bids"„einlosen". Schließlich wurde das Produkt dem Kunden zugeschlagen, der unter Verwendung seiner „Bids" den hochsten Preis geboten hatte. \n---|--- \n16 | Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich ferner, dass die Einnahmen der polnischen Gesellschaft zum einen aus dem im Rahmen der Internetauktionen erhaltenen Kaufpreis und zum anderen aus einer Vergutung bestanden, die sie von der zyprischen Gesellschaft erhielt und die einem Teil der Umsatze aus dem Verkauf der „Bids" entsprach, die von den Kunden in Polen genutzt wurden, um ein Auktionsgebot abzugeben. \n---|--- \n17 | Am 19. April 2010 erwarb die zyprische Gesellschaft 100 % des Gesellschaftskapitals der polnischen Gesellschaft. \n---|--- \n18 | Fur den vor diesem Erwerb liegenden Zeitraum zwischen Januar und April 2010 stellte die polnische Gesellschaft vier Rechnungen uber Dienstleistungen an die zyprische Gesellschaft (Werbung, Service, Informationsbeschaffung und Datenverarbeitung) aus. \n---|--- \n19 | Da sie der Auffassung war, dass diese Dienstleistungen am Gesellschaftssitz der zyprischen Gesellschaft erbracht worden waren und daher der Mehrwertsteuer in Zypern unterworfen sein mussten, wies die polnische Gesellschaft unter Hinweis darauf, dass diese Steuer durch den Empfanger dieser Dienstleistungen abzurechnen sei, keinen Mehrwertsteuerbetrag aus. \n---|--- \n20 | Der Dyrektor war jedoch der Auffassung, dass es sich um Dienstleistungen handele, die an eine feste Niederlassung der zyprischen Gesellschaft im polnischen Staatsgebiet erbracht worden seien. Diese Dienstleistungen seien folglich gemaß Art. 28b Abs. 2 des Mehrwertsteuergesetzes in Polen zu dem normalen Satz von 22 % zu besteuern. \n---|--- \n21 | Die polnische Gesellschaft erhob eine Klage auf Aufhebung dieser Entscheidung des Dyrektor vor dem Wojewodzki Sąd Administracyjny w Gdańsku (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Gdańsk) und machte dabei geltend, dass ein unabhangiger Wirtschaftsteilnehmer, der selbstandig eine wirtschaftliche Tatigkeit ausube und mehrwertsteuerpflichtig sei, nicht die feste Niederlassung eines anderen Steuerpflichtigen innehaben konne. \n---|--- \n22 | Der Wojewodzki Sąd Administracyjny w Gdańsku wies diese Klage vor allem unter Hinweis auf die Besonderheit der von der zyprischen Gesellschaft in Polen erbrachten Dienstleistungen ab. Er war der Auffassung, dass diese Gesellschaft, um uber eine feste Niederlassung im polnischen Hoheitsgebiet zu verfugen, weder eine feste sachliche und personelle Struktur im klassischen Sinne in Polen benotige noch unmittelbar in Polen gelegene Gebaude nutzen oder dort Arbeitnehmer beschaftigen musse. \n---|--- \n23 | Der Wojewodzki Sąd Administracyjny w Gdańsku war der Auffassung, dass die Tatigkeiten dieser beiden Gesellschaften eine unauflosbare okonomische Einheit darstellten und dass das Ziel ihrer gesamten Tatigkeit in Polen nur durch ihre Zusammenarbeit habe erreicht werden konnen. \n---|--- \n24 | Zur Begrundung seiner Entscheidung fuhrte der Wojewodzki Sąd Administracyjny w Gdańsku weiter aus, dass die zyprische Gesellschaft in Polen die technische und personelle Ausstattung der polnischen Gesellschaft nutze, so dass diese als feste Niederlassung der zyprischen Gesellschaft in Polen zu behandeln sei. Folglich seien die von der polnischen Gesellschaft an die zyprische Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen an die feste Niederlassung der zyprischen Gesellschaft in Polen erbracht worden und unterlagen damit der Besteuerung im Gebiet dieses Mitgliedstaats. \n---|--- \n25 | Die polnische Gesellschaft erhob gegen das Urteil des Wojewodzki Sąd Administracyjny w Gdańsku Kassationsbeschwerde vor dem Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof). \n---|--- \n26 | Im Hinblick auf die Besonderheit der bei ihm anhangigen Rechtssache ist das vorlegende Gericht im Zweifel daruber, ob Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin ausgelegt werden kann, dass sich der Ort der Besteuerung der Dienstleistungen in Polen befindet, wenn die Dienstleistungen von einer polnischen Gesellschaft an eine andere Gesellschaft mit Sitz in Zypern erbracht werden, wenn die beiden Gesellschaften kapitalmaßig voneinander unabhangig sind und wenn die zyprische Gesellschaft ihre wirtschaftliche Tatigkeit unter Verwendung der Infrastruktur der polnischen Gesellschaft ausubt. \n---|--- \n27 | Das vorlegende Gericht fuhrt aus, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff der festen Niederlassung Falle betreffe, die sich in rechtlicher und tatsachlicher Hinsicht von der Situation unterschieden, die in der bei ihm anhangigen Rechtssache in Rede stehe. \n---|--- \n28 | Diese Rechtssache betreffe eine Situation, in der die beiden Gesellschaften im maßgeblichen Zeitpunkt voneinander unabhangig gewesen seien. Außerdem betreffe die Rechtsprechung des Gerichtshofs den Fall, dass der Ort der festen Niederlassung im Hinblick auf den Dienstleistungserbringer definiert werde, und beziehe sich daruber hinaus auf Situationen, in denen die feste Niederlassung im Hinblick auf gegenuber einem Dritten, d. h. dem Endverbraucher, erbrachte Dienstleistungen bestimmt werde. \n---|--- \n29 | Unter diesen Voraussetzungen hat der Naczelny Sąd Administracyjny beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Ist fur die Besteuerung von Dienstleistungen, die durch eine Gesellschaft A mit Sitz in Polen an die Gesellschaft B mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europaischen Union erbracht werden, wenn die Gesellschaft B bei ihrer wirtschaftlichen Tatigkeit die Infrastruktur der Gesellschaft A nutzt, Sitz der „festen Niederlassung" im Sinne des Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie der Ort, an dem die Gesellschaft A ihren Sitz hat? \n---|--- \n \nZur Vorlagefrage\n\nVorbemerkungen\n\n30 | Mehrere Verfahrensbeteiligte haben geltend gemacht, dass es im Ausgangsrechtsstreit nicht um die Frage gehe, ob es sich bei den von der polnischen Gesellschaft an die zyprische Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen um Dienstleistungen handele, die an die feste Niederlassung der zyprischen Gesellschaft in Polen geleistet worden seien, sondern um die Frage, in welchem Land - Polen oder Zypern - die von der zyprischen Gesellschaft an Kunden in Polen verkauften „Bids" der Mehrwertsteuer zu unterwerfen seien. \n---|--- \n31 | Die polnische Regierung macht daruber hinaus geltend, dass die Steuerbemessungsgrundlage der von der polnischen Gesellschaft in den Auktionen auf der Internet-Handelsplattform der zyprischen Gesellschaft verkauften Waren moglicherweise nicht zutreffend angesetzt worden sei. Es stelle sich die Frage, ob sich nicht in Einklang mit Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Steuerbemessungsgrundlage, die die polnische Gesellschaft hatte angeben mussen, zum einen aus dem Preis der in den Auktionen verkauften Waren und zum anderen aus den von der zyprischen Gesellschaft erlangten Vergutungen, die einem Teil der Einkunfte aus dem Verkauf der von den Kunden in Polen bei den Auktionen verwendeten „Bids" entsprachen, zusammensetzen musste. \n---|--- \n32 | Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Gegenstand der Vorlagefrage im Wesentlichen der Ort der Besteuerung der von der polnischen Gesellschaft an die zyprische Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen ist. Die Vorlagefrage betrifft damit die Auslegung von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie und nicht den Ort der Besteuerung der „Bids" oder die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage der von der polnischen Gesellschaft in den Auktionen verkauften Waren. \n---|--- \n33 | Nach standiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen diesem und den nationalen Gerichten nach Art. 267 AEUV allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fallt, im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhangigen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Damit haben auch nur die innerstaatlichen Gerichte zu bestimmen, welche Fragen dem Gerichtshof vorzulegen sind; die Parteien konnen die Fragen inhaltlich nicht andern (vgl. u. a. Urteil Danske Svineproducenter, C‑316/10, [EU:C:2011:863](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A863&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 32 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n34 | Außerdem ware eine Änderung des Gehalts von Vorabentscheidungsfragen oder eine Beantwortung der von den Parteien genannten Zusatzfragen unvereinbar mit der Verpflichtung des Gerichtshofs, sicherzustellen, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten und die Verfahrensbeteiligten die Moglichkeit haben, gemaß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europaischen Union Erklarungen abzugeben, denn den Verfahrensbeteiligten werden nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Danske Svineproducenter, [EU:C:2011:863](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A863&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 33 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n35 | In der vorliegenden Rechtssache ist somit allein auf die von dem vorlegenden Gericht gestellte Frage zu antworten, die auf die Bestimmung des Ortes der Besteuerung der Dienstleistungen abzielt, die von der polnischen Gesellschaft an die zyprische Gesellschaft erbracht worden sind. \n---|--- \n \nAntwort des Gerichtshofs\n\n36 | Mit seiner Frage mochte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, unter welchen Voraussetzungen ein erster Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tatigkeit in einem Mitgliedstaat hat und der Dienstleistungen empfangt, die von einem zweiten, in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen erbracht werden, im Hinblick auf die Bestimmung des Ortes der Besteuerung dieser Dienstleistungen in diesem anderen Mitgliedstaat uber eine „feste Niederlassung" im Sinne von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie verfugt. \n---|--- \n37 | Die Mehrwertsteuerrichtlinie enthalt ebenso wie die durch sie ersetzte Sechste Richtlinie einen Titel V, der den Ort der steuerbaren Umsatze zum Gegenstand hat. Innerhalb dieses Titels betrifft Kapitel 3 den Ort von Dienstleistungen und enthalten die Abschnitte 2 und 3 dieses Kapitels die allgemeinen Regeln fur die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung sowie besondere Bestimmungen fur spezielle Dienstleistungen. \n---|--- \n38 | Wie zuvor Art. 9 der Sechsten Richtlinie enthalten die Art. 44 bis 59b der Mehrwertsteuerrichtlinie Regeln, die den Ort der steuerlichen Anknupfung bestimmen. So sehen, ebenso wie in Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie allgemeine Regeln hierzu festgelegt waren, auch die Art. 44 und 45 der Mehrwertsteuerrichtlinie solche allgemeinen Regeln vor. Ebenso wie Art. 9 Abs. 2 und 3 der Sechsten Richtlinie sehen ferner die Art. 46 bis 59b der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Reihe von speziellen Anknupfungsregeln vor. \n---|--- \n39 | Jedoch geht es im Ausgangsrechtsstreit um die Auslegung von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie, wonach bei der Bestimmung des Ortes einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen nicht mehr auf den steuerpflichtigen Dienstleistungserbringer, sondern auf den steuerpflichtigen Empfanger der Dienstleistung abgestellt wird. \n---|--- \n40 | Daher stellt sich die Frage, ob die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie angesichts der durch Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingefuhrten Änderungen auf diesem Gebiet weiterhin einschlagig ist. \n---|--- \n41 | Insoweit ist daran zu erinnern, dass bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berucksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehort, verfolgt werden (Urteil ADV Allround, C‑218/10, [EU:C:2012:35](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A35&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 26 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n42 | Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs sollen mit den Regeln uber die Bestimmung des Ortes, an den bei Dienstleistungen steuerlich anzuknupfen ist, einerseits Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung fuhren konnten, und andererseits die Nichtbesteuerung von Einnahmen verhindert werden (vgl. in diesem Sinne Urteil ADV Allround, [EU:C:2012:35](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A35&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 27 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n43 | Es ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie dem von Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie ahnlich ist. Zudem handelt es sich sowohl bei Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie als auch bei Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie um Vorschriften, die den Ort der steuerlichen Anknupfung bei Dienstleistungen bestimmen und dasselbe Ziel verfolgen, so dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie mit den notigen Abanderungen grundsatzlich auf die Auslegung von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie ubertragen werden kann. \n---|--- \n44 | Diese Überlegung wird durch die Durchfuhrungsverordnung gestutzt, deren Ziel es gemaß ihrem vierten Erwagungsgrund ist, eine einheitlichere Anwendung des Mehrwertsteuersystems durch eine Anpassung der Vorschriften zur Durchfuhrung der Mehrwertsteuerrichtlinie insbesondere in Bezug auf den Steuerpflichtigen, die Lieferung von Gegenstanden und die Erbringung von Dienstleistungen sowie den Ort der steuerbaren Umsatze sicherzustellen. \n---|--- \n45 | Aus dem 14. Erwagungsgrund dieser Verordnung geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber bestimmte Begriffe, die fur die Festlegung der fur den Ort der steuerbaren Umsatze maßgeblichen Kriterien erforderlich sind, klarstellen und dabei der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf diesem Gebiet Rechnung tragen wollte. \n---|--- \n46 | Insoweit ist diese Verordnung, auch wenn sie zu dem im Ausgangsverfahren fraglichen Zeitraum noch nicht in Kraft war, zu berucksichtigen. \n---|--- \n47 | Folglich sind fur die Beantwortung der von dem vorlegenden Gericht gestellten Frage sowohl die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie als auch die Durchfuhrungsverordnung heranzuziehen. \n---|--- \n48 | Die Frage, die sich im Zusammenhang des Ausgangsverfahrens stellt, ist die der Bestimmung des Ortes der von der polnischen Gesellschaft an die zyprische Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen. Dabei zielt diese Frage speziell auf die Definition der Kriterien ab, anhand deren festzustellen ist, ob die zyprische Gesellschaft uber eine feste Niederlassung in Polen verfugt. \n---|--- \n49 | Gemaß Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt als Ort der an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, erbrachten Dienstleistungen der Ort, an dem der Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tatigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tatigkeit gelegen ist, erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewohnliche Aufenthaltsort des steuerpflichtigen Dienstleistungsempfangers. \n---|--- \n50 | In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es sich, wie aus Rn. 42 des vorliegenden Urteils hervorgeht, bei einer Vorschrift wie Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie um eine Regel handelt, die den Ort der Besteuerung von Dienstleistungen bestimmt, indem sie den Ort der steuerlichen Anknupfung festlegt und damit die Befugnisse der Mitgliedstaaten begrenzt. \n---|--- \n51 | Zu diesem Zweck soll mit dieser Vorschrift eine steuerlich sinnvolle Abgrenzung der jeweiligen Anwendungsbereiche der nationalen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer vorgenommen werden, indem in einheitlicher Art und Weise der Ort der steuerlichen Anknupfung bei Dienstleistungen bestimmt wird. \n---|--- \n52 | Daher ist erstens der vorrangige Anknupfungspunkt fur die Feststellung des Ortes der Dienstleistung zu bestimmen und sind zweitens die Kriterien zu konkretisieren, die erfullt sein mussen, damit angenommen werden kann, dass ein steuerpflichtiger Dienstleistungsempfanger wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, der seinen Sitz in einem Mitgliedstaat hat, uber eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat als dem seines Sitzes verfugt. \n---|--- \n \nDer vorrangige Anknupfungspunkt\n\n53 | Nach standiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 9 der Sechsten Richtlinie ist der zweckdienlichste und damit der vorrangige Anknupfungspunkt fur die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung aus steuerlicher Sicht der Ort, an dem der Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tatigkeit hat. Die Berucksichtigung einer anderen Niederlassung ist nur dann von Interesse, wenn die Anknupfung an den Sitz nicht zu einer steuerlich sinnvollen Losung fuhrt oder wenn sie einen Konflikt mit einem anderen Mitgliedstaat zur Folge hat (vgl. u. a. Urteile Berkholz, 168/84, [EU:C:1985:299](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1985%3A299&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 17, Faaborg-Gelting Linien, C‑231/94, [EU:C:1996:184](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1996%3A184&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 16, sowie ARO Lease, C‑190/95, [EU:C:1997:374](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1997%3A374&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 15). \n---|--- \n54 | Diese Auslegung gilt auch im Rahmen des Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie. \n---|--- \n55 | Wie zur Zeit der Geltung der Sechsten Richtlinie erscheint namlich der Sitz der wirtschaftlichen Tatigkeit als Anknupfungspunkt als ein objektives, einfaches und praktisches Kriterium, das eine große Rechtssicherheit bietet, da es sich leichter uberprufen lasst als beispielsweise das Bestehen einer festen Niederlassung. Außerdem ermoglicht es die Vermutung, dass Dienstleistungen an dem Ort erbracht werden, an dem der steuerpflichtige Empfanger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tatigkeit hat, sowohl den zustandigen Behorden der Mitgliedstaaten als auch den Dienstleistungserbringern, komplizierte Nachforschungen zur Bestimmung des steuerlichen Anknupfungspunkts zu vermeiden. \n---|--- \n56 | Überdies wird der Sitz der wirtschaftlichen Tatigkeit im ersten Satz von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie erwahnt, wahrend die feste Niederlassung erst im nachsten Satz Erwahnung findet. Dieser Satz, der das Adverb „jedoch" enthalt, kann nur so aufgefasst werden, dass er eine Ausnahme von der im vorangegangenen Satz aufgestellten allgemeinen Regel vorsieht. \n---|--- \n \nDer Begriff der festen Niederlassung\n\n57 | Wie bereits in Rn. 39 des vorliegenden Urteils ausgefuhrt, wird im Rahmen von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie fur die Bestimmung des Ortes einer Dienstleistung nicht langer auf den steuerpflichtigen Dienstleistungserbringer, sondern auf den steuerpflichtigen Empfanger der Dienstleistung abgestellt. Der Begriff der festen Niederlassung ist somit in Bezug auf den steuerpflichtigen Dienstleistungsempfanger zu bestimmen. \n---|--- \n58 | Der einschlagigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. u. a. Urteil Planzer Luxembourg, C‑73/06, [EU:C:2007:397](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A397&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 54 und die dort angefuhrte Rechtsprechung), die im Wortlaut des Art. 11 der Durchfuhrungsverordnung unmittelbar Ausdruck gefunden hat, ist zu entnehmen, dass eine feste Niederlassung einen hinreichenden Grad an Bestandigkeit sowie eine Struktur aufweisen muss, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die fur den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden. \n---|--- \n59 | Somit muss die zyprische Gesellschaft, damit unter den im Ausgangsverfahren vorliegenden Umstanden festgestellt werden kann, dass sie uber eine feste Niederlassung im Sinne von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie verfugt, in Polen zumindest eine Struktur mit einem hinreichenden Grad an Bestandigkeit aufweisen, die ihrer personellen und technischen Ausstattung nach in der Lage ist, Dienstleistungen, die von der polnischen Gesellschaft an sie erbracht werden, in Polen fur ihre wirtschaftliche Tatigkeit, d. h. den Betrieb des in Rede stehenden elektronischen Auktionssystems sowie die Ausgabe und den Verkauf der „Bids", zu empfangen und zu verwenden. \n---|--- \n60 | Dabei ist nicht der Umstand entscheidend, dass eine wirtschaftliche Tatigkeit wie die von der zyprischen Gesellschaft ausgeubte und im Ausgangsverfahren streitige Tatigkeit des Betriebs eines elektronischen Auktionssystems, in dessen Rahmen zum einen der polnischen Gesellschaft eine Internet-Auktionsseite zur Verfugung gestellt wird und zum anderen an die Kunden in Polen „Bids" ausgegeben und verkauft werden, ausgeubt werden kann, ohne dass eine tatsachliche personelle und sachliche Struktur in Polen erforderlich ware. Trotz ihres besonderen Charakters erfordert eine solche wirtschaftliche Tatigkeit zumindest eine geeignete Struktur namentlich im Hinblick auf ihre personelle und technische Ausstattung, wie beispielsweise eine Computerausstattung, Server und entsprechende Computerprogramme. \n---|--- \n61 | In ihren schriftlichen Erklarungen und in der mundlichen Verhandlung hat die polnische Gesellschaft geltend gemacht, dass die Infrastruktur, die sie der zyprischen Gesellschaft zur Verfugung stelle, es dieser nicht erlaube, die von der polnischen Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen fur ihre wirtschaftliche Tatigkeit zu empfangen und zu verwenden. Die personelle und technische Ausstattung fur die von der zyprischen Gesellschaft ausgeubte wirtschaftliche Tatigkeit, wie beispielsweise Server, Software, IT‑Dienste sowie das System zum Abschluss von Vertragen mit den Verbrauchern und zum Empfang von deren Zahlungen, befanden sich außerhalb des polnischen Hoheitsgebiets. Diese tatsachlichen Umstande seien im Rahmen des Ausgangsverfahrens nicht gepruft worden. \n---|--- \n62 | Es fallt jedoch in die ausschließliche Zustandigkeit des nationalen Richters, solche Gesichtspunkte zu prufen, um zu beurteilen, ob die zyprische Gesellschaft in Polen uber die erforderliche personelle und technische Ausstattung verfugt, um die von der polnischen Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen fur den Betrieb und die Pflege der Internet-Auktionsseite sowie die Ausgabe und Vermarktung der „Bids" zu empfangen und zu verwenden. \n---|--- \n63 | Sollten sich die von der polnischen Gesellschaft behaupteten tatsachlichen Umstande als zutreffend herausstellen, hatte das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die zyprische Gesellschaft nicht uber eine feste Niederlassung in Polen verfugt, da sie nicht die erforderliche Infrastruktur hat, um die von der polnischen Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen fur ihre wirtschaftliche Tatigkeit zu empfangen und zu verwenden. \n---|--- \n64 | Der Umstand, dass die wirtschaftlichen Tatigkeiten der beiden durch einen Kooperationsvertrag verbundenen Gesellschaften eine okonomische Einheit darstellen und dass ihre Ergebnisse im Wesentlichen Verbrauchern in Polen zugute kommen, ist fur die Beurteilung der Frage, ob die zyprische Gesellschaft uber eine feste Niederlassung in Polen verfugt, ohne Belang. Wie die polnische Gesellschaft, die zyprische Regierung und die Europaische Kommission zu Recht hervorgehoben haben, ist namlich zwischen den Dienstleistungen, die von der polnischen Gesellschaft an die zyprische Gesellschaft erbracht werden, und denen, die von der zyprischen Gesellschaft an die Verbraucher in Polen erbracht werden, zu unterscheiden. Es handelt sich um verschiedene Dienstleistungen, die unterschiedlichen Mehrwertsteuerregelungen unterliegen. \n---|--- \n65 | Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass ein erster Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tatigkeit in einem Mitgliedstaat hat und der Dienstleistungen empfangt, die von einem zweiten, in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen erbracht werden, im Hinblick auf die Bestimmung des Ortes der Besteuerung dieser Dienstleistungen in diesem anderen Mitgliedstaat uber eine „feste Niederlassung" im Sinne von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie verfugt, wenn diese Niederlassung einen hinreichenden Grad an Bestandigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es von der personellen und technischen Ausstattung her ermoglicht, Dienstleistungen fur ihre wirtschaftliche Tatigkeit zu empfangen und zu verwenden. Ob dies der Fall ist, ist von dem vorlegenden Gericht festzustellen. \n---|--- \n \nKosten\n\n66 | Fur die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhangigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter fur die Abgabe von Erklarungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfahig. \n---|--- \n| Aus diesen Grunden hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) fur Recht erkannt: \n---|--- \n| Ein erster Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen\nTatigkeit in einem Mitgliedstaat hat und der Dienstleistungen empfangt, die\nvon einem zweiten, in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen\nSteuerpflichtigen erbracht werden, verfugt im Hinblick auf die Bestimmung des\nOrtes der Besteuerung dieser Dienstleistungen in diesem anderen Mitgliedstaat\nuber eine „feste Niederlassung" im Sinne von Art. 44 der Richtlinie\n2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 uber das gemeinsame\nMehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12.\nFebruar 2008 geanderten Fassung, wenn diese Niederlassung einen hinreichenden\nGrad an Bestandigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es von der personellen\nund technischen Ausstattung her ermoglicht, Dienstleistungen fur ihre\nwirtschaftliche Tatigkeit zu empfangen und zu verwenden. Ob dies der Fall ist,\nist von dem vorlegenden Gericht festzustellen. \n---|--- \n| Unterschriften \n---|--- \n \n* * *\n\n( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.\n\n
316,425
eugh-2014-10-09-c-42813
2
Europäischer Gerichtshof
eugh
Europäische Union
C-428/13
2014-10-09
2019-03-14 08:28:48
2019-03-14 08:28:48
Urteil
ECLI:EU:C:2014:2263
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Funfte Kammer)\n\n9. Oktober 2014 ( *1 )\n\n„Vorlage zur Vorabentscheidung -- Steuerliche Vorschriften -- Harmonisierung\nder Rechtsvorschriften -- Richtlinien 95/59/EG und 2011/64/EU -- Struktur und\nSatz der fur Tabakwaren geltenden Verbrauchsteuern -- Bestimmung einer\nVerbrauchsteuer -- Grundsatz der Einfuhrung eines Verbrauchsteuersatzes fur\nalle Zigaretten -- Moglichkeit fur die Mitgliedstaaten, einen Mindestbetrag\nder Verbrauchsteuer festzulegen -- Zigaretten der niedrigsten Preisklasse --\nNationale Regelung -- Spezielle Kategorie von Zigaretten -- Festlegung der\nVerbrauchsteuer auf 115 %"\n\nIn der Rechtssache C‑428/13\n\nbetreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom\nConsiglio di Stato (Italien) mit Entscheidung vom 17. Juli 2013, beim\nGerichtshof eingegangen am 26. Juli 2013, in dem Verfahren\n\nMinistero dell\'Economia e delle Finanze,\n\nAmministrazione Autonoma dei Monopoli di Stato (AAMS)\n\ngegen\n\nYesmoke Tobacco SpA\n\nerlasst\n\nDER GERICHTSHOF (Funfte Kammer)\n\nunter Mitwirkung des Kammerprasidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie\nder Richter C. Vajda, A. Rosas, E. Juhasz und D. Švaby,\n\nGeneralanwalt: M. Szpunar,\n\nKanzler: A. Calot Escobar,\n\naufgrund des schriftlichen Verfahrens,\n\nunter Berucksichtigung der Erklarungen\n\n-- | der Yesmoke Tobacco SpA, vertreten durch G. Contaldi, avvocato, \n---|--- \n-- | der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als\nBevollmachtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato, \n---|--- \n-- | der spanischen Regierung, vertreten durch J. Garcia-Valdecasas Dorrego\nals Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der franzosischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F. Gloaguen\nals Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M.\nRebelo und J. Colaço als Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der Europaischen Kommission, vertreten durch A. Cordewener und D.\nRecchia als Bevollmachtigte, \n---|--- \n \naufgrund des nach Anhorung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne\nSchlussantrage uber die Rechtssache zu entscheiden,\n\nfolgendes\n\nUrteil\n\n1 | Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juni 2011 uber die Struktur und die Satze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren ([ABl. L 176, S. 24](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2011:176:TOC)). \n---|--- \n2 | Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ministero dell\'Economia e delle Finanze (Ministerium fur Wirtschaft und Finanzen) und der Amministrazione Autonoma dei Monopoli di Stato (Autonome Verwaltung der Staatsmonopole, im Folgenden: AAMS) einerseits und der Yesmoke Tobacco SpA andererseits wegen der Entscheidung des Generaldirektors der AAMS vom 11. Januar 2012 mit dem Titel „Ripartizione dei Prezzi delle sigarette - Tabella A" (Verteilung der Preise fur Zigaretten - Tabelle A) (GURI Nr. 16 vom 20. Januar 2012, im Folgenden: streitige Entscheidung), mit der eine Mindestverbrauchsteuer eingefuhrt wurde, die nur fur Zigaretten mit einem Kleinverkaufspreis gilt, der niedriger ist als bei Zigaretten der gangigsten Preisklasse. \n---|--- \n \nRechtlicher Rahmen\n\nUnionsrecht\n\nRichtlinie 95/59\n\n3 | Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 95/59/EG des Rates vom 27. November 1995 uber die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer ([ABl. L 291, S. 40](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1995:291:TOC)) in der durch die Richtlinie 2010/12/EU des Rates vom 16. Februar 2010 ([ABl. L 50, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2010:050:TOC)) geanderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 95/59) bestimmt: „Der Satz der proportionalen Verbrauchsteuer und der Betrag der spezifischen Verbrauchsteuer mussen fur alle Zigaretten gleich sein." \n---|--- \n4 | Art. 16 Abs. 7 der Richtlinie 95/59 sieht vor: „Vorbehaltlich der Absatze 3, 4, 5 und 6 konnen die Mitgliedstaaten auf Zigaretten eine Mindestverbrauchsteuer erheben." \n---|--- \n \nRichtlinie 2011/64\n\n5 | Die Erwagungsgrunde 2, 3, 9, 14 und 16 der Richtlinie 2011/64 lauten: | „(2) | Die Steuervorschriften der Union fur Tabakwaren sollten das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und gleichzeitig ein hohes Gesundheitsschutzniveau gemaß Artikel 168 des Vertrags uber die Arbeitsweise der Europaischen Union gewahrleisten und zwar unter Berucksichtigung der Tatsache, dass Tabakwaren schwere gesundheitliche Schaden verursachen konnen und dass die Union dem Rahmenubereinkommen der Weltgesundheitsorganisation zur Eindammung des Tabakkonsums beigetreten ist. Rechnung getragen werden sollte der jeweiligen Situation bei den einzelnen Tabakwaren. \n---|--- \n(3) | Eines der Ziele des Vertrags uber die Europaische Union ist es, eine Wirtschaftsunion, die einem innerstaatlichen Markt ahnlich ist und in der gesunder Wettbewerb herrscht, aufrechtzuerhalten. Im Bereich der Tabakwaren setzt dies voraus, dass die in den Mitgliedstaaten auf die Erzeugnisse dieses Sektors erhobenen Verbrauchsteuern die Wettbewerbsbedingungen nicht verfalschen und den freien Verkehr dieser Erzeugnisse in der Union nicht behindern. \n---|--- \n \n…\n\n(9) | Die Harmonisierung der Strukturen der Verbrauchsteuern muss insbesondere dazu fuhren, dass der Wettbewerb zwischen den einer gleichen Gruppe angehorenden Kategorien von Tabakwaren durch die Folgen der Besteuerung nicht verfalscht wird und dass es zur Öffnung der nationalen Markte der Mitgliedstaaten kommt. \n---|--- \n \n…\n\n(14) | Fur Zigaretten sollte[n] fur Hersteller ein neutrales Wettbewerbsumfeld gewahrleistet, die Aufteilung der Tabakmarkte abgebaut und die gesundheitspolitischen Ziele hervorgehoben werden. Daher sollte eine preisbezogene Mindestbesteuerung an den gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreis anknupfen, wohingegen ein Mindeststeuerbetrag fur alle Zigaretten gelten sollte. Aus denselben Grunden sollte der gewichtete durchschnittliche Kleinverkaufspreis auch als Bezugsgroße fur die Ermittlung des Anteils der spezifischen Verbrauchsteuer an der gesamten Steuerbelastung dienen. \n---|--- \n \n…\n\n(16) | Eine solche Annaherung wurde außerdem dazu beitragen, ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen. Die Hohe der Steuern ist ein wichtiger Faktor fur den Preis von Tabakwaren, und dieser hat wiederum Auswirkungen auf die Rauchgewohnheiten der Verbraucher. Betrug und Schmuggel unterlaufen steuerlich bedingte Preisniveaus insbesondere von Zigaretten und Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten und gefahrden somit das Ziel der Eindammung des Tabakkonsums bzw. des Gesundheitsschutzes." \n---|--- \n6 | Art. 1 der Richtlinie 2011/64 sieht vor: „Die vorliegende Richtlinie bestimmt allgemeine Grundsatze fur die Harmonisierung der Struktur und der Satze der Verbrauchsteuern, denen die Tabakwaren in den Mitgliedstaaten unterliegen." \n---|--- \n7 | Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/64 lautet: „(1) In der Union hergestellte Zigaretten und aus Drittlandern eingefuhrte Zigaretten unterliegen in jedem Mitgliedstaat einer nach dem Kleinverkaufshochstpreis einschließlich Zolle berechneten Ad-Valorem-Verbrauchsteuer sowie einer nach Erzeugniseinheit berechneten spezifischen Verbrauchsteuer. Abweichend von Unterabsatz 1 konnen Mitgliedstaaten die Zolle von der Bemessungsgrundlage fur die Ad-Valorem-Verbrauchsteuer auf Zigaretten ausschließen. (2) Der Satz der Ad-Valorem-Verbrauchsteuer und der Betrag der spezifischen Verbrauchsteuer mussen fur alle Zigaretten gleich sein." \n---|--- \n8 | Art. 8 Abs. 3 bis 6 der Richtlinie 2011/64 sieht vor: „(3) Bis zum 31. Dezember 2013 darf der spezifische Teilbetrag der Verbrauchsteuer weder niedriger als 5 % noch hoher als 76,5 % der Gesamtsteuerlast sein, die sich zusammensetzt aus: | a) | der spezifischen Verbrauchsteuer, \n---|--- \nb) | der Ad-Valorem-Verbrauchsteuer und der Mehrwertsteuer (MwSt.) auf den gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreis. \n---|--- \n \n(4) Ab dem 1. Januar 2014 darf der spezifische Teilbetrag der Verbrauchsteuer\nauf Zigaretten weder niedriger als 7,5 % noch hoher als 76,5 % der\nGesamtsteuerlast sein, die sich zusammensetzt aus:\n\na) | der spezifischen Verbrauchsteuer, \n---|--- \nb) | der Ad-Valorem-Verbrauchsteuer und der MwSt. auf den gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreis. \n---|--- \n \n(5) Sinkt der als Prozentsatz der gesamten Steuerbelastung ausgedruckte\nspezifische Teilbetrag der Verbrauchsteuer infolge einer Änderung des\ngewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises fur Zigaretten in einem\nMitgliedstaat unter 5 % bzw. 7,5 % - je nachdem, welcher Prozentsatz Anwendung\nfindet - der Gesamtsteuerlast oder steigt er uber 76,5 % der Gesamtsteuerlast,\nso kann der betreffende Mitgliedstaat in Abweichung von den Absatzen 3 und 4\ndie Anpassung des Betrags der spezifischen Verbrauchsteuer langstens bis zum\n1. Januar des zweiten auf das Jahr der Änderung folgenden Jahres verschieben.\n\n(6) Vorbehaltlich der Absatze 3, 4 und 5 des vorliegenden Artikels sowie\nArtikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 konnen die Mitgliedstaaten auf Zigaretten\neine Mindestverbrauchsteuer erheben." \n \n9 | Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2011/64 bestimmt: „Die als Prozentsatz, in Form eines bestimmten Betrags je kg oder je Stuckzahl ausgedruckte globale Verbrauchsteuer (spezifische Verbrauchsteuer und/oder Ad-Valorem-Verbrauchsteuer ohne Mehrwertsteuer) betragt mindestens soviel wie die Satze oder Mindestbetrage fur: | a) | Zigarren und Zigarillos: 5 % des Kleinverkaufspreises einschließlich samtlicher Steuern oder 12 EUR je 1000 Stuck oder je kg; \n---|--- \nb) | Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten: 40 % des gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises fur Feinschnitttabak fur selbstgedrehte in den steuerrechtlich freien Verkehr uberfuhrte Zigaretten oder 40 EUR je kg; \n---|--- \nc) | anderen Rauchtabak: 20 % des Kleinverkaufspreises einschließlich samtlicher Steuern oder 22 EUR je kg. Ab 1. Januar 2013 betragt die globale Verbrauchsteuer auf Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten mindestens 43 % des gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises von in den steuerrechtlich freien Verkehr uberfuhrtem Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten oder mindestens 47 EUR je kg. Ab 1. Januar 2015 betragt die globale Verbrauchsteuer auf Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten mindestens 46 % des gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises von in den steuerrechtlich freien Verkehr uberfuhrtem Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten oder mindestens 54 EUR je kg. Ab 1. Januar 2018 betragt die globale Verbrauchsteuer auf Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten mindestens 48 % des gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises von in den steuerrechtlich freien Verkehr uberfuhrtem Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten oder mindestens 60 EUR je kg. Ab 1. Januar 2020 betragt die globale Verbrauchsteuer auf Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten mindestens 50 % des gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises von in den steuerrechtlich freien Verkehr uberfuhrtem Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten oder mindestens 60 EUR je kg. Der gewichtete durchschnittliche Kleinverkaufspreis wird unter Bezugnahme auf den Gesamtwert des in den steuerrechtlich freien Verkehr uberfuhrten Feinschnitttabaks fur selbstgedrehte Zigaretten auf der Grundlage des Kleinverkaufspreises einschließlich samtlicher Steuern, geteilt durch die Gesamtmenge des in den steuerrechtlich freien Verkehr uberfuhrten Feinschnitttabaks fur selbstgedrehte Zigaretten, berechnet. Er wird spatestens am 1. Marz jedes Jahres anhand der Daten zu allen im vorangegangenen Kalenderjahr in den steuerrechtlich freien Verkehr uberfuhrten Mengen an Feinschnitttabak fur selbstgedrehte Zigaretten ermittelt." \n---|--- \n10 | Art. 21 der Richtlinie 2011/64 sieht vor: „Die Richtlinien 92/79/EWG, 92/80/EWG und [95/59] in der Fassung der in Anhang I Teil A aufgefuhrten Richtlinien werden unbeschadet der Verpflichtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang I Teil B genannten Fristen fur die Umsetzung in innerstaatliches Recht und fur die Anwendung aufgehoben. Bezugnahmen auf die aufgehobenen Richtlinien gelten als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang II zu lesen." \n---|--- \n11 | Nach Art. 22 der Richtlinie 2011/64 trat diese am 1. Januar 2011 in Kraft. \n---|--- \n \nItalienisches Recht\n\n12 | Art. 39-quinquies („Tabellen zur Verteilung der Kleinverkaufspreise") des Decreto legislativo Nr. 504 vom 26. Oktober 1995 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 279 vom 29. November 1995), geandert durch Art. 55 Abs. 2-bis Buchst. c des Gesetzes Nr. 122 vom 30. Juli 2010 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 176 vom 30. Juli 2010) (im Folgenden: Decreto legislativo), bestimmt: „(1) Die Tabellen zur Verteilung der Kleinverkaufspreise fur Tabakwaren werden durch Anordnung des Direktors der [AAMS] festgelegt, die im Amtsblatt der Italienischen Republik veroffentlicht wird. Die Verkaufspreise fur die unter Art. 39-bis Abs. 1 Buchst. a und b fallenden Erzeugnisse werden unter Bezugnahme auf das ubereinkunftsgemaße Kilogramm festgelegt, das jeweils entspricht: | a) | 200 Zigarren; \n---|--- \nb) | 400 Zigarillos; \n---|--- \nc) | 1000 Zigaretten. \n---|--- \n \n(2) Fur Zigaretten werden die in Abs. 1 genannten Tabellen unter Heranziehung\nder Zigaretten der gangigsten Preisklasse erstellt, die alle drei Monate\nanhand der zum ersten Tag eines jeden Kalenderquartals erhobenen Daten und,\nwas die Bestimmung des spezifischen Teilbetrags der Verbrauchsteuer betrifft,\nanhand des [gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises je\nubereinkunftsgemaßem Kilogramm Zigaretten] im Sinne von Abs. 2-bis bestimmt\nwird.\n\n(2-bis) Bis zum 1. Marz eines jeden Kalenderjahres bestimmt die [AAMS] fur die\nunter Art. 39-bis Abs. 1 Buchst. b fallenden Zigaretten den gewichteten\ndurchschnittlichen Kleinverkaufspreis je ubereinkunftsgemaßem Kilogramm\nZigaretten …, der dem Verhaltnis - ausgedruckt in Euro ohne Dezimalstellen -\nzwischen dem Gesamtwert, berechnet unter Heranziehung des Kleinverkaufspreises\neinschließlich samtlicher Steuern der im abgelaufenen Kalenderjahr in den\nsteuerrechtlich freien Verkehr uberfuhrten Zigaretten, und der Gesamtmenge\ndieser Zigaretten entspricht." \n \n13 | Art. 39-octies („Basissteuersatz und Berechnung der fur Tabakwaren geltenden Verbrauchsteuer") des Decreto legislativo bestimmt in den Abs. 3 und 4: „(3) Fur die Zigaretten der im Einklang mit Art. 39-quinquies Abs. 2 bestimmten gangigsten Preisklasse wird die Verbrauchsteuer unter Anwendung des entsprechenden Basissteuersatzes auf den Kleinverkaufspreis berechnet. Dieser Betrag stellt den Grundbetrag dar. (4) Der Grundbetrag nach Abs. 3 stellt in Hohe von 115 % die geschuldete Verbrauchsteuer auf Zigaretten dar, deren Kleinverkaufspreis niedriger ist als bei Zigaretten der gangigsten Preisklasse im Sinne von Art. 39-quinquies Abs. 2." \n---|--- \n \nAusgangsverfahren und Vorlagefrage\n\n14 | Mit der streitigen Entscheidung legte der Generaldirektor der AAMS die Mindestverbrauchsteuer fur Zigaretten, deren Kleinverkaufspreis niedriger ist als bei Zigaretten der gangigsten Preisklasse gemaß Art. 39-octies Abs. 4 des Decreto legislativo auf 115 % des Grundbetrags fest. \n---|--- \n15 | Die Yesmoke Tobacco SpA, eine Gesellschaft, die Zigaretten zu einem niedrigeren Preis als dem der gangigsten Preisklasse herstellt und vertreibt, focht die streitige Entscheidung vor dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) an, wobei sie geltend machte, dass diese Maßnahme die gleiche Wirkung wie die Festsetzung eines Mindestverkaufspreises fur Zigaretten habe. \n---|--- \n16 | Mit Urteil vom 5. April 2012 erklarte das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio die streitige Entscheidung fur nichtig, nachdem es die Anwendbarkeit von Art. 39-octies des Decreto legislativo verneint hatte. Es stellte fest, dass mit dieser Entscheidung de facto ein Mindestverkaufspreis fur Tabakwaren eingefuhrt worden sei, was im Widerspruch zu dem Urteil Kommission/Italien (C‑571/08, [EU:C:2010:367](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A367&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab)) stehe. \n---|--- \n17 | Das Ministero dell\'Economia e delle Finanze und die AAMS haben am 5. Juni 2012 gegen dieses Urteil beim Consiglio di Stato Berufung eingelegt. Sie vertreten die Auffassung, die nationalen Rechtsvorschriften uber den Mindestverkaufspreis fur Zigaretten, zu denen sich das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio geaußert habe, wiesen keinen Bezug zu den Bestimmungen von Art. 39-octies auf. Vielmehr stunden diese Rechtsvorschriften voll und ganz mit dem Unionsrecht im Einklang, da die Richtlinie 2011/64 den Mitgliedstaaten erlaube, auf Zigaretten eine Mindestverbrauchsteuer zu erheben. \n---|--- \n18 | Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung der Richtlinien 95/59 und 2011/64 abhange. \n---|--- \n19 | Unter diesen Umstanden hat der Consiglio di Stato beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Stehen Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 95/59 und Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/64, wonach der Satz der proportionalen Verbrauchsteuer bzw. der Satz der Ad-Valorem-Verbrauchsteuer ebenso wie der Betrag der spezifischen Verbrauchsteuer fur alle Zigaretten gleich sein mussen, einer nationalen Vorschrift wie Art. 39-octies Abs. 4 des Decreto legislativo entgegen, wonach die Verbrauchsteuer auf Zigaretten mit einem Endverkaufspreis, der niedriger ist als bei Zigaretten der gangigsten Preisklasse, 115 % des Grundbetrags betragt und dadurch zu einer Verbrauchsteuer mit einem spezifischen festen Mindestsatz fur Zigaretten einer niedrigeren Preisklasse fuhrt und nicht zu einem fur Zigaretten aller Preisklassen geltenden Mindestbetrag der Verbrauchsteuer, wie er nach Art. 16 Abs. 7 der Richtlinie 95/59 und Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2011/64 zulassig ist? \n---|--- \n \nZur Vorlagefrage\n\n20 | Zunachst ist zum einen festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit eine Entscheidung des Generaldirektors der AAMS zur Festlegung der Verbrauchsteuersatze fur Zigaretten betrifft, die am 11. Januar 2012 ergangen ist. Nach den Art. 21 und 22 der Richtlinie 2011/64 wurde durch sie aber die Richtlinie 95/59 zum 1. Januar 2011 aufgehoben und ersetzt. Somit ist die Vorlagefrage ausschließlich anhand der Vorschriften der Richtlinie 2011/64 zu prufen. \n---|--- \n21 | Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht auf Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2011/64 Bezug nimmt, der zu ihrem Kapitel 4 („Vorschriften fur andere Tabakwaren als Zigaretten") gehort, das sich nicht auf Zigaretten bezieht. Die Regelung uber die Mindestverbrauchsteuer, auf die in der Vorlagefrage Bezug genommen wird, ist in Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 2011/64 vorgesehen. Daher ist die Vorlagefrage dahin zu verstehen, dass sie sich auf Art. 8 Abs. 6 dieser Richtlinie und nicht auf deren Art. 14 Abs. 2 bezieht. \n---|--- \n22 | Folglich mochte das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen, ob Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 2011/64 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, mit der keine fur alle Zigaretten gleiche Mindestverbrauchsteuer eingefuhrt wird, sondern eine Mindestverbrauchsteuer, die nur fur Zigaretten mit einem Kleinverkaufspreis gilt, der niedriger ist als bei Zigaretten der gangigsten Preisklasse. \n---|--- \n23 | Die Richtlinie 2011/64 dient zur Festlegung allgemeiner Grundsatze fur die Harmonisierung der Struktur und der Satze der Verbrauchsteuern, denen die Tabakwaren in den Mitgliedstaaten unterliegen. Wie namentlich aus ihren Erwagungsgrunden 2, 3, 9 und 14 hervorgeht, soll sie das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts und ein neutrales Wettbewerbsumfeld gewahrleisten. Insbesondere darf die Harmonisierung der Strukturen der Verbrauchsteuern nicht dazu fuhren, dass der Wettbewerb im Tabaksektor verfalscht wird. \n---|--- \n24 | In Bezug auf Zigaretten sieht Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2011/64 vor, dass in der Union hergestellte und aus Drittlandern eingefuhrte Zigaretten einer globalen Verbrauchsteuer unterliegen, die sich aus einer nach dem Kleinverkaufshochstpreis berechneten Ad-Valorem-Verbrauchsteuer und einer nach Erzeugniseinheit berechneten spezifischen Verbrauchsteuer zusammensetzt. Der als globale Verbrauchsteuer vereinnahmte Betrag variiert in Abhangigkeit vom Verkaufspreis der Zigaretten, da die Ad-Valorem-Verbrauchsteuer anhand des Verkaufspreises festgelegt wird und umso geringer ist, je niedriger der Verkaufspreis ist, und umgekehrt. \n---|--- \n25 | Nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/64 mussen der Satz der Ad-Valorem-Verbrauchsteuer und der Betrag der spezifischen Verbrauchsteuer fur alle Zigaretten gleich sein. Wie schon aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 und 2 hervorgeht, ist die Erhebung der globalen Verbrauchsteuer auf samtliche Zigaretten, unabhangig von ihren Eigenschaften und ihrem Preis, zwingend vorgeschrieben. \n---|--- \n26 | Den Mitgliedstaaten steht jedoch nach Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 2011/64 - vorbehaltlich insbesondere der Abs. 3 bis 5 dieses Artikels, in denen die bei der Bestimmung der spezifischen Verbrauchsteuer zu beachtenden Bandbreiten vorgesehen sind - die Erhebung einer Mindestverbrauchsteuer auf Zigaretten frei. \n---|--- \n27 | Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Wortbestandteil „Mindest-" impliziert, dass die in Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 2011/64 vorgesehene Verbrauchsteuer eine Mindestschwelle fur die Besteuerung darstellt, unterhalb deren es keine proportionale Kurzung der geschuldeten Steuer geben darf. Wie die Europaische Kommission in ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklarungen betont hat, ermoglicht es die Mindestverbrauchsteuer, dass die Ad-Valorem-Verbrauchsteuer unterhalb der Mindestschwelle fur die Besteuerung keine proportionale Wirkung entfaltet. \n---|--- \n28 | In Anbetracht dessen, dass die Erhebung der globalen Verbrauchsteuer auf samtliche Zigaretten unabhangig von ihren Eigenschaften und ihrem Preis zwingend vorgeschrieben ist, muss eine von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 2011/64 vorgesehene Mindestverbrauchsteuer fur alle Zigaretten gelten, unabhangig von ihren Eigenschaften und ihrem Preis (vgl. in diesem Sinne, zur Richtlinie 95/59, Urteil Kommission/Frankreich, C‑302/00, [EU:C:2002:123](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2002%3A123&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 20). \n---|--- \n29 | Überdies ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2011/64 zwischen den verschiedenen Kategorien von Tabakwaren, die Gegenstand der mit ihr bezweckten Harmonisierung sind - Zigaretten, Zigarren und Zigarillos, Feinschnitttabak sowie anderer Rauchtabak -, unterscheidet, nicht aber zwischen verschiedenen Kategorien von Zigaretten. Somit sind Zigaretten fur die Zwecke der Richtlinie 2011/64 als eine einzige Kategorie von Tabakwaren anzusehen. \n---|--- \n30 | Die Einfuhrung einer Mindestverbrauchsteuer nur fur bestimmte Kategorien von Zigaretten, wie sie die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung vorsieht, wurde es ermoglichen, bei bestimmten anderen Kategorien von Zigaretten einen Betrag als globale Verbrauchsteuer zu erheben, der geringer ware als die Mindestverbrauchsteuer, obwohl deren Einfuhrung nach der Richtlinie 2011/64 darauf abzielen sollte, in einem Kontext niedriger Preise zu verhindern, dass unterhalb dieser Schwelle eine proportionale Kurzung der geschuldeten Steuer moglich ist, und damit zu verhindern, dass das Besteuerungsniveau bei den preisgunstigsten Zigaretten zu niedrig ist. \n---|--- \n31 | Machen die Mitgliedstaaten von der Befugnis zur Einfuhrung einer Mindestverbrauchsteuer im Einklang mit Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 2011/64 Gebrauch, muss sich eine solche Regelung in den von dieser Richtlinie vorgegebenen Rahmen einfugen und darf ihren Zielen nicht zuwiderlaufen. Die Einfuhrung von Mindestschwellen fur die Besteuerung anhand der Eigenschaften oder des Preises der Zigaretten wurde aber zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den verschiedenen Zigaretten fuhren und stunde damit im Widerspruch zu dem mit der Richtlinie 2011/64 verfolgten Ziel, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts und ein neutrales Wettbewerbsumfeld zu gewahrleisten. \n---|--- \n32 | Genau dazu fuhrt die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung, die vorsieht, dass nur fur Zigaretten mit einem Kleinverkaufspreis, der niedriger ist als bei Zigaretten der gangigsten Preisklasse, eine Verbrauchsteuer in Hohe von 115 % der auf die gangigste Preisklasse anwendbaren Verbrauchsteuer gilt. \n---|--- \n33 | Im Ausgangsverfahren ergibt sich namlich aus der streitigen Entscheidung - wie der ihr als Anhang beigefugten Tabelle zu entnehmen ist -, dass die Zigaretten der gangigsten Preisklasse einen Kleinverkaufspreis von 210 Euro je 1000 Zigaretten haben und dass auf sie in Anwendung der globalen Verbrauchsteuer eine als „Grundbetrag" bezeichnete Steuer von 122,85 Euro je 1000 Zigaretten erhoben wird. Nach Art. 39-octies des Decreto legislativo werden Zigaretten, deren Preis niedriger ist als der Preis der gangigsten Klasse von Zigaretten, also unter 210 Euro je 1000 Zigaretten liegt, mit einer Verbrauchsteuer in Hohe von 115 % des Grundbetrags belegt; sie betragt mithin 115 % x 122,85 Euro, d. h. 141,28 Euro je 1000 Zigaretten. Somit lastet auf Zigaretten, deren Kleinverkaufspreis unter 210 Euro je 1000 Zigaretten liegt, nach der italienischen Regelung ein hoherer Verbrauchsteuerbetrag als der in Anwendung der globalen Verbrauchsteuer fur Zigaretten mit einem Kleinverkaufspreis zwischen 210 Euro und 243 Euro je 1000 Zigaretten geltende. \n---|--- \n34 | Die italienische Regelung schafft somit ein System, bei dem der fur Zigaretten der gangigsten Preisklasse in Anwendung der globalen Verbrauchsteuer erhobene Betrag niedriger ist als die Mindestverbrauchsteuer auf die preisgunstigsten Zigaretten, was zu Wettbewerbsverzerrungen fuhrt und den Zielen der Richtlinie 2011/64 zuwiderlauft. \n---|--- \n35 | Zu dem von der italienischen, der spanischen, der franzosischen und der portugiesischen Regierung in ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklarungen angefuhrten Ziel der offentlichen Gesundheit ist festzustellen, dass die Richtlinie 2011/64 nach ihren Erwagungsgrunden 2, 14 und 16 das Ziel des Schutzes der offentlichen Gesundheit berucksichtigt. So heißt es im 16. Erwagungsgrund dieser Richtlinie u. a., dass die Hohe der Steuern ein wichtiger Faktor fur den Preis von Tabakwaren ist, der wiederum Auswirkungen auf die Rauchgewohnheiten der Verbraucher hat. Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Steuervorschriften bei Tabakwaren ein wichtiges und wirksames Instrument zur Bekampfung des Konsums dieser Waren und damit zum Schutz der offentlichen Gesundheit darstellen (vgl. in diesem Sinne, zur Richtlinie 95/59, Urteil Kommission/Italien, [EU:C:2010:367](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A367&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 51). \n---|--- \n36 | Sofern sich die nationalen Maßnahmen in den von der Richtlinie 2011/64 festgelegten Rahmen einfugen, hindert diese die Mitgliedstaaten nicht daran, mittels der Erhebung von Verbrauchsteuern die Nikotinsucht zu bekampfen und ein hohes Niveau des Schutzes der offentlichen Gesundheit zu gewahrleisten (vgl. in diesem Sinne, zur Richtlinie 95/59, Urteil Kommission/Italien, [EU:C:2010:367](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A367&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 48). \n---|--- \n37 | Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 2011/64 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, mit der keine fur alle Zigaretten geltende gleiche Mindestverbrauchsteuer eingefuhrt wird, sondern eine Mindestverbrauchsteuer, die nur fur Zigaretten mit einem Kleinverkaufspreis gilt, der niedriger ist als bei Zigaretten der gangigsten Preisklasse. \n---|--- \n \nKosten\n\n38 | Fur die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhangigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter fur die Abgabe von Erklarungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfahig. \n---|--- \n| Aus diesen Grunden hat der Gerichtshof (Funfte Kammer) fur Recht erkannt: \n---|--- \n| Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21.\nJuni 2011 uber die Struktur und die Satze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren\nsind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im\nAusgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, mit der keine fur alle Zigaretten\ngeltende gleiche Mindestverbrauchsteuer eingefuhrt wird, sondern eine\nMindestverbrauchsteuer, die nur fur Zigaretten mit einem Kleinverkaufspreis\ngilt, der niedriger ist als bei Zigaretten der gangigsten Preisklasse. \n---|--- \n| Unterschriften \n---|--- \n \n* * *\n\n( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.\n\n
316,516
eugh-2014-09-04-c-16213
2
Europäischer Gerichtshof
eugh
Europäische Union
C-162/13
2014-09-04
2019-03-14 08:30:08
2019-03-14 08:30:08
Urteil
ECLI:EU:C:2014:2146
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)\n\n4. September 2014 ( *1 )\n\n„Vorabentscheidungsersuchen -- Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung --\nRichtlinie 72/166/EWG -- Art. 3 Abs. 1 -- Begriff der ‚Benutzung eines\nFahrzeugs\' -- Im Hof eines Bauernhofs durch einen Traktor mit Anhanger\nverursachter Unfall"\n\nIn der Rechtssache C‑162/13\n\nbetreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom\nVrhovno sodišče (Slowenien) mit Entscheidung vom 11. Marz 2013, beim\nGerichtshof eingegangen am 29. Marz 2013, in dem Verfahren\n\nDamijan Vnuk\n\ngegen\n\nZavarovalnica Triglav d.d.\n\nerlasst\n\nDER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)\n\nunter Mitwirkung des Kammerprasidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund\nund A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas\n(Berichterstatter),\n\nGeneralanwalt: P. Mengozzi,\n\nKanzler: A. Calot Escobar,\n\naufgrund des schriftlichen Verfahrens,\n\nunter Berucksichtigung der Erklarungen\n\n-- | der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Kemper und J.\nMoller als Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | von Irland, vertreten durch A. Joyce, E. Creedon und L. Williams als\nBevollmachtigte im Beistand von C. Toland, BL, \n---|--- \n-- | der Europaischen Kommission, vertreten durch B. Rous Demiri und K.‑P.\nWojcik als Bevollmachtigte, \n---|--- \n \nnach Anhorung der Schlussantrage des Generalanwalts in der Sitzung vom 26.\nFebruar 2014\n\nfolgendes\n\nUrteil\n\n1 | Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezuglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht ([ABl. L 103, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1972:103:TOC), im Folgenden: Erste Richtlinie). \n---|--- \n2 | Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Vnuk und der Zavarovalnica Triglav d.d. (im Folgenden: Zavarovalnica Triglav) uber eine Schadensersatzleistung aus der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (im Folgenden: Haftpflichtversicherung). \n---|--- \n \nRechtlicher Rahmen\n\nUnionsrecht\n\n3 | In den Erwagungsgrunden 5 bis 7 der Ersten Richtlinie wird ausgefuhrt: „Es ist wunschenswert, dass … Maßnahmen zur weiteren Liberalisierung der Regeln fur den Personen- und Kraftfahrzeugverkehr im Reiseverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ergriffen werden; … Solche Erleichterungen im Reiseverkehr stellen einen neuen Schritt zur wechselseitigen Öffnung der Markte der Mitgliedstaaten und zur Schaffung von binnenmarktahnlichen Bedingungen dar. Die Kontrolle der grunen Karte kann bei Fahrzeugen, die ihren gewohnlichen Standort in einem Mitgliedstaat haben und die in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats einreisen, … aufgehoben werden …" \n---|--- \n4 | Art. 1 der Ersten Richtlinie sieht vor: „Im Sinne dieser Richtlinie ist zu verstehen unter: | 1. | Fahrzeug: jedes maschinell angetriebene Kraftfahrzeug, welches zum Verkehr zu Lande bestimmt und nicht an Gleise gebunden ist, sowie die Anhanger, auch wenn sie nicht angekoppelt sind; \n---|--- \n \n…" \n \n5 | Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet: „Jeder Mitgliedstaat trifft vorbehaltlich der Anwendung des Artikels 4 alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewohnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitaten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt." \n---|--- \n6 | Art. 4 dieser Richtlinie sieht vor: „Jeder Mitgliedstaat kann von Artikel 3 abweichen: … | b) | bei gewissen Arten von Fahrzeugen oder Fahrzeugen mit besonderem Kennzeichen, die dieser Staat bestimmt und deren Kennzeichnung er den anderen Mitgliedstaaten sowie der [Europaischen] Kommission meldet. \n---|--- \n \n…" \n \n7 | Art. 1 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezuglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ([ABl. L 8, S. 17](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1983:008:TOC), im Folgenden: Zweite Richtlinie) bestimmt: „Die in Artikel 3 Absatz 1 der [Ersten Richtlinie] bezeichnete Versicherung hat sowohl Sachschaden als auch Personenschaden zu umfassen." \n---|--- \n8 | Art. 1 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie legte die Mindestdeckungssummen der Haftpflichtversicherung fest. Diese Betrage wurden durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europaischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 zur Änderung der Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG und 90/232/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2000/26/EG des Europaischen Parlaments und des Rates uber die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ([ABl. L 149, S. 14](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2005:149:TOC)) neu bewertet, durch die auch eine Vorschrift zur Sicherstellung der regelmaßigen Überprufung dieser Betrage anhand der Entwicklung des Europaischen Verbraucherpreisindexes in die Zweite Richtlinie eingefugt wurde. \n---|--- \n9 | Nach Art. 1 Abs. 4 Unterabs. 1 der Zweiten Richtlinie „[schafft] [j]eder Mitgliedstaat … eine Stelle oder erkennt eine Stelle an, die fur Sach- oder Personenschaden, welche durch ein nicht ermitteltes oder nicht … versichertes Fahrzeug verursacht worden sind, zumindest in den Grenzen der Versicherungspflicht Ersatz zu leisten hat". Art. 1 Abs. 4 Unterabs. 4 sah außerdem vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … die Einschaltung dieser Stelle bei Sachschaden, die durch ein nicht ermitteltes Fahrzeug verursacht wurden, beschranken oder ausschließen [konnen]". Diese Moglichkeit wurde jedoch spater mit der Richtlinie 2005/14 fur Falle ausgeschlossen, in denen „die Stelle einem Opfer eines Unfalls, bei dem durch ein nicht ermitteltes Fahrzeug auch Sachschaden verursacht wurden, fur betrachtliche Personenschaden Schadenersatz geleistet [hat]". \n---|--- \n10 | Art. 2 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie bestimmt: „Jeder Mitgliedstaat trifft zweckdienliche Maßnahmen, damit jede Rechtsvorschrift oder Vertragsklausel in einer nach Artikel 3 Absatz 1 der [Ersten Richtlinie] ausgestellten Versicherungspolice, mit der die Nutzung oder Fuhrung von Fahrzeugen durch | -- | hierzu weder ausdrucklich noch stillschweigend ermachtigte Personen oder \n---|--- \n-- | Personen, die keinen Fuhrerschein fur das betreffende Fahrzeug besitzen,\noder \n---|--- \n-- | Personen, die den gesetzlichen Verpflichtungen in Bezug auf Zustand und\nSicherheit des betreffenden Fahrzeugs nicht nachgekommen sind, \n---|--- \n \nvon der Versicherung ausgeschlossen werden, bei der Anwendung von Artikel 3\nAbsatz 1 der [Ersten Richtlinie] bezuglich der Anspruche von bei Unfallen\ngeschadigten Dritten als wirkungslos gilt.\n\n…" \n \n11 | Art. 3 der Zweiten Richtlinie sieht vor: „Familienmitglieder des Versicherungsnehmers, des Fahrers oder jeder anderen Person, die bei einem Unfall haftbar gemacht werden kann und durch die in Artikel 1 Absatz 1 bezeichnete Versicherung geschutzt ist, durfen nicht aufgrund dieser familiaren Beziehungen von der Personenschadenversicherung ausgeschlossen werden." \n---|--- \n12 | Art. 1 der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten uber die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ([ABl. L 129, S. 33](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1990:129:TOC)) in der durch die Richtlinie 2005/14 geanderten Fassung (im Folgenden: Dritte Richtlinie) sieht vor: „[D]ie in Artikel 3 Absatz 1 der [Ersten Richtlinie] genannte Versicherung [deckt] die Haftpflicht fur aus der Nutzung eines Fahrzeugs resultierende Personenschaden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jede gesetzliche Bestimmung oder Vertragsklausel in einer Versicherungspolice, mit der ein Fahrzeuginsasse vom Versicherungsschutz ausgeschlossen wird, weil er wusste oder hatte wissen mussen, dass der Fahrer des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Unfalls unter dem Einfluss von Alkohol oder einem anderen Rauschmittel stand, bezuglich der Anspruche eines solchen Fahrzeuginsassen als wirkungslos gilt. …" \n---|--- \n13 | Art. 1a der Dritten Richtlinie bestimmt: „Die in Artikel 3 Absatz 1 der [Ersten Richtlinie] genannte Versicherung deckt Personen- und Sachschaden von Fußgangern, Radfahrern und anderen nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern, die nach einzelstaatlichem Zivilrecht einen Anspruch auf Schadenersatz aus einem Unfall haben, an dem ein Kraftfahrzeug beteiligt ist. …" \n---|--- \n14 | Art. 4c dieser Richtlinie lautet: „Versicherungsunternehmen konnen sich gegenuber Unfallgeschadigten nicht auf Selbstbeteiligungen berufen, soweit die in Artikel 3 Absatz 1 der [Ersten Richtlinie] genannte Versicherung betroffen ist." \n---|--- \n15 | Die Richtlinie 2000/26/EG des Europaischen Parlaments und des Rates vom 16. Mai 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten uber die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG des Rates (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie) ([ABl. L 181, S. 65](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2000:181:TOC)) sieht in Art. 3 („Direktanspruch") vor: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die … Geschadigten … einen Direktanspruch gegen das Versicherungsunternehmen haben, das die Haftpflicht des Unfallverursachers deckt." \n---|--- \n16 | Außerdem sieht Art. 1 der Ersten Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausubung der Tatigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) ([ABl. L 288, S. 3](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1973:288:TOC)) in der durch die Richtlinie 84/641/EWG des Rates vom 10. Dezember 1984 ([ABl. L 339, S. 21](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1984:339:TOC)) geanderten Fassung vor: „(1) Diese Richtlinie betrifft die Aufnahme und Ausubung der selbstandigen Tatigkeit der Direktversicherung … durch Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind oder sich dort niederzulassen wunschen. … (3) Die Einteilung der in diesem Artikel bezeichneten Tatigkeiten nach Zweigen ist im Anhang aufgefuhrt." \n---|--- \n17 | Im Anhang dieser Richtlinie heißt es: „A. Einteilung der Risiken nach Versicherungszweigen … 10. Haftpflicht fur Landfahrzeuge mit eigenem Antrieb Haftpflicht aller Art (einschließlich derjenigen des Frachtfuhrers), die sich aus der Verwendung von Landfahrzeugen mit eigenem Antrieb ergibt. …" \n---|--- \n \nSlowenisches Recht\n\n18 | Art. 15 des Gesetzes uber die Pflichtversicherungen im Verkehrsbereich (Zakon o obveznih zavarovanjih v prometu, im Folgenden: ZOZP) sieht vor: „Der Eigentumer eines Fahrzeugs hat einen Vertrag uber eine Haftpflichtversicherung fur Schaden abzuschließen, die er Dritten bei der Benutzung des Fahrzeugs verursacht: Tod, Korperverletzung, Beeintrachtigung der Gesundheit oder Zerstorung und Beschadigung von Sachen …; ausgenommen ist die Haftung fur Schaden an Sachen, die er zum Transport ubernommen hat. …" \n---|--- \n \nAusgangsverfahren und Vorlagefrage\n\n19 | Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass am 13. August 2007 ein Traktor mit Anhanger wahrend des Einbringens von Heuballen auf den Dachboden einer Scheune bei einem Ruckwartsmanover im Hof des Bauernhofs, mit dem der Anhanger in die Scheune gelenkt werden sollte, gegen die Leiter stieß, auf der Herr Vnuk stand, und dessen Sturz verursachte. Herr Vnuk erhob gegen Zavarovalnica Triglav, die Versicherungsgesellschaft, bei der der Traktoreigentumer einen Haftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen hatte, Klage auf Zahlung eines Betrags von 15944,10 Euro als Ersatz fur seinen Nichtvermogensschaden nebst Verzugszinsen. \n---|--- \n20 | Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht wies die von Herrn Vnuk gegen dieses Urteil eingelegte Berufung mit dem Hinweis zuruck, dass die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungspolice den Schaden decke, der bei der Benutzung eines Traktors als Transportmittel entstanden sei, nicht aber jenen, der bei der Nutzung des Traktors als Arbeits- oder Antriebsmaschine verursacht worden sei. \n---|--- \n21 | Das vorlegende Gericht ließ die Revision von Herrn Vnuk gegen letztere Entscheidung zu, soweit es um die Frage geht, ob der Traktor als „Fahrzeug" im Sinne von Art. 15 ZOZP benutzt wurde. \n---|--- \n22 | Vor dem vorlegenden Gericht macht Herr Vnuk geltend, dass der Begriff der „Benutzung eines Fahrzeugs im Verkehr" nicht auf Fahrten auf offentlichen Straßen beschrankt werden konne und dass außerdem der Traktor zusammen mit seinem Anhanger im Zeitpunkt des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Schadenseintritts sehr wohl ein auf der Fahrt befindliches Fahrzeug gewesen sei und es sich um das Fahrtende gehandelt habe. Zavarovalnica Triglav tragt hingegen vor, dass das Ausgangsverfahren die Benutzung eines Traktors nicht in seiner Funktion als fur den Straßenverkehr bestimmtes Fahrzeug, sondern bei der Arbeit vor der Scheune eines Bauernhofs betreffe. \n---|--- \n23 | Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Begriff „Benutzung eines Fahrzeugs" im ZOZP nicht definiert sei, dass aber die Rechtsprechung diese Lucke geschlossen habe. Der Hauptzweck der Haftpflichtversicherung nach dem ZOZP bestehe im Risikoausgleich bzw. im Erfordernis, fur die Bedurfnisse der Geschadigten und der Fahrzeuginsassen im Verkehr auf offentlichen Straßen zu sorgen. Nach der slowenischen Rechtsprechung sei fur die Beurteilung, ob ein bestimmter Schaden durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt sei, jedoch nicht ausschlaggebend, ob dieser auf einer offentlichen Straße entstanden sei. Kein Haftpflichtversicherungsschutz bestehe allerdings, wenn das Fahrzeug als Arbeitsmaschine verwendet werde, z. B. auf einer landwirtschaftlichen Flache, denn in einem solchen Fall gehe es nicht um Straßenverkehr. \n---|--- \n24 | Das vorlegende Gericht fuhrt aus, dass die verschiedenen Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinien - d. h. die Erste, die Zweite und die Dritte Richtlinie, die Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie sowie die Richtlinie 2005/14 (im Folgenden zusammen: Haftpflichtversicherungsrichtlinien) - auf den „Verkehr", den „Straßenverkehr" oder auch die „Verkehrsteilnehmer" Bezug nahmen, aber nicht erlauterten, was als Benutzung eines Fahrzeugs gelte und welches Kriterium dabei ausschlaggebend sei. Man konne somit die Meinung vertreten, dass die Haftpflichtversicherung nur diejenigen Schaden decke, die im Rahmen des Straßenverkehrs von einem Fahrzeug verursacht worden seien, oder aber, dass sie jeglichen Schaden decke, der in irgendeiner Weise mit der Benutzung oder dem Betrieb eines Fahrzeugs zusammenhange, unabhangig davon, ob diese Situation als Verkehrssituation qualifiziert werden konne. \n---|--- \n25 | Vor diesem Hintergrund hat das Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist der Begriff „Benutzung eines Fahrzeugs" im Sinne der Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie dahin auszulegen, dass er sich nicht auf den Sachverhalt des konkreten Falles - bei dem der Versicherte der Revisionsbeklagten den Revisionsklager, der sich auf einer Leiter befand, mit einem Traktor mit Anhanger bei der Einbringung von Heuballen in eine Scheune anfuhr - erstreckt, weil es sich nicht um eine Verkehrssituation handelte? \n---|--- \n \nZu den Antragen auf Wiedereroffnung des mundlichen Verfahrens\n\n26 | Mit Schriftsatz, der am 28. Marz 2014 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Irland beantragt, nach Art. 83 der Verfahrensordnung die Wiedereroffnung des mundlichen Verfahrens zu beschließen. Irland stutzt seinen Antrag darauf, dass es erforderlich sei, die Wirkungen des zu erlassenden Urteils zeitlich zu begrenzen, falls der Gerichtshof den Schlussantragen des Generalanwalts folge, und dass es daher notwendig sei, das mundliche Verfahren wiederzueroffnen, damit Irland Gelegenheit gegeben werde, seine Argumente zur Stutzung seines Antrags auf zeitliche Begrenzung der Wirkungen des Urteils vorzutragen. \n---|--- \n27 | Mit Schriftsatzen, die am 15. bzw. 21. Mai 2014 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen sind, haben die Regierung des Vereinigten Konigreichs und die deutsche Regierung ebenfalls beantragt, nach Art. 83 der Verfahrensordnung die Wiedereroffnung des mundlichen Verfahrens zu beschließen. Die Regierung des Vereinigten Konigreichs stutzt ihren Antrag darauf, dass die vom Generalanwalt vorgelegten Schlussantrage mehrere Fehler aufwiesen, zu denen sie eine Stellungnahme einreichen wolle. Die deutsche Regierung tragt ihrerseits vor, dass die Schlussantrage ein zwischen den Beteiligten nicht erortertes Vorbringen ansprachen, namlich das Vorliegen einer etwaigen Lucke in der Ersten Richtlinie, die auszufullen sei, und dass der Gerichtshof nicht ausreichend unterrichtet sei, um zu entscheiden. \n---|--- \n28 | Der Gerichtshof kann gemaß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhorung des Generalanwalts die Wiedereroffnung des mundlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich fur unzureichend unterrichtet halt, wenn eine Partei nach Abschluss des mundlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung fur die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europaischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erortertes Vorbringen entscheidungserheblich ist. \n---|--- \n29 | Im vorliegenden Fall geht der Gerichtshof nach Anhorung des Generalanwalts davon aus, dass er uber alle erforderlichen Angaben verfugt, um die vom vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage zu beantworten, und dass die Rechtssache nicht im Hinblick auf eine neue Tatsache, die von entscheidender Bedeutung fur die Entscheidung ist, oder im Hinblick auf ein vor ihm nicht erortertes Vorbringen zu prufen ist. \n---|--- \n30 | Außerdem ist hinsichtlich der an den Schlussantragen des Generalanwalts geubten Kritik zum einen darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs und seine Verfahrensordnung keine Moglichkeit fur die Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussantragen des Generalanwalts einzureichen (Beschluss Emesa Sugar, C‑17/98, [EU:C:2000:69](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2000%3A69&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 2, und Urteil Dohler Neuenkirchen, C‑262/10, [EU:C:2012:559](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A559&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 29). \n---|--- \n31 | Zum anderen hat der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV die Aufgabe, offentlich in volliger Unparteilichkeit und Unabhangigkeit begrundete Schlussantrage zu den Rechtssachen zu stellen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist dabei weder an die Schlussantrage des Generalanwalts noch an ihre Begrundung gebunden. Dass ein Beteiligter mit den Schlussantragen des Generalanwalts nicht einverstanden ist, kann folglich unabhangig von den darin untersuchten Fragen fur sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereroffnung des mundlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteile Hogan Lovells International, C‑229/09, [EU:C:2010:673](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A673&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 26, E.ON Energie/Kommission, C‑89/11 P, [EU:C:2012:738](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A738&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 62, und Weber, C‑438/12, [EU:C:2014:212](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2014%3A212&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 30). \n---|--- \n32 | Die Antrage der deutschen Regierung, der Regierung von Irland und der Regierung des Vereinigten Konigreichs auf Wiedereroffnung des mundlichen Verfahrens sind daher zuruckzuweisen. \n---|--- \n \nZur Vorlagefrage\n\n33 | Mit seiner Frage mochte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass unter den Begriff der „Benutzung eines Fahrzeugs" Umstande wie die des Ausgangsverfahrens fallen, d. h. das Manover, das ein Traktor im Hof eines Bauernhofs ausfuhrt, um seinen Anhanger in eine Scheune zu fahren. \n---|--- \n34 | Die deutsche Regierung und Irland tragen vor, dass die Versicherungspflicht nach Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie nur Situationen im Straßenverkehr betreffe und daher nicht fur Umstande wie die des Ausgangsverfahrens gelte. \n---|--- \n35 | Die Kommission ist hingegen der Ansicht, dass diese Vorschrift fur die Benutzung von Fahrzeugen, gleichgultig ob als Transportmittel oder als Arbeitsmaschinen, auf jeder offentlichen oder privaten Flache gelte, auf der sich Gefahren verwirklichen konnten, die mit der Benutzung von Fahrzeugen verbunden seien, unabhangig davon, ob sich diese Fahrzeuge in Bewegung befanden. \n---|--- \n36 | Nach Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie trifft jeder Mitgliedstaat vorbehaltlich der Anwendung des Art. 4 dieser Richtlinie alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewohnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. \n---|--- \n37 | Der Begriff des Fahrzeugs wird in Art. 1 Nr. 1 dieser Richtlinie erlautert, wonach unter „Fahrzeug" im Sinne dieser Richtlinie „jedes maschinell angetriebene Kraftfahrzeug, welches zum Verkehr zu Lande bestimmt und nicht an Gleise gebunden ist, sowie die Anhanger, auch wenn sie nicht angekoppelt sind", zu verstehen ist. \n---|--- \n38 | Es steht fest, dass ein Traktor mit Anhanger dieser Definition entspricht. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Definition unabhangig von dem Gebrauch ist, der vom jeweiligen Fahrzeug gemacht wird oder werden kann. Daher andert die Tatsache, dass ein Traktor, der eventuell einen Anhanger fuhrt, unter bestimmten Umstanden als landwirtschaftliche Arbeitsmaschine benutzt werden kann, nichts an der Feststellung, dass ein solches Fahrzeug dem Begriff „Fahrzeug" in Art. 1 Nr. 1 der Ersten Richtlinie entspricht. \n---|--- \n39 | Daraus folgt jedoch nicht zwangslaufig, dass ein Traktor mit Anhanger der Haftpflichtversicherungspflicht nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie unterliegt. Denn zum einen ist es gemaß dieser Vorschrift erforderlich, dass dieses Fahrzeug seinen gewohnlichen Standort im Gebiet eines Mitgliedstaats hat, eine Bedingung, deren Erfullung im Ausgangsverfahren außer Streit steht. Zum anderen kann nach Art. 4 Buchst. b dieser Richtlinie jeder Mitgliedstaat bei gewissen Arten von Fahrzeugen oder Fahrzeugen mit besonderem Kennzeichen, die dieser Staat bestimmt und deren Kennzeichnung er den anderen Mitgliedstaaten sowie der Kommission meldet, von Art. 3 der Richtlinie abweichen. \n---|--- \n40 | Daher unterliegt ein Traktor mit Anhanger der Pflicht nach Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie, wenn er seinen gewohnlichen Standort im Gebiet eines Mitgliedstaats hat, der diese Art von Fahrzeug nicht vom Geltungsbereich dieser Vorschrift ausgenommen hat. \n---|--- \n41 | Zur Frage, ob das Manover, das ein Traktor im Hof eines Bauernhofs ausfuhrt, um seinen Anhanger in eine Scheune zu fahren, unter den Begriff der „Benutzung eines Fahrzeugs" im Sinne dieser Vorschrift zu subsumieren ist, ist zunachst darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff nicht dem Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten uberlassen werden darf. \n---|--- \n42 | Weder Art. 1 der Ersten Richtlinie noch Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie, noch irgendeine andere Vorschrift dieser oder der anderen Haftpflichtversicherungsrichtlinien verweisen namlich hinsichtlich dieses Begriffs auf das Recht der Mitgliedstaaten. Nach standiger Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die fur die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrucklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europaischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten mussen, die nicht nur unter Berucksichtigung des Wortlauts, sondern auch unter Berucksichtigung des Kontextes der Vorschrift und der Ziele gefunden werden muss, die mit der Regelung, zu der sie gehort, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Omejc, C‑536/09, [EU:C:2011:398](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A398&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 19 und 21 sowie die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n43 | Was erstens den Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie betrifft, ergibt eine vergleichende Prufung der verschiedenen Sprachfassungen dieser Vorschrift, dass sie Divergenzen hinsichtlich der Art der Situation aufweist, die von der in ihr vorgesehenen Versicherungspflicht erfasst wird. Diese Divergenzen sind im Übrigen auch im Richtlinientitel selbst zu finden, insbesondere in der englischen und der franzosischen Sprachfassung. \n---|--- \n44 | So wird in der franzosischen sowie in der spanischen, der griechischen, der italienischen, der niederlandischen, der polnischen und der portugiesischen Sprachfassung des Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie von der Pflicht zum Abschluss einer Versicherung fur die Haftpflicht aufgrund des „Verkehrs" von Fahrzeugen gesprochen und damit nahegelegt, dass diese Versicherungspflicht nur Straßenverkehrsunfalle betrifft, wie dies die deutsche Regierung und Irland vortragen. \n---|--- \n45 | Dagegen verwenden die englische sowie die bulgarische, die tschechische, die estnische, die lettische, die maltesische, die slowakische, die slowenische und die finnische Sprachfassung dieser Vorschrift ohne nahere Erlauterung den Begriff der „Benutzung" von Fahrzeugen, wahrend die danische, die deutsche, die litauische, die ungarische, die rumanische und die schwedische Sprachfassung der Vorschrift noch allgemeiner von der Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung fur Fahrzeuge sprechen und somit offensichtlich die Pflicht zum Abschluss einer Versicherung fur die Haftpflicht aufgrund der Benutzung oder des Betriebs eines Fahrzeugs unabhangig davon vorsehen, ob die Benutzung oder der Betrieb in einer Straßenverkehrssituation erfolgt. \n---|--- \n46 | Nach standiger Rechtsprechung kann jedoch eine rein wortliche Auslegung einer oder mehrerer Sprachfassungen eines in mehreren Sprachen vorhandenen unionsrechtlichen Textes unter Ausschluss der anderen Sprachfassungen nicht ausschlaggebend sein, da es die einheitliche Anwendung der Unionsvorschriften gebietet, diese u. a. im Licht aller Sprachfassungen auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile Jany u. a., C‑268/99, [EU:C:2001:616](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2001%3A616&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 47 und die dort angefuhrte Rechtsprechung, sowie Kommission/Spanien, C‑189/11, [EU:C:2013:587](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A587&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 56 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Unionstextes voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehort (vgl. in diesem Sinne Urteile ZVK, C‑300/05, [EU:C:2006:735](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A735&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 16 und die dort angefuhrte Rechtsprechung, Haasova, C‑22/12, [EU:C:2013:692](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A692&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 48, sowie Drozdovs, C‑277/12, [EU:C:2013:685](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A685&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 39). \n---|--- \n47 | Zweitens sind daher die allgemeine Systematik und der Zweck der Unionsregelung im Bereich der Haftpflichtversicherung, zu der Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie gehort, zu prufen. \n---|--- \n48 | Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass keine der Haftpflichtversicherungsrichtlinien definiert, was unter den Begriffen „Unfall", „Schaden", „Verkehr" oder „Benutzung eines Fahrzeugs" im Sinne dieser Richtlinien zu verstehen ist. \n---|--- \n49 | Diese Begriffe sind jedoch im Licht der beiden von diesen Richtlinien verfolgten Ziele des Schutzes der Opfer von Unfallen, die durch ein Kraftfahrzeug verursacht werden, und der Liberalisierung des Personen- und Warenverkehrs im Hinblick auf die Verwirklichung des Binnenmarkts zu verstehen. \n---|--- \n50 | So gehort die Erste Richtlinie zu einer Reihe von Richtlinien, mit denen die Pflichten der Mitgliedstaaten im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung schrittweise prazisiert wurden. Der Gerichtshof hat zwar wiederholt entschieden, dass sich aus den Erwagungsgrunden der Ersten und der Zweiten Richtlinie ergibt, dass diese den freien Verkehr der Fahrzeuge mit gewohnlichem Standort im Gebiet der Union sowie der Fahrzeuginsassen gewahrleisten sollen, er hat aber auch wiederholt entschieden, dass sie ebenso zum Ziel haben, den bei durch diese Fahrzeuge verursachten Unfallen Geschadigten unabhangig davon, wo in der Union sich der Unfall ereignet hat, eine vergleichbare Behandlung zu garantieren (vgl. u. a. in diesem Sinne Urteile Ruiz Bernaldez, C‑129/94, [EU:C:1996:143](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1996%3A143&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 13, sowie Csonka u. a., C‑409/11, [EU:C:2013:512](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A512&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 26 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n51 | Auch wenn namlich u. a. den Erwagungsgrunden 5 bis 7 der Ersten Richtlinie zu entnehmen ist, dass diese die Regelung des Personen- und Kraftfahrzeugverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Schaffung eines Binnenmarkts durch Aufhebung der Kontrolle der Grunen Karte an den Grenzen der Mitgliedstaaten liberalisieren sollte, verfolgte sie auch schon das Ziel des Opferschutzes (vgl. in diesem Sinne Urteil Ruiz Bernaldez, [EU:C:1996:143](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1996%3A143&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 18). \n---|--- \n52 | Außerdem zeigt die Entwicklung der Unionsregelung im Bereich der Haftpflichtversicherung, dass das Ziel des Schutzes der Opfer von Unfallen, die durch Fahrzeuge verursacht werden, vom Unionsgesetzgeber standig verfolgt und verstarkt wurde. \n---|--- \n53 | Dies geht zunachst insbesondere aus den Art. 1 bis 3 der Zweiten Richtlinie hervor. So bestimmte Art. 1 dieser Richtlinie, dass die in Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie bezeichnete Versicherung sowohl Sachschaden als auch Personenschaden zu umfassen hat. Weiter schrieb er vor, dass die Mitgliedstaaten Stellen schaffen, die fur Schaden, die durch ein nicht ermitteltes oder nicht versichertes Fahrzeug verursacht worden sind, Ersatz leisten, und legte Mindestdeckungssummen fest. Art. 2 dieser Richtlinie schrankte die Geltung bestimmter normativ oder vertraglich vorgesehener Ausschlussklauseln bezuglich der Anspruche von Dritten ein, die bei einem aufgrund der Nutzung oder Fuhrung des versicherten Fahrzeugs durch bestimmte Personen verursachten Unfall geschadigt wurden. Art. 3 dieser Richtlinie dehnte den Versicherungsschutz fur Personenschaden auf die Familienmitglieder des Versicherungsnehmers, des Fahrers oder jeder anderen Person, die bei einem Unfall haftbar gemacht werden kann, aus. \n---|--- \n54 | Des Weiteren dehnte Art. 1 der Dritten Richtlinie u. a. den Versicherungsschutz auf die Personenschaden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers aus, und die Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie fuhrte u. a. in Art. 3 einen Direktanspruch der Geschadigten gegen das Versicherungsunternehmen ein, das die Haftpflicht des Unfallverursachers deckt. \n---|--- \n55 | Schließlich passte die Richtlinie 2005/14 durch die Art. 2 und 4, mit denen die Zweite und die Dritte Richtlinie geandert wurden, u. a. die Mindestdeckungssummen an, sah deren regelmaßige Überprufung vor und dehnte den Einsatzbereich der durch die Zweite Richtlinie eingefuhrten Stelle und den Versicherungsschutz nach Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie auf Personen- und Sachschaden von Fußgangern, Radfahrern und anderen nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern aus. Sie fuhrte zudem eine neue Beschrankung der Moglichkeit ein, bestimmte Klauseln uber den Ausschluss des Versicherungsschutzes anzuwenden, und untersagte es Versicherungsunternehmen, sich gegenuber Unfallgeschadigten auf Selbstbeteiligungen zu berufen, soweit die in Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie genannte Versicherung betroffen ist. \n---|--- \n56 | Angesichts all dieser Umstande und insbesondere des Schutzziels der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie kann nicht angenommen werden, dass der Unionsgesetzgeber Personen, die durch einen Unfall geschadigt werden, der durch ein Fahrzeug bei dessen Benutzung verursacht wird, von dem durch diese Richtlinien gewahrten Schutz ausschließen wollte, sofern die Benutzung der gewohnlichen Funktion dieses Fahrzeugs entspricht. \n---|--- \n57 | In diesem Zusammenhang ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass nach Teil A des Anhangs der Richtlinie 73/239 in der durch die Richtlinie 84/641 geanderten Fassung der direkte Versicherungszweig hinsichtlich der „Haftpflicht fur Landfahrzeuge mit eigenem Antrieb" die „Haftpflicht aller Art (einschließlich derjenigen des Frachtfuhrers), die sich aus der Verwendung von Landfahrzeugen mit eigenem Antrieb ergibt", betrifft. \n---|--- \n58 | Im vorliegenden Fall hat zum einen die Republik Slowenien, wie aus den von der Kommission veroffentlichten Informationen ersichtlich, keine Art von Fahrzeug nach Art. 4 Buchst. b der Ersten Richtlinie vom Geltungsbereich des Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie ausgenommen. Zum anderen wurde nach den Angaben des vorlegenden Gerichts der Unfall, der zu dem Ausgangsrechtsstreit gefuhrt hat, von einem Fahrzeug verursacht, das im Ruckwartsgang fuhr, um an eine bestimmte Stelle zu gelangen, und scheint somit durch eine Benutzung eines Fahrzeugs verursacht worden zu sein, die dessen gewohnlicher Funktion entsprach, was zu prufen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist. \n---|--- \n59 | Unter diesen Umstanden ist in Anbetracht der vorstehenden Ausfuhrungen auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der darin enthaltene Begriff der „Benutzung eines Fahrzeugs" jede Benutzung eines Fahrzeugs umfasst, die dessen gewohnlicher Funktion entspricht. Ein Manover wie das im Ausgangsverfahren fragliche, das ein Traktor im Hof eines Bauernhofs ausfuhrt, um seinen Anhanger in eine Scheune zu fahren, konnte somit unter diesen Begriff fallen, was zu prufen Sache des vorlegenden Gerichts ist. \n---|--- \n \nKosten\n\n60 | Fur die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhangigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter fur die Abgabe von Erklarungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfahig. \n---|--- \n| Aus diesen Grunden hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) fur Recht erkannt: \n---|--- \n| Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972\nbetreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten\nbezuglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der\nentsprechenden Versicherungspflicht ist dahin auszulegen, dass der darin\nenthaltene Begriff der „Benutzung eines Fahrzeugs" jede Benutzung eines\nFahrzeugs umfasst, die dessen gewohnlicher Funktion entspricht. Ein Manover\nwie das im Ausgangsverfahren fragliche, das ein Traktor im Hof eines\nBauernhofs ausfuhrt, um seinen Anhanger in eine Scheune zu fahren, konnte\nsomit unter diesen Begriff fallen, was zu prufen Sache des vorlegenden\nGerichts ist. \n---|--- \n| Unterschriften \n---|--- \n \n* * *\n\n( *1 ) Verfahrenssprache: Slowenisch.\n\n
316,634
eugh-2014-07-10-c-35812
2
Europäischer Gerichtshof
eugh
Europäische Union
C-358/12
2014-07-10
2019-03-14 13:48:18
2019-03-14 13:48:18
Urteil
ECLI:EU:C:2014:2063
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)\n\n10. Juli 2014 ( *1 )\n\n„Vorabentscheidungsersuchen -- Öffentliche Auftrage -- Auftrage, die nicht die\nin der Richtlinie 2004/18/EG vorgesehene Schwelle erreichen -- Art. 49 AEUV\nund 56 AEUV -- Grundsatz der Verhaltnismaßigkeit -- Voraussetzungen fur den\nAusschluss eines Ausschreibungsverfahrens -- Eignungskriterien hinsichtlich\nder personlichen Lage des Bieters -- Verpflichtungen zur Zahlung der\nSozialbeitrage -- Begriff des schwerwiegenden Verstoßes -- Differenz zwischen\nden geschuldeten und den entrichteten Betragen von mehr als 100 Euro und mehr\nals 5 % der geschuldeten Betrage"\n\nIn der Rechtssache C‑358/12\n\nbetreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom\nTribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) mit Entscheidung\nvom 15. Marz 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juli 2012, in dem\nVerfahren\n\nConsorzio Stabile Libor Lavori Pubblici\n\ngegen\n\nComune di Milano,\n\nBeteiligte:\n\nPascolo Srl,\n\nerlasst\n\nDER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)\n\nunter Mitwirkung von Herrn A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben des\nPrasidenten der Zehnten Kammer und der Richter D. Švaby und C. Vajda\n(Berichterstatter),\n\nGeneralanwalt: M. Wathelet,\n\nKanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsratin,\n\nauf die mundliche Verhandlung vom 11. Juli 2013,\n\nunter Berucksichtigung der Erklarungen\n\n-- | des Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici, vertreten durch N.\nSeminara, R. Invernizzi und M. Falsanisi, avvocati, \n---|--- \n-- | der Comune di Milano, vertreten durch M. Maffey und S. Pagano, avvocati, \n---|--- \n-- | der Pascolo Srl, vertreten durch A. Tornitore, F. Femiano, G. Fuzier und\nG. Sorrentino, avvocati, \n---|--- \n-- | der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als\nBevollmachtigte im Beistand von G. Aiello, avvocato dello Stato, \n---|--- \n-- | der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als\nBevollmachtigten, \n---|--- \n-- | der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als\nBevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der Europaischen Kommission, vertreten durch A. Tokar und L. Pignataro-\nNolin als Bevollmachtigte, \n---|--- \n \naufgrund des nach Anhorung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne\nSchlussantrage uber die Rechtssache zu entscheiden,\n\nfolgendes\n\nUrteil\n\n1 | Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 AEUV, 56 AEUV und 101 AEUV. \n---|--- \n2 | Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici (im Folgenden: Libor) und der Comune di Milano (Stadt Mailand), uber die Entscheidung Letzterer, die endgultige Erteilung des Zuschlags fur einen offentlichen Bauauftrag an Libor mit der Begrundung aufzuheben, Libor habe gegen seine Verpflichtungen zur Zahlung von Sozialbeitragen in Hohe von 278 Euro verstoßen. \n---|--- \n \nRechtlicher Rahmen\n\nUnionsrecht\n\n3 | Der zweite Erwagungsgrund der Richtlinie 2004/18/EG des Europaischen Parlaments und des Rates vom 31. Marz 2004 uber die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe offentlicher Bauauftrage, Lieferauftrage und Dienstleistungsauftrage ([ABl. L 134, S. 114](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2004:134:TOC)) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30. November 2009 ([ABl. L 314, S. 64](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2009:314:TOC)) geanderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2004/18) lautet: „Die Vergabe von Auftragen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskorperschaften und anderer Einrichtungen des offentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsatze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsatze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhaltnismaßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. Fur offentliche Auftrage, die einen bestimmten Wert uberschreiten, empfiehlt sich indessen die Ausarbeitung von auf diesen Grundsatzen beruhenden Bestimmungen zur gemeinschaftlichen Koordinierung der nationalen Verfahren fur die Vergabe solcher Auftrage, um die Wirksamkeit dieser Grundsatze und die Öffnung des offentlichen Beschaffungswesens fur den Wettbewerb zu garantieren. Folglich sollten diese Koordinierungsbestimmungen nach Maßgabe der genannten Regeln und Grundsatze sowie gemaß den anderen Bestimmungen des Vertrags ausgelegt werden." \n---|--- \n4 | Art. 7 der Richtlinie sieht Schwellenwerte vor, ab denen die darin enthaltenen Vorschriften zur Koordinierung der Vergabeverfahren der offentlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsauftrage zur Anwendung kommen. Fur die offentlichen Bauauftrage setzt Art. 7 Buchst. c der Richtlinie den geltenden Schwellenwert bei 4845000 Euro fest. \n---|--- \n5 | Art. 45 der Richtlinie 2004/18 betrifft die Eignungskriterien des Bewerbers oder Bieters hinsichtlich seiner personlichen Lage. Art. 45 Abs. 2 bestimmt: „Von der Teilnahme am Vergabeverfahren konnen alle Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden, … | e) | die ihre Verpflichtung zur Zahlung der Sozialbeitrage nach den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sie niedergelassen sind, oder des Landes des offentlichen Auftraggebers nicht erfullt haben; \n---|--- \nf) | die ihre Verpflichtung zur Zahlung der Steuern und Abgaben nach den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sie niedergelassen sind, oder des Landes des offentlichen Auftraggebers nicht erfullt haben; \n---|--- \n \n…\n\nDie Mitgliedstaaten legen nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen\nRechtsvorschriften und unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts die Bedingungen\nfur die Anwendung dieses Absatzes fest." \n \nItalienisches Recht\n\n6 | Das Decreto legislativo Nr. 163 zur Schaffung eines Gesetzbuchs uber offentliche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferauftrage in Anwendung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG (decreto legislativo Nr. 163 - Codice dei contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture in attuazione delle direttive 2004/17/CE e 2004/18/CE) vom 12. April 2006 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 100 vom 2. Mai 2006) in der durch das Decreto-legge Nr. 70 vom 13. Mai 2011 geanderten Fassung (GURI Nr. 110 vom 13. Mai 2011, S. 1), in ein Gesetz umgewandelt durch das Gesetz Nr. 106 vom 12. Juli 2011 (GURI Nr. 160 vom 12. Juli 2011, S. 1) (im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 163/2006), regelt in Italien umfassend die Vergabeverfahren fur offentliche Auftrage im Bau-, Dienstleistungs- und Liefersektor. \n---|--- \n7 | Das Decreto legislativo Nr. 163/2006 enthalt in seinem Teil II unter den Regeln, die unabhangig von der Auftragshohe gelten, den Art. 38, der die allgemeinen Voraussetzungen fur die Teilnahme an den Vergabeverfahren fur Konzessionen und offentliche Bau-, Liefer- und Dienstleistungsauftrage festlegt. Art. 38 Abs. 1 Buchst. i dieses Decreto legislativo bestimmt: „(1) Von der Teilnahme an Vergabeverfahren fur Konzessionen und offentliche Bau-, Liefer- und Dienstleistungsauftrage und von der Vergabe von Subauftragen und Vertragen im Zusammenhang mit diesen Auftragen ausgeschlossen sind Personen, die … | i) | endgultig festgestellte, schwerwiegende Verstoße gegen die Bestimmungen im Bereich der Sozialversicherungsbeitrage nach den italienischen Rechtsvorschriften oder den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sie niedergelassen sind, begangen haben". \n---|--- \n8 | Art. 38 Abs. 2 des Decreto legislativo definiert das Kriterium der Schwere der Verstoße gegen die geltenden Bestimmungen fur die Entrichtung der Beitrage an die Sozialversicherungstrager. Er sieht im Wesentlichen vor, dass im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Buchst. i dieses Decreto legislativo Verstoße als schwerwiegend angesehen werden, wenn sie der Ausstellung des Einheitlichen Dokuments uber die ordnungsgemaße Erfullung der Beitragsverpflichtungen (Documento Unico di Regolarita Contributiva, im Folgenden: DURC) entgegenstehen. \n---|--- \n9 | Welche Verstoße der Ausstellung des DURC entgegenstehen, ist wiederum in einem Erlass des Ministeriums fur Arbeit und Sozialversicherung zur Regelung des Einheitlichen Dokuments uber die ordnungsgemaße Erfullung der Beitragsverpflichtungen (Decreto del Ministero del lavoro e della previdenza sociale - che disciplina il documento unico di regolarita contributiva) vom 24. Oktober 2007 (GURI Nr. 279 vom 30. November 2007, S. 11) festgelegt. Art. 8 Abs. 3 dieses Ministerialerlasses lautet: „Soweit es nur um die Teilnahme an einer Ausschreibung fur einen offentlichen Auftrags geht, steht eine nicht bedeutende Differenz zwischen den geschuldeten und den entrichteten Betragen in Bezug auf jeden Sozialversicherungstrager und jede Bauarbeiterkasse der Ausstellung des DURC nicht entgegen. Als nicht bedeutend wird eine Differenz unter oder in Hohe von 5% zwischen den geschuldeten und den entrichteten Betragen hinsichtlich jedes Entrichtungs- oder Beitragszeitraums oder jedenfalls eine Differenz unter 100 Euro angesehen, wobei der genannte Betrag innerhalb von dreißig Tagen nach Ausstellung des DURC entrichtet werden muss." \n---|--- \n \nAusgangsrechtsstreit und Vorlagefrage\n\n10 | Mit einer am 6. Juni 2011 veroffentlichten Bekanntmachung wies die Comune di Milano auf eine Ausschreibung zur Vergabe des Auftrags uber „die Arbeiten der außergewohnlichen Instandhaltung und Einbruchssicherung bei Wohnbauten im Eigentum der Comune di Milano" hin, der nach dem Kriterium des großten Abschlags von einem Ausschreibungsgrundbetrag in Hohe von 4784914,61 Euro vergeben werden sollte. \n---|--- \n11 | Die Ausschreibung verlangte ausdrucklich von jedem Bewerber unter Androhung des Ausschlusses eine Erklarung, dass er die in Art. 38 des Decreto legislativo Nr. 163/2006 vorgesehenen allgemeinen Voraussetzungen fur die Teilnahme an der Ausschreibung erfullt. \n---|--- \n12 | Libor stellte einen Antrag auf Teilnahme an der Ausschreibung und erklarte unter wortlicher Bezugnahme auf Art. 38 Abs. 1 Buchst. i des Decreto legislativo Nr. 163/2006, „keine endgultig festgestellten, schwerwiegenden Verstoße gegen die Bestimmungen im Bereich der Sozialversicherungsbeitrage nach den italienischen Rechtsvorschriften begangen zu haben". \n---|--- \n13 | Am Ende des Verfahrens erteilte die Comune di Milano Libor den Zuschlag und setzte es mit Schreiben vom 28. Juli 2011 von dieser Entscheidung in Kenntnis. Daraufhin uberprufte sie die Erklarung des Zuschlagsempfangers. Zu diesem Zweck erhielt sie von der zustandigen Verwaltung das DURC, aus dem sich ergab, dass Libor mit der Entrichtung seiner Sozialbeitrage in Verzug war, als es seinen Antrag auf Teilnahme an der Ausschreibung stellte, da es versaumt hatte, die Beitrage fur Mai 2011, die fur diesen Monat in einer Gesamthohe von 278 Euro geschuldet waren, innerhalb der vorgesehenen Fristen abzufuhren. Dieser Betrag wurde von Libor verspatet am 28. Juli 2011 abgefuhrt. \n---|--- \n14 | Wegen des Verstoßes gegen die Beitragsverpflichtungen, der sich aus dem DURC ergab, hob die Comune di Milano den endgultigen Zuschlag an Libor auf und schloss es vom Verfahren aus. Zur neuen Zuschlagsempfangerin bestimmte sie das Unternehmen Pascolo srl. \n---|--- \n15 | Libor erhob gegen diese Aufhebungsverfugung Klage beim Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia und machte dabei insbesondere geltend, dass Art. 38 Abs. 2 des Decreto legislativo Nr. 163/2006 mit dem Unionsrecht unvereinbar sei. \n---|--- \n16 | Nach den Ausfuhrungen des vorlegenden Gerichts fallt die in Rede stehende Ausschreibung nicht unter die Richtlinie 2004/18, da der betreffende Auftragswert im Ausgangsverfahren unter der in Art. 7 Buchst. c der Richtlinie festgelegten Schwelle liege. Dennoch ist das Gericht der Ansicht, dass diese Ausschreibung von grenzuberschreitendem Interesse sei, so dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Grundregeln des AEUV einzuhalten seien. In dieser Hinsicht hegt es Zweifel an der Vereinbarkeit von Art. 38 Abs. 2 des Decreto legislativo Nr. 163/2006 mit den Grundsatzen der Verhaltnismaßigkeit und Gleichbehandlung des Unionsrechts. \n---|--- \n17 | Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts bewirkt diese Vorschrift durch Einfuhrung eines ausschließlich gesetzlich festgelegten Begriffs der „Schwere" des Verstoßes gegen die Beitragsverpflichtungen, dass dem offentlichen Auftraggeber kein Beurteilungsspielraum bei der Feststellung bleibe, ob die Teilnahmekriterien in Bezug auf das Nichtvorliegen von Sozialbeitragsruckstanden erfullt seien. Ein solcher Ausschluss sei an sich mit dem Unionsrecht vereinbar, da er die Gleichbehandlung der verschiedenen Wirtschaftsteilnehmer, die sich an einer Ausschreibung beteiligten, verstarke. \n---|--- \n18 | Das vorlegende Gericht stellt sich jedoch die Frage der Vereinbarkeit der vom nationalen Gesetzgeber ausgearbeiteten Kriterien mit dem Grundsatz der Verhaltnismaßigkeit. Das Kriterium der Erfullung der Beitragsverpflichtungen eines Unternehmens sei eingefuhrt worden, um die Zuverlassigkeit, die Sorgfalt und die Seriositat des Bieterunternehmens und seine Korrektheit gegenuber seinen eigenen Arbeitnehmern zu gewahrleisten. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob bei einem konkreten Vergabeverfahren eine Nichterfullung dieser Voraussetzung wirklich einen aussagekraftigen Indikator fur die Unzuverlassigkeit eines Unternehmens darstelle. Es handele sich namlich um ein abstraktes Kriterium, das weder die Merkmale einer konkreten Ausschreibung in Bezug auf ihren Gegenstand und ihren tatsachlichen Wert noch den Umsatz und die Wirtschafts- und Finanzkraft des Unternehmens, das den Verstoß begangen habe, berucksichtige. Im Übrigen sei der Ausschluss eines Unternehmens von der Teilnahme an einer Ausschreibung in Fallen unverhaltnismaßig, in denen der Verstoß wie im Ausgangsverfahren einen geringfugigen Betrag betreffe. \n---|--- \n19 | Das vorlegende Gericht außert außerdem Bedenken hinsichtlich der Koharenz zwischen den Voraussetzungen fur den Ausschluss von einem Auftrag wegen Nichtabfuhrens der Sozialbeitrage und den Voraussetzungen in Bezug auf die Nichtentrichtung an den Fiskus, nach denen nur Verstoße, die einen Betrag uber 10000 Euro betrafen, als schwerwiegend eingestuft wurden. \n---|--- \n20 | Vor diesem Hintergrund hat das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Stehen der Grundsatz der Verhaltnismaßigkeit, der sich vom Recht auf Niederlassungsfreiheit und von den Grundsatzen der Nichtdiskriminierung und des Wettbewerbsschutzes nach den Art. 49 AEUV, 56 AEUV und 101 AEUV herleitet, sowie der darin enthaltene Grundsatz der Angemessenheit einer innerstaatlichen Vorschrift entgegen, die sowohl fur offentliche Auftrage oberhalb als auch fur solche unterhalb des Schwellenwerts der Europaischen Union einen endgultig festgestellten Verstoß gegen die Beitragsverpflichtungen als schwerwiegenden Verstoß qualifiziert, wenn er uber einen Betrag von 100 Euro hinausgeht und gleichzeitig die Differenz zwischen den geschuldeten und den entrichteten Betragen hinsichtlich jedes Entrichtungs- oder Beitragszeitraums 5 % ubersteigt, was zur Folge hat, dass der offentliche Auftraggeber verpflichtet ist, den Bieter, der einen solchen Verstoß zu verantworten hat, von der Ausschreibung auszuschließen, ohne andere Aspekte, die hinsichtlich der Zuverlassigkeit des Bieters als Vertragspartner objektiv aussagekraftig sind, berucksichtigen zu konnen? \n---|--- \n \nZur Vorlagefrage\n\n21 | Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der Wert des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden offentlichen Auftrags unter dem in Art. 7 Buchst. c angegebenen Betrag liegt, auch wenn die im Ausgangsverfahren fraglichen innerstaatlichen Vorschriften, wie es in der Frage heißt, sowohl fur offentliche Auftrage oberhalb als auch fur solche unterhalb des in Art. 7 der Richtlinie 2004/18 festgelegten Schwellenwerts fur offentliche Auftrage gelten. \n---|--- \n22 | Außerdem ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut dieser Frage als auch aus den Ausfuhrungen des vorlegenden Gerichts, wie sie in Rn. 18 des vorliegenden Urteils zusammengefasst werden, dass sich das Gericht insbesondere die Frage der Wahrung des Verhaltnismaßigkeitsgrundsatzes durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften stellt. \n---|--- \n23 | Daher mochte das Gericht mit seiner Frage letztlich wissen, ob die Art. 49 AEUV, 56 AEUV und 101 AEUV sowie der Grundsatz der Verhaltnismaßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die die offentlichen Auftraggeber bei offentlichen Bauauftragen, deren Wert unter der in Art. 7 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 festgelegten Schwelle liegt, verpflichten, einen Bieter, der sich einen Verstoß bei der Entrichtung der Sozialbeitrage zuschulden kommen lassen hat, vom Vergabeverfahren fur einen solchen Auftrag auszuschließen, wenn die Differenz zwischen den geschuldeten und den entrichteten Betragen mehr als 100 Euro und gleichzeitig mehr als 5 % der geschuldeten Betrage ausmacht. \n---|--- \n24 | Vorab ist zu bemerken, dass die Anwendung dieser Richtlinie auf einen offentlichen Auftrag der Bedingung unterliegt, dass sein geschatzter Wert den in ihrem Art. 7 festgelegten einschlagigen Schwellenwert erreicht. Andernfalls gelten die Grundregeln und die allgemeinen Grundsatze des Vertrags, sofern an diesem Auftrag insbesondere wegen seiner Bedeutung und des Ortes seiner Ausfuhrung ein eindeutiges grenzuberschreitendes Interesse besteht (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a., C‑159/11, [EU:C:2012:817](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A817&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 23 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, das Vorhandensein eines solchen Interesses zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil Belgacom, C‑221/12, [EU:C:2013:736](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A736&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 30 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n25 | Der im Ausgangsverfahren in Rede stehende offentliche Bauauftrag erreicht zwar nicht die in Art. 7 Buchst. c dieser Richtlinie festgelegte Schwelle. Da aber an ihm nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ein eindeutiges grenzuberschreitendes Interesse besteht, kommen diese Grundregeln und allgemeinen Grundsatze daher im Ausgangsverfahren zur Anwendung. \n---|--- \n26 | Was die Vertragsbestimmungen betrifft, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht, stellt ein Fall des Ausschlusses von einem Vergabeverfahren fur einen offentlichen Auftrag, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, weder eine Vereinbarung zwischen Unternehmen noch einen Beschluss von Unternehmensvereinigungen noch eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise im Sinne von Art. 101 AEUV dar. Es besteht daher keine Veranlassung, eine nationale Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren fragliche im Hinblick auf diesen Artikel zu prufen. \n---|--- \n27 | Wie hingegen aus dem zweiten Erwagungsgrund der Richtlinie 2004/18 hervorgeht, gehoren zu den Grundsatzen des Vertrags, die bei der Vergabe von offentlichen Auftragen zu beachten sind, insbesondere die Grundsatze der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit sowie der Verhaltnismaßigkeit. \n---|--- \n28 | Hinsichtlich der Art. 49 AEUV und 56 AEUV ergibt sich aus der standigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass sie jeder nationalen Maßnahme entgegenstehen, die zwar ohne Diskriminierung aus Grunden der Staatsangehorigkeit anwendbar ist, die aber geeignet ist, die Ausubung der durch diese Bestimmungen des Vertrags garantierten Freiheiten der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs durch die Burger der Europaischen Union zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. insbesondere Urteil Serrantoni und Consorzio stabile edili, C‑376/08, [EU:C:2009:808](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A808&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 41). \n---|--- \n29 | Was die offentlichen Auftrage anbelangt, liegt es im Bereich der Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit im Interesse der Union, dass Ausschreibungen einem moglichst umfassenden Wettbewerb offen stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil CoNISMa, C‑305/08, [EU:C:2009:807](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A807&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 37). Die Anwendung einer Bestimmung, die Personen von der Teilnahme an Vergabeverfahren fur offentliche Bauauftrage ausschließt, die sich schwerwiegende Verstoße gegen die geltenden innerstaatlichen Bestimmungen im Bereich der Sozialversicherungsbeitrage, wie etwa jene des Art. 38 Abs. 1 Buchst. i des Decreto legislativo Nr. 163/2006, zuschulden kommen haben lassen, kann die Teilnahme von moglichst vielen Bietern an Ausschreibungsverfahren verhindern. \n---|--- \n30 | Eine solche innerstaatliche Bestimmung, die geeignet ist, die Teilnahme von Bietern fur einen offentlichen Auftrag von eindeutigem grenzuberschreitenden Interesse zu verhindern, stellt eine Beschrankung im Sinne der Art. 49 AEUV und 56 AEUV dar. \n---|--- \n31 | Eine solche Beschrankung kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn sie ein legitimes Ziel des Allgemeininteresses verfolgt und soweit sie den Verhaltnismaßigkeitsgrundsatz wahrt, d. h. geeignet ist, dessen Erreichung zu gewahrleisten, und nicht uber das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Serrantoni und Consorzio stabile edili, [EU:C:2009:808](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A808&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 44). \n---|--- \n32 | In dieser Hinsicht ergibt sich zunachst aus der Vorlageentscheidung, dass das Ziel, das mit dem in Art. 38 Abs. 1 Buchst. i des Decreto legislativo Nr. 163/2006 festgelegten Grund fur einen Ausschluss von offentlichen Ausschreibungen verfolgt wird, darin besteht, die Zuverlassigkeit, die Sorgfalt und die Seriositat des Bieters und seine Korrektheit gegenuber seinen Arbeitnehmern zu gewahrleisten. Es ist davon auszugehen, dass es ein legitimes Ziel des Allgemeininteresses darstellt, sich zu vergewissern, dass ein Bieter solche Eigenschaften besitzt. \n---|--- \n33 | Weiter ist festzustellen, dass ein Ausschlussgrund, wie ihn Art. 38 Abs. 1 Buchst. i des Decreto legislativo Nr. 163/2006 vorsieht, geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewahrleisten, da ein Zahlungsruckstand mit Sozialbeitragen bei einem Wirtschaftsteilnehmer auf dessen mangelnde Zuverlassigkeit, Sorgfalt und Seriositat in Bezug auf die Einhaltung der gesetzlichen und sozialen Verpflichtungen hindeutet. \n---|--- \n34 | Schließlich ist hinsichtlich der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erstens darauf hinzuweisen, dass die Festlegung einer eindeutigen Schwelle fur den Ausschluss von der Teilnahme an offentlichen Ausschreibungen - namlich eine Differenz zwischen den an Sozialbeitragen geschuldeten und den entrichteten Betragen, die mehr als 100 Euro und gleichzeitig mehr als 5 % der geschuldeten Betrage ausmacht - in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht nur die Gleichbehandlung der Bieter gewahrleistet, sondern auch die Rechtssicherheit, einen Grundsatz, dessen Einhaltung eine Voraussetzung fur die Verhaltnismaßigkeit einer beschrankenden Maßnahme darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Itelcar, C‑282/12, [EU:C:2013:629](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A629&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 44). \n---|--- \n35 | Was zweitens die Hohe dieser in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Schwelle fur den Ausschluss anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 bei offentlichen Auftragen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, die in ihm genannten Ausschlussfalle dem Ermessen der Mitgliedstaaten anheimstellt, wie der am Anfang dieser Bestimmung stehende Ausdruck „[v]on der Teilnahme am Vergabeverfahren kann … ausgeschlossen werden" bezeugt, und insbesondere in den Buchst. e und f ausdrucklich auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften verweist (vgl. hinsichtlich Art. 29 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 uber die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe offentlicher Dienstleistungsauftrage [[ABl. L 209, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1992:209:TOC)] das Urteil La Cascina u. a., C‑226/04 und C‑228/04, [EU:C:2006:94](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A94&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 21). Außerdem legen die Mitgliedstaaten nach Unterabs. 2 des Art. 45 Abs. 2 nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unter Beachtung des Unionsrechts die Bedingungen fur die Anwendung dieses Absatzes fest. \n---|--- \n36 | Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 verfolgt somit keine einheitliche Anwendung der in ihm angefuhrten Ausschlussgrunde auf Unionsebene, da die Mitgliedstaaten die Moglichkeit haben, diese Ausschlussgrunde entweder uberhaupt nicht anzuwenden oder aber diese Grunde je nach den auf nationaler Ebene maßgeblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Erwagungen im Einzelfall mit unterschiedlicher Strenge in die nationale Regelung aufzunehmen. In diesem Rahmen konnen die Mitgliedstaaten die in dieser Vorschrift festgelegten Kriterien abmildern oder flexibler gestalten (vgl. hinsichtlich Art. 29 der Richtlinie 92/50, Urteil La Cascina u. a., [EU:C:2006:94](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A94&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 23). \n---|--- \n37 | Art. 45 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/18 gestattet den Mitgliedstaaten, jeden Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an Vergabeverfahren auszuschließen, der seine Verpflichtungen zur Zahlung der Sozialbeitrage nicht erfullt hat, ohne einen Mindestbetrag an Beitragsruckstanden vorzusehen. Unter diesen Umstanden stellt es eine flexiblere Gestaltung des in dieser Bestimmung genannten Ausschlusskriteriums dar, einen solchen Mindestbetrag im innerstaatlichen Recht vorzusehen, und kann von einer solchen Regelung nicht angenommen werden, dass sie uber das Erforderliche hinausgeht. Dies trifft umso eher auf offentliche Auftrage zu, die nicht die in Art. 7 Buchst. c dieser Richtlinie festgelegte Schwelle erreichen und daher nicht den darin vorgesehenen besonderen und strengen Verfahren unterworfen sind. \n---|--- \n38 | Im Übrigen andert die Tatsache, dass die vom innerstaatlichen Recht fur die Nichtentrichtung von Steuern und Abgaben vorgesehene Ausschlussschwelle, wie das vorlegende Gericht betont, deutlich hoher ist als die Schwelle fur die Zahlungen der Sozialbeitrage, fur sich genommen nichts an der Verhaltnismaßigkeit dieser Schwelle. Wie sich namlich aus Rn. 36 des vorliegenden Urteils ergibt, steht es den Mitgliedstaaten frei, die insbesondere in Art. 45 Abs. 2 Buchst. e und f dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgrunde je nach den auf nationaler Ebene maßgeblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Erwagungen im Einzelfall mit unterschiedlicher Strenge in die nationale Regelung aufzunehmen. \n---|--- \n39 | Außerdem unterscheidet sich ein solcher Fall von dem, der dem Urteil Hartlauer (C‑169/07, [EU:C:2009:141](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A141&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab)) zugrunde lag, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass die in Rede stehende nationale Regelung nicht geeignet war, die Erreichung der verfolgten Ziele zu gewahrleisten, da sie diese nicht in koharenter und systematischer Weise verfolgte. Im Unterschied zu der in letzterem Urteil untersuchten Regelung beruht die Maßnahme, die Gegenstand des vorliegenden Ausgangsverfahrens ist, wie sich aus Rn. 34 des vorliegenden Urteils ableitet, auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien (vgl. in diesem Sinne Urteil Hartlauer, [EU:C:2009:141](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A141&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 64). \n---|--- \n40 | Daher ist von einer innerstaatlichen Maßnahme wie der des Ausgangsverfahrens nicht anzunehmen, dass sie uber das fur die Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinausgeht. \n---|--- \n41 | Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 49 AEUV und 56 AEUV sowie der Grundsatz der Verhaltnismaßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, die die offentlichen Auftraggeber bei offentlichen Bauauftragen, deren Wert unter der in Art. 7 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 festgelegten Schwelle liegt, verpflichten, einen Bieter, der sich einen Verstoß bei der Entrichtung der Sozialbeitrage zuschulden kommen lassen hat, vom Vergabeverfahren fur einen solchen Auftrag auszuschließen, wenn die Differenz zwischen den geschuldeten und den entrichteten Betragen mehr als 100 Euro und gleichzeitig mehr als 5 % der geschuldeten Betrage ausmacht. \n---|--- \n \nKosten\n\n42 | Fur die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhangigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter fur die Abgabe von Erklarungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfahig. \n---|--- \n| Aus diesen Grunden hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) fur Recht erkannt: \n---|--- \n| 1\\. Die Art. 49 AEUV und 56 AEUV sowie der Grundsatz der\nVerhaltnismaßigkeit sind dahin auszulegen, dass sie innerstaatlichen\nRechtsvorschriften nicht entgegenstehen, die die offentlichen Auftraggeber bei\noffentlichen Bauauftragen, deren Wert unter der in Art. 7 Buchst. c der\nRichtlinie 2004/18/EG des Europaischen Parlaments und des Rates vom 31. Marz\n2004 uber die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe offentlicher\nBauauftrage, Lieferauftrage und Dienstleistungsauftrage in der durch die\nVerordnung (EG) Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30. November 2009 geanderten\nFassung festgelegten Schwelle liegt, verpflichten, einen Bieter, der sich\neinen Verstoß bei der Entrichtung der Sozialbeitrage zuschulden kommen lassen\nhat, vom Vergabeverfahren fur einen solchen Auftrag auszuschließen, wenn die\nDifferenz zwischen den geschuldeten und den entrichteten Betragen mehr als 100\nEuro und gleichzeitig mehr als 5 % der geschuldeten Betrage ausmacht. \n---|--- \n| Unterschriften \n---|--- \n \n* * *\n\n( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.\n\n
316,788
eugh-2014-04-30-f-2813
2
Europäischer Gerichtshof
eugh
Europäische Union
F-28/13
2014-04-30
2019-03-14 13:50:33
2019-03-14 13:50:33
Urteil
ECLI:EU:F:2014:55
URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION (Zweite\nKammer)\n\n30. April 2014 ( *1 )\n\n„Öffentlicher Dienst -- Untersuchung des Europaischen Amtes fur\nBetrugsbekampfung (OLAF) -- Tagegeld -- Art. 10 des Anhangs VII des Statuts --\nRuckforderung zu viel gezahlter Betrage -- Von den Dienstbezugen einbehaltene\nBetrage -- Art. 85 des Statuts -- Bewusste Tauschung der Verwaltung --\nAngemessene Frist"\n\nIn der Rechtssache F‑28/13\n\nbetreffend eine Klage nach Art. 270 AEUV, der nach Art. 106a EA auch fur den\nEAG-Vertrag gilt,\n\nJose Manuel Lopez Cejudo, Beamter der Europaischen Kommission, wohnhaft in\nBrussel (Belgien), Prozessbevollmachtigter: É. Boigelot, avocat,\n\nKlager,\n\ngegen\n\nEuropaische Kommission, vertreten durch J. Currall und C. Ehrbar als\nBevollmachtigte,\n\nBeklagte,\n\nerlasst\n\nDAS GERICHT FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST\n\n(Zweite Kammer)\n\nunter Mitwirkung der Prasidentin I. Rofes i Pujol sowie der Richter K. Bradley\nund J. Svenningsen (Berichterstatter),\n\nKanzlerin: X. Lopez Bancalari, Verwaltungsratin,\n\naufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mundliche Verhandlung vom\n30. Januar 2014\n\nfolgendes\n\nUrteil\n\n1 | Mit Klageschrift, die am 27. Marz 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Herr Lopez Cejudo die vorliegende Klage erhoben, mit der er vor allem die Aufhebung des Schreibens vom 6. Juli 2012, mit dem die Anstellungsbehorde den Klager von ihrer Entscheidung unterrichtete, Tagegelder zuzuglich Zinsen zuruckzufordern, die er 1997 und 1998 erhalten hatte, sowie die Aufhebung der Entscheidung vom 17. Dezember 2012 begehrt, mit der die Anstellungsbehorde die vom Klager eingelegte Beschwerde in Bezug auf diese Tagegelder zuruckgewiesen hat (im Folgenden: Entscheidung uber die Zuruckweisung der Beschwerde). \n---|--- \n \nRechtlicher Rahmen\n\n2 | Nach Art. 20 des Statuts der Beamten der Europaischen Union (im Folgenden: Statut) hat der „Beamte … am Ort seiner dienstlichen Verwendung oder in solcher Entfernung von diesem Ort Wohnung zu nehmen, dass er in der Ausubung seines Amtes nicht behindert ist". \n---|--- \n3 | Art. 5 Abs. 4 des Anhangs VII des Statuts bestimmt: „Nimmt ein Beamter, der Anspruch auf die Haushaltszulage hat, ohne seine Familie am Ort seiner dienstlichen Verwendung Wohnung, so erhalt er nur die Halfte der Beihilfe, auf die er sonst Anspruch hatte; die zweite Halfte wird ihm gezahlt, wenn seine Familie am Ort seiner dienstlichen Verwendung Wohnung nimmt und hierbei die in Artikel 9 Absatz 3 [des Anhangs VII] vorgesehenen Fristen eingehalten werden. …" \n---|--- \n4 | Art. 9 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts lautet: „Die fur den Umzug der personlichen beweglichen Habe veranschlagten Betrage … werden dem nach Artikel 20 des Statuts zur Verlegung seines Wohnsitzes verpflichteten Beamten erstattet, sofern ihm diese Betrage nicht anderweitig ersetzt werden. Die Betrage werden in den Grenzen eines zuvor genehmigten Kostenvoranschlags erstattet. …" \n---|--- \n5 | Art. 10 des Anhangs VII zum Statut in seiner auf diesen Rechtsstreit anwendbaren Fassung lautet: „1. Weist ein Beamter nach, dass er seinen Wohnsitz andern muss, um seinen Verpflichtungen aus Artikel 20 des Statuts nachzukommen, so hat er fur die in Absatz 2 des vorliegenden Artikels bestimmte Dauer je Kalendertag Anspruch auf ein Tagegeld in Hohe von … 2. Die Dauer der Gewahrung des Tagegeldes wird wie folgt festgesetzt: … | b) | fur einen Beamten, der Anspruch auf die Haushaltszulage hat: 180 Tage … \n---|--- \n \n…\n\nDas Tagegeld wird auf keinen Fall uber den Zeitpunkt hinaus gewahrt, zu dem\nder Beamte umgezogen ist, um seinen Verpflichtungen aus Artikel 20 des Statuts\nnachzukommen." \n \n6 | Art. 85 des Statuts in seiner zum Zeitpunkt der Auszahlung der streitigen Tagegelder an den Klager geltenden Fassung bestimmte: „Jeder ohne rechtlichen Grund gezahlte Betrag ist zuruckzuerstatten, wenn der Empfanger den Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung kannte oder der Mangel so offensichtlich war, dass er ihn hatte kennen mussen." \n---|--- \n7 | In der bei Erlass des Schreibens vom 6. Juli 2012 anwendbaren Fassung enthalt dieser Art. 85 einen zweiten Absatz mit folgendem Wortlaut: „Der Betrag muss innerhalb von funf Jahren nach seiner Zahlung zuruckgefordert werden. Die Anstellungsbehorde ist nicht an diese Frist gebunden, wenn sie nachweisen kann, dass der Empfanger die Verwaltung bewusst getauscht hat, um den betreffenden Betrag zu erlangen." \n---|--- \n \nSachverhalt\n\n8 | Der Klager trat 1986 in den Dienst der Kommission und war ab 1. September 1990 im Dienst der Europaischen Gemeinschaften beim Rechnungshof in Luxemburg (Luxemburg) tatig. Anschließend wurde er mit Wirkung vom 1. September 1997 zum Referat „Verwaltung der Einnahmen" der Generaldirektion (GD) „Haushalt" der Kommission in Brussel (Belgien) versetzt. Sodann wurde der Klager 2002 zu der „Finanz- und Auftragsvergabeabteilung" der Delegation der Kommission bei der Foderativen Republik Brasilien versetzt und nahm ab 2007 erneut das Amt eines Verwaltungsrats (AD) der Besoldungsgruppe AD 13 bei der Generaldirektion Haushalt in Brussel wahr. \n---|--- \n9 | Am 9. Juli 1997 schloss der Klager einen Mietvertrag uber eine unmoblierte Funfzimmerwohnung in Etterbeek (Belgien) (im Folgenden: Brusseler Wohnung). Dieser Vertrag sah eine Laufzeit von neun Jahren vor und trat am 1. August 1997 in Kraft. Aus den Bestimmungen dieses Vertrags, insbesondere Art. 13 (Nutzungszweck der Raumlichkeiten) und Art. 14 (Wahl des Wohnsitzes und Familienstand), geht hervor, dass der Mieter, hier also der Klager, erklarte, die Raume zur privaten Nutzung als Hauptwohnung zu mieten und seinen Wohnsitz fur die gesamte Mietdauer in der gemieteten Wohnung zu nehmen. \n---|--- \n10 | Ferner vermietete der Klager das ihm gehorende Haus in Schuttrange (Luxemburg), das er zuvor mit seiner Familie bewohnt hatte (im Folgenden: Luxemburger Haus), mit Mietvertrag vom 11. Juli 1997 ab 1. August 1997 an ein Ehepaar. \n---|--- \n11 | Am 1. September 1997 gab der Klager in dem allgemeinen Vordruck zur Festsetzung seiner beamtenrechtlichen Anspruche die Brusseler Wohnung als seine neue Anschrift an seinem Dienstort an. In diesem Vordruck hatte er seiner Dienststelle gegenuber ebenfalls angegeben, dass seine Ehefrau und seine vier Kinder nach wie vor in Luxemburg wohnten, namlich unter der Anschrift ihres Luxemburger Hauses. \n---|--- \n12 | In dem Vordruck uber die Einrichtungsbeihilfe nach Art. 5 des Anhangs VII des Statuts, der seinerzeit von der Verwaltung auch fur die Festsetzung des Anspruchs auf Tagegeld verwendet wurde, gab der Klager hingegen am 9. September 1997 an, dass er seinen Wohnsitz zusammen mit seiner Familie in Brussel genommen habe. In diesem Zusammenhang erklarte er zugleich, von der entsprechenden Regelung, namlich Art. 5 des Anhangs VII des Statuts, Kenntnis genommen zu haben. \n---|--- \n13 | Zur Stutzung seines Antrags reichte der Klager eine Kopie des Mietvertrags uber seine Brusseler Wohnung ein, legte aber keinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung fur die Mitglieder seiner Familie vor. Die Anstellungsbehorde zahlte ihm daher in Anwendung von Art. 5 Abs. 4 des Anhangs VII des Statuts nur die Halfte der Einrichtungsbeihilfe, namlich in Hohe eines Monatsgrundgehalts. \n---|--- \n14 | Auf einen am 16. Marz 1998 gestellten Antrag, dem er eine Kopie des in Belgien eingereichten Antrags auf Aufenthaltsgenehmigung fur seine Ehefrau und die Kinder beifugte und in dem er bestatigte, dass seine Familie an seinem neuen Dienstort Wohnung genommen habe, wurde ihm gemaß Art. 5 Abs. 4 des Anhangs VII des Statuts die zweite Halfte der Einrichtungsbeihilfe ausgezahlt. \n---|--- \n15 | Auf seinen ebenfalls am 16. Marz 1998 gestellten Antrag wurden dem Klager ferner nach Vorlage einer auf den 15. Marz 1998 ausgestellten Rechnung eines Luxemburger Umzugsunternehmens die mit seinem Umzug verbundenen Kosten erstattet. Nach Angabe des Luxemburger Unternehmens hatte der Umzug des Klagers von Luxemburg nach Brussel am 2. Marz 1998 stattgefunden. Insoweit hatte der Klager in dem Vordruck zur „Erstattung der Umzugskosten" angegeben, dass er „[s]einen Wohnsitz zusammen mit den Mitgliedern [s]einer Familie von Luxemburg an [s]einen neuen Dienstort … am 2. Marz 1998 verlegt" habe. \n---|--- \n16 | Über die als Einrichtungsbeihilfe in zwei Teilbetragen gezahlten zwei Monatsgrundgehalter und die Erstattung der Umzugskosten hinaus erhielt der Klager ferner Tagegelder gemaß Art. 10 des Anhangs VII des Statuts ausgezahlt, und zwar fur die Hochstdauer von 180 Tagen nach seinem erneuten Dienstantritt bei der Kommission (im Folgenden: die streitigen Tagegelder), d. h. vom 1. September 1997 bis 1. Marz 1998, wobei die Verwaltung insoweit feststellte, dass seine Familie ihm erst am 2. Marz 1998 an seinen neuen Dienstort gefolgt war, dem Datum, das er in dem Vordruck zur „Erstattung der Umzugskosten" angegeben hatte. \n---|--- \n17 | Am 19. Juli 2007 erhielt das Europaische Amt fur Betrugsbekampfung (OLAF) von der GD „Außenbeziehungen" ein an diese Generaldirektion gerichtetes Schreiben eines Mitglieds des Europaischen Parlaments. Diesem Schreiben waren Erklarungen und zahlreiche Belege beigefugt, die vor allem von der fruheren Ehefrau des Klagers zur Verfugung gestellt worden waren. Das OLAF leitete daraufhin eine Untersuchung ein, die insbesondere die streitigen Tagegelder sowie bestimmte Krankheitskosten betraf, die zu einer Erstattung durch das Gemeinsame Krankheitsfursorgesystem (im Folgenden: GKFS) gefuhrt hatten. \n---|--- \n18 | Die Untersuchung des OLAF erstreckte sich auch auf weitere von der fruheren Ehefrau des Klagers erhobene Anschuldigungen, die jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Rechtssache sind. \n---|--- \n19 | Der Klager wurde vom OLAF von der Einleitung einer internen Untersuchung unterrichtet und in diesem Zusammenhang von diesem Amt am 28. Marz 2008 und am 6. Mai 2010 angehort, insbesondere zu dem Datum seines tatsachlichen Umzugs von Luxemburg nach Brussel, zur Einschulung seiner Kinder in Brussel zu Beginn des Schuljahrs 1997 sowie zu der seinen Umzug betreffenden Rechnung vom 15. Marz 1998. Bei dieser Gelegenheit erklarte der Klager insbesondere, der Umzug des nach seiner Behauptung in Luxemburg verbliebenen Mobiliars sei erst im Marz 1998 erfolgt, „um so in gutem Glauben … die Tagegelder in Anspruch nehmen zu konnen". \n---|--- \n20 | Am 30. Marz 2012 zeigte das OLAF dem Klager den Abschluss der Untersuchung an. Ferner ubersandte dieses Amt der Kommission am selben Tag Empfehlungen sowie den Abschlussbericht seiner internen Untersuchung (im Folgenden: OLAF‑Bericht). In dem mit „Schlussfolgerungen und Empfehlungen" uberschriebenen Abschnitt dieses Berichts kam das OLAF zu dem Ergebnis, der Klager habe die ihm als Beamten obliegenden Pflichten verletzt, indem er erwiesenermaßen in der Absicht, die in Art. 10 des Anhangs VII des Statuts vorgesehenen Tagegelder zu erhalten, wahrheitswidrig vorgegeben habe, dass sein Umzug von Luxemburg nach Brussel, der tatsachlich im August 1997 stattgefunden hatte, erst im Marz 1998 erfolgt sei. \n---|--- \n21 | Das OLAF fuhrte insoweit aus, es sei auch wahrscheinlich, dass der Klager sich von dem Umzugsunternehmen eine vordatierte Rechnung habe ausstellen lassen, um seine Erklarung glaubhafter zu machen. Auf dieser Grundlage empfahl das OLAF der Anstellungsbehorde, einen Betrag von 7902 Euro zuruckzufordern, der sich zum einen aus den zu Unrecht vom 1. September 1997 bis zum 1. Marz 1998 bezogenen Tagegeldern, seinerzeit 223080 Belgische Francs (5530 Euro), und zum anderen aus einem Betrag von 2372 Euro zusammensetzte, der dem Erstattungsbetrag fur Brillenfassungen ohne Korrekturglaser entsprach. Diese Empfehlung enthielt auch die Anregung, die vom Klager im Zeitraum 2002-2007, in dem er bei der Delegation der Kommission in Brasilien tatig war, eingereichten Antrage auf Erstattung von Krankheitskosten einer Prufung zu unterziehen. \n---|--- \n22 | Mit Schreiben vom 6. Juli 2012 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) teilte die Kommission dem Klager mit, dass sie aufgrund der Empfehlung des OLAF einen Betrag von 7902 Euro zuruckzufordern habe. Ein erster Betrag von 5530 Euro sei von seinen Bezugen fur den Monat Juni 2012 einzubehalten, desgleichen 3822,80 Euro Zinsen aus diesem Betrag, die von den Bezugen fur den Monat Juli 2012 in Abzug gebracht werden sollten, schließlich aber erst im Oktober 2012 verrechnet wurden. Ein zweiter, zu Unrecht erstattete Krankheitskosten betreffender Betrag von 2372 Euro sei von seinen Bezugen fur den Monat August 2012 einzubehalten, desgleichen 699,20 Euro Zinsen aus diesem Betrag. \n---|--- \n23 | Am 12. September 2012 legte der Klager nach Art. 90 Abs. 2 des Statuts Beschwerde ein, mit der er von der Anstellungsbehorde begehrte, das Schreiben vom 6. Juli 2012 und die Einbehaltungen von seinen Bezugen fur die Monate Juni bis September 2012 aufzuheben, desgleichen das Schreiben des Amtes fur die Feststellung und Abwicklung individueller Anspruche (PMO) vom 10. Juli 2012, mit dem die Einbehaltung von 3071,20 Euro von seinen Bezugen fur den Monat August 2012 gefordert wurde, sowie das Schreiben des PMO vom 20. Juli 2012, das die Einbehaltung der Zinsen in Hohe von 3822,80 Euro von den Bezugen fur Oktober 2012 vorsah. Insbesondere hinsichtlich der streitigen Tagegelder machte der Klager geltend, er habe in gutem Glauben gehandelt, weil er angenommen habe, der Anspruch auf diese Tagegelder bestehe fort, solange der Umzug seiner beweglichen Habe noch nicht tatsachlich und vollstandig erfolgt sei. Nach dem Vorbringen des Klagers konne ihm im Übrigen auch „keine boswillige Absicht zur Last gelegt werden", weil „die diesen Punkt betreffende Regelung - die [ihm] auf eine Weise erlautert worden [sei], die sich [ihm] nicht erschlossen [habe] - [s]einer Ansicht nach sehr technisch und schwer zu verstehen" sei. Ferner machte der Klager geltend, da er die Verwaltung nicht bewusst getauscht habe, musse sich die Anstellungsbehorde die in Art. 85 des Statuts vorgesehene funfjahrige Verjahrungsfrist entgegenhalten lassen. \n---|--- \n24 | Mit Entscheidung vom 17. Dezember 2012 stellte die Anstellungsbehorde in Bezug auf die Beschwerde hinsichtlich der erstatteten Krankheitskosten fest, sie konne nicht nachweisen, dass der Klager sie bewusst getauscht habe, um die Erstattung von Brillenfassungen ohne Korrekturglaser zu erhalten. Daher entschied die Anstellungsbehorde in Anwendung von Art. 85 Abs. 2 Satz 1 des Statuts, auf die Ruckforderung zu viel gezahlter Betrage wegen dieser Krankheitskosten zu verzichten. Hinsichtlich der streitigen Tagegelder vertrat sie hingegen die Auffassung, der Klager habe sie bewusst getauscht, so dass sie gemaß Art. 85 Abs. 2 Satz 2 des Statuts an die funfjahrige Verjahrungsfrist nicht gebunden sei. Mit der weiteren Begrundung, der Klager habe schon im August 1997 mit seiner Familie in Brussel Wohnung genommen und daher die Voraussetzungen fur einen Anspruch auf diese Tagegelder nicht mehr erfullt, wies die Anstellungsbehorde die Beschwerde in diesem Punkt zuruck. \n---|--- \n \nVerfahren und Antrage der Parteien\n\n25 | Der Klager beantragt im Wesentlichen, | -- | das Schreiben vom 6. Juli 2012 aufzuheben; \n---|--- \n-- | die Einbehaltungen von seinen Bezugen fur die Monate Juni 2012 (5530\nEuro), August 2012 (1535,60 Euro), September 2012 (1535,60 Euro) und Oktober\n2012 (3822,80 Euro) sowie alle weiteren zur Vollstreckung der angefochtenen\nEntscheidung gegebenenfalls noch erfolgenden Einbehaltungen aufzuheben; \n---|--- \n-- | das Schreiben des PMO vom 10. Juli 2012 aufzuheben; \n---|--- \n-- | das Schreiben des PMO vom 20. Juli 2012 aufzuheben; \n---|--- \n-- | die Entscheidung uber die Zuruckweisung der Beschwerde teilweise\naufzuheben, soweit die Beschwerde des Klagers hinsichtlich der streitigen\nTagegelder und der Verzugszinsen zuruckgewiesen wurde; \n---|--- \n-- | die Beklagte zur Zahlung von Verzugszinsen ab Juni 2012 aus einem Betrag\nvon 5530 Euro, ab August 2012 aus einem ersten Betrag von 1535,60 Euro, ab\nSeptember 2012 aus weiteren 1535,60 Euro und ab Oktober 2012 aus 3822,80 Euro\nbis zu dem Zeitpunkt zu verurteilen, an dem ihm diese Betrage zuruckerstattet\nwerden, wobei in Hohe der mit der Zahlung der Bezuge fur Januar 2013 erfolgten\nRuckzahlung von 3071,20 Euro von diesem Zeitpunkt an keine Verzugszinsen mehr\nzu zahlen sind; \n---|--- \n-- | der Kommission die Kosten aufzuerlegen. \n---|--- \n26 | Die Kommission beantragt, | -- | die Klage als unbegrundet abzuweisen; \n---|--- \n-- | dem Klager die Kosten aufzuerlegen. \n---|--- \n \nRechtliche Wurdigung\n\n1. Zum Gegenstand der Klage\n\n27 | Da die Anstellungsbehorde der Beschwerde hinsichtlich der Erstattung von Krankheitskosten stattgegeben und der Klager die von seinen Bezugen fur die Monate August und September 2012 im Zusammenhang mit diesen Krankheitskosten einbehaltenen Betrage im Januar 2013 ausgezahlt erhalten hat, ist vorab festzustellen, dass die diesbezuglichen Klageantrage gegenstandslos sind, was der Klager im Übrigen in der mundlichen Verhandlung bestatigt hat. \n---|--- \n \n2. Zu den Aufhebungsantragen\n\n28 | Die Aufhebungsantrage betreffen, soweit es um die streitigen Tagegelder geht, im Wesentlichen das Schreiben vom 6. Juli 2012, die im Hinblick darauf im Juni, August, September und Oktober 2012 vorgenommenen Einbehaltungen von den Bezugen sowie die Entscheidung uber die Zuruckweisung der Beschwerde. \n---|--- \n29 | Insoweit kann das Gericht nach dem Grundsatz der Verfahrensokonomie entscheiden, dass uber die Antrage, die sich gegen die Entscheidung richten, die die Beschwerde zuruckweist, nicht eigens zu entscheiden ist, wenn es feststellt, dass diese Antrage keinen eigenstandigen Gehalt haben und in Wirklichkeit mit den Antragen zusammenfallen, die sich gegen die Entscheidung richten, gegen die die Beschwerde erhoben wurde. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn das Gericht feststellt, dass die Entscheidung, die die Beschwerde zuruckweist, lediglich ‐ moglicherweise, weil sie implizit erfolgt ‐ die Entscheidung bestatigt, die Gegenstand der Beschwerde ist, und sich daher die Aufhebung der einen Entscheidung nicht anders auf die Rechtslage der betroffenen Person auswirken wurde als die Aufhebung der anderen Entscheidung (Urteil Adjemian u. a./Kommission, T‑325/09 P, [EU:T:2011:506](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2011%3A506&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 33 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n30 | Da jedoch im vorliegenden Fall einerseits die Einbehaltungen von den Bezugen in Ausfuhrung des Schreibens vom 6. Juli 2012 erfolgten und andererseits die Entscheidung uber die Zuruckweisung der Beschwerde eine erneute Überprufung der Situation des Klagers unter neuen rechtlichen Gesichtspunkten zum Inhalt hat, ist davon auszugehen, dass sich die Aufhebungsantrage sowohl gegen das Schreiben vom 6. Juli 2012 als auch gegen die Entscheidung uber die Zuruckweisung der Beschwerde richten. \n---|--- \n31 | Der Klager stutzt seine Aufhebungsantrage letztlich auf vier Klagegrunde, namlich eine Verletzung der Begrundungspflicht nach Art. 25 Abs. 2 des Statuts, einen Verstoß gegen Art. 10 des Anhangs VII des Statuts, einen Verstoß gegen Art. 85 des Statuts und gegen den Grundsatz der angemessenen Frist zur Geltendmachung der Ruckforderung sowie einen Verstoß gegen die Grundsatze des Vertrauensschutzes und der ordnungsgemaßen Verwaltung. \n---|--- \n \nZum ersten Klagegrund: Verletzung der Begrundungspflicht\n\n32 | Der Klager rugt, die Kommission habe ihm den Inhalt des OLAF‑Berichts weder bei Erlass des Schreibens vom 6. Juli 2012 noch im Beschwerdeverfahren mitgeteilt. Sie habe sich im Schreiben vom 6. Juli 2012 und in der Entscheidung uber die Zuruckweisung der Beschwerde darauf beschrankt, auf den Inhalt dieses Berichts Bezug zu nehmen, ohne dem Klager auch nur die wesentlichen Gesichtspunkte mitzuteilen, auf die zu seinem Nachteil abgestellt worden sei. Da er nach seinem Vortrag somit nicht in der Lage war, vom Inhalt dieses Berichts, der Grundlage der getroffenen Entscheidungen zur Ruckforderung der streitigen Tagegelder gewesen sei, in sachdienlicher Weise Kenntnis zu nehmen, seien das Schreiben vom 6. Juli 2012 und die Entscheidung uber die Zuruckweisung der Beschwerde mit einem Begrundungsmangel behaftet. \n---|--- \n33 | Die Kommission raumt zwar ein, dass der OLAF‑Bericht dem Klager erst am 1. Februar 2013 zur Kenntnis gebracht wurde, macht aber geltend, dass das Schreiben vom 6. Juli 2012 in einem Zusammenhang erfolgte, der dem Klager wohlbekannt war, vor allem nach seinen beiden Anhorungen vor dem OLAF. Die vom Klager in seiner Beschwerde vorgetragenen rechtlichen Gesichtspunkte, insbesondere, dass er in gutem Glauben gehandelt und die Zulage ihm zugestanden habe, solange der Umzug seines Mobiliars nicht vollstandig und tatsachlich stattgefunden habe, seien jedoch ein Beweis fur sein gesichertes Verstandnis der Gesichtspunkte, auf die die Anstellungsbehorde zu seinem Nachteil abgestellt habe. Jedenfalls habe die Kommission eine angemessene Begrundung im Stadium der Beantwortung der Beschwerde gegeben, und diese Begrundung sei nunmehr so anzusehen, als falle sie mit der Begrundung des Schreibens vom 6. Juli 2012 zusammen, gegen das die Beschwerde eingelegt wurde. \n---|--- \n34 | Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das in Art. 296 Abs. 2 AEUV normierte Erfordernis, das auch in Art. 25 Abs. 2 des Statuts enthalten ist, dem Gericht ermoglichen soll, die Rechtmaßigkeit der beschwerenden Entscheidungen zu uberprufen, und den Betroffenen ausreichende Hinweise fur die Feststellung geben soll, ob diese Entscheidungen begrundet sind oder aber unter einem Mangel leiden, aufgrund dessen ihre Rechtmaßigkeit in Frage gestellt werden kann. Daraus ergibt sich, dass die Begrundung dem Betroffenen grundsatzlich gleichzeitig mit der ihn beschwerenden Entscheidung mitzuteilen ist (vgl. Urteile Michel/Parlament, 195/80, [EU:C:1981:284](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1981%3A284&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 22, Neirinck/Kommission, C‑17/07 P, [EU:C:2008:134](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2008%3A134&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 50, sowie Tzirani/Kommission, F‑46/11, [EU:F:2013:115](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2013%3A115&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 138 bis 140). \n---|--- \n35 | Zwar ist festzustellen, dass das Schreiben vom 6. Juli 2012 nur wenige Ausfuhrungen zur Begrundung enthalt, weil es zur Rechtfertigung der Ruckforderung der streitigen Tagegelder auf die Empfehlungen des OLAF vom 30. Marz 2012 verweist, und dass dieses Schreiben somit mangels vorheriger Bekanntgabe des Inhalts des OLAF‑Berichts an den Klager mit einer relativ knappen Begrundung versehen ist. \n---|--- \n36 | Zum einen hat die Anstellungsbehorde aber in der Entscheidung uber die Zuruckweisung der Beschwerde eine angemessene Begrundung gegeben. Diese Entscheidung bestatigt das Schreiben vom 6. Juli 2012, indem sie die Grunde darlegt, die dieses Schreiben stutzen. In einem solchen Fall ist die Rechtmaßigkeit der ursprunglichen beschwerenden Entscheidung unter Berucksichtigung der Begrundung zu prufen, die sich aus der Entscheidung uber die Zuruckweisung der Beschwerde ergibt, da diese Begrundung als mit dem ursprunglichen Rechtsakt zusammenfallend anzusehen ist (Urteil Infante Garcia-Consuegra/Kommission, F‑10/12, [EU:F:2013:38](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2013%3A38&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 14 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n37 | Zum anderen ist eine Entscheidung jedenfalls dann hinreichend begrundet, wenn der mit der Klage angegriffene Rechtsakt - wie im vorliegenden Fall - unter Umstanden ergangen ist, die dem betroffenen Beamten bekannt waren, wie hier dem Klager aufgrund seiner mehrfachen Anhorung vor dem OLAF, und ihn in die Lage versetzten, die Tragweite der ihm gegenuber getroffenen Maßnahme zu verstehen (Urteil Hecq/Kommission, C‑116/88 und C‑149/88, [EU:C:1990:98](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1990%3A98&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 26, und Beschluss Marcuccio/Kommission, F‑118/11, [EU:F:2014:23](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2014%3A23&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 73). \n---|--- \n38 | Das Gericht ist ferner der Auffassung, dass die ausfuhrliche Beschwerdeschrift des Klagers dessen Kenntnis der Grunde belegt, aus denen die Kommission mit dem Schreiben vom 6. Juli 2012 entschieden hatte, die streitigen Tagegelder wieder einzuziehen. Er kann daher nicht behaupten, die Grunde fur diese Entscheidung der Anstellungsbehorde nicht verstanden zu haben. Davon abgesehen ist der Umstand, dass der Klager den OLAF‑Bericht erst am 1. Februar 2013 erhielt, nicht geeignet, die Tatsache in Frage zu stellen, dass er bei Kenntnisnahme vom Schreiben vom 6. Juli 2012 verstanden hatte, aus welchen Grunden sein Dienstherr die hier streitige Ruckforderung betrieb. \n---|--- \n39 | Somit ist der erste, auf eine Verletzung der Begrundungspflicht gestutzte Klagegrund als unbegrundet zuruckzuweisen. \n---|--- \n \nZum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 10 des Anhangs VII des Statuts\n\n40 | Zur Stutzung dieses Klagegrundes macht der Klager im Wesentlichen geltend, die streitigen Tagegelder hatten ihm zugestanden, solange er den tatsachlichen und abschließenden Umzug der Gesamtheit seiner beweglichen Habe von Luxemburg nach seinem neuen Dienstort noch nicht vorgenommen habe. Daher seien der Umstand, dass seine Ehefrau und die Kinder im August 1997 in die angemietete Brusseler Wohnung eingezogen seien, und die Tatsache, dass die Kinder zu Beginn des Schuljahrs 1997/98 in Brussel eingeschult worden seien, nicht ausreichend, um seinen Anspruch auf Tagegelder gemaß Art. 10 des Anhangs VII des Statuts entfallen zu lassen. \n---|--- \n41 | Der Klager ist namlich der Ansicht, in Ermangelung des tatsachlichen Umzugs seines Mobiliars konne die Anstellungsbehorde ihm nicht den Willen unterstellen, seinen Einzug in die Brusseler Wohnung als abgeschlossen anzusehen, zumal diese Wohnung im Gegenteil bis zum 2. Marz 1998 eine vorlaufige Unterkunft mit unzulanglichem Komfort dargestellt habe, weil sie nur mit einigen der allernotwendigsten Einrichtungsgegenstande wie Matratzen, Tischen und Stuhlen ausgestattet gewesen sei und er in dem Zeitraum, fur den die Tagegelder gewahrt worden seien, die Fahrten nach Luxemburg und zuruck, die er unternommen habe, um mit der Vermietung seines Luxemburger Hauses verbundene Probleme zu regeln, dazu genutzt habe, nach und nach einige Kartons im Auto an seinen neuen Dienstort mitzunehmen. Ferner tragt der Klager vor, auch wenn die zu Art. 10 des Anhangs VII des Statuts entwickelte Rechtsprechung die Gewahrung von Tagegeldern von der Voraussetzung abhangig zu machen scheine, dass der Anspruchsberechtigte vorubergehend zwei Wohnsitze unterhalten musse, habe der Umstand, dass er seinen fruheren Wohnsitz in Luxemburg nicht beibehalten habe, in seinem Fall der Gewahrung von Tagegeldern nicht entgegengestanden. Schließlich habe die Anstellungsbehorde offensichtliche Beurteilungsfehler begangen. \n---|--- \n42 | Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Anwendung von Art. 71 des Statuts, der insbesondere vorsieht, dass der Beamte Anspruch auf Erstattung der Kosten hat, die ihm beim Dienstantritt, bei einer Versetzung oder beim Ausscheiden aus dem Dienst entstanden sind, Art. 10 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts die Gewahrung eines solchen Tagegelds fur den Fall vorsieht, dass „ein Beamter nach[weist], dass er seinen Wohnsitz andern muss, um seinen Verpflichtungen aus Artikel 20 des Statuts nachzukommen". Gemaß Art. 20 hat der Beamte am Ort seiner dienstlichen Verwendung oder in solcher Entfernung von diesem Ort Wohnung zu nehmen, dass er in der Ausubung seines Amtes nicht behindert ist (Urteil Benzler/Kommission, T‑63/91, [EU:T:1992:88](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A1992%3A88&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 19). \n---|--- \n43 | In einer Situation wie der des Klagers soll das Tagegeld im Wesentlichen einen Ausgleich fur die Kosten und Unannehmlichkeiten gewahren, die dem Beamten dadurch entstehen, dass er zu seinem neuen Dienstort fahren und sich dort vorlaufig einrichten muss. Diese Zielsetzung ist von der zur Zeit des Sachverhalts geltenden Rechtsprechung standig herausgestellt worden (vgl. insbesondere Urteil Mouzourakis/Parlament, 280/85, [EU:C:1987:66](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1987%3A66&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 9, Urteil Benzler/Kommission, [EU:T:1992:88](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A1992%3A88&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 20, sowie Urteil Baniel-Kubinova u. a./Parlament, F‑131/07, [EU:F:2008:159](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2008%3A159&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 17). \n---|--- \n44 | Somit hangt die Gewahrung der Tagegelder von zwei Voraussetzungen ab, namlich zum einen davon, dass der Betroffene seinen Wohnsitz geandert hat, um seinen Verpflichtungen aus Art. 20 des Statuts nachzukommen, und zum anderen davon, dass ihm durch die Notwendigkeit, zu seinem neuen Dienstort zu fahren oder sich dort vorlaufig einzurichten, Kosten oder Unannehmlichkeiten entstanden sind. Da diese beiden Bedingungen kumulativ sind, kann das Tagegeld insbesondere nicht einem Beamten gewahrt werden, der nicht nachweist, solche Kosten oder solche Unannehmlichkeiten auf sich genommen zu haben (vgl. Urteil Infante Garcia-Consuegra/Kommission, [EU:F:2013:38](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2013%3A38&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 29 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n45 | Im Übrigen ist auch bereits entschieden worden, dass die Gewahrung von Tagegeldern die Berechtigten insbesondere in die Lage versetzen soll, eine ihren Bedurfnissen entsprechende Wohnung am Dienstort zu finden und die Situation in Bezug auf ihren fruheren Wohnsitz - etwa durch Vermietung oder Untervermietung - zu regeln (Beschluss Collins/Ausschuss der Regionen, T‑132/97, [EU:T:1998:193](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A1998%3A193&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 43). \n---|--- \n46 | Der Anspruch auf Tagegeld entsteht zwar schon, bevor der Betroffene seinen Wohnsitz an seinen Dienstort oder neuen Dienstort verlegt hat (Urteil Baniel-Kubinova u. a./Parlament, [EU:F:2008:159](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2008%3A159&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 24); Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 3 des Anhangs VII des Statuts bestimmt jedoch, dass das Tagegeld auf keinen Fall uber den Zeitpunkt hinaus gewahrt wird, zu dem der Beamte umgezogen ist, um seinen Verpflichtungen aus Art. 20 des Statuts nachzukommen. \n---|--- \n47 | Somit stellt der Tag des Umzugs einen Stichtag dar, an dem der Anspruch auf Tagegeld automatisch endet. Dieser Grund fur das Erloschen des Anspruchs auf Tagegeld andert jedoch nichts daran, dass der Betroffene zumindest die beiden in Rn. 44 des vorliegenden Urteils aufgefuhrten Voraussetzungen erfullen muss, um Anspruch auf dieses Tagegeld zu haben. Auch wenn der Gesetzgeber mit anderen Worten davon ausging, dass dem Betroffenen wegen der Notwendigkeit, zum Dienstort zu fahren oder sich dort vorlaufig einzurichten, vom Tag des Umzugs an keine Kosten oder Unannehmlichkeiten mehr entstehen, andert das nichts daran, dass die zweite in Rn. 44 genannte Voraussetzung selbst dann als nicht oder nicht mehr erfullt angesehen werden kann, wenn ein tatsachlicher Umzug des gesamten Mobiliars des Betroffenen nicht stattgefunden hat. \n---|--- \n48 | Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass der Klager sein Luxemburger Haus ab 1. August 1997 vermietet hatte und nicht nachweist, eine andere Wohnung in Luxemburg unterhalten zu haben. Er behauptet auch nicht, weiterhin in diesem Mitgliedstaat gewohnt zu haben, denn er hat im Gegenteil ‐ insbesondere in seiner Klageschrift und in der mundlichen Verhandlung ‐ angegeben, ab 1. September 1997 Wohnung in Brussel genommen und seinen fruheren Wohnsitz nicht beibehalten zu haben. Die einzige Besonderheit, die er in der Sache vortragt, besteht zum einen darin, dass „er selbst" sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht „endgultig" eingerichtet habe. Zum anderen habe er in der Garage seines Luxemburger Hauses noch personliche Gegenstande und Mobiliar zuruckgelassen, das er nach und nach bei Gelegenheit von Fahrten transportiert habe, die er nach Luxemburg unternommen habe, um Probleme im Zusammenhang mit der Vermietung dieses Hauses, wie etwa Probleme mit der Heizung, zu regeln. \n---|--- \n49 | Hinsichtlich der Mitglieder seiner Familie raumt er im Übrigen ein, dass diese die gemietete Brusseler Wohnung im August 1997 bezogen haben und seine Kinder zu Beginn des Schuljahrs 1997/98 in Brussel eingeschult wurden. In der mundlichen Verhandlung hat der Klager insoweit geltend gemacht, man musse zwischen der Begrundung des Wohnsitzes oder dem Umstand, in Brussel zu wohnen, und der Verlegung des Wohnsitzes an diesen neuen Dienstort unterscheiden. Tatsachlich habe er mit seiner Familie im August 1997 seinen Wohnsitz in Brussel begrundet. Er macht jedoch geltend, mangels tatsachlichen Umzugs seines gesamten Mobiliars sei er so zu behandeln, als habe er seinen Wohnsitz noch nicht verlegt. \n---|--- \n50 | Hierzu ist das Gericht angesichts der Rechtsprechung (Urteil Ineichen/Kommission, T‑293/01, [EU:T:2003:55](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2003%3A55&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 64 und die dort angefuhrte Rechtsprechung) der Auffassung, dass alle diese Gesichtspunkte im Gegenteil darauf hinweisen, dass der Klager den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bereits am 1. September 1997 in der Absicht, ihm Dauerhaftigkeit zu verleihen, an seinen neuen Dienstort verlegt hat. \n---|--- \n51 | Somit hat der Klager seinen fruheren Wohnsitz nicht beibehalten und keine anderen, mit behaupteten Unannehmlichkeiten verbundenen Kosten nachgewiesen. Daher war die Gewahrung der Tagegelder an den Klager angesichts des Wortlauts des Art. 10 des Anhangs VII des Statuts in seiner zeitlich anwendbaren Fassung und in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung schon aus diesem Grund nicht gerechtfertigt (vgl. Urteil Lozano Palacios/Kommission, T‑33/95, [EU:T:1996:196](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A1996%3A196&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 55 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n52 | Das einzige Argument, auf das sich der Klager beruft, um aufzuzeigen, dass die Verlegung seiner personlichen und familiaren Interessen nach Brussel zum Zeitpunkt der Aufnahme seines Dienstes, d. h. am 1. September 1997, noch nicht abgeschlossen war, ist der Umstand, dass nach seinem Vortrag noch nicht die Gesamtheit seines Mobiliars an diesen neuen Dienstort verbracht worden war und deshalb nicht angenommen werden konne, er habe seinen Wohnsitz verlegt. \n---|--- \n53 | Insoweit raumt der Klager aber ein, dass die Brusseler Wohnung, die aus funf Zimmern bestand, mit den notwendigsten Einrichtungsgegenstanden wie Tischen, Matratzen und Bettwasche ausgestattet worden war. Er hatte seinen Wohnsitz daher sehr wohl am 1. September 1997 an seinen neuen Dienstort verlegt. Im Übrigen legt der Klager in keiner Weise dar, welche anderen nach seinem Vortrag in Luxemburg verbliebenen Einrichtungsgegenstande fur ihn und seine Familie notig gewesen waren, um die Annahme zu rechtfertigen, er habe die Wohnungnahme an seinem neuen Dienstort abgeschlossen. \n---|--- \n54 | Als Anhaltspunkte, die fur einen Umzug eines Teils des Mobiliars des Klagers von Luxemburg nach Brussel sprechen, kommen nach Auffassung des Gerichts letztlich nur eine Bestatigung uber den ordnungsgemaßen Erhalt des Mobiliars und der personlichen Gegenstande sowie eine Rechnung - beide auf den 15. Marz 1998 ausgestellt - in Betracht, wobei in der ersten angegeben ist, am 2. Marz 1998 sei ein Umzug von dem Luxemburger Haus, dessen Anschrift vermerkt war, nach Brussel - ohne Angabe einer bestimmten Anschrift - durchgefuhrt worden. \n---|--- \n55 | Allerdings geht aus der Gesamtheit der bei den Akten befindlichen Beweise hervor, dass die Kommission ungeachtet der Frage, ob ein Umzug bestimmter, nach dem Vortrag des Klagers in Luxemburg verbliebener Einrichtungsgegenstande tatsachlich am 2. Marz 1998 stattgefunden hat, zu Recht feststellen durfte, dass der Klager jedenfalls schon am 1. September 1997 den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen dauerhaft und standig an seinen neuen Dienstort verlegt und dort im Sinne von Art. 10 des Anhangs VII des Statuts endgultig Wohnung genommen hatte. Aus diesem Grunde erfullte er die zweite, vorstehend in Rn. 44 aufgefuhrte Voraussetzung nicht mehr. \n---|--- \n56 | Nach alledem ist der zweite Klagegrund als unbegrundet zuruckzuweisen. \n---|--- \n \nZum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 85 des Statuts\n\n57 | Der dritte Klagegrund setzt sich im Licht der Schriftsatze des Klagers im Wesentlichen aus zwei Teilen zusammen, die sich zum einen auf die fehlende Absicht des Klagers, die Verwaltung im Sinne von Art. 85 des Statuts zu tauschen, und zum anderen auf die Verkennung des Begriffs der angemessenen Frist fur die Ruckforderung zu viel gezahlter Betrage stutzen. \n---|--- \n \nErster Teil des dritten Klagegrundes: fehlende Absicht des Klagers, die\nVerwaltung im Sinne von Art. 85 des Statuts zu tauschen\n\n58 | Der Klager macht geltend, mit ihrer Entscheidung, die streitigen Tagegelder wieder einzuziehen, habe die Anstellungsbehorde gegen Art. 85 des Statuts verstoßen. Er behauptet namlich, die Verwaltung weder bewusst getauscht noch eine entsprechende Absicht verfolgt zu haben. Gemaß Art. 85 Abs. 2 Satz 1 des Statuts habe die Anstellungsbehorde die streitigen Tagegelder somit nur bis zum Ablauf von funf Jahren nach ihrer Auszahlung zuruckfordern konnen. Er hebt insbesondere hervor, die bloße Tatsache einer versehentlichen Tauschung der Verwaltung reiche nicht aus, weil eine wirkliche Tauschungsabsicht erforderlich sei, an der es im vorliegenden Fall fehle. \n---|--- \n59 | Die Kommission tragt ihrerseits vor, der Klager habe sie bewusst uber das Datum getauscht, an dem er an seinem neuen Dienstort Wohnung genommen habe. Durch die kunstliche Aufspaltung seines Antrags auf Einrichtungsbeihilfe in zwei getrennte Antrage habe der Klager ihr namlich vorgespiegelt, seine Familie sei noch nicht in die Brusseler Wohnung umgezogen, um in Anwendung von Art. 5 Abs. 4 des Anhangs VII des Statuts die Halfte dieser Beihilfe zu erhalten. Als der Klager dann nach dem behaupteten Umzug seines Mobiliars von Luxemburg nach Brussel am 2. Marz 1998 die Auszahlung der zweiten Halfte dieser Beihilfe beantragt habe, habe er unter Vorlage eines zum Nachweis beigefugten Antrags auf Aufenthaltsgenehmigung fur die Mitglieder seiner Familie angegeben, diese seien erst zu diesem Zeitpunkt zu ihm an den neuen Dienstort nachgezogen, eine Behauptung, die der Klager selbst widerlegt hat. Die Kommission hebt ferner hervor, der Klager habe die auf den 15. Marz 1998 vordatierte Rechnung vorgelegt, um die Zahlung der Tagegelder fur die in Art. 10 des Anhangs VII des Statuts vorgesehene Hochstdauer von 180 Tagen gerechtfertigt erscheinen zu lassen. \n---|--- \n60 | Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der zweite Absatz des Art. 85 des Statuts, der erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt eingefuhrt worden ist, auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, sofern die Verfolgung der betreffenden Unregelmaßigkeit nach dem Inkrafttreten dieser neuen Regelung eingeleitet wurde (vgl. entsprechend fur die Verfolgung von Unregelmaßigkeiten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union: Urteil Josef Vosding Schlacht‑, Kuhl- und Zerlegebetrieb u. a., C‑278/07 bis C‑280/07, [EU:C:2009:38](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A38&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 29 und 34). Die Kommission hat diese neue Vorschrift im Übrigen angewandt, da sie von der Ruckforderung der ohne Rechtsgrund erstatteten Krankheitskosten mit der Begrundung abgesehen hat, sie konne den nach dieser Vorschrift erforderlichen Nachweis, dass der Klager sie hinsichtlich dieser Kosten bewusst getauscht habe, nicht erbringen. \n---|--- \n61 | Sodann ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 85 Abs. 1 des Statuts fur die Ruckforderung eines ohne rechtlichen Grund gezahlten Betrags der Nachweis erforderlich ist, dass der Empfanger den Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung tatsachlich kannte oder der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfanger ihn hatte kennen mussen (Urteil Berghmans/Kommission, 142/78, [EU:C:1979:233](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1979%3A233&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 9, und Urteil Ritto/Kommission, F‑18/08, [EU:F:2008:110](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2008%3A110&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 29). \n---|--- \n62 | Insoweit ergibt sich aus den vorstehenden Feststellungen, denen zufolge der Klager am 1. September 1997 an seinem neuen Dienstort endgultig Wohnung genommen hatte, dass ihm unter diesen Umstanden nach Art. 10 des Anhangs VII des Statuts keine Tagegelder zustanden, was ihm bekannt sein musste, weil nach der Rechtsprechung davon auszugehen ist, dass jeder die ubliche Sorgfalt beachtende Beamte das Statut kennt (Urteil Connolly/Kommission, T‑34/96 und T‑163/96, [EU:T:1999:102](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A1999%3A102&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 168, und Urteil CR/Parlament, F‑128/12, [EU:F:2014:38](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2014%3A38&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 45; vgl. ferner zu einer Auslandszulage Urteil Gouvras/Kommission, T‑180/02 und T‑113/03, [EU:T:2004:238](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2004%3A238&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 111). \n---|--- \n63 | Was das Vorbringen des Klagers betrifft, mit dem er darzulegen versucht, die Bestimmungen des Art. 10 des Anhangs VII des Statuts seinen „offensichtlich" kompliziert, die Unregelmaßigkeit sei nicht so evident gewesen, weil sie auch der Verwaltung nicht aufgefallen sei, und er selbst sei kein Spezialist im Recht des Statuts, bleibt lediglich festzustellen, dass der Klager, der angesichts der Funktionsgruppe, der er angehort, seiner hohen Besoldungsgruppe, seines hohen Dienstalters und seiner betrachtlichen Erfahrung sowohl in Haushaltsangelegenheiten als auch hinsichtlich wechselnder Dienstorte auf diesem Gebiet sehr sachkundig ist, vernunftigerweise nicht behaupten kann, eine solche Regelung erscheine ihm kompliziert und er sei nicht in der Lage, die gebotenen Prufungen vorzunehmen. Im Übrigen ist die Situation, in der sich eine Verwaltung befindet, die die Zahlung Tausender von Gehaltern und Zulagen aller Art zu bewaltigen hat, nicht mit derjenigen des Beamten zu vergleichen, der ein personliches Interesse an der Prufung der monatlich bei ihm eingehenden Zahlungen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil F/Kommission, T‑324/04, [EU:T:2007:140](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2007%3A140&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 144 und 145 sowie die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n64 | Die Voraussetzungen in Art. 85 Abs. 1 des Statuts fur die Ruckforderung der ohne rechtlichen Grund gezahlten Betrage waren daher im vorliegenden Fall erfullt. \n---|--- \n65 | Hinsichtlich der Bedingungen, unter denen eine solche Ruckforderung vorgenommen werden kann, bestimmt Art. 85 Abs. 2 Satz 1 des Statuts, dass die Ruckforderung grundsatzlich innerhalb von funf Jahren nach Zahlung des Betrags zu erfolgen hat. Somit hatten die monatlich gezahlten streitigen Tagegelder grundsatzlich innerhalb von funf Jahren nach den betreffenden Zahlungen zuruckgefordert werden mussen. Aus Art. 85 Abs. 2 Satz 2, auf den sich die Kommission hier beruft, ergibt sich jedoch, dass die Anstellungsbehorde an diese Funfjahresfrist nicht gebunden ist, wenn sie nachweisen kann, dass der Empfanger sie bewusst getauscht hat, um die betreffenden Betrage zu erlangen. \n---|--- \n66 | Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 85 des Statuts allgemein dem Ziel dient, die finanziellen Interessen der Europaischen Union im besonderen Kontext der Beziehungen zwischen ihren Organen und ihren Bediensteten zu schutzen, d. h. den Personen, die diesen Organen gegenuber eine besondere Loyalitatspflicht haben, wie sie nunmehr ausdrucklich in Art. 11 des Statuts festgelegt ist, der insbesondere bestimmt, dass der Beamte sich in seinem Verhalten „ausschließlich von den Interessen der Union" hat leiten zu lassen und die ihm aufgetragenen Aufgaben „unter Einhaltung seiner Loyalitatspflicht gegenuber der Union" auszufuhren hat (Urteil CR/Parlament, [EU:F:2014:38](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2014%3A38&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 61). \n---|--- \n67 | Die beiden Satze, aus denen der zweite Absatz des Art. 85 des Statuts besteht, unterscheiden zwischen zwei Situationen. Der erste Satz betrifft den Fall, dass der Bedienstete eine Zahlung ohne rechtlichen Grund erhalten hat, obwohl er der Verwaltung gegebenenfalls die Angaben gemacht hat, anhand deren sie das Fehlen des rechtlichen Grundes fur diese Zahlung hatte erkennen konnen. Der Unionsgesetzgeber war der Ansicht, dass die Anstellungsbehorde in einer solchen Situation, in der sie allenfalls versehentlich getauscht wurde, den rechtsgrundlos gewahrten Vorteil nach Ablauf einer Frist von funf Jahren nach der Zahlung nicht mehr zuruckfordern kann. Demgegenuber betrifft der zweite Satz den Fall, dass der Bedienstete in dem Bestreben, eine ihm nicht zustehende Zahlung zu erhalten, die Anstellungsbehorde bewusst tauscht, indem er es unterlasst, ihr samtliche Informationen uber seine personliche Situation zu erteilen oder Änderungen seiner personlichen Verhaltnisse zur Kenntnis zu bringen, oder indem er - u. a. durch unzutreffende oder ungenaue Angaben - Vorkehrungen trifft, die es der Anstellungsbehorde erschweren sollen, das Fehlen des Rechtsgrundes fur die ihm gewahrte Zahlung zu erkennen. \n---|--- \n68 | Unter diesen Gesichtspunkten ist zu prufen, ob der Kommission im vorliegenden Fall der Nachweis gelungen ist, dass der Klager sie im Sinne von Art. 85 Abs. 2 Satz 2 des Statuts bewusst getauscht hat, um die streitigen Tagegelder zu erlangen. \n---|--- \n69 | Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es sich beim Tagegeld um eine wiederkehrende Leistung handelt. Daher muss der Betroffene die Voraussetzungen fur ihre Gewahrung nicht nur bei Antragstellung, sondern auch wahrend des gesamten Zeitraums erfullen, fur den diese Tagegelder gezahlt werden. Somit obliegt es ihm, insbesondere aufgrund seiner Loyalitatspflicht, die Verwaltung uber jede Änderung zu informieren, die sich auf seinen Anspruch auf die betreffende Leistung auswirken kann. \n---|--- \n70 | Im vorliegenden Fall hatte der Klager nach Vermietung seines Luxemburger Hauses und nach Anmietung der Brusseler Wohnung, namlich am 1. September 1997, in dem allgemeinen Vordruck zur Festsetzung seiner beamtenrechtlichen Anspruche angegeben, dass seine Familie ihm noch nicht an seinen neuen Dienstort nachgefolgt sei, obwohl er spater, auch in seiner Klageschrift und in der mundlichen Verhandlung, bestatigt hat, dass seine Kinder in Wirklichkeit schon zu Beginn des Schuljahrs 1997/98 in Brussel eingeschult wurden und er bereits zu dieser Zeit zusammen mit seiner Ehefrau und den Kindern in diesem - wenn auch nach seinem Vorbringen spartanisch eingerichteten - Appartement Wohnung genommen hatte. Das Gericht stellt ferner fest, dass der Klager beim Ausfullen dieses Vordrucks zunachst damit begonnen hatte, als Wohnsitz seiner Kinder Brussel einzutragen, sich dann aber anders besann und an derselben Stelle die Angabe Luxemburg eintrug. \n---|--- \n71 | Zwar erklarte er anschließend am 9. September 1997 in dem Vordruck fur die Einrichtungsbeihilfe, der von der Verwaltung auch zur Festsetzung der Tagegelder herangezogen wurde, dass er zusammen mit seiner Familie in Brussel Wohnung genommen habe. Das Gericht stellt jedoch fest, dass er in demselben Vordruck erklarte, „von der vorstehenden Regelung Kenntnis genommen" zu haben, namlich von Art. 20 des Statuts sowie von Art. 5 des Anhangs VII hierzu. \n---|--- \n72 | Dieser Art. 5 bestimmt in seinem Abs. 4: „Nimmt ein Beamter, der Anspruch auf die Haushaltszulage hat, ohne seine Familie am Ort seiner dienstlichen Verwendung Wohnung, so erhalt er nur die Halfte der Beihilfe, auf die er sonst Anspruch hatte". Indem der Klager zwei getrennte Antrage auf Einrichtungsbeihilfe stellte, den ersten am 9. September 1997, auf den er nach Vorlage seines Mietvertrags eine Beihilfe in Hohe eines Monatsgrundgehalts erhielt, und den zweiten im Marz 1998, auf den er nach Vorlage des Antrags auf Aufenthaltsgenehmigung fur die Mitglieder seiner Familie die zweite Halfte dieser Beihilfe erhielt, wollte er die Verwaltung glauben machen, dass seine ursprungliche Angabe vom 1. September 1997, seine Familie sei ihm noch nicht an seinen neuen Dienstort nachgefolgt, was nicht den Tatsachen entsprach, weiterhin zutreffe und seine Familie ihm erst am 2. Marz 1998 nachgefolgt sei, was ebenfalls nicht zutraf. Somit hat er die Verwaltung bewusst getauscht, indem er sie in der Vorstellung bestarkte, er erfulle weiterhin die Voraussetzungen fur die Gewahrung der streitigen Tagegelder. \n---|--- \n73 | Da der Klager in seiner Klageschrift und in der mundlichen Verhandlung aber bestatigt hat, dass seine Familie ihm schon am 1. September 1997 nach Brussel nachgefolgt war, traf die in Art. 5 Abs. 4 des Anhangs VII des Statuts bezeichnete Situation auf ihn nicht zu. Normalerweise hatte er daher schon im September einen einzigen Antrag auf Gewahrung der gesamten Einrichtungsbeihilfe unter Vorlage seines Mietvertrags und eines Antrags auf Aufenthaltsgenehmigung stellen mussen. In diesem Fall hatte die Verwaltung ihm diese Beihilfe in einem einzigen Betrag gezahlt, ihm aber keine Tagegelder gewahrt. Indem er lediglich die Halfte der Einrichtungsbeihilfe gemaß Art. 5 Abs. 4 des Anhangs VII des Statuts beantragte und erhielt, hat der Klager die Verwaltung nach alledem in der Absicht, die Zahlung der streitigen Tagegelder zu erreichen, bewusst uber das Datum getauscht, an dem seine Familie ihm tatsachlich an seinen neuen Dienstort gefolgt war. \n---|--- \n74 | In der mundlichen Verhandlung hat der Klager zwar angegeben, der Verwaltung mitgeteilt zu haben, und zwar am 9. September 1997, dass seine Familie ihm an seinen neuen Dienstort nachgefolgt sei, so dass man ihm nicht vorwerfen konne, diesen tatsachlichen Umstand verschwiegen zu haben. Auf Befragen hat der Klager insoweit aber erklart, der im September 1997 von der Anstellungsbehorde gezahlten Zulage in Hohe eines Monatsgrundgehalts gemaß Art. 5 Abs. 4 des Anhangs VII des Statuts nicht widersprochen zu haben, was bestatigt, dass er darauf geachtet hatte, durch Aufspaltung seines Antrags auf Einrichtungsbeihilfe der Verwaltung gegenuber den Anschein der Richtigkeit seiner Erklarung zu erwecken, der Nachzug seiner Familie sei erst am 2. Marz 1998 erfolgt, d. h. einen Tag nach dem in seinem Fall vorgesehenen Endzeitpunkt der Zahlung der Tagegelder. \n---|--- \n75 | Ferner hat der Klager, worauf die Kommission zu Recht hinweist, durch seine Erklarung vom 16. Marz 1998 im Vordruck fur die Erstattung seiner Umzugskosten, er habe „[s]einen Wohnsitz, zusammen mit den Mitgliedern [s]einer Familie, von Luxemburg an [s]einen neuen Dienstort … am 2. Marz 1998 verlegt", der Verwaltung erneut zu verstehen gegeben, dass seine Familie ihm erst an diesem Tag nachgefolgt sei, was nicht den - auch in der mundlichen Verhandlung - vorgetragenen Tatsachen entsprach. Wie er selbst einraumt, hat er zudem, um „das Tagegeld in gutem Glauben in Anspruch zu nehmen", eine Rechnung uber einen nach seinem Vortrag am 2. Marz 1998 durchgefuhrten Umzug vorgelegt, deren Echtheit sowohl das OLAF als auch die Kommission bezweifeln. \n---|--- \n76 | Aus den vorstehenden Erwagungen folgt, dass der Klager der Verwaltung sowohl im Rahmen seiner beiden Antrage auf Einrichtungsbeihilfe als auch in seinem Antrag auf Erstattung der Umzugskosten bewusst falsche Informationen uber das Datum erteilte, an dem seine Familie am neuen Dienstort Wohnung nahm, und dabei auf eine Weise vorging, dass die Verwaltung durch die Schritte des Klagers getauscht wurde und somit den fehlenden Rechtsgrund fur die streitigen Tagegelder nicht selbst entdecken konnte. \n---|--- \n77 | Was den angeblichen guten Glauben des Klagers betrifft, den er bewusst habe absichern wollen, indem er seinen tatsachlichen Umzug erst am 2. Marz 1998 durchgefuhrt habe, dem Tag nach Ablauf des Zeitraums der Gewahrung der streitigen Tagegelder, die er „in gutem Glauben" habe in Anspruch nehmen wollen, ist darauf hinzuweisen, dass der Klager in einer derartigen Situation jedenfalls Zweifel an der Berechtigung der fraglichen Zahlungen hatte haben mussen. Somit war er zwingend verpflichtet, sich an die Verwaltung zu wenden, damit diese die erforderliche Überprufung vornehmen konnte (vgl. Urteil Tsirimiagos/Ausschuss der Regionen, F‑100/07, [EU:F:2009:21](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2009%3A21&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 75). \n---|--- \n78 | Im Übrigen hatte er bei Zweifeln die Verwaltung befragen und ihr seine eigenstandige Auslegung dieser Bestimmung vortragen konnen, um sich trotz der entgegenstehenden Rechtsprechung die Zahlung des wesentlichen Teils der gemaß Art. 71 des Statuts vorgesehenen Erstattungen zu sichern. Die vom Klager unternommenen Schritte zeigen aber im Gegenteil, dass er die Bedeutung der Vorschriften zur Regelung des Anspruchs auf Einrichtungsbeihilfe klar erfasst hatte und sich seiner Verpflichtung, den Zeitpunkt der Wohnungnahme seiner Familie in Brussel anzugeben und nachzuweisen, vollig bewusst war (vgl. in diesem Sinne Urteil Thommes/Kommission, T‑195/03, [EU:T:2005:344](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2005%3A344&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 126). \n---|--- \n79 | Als unbegrundet zuruckzuweisen ist schließlich auch das Argument des Klagers, die Verwaltung konne sich auf Art. 85 Abs. 2 Satz 2 des Statuts nur berufen, wenn sie innerhalb einer Frist von funf Jahren ab Begehung der Unregelmaßigkeit nachweisen konne, dass der Betroffene sie vorsatzlich getauscht habe, und in Ermangelung eines solchen Nachweises sei ihr Anspruch als verjahrt anzusehen. Ein solches Vorbringen verkennt namlich den Wortlaut dieser Vorschrift; ihm zu folgen liefe darauf hinaus, dieser Vorschrift jede praktische Wirksamkeit zu nehmen. \n---|--- \n80 | Nach alledem ist der erste Teil dieses Klagegrundes unbegrundet. \n---|--- \n \nZweiter Teil des dritten Klagegrundes: Verkennung des Begriffs der\nangemessenen Frist zur Ruckforderung zu viel gezahlter Betrage\n\n81 | Der Klager macht geltend, mit der vierzehn Jahre nach ihrer Zahlung vorgenommenen Ruckforderung der streitigen Tagegelder habe die Kommission die Pflicht verletzt, innerhalb angemessener Frist tatig zu werden, was auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße. Insbesondere wirft er dem OLAF vor, seine Untersuchung erst 2007, d. h. zehn Jahre nach den ihm zur Last gelegten Vorgangen, eingeleitet zu haben. \n---|--- \n \n- Zur Zulassigkeit\n\n82 | Die Kommission halt diesen Teil des Klagegrundes fur unzulassig. Wie namlich nunmehr aus dem Urteil des Gerichts der Europaischen Union Kommission/Moschonaki (T‑476/11 P, [EU:T:2013:557](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2013%3A557&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab)) hervorgeht, ist es einem Klager verwehrt, ein solches Argument, das er in seiner Beschwerde nicht vorgebracht hat, erstmals im Stadium des gerichtlichen Verfahrens vorzutragen. \n---|--- \n83 | Nach Auffassung des Gerichts ist diese Einrede der Unzulassigkeit jedoch ohne Weiteres zuruckzuweisen. Zwar kann ein Beamter nach standiger Rechtsprechung mit seinen vor dem Unionsrichter gestellten Antragen nur solche Rugen erheben, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde erhobenen Rugen. Diese Rugen konnen vor dem Unionsrichter aber auf Grunde und Argumente gestutzt werden, die nicht notwendigerweise in der Beschwerde enthalten sind, sich aber eng an diese anlehnen. Im Übrigen darf die Verwaltung zum einen, da das Vorverfahren informeller Natur ist und die Betroffenen in dieser Phase im Allgemeinen ohne Mitwirkung eines Rechtsanwalts handeln, Beschwerden nicht eng auslegen, sondern muss sie aufgeschlossen prufen. Zum anderen dient Art. 91 des Statuts nicht dem Zweck, den moglichen Rechtsstreit streng und endgultig zu begrenzen, solange nur die Klage weder den Grund noch den Gegenstand der Beschwerde andert (Urteil Kommission/Moschonaki, [EU:T:2013:557](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2013%3A557&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 73 und 76). \n---|--- \n84 | Im vorliegenden Fall hat der Klager sich in seiner Beschwerde darauf berufen, der Ruckforderung der streitigen Tagegelder stehe die nach Art. 85 des Statuts eingetretene Verjahrung entgegen, und den Zeitraum der Begehung der angeblichen Unregelmaßigkeit angefuhrt. Somit konnte die Anstellungsbehorde den Angriff des Klagers gegen die angefochtene Entscheidung hinreichend genau erkennen, namlich dass diese Entscheidung nicht fristgerecht und unter Verkennung der anwendbaren Verjahrungsvorschriften ergangen sei. \n---|--- \n \n- Zur Begrundetheit\n\n85 | Zunachst ist festzustellen, dass wegen des auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Art. 85 Abs. 2 Satz 2 des Statuts die im ersten Satz dieser Bestimmung vorgesehene Frist von funf Jahren keine Anwendung findet. Mithin ist der vorliegende Fall ebenso zu beurteilen wie entsprechende Falle im zeitlichen Geltungsbereich des Art. 85 des Statuts in seiner vor dem 1. Mai 2004 geltenden Fassung, namlich dergestalt, dass die von der Anstellungsbehorde vorgenommene Ruckforderung zu viel gezahlter Betrage keiner im Voraus festgelegten Verjahrungsfrist unterliegt. \n---|--- \n86 | Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Sache des Unionsrichters ist, die Fristen, die Tragweite oder die Einzelheiten der Anwendung der Verjahrung auf bestimmte Verstoße festzusetzen, sei es allgemein oder in dem ihm unterbreiteten Einzelfall. Jedoch schließt das Fehlen einer vom Gesetzgeber bestimmten Verjahrungsfrist nicht aus, dass das Vorgehen der Kommission im Einzelfall am Grundsatz der Rechtssicherheit zu messen ist. Aus dem grundlegenden Erfordernis der Rechtssicherheit ergibt sich namlich bei Fehlen von Vorschriften uber die Verjahrung, dass die Kommission die Ausubung ihrer Befugnisse nicht unbeschrankt aufschieben darf (Urteil Sumitomo Chemical und Sumika Fine Chemicals/Kommission, T‑22/02 und T‑23/02, [EU:T:2005:349](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2005%3A349&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 87 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n87 | Daher kann sich der Unionsrichter bei der Prufung der Ruge, dass die Kommission zu spat gehandelt habe, nicht auf die Feststellung beschranken, dass es keine Verjahrungsfrist gebe, sondern er muss uberprufen, ob die Kommission nicht ubermaßig spat gehandelt hat (Urteil Sumitomo Chemical und Sumika Fine Chemicals/Kommission, [EU:T:2005:349](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2005%3A349&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 88, sowie entsprechend Urteil François/Kommission, T‑307/01, [EU:T:2004:180](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2004%3A180&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 46). \n---|--- \n88 | Allgemein gilt, dass die „Angemessenheit" der Frist, die das Organ benotigt, um die in Rede stehende Handlung vorzunehmen, mangels Festlegung der Verfahrensdauer durch eine Bestimmung des Unionsrechts anhand der Interessen, die in dem Rechtsstreit fur den Betroffenen auf dem Spiel stehen, der Komplexitat der Rechtssache sowie des Verhaltens der Parteien zu beurteilen ist (Urteil Überprufung Arango Jaramillo u. a./EIB, C‑334/12 RX‑II, [EU:C:2013:134](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A134&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 28 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n89 | In dem besonderen Bereich der Ruckforderung ohne Rechtsgrund gezahlter Betrage nach Art. 85 des Statuts ist bei der Beurteilung der Angemessenheit der Frist insbesondere zu berucksichtigen, wie offensichtlich der Mangel des rechtlichen Grundes der streitigen Zahlungen war und ob es sich um gelegentliche oder fortlaufende Zahlungen handelte. Somit ist der Zeitablauf nur als eines der Kriterien fur die Beurteilung der Berechtigung des Erstattungsverlangens heranzuziehen, bei der insbesondere zum einen die Offensichtlichkeit der von der Verwaltung begangenen Unregelmaßigkeit und zum anderen die Gesamtheit der Umstande zu berucksichtigen ist, die eine Rolle spielen konnen, wie etwa die Hohe des zuruckgeforderten Betrags, das fehlerhafte Verhalten der Verwaltung, der gute Glaube des Beamten und die ubliche Sorgfalt, die angesichts seiner Besoldungsgruppe und seiner Berufserfahrung von ihm zu erwarten ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Acton u. a./Kommission, 44/74, 46/74 und 49/74, [EU:C:1975:42](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1975%3A42&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 29, White/Kommission, T‑107/92, [EU:T:1994:17](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A1994%3A17&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 47, sowie Ronsse/Kommission, T‑205/01, [EU:T:2002:269](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2002%3A269&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 52). \n---|--- \n90 | Die angebliche Verspatung des Vorgehens der Kommission darf allerdings nicht ausschließlich anhand der Zeit beurteilt werden, die zwischen dem streitigen Sachverhalt und der Einleitung dieses Vorgehens liegt. Vielmehr kann das Vorgehen der Kommission nicht als ubermaßig spat angesehen werden, wenn es an einer Verzogerung oder an einer anderen der Kommission vorwerfbaren Nachlassigkeit fehlt, und insoweit sind insbesondere der Zeitpunkt, zu dem die Kommission Kenntnis von dem Verstoß erlangt hat, und die angemessene Dauer des Verwaltungsverfahrens zu berucksichtigen (Urteile Ronsse/Kommission, [EU:T:2002:269](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2002%3A269&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 53, sowie Sumitomo Chemical und Sumika Fine Chemicals/Kommission, [EU:T:2005:349](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2005%3A349&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 89; ferner in diesem Sinne Urteil Nencini/Parlament, T‑431/10 und T‑560/10, [EU:T:2013:290](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2013%3A290&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 48 bis 50, Rechtsmittel anhangig beim Gerichtshof, Rechtssache C‑447/13 P). Insbesondere bei der Einleitung eines Untersuchungsverfahrens beurteilt sich die Einhaltung einer angemessenen Frist danach, wann die Verwaltung Kenntnis von den Vorgangen und Verhaltensweisen erhalten hat, die Zuwiderhandlungen gegen die Dienstpflichten eines Beamten darstellen konnen (vgl. Urteil François/Kommission, [EU:T:2004:180](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2004%3A180&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 48). \n---|--- \n91 | In einem Fall, in dem die begangene Unregelmaßigkeit fur den betreffenden Beamten offensichtlich war oder hatte sein mussen, wurde bereits entschieden, dass eine Zeitspanne von sieben Jahren zwischen dem Beginn der ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlungen und dem Tag, an dem die Verwaltung den Anspruch auf Ruckerstattung geltend gemacht hat, nicht unangemessen erscheint (vgl. Urteil Ronsse/Kommission, [EU:T:2002:269](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2002%3A269&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn.53, sowie zu einem sieben Jahre nach der rechtsgrundlosen Zahlung entdeckten Irrtum Urteil Ritto/Kommission, [EU:F:2008:110](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2008%3A110&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab)). \n---|--- \n92 | Ferner hat das Gericht der Europaischen Union, worauf die Kommission zutreffend hinweist, im Fall eines außerst nachlassigen Verhaltens eines Beamten, das jedoch - im Gegensatz zum vorliegenden Fall - nicht auf einen Vorsatz schließen ließ, die Verwaltung zu tauschen, bereits entschieden, dass ein Verfahren zur Einziehung der einem Beamten ohne Rechtsgrund gewahrten Vorteile, das mehr als zehn Jahre nach den streitigen Zahlungen eingeleitet wurde, gewiss sehr spat erfolgte, dieser Zeitraum aber angesichts der Umstande des Falles jedenfalls nicht als so ubermaßig lang erscheint, dass dadurch die Rechtmaßigkeit der Geltendmachung des Anspruchs auf Ruckerstattung zu viel gezahlter Betrage beeintrachtigt werden konnte (vgl. Urteil White/Kommission, [EU:T:1994:17](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A1994%3A17&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 48). \n---|--- \n93 | Nach Auffassung des Gerichts ist das in Rn. 48 des Urteils White/Kommission ([EU:T:1994:17](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A1994%3A17&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab)) gefundene Ergebnis im vorliegenden Fall angesichts der hier gegebenen Umstande, insbesondere der bewussten Tauschung der Verwaltung durch den Klager, erst recht geboten. Auch wenn die Anstellungsbehorde das Verfahren zur Überprufung der Rechtmaßigkeit der Zahlung der streitigen Tagegelder fast zehn Jahre nach deren Zahlung einleitete und erst vierzehn Jahre nach der Zahlung in der Lage war, den Mangel des Rechtsgrundes fur diese Zahlungen nachzuweisen und folglich deren Ruckerstattung zu verlangen, waren derartige Zeitspannen zwar sehr erheblich, aber nicht so ubermaßig lang, dass sie der Geltendmachung des Ruckerstattungsanspruchs hatten entgegenstehen konnen. \n---|--- \n94 | Wahrend im vorliegenden Fall die streitigen Tagegelder fur den Zeitraum von 180 Tagen zwischen dem 1. September 1997 und dem 1. Marz 1998 ausgezahlt worden waren, wurden die Untersuchungen zur Feststellung des Wahrheitsgehalts der vom Klager zur Erlangung dieser Tagegelder sowie weiterer geldwerter Vorteile namlich vom OLAF im Anschluss an eine am 19. Juli 2007 eingegangene Anzeige eingeleitet. Der Klager wurde am 13. Marz 2008 von der Einleitung dieser Untersuchung unterrichtet, und nachdem das OLAF ihn zweimal angehort hatte, empfahl es der Kommission am 30. Marz 2012, die Einziehung zu betreiben, was diese am 6. Juli 2012 befolgte. \n---|--- \n95 | Insoweit ist festzustellen, dass die Verwaltung erst aufgrund einer Denunziation, hier unter Einschaltung des OLAF, in der Lage war, von der vorliegenden Unregelmaßigkeit Kenntnis zu nehmen. Sobald ihm diese Information vorlag, gab das OLAF sie zugig an die Anstellungsbehorde weiter und leitete ein Verfahren ein, damit diese die Unregelmaßigkeit verfolgen und damit dem in Rn. 90 dieses Urteils genannten Erfordernis genugen konnte. \n---|--- \n96 | Ferner ist festzustellen, dass die Verwaltung notwendigerweise Zeit fur die Untersuchungen brauchte, die erforderlich waren, um den Anschein der Rechtmaßigkeit der vom Klager vorgelegten Dokumente und Antrage zu widerlegen. Diese Untersuchungen waren angesichts der Vielzahl von Unterlagen und Anschuldigungen, die die fruhere Ehefrau des Klagers der Verwaltung zur Kenntnis gebracht hatte, besonders komplex. Zudem musste das OLAF nicht nur 1997/98, sondern auch spater noch mehrere Personen anhoren und mehrere mit den Zahlungen an den Klager befasste Dienststellen des PMO befragen. \n---|--- \n97 | Unter diesen Umstanden erscheint es nicht unangemessen, dass der OLAF‑Bericht vier Jahre nach Einleitung der Untersuchung erfolgte. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Anstellungsbehorde zum einen nicht vorzuwerfen ist, das Ergebnis der Untersuchung des OLAF abgewartet zu haben, und dass sie zum anderen, nachdem der Untersuchungsbericht fertiggestellt und ihr ubermittelt worden war, die Ruckerstattung der streitigen Tagegelder innerhalb der drei folgenden Monate verlangt hat. \n---|--- \n98 | Angesichts der vorstehenden Erwagungen ist der zweite, auf die Nichteinhaltung einer angemessenen Frist gestutzte Teil des Klagegrundes und damit der dritte Klagegrund insgesamt als unbegrundet zuruckzuweisen. \n---|--- \n \nZum vierten Klagegrund: Verstoß gegen die Grundsatze des Vertrauensschutzes\nund der ordnungsgemaßen Verwaltung\n\n99 | Im Rahmen dieser Ruge macht der Klager geltend, mit der Ruckforderung der streitigen Tagegelder habe die Anstellungsbehorde gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen, da er die seinerzeit von ihm verlangten Informationen korrekt erteilt habe und daher vernunftigerweise davon habe ausgehen durfen, dass die 1997 und 1998 an ihn geleisteten Zahlungen nicht mehr zuruckverlangt werden konnten. Aus den gleichen Grunden habe die Anstellungsbehorde durch dieses spate und verfristete Vorgehen gegen den Grundsatz der ordnungsgemaßen Verwaltung sowie gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen. \n---|--- \n100 | Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 85 des Statuts selbst Ausdruck des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ist und das Fehlen eines Verstoßes gegen diesen Artikel, wie es vorstehend festgestellt wurde, schon aus diesem Grund zur Zuruckweisung der auf einen Verstoß gegen diesen Grundsatz gestutzten Ruge fuhrt (Urteil F/Kommission, [EU:T:2007:140](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2007%3A140&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 167). \n---|--- \n101 | Ferner ist die Verwaltung nach Art. 85 Abs. 2 Satz 2 des Statuts verpflichtet, die ohne Rechtsgrund gezahlten Betrage in vollem Umfang zuruckzufordern, wenn die besondere Situation vorliegt, dass sie nachweisen kann, dass der betreffende Beamte sie bewusst getauscht und damit gegen seine besondere Loyalitatspflicht verstoßen hat (vgl. Urteil CR/Parlament, [EU:F:2014:38](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2014%3A38&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 62). \n---|--- \n102 | Die vom Klager zur Darlegung eines Verstoßes gegen den Grundsatz der ordnungsgemaßen Verwaltung vorgebrachten Argumente decken sich weitgehend mit denen, die er zur Begrundung eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit vortragt und die bereits bei der Prufung des dritten Klagegrundes untersucht und als unbegrundet zuruckgewiesen wurden. \n---|--- \n103 | Abgesehen davon, dass die Behauptung des Klagers, Zielscheibe einer diskriminierenden Behandlung gewesen zu sein, in keiner Weise belegt ist, ist darauf hinzuweisen, dass selbst das als richtig unterstellte Vorbringen, die Verwaltung habe anderen Beamten vorschriftswidrig Leistungen erbracht, den Klager nicht berechtigen wurde, Leistungen nach dem Statut zu beanspruchen, fur die er die Voraussetzungen ihrer Gewahrung nicht erfullt. Ebenso kann der Klager angesichts seines Vorsatzes, die Verwaltung zu tauschen, dieser nicht einen Verstoß gegen ihre Fursorgepflicht in einem Punkt vorwerfen, in dem gerade der Beamte selbst seine Loyalitatspflicht, wie sie jetzt formell in Art. 11 des Statuts festgelegt ist, verletzt hat. \n---|--- \n104 | Der vierte Klagegrund ist daher ebenfalls als unbegrundet zuruckzuweisen. \n---|--- \n \n3. Zu den Antragen auf Schadensersatz\n\n105 | Hinsichtlich der Schadensersatzantrage genugt der Hinweis darauf, dass die auf Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens gerichteten Antrage zuruckzuweisen sind, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, in einem engen Zusammenhang mit Aufhebungsantragen stehen, die ihrerseits als unbegrundet zuruckgewiesen wurden (Urteil A/Kommission, F‑12/09, [EU:F:2011:136](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AF%3A2011%3A136&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab), Rn. 232 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n106 | Da samtliche Aufhebungsantrage zuruckgewiesen wurden, sind die Schadensersatzantrage ebenso als unbegrundet zuruckzuweisen. \n---|--- \n \nKosten\n\n107 | Nach Art. 87 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei vorbehaltlich der ubrigen Bestimmungen des Achten Kapitels des Zweiten Titels der Verfahrensordnung auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemaß Art. 87 Abs. 2 der Verfahrensordnung kann das Gericht aus Grunden der Billigkeit entscheiden, dass eine unterliegende Partei zur Tragung nur eines Teils der Kosten oder gar nicht zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist. \n---|--- \n108 | Aus den Grunden des vorliegenden Urteils ist der Klager mit seiner Klage unterlegen. Zudem hat die Kommission ausdrucklich beantragt, ihn zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Umstande des vorliegenden Falles die Anwendung von Art. 87 Abs. 2 der Verfahrensordnung nicht rechtfertigen, hat der Klager seine eigenen Kosten und die Kosten der Kommission zu tragen. \n---|--- \n| Aus diesen Grunden hat DAS GERICHT FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST (Zweite\nKammer) fur Recht erkannt und entschieden: \n---|--- \n| | 1. | Die Klage wird abgewiesen. \n---|--- \n| | 2. | Herr Lopez Cejudo tragt seine eigenen Kosten und die Kosten der Europaischen Kommission. \n---|--- \n| Rofes i Pujol Bradley Svenningsen Verkundet in offentlicher Sitzung in\nLuxemburg am 30. April 2014. Die Kanzlerin W. Hakenberg Die Prasidentin M. I.\nRofes i Pujol \n---|--- \n \n* * *\n\n( *1 ) Verfahrenssprache: Franzosisch.\n\n
317,272
eugh-2013-09-17-c-7711
2
Europäischer Gerichtshof
eugh
Europäische Union
C-77/11
2013-09-17
2019-03-14 16:20:14
2019-03-14 16:20:14
Urteil
ECLI:EU:C:2013:559
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)\n\n17. September 2013 ( *1 )\n\n„Nichtigkeitsklage -- Endgultiger Erlass des Gesamthaushaltsplans der Union\nfur das Haushaltsjahr 2011 -- Rechtsakt des Prasidenten des Parlaments, mit\ndem dieser endgultige Erlass festgestellt wird -- Art. 314 Abs. 9 AEUV --\nFestlegung des Jahreshaushaltsplans der Union durch das Parlament und den Rat\n-- Art. 314 einleitender Satz AEUV -- Grundsatz des institutionellen\nGleichgewichts -- Grundsatz der Zuweisung der Befugnisse -- Pflicht zur\nloyalen Zusammenarbeit -- Einhaltung wesentlicher Formvorschriften"\n\nIn der Rechtssache C‑77/11\n\nbetreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 14.\nFebruar 2011,\n\nRat der Europaischen Union, vertreten durch G. Maganza und M. Vitsentzatos als\nBevollmachtigte,\n\nKlager,\n\nunterstutzt durch\n\nKonigreich Spanien, vertreten durch N. Diaz Abad als Bevollmachtigte,\n\nStreithelfer,\n\ngegen\n\nEuropaisches Parlament, vertreten durch C. Pennera, R. Passos, D. Gauci und R.\nCrowe als Bevollmachtigte,\n\nBeklagter,\n\nerlasst\n\nDER GERICHTSHOF (Große Kammer)\n\nunter Mitwirkung des Prasidenten V. Skouris, des Vizeprasidenten K. Lenaerts,\nder Kammerprasidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, T. von Danwitz und A. Rosas,\nder Kammerprasidentin M. Berger, der Richter E. Levits, A. Ó Caoimh, J.‑C.\nBonichot und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader sowie der Richter J.‑J.\nKasel (Berichterstatter), M. Safjan und D. Švaby,\n\nGeneralanwalt: Y. Bot,\n\nKanzler: V. Tourres, Verwaltungsrat,\n\naufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mundliche Verhandlung vom\n14. Mai 2013,\n\nnach Anhorung der Schlussantrage des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Mai\n2013\n\nfolgendes\n\nUrteil\n\n1 | Mit seiner Klage beantragt der Rat der Europaischen Union die Nichtigerklarung des Rechtsakts 2011/125/EU, Euratom des Prasidenten des Europaischen Parlaments vom 15. Dezember 2010, mit dem Letzterer feststellt, dass das gemaß Art. 314 AEUV eingeleitete Haushaltsverfahren abgeschlossen und damit der Gesamthaushaltsplan der Europaischen Union fur das Haushaltsjahr 2011 endgultig erlassen ist ([ABl. 2011, L 68, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2011:068:TOC), im Folgenden: angefochtener Rechtsakt). \n---|--- \n \nRechtlicher Rahmen\n\n2 | In Art. 14 Abs. 1 EUV heißt es: „Das Europaische Parlament wird gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber tatig und ubt gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse aus." Spiegelbildlich sieht Art. 16 Abs. 1 EUV vor: „Der Rat wird gemeinsam mit dem Europaischen Parlament als Gesetzgeber tatig und ubt gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse aus." \n---|--- \n3 | Art. 314 AEUV bestimmt die Verfahrensschritte und Fristen, die im Laufe des Haushaltsverfahrens zu befolgen sind. Das Parlament verfugt nunmehr in Bezug auf samtliche Haushaltsmittel uber die gleichen Befugnisse wie der Rat. Zudem kann Letzterer keinen Haushalt ohne Zustimmung des Parlaments durchsetzen. Dagegen kann das Parlament, wie sich aus Art. 314 Abs. 7 AEUV ergibt, unter bestimmten Umstanden, d. h. unter Wahrung erheblicher Anforderungen an die Abstimmung, das letzte Wort behalten und das Haushaltsverfahren ohne Zustimmung des Rates abschließen. \n---|--- \n4 | Im Rahmen der vorliegenden Klage geht es insbesondere um den einleitenden Satz und Abs. 9 des Art. 314 AEUV. \n---|--- \n5 | In Art. 314 einleitender Satz AEUV heißt es: „Das … Parlament und der Rat legen den Jahreshaushaltsplan der Union im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens … fest". \n---|--- \n6 | Art. 314 Abs. 9 AEUV bestimmt: „Nach Abschluss des Verfahrens dieses Artikels stellt der Prasident des … Parlaments fest, dass der Haushaltsplan endgultig erlassen ist." \n---|--- \n \nVorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtener Rechtsakt\n\n7 | Am 15. Dezember 2009 hatte der Rat das Parlament an seine auf dem AEU-Vertrag beruhenden Rechte als Miturheber des Gesetzgebungsakts, mit dem der Haushaltsplan festgelegt wird, erinnert und vorgeschlagen, den Rechtsakt, mit dem dieser Haushaltsplan festgelegt wird, mit dem Prasidenten des Parlaments gemeinsam zu unterzeichnen. \n---|--- \n8 | Ungeachtet dieses Ersuchens des Rates unterzeichnete der Prasident des Parlaments den fur das Haushaltsjahr 2010 erlassenen Jahreshaushaltsplan der Union am 17. Dezember 2009 allein. \n---|--- \n9 | Am 12. November 2010 richtete der Prasident des Rates im Rahmen des Haushaltsverfahrens fur das Haushaltsjahr 2011 ein Schreiben an den Prasidenten des Parlaments, in dem er ausfuhrte, dass infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon der Rechtsakt, mit dem der Jahreshaushaltsplan der Union festgelegt werde, von dem Prasidenten des Rates und dem Prasidenten des Parlaments gemeinsam zu unterzeichnen sei, da beide Organe Miturheber dieses Rechtsakts seien. Der genannte Rechtsakt sei ein anderer als der Rechtsakt des Prasidenten des Parlaments, mit dem gemaß Art. 314 Abs. 9 AEUV festgestellt werde, dass der Haushaltsplan endgultig erlassen sei. \n---|--- \n10 | Am 10. Dezember 2010 nahm der Rat seinen Standpunkt zum Entwurf eines Haushaltsplans fur das Haushaltsjahr 2011 an. Diesem Standpunkt fugte er einen Entwurf fur einen Beschluss des Parlaments und des Rates uber die Festlegung des Gesamthaushaltsplans der Union fur das Haushaltsjahr 2011 bei. \n---|--- \n11 | Mit Schreiben vom 14. Dezember 2010, das der Rat am 17. Dezember 2010 erhielt, bestatigte der Prasident des Parlaments, dass er die Meinung des Rates, wonach der Rechtsakt, mit dem der Haushaltsplan der Union festgelegt werde, von den Prasidenten beider Organe zu unterzeichnen sei, nicht teilen konne. \n---|--- \n12 | Am 15. Dezember 2010 gab der Prasident des Rates, nachdem das Parlament in einer Plenarsitzung uber den Haushaltsplan fur das Haushaltsjahr 2011 abgestimmt hatte, folgende Erklarung ab: „Das Parlament hat … soeben den Standpunkt des Rates zum Entwurf fur einen Haushaltsplan 2011 ohne Abanderungen gebilligt. Ich kann unsere Einigung uber den Haushaltsplan 2011 im Namen des Rates naturlich nur begrußen." \n---|--- \n13 | Am selben Tag richtete der Prasident des Rates an den Prasidenten des Parlaments ein Schreiben, in dem er das positive Votum des Parlaments zum Entwurf eines Haushaltsplans fur das Haushaltsjahr 2011 begrußte und darauf hinwies, dass der Haushaltsplan nach dem AEU-Vertrag vom Parlament und vom Rat festgelegt werde. Er fugte diesem Schreiben als Anlage einen Entwurf fur einen Beschluss des Parlaments und des Rates uber die Festlegung des Gesamthaushaltsplans der Union fur das Haushaltsjahr 2011 bei, der von ihm unterzeichnet worden war und auch vom Prasidenten des Parlaments unterzeichnet werden sollte. \n---|--- \n14 | Ebenfalls am 15. Dezember 2010 wurde der angefochtene Rechtsakt erlassen. Der einzige Artikel dieses vom Prasidenten des Parlaments allein unterzeichneten Rechtsakts lautet: „Das Verfahren gemaß Artikel 314 des Vertrags uber die Arbeitsweise der Europaischen Union ist abgeschlossen, und der Gesamthaushaltsplan der … Union fur das Haushaltsjahr 2011 ist endgultig erlassen." \n---|--- \n \nAntrage der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof\n\n15 | Der Rat beantragt, | -- | den angefochtenen Rechtsakt fur nichtig zu erklaren; \n---|--- \n-- | die Wirkungen des Haushaltsplans der Union fur das Haushaltsjahr 2011\nals endgultig zu betrachten, bis dieser Haushaltsplan durch einen mit den\nVertragen in Einklang stehenden Gesetzgebungsakt festgelegt ist; \n---|--- \n-- | dem Parlament die Kosten aufzuerlegen. \n---|--- \n16 | Das Parlament beantragt, | -- | die Klage des Rates abzuweisen; \n---|--- \n-- | dem Rat die Kosten aufzuerlegen. \n---|--- \n17 | Mit Beschluss des Prasidenten des Gerichtshofs vom 29. Juni 2011 ist das Konigreich Spanien als Streithelfer zur Unterstutzung der Antrage des Rates zugelassen worden. \n---|--- \n \nZur Klage\n\nVorbringen der Parteien\n\n18 | Der Rat macht zur Begrundung seiner Klage geltend, der Vertrag von Lissabon habe das Haushaltsverfahren grundlegend geandert, wobei das Parlament und der Rat, insbesondere durch die Aufhebung der Unterscheidung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben und durch die Beschrankung auf eine einzige Lesung des Entwurfs fur einen Haushaltsplan durch die beiden beteiligten Organe, gleichberechtigte Partner geworden seien. \n---|--- \n19 | Aus Sicht des Rates ergibt sich die Hauptanderung aus dem einleitenden Satz des Art. 314 AEUV. Nach dieser Vorschrift in Verbindung mit weiteren Vorschriften der Vertrage sei nunmehr am Ende des Verfahrens der gemeinsame Erlass eines Gesetzgebungsakts erforderlich, der die Unterschrift der Prasidenten beider Organe trage. \n---|--- \n20 | Deshalb sei der unter dem Vertrag zur Grundung der Europaischen Gemeinschaft geltenden Praxis, dass der Prasident des Parlaments den Abschluss des Haushaltsverfahrens allein feststelle, nicht langer zu folgen. \n---|--- \n21 | Der Rat stutzt seine Klage auf vier Klagegrunde. Mit dem ersten Klagegrund wird gerugt, es fehle unter Verstoß gegen die Art. 288 AEUV, 289 AEUV, 296 AEUV und 314 AEUV ein von den Prasidenten beider Organe gemeinsam unterzeichneter Gesetzgebungsakt, mit dem der Jahreshaushaltsplan der Union festgelegt werde. Mit dem zweiten Klagegrund wird geltend gemacht, der in Art. 314 AEUV aufgestellte Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts sei nicht beachtet worden. Mit dem dritten Klagegrund wird ein Verstoß gegen den Grundsatz der Zuweisung der Befugnisse und gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit gerugt, die in Art. 13 Abs. 2 EUV verankert seien. Mit dem vierten, hilfsweise geltend gemachten Klagegrund wird ein Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften gerugt. \n---|--- \n22 | Erstens ist der Rat der Ansicht, der Jahreshaushaltsplan der Union sowie die Berichtigungshaushaltsplane mussten kunftig gemaß der sich aus dem Vertrag von Lissabon ergebenden Reform durch einen gemeinsamen Gesetzgebungsakt festgelegt werden. Damit sei die dem Urteil vom 3. Juli 1986, Rat/Parlament ([34/86, Slg. 1986, 2155](http://eur-lex.europa.eu/query.html?DN=61986??0034&locale=DE)), zu entnehmende Rechtsprechung obsolet, so insbesondere Randnr. 8 dieses Urteils, in der der Gerichtshof ausgefuhrt habe, dass der Prasident des Parlaments formlich feststelle, dass das Haushaltsverfahren durch die endgultige Annahme des Haushaltsplans zum Abschluss gebracht worden sei, und dem Haushaltsplan damit Bindungswirkung gegenuber den Organen wie auch gegenuber den Mitgliedstaaten verleihe. \n---|--- \n23 | Fur den Rat geht aus Art. 314 AEUV eindeutig hervor, dass das Parlament und der Rat bei der Festlegung des Haushaltsplans nunmehr „im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens" entscheiden. Letzteres musse nach Art. 289 Abs. 3 AEUV zum Erlass eines Gesetzgebungsakts fuhren. Dieser Rechtsakt musse gemaß den Art. 288 AEUV und 289 Abs. 2 AEUV in Form einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses ergehen. \n---|--- \n24 | Außerdem zieht der Rat daraus, dass den beiden Organen die gleichen Befugnisse zugewiesen seien, den Schluss, dass es sich im vorliegenden Fall um ein besonderes Gesetzgebungsverfahren eigener Art handele, da an ihm zwei Hauptakteure beteiligt seien. \n---|--- \n25 | Der Rat weist darauf hin, dass Art. 314 AEUV fur den Jahreshaushaltsplan der Union, ebenso wie es fur das ordentliche Gesetzgebungsverfahren in Art. 294 AEUV vorgeschrieben sei, explizit die Einigung der beiden Organe auf einen im Vermittlungsausschuss festgelegten gemeinsamen Text vorsehe. \n---|--- \n26 | Gemaß Art. 297 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV wurden Rechtsakte, die gemaß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden seien, grundsatzlich vom Prasidenten des Organs unterzeichnet, das sie erlassen habe. Da der Jahreshaushaltsplan der Union gemeinsam erlassen werde, musse der abschließende Rechtsakt somit zwingend die Unterschrift der Prasidenten der beiden beteiligten Organe tragen. \n---|--- \n27 | Daraus ergebe sich, dass der Rechtsakt des Prasidenten des Parlaments, mit dem der endgultige Erlass des Jahreshaushaltsplans der Union festgestellt werde, kein Gesetzgebungsakt auf der Grundlage des AEU-Vertrags sein konne. \n---|--- \n28 | Zweitens ist der Rat der Ansicht, der Prasident des Parlaments habe dadurch, dass er den Haushaltsplan fur das Haushaltsjahr 2011 allein unterzeichnet habe, das durch Art. 314 AEUV geschaffene neue institutionelle Gleichgewicht verletzt. Der Prasident des Parlaments habe, mit anderen Worten, ultra vires gehandelt. \n---|--- \n29 | Drittens weist der Rat auf seine Bemuhungen hin, eine fur beide Seiten annehmbare Losung zu finden. Der Prasident des Parlaments habe dadurch, dass er diese Bemuhungen ignoriert habe, seine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verletzt, von der sich die Organe in ihren Beziehungen zueinander nach Art. 13 Abs. 2 EUV leiten lassen mussten. \n---|--- \n30 | Viertens vertritt der Rat die Auffassung, dass der angefochtene Rechtsakt wegen Verstoßes gegen wesentliche Formvorschriften fur nichtig zu erklaren sei. Der Rat macht namlich geltend, dieser Rechtsakt sei ergangen, ohne dass eine Einigung uber die Art des Rechtsakts stattgefunden habe, mit dem der endgultige Erlass des Jahreshaushaltsplans der Union festzustellen sei. \n---|--- \n31 | Der Rat beantragt, in jedem Fall die Wirkungen des Jahreshaushaltsplans der Union fur das Haushaltsjahr 2011 fur das laufende Jahr gemaß Art. 264 Abs. 2 AEUV aufrechtzuerhalten, bis die festgestellte Rechtswidrigkeit behoben ist. \n---|--- \n32 | Das Konigreich Spanien unterstutzt das Vorbringen des Rates uneingeschrankt. \n---|--- \n33 | Das Parlament erkennt an, dass das Parlament und der Rat im Rahmen des Haushaltsverfahrens gemeinsam in dem Bestreben tatig wurden, zu einer Einigung zu gelangen. Dies sei beim Jahreshaushaltsplan der Union fur das Haushaltsjahr 2011 auch der Fall gewesen. Diese Zusammenarbeit finde jedoch nicht, wie es im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der Fall sei, letztlich Ausdruck in einem eigenstandigen Rechtsakt, der die Form einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses hatte. \n---|--- \n34 | Auch raume der Rat selbst ein, dass die Einigung beider Organe uber den Entwurf fur einen Haushaltsplan fur sich allein keine Rechtswirkungen zu erzeugen vermoge. \n---|--- \n35 | Wie sich aus Art. 314 Abs. 9 AEUV ergebe, bedurfe es daher, damit der Haushaltsplan Rechtswirkungen entfalten konne, die fur die Organe wie auch fur die Mitgliedstaaten bindend seien, eines Tatigwerdens des Prasidenten des Parlaments. Hierin liege, wie Generalanwalt Mancini in seinen Schlussantragen in der Rechtssache Rat/Parlament ausgefuhrt habe, ein zusatzlicher Rechtsakt. \n---|--- \n36 | Nach Ansicht des Parlaments stutzt sich der Rechtsakt seines Prasidenten auf eine Befugnis, die dem Prasidenten dieses Organs eigen sei. Er beruhe auf einer Beurteilung der Ordnungsmaßigkeit des zu Ende gehenden Haushaltsverfahrens. Es handele sich um einen eigenstandigen Rechtsakt, der nicht Ausdruck einer parlamentarischen Mehrheit sei. Er sei der Sache nach eine Überprufung des Prasidenten des Parlaments, ob das Haushaltsverfahren in Einklang mit dem AEU-Vertrag durchgefuhrt worden sei. \n---|--- \n37 | Demzufolge weist das Parlament das Vorbringen des Rates zuruck, wonach gemaß Art. 314 AEUV, um dem Jahreshaushaltsplan der Union seine Bindungswirkung zu verleihen, am Ende des Verfahrens ein gemeinsamer Gesetzgebungsakt erforderlich sei. \n---|--- \n38 | Hatten die Urheber des Vertrags von Lissabon die Befugnisse des Prasidenten des Parlaments am Ende des Verfahrens andern wollen, hatten sie nicht in Art. 314 Abs. 9 AEUV eine mit Art. 272 Abs. 7 EG identische Vorschrift beibehalten. \n---|--- \n39 | Nach Ansicht des Parlaments ergibt sich die Besonderheit des Haushaltsplans aus seinem Wesen als ein reiner Akt der Rechnungslegung, der lediglich Vorausplanungen der Einnahmen und Mittel enthalte, die zu gegebener Zeit den Erlass eines Basisrechtsakts erforderten, um als Ausgaben bewilligt zu werden. In Anbetracht dieser Besonderheit vertritt das Parlament die Auffassung, dass der Jahreshaushaltsplan der Union in einem Verfahren sui generis erlassen werde, das der Notwendigkeit Rechnung trage, den Erlass dieses Jahreshaushaltsplans vor Ende des Jahres zu formalisieren, um die „Regelung der vorlaufigen Zwolftel" zu vermeiden. \n---|--- \n40 | Auf dieser Grundlage sehe der AEU-Vertrag nicht vor, dass der Rechtsakt, mit dem der Haushaltsplan erlassen werde, die Unterschrift der Prasidenten der beiden beteiligten Organe trage. \n---|--- \n41 | Angesichts dieser Besonderheit des Haushaltsverfahrens im Vergleich zu einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren konne nicht der Ansicht gefolgt werden, dass kein Organ gegenuber dem anderen das letzte Wort habe, weil der anzunehmende Entwurf Gegenstand einer Mitentscheidung sein musse. \n---|--- \n42 | Insoweit sei die Regelung des Art. 314 Abs. 7 AEUV zu bedenken, die den moglichen Fall betreffe, in dem der Prasident des Parlaments festzustellen habe, dass der Jahreshaushaltsplan der Union erlassen sei, obwohl der Rat den gemeinsamen Entwurf, auf den man sich am Ende der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss geeinigt habe, abgelehnt habe. \n---|--- \n43 | Das Parlament habe nach Buchstabe und Geist des AEU-Vertrags gehandelt und in keiner Weise gegen den Grundsatz der Zuweisung der Befugnisse verstoßen. Dies ware vielmehr der Fall gewesen, wenn es dem Verlangen des Rates entsprochen hatte, das Haushaltsverfahren mit dem Erlass eines eigenstandigen Gesetzgebungsakts abzuschließen, wie er im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ergehe. \n---|--- \n44 | Schließlich weist das Parlament auch das Vorbringen zuruck, wonach es die in Art. 13 Abs. 2 EUV verankerte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nicht beachtet habe, da sein Prasident dem Rat am 14. Dezember 2010, dem Tag vor der Abstimmung uber den Haushaltsplan fur das Haushaltsjahr 2011 im Parlament, seinen Standpunkt mitgeteilt hatte. \n---|--- \n45 | Genauso wenig habe das Parlament, das ab dem Zeitpunkt, zu dem der gemeinsame Entwurf erstellt worden sei, Art. 314 Abs. 9 AEUV beachtet habe, gegen wesentliche Formvorschriften verstoßen, wie es ihm der Rat zu Unrecht vorwerfe. \n---|--- \n \nWurdigung durch den Gerichtshof\n\n46 | Zunachst ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren zur Festlegung des Haushaltsplans der Union in Art. 314 AEUV geregelt ist. Dabei stellt der einleitende Satz dieses Artikels klar, dass der Haushaltsplan im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens erlassen wird. \n---|--- \n47 | Sodann ist vorab die den ersten drei Klagegrunden zugrunde liegende Argumentation des Rates zuruckzuweisen, wonach das Haushaltsverfahren dem in Art. 294 AEUV vorgesehenen ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gleichgestellt werden konne. Die verschiedenen Bestimmungen des Art. 314 AEUV legen namlich fur den Erlass des Haushaltsplans der Union ein dessen Eigenart angepasstes besonderes Gesetzgebungsverfahren fest, das mit dem in Abs. 9 dieses Artikels genannten Rechtsakt abgeschlossen wird. Nach der letztgenannten Bestimmung „stellt der Prasident des Europaischen Parlaments [nach Abschluss des Verfahrens zur Festlegung des Haushaltsplans der Union] fest, dass der Haushaltsplan endgultig erlassen ist". \n---|--- \n48 | Weiter ist festzustellen, dass der angefochtene Rechtsakt auf Art. 314 AEUV, insbesondere dessen Abs. 9, gestutzt ist. \n---|--- \n49 | Schon aus dem Wortlaut von Art. 314 Abs. 9 AEUV geht jedoch hervor, dass der auf diese Bestimmung gestutzte Rechtsakt das Verfahren zur Festlegung des Haushaltsplans der Union abschließt und vom Prasidenten des Parlaments allein unterzeichnet wird. \n---|--- \n50 | Daraus folgt, dass das in Art. 314 AEUV vorgesehene Haushaltsverfahren entgegen dem Vorbringen des Rates und des Konigreichs Spanien nicht mit einem von den Prasidenten des Rates und des Parlaments gemeinsam unterzeichneten Rechtsakt abgeschlossen wird. Der auf Art. 314 Abs. 9 AEUV gestutzte Rechtsakt, mit dem der Prasident des Parlaments nach Überprufung der Ordnungsmaßigkeit des Verfahrens feststellt, dass der Haushaltsplan endgultig erlassen ist, stellt den letzten Schritt im Verfahren zum Erlass des Haushaltsplans der Union dar und verleiht diesem Bindungswirkung. \n---|--- \n51 | Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass der Rechtsakt, der auf Art. 203 Abs. 7 EWG-Vertrag, dessen Wortlaut dem von Art. 314 Abs. 9 AEUV entspricht, gestutzt wird, zum einen vom Prasidenten des Parlaments als dessen Organ erlassen wird und deshalb dem Parlament zuzuordnen ist und zum anderen dem Haushaltsplan gegenuber den Organen wie auch gegenuber den Mitgliedstaaten Bindungswirkung verleiht (vgl. Urteil Rat/Parlament, Randnr. 8). \n---|--- \n52 | Der Rat und das Konigreich Spanien machen jedoch geltend, dass sich die durch den Vertrag von Lissabon erfolgte Einfugung des einleitenden Satzes von Art. 314 AEUV, wonach „[d]as Europaische Parlament und der Rat … den Jahreshaushaltsplan der Union im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens [festlegen]", auf die Rechtsfolgen auswirke, die das Urteil Rat/Parlament dem Rechtsakt des Prasidenten des Parlaments, mit dem festgestellt werde, dass der Haushaltsplan endgultig erlassen sei, zuerkannt habe. Nach der genannten Bestimmung musse der Haushaltsplan nunmehr durch einen Rechtsakt des Parlaments und des Rates, der von deren Prasidenten gemeinsam zu unterzeichnen sei, endgultig erlassen werden. Der auf der Grundlage von Art. 314 Abs. 9 AEUV erlassene Rechtsakt sei lediglich ein vom Prasidenten des Parlaments erlassener deklaratorischer Rechtsakt. \n---|--- \n53 | Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. \n---|--- \n54 | Der einleitende Satz des Art. 314 AEUV bringt durch die Feststellung, dass das Parlament und der Rat den Haushaltsplan der Union festlegen, in Erinnerung, dass die Haushaltsbefugnisse gemaß den Art. 14 Abs. 1 EUV und 16 Abs. 1 EUV von diesen beiden Organen gemeinsam ausgeubt werden. \n---|--- \n55 | Dieser Einleitungssatz des Art. 314 AEUV stellt jedoch klar, dass der Haushaltsplan „nach den folgenden Bestimmungen" festgelegt wird. Keine Bestimmung des Art. 314 AEUV aber sieht am Ende des Haushaltsverfahrens den Erlass eines von den Prasidenten des Parlaments und des Rates gemeinsam unterzeichneten Rechtsakts vor. \n---|--- \n56 | So ist es der Prasident des Parlaments als dessen Organ, der durch den Erlass des auf Art. 314 Abs. 9 AEUV gestutzten Rechtsakts dem Haushaltsplan der Union am Ende eines Verfahrens, das durch das gemeinsame Tatigwerden des Parlaments und des Rates gekennzeichnet ist, Bindungswirkung verleiht (vgl. Urteil Rat/Parlament, Randnr. 8). \n---|--- \n57 | Der Rat und das Konigreich Spanien machen daruber hinaus geltend, dass der angefochtene Rechtsakt, der in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sei, auch deshalb rechtswidrig sei, weil er entgegen den Art. 288 AEUV und 289 Abs. 2 AEUV nicht in Form einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses ergangen sei. \n---|--- \n58 | Dieses Vorbringen ist ebenfalls zuruckzuweisen. \n---|--- \n59 | Art. 314 AEUV sieht namlich ein besonderes Gesetzgebungsverfahren vor, das der Natur des Haushaltsplans angepasst ist, der im Wesentlichen ein Dokument der Rechnungslegung darstellt und fur die Union die Vorausplanungen samtlicher wahrend eines bestimmten Zeitraums zu tatigender Einnahmen und Ausgaben enthalt. Nachdem der Prasident des Parlaments uberpruft hat, ob das Verfahren im Einklang mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags durchgefuhrt worden ist, wird dieses Dokument dem Rechtsakt beigefugt, mit dem der Prasident des Parlaments auf der Grundlage von Art. 314 Abs. 9 AEUV feststellt, dass der Haushaltsplan endgultig erlassen ist. \n---|--- \n60 | Auch wenn der auf Art. 314 Abs. 9 AEUV gestutzte Rechtsakt aus einem besonderen Gesetzgebungsverfahren hervorgeht, wird er aufgrund der Natur des Haushaltsplans nicht in Form eines Gesetzgebungsakts im eigentlichen Sinne gemaß den Art. 288 AEUV und 289 Abs. 2 AEUV erlassen, aber stellt jedenfalls eine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV dar, da er dem Haushaltsplan der Union Bindungswirkung verleiht. \n---|--- \n61 | Der Rat tragt weiter vor, dass der angefochtene Rechtsakt die Prarogativen verletze, die Art. 296 Abs. 1 AEUV ihm einraume. Diese Bestimmung sieht vor: „Wird die Art des zu erlassenden Rechtsakts von den Vertragen nicht vorgegeben, so entscheiden die Organe daruber von Fall zu Fall unter Einhaltung der geltenden Verfahren und des Grundsatzes der Verhaltnismaßigkeit." Der Rat macht insoweit geltend, dass das Parlament sich, da Art. 314 AEUV keine naheren Angaben zur Art des Rechtsakts enthalte, mit dem der Haushaltsplan der Union erlassen werde, diesbezuglich mit dem Rat hatte abstimmen mussen. Die in Art. 296 Abs. 1 AEUV niedergelegten Kriterien fuhrten zu dem Schluss, dass der Rechtsakt, mit dem der Haushaltsplan festgelegt werde, ein von den Prasidenten der beiden beteiligten Organe unterzeichneter Rechtsakt sein musse. \n---|--- \n62 | Auch diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. \n---|--- \n63 | Art. 296 Abs. 1 AEUV findet namlich im Rahmen des in Art. 314 AEUV vorgesehenen Haushaltsverfahrens keine Anwendung, da der letztgenannte Artikel, insbesondere dessen Abs. 9, ausdrucklich vorsieht, dass dieses Verfahren mit dem Erlass eines Rechtsakts des Parlaments abgeschlossen wird, der von dessen Prasidenten zu unterzeichnen ist. \n---|--- \n64 | Ferner fuhrt der Rat aus, der Prasident des Parlaments habe dadurch, dass er den angefochtenen Rechtsakt erlassen habe, gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verstoßen, von der sich die Organe in ihren Beziehungen leiten lassen mussten. Der Rat wirft dem Prasidenten des Parlaments insbesondere vor, dass er sich an seinen Bemuhungen um die Erarbeitung einer vertragskonformen und fur beide Seiten annehmbaren Losung, die gleichzeitig die Befugnisse der Organe achte und die Vorrechte des Prasidenten des Parlaments wahre, nicht beteiligt habe. Auch habe der Prasident des Parlaments am Tag der Abstimmung uber den Haushaltsplan in Plenarsitzung, namlich am 15. Dezember 2010, den Prasidenten des Rates nicht uber den Inhalt seines Schreibens vom 14. Dezember 2010 informiert, obwohl Letzterer bei der Abstimmung zugegen gewesen sei. \n---|--- \n65 | Dieses Vorbringen kann ebenfalls keinen Erfolg haben. \n---|--- \n66 | Aus dem Akteninhalt, insbesondere der in Randnr. 12 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Erklarung, ergibt sich namlich eindeutig, dass am 15. Dezember 2010 eine Einigung zwischen dem Parlament und dem Rat uber den Inhalt des Haushaltsplans fur das Haushaltsjahr 2011 erzielt worden ist. Der Umstand, dass diese beiden Organe einen Streit uber die Formalisierung dieser Einigung fuhrten, hinderte den Prasidenten des Parlaments nicht daran, am 15. Dezember 2010 festzustellen, dass das gemaß Art. 314 AEUV eingeleitete Verfahren abgeschlossen und der Gesamthaushaltsplan der Union fur das Haushaltsjahr 2011 endgultig erlassen ist. \n---|--- \n67 | Da der Prasident des Parlaments gemaß Art. 314 Abs. 9 AEUV allein berechtigt ist, den angefochtenen Rechtsakt zu unterzeichnen, stellt sich die Frage nicht, ob er gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verstoßen hat. \n---|--- \n68 | Nach alledem sind die ersten drei Klagegrunde zuruckzuweisen. \n---|--- \n69 | Schließlich machen der Rat und das Konigreich Spanien hilfsweise geltend, der angefochtene Rechtsakt sei wegen Verstoßes gegen wesentliche Formvorschriften fur nichtig zu erklaren, da der Prasident des Parlaments ab dem Zeitpunkt, von dem an er sich der Meinungsverschiedenheit zwischen Parlament und Rat uber die Art des Rechtsakts fur den Erlass des Haushaltsplans bewusst gewesen sei, nicht habe feststellen durfen, dass das Haushaltsverfahren fur das Haushaltsjahr 2011 abgeschlossen sei. \n---|--- \n70 | Da jedoch am 15. Dezember 2010 zwischen dem Parlament und dem Rat eine Einigung uber den Inhalt des Haushaltsplans fur das Haushaltsjahr 2011 erzielt worden ist, konnte der Prasident des Parlaments an diesem Tag den angefochtenen Rechtsakt unter uneingeschrankter Beachtung des Art. 314 AEUV erlassen. \n---|--- \n71 | Dieser letzte Klagegrund kann daher auch nicht durchgreifen. \n---|--- \n72 | Nach alledem ist die Klage abzuweisen. \n---|--- \n \nKosten\n\n73 | Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament beantragt hat, den Rat zu verurteilen, und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragt das Konigreich Spanien, das dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten ist, seine eigenen Kosten. \n---|--- \n| Aus diesen Grunden hat der Gerichtshof (Große Kammer) fur Recht erkannt und\nentschieden: \n---|--- \n| | 1. | Die Klage wird abgewiesen. \n---|--- \n2. | Der Rat der Europaischen Union tragt die Kosten. \n---|--- \n3. | Das Konigreich Spanien tragt seine eigenen Kosten. \n---|--- \n| Unterschriften \n---|--- \n \n* * *\n\n( *1 ) Verfahrenssprache: Franzosisch.\n\n
317,448
eugh-2013-06-13-c-312
2
Europäischer Gerichtshof
eugh
Europäische Union
C-3/12
2013-06-13
2019-03-14 16:23:16
2019-03-14 16:23:16
Urteil
ECLI:EU:C:2013:389
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)\n\n13. Juni 2013 ( *1 )\n\n„Landwirtschaft -- Europaischer Ausrichtungs- und Garantiefonds fur die\nLandwirtschaft -- Begriff ‚Prufungszeitraum\' -- Moglichkeit der Ausdehnung des\nPrufungszeitraums durch einen Mitgliedstaat im Fall einer tatsachlichen\nUnmoglichkeit, die Prufung fristgemaß durchzufuhren -- Ruckzahlung erhaltener\nBeihilfen -- Sanktionen"\n\nIn der Rechtssache C-3/12\n\nbetreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom\nConseil d\'État (Frankreich) mit Entscheidung vom 28. November 2011, beim\nGerichtshof eingegangen am 2. Januar 2012, in dem Verfahren\n\nSyndicat OP 84\n\ngegen\n\nÉtablissement national des produits de l\'agriculture et de la mer\n(FranceAgriMer), Rechtsnachfolger des Office national interprofessionnel des\nfruits, des legumes, des vins et de l\'horticulture (Viniflhor), seinerseits\nRechtsnachfolger des Office national interprofessionnel des fruits, des\nlegumes et de l\'horticulture (Oniflhor),\n\nerlasst\n\nDER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)\n\nunter Mitwirkung des Kammerprasidenten L. Bay Larsen, der Richter J.\nMalenovský, U. Lohmus und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterin A.\nPrechal,\n\nGeneralanwalt: N. Jaaskinen,\n\nKanzler: A. Calot Escobar,\n\naufgrund des schriftlichen Verfahrens,\n\nunter Berucksichtigung der Erklarungen\n\n-- | des Établissement national des produits de l\'agriculture et de la mer\n(FranceAgriMer), vertreten durch J.-C. Balat, avocat, \n---|--- \n-- | der franzosischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und N. Rouam\nals Bevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar und B. Majczyna als\nBevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der Europaischen Kommission, vertreten durch P. Rossi und D. Bianchi als\nBevollmachtigte, \n---|--- \n \nnach Anhorung der Schlussantrage des Generalanwalts in der Sitzung vom 14.\nMarz 2013\n\nfolgendes\n\nUrteil\n\n1 | Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 4 und Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 4045/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 uber die von den Mitgliedstaaten vorzunehmende Prufung der Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europaischen Ausrichtungs- und Garantiefonds fur die Landwirtschaft, Abteilung Garantie, sind, und zur Aufhebung der Richtlinie 77/435/EWG ([ABl. L 388, S. 18](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1989:388:TOC)) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 3094/94 des Rates vom 12. Dezember 1994 ([ABl. L 328, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1994:328:TOC)) geanderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 4045/89). \n---|--- \n2 | Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Landwirtschaftsverband Syndicat OP 84 und dem Établissement national des produits de l\'agriculture et de la mer (FranceAgriMer) als Rechtsnachfolger des Office national interprofessionnel des fruits, des legumes, des vins et de l\'horticulture (Viniflhor), seinerseits Rechtsnachfolger des Office national interprofessionnel des fruits, des legumes et de l\'horticulture (Oniflhor), uber die Rechtmaßigkeit der Ruckforderung einer Gemeinschaftsbeihilfe aus dem Europaischen Ausrichtungs- und Garantiefonds fur die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Garantie. \n---|--- \n \nRechtlicher Rahmen\n\n3 | Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 729/70 des Rates vom 21. April 1970 uber die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik ([ABl. L 94, S. 13](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1970:094:TOC)) bestimmt: „Die Mitgliedstaaten treffen gemaß den einzelstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften die erforderlichen Maßnahmen, um | -- | sich zu vergewissern, dass die durch den [EAGFL] finanzierten Maßnahmen tatsachlich und ordnungsgemaß durchgefuhrt worden sind, \n---|--- \n-- | Unregelmaßigkeiten zu verhindern und zu verfolgen, \n---|--- \n-- | die infolge von Unregelmaßigkeiten oder Versaumnissen abgeflossenen\nBetrage wiedereinzuziehen. \n---|--- \n \n…" \n \n4 | In den Erwagungsgrunden 1 bis 4 und 10 der Verordnung Nr. 4045/89 heißt es: „Nach Artikel 8 der Verordnung … Nr. 729/70 … treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorkehrungen, um sich zu vergewissern, dass die durch den [EAGFL] finanzierten Maßnahmen tatsachlich und ordnungsgemaß durchgefuhrt worden sind, um Unregelmaßigkeiten zu verhindern und zu verfolgen sowie die infolge von Unregelmaßigkeiten oder Versaumnissen abgeflossenen Betrage wieder einzuziehen. … die einzelstaatlichen Vorschriften uber die Kontrolle, die umfassender sind als die in dieser Verordnung vorgesehenen Bestimmungen, [werden] von dieser Verordnung nicht beruhrt. Die Mitgliedstaaten mussen angehalten werden, die von ihnen bisher aufgrund der Richtlinie 77/435/EWG [des Rates vom 27. Juni 1977 uber die von den Mitgliedstaaten vorzunehmende Prufung der Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europaischen Ausrichtungs- und Garantiefonds fur die Landwirtschaft, Abteilung Garantie, sind ([ABl. L 172, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1977:172:TOC))] durchgefuhrte Prufung der Geschaftsunterlagen der begunstigten oder zahlungspflichtigen Unternehmen zu verstarken. Bei der Durchfuhrung der in der Richtlinie 77/435 … enthaltenen Regelung durch die Mitgliedstaaten hat sich die Notwendigkeit gezeigt, das bestehende System entsprechend den gemachten Erfahrungen zu andern. Diese Änderungen sollten angesichts der Art der betreffenden Vorschriften in eine Verordnung eingebracht werden. … Auch wenn die Festlegung der Kontrollprogramme in erster Linie den Mitgliedstaaten obliegt, ist es doch erforderlich, dass die Programme der Kommission mitgeteilt werden, damit diese ihre Überwachungs- und Koordinierungsrolle wahrnehmen kann und die Programme nach geeigneten Kriterien festgelegt werden. Die Kontrollen konnen so auf Sektoren oder Unternehmen mit hohem Betrugsrisiko konzentriert werden." \n---|--- \n5 | Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 4045/89 bestimmt: „Als ‚Geschaftsunterlagen\' im Sinne dieser Verordnung gelten samtliche Bucher, Register, Aufzeichnungen und Belege, die Buchhaltung, die Fertigungs- und Qualitatsunterlagen, die die gewerbliche Tatigkeit des Unternehmens betreffende Korrespondenz sowie Geschaftsdaten jedweder Form, einschließlich elektronisch gespeicherter Daten, soweit diese Unterlagen bzw. Daten in direkter oder indirekter Beziehung zu den in Absatz 1 genannten Maßnahmen stehen." \n---|--- \n6 | Art. 2 dieser Verordnung sieht vor: „(1) Die Mitgliedstaaten nehmen die Prufungen der Geschaftsunterlagen der Unternehmen entsprechend der Art der zu prufenden Maßnahmen vor. Sie achten dabei darauf, dass die Auswahl der zu kontrollierenden Unternehmen eine großtmogliche Wirksamkeit der Maßnahmen zur Verhutung und Aufdeckung von Unregelmaßigkeiten im Rahmen des Finanzierungssystems des EAGFL, Abteilung Garantie, gewahrleistet. Bei dieser Auswahl werden u. a. die finanzielle Bedeutung der Unternehmen in diesem Bereich und andere Risikofaktoren berucksichtigt. … (4) Der Prufungszeitraum dauert vom 1. Juli bis zum 30. Juni des darauffolgenden Jahres. Die Prufung erstreckt sich auf einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten, der wahrend des vorausgehenden Prufungszeitraums endet; sie kann auf vom Mitgliedstaat festzulegende Zeitraume ausgedehnt werden, die dem Zeitraum von 12 Monaten vorausgehen oder sich daran anschließen. …" \n---|--- \n7 | Art. 4 dieser Verordnung lautet: „Die Unternehmen haben die in Artikel 1 Absatz 2 und in Artikel 3 genannten Geschaftsunterlagen mindestens drei Jahre lang, gerechnet vom Ende des Jahres ihrer Erstellung an, aufzubewahren. Die Mitgliedstaaten konnen einen langeren Zeitraum fur die Aufbewahrung dieser Dokumente vorschreiben." \n---|--- \n8 | Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4045/89 bestimmt: „Die Verantwortlichen fur die Unternehmen bzw. Dritte haben zu gewahrleisten, dass den mit der Prufung beauftragten Bediensteten oder den hierzu befugten Personen samtliche Geschaftsunterlagen zur Verfugung gestellt und alle erganzenden Auskunfte erteilt werden. Elektronisch gespeicherte Daten sind auf einem geeigneten Datentrager zur Verfugung zu halten." \n---|--- \n9 | Art. 6 der genannten Verordnung sieht vor: „(1) Die Mitgliedstaaten haben zu gewahrleisten, dass die mit den Prufungen beauftragten Bediensteten das Recht haben, die Geschaftsunterlagen zu beschlagnahmen oder beschlagnahmen zu lassen. Hierfur gelten die einschlagigen innerstaatlichen Bestimmungen; die Strafprozessvorschriften uber die Beschlagnahme von Unterlagen bleiben unberuhrt. (2) Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Ahndungsmaßnahmen gegen naturliche oder juristische Personen, die ihre Verpflichtungen aus dieser Verordnung nicht einhalten." \n---|--- \n10 | Art. 9 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt: „Vor dem 1. Januar, der dem Prufungszeitraum folgt, ubermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission einen detaillierten Bericht uber die Anwendung dieser Verordnung." \n---|--- \n11 | Nach Anhang II Nr. 4 Buchst. g der Verordnung (EWG) Nr. 1863/90 der Kommission vom 29. Juni 1990 mit Durchfuhrungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 4045/89 ([ABl. L 170, S. 23](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1990:170:TOC)) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2278/96 der Kommission vom 28. November 1996 ([ABl. L 308, S. 30](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1996:308:TOC)) geanderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1863/90) sind in dem von den Mitgliedstaaten gemaß Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4045/89 vorzulegenden jahrlichen Bericht „die Ergebnisse der Prufungen, die im Rahmen des vor diesem Berichtzeitraum liegenden Prufungszeitraums durchgefuhrt wurden, deren Ergebnisse aber bei der Vorlage des Berichts fur den entsprechenden Zeitraum noch nicht vorlagen", zu ubermitteln. \n---|--- \n \nAusgangsverfahren und Vorlagefragen\n\n12 | Syndicat OP 84, ein Landwirtschaftsverband von 48 Obst- und Gemuseerzeugern, fuhrte ein operationelles Programm fur den Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1998 durch. Hierzu erhielt er Gemeinschaftsbeihilfen aus dem EAGFL, Abteilung Garantie. \n---|--- \n13 | Mit Schreiben vom 30. Mai 2000 wurde ihm von den zustandigen nationalen Behorden der Beginn einer Prufung vor Ort gemaß den Bestimmungen der Verordnung Nr. 4045/89 mitgeteilt. Diese Prufung konnte jedoch erst am 22. Januar 2001 beginnen und wurde am 24. Januar 2001 abgeschlossen. \n---|--- \n14 | Da diese Prufung ergab, dass bestimmte Tatigkeiten, fur die Syndicat OP 84 einen Anspruch auf eine finanzielle Beihilfe der Gemeinschaft geltend gemacht hatte, aufgrund ihres rein individuellen Charakters nicht beihilfefahig waren und dass die Art und Weise, in der der operationelle Fonds seitens der Mitglieder von Syndicat OP 84 mit Mitteln versehen worden war, nicht mit Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 2200/96 des Rates vom 28. Oktober 1996 uber die gemeinsame Marktorganisation fur Obst und Gemuse ([ABl. L 297, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1996:297:TOC)) im Einklang stand, forderte das Oniflhor Syndicat OP 84 mit Schreiben vom 30. Oktober 2001 auf, die fur die Jahre 1997 und 1998 erhaltenen Betrage vollstandig zuruckzuzahlen, und erließ daraufhin einen vollstreckbaren Titel uber die einzuziehenden Betrage. \n---|--- \n15 | Mit Urteil vom 7. November 2006 erklarte das Tribunal administratif de Marseille den gegen Syndicat OP 84 erlassenen vollstreckbaren Titel fur nichtig. Die Cour administrative d\'appel de Marseille hob dieses Urteil jedoch mit Urteil vom 8. Dezember 2008 auf und wies die Antrage, die Syndicat OP 84 vor dem Tribunal administratif de Marseille gestellt hatte, zuruck. Daraufhin legte Syndicat OP 84 beim Conseil d\'État eine Kassationsbeschwerde ein. \n---|--- \n16 | Syndicat OP 84 stutzt seine Kassationsbeschwerde u. a. auf einen Rechtsfehler, den die Cour administrative d\'appel begangen habe, als sie entschieden habe, dass die Verwaltung eine Prufung im Lauf des Prufungszeitraums vom 1. Juli 1999 bis zum 30. Juni 2000 habe beginnen und sie im Laufe des Prufungszeitraums vom 1. Juli 2000 bis zum 30. Juni 2001 habe fortsetzen durfen, ohne gegen die Bestimmungen des Art. 2 der Verordnung Nr. 4045/89 zu verstoßen, was die Cour administrative d\'appel damit begrundet habe, dass das Verhalten von Syndicat OP 84 eine tatsachliche Prufung wahrend des erstgenannten Zeitraums unmoglich gemacht habe. \n---|--- \n17 | Da die Entscheidung uber diesen Kassationsbeschwerdegrund nach Ansicht des Conseil d\'État Fragen der Auslegung der einschlagigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 4045/89 aufwirft, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: | 1. | Ist unter dem in Art. 2 Abs. 4 der Verordnung Nr. 4045/89 genannten „Prufungszeitraum" vom 1. Juli eines Jahres bis zum 30. Juni des darauffolgenden Jahres derjenige Zeitraum zu verstehen, in dessen Verlauf die mit der Prufung betraute Verwaltung die Erzeugerorganisation uber die beabsichtigte Prufung informieren und alle Prufungsmaßnahmen vor Ort und anhand von Unterlagen einleiten und abschließen und die Ergebnisse der Prufung ubermitteln muss, oder derjenige Zeitraum, in dessen Verlauf nur bestimmte dieser Verfahrensschritte durchgefuhrt werden mussen? \n---|--- \n2. | Kann die Verwaltung, sofern Handlungen oder Unterlassungen der Erzeugerorganisation die tatsachliche Durchfuhrung einer im Laufe eines Prufungszeitraums eingeleiteten Prufung unmoglich machen, trotz des Fehlens entsprechender ausdrucklicher Bestimmungen in der genannten Verordnung ihre Prufungsmaßnahmen im darauffolgenden Prufungszeitraum fortsetzen, ohne einen Verfahrensfehler zu begehen, auf den sich der Geprufte gegenuber der Entscheidung berufen konnte, mit der die Konsequenzen aus den Ergebnissen dieser Prufung gezogen werden? \n---|--- \n3. | Falls die vorstehende Frage zu verneinen ist, kann die Verwaltung, sofern Handlungen oder Unterlassungen der Erzeugerorganisation eine tatsachliche Prufung unmoglich machen, die Ruckzahlung der erhaltenen Beihilfen fordern, und stellt eine solche Maßnahme insbesondere eine der Ahndungsmaßnahmen dar, die in Anwendung der Bestimmungen des Art. 6 der genannten Verordnung vorgesehen werden konnen? \n---|--- \n \nZu den Vorlagefragen\n\nZur ersten und zur zweiten Frage\n\n18 | Mit der ersten und der zweiten Frage, die gemeinsam zu prufen sind, mochte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 4045/89 dahin auszulegen ist, dass die Verwaltung eine Prufung, die sie wahrend des Prufungszeitraums, der vom 1. Juli eines Jahres bis zum 30. Juni des darauffolgenden Jahres dauert, angekundigt hat, nach Ablauf dieses Zeitraums fortsetzen kann, ohne einen Verfahrensfehler zu begehen, auf den sich der geprufte Wirtschaftsteilnehmer gegenuber der Entscheidung berufen konnte, mit der die Konsequenzen aus den Ergebnissen dieser Prufung gezogen werden. \n---|--- \n19 | Zwar sieht Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 1 der Verordnung 4045/89, wonach „[d]er Prufungszeitraum … vom 1. Juli bis zum 30. Juni des darauffolgenden Jahres [dauert]", auch fur den Fall mangelnder Kooperation des gepruften Wirtschaftsteilnehmers nicht ausdrucklich die Moglichkeit vor, eine Prufung, die dem Wirtschaftsteilnehmer wahrend des genannten Zeitraums angekundigt wurde, uber diesen Zeitraum hinaus fortzusetzen. \n---|--- \n20 | Bei der Auslegung dieser Bestimmung ist daher nicht nur ihrem Wortlaut und ihrer allgemeinen Systematik Rechnung zu tragen, sondern auch ihrem Zusammenhang und den Zielen, die mit der Verordnung Nr. 4045/89 insgesamt verfolgt werden. \n---|--- \n21 | Hinsichtlich dieser Ziele ergibt sich aus den Erwagungsgrunden 1, 3 und 4 der Verordnung Nr. 4045/89, dass mit dieser bezweckt wird, die Wirksamkeit der von den Mitgliedstaaten durchzufuhrenden Prufungen zu verstarken, um Unregelmaßigkeiten, die im Bereich des EAGFL auftreten konnen, zu verhindern und zu beheben (vgl. Urteil vom 13. Juni 2013, Unanimes u. a., C-671/11 bis C-676/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veroffentlicht, Randnr. 17). \n---|--- \n22 | Um die tatsachliche und wirksame Durchfuhrung der nationalen Prufungen und damit den Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Union zu gewahrleisten, unterstellt die Verordnung Nr. 4045/89 diese Prufungen selbst der Überwachung und Koordinierung durch die Kommission, wie sich aus dem zehnten Erwagungsgrund dieser Verordnung ergibt. Insbesondere durch Art. 2 der Verordnung Nr. 4045/89 soll das einheitliche Prufungssystem festgelegt werden, das unter der Aufsicht der Kommission durchgefuhrt wird. Durch ihren Abs. 4 stellt diese Vorschrift u. a. eine gewisse Systematik und Regelmaßigkeit der Prufung sicher (vgl. Urteil Unanimes u. a., Randnr. 18). \n---|--- \n23 | Da Art. 2 der Verordnung Nr. 4045/89 somit zum Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Union den Rahmen fur die Prufung durch die Mitgliedstaaten vorgeben soll, muss der Begriff „Prufungszeitraum" anhand des Ziels der nach dieser Vorschrift geforderten Wirksamkeit der Prufung ausgelegt werden. \n---|--- \n24 | Doch setzt die Einhaltung dieses Ziels voraus, dass eine Prufung uber den in Art. 2 Abs. 4 der genannten Verordnung festgelegten Prufungszeitraum hinaus fortgesetzt werden kann, wenn es tatsachlich unmoglich war, die gesamte Prufung innerhalb der vorgegebenen Frist abzuschließen. \n---|--- \n25 | Dies kann selbst dann der Fall sein, wenn es nicht der geprufte Wirtschaftsteilnehmer war, der es unmoglich gemacht hat, die Prufung innerhalb der vorgegebenen Frist abzuschließen. \n---|--- \n26 | Ist jedoch die Unmoglichkeit, die Prufung abzuschließen und somit ihre Ergebnisse der Kommission mitzuteilen, bevor die fur diese Prufung und diese Mitteilung vorgesehene Frist ablauft, den Prufbehorden zuzurechnen, kann sich der betreffende Mitgliedstaat gegenuber der Union nicht auf das Ziel der Wirksamkeit berufen, um zu rechtfertigen, dass die Zeitraume, die Art. 2 Abs. 4 der Verordnung Nr. 4045/89 fur die Prufungen vorsieht, nicht eingehalten wurden. \n---|--- \n27 | Im Übrigen wurde die Moglichkeit, die Prufung bei Bedarf fortzusetzen, bereits beim Erlass der Verordnung Nr. 1863/90 in Betracht gezogen. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklarungen ausgefuhrt hat, konnen nach Anhang II Nr. 4 Buchst. g der genannten Verordnung die Ergebnisse der Prufungen, die im Rahmen des vorangegangenen Prufungszeitraums durchgefuhrt wurden, deren Ergebnisse aber bei der Vorlage des Berichts fur den entsprechenden Zeitraum noch nicht vorlagen, einbezogen werden. Da dieser Bericht der Kommission gemaß Art. 9 der Verordnung Nr. 4045/89 vor dem 1. Januar, der auf den Prufungszeitraum folgt, zu ubermitteln ist, wird durch die Verordnung Nr. 1863/90 zumindest die Moglichkeit eingeraumt, Prufungen, die wahrend des vorangegangenen Prufungszeitraums begonnen wurden, nach dessen Ende abzuschließen. \n---|--- \n28 | Daruber hinaus kann es fur die Ordnungsgemaßheit der vorgenommenen Prufungen im Verhaltnis zu den gepruften Wirtschaftsteilnehmern nicht darauf ankommen, inwieweit bei der Durchfuhrung dieser Prufungen die Vorschriften des Art. 2 Abs. 4 der Verordnung Nr. 4045/89 eingehalten wurden. \n---|--- \n29 | Die genannte Bestimmung beschrankt sich namlich darauf, organisatorische Vorschriften festzulegen, um die Wirksamkeit der Prufungen zu gewahrleisten, und regelt, wie sich aus Randnr. 22 des vorliegenden Urteils ergibt, lediglich die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Union zum Schutz der finanziellen Interessen der Union. Sie betrifft dagegen nicht die Beziehungen zwischen den Prufbehorden und den gepruften Wirtschaftsteilnehmern. \n---|--- \n30 | Daher kann Art. 2 Abs. 4 der Verordnung Nr. 4045/89 nicht dahin ausgelegt werden, dass er den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern das Recht einraumt, sich anderen oder umfangreicheren Prufungen als den in dieser Bestimmung genannten zu widersetzen. Da ein solches Recht dazu fuhren konnte, die Ruckforderung nicht ordnungsgemaß erhaltener Beihilfen zu vereiteln, wurde es außerdem den Schutz der finanziellen Interessen der Union gefahrden (vgl. Urteil Unanimes u. a., Randnr. 29). \n---|--- \n31 | Jedenfalls betreffen die nach der Verordnung Nr. 4045/89 vorgeschriebenen Prufungen Wirtschaftsteilnehmer, die sich freiwillig dem durch den EAGFL, Abteilung Garantie, errichteten Beihilfesystem angeschlossen haben und sich, um eine Beihilfe in Anspruch nehmen zu konnen, damit einverstanden erklart haben, dass Prufungen durchgefuhrt werden, um die Ordnungsgemaßheit der Verwendung von Unionsmitteln zu kontrollieren. Diese Wirtschaftsteilnehmer konnen die Ordnungsgemaßheit einer solchen Prufung nicht aus dem bloßen Grund wirksam anfechten, dass die organisatorischen Vorschriften, die die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission betreffen, nicht eingehalten wurden (vgl. Urteil Unanimes u. a., Randnr. 30). \n---|--- \n32 | Davon abgesehen ist die Rechtssicherheit fur die gepruften Wirtschaftsteilnehmer gegenuber den Behorden, die diese Prufungen durchfuhren und gegebenenfalls uber einzuleitende Verfolgungsmaßnahmen entscheiden, durch die Verjahrungsfrist fur die Verfolgung gewahrleistet, die nach Art. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 uber den Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften ([ABl. L 312, S. 1](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1995:312:TOC)) grundsatzlich vier Jahre ab Begehung des Verstoßes gegen eine Unionsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die einen Schaden fur den Unionshaushalt bewirkt hat oder haben wurde, betragt. Wie der Gerichtshof bereits ausgefuhrt hat, erfullen Verjahrungsfristen allgemein den Zweck, Rechtssicherheit zu gewahrleisten (vgl. Urteil vom 24. Juni 2004, Handlbauer, [C-278/02, Slg. 2004, I-6171](http://eur-lex.europa.eu/query.html?DN=62002C?0278&locale=DE), Randnr. 40 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n33 | Die Moglichkeit, dass der Empfanger einer Beihilfe, die im Rahmen des durch den EAGFL, Abteilung Garantie, errichteten Beihilfesystems gewahrt wurde, nach Ablauf des in Art. 2 Abs. 4 der Verordnung Nr. 4045/89 festgelegten Zeitraums eine Prufung dulden muss, kann somit nicht als Beeintrachtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit angesehen werden, solange die Verjahrungsfrist noch nicht abgelaufen ist. \n---|--- \n34 | Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 4045/89 dahin auszulegen ist, dass die Verwaltung eine Prufung, die sie wahrend des Prufungszeitraums vom 1. Juli eines Jahres bis zum 30. Juni des darauffolgenden Jahres angekundigt hat, nach Ablauf dieses Zeitraums fortsetzen kann, ohne einen Verfahrensfehler zu begehen, auf den sich der geprufte Wirtschaftsteilnehmer gegenuber der Entscheidung berufen konnte, mit der die Konsequenzen aus den Ergebnissen dieser Prufung gezogen werden. \n---|--- \n \nZur dritten Frage\n\n35 | Aufgrund der Antwort auf die erste und die zweite Frage braucht die dritte Frage nicht beantwortet zu werden. \n---|--- \n \nKosten\n\n36 | Fur die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhangigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter fur die Abgabe von Erklarungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfahig. \n---|--- \n| Aus diesen Grunden hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) fur Recht erkannt: \n---|--- \n| Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4045/89 des Rates vom\n21. Dezember 1989 uber die von den Mitgliedstaaten vorzunehmende Prufung der\nMaßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europaischen\nAusrichtungs- und Garantiefonds fur die Landwirtschaft, Abteilung Garantie,\nsind, und zur Aufhebung der Richtlinie 77/435/EWG in der durch die Verordnung\n(EG) Nr. 3094/94 des Rates vom 12. Dezember 1994 geanderten Fassung ist dahin\nauszulegen, dass die Verwaltung eine Prufung, die sie wahrend des\nPrufungszeitraums vom 1. Juli eines Jahres bis zum 30. Juni des\ndarauffolgenden Jahres angekundigt hat, nach Ablauf dieses Zeitraums\nfortsetzen kann, ohne einen Verfahrensfehler zu begehen, auf den sich der\ngeprufte Wirtschaftsteilnehmer gegenuber der Entscheidung berufen konnte, mit\nder die Konsequenzen aus den Ergebnissen dieser Prufung gezogen werden. \n---|--- \n| Unterschriften \n---|--- \n \n* * *\n\n( *1 ) Verfahrenssprache: Franzosisch.\n\n
317,482
eugh-2013-05-30-c-48811
2
Europäischer Gerichtshof
eugh
Europäische Union
C-488/11
2013-05-30
2019-03-14 16:23:46
2019-03-14 16:23:46
Urteil
ECLI:EU:C:2013:341
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)\n\n30. Mai 2013 ( *1 )\n\n„Richtlinie 93/13/EWG -- Missbrauchliche Klauseln in Verbrauchervertragen --\nVertrag uber die Vermietung von Wohnraum zwischen einem gewerblichen Vermieter\nund einem zu privaten Zwecken handelnden Mieter -- Prufung der\nMissbrauchlichkeit einer Vertragsklausel durch das nationale Gericht von Amts\nwegen -- Vertragsstrafeklausel -- Nichtigerklarung der Klausel"\n\nIn der Rechtssache C-488/11\n\nbetreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom\nGerechtshof te Amsterdam (Niederlande) mit Entscheidung vom 13. September\n2011, beim Gerichtshof eingegangen am 23. September 2011, in dem Verfahren\n\nDirk Frederik Asbeek Brusse,\n\nKatarina de Man Garabito\n\ngegen\n\nJahani BV\n\nerlasst\n\nDER GERICHTSHOF (Erste Kammer)\n\nunter Mitwirkung des Kammerprasidenten A. Tizzano, der Richter M. Ilešič, E.\nLevits und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),\n\nGeneralanwalt: P. Mengozzi,\n\nKanzler: A. Calot Escobar,\n\naufgrund des schriftlichen Verfahrens,\n\nunter Berucksichtigung der Erklarungen\n\n-- | der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Feher und K. Szijjarto als\nBevollmachtigte, \n---|--- \n-- | der Europaischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und M. Owsiany-\nHornung als Bevollmachtigte, \n---|--- \n \naufgrund des nach Anhorung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne\nSchlussantrage uber die Rechtssache zu entscheiden,\n\nfolgendes\n\nUrteil\n\n1 | Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 uber missbrauchliche Klauseln in Verbrauchervertragen ([ABl. L 95, S. 29](https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1993:095:TOC), im Folgenden: Richtlinie), insbesondere von Art. 6 Abs. 1. \n---|--- \n2 | Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Asbeek Brusse und Frau de Man Garabito einerseits und der Jahani BV (im Folgenden: Jahani) andererseits uber die Zahlung durch Erstere von Mietruckstanden, Vertragszinsen und -strafen, die aufgrund eines Vertrags uber die Vermietung von Wohnraum geschuldet werden. \n---|--- \n \nRechtlicher Rahmen\n\nUnionsrecht\n\n3 | In den Erwagungsgrunden 9 und 10 der Richtlinie heißt es: „… Kaufer von Waren oder Dienstleistungen [sind] vor Machtmissbrauch des Verkaufers oder des Dienstleistungserbringers, insbesondere vor vom Verkaufer einseitig festgelegten Standardvertragen und vor dem missbrauchlichen Ausschluss von Rechten in Vertragen zu schutzen. Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbrauchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschutzt werden. Diese Vorschriften sollten fur alle Vertrage zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern gelten. Von dieser Richtlinie ausgenommen sind daher insbesondere Arbeitsvertrage sowie Vertrage auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts." \n---|--- \n4 | Art. 1 der Richtlinie bestimmt: „(1) Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten uber missbrauchliche Klauseln in Vertragen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern. (2) Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften … beruhen, … unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie." \n---|--- \n5 | In Art. 2 der Richtlinie sind die Begriffe „Verbraucher" und „Gewerbetreibender" wie folgt definiert: „Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten: … | b) | Verbraucher: eine naturliche Person, die bei Vertragen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tatigkeit zugerechnet werden kann; \n---|--- \nc) | Gewerbetreibender: eine naturliche oder juristische Person, die bei Vertragen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tatigkeit handelt, auch wenn diese dem offentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist." \n---|--- \n6 | Art. 3 der Richtlinie definiert eine missbrauchliche Klausel wie folgt: „(1) Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbrauchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhaltnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. … (3) Der Anhang enthalt eine als Hinweis dienende und nicht erschopfende Liste der Klauseln, die fur missbrauchlich erklart werden konnen." \n---|--- \n7 | Zu den mit der Feststellung der Missbrauchlichkeit einer Klausel verbundenen Wirkungen bestimmt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie: „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbrauchliche Klauseln in Vertragen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, fur den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfur in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag fur beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbrauchlichen Klauseln bestehen kann." \n---|--- \n8 | Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie sorgen „[d]ie Mitgliedstaaten … dafur, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbrauchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Vertragen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird". \n---|--- \n9 | Im Anhang der Richtlinie sind die Klauseln gemaß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie aufgefuhrt. Dazu gehoren „1. Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass … | e) | dem Verbraucher, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, ein unverhaltnismaßig hoher Entschadigungsbetrag auferlegt wird; \n---|--- \n \n…" \n \nNationales Recht\n\n10 | In den Niederlanden wurde die Richtlinie mit den Vorschriften uber die Allgemeinen Geschaftsbedingungen in den Art. 6:231 bis 6:247 des Burgerlichen Gesetzbuchs (Burgerlijk Wetboek, im Folgenden: BW) umgesetzt. \n---|--- \n11 | Art. 6:233 Abs. 1 Buchst. a BW bestimmt: „Eine Klausel in Allgemeinen Geschaftsbedingungen ist anfechtbar: | a) | wenn sie unter Berucksichtigung der Art und des sonstigen Inhalts des Vertrags, der Art und Weise des Zustandekommens der Geschaftsbedingungen, der gegenseitig erkennbaren Interessen der Parteien und der sonstigen Umstande des Falles die andere Vertragspartei unangemessen benachteiligt". \n---|--- \n12 | Nach Art. 3:40 BW ist ein Rechtsgeschaft, das gegen die guten Sitten, die offentliche Ordnung oder eine zwingende gesetzliche Bestimmung verstoßt, nichtig. Bei einem Verstoß gegen eine Bestimmung, die ausschließlich dem Schutz einer der Parteien eines mehrseitigen Rechtsgeschafts dient, ist das Rechtsgeschaft jedoch lediglich anfechtbar, es sei denn, dass sich aus dem Zweck der Bestimmung etwas anderes ergibt. \n---|--- \n13 | Bei Vertragsstrafeklauseln kann das Gericht nach Art. 6:94 Abs. 1 BW die festgelegte Vertragsstrafe auf Antrag des Schuldners herabsetzen, wenn sie offensichtlich unbillig ist. \n---|--- \n14 | Daruber hinaus ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass das mit einem Rechtsmittel befasste Gericht nur uber die Rugen entscheidet, die die Parteien in ihrem ersten Schriftsatz im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht haben. Das Rechtsmittelgericht muss jedoch die einschlagigen Bestimmungen zwingenden Rechts anwenden, auch wenn sich die Parteien nicht darauf berufen haben. \n---|--- \n \nAusgangsverfahren und Vorlagefragen\n\n15 | Im Jahr 2007 vermietete Jahani, eine im Bereich der gewerblichen Vermietung von Wohnungen tatige Gesellschaft, eine Wohnung in Alkmaar (Niederlande) an Herrn Asbeek Brusse und Frau de Man Garabito, die zu privaten Zwecken handelten. \n---|--- \n16 | Zu diesem Zweck wurde ein Mietvertrag unter Zugrundelegung von Allgemeinen Geschaftsbedingungen geschlossen, die von einem die Immobilienbranche vertretenden Berufsverband, dem Raad voor Onroerende Zaken (Liegenschaftsrat), ausgearbeitet worden waren. \n---|--- \n17 | Diese Allgemeinen Geschaftsbedingungen enthielten u. a. eine Vertragsstrafeklausel: | „20.1 | Der Mieter befindet sich allein durch Ablauf einer bestimmten Frist in Verzug. \n---|--- \n20.2 | Fur jeden Fall des Verzugs mit der rechtzeitigen und vollstandigen Zahlung eines Geldbetrags schuldet der Mieter Zinsen in Hohe von monatlich 1 % des geschuldeten Hauptbetrags ab dem Falligkeitsdatum bis zum Tag der vollstandigen Begleichung des Hauptbetrags. \n---|--- \n \n…\n\n20.6 | Kommt der Mieter einer Verpflichtung aus diesem Mietvertrag einschließlich der dazugehorigen Allgemeinen Mietvertragsbedingungen nicht nach oder verstoßt er gegen eine solche Verpflichtung, schuldet er dem Vermieter unbeschadet seiner Pflicht zur Erfullung dieser Verpflichtung und unbeschadet sonstiger Schadensersatz- oder anderer Anspruche des Vermieters eine sofort fallige Vertragsstrafe von 25 Euro pro Kalendertag. …" \n---|--- \n18 | Der im Mietvertrag vorgesehene Mietzins, der ursprunglich monatlich 875 Euro betrug, stieg am 1. Juli 2008 nach der im Vertrag enthaltenen Indexierungsklausel auf 894,25 Euro. Herr Asbeek Brusse und Frau de Man Garabito zahlten den dieser Mieterhohung entsprechenden Betrag nicht. Fur Februar 2009 zahlten sie 190 Euro, dann stellten sie die Mietzahlungen ein. \n---|--- \n19 | Im Juli 2009 verklagte Jahani die Mieter und beantragte u. a. die Auflosung des Mietvertrags und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Betrags von 13897,09 Euro, der sich wie folgt zusammensetzt: | -- | 5365,50 Euro an geschuldeter Miete, \n---|--- \n-- | 156,67 Euro an bereits aufgelaufenen vertraglichen Zinsen, \n---|--- \n-- | 96,25 Euro an Miete, die aufgrund der Mietzinsindexierung geschuldet\nist, \n---|--- \n-- | 4525 Euro an Vertragsstrafen fur nicht gezahlte Miete, \n---|--- \n-- | 3800 Euro an Vertragsstrafen fur die nicht gezahlte Mietzinsindexierung, \n---|--- \n-- | 658,67 Euro an außergerichtlichen Kosten. \n---|--- \n20 | Mit Urteil vom 21. Oktober 2009 gab die Rechtbank Alkmaar der Klage von Jahani statt. \n---|--- \n21 | Vor dem vorlegenden Gericht, bei dem sie Rechtsmittel eingelegt haben, beantragen Herr Asbeek Brusse und Frau de Man Garabito, die als Vertragsstrafen zugesprochenen Betrage in Anbetracht der Diskrepanz zwischen diesen Betragen einerseits und dem Schaden des Vermieters andererseits herabzusetzen. \n---|--- \n22 | Unter diesen Umstanden hat der Gerechtshof te Amsterdam das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: | 1. | Ist ein gewerblicher Vermieter von Wohnraum, der eine Wohnung an eine Privatperson vermietet, als Verkaufer von Waren oder Erbringer von Dienstleistungen im Sinne der Richtlinie anzusehen? Fallt ein Mietvertrag zwischen einem gewerblichen Vermieter und einem nichtgewerblichen Mieter unter diese Richtlinie? \n---|--- \n2. | Bedeutet der Umstand, dass Art. 6 der Richtlinie als eine Norm zu betrachten ist, die den nationalen Vorschriften, die in der nationalen Rechtsordnung als zwingendes Recht gelten, gleichwertig ist, dass in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen die nationalen Durchfuhrungsbestimmungen zu missbrauchlichen Klauseln zwingendes Recht sind, so dass das nationale Gericht sowohl in der ersten Instanz als auch in der Rechtsmittelinstanz befugt und verpflichtet ist, eine Vertragsklausel von Amts wegen (und somit auch uber die Rugen hinaus) anhand der nationalen Durchfuhrungsbestimmungen zu prufen und die Nichtigkeit dieser Klausel festzustellen, wenn es zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klausel missbrauchlich ist? \n---|--- \n3. | Ist es mit der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts vereinbar, dass das nationale Gericht eine Vertragsstrafeklausel, die als missbrauchliche Klausel im Sinne der Richtlinie anzusehen ist, nicht unangewendet lasst, sondern lediglich die Vertragsstrafe nach den nationalen Rechtsvorschriften herabsetzt, wenn sich eine Privatperson zwar auf die Herabsetzungsbefugnis des Gerichts, nicht aber auf die Anfechtbarkeit der Klausel berufen hat? \n---|--- \n \nZu den Vorlagefragen\n\nZur ersten Frage\n\n23 | Mit seiner ersten Frage mochte das vorlegende Gericht wissen, ob ein zwischen einem gewerblichen Vermieter und einem zu privaten Zwecken handelnden Mieter geschlossener Mietvertrag uber Wohnraum in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallt. \n---|--- \n24 | In Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie ist deren Zweck definiert. \n---|--- \n25 | Die verschiedenen Sprachfassungen dieser Bestimmung weisen jedoch eine gewisse Divergenz auf. So heißt es in der niederlandischen Fassung des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie, dass diese die Angleichung der nationalen Bestimmungen uber missbrauchliche Klauseln in Vertragen zwischen einem „Verkaufer" („verkoper") und einem Verbraucher bezweckt. In den anderen Sprachfassungen dieser Bestimmung wird der Vertragspartner des Verbrauchers dagegen mit einem Ausdruck bezeichnet, der eine umfassendere Bedeutung hat. Die franzosische Fassung des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie bezieht sich auf Vertrage zwischen einem „professionnel" (Gewerbetreibenden) und einem Verbraucher. Dieser umfassendere Ansatz findet sich auch in der spanischen („profesional"), der danischen („erhvervsdrivende"), der deutschen („Gewerbetreibender"), der griechischen („επαγγελματίας"), der italienischen („professionista") und der portugiesischen („profissional") Fassung wieder. Die englische Fassung verwendet die Begriffe „seller or supplier". \n---|--- \n26 | Nach standiger Rechtsprechung schließt es die Notwendigkeit einheitlicher Anwendung und damit Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts aus, sie in einer ihrer Fassungen isoliert zu betrachten, sondern gebietet vielmehr, sie nach dem wirklichen Willen ihres Urhebers und dem von diesem verfolgten Zweck namentlich im Licht ihrer Fassung in allen Sprachen auszulegen (vgl. u. a. Urteile vom 3. Juni 2010, Internetportal und Marketing, [C-569/08, Slg. 2010, I-4871](http://eur-lex.europa.eu/query.html?DN=62008C?0569&locale=DE), Randnr. 35, und vom 9. Juni 2011, Eleftheri tileorasi und Giannikos, [C-52/10, Slg. 2011, I-4973](http://eur-lex.europa.eu/query.html?DN=62010C?0052&locale=DE), Randnr. 23). \n---|--- \n27 | Insoweit ist festzustellen, dass der in der niederlandischen Sprachfassung der Richtlinie verwendete Begriff „verkoper" in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie ebenso definiert wird wie in den anderen Sprachfassungen, namlich als „eine naturliche oder juristische Person, die … im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tatigkeit handelt, auch wenn diese dem offentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist". \n---|--- \n28 | Somit zeigt sich, dass - von dem zur Bezeichnung des Vertragspartners des Verbrauchers verwendeten Begriff abgesehen - der Gesetzgeber nicht die Absicht hatte, den Anwendungsbereich der Richtlinie auf Vertrage zwischen einem Verkaufer und einem Verbraucher zu beschranken. \n---|--- \n29 | Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es im Regelungsteil der Richtlinie keine Bestimmung gibt, die festlegt, fur welche Arten von Vertragen die Richtlinie gilt. Zwar wird in mehreren Erwagungsgrunden wie z. B. dem neunten die Notwendigkeit betont, die Kaufer von Waren oder Dienstleistungen vor Machtmissbrauch der Verkaufer oder der Dienstleistungserbringer zu schutzen, doch ist der zehnte Erwagungsgrund der Richtlinie weiter gefasst, weil es dort heißt, dass die Vorschriften auf dem Gebiet missbrauchlicher Klauseln „fur alle Vertrage zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern", wie sie in Art. 2 Buchst. b und c der Richtlinie definiert sind, gelten sollten. \n---|--- \n30 | Die Richtlinie definiert die Vertrage, auf die sie anwendbar ist, daher unter Bezugnahme auf die Eigenschaft der Vertragspartner, d. h. ob sie im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tatigkeit handeln oder nicht. \n---|--- \n31 | Dieses Kriterium entspricht dem Gedanken, auf dem das mit der Richtlinie geschaffene Schutzsystem beruht, namlich dass der Verbraucher sich gegenuber dem Gewerbetreibenden in einer schwacheren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu fuhrt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu konnen (vgl. u. a. Urteile vom 14. Juni 2012, Banco Español de Credito, C-618/10, Randnr. 39, und vom 21. Februar 2013, Banif Plus Bank, C-472/11, Randnr. 19). \n---|--- \n32 | Dieser Schutz ist von besonderer Bedeutung bei einem Vertrag uber die Vermietung von Wohnraum, der von einer Privatperson, die zu privaten Zwecken handelt, und einem Gewerbetreibenden der Immobilienbranche geschlossen wird. Die Folgen der zwischen den Parteien bestehenden Ungleichheit werden namlich noch dadurch verscharft, dass sich ein solcher Vertrag in wirtschaftlicher Hinsicht auf ein grundlegendes Bedurfnis des Verbrauchers, namlich die Wohnungsbeschaffung, bezieht und Betrage betrifft, die fur den Mieter meist einen der großten Haushaltsposten darstellen, wahrend es sich in rechtlicher Hinsicht um einen Vertrag handelt, der in der Regel unter eine komplexe nationale Regelung fallt, die den Privatpersonen oft kaum bekannt ist. \n---|--- \n33 | Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass missbrauchliche Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften des nationalen Rechts beruhen, nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie nicht deren Bestimmungen unterliegen (vgl. Urteil vom 21. Marz 2013, RWE Vertrieb, C-92/11, Randnr. 25). Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prufen, ob dies bei den Klauseln der Fall ist, die Gegenstand des bei ihm anhangigen Rechtsstreits sind. \n---|--- \n34 | Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie - vorbehaltlich missbrauchlicher Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften des nationalen Rechts beruhen, was zu prufen Sache des nationalen Gerichts ist - auf einen Vertrag uber die Vermietung von Wohnraum anwendbar ist, der zwischen einem Vermieter, der im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tatigkeit handelt, und einem Mieter, der zu einem Zweck handelt, der nicht seiner gewerblichen oder beruflichen Tatigkeit zugerechnet werden kann, geschlossen wird. \n---|--- \n \nZur zweiten Frage\n\n35 | Mit seiner zweiten Frage mochte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu ihrem Art. 6 dahin auszulegen ist, dass die Vorschriften zu ihrer Umsetzung in das nationale Recht prozessual zu behandeln sind wie die Normen zwingenden Rechts in der innerstaatlichen Rechtsordnung, so dass das nationale Gericht verpflichtet ist, von Amts wegen zu prufen, ob eine Vertragsklausel missbrauchlich ist, und sie gegebenenfalls fur nichtig zu erklaren. \n---|--- \n36 | Diese Frage besteht aus zwei Teilen, wobei der erste die Verpflichtung des nationalen Gerichts betrifft, die Missbrauchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen zu prufen, und der zweite die Konsequenzen, die das nationale Gericht zu ziehen hat, wenn es diese Missbrauchlichkeit feststellt. \n---|--- \n \nZur Verpflichtung, die Missbrauchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen\nzu prufen\n\n37 | Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich, dass der erste Teil der zweiten Frage mit der Regel im nationalen Recht zusammenhangt, dass das als Rechtsmittelgericht entscheidende nationale Gericht grundsatzlich an die von den Parteien vorgetragenen Rugen gebunden ist und seine Entscheidung darauf stutzen muss, aber Bestimmungen zwingenden Rechts von Amts wegen anwenden darf. \n---|--- \n38 | Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, wonach missbrauchliche Klauseln fur den Verbraucher unverbindlich sind, um eine zwingende Bestimmung handelt, die darauf abzielt, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen (vgl. u. a. Urteile Banco Español de Credito, Randnr. 40, und Banif Plus Bank, Randnr. 20). \n---|--- \n39 | Um den durch die Richtlinie angestrebten Schutz zu gewahrleisten, hat der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass die bestehende Ungleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem nur durch ein positives Eingreifen von dritter, von den Vertragsparteien unabhangiger Seite ausgeglichen werden kann (vgl. u. a. Urteile Banco Español de Credito, Randnr. 41, und Banif Plus Bank, Randnr. 21 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n40 | Aufgrund dieser Erwagung hat der Gerichtshof entschieden, dass das nationale Gericht, sobald es uber die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsachlichen Grundlagen verfugt, die Missbrauchlichkeit einer in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Vertragsklausel von Amts wegen prufen und damit dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abhelfen muss (vgl. u. a. Urteile Banco Español de Credito, Randnr. 42, und Banif Plus Bank, Randnr. 22). \n---|--- \n41 | Folglich ist die Aufgabe, die dem nationalen Gericht in dem fraglichen Bereich vom Unionsrecht zugewiesen wird, nicht auf die bloße Befugnis beschrankt, uber die etwaige Missbrauchlichkeit einer Vertragsklausel zu entscheiden, sondern umfasst außerdem die Verpflichtung, diese Frage von Amts wegen zu prufen, sobald es uber die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsachlichen Grundlagen verfugt (vgl. u. a. Urteile Banco Español de Credito, Randnr. 43, und Banif Plus Bank, Randnr. 23). \n---|--- \n42 | Zur Umsetzung dieser Verpflichtungen durch ein als Rechtsmittelgericht entscheidendes nationales Gericht ist festzustellen, dass es in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten ist, die Verfahrensmodalitaten fur Berufungsverfahren festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewahrleisten sollen. Diese Modalitaten durfen jedoch nicht ungunstiger sein als die, die bei ahnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausubung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einraumt, praktisch unmoglich machen oder ubermaßig erschweren (Grundsatz der Effektivitat) (vgl. in diesem Sinne Urteile Banco Español de Credito, Randnr. 46, und Banif Plus Bank, Randnr. 26). \n---|--- \n43 | Zum Grundsatz der Äquivalenz, auf den die zweite Vorlagefrage implizit Bezug nimmt, ist festzustellen, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, wie in Randnr. 38 des vorliegenden Urteils ausgefuhrt, eine Bestimmung zwingenden Rechts ist. Außerdem stellt diese Richtlinie nach standiger Rechtsprechung des Gerichtshofs insgesamt eine Maßnahme dar, die fur die Erfullung der Aufgaben der Union und insbesondere fur die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualitat in der ganzen Union unerlasslich ist (vgl. Urteile vom 4. Juni 2009, Pannon GSM, [C-243/08, Slg. 2009, I-4713](http://eur-lex.europa.eu/query.html?DN=62008C?0243&locale=DE), Randnr. 26, und Banco Español de Credito, Randnr. 67). \n---|--- \n44 | Der Gerichtshof hat im Übrigen entschieden, dass Art. 6 der Richtlinie in Anbetracht von Natur und Bedeutung des offentlichen Interesses, auf dem der Schutz beruht, den die Richtlinie fur den Verbraucher sicherstellt, als eine Norm zu betrachten ist, die den im nationalen Recht zwingenden innerstaatlichen Bestimmungen gleichwertig ist (vgl. Urteil vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones, [C-40/08, Slg. 2009, I-9579](http://eur-lex.europa.eu/query.html?DN=62008C?0040&locale=DE), Randnr. 52, und Beschluss vom 16. November 2010, Pohotovost\', [C-76/10, Slg. 2010, I-11557](http://eur-lex.europa.eu/query.html?DN=62010C?0076&locale=DE), Randnr. 50). Dies gilt fur alle Bestimmungen der Richtlinie, die unerlasslich sind, um das mit Art. 6 verfolgte Ziel zu erreichen. \n---|--- \n45 | Daraus folgt, dass das nationale Gericht, wenn es nach innerstaatlichem Prozessrecht befugt ist, die Gultigkeit eines Rechtsakts von Amts wegen anhand zwingender nationaler Bestimmungen zu prufen, was nach den Angaben des vorlegenden Gerichts im niederlandischen Rechtspflegesystem bei als Rechtsmittelgerichten entscheidenden Gerichten der Fall ist, diese Befugnis auch ausuben muss, um die etwaige Missbrauchlichkeit einer in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Vertragsklausel von Amts wegen anhand der in der Richtlinie aufgestellten Kriterien zu prufen. \n---|--- \n46 | Eine solche Verpflichtung obliegt dem nationalen Gericht auch, wenn es im Rahmen des nationalen Rechtspflegesystems uber die bloße Moglichkeit verfugt, den Verstoß einer solchen Klausel gegen zwingende nationale Bestimmungen von Amts wegen zu prufen (vgl. Urteil Asturcom Telecomunicaciones, Randnr. 54 und die dort angefuhrte Rechtsprechung). \n---|--- \n \nZu den vom nationalen Gericht aus der Feststellung der Missbrauchlichkeit\neiner Vertragsklausel zu ziehenden Konsequenzen\n\n47 | Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass der zweite Teil der zweiten Frage mit der Regel im nationalen Recht zusammenhangt, dass das nationale Gericht eine missbrauchliche Klausel grundsatzlich nicht fur nichtig erklaren kann, wenn der Verbraucher ihre Nichtigkeit nicht geltend gemacht hat. Das Gericht kann jedoch von Amts wegen eine Klausel fur nichtig erklaren, die gegen die offentliche Ordnung oder eine zwingende gesetzliche Bestimmung verstoßt, wenn Letztere ihrer Bedeutung nach eine solche Sanktion rechtfertigt. \n---|--- \n48 | Art. 6 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten vorzusehen, dass missbrauchliche Klauseln fur den Verbraucher unverbindlich sind, und „die Bedingungen hierfur in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften" festzulegen. \n---|--- \n49 | Der Gerichtshof hat diese Bestimmung dahin ausgelegt, dass das nationale Gericht alle Konsequenzen ziehen muss, die sich nach nationalem Recht aus der Feststellung der Missbrauchlichkeit der betreffenden Klausel ergeben, um sicher sein zu konnen, dass diese fur den Verbraucher unverbindlich ist (Urteile Banco Español de Credito, Randnr. 63, und Banif Plus Bank, Randnr. 27). Der Gerichtshof hat insoweit prazisiert, dass das nationale Gericht eine Vertragsklausel, die es fur missbrauchlich halt, unangewendet lassen muss, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht (vgl. Urteil Pannon GSM, Randnr. 35). \n---|--- \n50 | Nach dieser Rechtsprechung ist es fur die volle Effektivitat des von der Richtlinie vorgesehenen Schutzes erforderlich, dass das nationale Gericht, das von Amts wegen die Missbrauchlichkeit einer Klausel festgestellt hat, alle Konsequenzen aus dieser Feststellung ziehen kann, ohne abwarten zu mussen, dass der Verbraucher nach dem Hinweis auf seine Rechte erklart, dass er die Nichtigerklarung der genannten Klausel begehrt (Urteil Banif Plus Bank, Randnrn. 28 und 36). \n---|--- \n51 | Aus den in den Randnrn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils angefuhrten Erwagungen folgt, dass das nationale Gericht, wenn es nach internem Prozessrecht die Befugnis hat, von Amts wegen eine Klausel fur nichtig zu erklaren, die gegen die offentliche Ordnung oder eine zwingende gesetzliche Bestimmung, die ihrer Bedeutung nach eine solche Sanktion rechtfertigt, verstoßt, was nach den Angaben in der Vorlageentscheidung im niederlandischen Rechtspflegesystem bei als Rechtsmittelgerichten entscheidenden Gerichten der Fall ist, eine Vertragsklausel, deren Missbrauchlichkeit es anhand der in der Richtlinie aufgestellten Kriterien festgestellt hat, auch von Amts wegen fur nichtig erklaren muss. \n---|--- \n52 | In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens im Allgemeinen das nationale Gericht, das die Missbrauchlichkeit einer Klausel von Amts wegen festgestellt hat, verpflichtet, die Prozessparteien daruber zu informieren und ihnen Gelegenheit zu geben, dies in der von den nationalen Verfahrensvorschriften dafur vorgesehenen Form kontradiktorisch zu erortern (Urteil Banif Plus Bank, Randnrn. 31 und 36). \n---|--- \n53 | Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass | -- | das mit der Klage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher wegen Vertragserfullung befasste nationale Gericht, wenn es nach innerstaatlichem Prozessrecht befugt ist, von Amts wegen zu prufen, ob die Klausel, auf die der Antrag gestutzt ist, gegen zwingende nationale Bestimmungen verstoßt, auf die gleiche Weise von Amts wegen anhand der in der Richtlinie aufgestellten Kriterien zu prufen hat, ob die Klausel missbrauchlich ist, wenn es festgestellt hat, dass sie in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallt; \n---|--- \n-- | das nationale Gericht, wenn es nach innerstaatlichem Prozessrecht befugt\nist, von Amts wegen eine Klausel fur nichtig zu erklaren, die gegen die\noffentliche Ordnung oder eine zwingende gesetzliche Bestimmung, die ihrer\nBedeutung nach eine solche Sanktion rechtfertigt, verstoßt, eine\nVertragsklausel, deren Missbrauchlichkeit es anhand der in der Richtlinie\naufgestellten Kriterien festgestellt hat, grundsatzlich - nachdem es den\nParteien Gelegenheit zu einer kontradiktorischen Erorterung gegeben hat - von\nAmts wegen fur nichtig erklaren muss. \n---|--- \n \nZur dritten Frage\n\n54 | Mit dieser Frage mochte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 der Richtlinie dahin ausgelegt werden kann, dass er einem nationalen Gericht, wenn es die Missbrauchlichkeit einer Vertragsstrafeklausel festgestellt hat, erlaubt, die in der Klausel vorgesehene Vertragsstrafe lediglich herabzusetzen, wie es nach dem betreffenden nationalen Recht zulassig und vom Verbraucher beantragt worden ist, statt die Klausel unangewendet zu lassen. \n---|--- \n55 | Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Nr. 1 Buchst. e des Anhangs der Richtlinie unter den Klauseln, die gemaß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie fur missbrauchlich erklart werden konnen, Klauseln erwahnt, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass dem Verbraucher, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, ein unverhaltnismaßig hoher Entschadigungsbetrag auferlegt wird. Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass sich die Missbrauchlichkeit einer streitigen Klausel zwar nicht ohne Weiteres und allein anhand des Anhangs ermitteln lasst, dass dieser jedoch eine wesentliche Grundlage bildet, auf die das zustandige Gericht seine Beurteilung der Missbrauchlichkeit dieser Klausel stutzen kann (Urteil vom 26. April 2012, Invitel, C-472/10, Randnr. 26). \n---|--- \n56 | Zur Frage, ob es dem nationalen Gericht, wenn es die Missbrauchlichkeit einer Vertragsstrafeklausel festgestellt hat, erlaubt ist, die in der Klausel vorgesehene Vertragsstrafe - wie es im vorliegenden Fall nach Art. 6:94 Abs. 1 BW zulassig ist - lediglich herabzusetzen, ist festzustellen, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie in seinem zweiten Halbsatz ausdrucklich vorsieht, dass der Vertrag zwischen dem Gewerbetreibenden und dem Verbraucher fur beide Parteien „auf derselben Grundlage" bindend bleibt, wenn er „ohne die missbrauchlichen Klauseln" bestehen kann. \n---|--- \n57 | Der Gerichtshof hat aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie abgeleitet, dass die nationalen Gerichte eine missbrauchliche Vertragsklausel unangewendet lassen mussen, damit sie den Verbraucher nicht bindet, aber nicht deren Inhalt abandern durfen. Der betreffende Vertrag muss - abgesehen von der Änderung, die sich aus dem Wegfall der missbrauchlichen Klauseln ergibt - grundsatzlich unverandert fortbestehen, soweit dies nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts rechtlich moglich ist (Urteil Banco Español de Credito, Randnr. 65). \n---|--- \n58 | Der Gerichtshof hat im Übrigen festgestellt, dass fur diese Auslegung auch der Regelungszweck und die Systematik der Richtlinie sprechen. In diesem Zusammenhang hat er darauf hingewiesen, dass die Richtlinie, wie sich aus ihrem Art. 7 Abs. 1 ergibt, die Mitgliedstaaten aufgrund von Art und Bedeutung des offentlichen Interesses, auf dem der den Verbrauchern gewahrte Schutz beruht, verpflichtet, angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, „damit der Verwendung missbrauchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Vertragen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird". Wenn es dem nationalen Gericht freistunde, den Inhalt der missbrauchlichen Klauseln in solchen Vertragen abzuandern, konnte eine derartige Befugnis die Verwirklichung des langfristigen Ziels gefahrden, das mit Art. 7 der Richtlinie verfolgt wird, weil sie den Abschreckungseffekt abschwachen wurde, der fur die Gewerbetreibenden darin besteht, dass solche missbrauchlichen Klauseln gegenuber dem Verbraucher schlicht unangewendet bleiben (Urteil Banco Español de Credito, Randnrn. 66 bis 69). \n---|--- \n59 | Daraus folgt, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er einem nationalen Gericht, wenn es die Missbrauchlichkeit einer Vertragsstrafeklausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher feststellt, erlaubt, die dem Verbraucher auferlegte Vertragsstrafe herabzusetzen, statt die Klausel dem Verbraucher gegenuber ganzlich unangewendet zu lassen. \n---|--- \n60 | Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einem nationalen Gericht, wenn es die Missbrauchlichkeit einer Vertragsstrafeklausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher festgestellt hat, nicht erlaubt, die in dieser Klausel dem Verbraucher auferlegte Vertragsstrafe, wie es nach dem nationalen Recht zulassig ist, lediglich herabzusetzen, sondern es verpflichtet, die Klausel gegenuber dem Verbraucher schlicht unangewendet zu lassen. \n---|--- \n \nKosten\n\n61 | Fur die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhangigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter fur die Abgabe von Erklarungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfahig. \n---|--- \n| Aus diesen Grunden hat der Gerichtshof (Erste Kammer) fur Recht erkannt: \n---|--- \n| | 1. | Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 uber missbrauchliche Klauseln in Verbrauchervertragen ist dahin auszulegen, dass sie - vorbehaltlich missbrauchlicher Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften des nationalen Rechts beruhen, was zu prufen Sache des nationalen Gerichts ist - auf einen Vertrag uber die Vermietung von Wohnraum anwendbar ist, der zwischen einem Vermieter, der im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tatigkeit handelt, und einem Mieter, der zu einem Zweck handelt, der nicht seiner gewerblichen oder beruflichen Tatigkeit zugerechnet werden kann, geschlossen wird. \n---|--- \n| | 2. | Die Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass | -- | das mit der Klage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher wegen Vertragserfullung befasste nationale Gericht, wenn es nach innerstaatlichem Prozessrecht befugt ist, von Amts wegen zu prufen, ob die Klausel, auf die der Antrag gestutzt ist, gegen zwingende nationale Bestimmungen verstoßt, auf die gleiche Weise von Amts wegen anhand der in der Richtlinie aufgestellten Kriterien zu prufen hat, ob die Klausel missbrauchlich ist, wenn es festgestellt hat, dass sie in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallt; \n---|--- \n-- | das nationale Gericht, wenn es nach innerstaatlichem Prozessrecht befugt\nist, von Amts wegen eine Klausel fur nichtig zu erklaren, die gegen die\noffentliche Ordnung oder eine zwingende gesetzliche Bestimmung, die ihrer\nBedeutung nach eine solche Sanktion rechtfertigt, verstoßt, eine\nVertragsklausel, deren Missbrauchlichkeit es anhand der in der Richtlinie\naufgestellten Kriterien festgestellt hat, grundsatzlich - nachdem es den\nParteien Gelegenheit zu einer kontradiktorischen Erorterung gegeben hat - von\nAmts wegen fur nichtig erklaren muss. \n---|--- \n| | 3. | Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass er einem nationalen Gericht, wenn es die Missbrauchlichkeit einer Vertragsstrafeklausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher festgestellt hat, nicht erlaubt, die in dieser Klausel dem Verbraucher auferlegte Vertragsstrafe, wie es nach dem betreffenden nationalen Recht zulassig ist, lediglich herabzusetzen, sondern es verpflichtet, die Klausel gegenuber dem Verbraucher schlicht unangewendet zu lassen. \n---|--- \n| Unterschriften \n---|--- \n \n* * *\n\n( *1 ) Verfahrenssprache: Niederlandisch.\n\n
317,604
ag-dortmund-2019-02-26-425-c-694618
647
Amtsgericht Dortmund
ag-dortmund
Dortmund
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Amtsgericht
425 C 6946/18
2019-02-26
2019-03-15 11:02:00
2020-12-10 15:13:00
Urteil
ECLI:DE:AGDO:2019:0226.425C6946.18.00
## Tenor\n\nDie Klage wird abgewiesen.\n\nDie Kosten des Rechtsstreits tragt der Klager.\n\nDas Urteil ist vorlaufig vollstreckbar.\n\nDem Klager bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch\nSicherheitsleistung in Hohe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren\nBetrages abzuwenden, falls nicht die Beklagten vor der Vollstreckung\nSicherheit in gleicher Hohe leisten.\n\n \n1\n\n**T a t b e s t a n d :**\n\n2\n\nDer Klager verlangt von den Beklagten Schadensersatz aufgrund eines\nVerkehrsunfalls, der sich am 07.07.2018 in Dortmund ereignete.\n\n3\n\nZum Unfallzeitpunkt befuhr der Klager die T2 in nordlicher Richtung. Er\nbeabsichtigte nach links in die C-T6 einzubiegen. Er fuhr in den\nKreuzungsbereich und hielt an. Ein Pkw, der ihm auf der T2 entgegenkam\nsignalisierte ihm mittels Lichthupe, dass er ihn vorbeilassen wollte.\nDaraufhin fuhr der Klager wieder an.\n\n4\n\nZu diesem Zeitpunkt befuhr der Beklagte zu 2) mit dem Motorrad der Beklagten\nzu 1), welches bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist, ebenfalls\ndie T2 und zwar dem Klager entgegenkommend. Die T-Strasse hat am rechten\nFahrbahnrand einen Schutzstreifen fur Radfahrer der mit einer Leitlinie\nZeichen 340 und dem Sinnbild gem. § 39 Abs. 7 StVO fur Radfahrer\ngekennzeichnet ist. Der Beklagte zu 2 fuhr rechts an dem Fahrzeug vor ihm\nfahrenden, dem Klager entgegenkommend, das signalisiert hatte, er konne nach\nlinks abbiegen, vorbei. Es kam zum Anstoß zwischen dem Fahrzeug des Klagers\nund dem Motorrad. Der Motorradfahrer flog uber die Motorhaube des Fahrzeugs\ndes Klagers. Dem Klager ist insgesamt ein Sachschaden in Hohe von 2.212,00 €\nentstanden. Ferner hat er an den Sachverstandigen Ulbrich 658,90 € zu zahlen.\nDie Beklagten bestreiten die Schadenshohe.\n\n5\n\nDer Klager behauptet, der Beklagte zu 2) sei auf dem Fahrradweg dem Klager\nentgegengekommen. Er habe mit einem derart rucksichtslosen Verhalten nicht zu\nrechnen brauchen.\n\n6\n\nDer Klager beantragt,\n\n7\n\n * 8\n\n1\\. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an das\nSachverstandigenburo V 658,90 € nebst Zinsen in Hohe von 5 Prozentpunkten uber\ndem Basiszinssatz seit dem 18.09.2018 zu zahlen;\n\n9\n\n * 10\n\n2\\. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Klager 2.212,00\n€ nebst Zinsen in Hohe von 5 Prozentpunkten uber dem Basiszinssatz seit dem\n18.09.2018 zu zahlen;\n\n11\n\n * 12\n\n3\\. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, den Klager von\nvorgerichtlichen Anwaltskosten in Hohe von 334,75 € freizustellen.\n\n13\n\nDie Beklagten beantragen,\n\n14\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n15\n\nDas in die gleiche Richtung wie der Beklagte zu 2) fahrende Fahrzeug habe\nebenfalls nach links abbiegen wollen und deshalb im Kreuzungsbereich auch\nangehalten. Der Beklagte zu 2) sei hinter diesem Fahrzeug geradeaus gefahren:\nEr sei auf der Fahrbahn gefahren.\n\n16\n\nWegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der\ngewechselten Schriftsatze Bezug genommen.\n\n17\n\nDas Gericht hat Beweis erhoben uber den Unfallhergang durch uneidliche\nVernehmung des Zeugen C. Ferner hat es die jeweiligen Fahrzeugfuhrer angehort.\nWegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift\nvom 26.02.2019 Bezug genommen.\n\n18\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r u n d e :**\n\n19\n\nDie Klage ist unbegrundet.\n\n20\n\nDer Klager kann unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatz aufgrund\ndes hier strittigen Verkehrsunfalls von den Beklagten verlangen, insbesondere\nbestehen keine Anspruche gem. § 7 StVG.\n\n21\n\nDas Verkehrsunfallgeschehen ist allein schuldhaft durch den Klager verursacht\nworden. Der Klager hat schuldhaft gegen § 9 Abs. 3 StVO verstoßen. Danach muss\nderjenige, der abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen.\nGemaß § 9 Abs. 3 Satz 2 StVO gilt dies auch gegenuber Fahrzeugen, die\ngekennzeichnete Sonderfahrstreifen benutzen, der hier aber nicht gegeben ist.\n\n22\n\nNach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung des\nerkennenden Gerichts fest, dass der Klager schlicht unaufmerksam war, als er\nnach links abgebogen ist. Dass der andere Verkehrsteilnehmer, der in dem\nweißen Fahrzeug gesessen hat und ihm entgegenkam, ihm per Lichtzeichen\nsignalisiert haben soll, dass er fahren konnte, entlastet den Klager\nhinsichtlich seiner Sorgfaltspflicht nicht im geringsten.\n\n23\n\nUnerheblich ist letztendlich auch wo der Beklagte zu 2) mit seinem Motorrad\ngenau gefahren ist. Richtig ist, dass sich auf der T2 ein mittels einer\ndurchgezogenen Linie von der Fahrbahn abgetrennter Bereich befindet auf dem\nRadfahrer fahren durfen. Anders als der Klager meint, handelt es sich nicht um\nRadweg, der nur Radfahrern vorbehalten ist. Radweg sind durch das Zeichen 237\ngekennzeichnet.\n\n24\n\nVorliegend handelt es sich um einen Schutz- oder Angebotsstreifen fur\nRadfahrer gem. § 45 Abs. 9 Ziff 1 StVO. Diese werden durch das Zeichen 340 von\nder Fahrbahn abgetrennt. Das bedeutet: „Wer ein Fahrzeug fuhrt, darf aus der\nFahrbahn durch Leitlinien markierte Schutzstreifen fur den Radverkehr nur bei\nBedarf uberfahren. Der Radverkehr dabei nicht gefahrdet werden."\n\n25\n\nEs handelt sich gerade nicht um einen Radweg und auch nicht um Sonderwege (wie\nbei Zeichen 237), denn die Markierung nach § 45 Abs. 9 StVO weist keinen\nRadweg aus. Der Schutzstreifen ist Bestandteil der Fahrbahn, aber selbst keine\nFahrstreifen. Schutzstreifen sind auch nicht ausschließlich den Radfahrern\nvorbehalten, sondern die Leitlinie darf von anderen Fahrzeug "bei Bedarf"\nuberfahren werden. Radfahrer durfen auf dem Schutzstreifen im Rahmen des § 5\nAbs. 8 StVO auf der Fahrbahn rechts wartende Fahrzeuge rechts uberholen. Dies\ngilt gem. § 5 Abs. 7 StVO auch gegenuber zum Linksabbiegen eingeordneten\nFahrzeugen.\n\n26\n\nDer Klager muss entgegenkommenden Verkehr unabhangig davon, ob er sich auf der\nT6 befindet oder auf diesem Schutzstreifen Vorfahrt gewahren, genauso wie er\nFußgangern, die die C-T6 uberquert hatten, gegenuber wartepflichtig gewesen\nware.\n\n27\n\nSchließlich war noch zu berucksichtigen, dass dieser Schutzstreifen, der\nentlang der T2 durch eine durchgezogene Linie (Zeichen 340) von der Fahrbahn\nabgetrennt ist, im Kreuzungsbereich gerade nicht durch eine durchgezogene\nLinie von der restlichen Fahrbahn abgetrennt ist. Hier befindet sich eine\nunterbrochene Linie die es gerade erlaubt, beidseitig davon zu fahren.\n\n28\n\nDer Beklagte zu 2) hat sich deshalb in keinster Weise verkehrsordnungswidrig\nverhalten, als er im Kreuzungsbereich rechts an dem dort vor ihm fahrenden und\nlinks abbiegenden Fahrzeug vorbeigefahren ist.\n\n29\n\nNach alledem war die Klage abzuweisen.\n\n30\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung uber die\nvorlaufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 11, 711 ZPO.\n\n31\n\n**Rechtsbehelfsbelehrung:**\n\n32\n\nGegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung fur jeden zulassig, der\ndurch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,\n\n33\n\n1\\. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR ubersteigt oder\n\n34\n\n2\\. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden\nist.\n\n35\n\nDie Berufung muss **innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung**\ndieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Dortmund, L-T6, 44135 Dortmund,\neingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen\ndas die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklarung, dass gegen dieses Urteil\nBerufung eingelegt werde, enthalten.\n\n36\n\nDie Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen\nzwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenuber dem\nLandgericht Dortmund zu begrunden.\n\n37\n\nDie Parteien mussen sich vor dem Landgericht Dortmund durch einen Rechtsanwalt\nvertreten lassen, insbesondere mussen die Berufungs- und die\nBerufungsbegrundungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.\n\n38\n\nMit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des\nangefochtenen Urteils vorgelegt werden.\n\n
317,615
bgh-2019-02-20-viii-zr-6618
4
Bundesgerichtshof
bgh
Bundesrepublik Deutschland
Bundesgericht
VIII ZR 66/18
2019-02-20
2019-03-16 11:00:11
2020-12-10 15:13:03
Urteil
ECLI:DE:BGH:2019:200219UVIIIZR66.18.0
## Tenor\n\n \n\nAuf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des\nLandgerichts Aachen vom 9. Februar 2018 aufgehoben.\n\n \n\n \n\nDie Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch uber die Kosten\ndes Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zuruckverwiesen.\n\n \n\n \n\nVon Rechts wegen\n\n## Tatbestand\n\n1\n\n \n\nDie Klagerin ist eine private Krankenversicherung. Sie nimmt die Beklagte als\nTragerin eines Krankenhauses auf Ruckerstattung von Umsatzsteuer in Anspruch.\nDas von der Beklagten betriebene Krankenhaus stellt in seiner hauseigenen\nApotheke patientenindividuell Zytostatika (Krebsmedikamente zur Anwendung in\nder Chemotherapie) her.\n\n \n\n2\n\n \n\nFur die in den Jahren 2012 und 2013 erfolgte Abgabe solcher Medikamente an\nambulant behandelte Versicherungsnehmer der Klagerin stellte die Beklagte\ndiesen Rechnungen aus, die die Einzelpreise fur die einzelnen Substanzen und\nauch die jeweils angesetzte Zubereitungspauschale fur Zytostatika-Losungen\nauflisteten sowie dabei fur jede Position einen Umsatzsteuersatz in Hohe von\n19 % auswiesen. Die Beklagte hat geltend gemacht, in den Rechnungen seien auch\nPositionen enthalten, die keine Zytostatika oder patientenindividuelle\nZubereitungen betroffen hatten und damit umsatzsteuerpflichtig seien. Die\nVersicherungsnehmer der Klagerin zahlten auf die genannten Rechnungen an die\nBeklagte einen Gesamtbetrag von 26.984,19 €, den sie von der Klagerin\nerstattet erhielten. Hiervon entfallt ein Betrag von 4.308,40 € auf die\nangesetzte Umsatzsteuer.\n\n \n\n3\n\n \n\nDie Beklagte fuhrte die in Ansatz gebrachten Umsatzsteuerbetrage an das\nzustandige Finanzamt ab. Ob und in welcher Hohe sie dabei einen Vorsteuerabzug\nvorgenommen hat, ist bislang ungeklart. Dass die Umsatzsteuer bestandskraftig\nfestgesetzt worden sei, macht die Beklagte nicht geltend.\n\n \n\n4\n\n \n\nAm 24. September 2014 erging ein Urteil des Bundesfinanzhofs (Az. V R 19/11;\nveroffentlicht in BFHE 247, 369), wonach die im Rahmen einer ambulant in einem\nKrankenhaus durchgefuhrten Heilbehandlung erfolgte Verabreichung individuell\nfur den einzelnen Patienten von einer Krankenhausapotheke hergestellter\nZytostatika als ein mit der arztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz\ngemaß § 4 Nr. 16 Buchst. b Umsatzsteuergesetz (UStG) (aF; seit 1. Januar 2009:\n§ 4 Nr. 14 Buchst. b UStG) steuerfrei ist. Unter dem 28. September 2016 folgte\nein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (Az. III C 3 - S\n7170/11/10004; veroffentlicht in UR 2016, 891), das auf die genannte\nEntscheidung des Bundesfinanzhofs sowie - unter anderem - auf die Moglichkeit\neiner Berichtigung der wegen unrichtigen Ausweises der Steuer geschuldeten\nBetrage nach dem Umsatzsteuergesetz und auf einen dann eintretenden\n(ruckwirkenden) Ausschluss der hierauf bezogenen Vorsteuerabzuge hinwies. Die\nKlagerin forderte daraufhin die Beklagte erfolglos zur Ruckerstattung der\nvereinnahmten Umsatzsteuerbetrage auf.\n\n \n\n5\n\n \n\nMit der vorliegenden Klage hat die Klagerin einen auf Bereicherungsrecht\ngestutzten Anspruch aus ubergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer auf\nRuckzahlung von insgesamt 4.308,40 € nebst Zinsen gegen die Beklagte geltend\ngemacht. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete\nBerufung der Klagerin hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil\nabgeandert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht\nzugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des\namtsgerichtlichen Urteils.\n\n## Entscheidungsgründe\n\n6\n\n \n\nDie Revision hat Erfolg.\n\n \n\n \n\nI.\n\n \n\n7\n\n \n\nDas Berufungsgericht (LG Aachen, Urteil vom 9. Februar 2018 - 6 S 118/17,\njuris) hat zur Begrundung seiner Entscheidung, soweit fur das\nRevisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgefuhrt:\n\n \n\n8\n\n \n\nDer Klagerin stehe ein Anspruch auf Ruckzahlung der von ihren\nVersicherungsnehmern an die Beklagte geleisteten Umsatzsteuer in Hohe von\n4.308,40 € gemaß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB in Verbindung mit §§ 86, 194\nAbs. 2 VVG zu.\n\n \n\n9\n\n \n\nIn Hohe dieses Umsatzsteuerbetrags sei die Leistung der Versicherungsnehmer\nder Klagerin an die Beklagte ohne Rechtsgrund erfolgt. Die von der Beklagten\nabgerechneten Leistungen hatten samtlich im Rahmen einer ambulant im\nKrankenhaus durchgefuhrten Heilbehandlung verabreichte und individuell von der\nKrankenhausapotheke hergestellte Zytostatika betroffen und seien damit - wie\nsich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. September 2014 (aaO) ergebe -\nnicht umsatzsteuerpflichtig gewesen. Die Beklagte habe zwar geltend gemacht,\neinzelne, konkret bezeichnete Rechnungspositionen hatten der Umsatzsteuer\nunterlegen. Es fehle aber an Vorbringen dazu, auf welcher anderen Grundlage\ndie genannten Positionen abgerechnet worden seien, so dass nicht habe\nermittelt werden konnen, ob es sich insoweit um umsatzsteuerpflichtige\nLeistungen gehandelt habe.\n\n \n\n10\n\n \n\nDa die Rechnungsbetrage zu Unrecht Umsatzsteuer in Hohe von 4.308,40 €\neingeschlossen hatten und dieser Betrag auch von den Versicherungsnehmern der\nKlagerin an die Beklagte entrichtet worden sei, liege eine ungerechtfertigte\nBereicherung der Beklagten vor. Denn im Verhaltnis der Beklagten zu den\nVersicherungsnehmern der Klagerin seien Nettoentgeltvereinbarungen anzunehmen,\ndie zur Folge hatten, dass die Umsatzsteuer einen selbstandigen\nEntgeltbestandteil darstelle, der bei Bestehen einer Umsatzsteuerpflicht\nentweder einen Anspruch auf Umsatzsteuerzahlung oder im Falle der\nUmsatzsteuerfreiheit schlicht keine Verpflichtung zur Entrichtung des\nangesetzten Umsatzsteueranteils begrunde.\n\n \n\n11\n\n \n\nZwar hatten die Vertragsparteien keine Vereinbarung uber die Hohe des\ngeschuldeten Entgelts getroffen. Auch die Vorschrift des § 632 BGB komme nicht\nzur Anwendung. Der Verkaufer von Medikamenten konne aber durch die Ausubung\neines ihm zukommenden Leistungsbestimmungsrechts nach §§ 315, 316 BGB den\nPreis festlegen, was in der Regel durch die (erste) Rechnungstellung geschehe\n(vgl. OLG Koln, Urteil vom 22. Juni 2012 - 20 U 27/12, juris). Diese Befugnis\nerstrecke sich auch auf die Frage, ob ein in der verlangten Vergutung\nenthaltener Umsatzsteueranteil selbstandiger oder unselbstandiger\nEntgeltbestandteil sein solle. Von dem ihr zukommenden Bestimmungsrecht\nhinsichtlich der geschuldeten Gegenleistung habe die Beklagte durch den\ngesonderten Ausweis von Netto- und Umsatzsteuerbetragen in den gestellten\nRechnungen dahin Gebrauch gemacht, dass die Umsatzsteuer ein selbstandiger\nPreisbestandteil habe sein sollen, bezuglich dessen die Zahlungspflicht der\nVersicherungsnehmer der Klagerin allein davon abhange, ob es sich tatsachlich\num ein umsatzsteuerpflichtiges Geschaft handele. Aus diesem Grunde konne die\nBeklagte nicht geltend machen, dass die Moglichkeit eines Vorsteuerabzugs\nmaßgebender Faktor bei der Preiskalkulation gewesen sei.\n\n \n\n12\n\n \n\nDie Beklagte konne sich auch nicht gemaß § 818 Abs. 3 BGB auf eine\nEntreicherung berufen. Denn es treffe sie eine vertragliche Nebenpflicht, die\nerstellten Rechnungen zu berichtigen, so dass sie die gezahlten\nUmsatzsteuerbetrage vom Finanzamt erstattet verlangen konne, wonach ihre\nBereicherung fortbestehe. Die Interessenlage sei mit der eines Unternehmers\nvergleichbar, der als Leistungsempfanger ohne eine ordnungsgemaße Rechnung des\nLeistenden einen Vorsteuerabzug nicht geltend machen konne. Fur diese Falle\nhabe die hochstrichterliche Rechtsprechung aus den Geboten von Treu und\nGlauben eine Nebenpflicht zur ordnungsgemaßen Rechnungserteilung\nbeziehungsweise zu einer Berichtigung einer Rechnung abgeleitet. Zwar handele\nes sich bei den Versicherungsnehmern der Klagerin nicht um Unternehmer, so\ndass bei diesen kein Vorsteuerabzug im Raume gestanden habe. Da aber die\nBeklagte eine Rechnung gemaß § 14 UStG erteilt und hierdurch ihr\nLeistungsbestimmungsrecht nach §§ 315, 316 BGB dahingehend ausgeubt habe, dass\ndie Umsatzsteuer selbstandiger Entgeltbestandteil habe sein sollen, sei auch\nbei den Versicherungsnehmern der Klagerin ein berechtigtes Interesse an der\nAusstellung einer richtigen Rechnung entstanden, mit dem eine entsprechende\nNebenpflicht der Beklagten einhergehe.\n\n \n\n13\n\n \n\nEine solche Nebenpflicht fuhre fur die Beklagte auch nicht zu einem\nuntragbaren Ergebnis im Hinblick auf ihren Verwaltungsaufwand. Dass damit ein\naußergewohnlicher Aufwand verbunden sei, habe die Beklagte nicht hinreichend\ndargelegt. Zudem reiche die Nebenpflicht der Beklagten nur soweit, solche\nRechnungen zu berichtigen, die Gegenstand bereicherungsrechtlicher\nRuckforderungsanspruche seien.\n\n \n\n14\n\n \n\nDer Ruckforderungsanspruch sei auch nicht verjahrt, da die Klagerin nach dem\nForderungsubergang erst mit dem bereits angefuhrten Urteil des\nBundesfinanzhofs Kenntnis von dem Ruckforderungsanspruch erlangt habe. Deshalb\nhabe die dreijahrige Regelverjahrungsfrist (§ 195 BGB) gemaß § 199 Abs. 1 BGB\nerst mit Schluss des Jahres 2014 zu laufen begonnen und sei durch die erfolgte\nKlageerhebung rechtzeitig gehemmt worden.\n\n \n\n \n\nII.\n\n \n\n15\n\n \n\nDiese Beurteilung halt rechtlicher Nachprufung nicht stand. Mit der vom\nBerufungsgericht gegebenen Begrundung kann ein bereicherungsrechtlicher\nAnspruch der Klagerin aus ubergegangenem Recht (§ 86 Abs. 1 Satz 1, § 194 Abs.\n2 VVG) auf vollstandige Ruckzahlung der Betrage, die den von ihren\nVersicherungsnehmern jeweils geleisteten und von ihr erstatteten\nUmsatzsteueranteilen von 19 % entsprechen, mithin auf eine Ruckzahlung von\n4.308,40 € (nebst Zinsen), nicht bejaht werden.\n\n \n\n16\n\n \n\nRechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht die zwischen den\nVersicherungsnehmern der Klagerin und der Beklagten zustande gekommenen\nEntgeltvereinbarungen als Nettopreisabreden eingestuft, bei denen die\nUmsatzsteuer einen selbstandigen Entgeltbestandteil darstelle und daher die\nZahlungspflicht der Versicherungsnehmer der Klagerin insoweit allein davon\nabhange, ob es sich tatsachlich um ein umsatzsteuerpflichtiges Geschaft\nhandele. Dabei hat es zu Unrecht angenommen, der Beklagten sei bezuglich der\ngeschuldeten Gegenleistung ein Leistungsbestimmungsrecht nach §§ 315, 316 BGB\neingeraumt worden, das diese mit Rechnungstellung wirksam dahin ausgeubt habe,\ndass der Umsatzsteueranteil selbstandiger - und damit im Falle der\nUmsatzsteuerfreiheit nach Bereicherungsrecht ruckforderbarer -\nPreisbestandteil gewesen sei. Daraus hat es die unzutreffende Rechtsfolge\nabgeleitet, die Beklagte konne sich nicht darauf berufen, die Moglichkeit\neines Vorsteuerabzugs sei maßgebender Faktor bei der Preiskalkulation gewesen.\n\n \n\n17\n\n \n\nDie Klagerin kann aufgrund einer erganzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB) der\nzwischen den Versicherungsnehmern der Klagerin und der Beklagten geschlossenen\nVertrage (dazu unter II 2 a) gemaß § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB in\nVerbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1, § 194 Abs. 2 VVG nur Ruckzahlung der\nBetrage verlangen, die der von ihren Versicherungsnehmern auf die gestellten\nRechnungen geleisteten Umsatzsteuer fur Zytostatika abzuglich der von der\nBeklagten hierfur gegebenenfalls in Abzug gebrachten Vorsteuer, mithin also\ndem von der Beklagten letztlich insoweit an das Finanzamt abgefuhrten Teil der\nUmsatzsteuer entsprechen (dazu unter II 2 b).\n\n \n\n18\n\n \n\n1\\. Auf die zwischen den Versicherungsnehmern der Klagerin und der Beklagten\nbegrundeten Vertragsverhaltnisse ist, soweit die Herstellung und die\nVeraußerung von Zytostatika betroffen sind, Werklieferungsrecht (§ 651 BGB aF;\nheute § 650 BGB) anzuwenden. Dabei haben die Vertragsparteien - anders als das\nBerufungsgericht angenommen hat - bezuglich der Entgeltpflicht der\nVersicherungsnehmer der Klagerin (§ 433 Abs. 2 BGB) stillschweigend\nBruttopreisabreden getroffen, bei denen die im Preis eingeschlossene\nUmsatzsteuer von 19 % einen unselbstandigen Entgeltbestandteil bildet. Dies\nfuhrt dazu, dass einerseits eine Ruckforderung der Betrage, die auf die zu\nUnrecht fur die verabreichten Zytostatika angesetzten Umsatzsteueranteile\nentfallen, - anders als bei den vom Berufungsgericht bejahten\nNettopreisabreden - nicht per se moglich ist, dass sie aber andererseits auch\nnicht - wie etwa bei einer von der Revision angenommenen nach § 315 Abs. 3\nSatz 1 BGB bis zur Grenze der Unbilligkeit bindenden (einseitigen)\n(Brutto-)Preisbestimmung der Beklagten gemaß § 316 BGB - ganzlich\nausgeschlossen ist.\n\n \n\n19\n\n \n\na) Werden von einer Krankenhausapotheke an einen privat versicherten Patienten\nzur ambulanten Behandlung in der Klinik individuell hergestellte\nKrebsmedikamente entgeltlich abgegeben, ist auf das zwischen dem Krankenhaus\nund dem Patienten bestehende Vertragsverhaltnis Werklieferungsrecht (§ 650\nBGB; bis 31. Dezember 2017: § 651 BGB aF) anzuwenden, so dass bezuglich der\nEntgeltpflicht § 433 Abs. 2 BGB gilt (vgl. etwa OLG Koln, NJW-RR 2012, 1520,\n1521). Teilweise wird ein solches Vertragsverhaltnis in der\nInstanzrechtsprechung als Behandlungsvertrag nach § 611 BGB (heute: §§ 630a,\n630b BGB) eingeordnet mit der Folge, dass dann zumindest die ubliche Vergutung\n(§ 612 Abs. 2 BGB) geschuldet ware (vgl. etwa LG Koln, Urteil vom 18. Juli\n2018 - 25 S 15/17; Revision anhangig unter dem Az. VIII ZR 264/18).\n\n \n\n20\n\n \n\nHierbei wird außer Acht gelassen, dass die ambulante Heilbehandlung durch den\nzustandigen Krankenhausarzt und die Abgabe der Krebsmedikamente durch die\nKrankenhausapotheke zwei selbstandige Leistungen (arztliche Behandlung durch\nden Arzt; Herstellung der Medikamente durch die Apotheke) darstellen, die\nentweder im Rahmen zweier getrennter Vertragsverhaltnisse oder als\nselbstandige Teile eines einheitlichen typengemischten Vertrags mit dem\nKrankenhaustrager als Betreiber der Ambulanz erbracht werden. Auch im\nletztgenannten Fall ware die Bereitstellung der Arzneimittel - ungeachtet des\nSchwerpunkts des Vertrags - nach den Grundsatzen des Werklieferungsrechts zu\nbeurteilen, da diese Leistungen separat berechnet werden und eine Apotheke\nkeine arztlichen Leistungen vornimmt (vgl. BT-Drucks. 17/10448, S. 18). Nur\nauf diese Weise wird bei Annahme eines einheitlichen Vertragsverhaltnisses der\ndurch wesensverschiedene eigenstandige Leistungspflichten begrundeten Eigenart\ndes Vertragsverhaltnisses Rechnung getragen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober\n1980 - VIII ZR 326/79, NJW 1981, 341 unter 3 b cc; Beschluss vom 21. April\n2005 - III ZR 293/04, NJW 2005, 2008 unter II 3).\n\n \n\n21\n\n \n\nb) Bezuglich des somit nach § 433 Abs. 2 BGB zu erbringenden Kaufpreises fur\npatientenindividuell im Rahmen einer ambulanten Behandlung im Krankenhaus\nhergestellte Zytostatika herrscht in der einschlagigen Instanzrechtsprechung\nweitgehend Uneinigkeit daruber, ob ein privat versicherter Patient eine darin\nenthaltene Umsatzsteuer auch dann schuldet, wenn diese - wie hier - aus\nmateriell-rechtlicher Sicht gar nicht angefallen ist (vgl. die Nachweise bei\nMakoski/Clausen, ZMGR 2018, 231, 233 ff.). Dieses Bild zeigt sich auch, wenn\nman allein die bislang beim Bundesgerichtshof anhangigen Verfahren zugrunde\nlegt.\n\n \n\n22\n\n \n\naa) Teilweise wird bezuglich der in den gestellten Rechnungen im\nsteuerrechtlichen Sinne (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 und 8, § 14c Abs. 1 Satz 1\nUStG) gesondert ausgewiesenen oder - wie hier - lediglich unstreitig darin\nenthaltenen Umsatzsteuer mit unterschiedlichen Begrundungen (einseitiges\nPreisbestimmungsrecht der Krankenhausapotheke; stillschweigend getroffene\nVergutungsvereinbarung) eine Bruttopreisabrede angenommen, also die\nUmsatzsteuer nur als unselbstandiger Entgeltbestandteil gewertet (so etwa OLG\nSchleswig, Urteil vom 20. Dezember 2017 - 4 U 69/17, juris [nachfolgend\nSenatsurteil vom heutigen Tag - VIII ZR 7/18, zur Veroffentlichung bestimmt];\nLG Essen, Urteil vom 27. Februar 2018 - 15 S 162/17, juris [nachfolgend\nSenatsurteil vom heutigen Tag - VIII ZR 115/18, zur Veroffentlichung\nbestimmt]; LG Chemnitz, Urteil vom 2. November 2018 - 3 S 7/18 [Revision\nanhangig unter dem Az. VIII ZR 360/18]; LG Darmstadt, Urteil vom 4. Oktober\n2018 - 6 S 56/18 [Revision anhangig unter dem Az. VIII ZR 351/18]; LG Koln,\nUrteil vom 18. Juni 2018 - 25 S 15/17 [Revision anhangig unter dem Az. VIII ZR\n264/18]; wohl auch LG Nurnberg-Furth, Urteil vom 5. Juli 2018 - 4 S 5126/17\n[Revision anhangig unter dem Az. VIII ZR 247/18]).\n\n \n\n23\n\n \n\nDie unterschiedlichen Begrundungsansatze fuhren zu abweichenden Rechtsfolgen.\nEin vereinbartes Bruttoentgelt deckt nach hochstrichterlicher Rechtsprechung\ngrundsatzlich auch die Aufwendung fur die vom Leistenden zu entrichtende\nUmsatzsteuer ab, die in diesem Fall nur einen unselbstandigen Bestandteil des\nvereinbarten Entgelts darstellt (vgl. etwa BGH, Urteile vom 24. Februar 1988 -\nVIII ZR 64/87, BGHZ 103, 284, 287; vom 26. Juni 1991 - VIII ZR 198/90, BGHZ\n115, 47, 50; vom 11. Mai 2001 - V ZR 492/99, NJW 2001, 2464 unter II 1; vom\n28. Februar 2002 - I ZR 318/99, NJW 2002, 2312 unter II 1; Beschluss vom 29.\nJanuar 2015 - IX ZR 138/14, juris Rn. 3; jeweils mwN; BSG, NJOZ 2009, 1914 Rn.\n17). Dies hat zur Folge, dass - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - weder der\nLeistende eine wider sein Erwarten anfallende Umsatzsteuer von seinem\nVertragspartner nachfordern (vgl. etwa BGH, Urteile vom 24. Februar 1988 -\nVIII ZR 64/87, aaO; vom 28. Februar 2002 - I ZR 318/99, aaO unter II) noch der\nLeistungsempfanger im Falle der Umsatzsteuerfreiheit den auf die Umsatzsteuer\nentfallenden Anteil seiner Vergutung zuruckverlangen kann (vgl. hierzu BSG,\naaO Rn. 25).\n\n \n\n24\n\n \n\nWird - wie manche Stimmen annehmen (vgl. LG Essen, Urteil vom 27. Februar 2018\n- 15 S 162/17, aaO [nachfolgend Senatsurteil vom heutigen Tag - VIII ZR\n115/18]; LG Chemnitz, Urteil vom 2. November 2018 - 3 S 7/18 [Revision\nanhangig unter dem Az. VIII ZR 360/18]) - der Bruttopreis einseitig von der\nKrankenhausapotheke im Rahmen eines Preisbestimmungsrechts nach § 316 BGB\nbestimmt, ware die Ruckforderung zu Unrecht bezahlter Umsatzsteuer wegen der\nBindungswirkung nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB ganzlich ausgeschlossen, weil\neine solche Zuvielforderung bei im Übrigen nicht zu beanstandenden Preisen\nnicht zur Unbilligkeit des Gesamtbetrags fuhren wurde.\n\n \n\n25\n\n \n\nbb) Andere Stimmen werten die getroffenen Abreden als Nettopreisvereinbarungen\nund sehen daher die Umsatzsteuer als eigenstandigen Preisanteil nur dann als\ngeschuldet an, wenn materiell-rechtlich eine entsprechende Steuerpflicht\nbesteht (vgl. etwa das Berufungsgericht; OLG Braunschweig, Urteil vom 22. Mai\n2018 - 8 U 130/17, juris Rn. 20 ff. [Revision anhangig unter dem Az. VIII ZR\n212/18]). Die Selbstandigkeit des Umsatzsteueranteils bei einer\nNettopreisvereinbarung fuhrt dazu, dass eine vom Leistenden angesetzte, dem\nGesetz nach aber nicht angefallene Umsatzsteuer von diesem ohne Rechtsgrund\nvereinnahmt und daher ohne weiteres gemaß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB an\nden Vertragspartner herauszugeben ist (vgl. auch Senatsurteil vom 2. November\n2005 - VIII ZR 39/04, NJW 2006, 364 Rn. 14).\n\n \n\n26\n\n \n\nc) Das Berufungsgericht hat angenommen, die jeweiligen Vertragsparteien hatten\nder Beklagten ein einseitiges Preisbestimmungsrecht nach §§ 316, 315 Abs. 3\nSatz 1 BGB eingeraumt, das diese dahin ausgeubt habe, dass die fur die\nVeraußerung von Zytostatika angesetzte Umsatzsteuer als selbstandiger\nPreisbestandteil verlangt, also ein Nettopreis bestimmt worden sei. Dies ist\nin mehrfacher Hinsicht von Rechtsfehlern beeinflusst.\n\n \n\n27\n\n \n\naa) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Vertragsparteien\nkeine Entgeltvereinbarung bezuglich der Herstellung und Lieferung von\nZytostatika getroffen, sondern es vielmehr der Beklagten uberlassen hatten,\neinseitig den Preis nach Maßgabe der §§ 316, 315 Abs. 3 Satz 1 BGB zu\nbestimmen. Es bleibt bereits unklar, worauf sich die Annahme des\nBerufungsgerichts grundet, die Vertragsparteien hatten keine stillschweigende\nÜbereinkunft uber die konkret geschuldete Vergutung getroffen. Selbst wenn es\naber an einer konkreten Entgeltvereinbarung fehlte, fuhrte dies nicht dazu,\ndass der Beklagten die Befugnis eingeraumt ware, die Vergutung einseitig nach\nden Grundsatzen der §§ 316, 315 Abs. 3 Satz 1 BGB zu bemessen.\n\n \n\n28\n\n \n\n(1) Das Berufungsgericht hat ubersehen, dass eine vertragliche Vereinbarung\nuber die fur die gefertigten Krebsmedikamente konkret geschuldete Vergutung\nauch noch nach der Herstellung oder gar der Verabreichung der Medikamente\nerfolgen kann. Eine solche Einigung kann unter den hier gegebenen besonderen\nUmstanden (Vertragsgegenstand, keine angemeldeten oder ersichtlichen Bedenken\ngegen die Angemessenheit der verlangten Vergutung; Erstattung durch den\nprivaten Krankenversicherer der Patienten) insbesondere dadurch erzielt\nwerden, dass der Versicherungsnehmer des privaten Krankenversicherers die von\ndem Krankenhaus jeweils in den gestellten Rechnungen geforderten Betrage durch\nvorbehaltlos erbrachte Zahlungen entsprechend § 151 BGB billigt und dadurch\ndie bis dahin bezuglich der konkreten Vergutungshohe bestehende Vertragslucke\nschließt (Senatsurteile vom heutigen Tag - VIII ZR 7/18, unter II 1 c aa (2)\n(b) (cc); VIII ZR 115/18, unter II 1 c aa (1); VIII ZR 189/18, unter II 1 c aa\n(1); jeweils zur Veroffentlichung bestimmt; vgl. auch BSG, NJOZ 2009, 1914 Rn.\n16). Dieser Moglichkeit hat sich das Berufungsgericht verschlossen und ist\nstattdessen in Einklang mit einer in der Instanzrechtsprechung haufiger\nvertretenen Auffassung (vgl. etwa OLG Koln, NJW-RR 2012, 1520, 1521) zu der\nEinschatzung gelangt, dass die jeweiligen Vertragsparteien der Beklagten ein\neinseitiges Preisbestimmungsrecht nach § 316 BGB mit der Bindungswirkung nach\n§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB eingeraumt hatten.\n\n \n\n29\n\n \n\n(2) Dies halt revisionsrechtlicher Nachprufung nicht stand. Zwar darf bei\nIndividualerklarungen deren Auslegung durch den Tatrichter vom\nRevisionsgericht nur eingeschrankt daraufhin uberpruft werden, ob gesetzliche\noder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine\nErfahrungssatze verletzt sind, wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht\ngelassen worden ist oder die Auslegung auf mit der Revision gerugten\nVerfahrensfehlern beruht (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsurteile vom 12. Oktober\n2016 - VIII ZR 55/15, BGHZ 212, 248 Rn. 35; vom 25. April 2018 - VIII ZR\n176/17, NJW 2018, 2472 Rn. 30). Solche Rechtsfehler sind dem Berufungsgericht\njedoch unterlaufen.\n\n \n\n30\n\n \n\n(a) Ein Patient, der von einem Krankenhaus ambulant mit von der hauseigenen\nApotheke individuell hergestellten Zytostatika behandelt wird, kommt zwar\nregelmaßig nicht mit der Apotheke in Kontakt und erhalt grundsatzlich vorher\nauch keine Informationen uber die konkret geschuldete Hohe der Vergutung. Aus\ndiesem Umstand kann jedoch nicht abgeleitet werden, Patient und Krankenhaus\nhatten keine konkreten Preisabreden getroffen, sondern letzterem ein\nPreisbestimmungsrecht nach den Grundsatzen der §§ 315, 316 BGB (so aber etwa\nOLG Koln, aaO) mit der Bindungswirkung des § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB eingeraumt.\nDenn dies wird weder dem eingeschrankten Anwendungsbereich des § 316 BGB noch\nder beiderseitigen Interessenlage gerecht.\n\n \n\n31\n\n \n\n(aa) In der hochstrichterlichen Rechtsprechung ist schon seit langem\nanerkannt, dass bei fehlenden Preisabreden eine Heranziehung des § 316 BGB nur\nausnahmsweise in Betracht kommt. Die genannte Vorschrift stellt lediglich eine\nnur im Zweifel eingreifende gesetzliche Auslegungsregel dar, der gegenuber die\nVertragsauslegung den Vorrang hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 13. Marz\n1985 - IVa ZR 211/82, BGHZ 94, 98, 101 f. mwN; vom 13. April 2010 - XI ZR\n197/09, NJW 2010, 1742 Rn. 18). Daher kann eine Vertragslucke nicht durch\nRuckgriff auf § 316 BGB geschlossen werden, wenn und weil dies dem Interesse\nder Vertragsparteien und ihrer wirklichen oder mutmaßlichen Willensrichtung\ntypischerweise nicht entspricht (vgl. etwa BGH, Urteile vom 13. Marz 1985 -\nIVa ZR 211/82, aaO S. 102 mwN; vom 13. April 2010 - XI ZR 197/09, aaO).\nVielmehr ist es geboten, die bestehende Lucke durch Auslegung (BGH, Urteil vom\n13. Marz 1985 - IVa ZR 211/82, aaO S. 103 f.) oder durch Anwendung der\nGrundsatze der erganzenden Vertragsauslegung zu schließen, wobei im\nletztgenannten Fall die den Gegenstand der Leistung und die das\nVertragsverhaltnis pragenden Umstande maßgebend sind (vgl. etwa BGH, Urteile\nvom 4. April 2006 - X ZR 122/05, BGHZ 167, 139 Rn. 10; vom 26. September 2006\n- X ZR 181/03, NJW-RR 2007, 103 Rn. 20; vom 13. April 2010 - XI ZR 197/09,\naaO).\n\n \n\n32\n\n \n\n(bb) Gemessen an diesen Maßstaben hat ein einseitiges Preisbestimmungsrecht\nder Beklagten nach § 316 BGB von vornherein auszuscheiden. Es spricht einiges\ndafur, dass sich die Beteiligten - was im Wege der Parteiautonomie ohne\nweiteres moglich ist - stillschweigend bereits bei der Zurverfugungstellung\nder Zytostatika gegen spatere Rechnungstellung konkludent dahin geeinigt\nhaben, dass diese Medikamente nur gegen Zahlung eines angemessenen und\ngrundsatzlich erstattungsfahigen Entgelts geliefert werden sollen und dass\nuber deren konkrete Hohe spater noch eine Übereinkunft erzielt werden muss\n(vgl. hierzu etwa BGH, Urteile vom 28. Juni 1982 - II ZR 226/81, NJW 1982,\n2816 unter 1; vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47 Rn. 44). Die\nbetroffenen Patienten, wie hier die Versicherungsnehmer der Klagerin, erhalten\ndie benotigten Medikamente in dem Bewusstsein, dass sie hierfur eine\nangemessene Vergutung zu erbringen haben. Durch die gewahlte Vorgehensweise -\nZurverfugungstellung der Zytostatika gegen spatere Rechnungstellung - gibt das\nKrankenhaus (hier die Beklagte) zu erkennen, dass sie damit einverstanden ist,\ndie konkret geschuldete Vergutung erst im Nachhinein zu vereinbaren.\n\n \n\n33\n\n \n\nLetztlich kann jedoch dahinstehen, ob den Erklarungen der Vertragsparteien im\nWege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu entnehmen ist, dass sie sich bereits\nbei Verabreichung der Medikamente stillschweigend uber die Grundsatze der\nPreisbemessung geeinigt haben. Denn falls dies nicht der Fall gewesen sein\nsollte, ergabe sich jedenfalls im Wege der erganzenden Vertragsauslegung, dass\nder Beklagten ein Ruckgriff auf die Bemessungsgrundsatze der §§ 316, 315 BGB\nversagt ist. Bei dem Erwerb von durch die Krankenhausapotheke individuell\nhergestellten Zytostatika fur eine ambulante Krankenhausbehandlung entspricht\nes weder den Interessen der Beteiligten noch deren mutmaßlichem Willen, dass\ndas Krankenhaus eine einseitige Preisbestimmung nach §§ 316, 315 BGB vornimmt.\n\n \n\n34\n\n \n\nEin privatversicherter Patient hat kein erkennbares Interesse daran, dem\nTrager einer Krankenhausapotheke, zu der er nicht einmal Kontakt aufgenommen\nhat, das Recht einzuraumen, die Hohe der geschuldeten Gegenleistung nach\nfreiem Ermessen und damit bis zur Grenze der Unbilligkeit (§§ 316, 315 BGB)\neinseitig zu bestimmen. Denn in einem solchen Fall ware er gezwungen, auch\neinen Betrag zu bezahlen, der sogar an der Obergrenze der Spanne lage, die\nsich noch innerhalb der Billigkeit bewegte (vgl. BGH, Urteil vom 13. Marz 1985\n- IVa ZR 211/82, aaO S. 102). Dass dies seinen Interessen zuwiderlauft, ergibt\nsich bereits daraus, dass der Patient darauf angewiesen ist, von seiner\nKrankenversicherung (und gegebenenfalls zusatzlich von anderer Stelle) eine\nKostenerstattung zu erhalten, was wiederum voraussetzt, dass angemessene und\ngrundsatzlich erstattungsfahige Preise berechnet werden. Das Krankenhaus hat\nebenfalls kein berechtigtes Interesse daran, einen uber das Angemessene\n(einschließlich einer ublichen Gewinnspanne) hinausgehenden, allein nach\nbilligem Ermessen festzusetzenden Preis zu verlangen.\n\n \n\n35\n\n \n\nIm Hinblick auf diese Interessenlage entsprache ein solches Vorgehen auch\nnicht dem mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien. Soweit dies den beim\nBundesgerichtshof anhangigen Verfahren zu entnehmen ist, haben die\nKrankenhauser sich bei ihrer Preisbemessung auch nicht an § 316 BGB, sondern\nan den Preisen der verarbeiteten Ausgangsstoffe orientiert (vgl. hierzu auch\nSenatsurteil vom 9. Mai 2018 - VIII ZR 135/17, NJW-RR 2018, 942 Rn. 25) und\nlediglich (angemessene) Zuschlage (insbesondere Zubereitungspauschale in Hohe\nvon 90 €; vgl. § 5 Abs. 1 Arzneimittelpreisverordnung [AMPreisVO]) zur\nVergutung ihrer Eigenleistung verlangt.\n\n \n\n36\n\n \n\n(b) Damit kame das vom Berufungsgericht angenommene einseitige\nPreisbestimmungsrecht der Beklagten selbst dann nicht in Betracht, wenn es -\nwas im Streitfall keiner endgultigen Klarung bedarf - an einer\nVergutungsabrede der Vertragsparteien (zunachst) gefehlt hatte. Denn die in\ndiesem Fall bestehende Vertragslucke ware nach den Grundsatzen der erganzenden\nVertragsauslegung, die der Senat selbst vornehmen konnte, weil weitere\nauslegungsrelevante Feststellungen nicht zu erwarten sind, dahin zu schließen,\ndass ein angemessener, grundsatzlich von den Krankenversicherern\nerstattungsfahiger Preis geschuldet gewesen ware.\n\n \n\n37\n\n \n\nEine solche Luckenschließung ist aber im Streitfall deswegen entbehrlich\n(geworden), weil die Vertragsparteien dadurch nachtraglich wirksame\nPreisabreden getroffen haben, dass die Beklagte dem Versicherungsnehmer der\nKlagerin fur die verabreichten Medikamente jeweils Rechnungen unter Ausweis\nder verlangten Betrage gestellt und dieser deren Angebote durch vorbehaltlose\nZahlungen gemaß § 151 BGB angenommen hat. Da der Senat an das rechtsfehlerhaft\ngewonnene Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts nicht gebunden ist und\nweitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat diese Auslegung\nselbst vornehmen (vgl. etwa Senatsurteil vom 25. April 2018 - VIII ZR 176/17,\naaO Rn. 32 mwN). Durch die gewahlte Vorgehensweise - Bekanntgabe der Preise\nerst im Rahmen der Rechnungstellung - brachte die Beklagte zum Ausdruck, dass\nsie auf die Erklarung einer Annahme des Vergutungsangebots dem\nVersicherungsnehmer der Klagerin gegenuber verzichtete und es aus ihrer Sicht\nvielmehr genugte, dass dieser den Rechnungsbetrag ausglich. Mit der\nvorbehaltlosen Begleichung des Rechnungsbetrags bestatigte der\nVersicherungsnehmer der Klagerin die Annahme dieses Angebots nach außen (§ 151\nBGB; dazu bereits unter II 1 c aa (1); vgl. Senatsurteile vom heutigen Tag -\nVIII ZR 7/18, unter II 1 c aa (2); VIII ZR 115/18, unter II 1 c aa (1); VIII\nZR 189/18, unter II 1 c aa (1); jeweils zur Veroffentlichung bestimmt; auch\nBSG, NJOZ 2009, 1914 Rn. 16; RGZ 129, 109, 113).\n\n \n\n38\n\n \n\nbb) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht weiter den gestellten Rechnungen\nentnommen, dass die Beklagte jeweils Nettopreise verlangt, also die angesetzte\nUmsatzsteuer als selbstandigen Entgeltanteil gefordert habe. Diese Auffassung\nstutzt es darauf, dass die Rechnungen sowohl Nettobetrage als auch die\nUmsatzsteuer auswiesen.\n\n \n\n39\n\n \n\n(1) Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht zwar erkannt, dass nach\ngefestigter hochstrichterlicher Rechtsprechung regelmaßig - auch wenn sich die\nVertragsparteien nicht ausdrucklich darauf verstandigt haben (vgl.\nSenatsurteil vom 24. Februar 1988 - VIII ZR 64/87, BGHZ 103, 284, 287) - vom\nVorliegen einer Bruttopreisabrede auszugehen ist. Etwas anderes gilt nur dann,\nwenn die Vertragsparteien einen "Nettopreis" vereinbart haben, wofur auch ein\nHandelsbrauch oder eine Verkehrssitte maßgeblich sein kann (BGH, Urteile vom\n14. Januar 2000 - V ZR 416/97, WM 2000, 915 unter II 1 mwN; vom 11. Mai 2001 -\nV ZR 492/99, NJW 2001, 2464 unter II 1; vom 28. Februar 2002 - I ZR 318/99,\nNJW 2002, 2312 unter II 1; BSG, aaO Rn. 17).\n\n \n\n40\n\n \n\n(2) Das Berufungsgericht hat diese Grundsatze aber deswegen nicht fur\nanwendbar gehalten, weil eine Entgeltabrede nicht getroffen, sondern durch die\nBeklagte eine einseitige Preisbestimmung vorgenommen worden sei. Dabei hat es\nnicht nur verkannt, dass der Beklagten - wie bereits ausgefuhrt - ein\nPreisbestimmungsrecht nach §§ 316, 315 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht eingeraumt\nworden ist, sondern hat sich auch den Blick dafur verschlossen, dass es fur\ndie Einordnung als "Bruttopreis- oder Nettopreisabrede" stets allein darauf\nankommt, ob die Erklarungen der Vertragspartner ausdrucklich oder mit\nhinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, dass ein Nettopreis\ngeschuldet sein soll. Dies gilt nicht nur in den Fallen, in denen\n(stillschweigend) eine konkrete Entgeltvereinbarung getroffen worden ist,\nsondern auch dann, wenn der Leistende den Preis einseitig nach §§ 316, 315\nAbs. 3 Satz 1 BGB bestimmt haben sollte.\n\n \n\n41\n\n \n\nIn der vorliegend in Frage stehenden Sachverhaltskonstellation sind die\nmaßgeblichen Erklarungen der Krankenhauser in den Rechnungstellungen zu sehen,\nderen Inhalt im Wege der Auslegung zu ermitteln ist. Die hierin liegende\nErklarung der Krankenhauser wird von den Instanzgerichten unterschiedlich\nausgelegt. Manche Gerichte sehen darin richtigerweise ein an den Patienten\ngerichtetes Angebot auf Abschluss einer Vergutungsvereinbarung (siehe hierzu\netwa OLG Schleswig, Urteil vom 20. Dezember 2017 - 4 U 69/17, juris Rn. 27, 38\n[bestatigt durch Senatsurteil vom heutigen Tag - VIII ZR 7/18, unter II 1 c aa\n(2)]). Andere - so auch das Berufungsgericht - werten die Rechnungstellung als\nAusubung eines einseitigen Preisbestimmungsrechts des Krankenhauses, die aber\nhaufig - anders als vom Berufungsgericht - als Bruttopreisbestimmung angesehen\nwird (so etwa LG Essen, Urteil vom 27. Februar 2018 - 15 S 162/17, juris\n[nachfolgend Senatsurteil vom heutigen Tag - VIII ZR 115/18, aaO]).\n\n \n\n42\n\n \n\n(a) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der in den\nRechnungstellungen zu sehenden Erklarungen der Beklagten kann aus\nrevisionsrechtlicher Sicht keinen Bestand haben. Seine Deutung, in den\nRechnung-stellungen sei die Ausubung eines einseitigen Preisbestimmungsrechts\ndahin erfolgt, dass ein Nettopreis verlangt werde, verstoßt gegen den\nhochstrichterlich anerkannten Auslegungsgrundsatz, dass ein Nettoentgelt nur\ndann anzunehmen ist, wenn dies ausdrucklich oder wenigstens mit hinreichender\nDeutlichkeit den maßgeblichen Erklarungen der Vertragsparteien zu entnehmen\nist. Aus den Angaben in den gestellten Rechnungen ergibt sich entgegen der\nAuffassung des Berufungsgerichts gerade nicht, dass der von der Beklagten\njeweils verlangte Preis die Umsatzsteuer als von den Versicherungsnehmern der\nKlagerin in zivilrechtlicher Hinsicht selbstandig zu entrichtenden\nPreisbestandteil ausweist.\n\n \n\n43\n\n \n\nZwar ist dort fur jedes einzelne Medikament ein "Einzelpreis" und ein\n"Gesamtpreis" aufgefuhrt sowie unter der Rubrik "MWSt" ein Umsatzsteueranteil\nin Hohe eines Steuersatzes von 19 % angegeben. Der "Einzelpreis" ist in den\nFallen, in denen nur eine Medikamenteneinheit abgerechnet wurde, unter der\nRubrik "Menge" mit dem Faktor "1" versehen und damit identisch mit deren\nNettopreis. Werden mehrere Einheiten (in der Rubrik "Menge" aufgefuhrt) in\nRechnung gestellt, gibt der "Einzelpreis" den Nettopreis fur eine Einheit\nwieder. Aus der an dieser Stelle allein interessierenden zivilrechtlichen\nSicht ist daher der Sache nach, anders als die Revision meint, die\ntatrichterliche Bewertung des Berufungsgerichts - eine bindende tatsachliche\nFeststellung (vgl. hierzu Zoller/Feskorn, ZPO, 32. Aufl., § 314 Rn. 3) liegt\nentgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht vor -, dass die\nRechnungen auch Nettobetrage enthalten, nicht zu beanstanden. Anderes gilt\nallerdings - dazu unter II 2 a aa (3) - in umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht;\ninsoweit hat das Berufungsgericht ohne Rucksicht auf die deutlich formaleren\nAnforderungen des Umsatzsteuerrechts das Vorliegen von "Rechnungen iSv § 14\nUStG" bejaht. Die vom Berufungsgericht unzutreffend bewerteten\nsteuerrechtlichen Anforderungen stellen jedoch dessen Bewertung, dass sich den\nRechnungen auch Nettopreise entnehmen lassen, nicht in Frage.\n\n \n\n44\n\n \n\nEntgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann aus dem Umstand, dass\nsich den Rechnungen aufgrund der Angabe der Einzelpreise letztlich auch die\neinzelnen Nettobetrage entnehmen lassen, nicht abgeleitet werden, dass es sich\ndeswegen um "Nettoentgeltabreden" handele (eingehend hierzu Senatsurteil vom\nheutigen Tag - VIII ZR 115/18, unter II 1 c bb (2), zur Veroffentlichung\nbestimmt). Die Ausweisung eines "Einzelpreises", des Gesamtbetrags und des\nUmsatzsteuersatzes sowie die Angabe der im verlangten Rechnungsbetrag\nenthaltenen Umsatzsteuer lassen nicht den belastbaren Schluss zu, dass damit\nin zivilrechtlicher Hinsicht allein die Nettobetrage endgultig und der\nUmsatzsteueranteil nur im Falle des Bestehens einer Umsatzsteuerpflicht\ngeschuldet sein sollten. Denn solche Angaben konnen auch allein deswegen\nerfolgt sein, um - wozu die Beklagte nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG\nbefugt, wenn auch nicht verpflichtet war - eine Rechnung mit den in § 14 Abs.\n4 Satz 1 Nr. 7 und 8 UStG erforderlichen Angaben zu erstellen (Senatsurteil\nvom heutigen Tag - VIII ZR 115/18), was der Beklagten allerdings - wie noch\nnaher dazulegen sein wird - nicht vollstandig gelungen ist.\n\n \n\n45\n\n \n\n(b) Die Auslegung des Berufungsgerichts, dass ein Nettopreis geschuldet ist\nund somit die zu Unrecht angesetzte Umsatzsteuer ohne weiteres nach § 812 Abs.\n1 Satz 1 Alt. 1 BGB aus ubergegangenem Recht (§ 86 Abs. 1 Satz 1, § 194 Abs. 2\nVVG) an die Klagerin zuruckzugewahren ist, kann folglich keinen Bestand haben.\nVielmehr ist entsprechend dem von der hochstrichterlichen Rechtsprechung\ngepragten Grundsatz, dass regelmaßig von einem Bruttopreis auszugehen ist,\nauch vorliegend eine Bruttopreisvereinbarung anzunehmen, die - wie bereits\nausgefuhrt - spatestens mit Übersendung der Rechnung und vorbehaltloser\nZahlung der verlangten Betrage (stillschweigend) gemaß § 151 BGB zustande\ngekommen ist (vgl. hierzu Senatsurteile vom heutigen Tag - VIII ZR 7/18, unter\nII 1 c und VIII ZR 115/18, unter II 1 c; jeweils zur Veroffentlichung\nbestimmt). Da auch insoweit weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen,\nkann der Senat diese Auslegung der Erklarungen der Vertragsparteien selbst\nvornehmen. Die in den verlangten Betragen enthaltene Umsatzsteuer war damit\nals unselbstandiger Bestandteil der Vergutung geschuldet.\n\n \n\n46\n\n \n\n2\\. Aus den getroffenen Bruttopreisabreden folgt - anders als dies bei einer\nin den Grenzen der Billigkeit bindenden (Brutto-)Preisbestimmung der Beklagten\nnach § 316 BGB der Fall ware - nicht, dass es der Klagerin aus ubergegangenem\nRecht ganzlich verwehrt ware, die auf die zu Unrecht angesetzten\nUmsatzsteueranteile entfallenden Betrage teilweise wegen ungerechtfertigter\nBereicherung zuruckzufordern. Vielmehr stehen der Klagerin gemaß § 86 Abs. 1\nSatz 1, § 194 Abs. 2 VVG auf sie ubergegangene Ruckzahlungsanspruche ihrer\nVersicherungsnehmer aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB aufgrund einer\nerganzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB) der zwischen den\nVersicherungsnehmern der Klagerin und der Beklagten geschlossenen Vertrage zu.\nDenn diese Vereinbarungen sind erganzend dahin auszulegen, dass die\nVersicherungsnehmer der Klagerin nicht verpflichtet sein sollen, den in der\nvereinbarten Vergutung eingeschlossenen unselbstandigen Umsatzsteueranteil\nauch dann zu tragen, wenn und sobald fur die Beklagte die Moglichkeit besteht,\nihrerseits einen Ruckerstattungsanspruch betreffend die von ihr abgefuhrte\nUmsatzsteuer gegen das Finanzamt geltend zu machen.\n\n \n\n47\n\n \n\na) Die Voraussetzungen einer erganzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB) liegen\nvor.\n\n \n\n48\n\n \n\nDer Senat kann die gebotene erganzende Vertragsauslegung, die in erster Linie\ndem Tatrichter obliegt, selbst vornehmen, weil weitere tatsachliche\nFeststellungen nicht notwendig sind und es auch keiner Ermittlung von\nErfahrungswissen oder Verkehrssitten bedarf (vgl. BGH, Urteile vom 25.\nNovember 2004 - I ZR 49/02, NJW-RR 2005, 687 unter A I 2 c; vom 18. Februar\n2000 - V ZR 334/98, NJW-RR 2000, 894 unter II 3; jeweils mwN).\n\n \n\n49\n\n \n\nDie Vertrage zwischen den Versicherungsnehmern der Klagerin und der Beklagten\nweisen - was das Berufungsgericht angesichts seiner unzutreffenden Annahme von\nNettopreisabreden ubersehen hat - infolge ihrer nicht bedachten\nUnvollstandigkeit eine planwidrige Regelungslucke auf, die auch nicht durch\ndas dispositive Recht geschlossen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar\n2012 - XII ZR 40/10, NJW 2012, 844 Rn. 24 mwN; vom 4. Marz 2004 - III ZR\n96/03, BGHZ 158, 201, 206 f.; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl., § 157 Rn. 6\nmwN). Denn die getroffenen Preisvereinbarungen lassen eine Bestimmung\nvermissen, die erforderlich ist, um den den geschlossenen Vertragen jeweils zu\nGrunde liegenden Regelungsplan der Vertragsparteien zu verwirklichen, so dass\nohne die Vervollstandigung der Abreden eine angemessene, interessengerechte\nLosung nicht zu erzielen ist (vgl. BGH, Urteile vom 3. Dezember 2014 - VIII ZR\n370/13, NJW 2015, 1167 Rn. 24 mwN; vom 11. Januar 2012 - XII ZR 40/10, aaO\nmwN).\n\n \n\n50\n\n \n\nDie planwidrige Regelungslucke besteht darin, dass die Vertragsparteien\nentgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weder ausdrucklich noch\nkonkludent bestimmt haben, wie ihre jeweilige Preisabrede vor dem Hintergrund\nder ihnen nicht bekannten, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses von ihnen\nfehlerhaft beurteilten umsatzsteuerlichen Rechtslage sowie der daran\nanknupfenden rechtstatsachlichen Entwicklungen ausgestaltet sein sollte (dazu\nunter aa). Der Annahme einer ausfullungsbedurftigen Regelungslucke steht nicht\nentgegen, dass die getroffenen Preisvereinbarungen als Bruttopreisabreden\neinzuordnen sind (dazu unter bb).\n\n \n\n51\n\n \n\naa) Die Versicherungsnehmer der Klagerin und die Beklagte gingen - wie die\nFinanzbehorden und die maßgeblichen Verkehrskreise - zum Zeitpunkt der\njeweiligen Vertragsschlusse von einer materiellen Umsatzsteuerpflicht in Bezug\nauf die streitgegenstandlichen Zytostatikalieferungen aus. Hieran zu zweifeln,\nbestand fur die Vertragsparteien kein begrundeter Anlass. Auch das\nBerufungsgericht hat keine gegenteiligen Feststellungen getroffen; insoweit\nubergangenen Sachvortrag zeigen weder die Revision noch die\nRevisionserwiderung auf.\n\n \n\n52\n\n \n\nVor dem Hintergrund dieser unzutreffenden Annahme einer bei Vertragsabschluss\nbestehenden materiell-rechtlichen Umsatzsteuerpflicht der Beklagten haben die\nVertragsparteien sich darauf beschrankt, den Inhalt der jeweils vertraglich\nbegrundeten Zahlungsverpflichtung der Versicherungsnehmer der Klagerin (§ 651\nSatz 1 BGB aF, § 433 Abs. 2 BGB) allein dahin zu regeln, dass diese auch den -\nnach ihren Vorstellungen - auf den Umsatz der Beklagten entfallenden\nUmsatzsteueranteil tragen und damit in wirtschaftlicher Hinsicht die\nentsprechende Steuerlast (§ 13a Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 2\nAbs. 1 UStG) der Beklagten ubernehmen sollten. Dagegen haben sie keine\nRegelung daruber getroffen, wie mit dem von den Versicherungsnehmern der\nKlagerin ubernommenen Umsatzsteueranteil fur den von den Vertragsparteien\nnicht bedachten und ihren Vorstellungen zuwiderlaufenden Fall zu verfahren\nist, dass die ausgefuhrten Geschafte bereits bei Vertragsschluss materiell-\nrechtlich nicht der Umsatzsteuerpflicht unterlagen (§ 4 Nr. 14 Buchst. b UStG)\nund die Finanzverwaltung in Anerkennung dieses Umstands spater ihre\nsteuerrechtliche Handhabung anderte und hierdurch der Beklagten die\nMoglichkeit eroffnete, ohne Beschreiten des Finanzrechtswegs eigene\nRuckerstattungsanspruche in Bezug auf die abgefuhrte Umsatzsteuer gegenuber\ndem Finanzamt erfolgreich geltend zu machen.\n\n \n\n53\n\n \n\n(1) Anders als die Vertragsparteien bei dem Abschluss ihrer Vereinbarungen\nmeinten, bestand fur die Beklagte bezuglich der vereinbarten Herstellung und\nLieferung von Zytostatika materiell-rechtlich keine Umsatzsteuerpflicht. Dies\nergibt sich aus dem nach Durchfuhrung der getatigten Rechtsgeschafte\nergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. September 2014 (V R 19/11, BFHE\n247, 369), wonach die Verabreichung von individuell fur den einzelnen\nPatienten in einer Krankenhausapotheke im Rahmen einer ambulant in einem\nKrankenhaus durchgefuhrten arztlichen Heilbehandlung hergestellten Zytostatika\nentgegen den Regelungen in Abschn. 100 Abs. 3 Nr. 4 Umsatzsteuer-Richtlinien\n2005 (UStR 2005) und Abschn. 4.14.6 Abs. 3 Nr. 3, 4 Umsatzsteuer-\nAnwendungserlass (UStAE) in der Fassung vom 1. Oktober 2010 (BStBl I S. 846;\nim Folgenden: UStAE aF) als ein mit der arztlichen Heilbehandlung eng\nverbundener Umsatz gemaß § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG aF (entsprechend § 4 Nr. 14\nBuchst. b UStG nF) steuerfrei ist.\n\n \n\n54\n\n \n\n(2) Bei Abschluss und Durchfuhrung der mit dem Versicherungsnehmer der\nKlagerin getroffenen Vereinbarungen unterlag die Beklagte jedoch faktisch\neiner Verpflichtung zur Abfuhrung der Umsatzsteuer, weil die Finanzbehorden\nund die maßgeblichen Verkehrskreise (vgl. Abschn. 100 Abs. 3 Nr. 4 UStR 2005\nund Abschn. 4.14.6 Abs. 3 Nr. 3, 4 UStAE aF) von einer materiell-rechtlichen\nUmsatzsteuerpflicht ausgingen (vgl. zu der Maßgeblichkeit auch dieser\nfaktischen Umsatzsteuerpflicht im Vertragsverhaltnis zwischen\nsteuerpflichtigem Unternehmer und Leistungsempfanger BSG, NZS 2010, 154 Rn. 17\nff.). Dies anderte sich erst mit dem Schreiben des Bundesministeriums der\nFinanzen vom 28. September 2016 (Az. III C 3 - S 7170/11/10004, UR 2016, 891),\nmit dem dieses unter entsprechender Änderung des Umsatzsteuer-\nAnwendungserlasses klarstellte, dass der Entscheidung des Bundesfinanzhofs in\nder Finanzverwaltung gefolgt werde und die Grundsatze dieses Urteils auch im\nHinblick auf andere Arzneimittel, die wie Zytostatika patientenindividuell\nhergestellt wurden, Anwendung fanden. Zudem fuhrte das Bundesministerium der\nFinanzen in dem genannten Schreiben aus, dass der Unternehmer, der sich fur\neinen bereits getatigten Umsatz auf die Grundsatze des Urteils des\nBundesfinanzhofs berufe und davon abweichend in einer Rechnung Umsatzsteuer\nausgewiesen habe, zwar diese nach § 14c Abs. 1 UStG schulde (vgl. zur\nAnwendbarkeit von § 14c Abs. 1 UStG auf Falle des gesonderten Steuerausweises\nbei Umsatzsteuerfreiheit: BFHE 261, 451 Rn. 36 mwN [zu § 14 Abs. 2 UStG\n1993/1999]; Abschn. 14c.1. Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 und Satz 5 Nr. 3 UStAE), die\nRechnung aber bei Behandlung des Umsatzes als steuerfrei gemaß § 31 Abs. 5\nSatz 1 Buchst. b Umsatzsteuer-Durchfuhrungsverordnung (UStDV) berichtigen\nkonne.\n\n \n\n55\n\n \n\n(3) Die Krankenhauser, die in der Vergangenheit fur die Lieferung der hier in\nRede stehenden Zytostatika Umsatzsteuer abgefuhrt hatten, waren damit erstmals\n- ohne auf eine finanzgerichtliche Durchsetzung ihrer Anspruche angewiesen zu\nsein - in die Lage versetzt, entweder entsprechend dem durch das\nBundesministerium der Finanzen ausdrucklich gestatteten Vorgehen die gemaß §\n14c Abs. 1 Satz 1 UStG im Wege des gesonderten Steuerausweises ausgestellten\nRechnungen gemaß § 14c Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG in Verbindung mit\n§ 31 Abs. 5 Satz 1 Buchst. b UStDV zu berichtigen oder (insoweit in dem\ngenannten Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen nicht ausdrucklich\nangesprochen) in den Fallen der Abfuhrung der Umsatzsteuer ohne einen - eine\nRechnungskorrektur nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG bedingenden - gesonderten\nSteuerausweis in den an die Patienten gerichteten Rechnungen geanderte\nSteueranmeldungen (§ 18 Abs. 3 UStG iVm § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1, §\n164 Abs. 2 Satz 1 AO) ruckwirkend fur die vergangenen Besteuerungszeitraume\neinzureichen, in denen die entsprechenden Vertrage geschlossen worden waren.\nDie letztgenannte Fallgestaltung (kein gesonderter Ausweis der Umsatzsteuer)\nliegt hier entgegen der Annahme des Berufungsgerichts vor, wie im weiteren\nVerlauf noch naher auszufuhren sein wird. Damit war auch die bei\nVertragsschluss zunachst noch faktisch bestehende Umsatzsteuerpflicht der\nBeklagten entfallen und fur sie die Moglichkeit eroffnet, die zunachst\nabgefuhrten Umsatzsteuerbetrage von dem Finanzamt sicher zuruckzuerlangen.\n\n \n\n56\n\n \n\nIn umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht ware als Pflichtangabe einer Rechnung (§\n14 Abs. 1 Satz 1 UStG) gemaß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 UStG (sowie als\nVoraussetzung eines gesonderten Steuerausweises im Sinne des § 14c UStG) eine\n- vorliegend nicht erfolgte - ausdruckliche Mitteilung des (Netto-) Entgelts\nim Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG (BFHE 255, 340 Rn. 27; BFH/NV 2015 Rn.\n16; BFHE 233, 94 Rn. 25) in Form eines Gesamtbetrags erforderlich gewesen.\nDenn das Entgelt als umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage (vgl. BFHE 193,\n156, 158 mwN; BeckOK-UStG/Weymuller, Stand 15. Januar 2019, § 14 Rn. 390 f.)\ndes - hier ebenfalls nur als Gesamtbetrag nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG\nausgewiesenen - Umsatzsteuerbetrags muss sich aus der Rechnung "auf den ersten\nBlick" ergeben. Es genugt daher fur eine Rechnung mit gesondertem\nSteuerausweis nicht, wenn das Gesamtnettoentgelt lediglich aufgrund der\nenthaltenen ubrigen Angaben - hier durch das "Herausrechnen" der\n(Gesamt-)Umsatzsteuer aus dem Bruttorechnungsbetrag oder durch Addition der\nEinzelentgelte (ihrerseits zuvor multipliziert mit dem jeweils angegebenen\nFaktor) - errechnet werden kann (BFHE 193, 156, 160 mwN).\n\n \n\n57\n\n \n\n(4) Der beschriebenen Ruckerlangungsmoglichkeit steht auch nicht etwa im\nkonkreten Fall eine Bestandskraft der Steueranmeldungen der Jahre 2012 und\n2013 der Beklagten entgegen. Denn nach den Feststellungen des\nBerufungsgerichts ist eine Bestandskraft der Steueranmeldungen (§ 168 AO) mit\nder Folge, dass die Beklagte nicht mehr gegen diese vorgehen konnte, nicht\neingetreten; sei es - was allerdings durch das Berufungsgericht nicht\nfestgestellt worden ist -, weil ein Vorbehalt iSd § 168 Satz 1, § 164 Abs. 1,\nAbs. 2 AO weiterhin wirksam, sei es, weil uber einen etwaig fristgemaß (§ 355\nAbs. 1 Satz 2 AO) eingelegten Einspruch der Beklagten gemaß § 347 Abs. 1 Satz\n1 Nr. 1, Abs. 2 AO bislang nicht entschieden worden ist.\n\n \n\n58\n\n \n\n(5) Aufgrund der beschriebenen nachtraglich erfolgten Entwicklungen erweist\nsich das ursprunglich mit den getroffenen Preisvereinbarungen verfolgte\nRegelungsvorhaben als planwidrig unvollstandig. Denn in Anbetracht der\neinvernehmlich angenommenen Umsatzsteuerpflicht lag ihnen die Vorstellung der\nVertragsparteien zugrunde, dass die Beklagte den Umsatzsteueranteil in den\nvereinbarten Preisen allein zu dem Zweck erhalten (und im Verhaltnis zu den\nVersicherungsnehmern der Klagerin - gegebenenfalls nach einem erfolgten\nVorsteuerabzug - einbehalten) sollte, ihre Umsatzsteuerpflicht auf deren\nKosten zu erfullen. Da es der Beklagten aber nunmehr freisteht, die Umsatze\naus den geschlossenen Vertragen gegenuber dem Finanzamt nachtraglich ohne\nBeschreiten des Rechtswegs als steuerfrei zu behandeln, ist der (vollstandige)\nVerbleib des auf den angesetzten Regelsteuersatz entfallenden Betrages bei der\nBeklagten ab dem Zeitpunkt des Bestehens dieser Moglichkeit nicht mehr von dem\nursprunglich bestehenden Willen der Vertragsparteien gedeckt. Bliebe es\nunverandert bei den Preisvereinbarungen der Vertragsparteien, wurde dies die\nVersicherungsnehmer der Klagerin ohne erkennbaren Grund zugunsten der\nBeklagten einseitig benachteiligen. Dies ware unbillig und entsprache auch\nnicht dem objektiv zu ermittelnden hypothetischen Parteiwillen (dazu unter b).\n\n \n\n59\n\n \n\nbb) Der Annahme einer planwidrigen Unvollstandigkeit der\nstreitgegenstandlichen Preisvereinbarungen steht auch nicht deren Einordnung\nals Bruttopreisabreden entgegen. Allein aus dem Umstand, dass die\nVertragsparteien entgegen der Annahme des Berufungsgerichts jeweils keine\nNettopreisabrede getroffen, sondern einen Preis vereinbart haben, der die\nUmsatzsteuer als unselbstandigen Preisbestandteil mitumfassen sollte, kann\nnicht ohne weiteres geschlossen werden, dass diese Vereinbarungen in jeder\nHinsicht abschließend und damit einer erganzenden Vertragsauslegung nicht\nzuganglich waren, weil in samtlichen Fallen einer solchen Vereinbarung beide\nVertragsparteien das Risiko eines Irrtums uber das Bestehen und die Hohe der\nUmsatzsteuerpflicht selbst tragen wurden (so aber etwa BSG, NZS 2010, 154 Rn.\n16; BSGE 101, 137 Rn. 12; BSG, NJOZ 2009, 1914 Rn. 19, 25). Eine solche\nAuffassung widerspricht dem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz, dass es\nvon dem im Wege der Auslegung unter Heranziehung aller Umstande des\nEinzelfalls zu ermittelnden wirklichen Willen der Vertragsparteien (§§ 133,\n157 BGB) abhangt, ob und inwieweit die getroffenen Preisvereinbarungen\nabschließend sein sollten.\n\n \n\n60\n\n \n\nDa die Vertragsparteien bei ihren Preisvereinbarungen - wie auch die\nFinanzverwaltung und die maßgeblichen Verkehrskreise - ubereinstimmend von dem\nBestehen einer Umsatzsteuerpflicht ausgegangen sind, haben sie den Fall nicht\nfur regelungsbedurftig gehalten, dass die getatigten Geschafte bereits bei\nVertragsabschluss umsatzsteuerfrei gewesen sind und die Finanzbehorden spater\nauch ohne Beschreiten des Rechtswegs eine Ruckforderungsmoglichkeit bezuglich\nder abgefuhrten Umsatzsteuer einraumen wurden. In Anbetracht dieser besonderen\nUmstande kann nicht angenommen werden, die Vertragsparteien hatten eine\nabschließende Vereinbarung des Inhalts getroffen, dass es in jedem Fall bei\ndem vereinbarten Preis bleiben und die Versicherungsnehmer der Klagerin damit\ndas Risiko tragen mussten, mehr zu zahlen, als erforderlich sein wurde, um\neine Umsatzsteuerpflicht der Beklagten aus den abgeschlossenen Vertragen zu\nerfullen.\n\n \n\n61\n\n \n\nb) Die demnach eroffnete erganzende Vertragsauslegung (§ 157 BGB) fuhrt\nvorliegend dazu, dass der Klagerin aus ubergegangenem Recht ihrer\nVersicherungsnehmer nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB ein\nErstattungsanspruch in Hohe der Differenz zwischen dem tatsachlich\nentrichteten und dem - bei anfanglicher Berucksichtigung der nachtraglich\neingetretenen steuerrechtlichen Entwicklungen - hypothetisch zwischen den\nVertragsparteien vereinbarten Preis zusteht. Diese Differenz entspricht\njeweils der durch die Versicherungsnehmer der Klagerin auf die gestellten\nRechnungen geleisteten Umsatzsteuer, soweit diese auf solche Umsatze entfiel,\nfur die eine entsprechende materiell-rechtliche Umsatzsteuerpflicht der\nBeklagten gemaß § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG zu keiner Zeit bestand, abzuglich\nder gegebenenfalls von der Beklagten in Bezug auf die umsatzsteuerfreien\nUmsatze anteilig in Abzug gebrachten Vorsteuer.\n\n \n\n62\n\n \n\naa) Grundlage fur die Erganzung des Vertragsinhalts ist der hypothetische\nWille der Vertragsparteien, wobei darauf abzustellen ist, was diese bei\nangemessener Abwagung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise im\nZeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbart hatten, wenn sie den nicht\ngeregelten Fall bedacht hatten (BGH, Urteile vom 24. Januar 2008 - III ZR\n79/07, NJW-RR 2008, 562 Rn. 15; vom 1. Juni 2005 - VIII ZR 234/04, NJW-RR\n2005, 1421 unter II 2 b; vom 17. Mai 2004 - II ZR 261/01, NJW 2004, 2449 unter\nI 2; jeweils mwN). Dabei ist zunachst an den Vertrag selbst anzuknupfen,\ndessen Regelungen und Wertungen sowie Sinn und Zweck Ausgangspunkt der\nVertragserganzung sind (BGH, Urteile vom 1. Juni 2005 - VIII ZR 234/04, aaO;\nvom 12. Februar 1988 - V ZR 8/87, NJW 1988, 2099 unter II 2; jeweils mwN).\n\n \n\n63\n\n \n\nDie Regelungslucke ist hiernach im Wege einer erganzenden Vertragsauslegung\ngemaß § 157 BGB in der Weise zu schließen, dass der jeweils geschlossene\nVertrag insoweit nicht mehr als Rechtsgrund fur einen der Hohe nach der\nentrichteten Umsatzsteuer entsprechenden Betrag dienen soll, als die Beklagte\nihrerseits ohne das Beschreiten des Finanzrechtswegs nunmehr in der Lage ist,\neinen eigenen Ruckzahlungsanspruch gegen das Finanzamt in Bezug auf die durch\nsie ohne materielle Rechtspflicht abgefuhrte Umsatzsteuer, also hinsichtlich\ndes um einen etwaigen Vorsteuerabzug verminderten, zu Unrecht durch das\nFinanzamt vereinnahmten Steueranteils, erfolgreich geltend zu machen.\n\n \n\n64\n\n \n\n(1) Mit Blick auf den Regelungsplan der jeweiligen Preisvereinbarung unter\nBerucksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und der Verkehrssitte fuhrt\nallein dieses Ergebnis zu einem angemessenen Interessenausgleich zwischen den\nVertragsparteien. Unter den gegebenen Umstanden entspricht es dem berechtigten\nInteresse der Versicherungsnehmer der Klagerin, eine an die Beklagte zum Zweck\nder Begleichung ihrer letztlich lediglich faktischen Umsatzsteuerpflicht\nerbrachte Vermogenszuwendung nur solange bei dieser zu belassen, wie sie diese\nzur Erfullung ihrer vermeintlichen Steuerschuld auch fortdauernd "einsetzen"\nmuss. Zugleich entspricht es auch dem hypothetischen Willen der Beklagten, die\nVersicherungsnehmer der Klagerin als ihre Vertragspartner nicht dauerhaft mit\nZahlungspflichten zu belasten, wenn und soweit sie die abgefuhrte Umsatzsteuer\nvom Finanzamt zuruckerlangen kann.\n\n \n\n65\n\n \n\n(2) Der Annahme eines solchen hypothetischen Willens sowohl der\nVersicherungsnehmer der Klagerin als auch der Beklagten stehen auch nicht die\nvon der Revision in anderem Zusammenhang vorgebrachten Einwande gegen die\nZumutbarkeit einer umsatzsteuerrechtlichen Korrektur der getatigten Umsatze\nentgegen.\n\n \n\n66\n\n \n\n(a) Dies gilt insbesondere fur den von der Revision in anderem Zusammenhang\nvorgebrachten Einwand des mit einer Ruckforderung der abgefuhrten Umsatzsteuer\ndurch die Beklagte einhergehenden drohenden Verlustes der von dieser\ngegebenenfalls angemeldeten, auf die Vertrage anteilig entfallenden\nVorsteuerabzuge im Sinne des § 15 Abs. 1 UStG betreffend die Einkaufe von zur\nHerstellung der Zytostatika benotigten Grundstoffen. Denn der drohende Verlust\nder etwaig angemeldeten Vorsteuerabzuge betrifft nicht die Frage, ob eine\nerganzende Vertragsauslegung vorzunehmen ist, sondern allein deren Inhalt,\nalso die Frage, in welchem Umfang der Rechtsgrund fur die jeweiligen Zahlungen\ndes Versicherungsnehmers der Klagerin nach dem hypothetischen Willen der\nVertragsparteien entfallen sollte.\n\n \n\n67\n\n \n\n(b) Soweit die Revision weiter - wiederum in anderem Zusammenhang - geltend\nmacht, eine Ruckerlangung der abgefuhrten Umsatzsteuer von dem Finanzamt sei\nfur die Beklagte mit unzumutbar großen Muhen und Aufwendungen verbunden, steht\ndies der beschriebenen erganzenden Vertragsauslegung (Wegfall des Rechtsgrunds\nbezuglich eines Betrags, der der entrichteten, materiell-rechtlich von der\nBeklagten aber nicht geschuldeten Umsatzsteuer entspricht, abzuglich des\netwaig erfolgten Vorsteuerabzugs) ebenfalls nicht entgegen.\n\n \n\n68\n\n \n\n(aa) Zunachst ist auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht zu\nerkennen, weshalb die Beklagte (ebenso wenig wie die Versicherungsnehmer der\nKlagerin) ganzlich frei von jeglichen Belastungen bleiben sollte, wenn sich im\nNachhinein herausstellt, dass die vertragliche Regelung allein zu Ungunsten\nihres Vertragspartners luckenhaft geblieben ist. Soweit die Revision allein\nmit Blick auf solche Belastungen im Zusammenhang mit der Wiedererlangung der\nals Steuer von der Beklagten an das Finanzamt abgefuhrten Betrage zu dem\nErgebnis gelangt, dass ein auf die Klagerin ubergegangener\nRuckzahlungsanspruch ihrer Versicherungsnehmer im Ganzen nicht bestehen konne,\nstellt sie einseitig auf die Belange der Beklagten und nicht - wie geboten -\ndarauf ab, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwagung der\nbeiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien\nim Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbart hatten, wenn sie den nicht\ngeregelten Fall bedacht hatten.\n\n \n\n69\n\n \n\n(bb) Der Beklagten ist insbesondere - was auch das Berufungsgericht im\nErgebnis zutreffend erkannt hat, von der Revision aber in anderem Zusammenhang\nin Zweifel gezogen wird - die Ruckzahlung an die Klagerin auch nicht etwa\ndeswegen unzumutbar, weil sie einen erheblichen Aufwand betreiben musste, um\nihrerseits die einmal abgefuhrte Umsatzsteuer von dem Finanzamt\nzuruckzuerlangen. Ein solcher unzumutbarer (Verwaltungs-)Aufwand ist den\nweitgehend pauschal gehaltenen, ohnehin nicht auf entsprechenden Vortrag in\nden Tatsacheninstanzen gestutzten Ausfuhrungen der Revision zu dem "enorme[n]"\npersonellen und materiellen Aufwand einer entsprechenden Korrektur nicht zu\nentnehmen und fur den Senat auch sonst nicht ersichtlich.\n\n \n\n70\n\n \n\n(aaa) Die Beklagte, die wie oben ausgefuhrt, mangels erforderlicher Angaben im\nSinne des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7, 8 UStG keine Rechnungen im Sinne der §§\n14, 14c Abs. 1 UStG ausgestellt hat, hat daher auch eine Umsatzsteuerpflicht\nnicht durch einen gesonderten Steuerausweis gemaß § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG\nbegrundet (vgl. Abschn. 14c.1. Abs. 1 Satz 3 UStAE; vgl. zu dem gesonderten\nSteuerausweis bei § 14c Abs. 2 UStG: BFHE 255, 340 Rn. 32 f. mwN; bei § 14c\nAbs. 2 UStG 1999/2005: BFHE 233, 94 Rn. 25 f.). Damit ist ihr ein Vorgehen zur\nErlangung eines Erstattungsanspruchs gegenuber dem Finanzamt im Wege der\nRechnungskorrektur gemaß § 14c Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG in\nVerbindung mit § 31 Abs. 5 Satz 1 Buchst. b UStDV verwehrt.\n\n \n\n71\n\n \n\nSie kann die abgefuhrte Umsatzsteuer jedoch zuruckerlangen, indem sie in Bezug\nauf die geschlossenen Vertrage entweder vor dem Hintergrund eines noch\nwirksamen Vorbehalts der Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 UStG iVm § 150 Abs. 1\nSatz 3, § 168 Satz 1, § 164 Abs. 2 Satz 1 AO) oder im Zuge eines\ngegebenenfalls noch laufenden Einspruchsverfahrens (§ 347 AO) geanderte\nSteueranmeldungen fur die Jahre 2012 und 2013 einreicht. In beiden Fallen\nwurde sie die betreffenden Ausgangsumsatze durch Streichung der jeweils als\neingenommen angemeldeten Umsatzsteuer korrigieren. Mit diesem Vorgehen wurde\ndie Beklagte - jedenfalls anteilig - einen im Sinne des § 218 Abs. 1 Satz 1\nund 2 AO durchsetzbaren Ruckzahlungsanspruch gegen das Finanzamt gemaß § 37\nAbs. 2 Satz 1 AO erlangen.\n\n \n\n72\n\n \n\nDafur, dass der Aufwand fur die Angabe der jeweiligen Rechnungsnummer und des\nRechnungsbetrags der an die Versicherungsnehmer der Klagerin gestellten\nRechnungen sowie die Bestimmung der etwaig umsatzsteuerfreien Positionen und\ndas Herausrechnen der in Bezug auf die jeweilige Rechnung tatsachlich\nabgefuhrten Steuer - sofern eine Differenzierung zwischen umsatzsteuerfreien\nund etwaigen umsatzsteuerpflichtigen Positionen uberhaupt in Betracht kommt -\nfur die Beklagte so groß ware, dass es gerechtfertigt erschiene, an dem durch\nZahlung der Versicherungsnehmer der Klagerin eingetretenen Zustand dauerhaft\nfestzuhalten und diesen eine Ruckzahlung ganzlich vorzuenthalten, bestehen\nkeine tragfahigen Anhaltspunkte. Die Revision macht zwar geltend, die Beklagte\nmusste manuell die betreffenden Rechnungen zunachst identifizieren und\nanschließend fur samtliche betroffenen Rechnungen den zur Ruckforderung vom\nFinanzamt erforderlichen Verwaltungsaufwand betreiben, was die Einstellung und\nEinarbeitung neuer Mitarbeiter notwendig machte. Entsprechenden Sachvortrag in\nden Tatsacheninstanzen vermag sie insoweit jedoch nicht aufzuzeigen.\n\n \n\n73\n\n \n\n(bbb) Im Anschluss an das beschriebene Vorgehen wurde das Finanzamt im\nHinblick auf den dann ruckwirkend ausgeschlossenen, im damaligen\nBesteuerungszeitraum gegebenenfalls vorgenommenen Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1\nUStG) von Amts wegen tatig werden und die Beklagte dann auch daran mitwirken\nmussen, die von ihr nunmehr den einzelnen Vertragen zuzuordnenden\nEingangsumsatze zu korrigieren. Denn die von der Beklagten aufgewendete\nUmsatzsteuer fur die unter anderem auch zur Erfullung der geschlossenen\nVertrage getatigten umsatzsteuerpflichtigen Aufwendungen (etwa beim Einkauf\nder zur Herstellung der Zytostatika erforderlichen Grundstoffe) bliebe infolge\nder ruckwirkenden Behandlung der mit den Versicherungsnehmern der Klagerin\ngetatigten Geschafte als - ganz oder zumindest teilweise - umsatzsteuerfrei im\nHinblick auf § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG nicht mehr vollstandig gemaß § 15\nAbs. 1 UStG dem Vorsteuerabzug unterworfen. Vielmehr ware nun dem Umstand\nRechnung zu tragen, dass der etwaige Vorsteuerabzug bei richtiger\numsatzsteuerrechtlicher Behandlung der Geschafte zwischen der Beklagten und\nden Versicherungsnehmern der Klagerin entsprechend § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG\n(gemischte steuerfreie und steuerpflichtige Verwendung von gelieferten\nGegenstanden) von Anfang an nur gekurzt um diejenige anteilige Vorsteuer in\nBetracht gekommen ware, die auf die Aufwendungen fur die Lieferung von\nZytostatika an die Versicherungsnehmer der Klagerin entfiel.\n\n \n\n74\n\n \n\nEin nicht mehr zumutbarer Aufwand fur die Beklagte ist aber auch in dieser\nMitwirkung bei der Ruckgangigmachung der Vorsteuerabzuge nicht zu erkennen.\nDenn der Beklagten steht im Hinblick auf die fur den einzelnen Vertrag etwaig\nanteilig in Abzug gebrachte Vorsteuer der Weg der sachgerechten Schatzung\ngemaß § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG offen. Aus den im Verfahren vorgelegten Rezepten\nund Rechnungen ist fur die Beklagte auch heute noch erkennbar, welche\nMedikamente sie jeweils in welcher Menge abgegeben hatte.\n\n \n\n75\n\n \n\n(ccc) Ein ubermaßiger und damit unzumutbarer Aufwand des Vorgehens gegen das\nFinanzamt ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht aus\nanderen Grunden.\n\n \n\n76\n\n \n\nDie Revision sieht insbesondere deswegen einen "enormen personellen und\nmateriellen Aufwand" auf die Beklagte zukommen, weil sie der Ansicht ist, das\nVorgehen gegen das Finanzamt nicht auf einzelne Umsatze beschranken zu konnen,\nsondern in diesem Fall zu einer Berichtigung aller Rechnungen verpflichtet zu\nsein, gleich ob die Patienten privat oder gesetzlich krankenversichert seien.\nFur die Ruckforderung der Umsatzsteuer wurde mithin ein "Alles-oder-\nNichts"-Prinzip gelten, wonach die Beklagte nur einheitlich vorgehen konne,\nwobei sie dann fur samtliche in der Vergangenheit gestellte Rechnungen\neinheitlich vorgehen musste.\n\n \n\n77\n\n \n\nEine materiell-steuerrechtliche Vorschrift, die ein solches "Alles-oder-\nNichts"-Prinzip fur die ruckwirkende Korrektur der Jahressteuerklarungen der\nBeklagten nach Maßgabe der tatsachlichen Rechtslage vorgibt, ist jedoch nicht\nersichtlich. Insbesondere steht einem selektiven Vorgehen der Beklagten bei\nder Korrektur der Umsatzsteueranmeldungen nicht der sich aus Art. 3 Abs. 1 GG\nergebende Grundsatz der Steuergerechtigkeit in seiner Auspragung der\nGleichmaßigkeit der Besteuerung (vgl. Klein/Gersch, AO, 14. Auflage, § 3 Rn.\n12) entgegen. Denn auch ein etwaig bestehendes Wahlrecht, nur einzelne,\nsamtliche oder keine Umsatze nachtraglich im Verhaltnis zu dem Finanzamt als\numsatzsteuerfrei zu behandeln, stunde samtlichen Umsatzsteuerpflichtigen, also\nallen beteiligten Krankenhausern, in gleichgelagerten Fallen in gleicher Weise\nzu.\n\n \n\n78\n\n \n\nAllerdings kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht\nausgeschlossen werden und ist daher im Revisionsverfahren zugunsten der\nBeklagten zu unterstellen, dass die Finanzbehorden ein solches einheitliches\nVorgehen - sei es bezogen auf einzelne Veranlagungszeitraume, sei es insgesamt\nfur die Vergangenheit - dennoch etwa aus Grunden einer praktikablen Handhabung\nder Ruckabwicklung der Umsatzsteuer von den Steuerpflichtigen verlangen. Zwar\nist dem Wortlaut des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen aus dem\nJahr 2016 fur den Bereich des Handelns der Finanzverwaltung ein solches\n"Alles-oder-Nichts"-Prinzip nicht zu entnehmen. Denn dort heißt es unter\nanderem: "Wird die Lieferung von Zytostatika als ein […] Umsatz […] steuerfrei\nbehandelt", "Beruft sich der Unternehmer fur einen bereits getatigten Umsatz\nauf die Grundsatze des BFH-Urteils […] V R 19/11", "Hat der Unternehmer in\neiner Rechnung fur eine Lieferung einen Steuerbetrag ausgewiesen […] kann er\ndie Rechnung […] berichtigen" (UR 2016, 891, 892). Dies legt die Moglichkeit\neines selektiven Vorgehens durch den betroffenen Unternehmer nahe. Welche\nHaltung die zustandigen Finanzbehorden einnehmen, ist aber offen.\n\n \n\n79\n\n \n\nDiese Unwagbarkeiten fuhren jedoch nicht dazu, dass eine erganzende\nVertragsauslegung auszuscheiden hatte. Denn selbst wenn sich die Beklagte im\nHinblick auf die begehrte Ruckerstattung der Umsatzsteuer gegenuber ihrem\nFinanzamt letztlich entscheiden musste, ob sie sich bezuglich - im Extremfall\n- samtlicher gleichgelagerter Vertrage der Vergangenheit - soweit\nverfahrensrechtlich noch moglich - sich neu veranlagen lasst oder ob sie in\nkeinem Fall eine Ruckerstattung vom Finanzamt verlangt, ist aufgrund ihres\nVortrags fur den Senat nicht erkennbar, worin der unzumutbare Aufwand fur eine\nsolche vollstandige Neuveranlagung fur die Vergangenheit bestunde.\n\n \n\n80\n\n \n\nDie bereits anfanglich ohne eine entsprechende materiell-rechtliche\nSteuerpflicht abgefuhrte Umsatzsteuer konnte - nach einer gegebenenfalls\nnotwendigen Unterscheidung zwischen steuerpflichtigen und steuerfreien\nUmsatzen innerhalb der Rechnungen - vielmehr im Ganzen zuruckverlangt und die\netwaigen Vorsteuerabzuge betreffend die hierfur durch die Beklagte getatigten\numsatzsteuerpflichtigen Aufwendungen konnten im Einklang mit § 15 Abs. 2 Satz\n1 Nr. 1 UStG durch das Finanzamt unkompliziert im Ganzen gestrichen werden.\nHat die Beklagte zudem samtliche Rechnungen wie hier ohne einen gesonderten\nSteuerausweis im Sinne des § 14c Abs. 1 UStG gestellt, wurden diese\nKorrekturen nicht einmal davon abhangen, dass sie den vom Finanzamt verlangten\nUmsatzsteuerbetrag zuvor jeweils an ihre Vertragspartner zuruckgezahlt hatte\n(so dagegen im Fall des gesonderten Steuerausweises: BFHE 261, 451 Rn. 49 ff.;\nAbschn. 14c.1. Abs. 5 Satz 4, Beispiel Satz 1 bis 3 UStAE).\n\n \n\n81\n\n \n\nUngeachtet dessen ist zumindest nicht auszuschließen, dass die Beklagte nicht\nvon samtlichen privaten Krankenversicherungen ihrer Vertragspartner\nbeziehungsweise von samtlichen gesetzlichen Krankenversicherungen uberhaupt\noder mit Erfolg (vgl. insoweit zum Beispiel: LSG Baden-Wurttemberg, Urteil vom\n16. Januar 2018 - L 11 KR 1723/17, juris) in Anspruch genommen worden ist oder\nnoch wird und sie auf diese Weise sogar noch einen Überschuss im Verhaltnis zu\nden an sie gerichteten Ruckzahlungsanspruchen erzielt.\n\n \n\n82\n\n \n\nbb) Die sich im Wege der erganzenden Vertragsauslegung sonach ergebenden\nRuckzahlungsanspruche der Versicherungsnehmer der Klagerin, die auf diese\nubergegangen sind, bestehen grundsatzlich nicht in voller Hohe der fur den\nErwerb von Zytostatika entrichteten Umsatzsteueranteile. Vielmehr ist er nur\nin Hohe der Differenz zwischen den vertraglich tatsachlich vereinbarten\nEntgelten und den Preisen gegeben, die die Versicherungsnehmer der Klagerin\nund die Beklagte zum Zeitpunkt der Vertragsschlusse als redliche\nVertragspartner hypothetisch vereinbart hatten, wenn ihnen die Steuerfreiheit\nder Umsatze der Beklagten aus den Vertragen uber die Herstellung und Lieferung\nvon Zytostatika bekannt gewesen ware und sie ihrer Willensbildung weiter - als\nhypothetischen Umstand - zugrunde gelegt hatten, dass auch die Finanzbehorden\nbereits zum damaligen Zeitpunkt diesbezuglich von einer Umsatzsteuerfreiheit\nausgingen. In Hohe dieser Differenz ist der Rechtsgrund fur die jeweiligen\nZahlungen der Versicherungsnehmer der Klagerin ab dem Zeitpunkt entfallen, in\ndem die Beklagte im Jahr 2016 schließlich die Moglichkeit erhielt, die\nabgefuhrte Umsatzsteuer von ihrem Finanzamt zuruckzuerlangen.\n\n \n\n83\n\n \n\n(1) Der danach maßgebliche hypothetisch vereinbarte Kaufpreis errechnet sich\nfur den jeweiligen Vertrag in der Weise, dass ein Betrag in Hohe des - auf die\ngemaß § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG steuerfreien Umsatze entfallenden -\nUmsatzsteueranteils von dem tatsachlich vereinbarten Kaufpreis abgezogen,\ndafur jedoch die auf die betreffenden Umsatze etwaig (anteilig) entfallende,\nvon der Beklagten gegebenenfalls gemaß § 15 UStG bei ihrem Finanzamt\nangemeldete Vorsteuer addiert wird.\n\n \n\n84\n\n \n\n(a) Die bei der Ermittlung der hypothetisch vereinbarten Preise vorzunehmende\nAddition einer durch die Beklagte gegebenenfalls angemeldeten Vorsteuer\nentspricht dem - anknupfend an die Regelungen und Wertungen der\nabgeschlossenen Vertrage und gemessen an den Geboten von Treu und Glauben zu\nermittelnden - hypothetischen Willen der Vertragsparteien. Ware die\nSteuerfreiheit der streitgegenstandlichen Umsatze gemaß § 4 Nr. 14 Buchst. b\nUStG von Anfang an bekannt gewesen, hatte die Beklagte insoweit auch keinen\nVorsteuerabzug gegenuber dem Finanzamt vornehmen konnen und damit die eigenen\nUmsatzsteueraufwendungen auf den jeweiligen Vertrag - ohne eine vertragliche\nWeitergabe an die Versicherungsnehmer der Klagerin - im Ergebnis zunachst\nselbst tragen mussen.\n\n \n\n85\n\n \n\n(b) Der etwaige Entfall des Vorteils des Vorsteuerabzugs ist jedoch nach dem\nhypothetischen Parteiwillen nicht endgultig von der Beklagten zu tragen. Denn\ndem Regelungsplan der jeweiligen Vertragsparteien liegt die Vorstellung\nzugrunde, dass die Aufwendungen, die die Beklagte fur die Herstellung der\nZytostatika dauerhaft zu erbringen hat, in voller Hohe an die\nVersicherungsnehmer der Klagerin weitergegeben werden. Ausgehend hiervon\nhatten die Vertragsparteien bei einer nicht gegebenen Moglichkeit des\nVorsteuerabzugs der Beklagten ihren Preisvereinbarungen (neben etwaigen\nsonstigen zulassigerweise angesetzten Preisbestandteilen) redlicherweise -\nsofern dies nicht bereits (wegen unterbliebenen Vorsteuerabzugs) erfolgt sein\nsollte - auch die fur die Medikamentenherstellung getatigten Aufwendungen\n(insbesondere die bei dem Einkauf der benotigten Grundstoffe und Materialien\nanfallenden Bruttopreise) zugrunde gelegt.\n\n \n\n86\n\n \n\nDass der sich sonach ergebende Ruckzahlungsanspruch der Klagerin wegen\nSchatzungsunwagbarkeiten (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG) moglicherweise\n(geringfugig) einen von der Beklagten tatsachlich gegenuber dem Finanzamt\nrealisierbaren Ruckforderungsanspruch ubersteigen wurde, ware unschadlich.\nDenn es entspricht nicht dem hypothetischen Willen der Vertragsparteien, den\nVersicherungsnehmern der Klagerin samtliche Nachteile der Luckenhaftigkeit der\nmit der Beklagten getroffenen Preisvereinbarung aufzuburden. Diese haben\nbereits die Verpflichtung ubernommen, der Beklagten auf ungewisse Zeit einen\nUmsatzsteuerbetrag zuzuwenden, dessen Abfuhrung diese vorliegend materiell-\nrechtlich zu keinem Zeitpunkt geschuldet hatte.\n\n \n\n87\n\n \n\n(2) Dagegen waren unter dem Gesichtspunkt eines (noch) angemessenen\nInteressenausgleichs drohende erhebliche Zinsschulden der Beklagten gegenuber\ndem Finanzamt zu ihren Gunsten im Rahmen des hypothetischen Parteiwillens zu\nberucksichtigen. Die Bestimmungen der § 233a Abs. 1, 3 und 5, § 238 AO sehen\nvor, dass das Finanzamt bei einem ruckwirkenden Ausschluss der vorgenommenen\nanteiligen Vorsteuerabzuge Zinsen in Hohe von jahrlich sechs Prozent,\nbeginnend 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres in dem die Steuer\nentstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO), festsetzt. Allerdings drohen der\nBeklagten daraus in der vorliegenden Konstellation des nicht gesonderten\nSteuerausweises im Sinne des § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG selbst bei Verlust eines\ngegebenenfalls vorgenommenen Vorsteuerabzugs solche Nachteile nicht.\n\n \n\n88\n\n \n\nDenn die Beklagte machte hier mit der geanderten Steueranmeldung - anders als\nin den Fallen der Rechnungsberichtigung gemaß § 14c Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 6\nNr. 5 UStG in Verbindung mit § 31 Abs. 5 Satz 1 Buchst. b UStDV - die\nUmsatzsteuerfreiheit der getatigten Geschafte nicht im aktuellen\nBesteuerungszeitraum (§ 14c Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG), sondern\nruckwirkend fur die damaligen Besteuerungszeitraume geltend, so dass sich\nangesichts des ursprunglichen Ansatzes des Regelsteuersatzes und\n(gegebenenfalls) eines Vorsteuerabzugs einerseits und der mit der geanderten\nSteueranmeldung nunmehr geltend zu machenden Umsatzsteuerfreiheit (mit der\nFolge des Wegfalls eines etwaig erfolgten Vorsteuerabzugs) andererseits\nnotwendig ein Saldo zugunsten der Beklagten ergeben wird, auf den das\nFinanzamt dann gemaß § 233a Abs. 1, 3 und 5, § 238 AO Zinsen allein zu Gunsten\nder Beklagten festsetzen wird.\n\n \n\n89\n\n \n\n3\\. Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, sie sei aufgrund\nder Abfuhrung des jeweiligen Umsatzsteueranteils an das Finanzamt im Sinne des\n§ 818 Abs. 3 BGB entreichert, weil der abgefuhrte Betrag nicht mehr in ihrem\nVermogen vorhanden sei oder weil sie gegen das Finanzamt nur eine\nRuckforderung in etwas geringerem Umfang als den der Klagerin geschuldeten\nRuckzahlungsanspruch durchsetzen konne.\n\n \n\n90\n\n \n\nDenn ungeachtet der Frage, in welchen Fallkonstellationen sich ein\nBereicherungsschuldner gegebenenfalls auf den Wegfall der Bereicherung infolge\neiner Abfuhrung der Umsatzsteuer berufen kann (vgl. hierzu BGH, Urteile vom\n27. Januar 2015 - KZR 90/13, WM 2015, 680 Rn. 40; vom 18. April 2012 - VIII ZR\n253/11, NVwZ-RR 2012, 570 Rn. 24; vom 8. Mai 2008 - IX ZR 229/06, NJW-RR 2008,\n1369 Rn. 11; vom 15. Januar 1992 - IV ZR 317/90, WM 1992, 745 unter II 2; vom\n25. Marz 1976 - VII ZR 32/75, BGHZ 66, 150, 157; vom 30. September 1970 - VIII\nZR 221/68, NJW 1970, 2059 unter 4 b bb; RGZ 170, 65, 67 f.), ist der Beklagten\ndie Moglichkeit der Berufung auf eine Entreicherung mit Blick auf die\nerganzend ausgelegten Vertrage zwischen ihr und den Versicherungsnehmern der\nKlagerin, auf denen der Wegfall des Rechtsgrunds und damit auch die\nnachtraglich eintretende ungerechtfertigte Bereicherung der Beklagten beruht,\nbereits deswegen verwehrt, weil dies dem hypothetischen Parteiwillen\nzuwiderlaufen wurde. Aus diesem Grund ist auch der Einwand der Revision\nunbeachtlich, dass eine Steuerschuld der Beklagten gemaß § 14c Abs. 1 UStG\nfortbestehe, weil diese mangels berechtigter Interessen der\nVersicherungsnehmer der Klagerin zur Vornahme einer nachtraglichen\nRechnungskorrektur gegenuber dem Finanzamt nicht verpflichtet sei.\n\n \n\n91\n\n \n\nWie oben ausgefuhrt, entspricht es dem hypothetischen Vertragswillen der\nVertragsparteien, dass die Beklagte den jeweiligen Umsatzsteueranteil zunachst\nerhalt, um ihn ungeachtet des Fehlens einer entsprechenden materiell-\nrechtlichen Verpflichtung auf Kosten der Versicherungsnehmer der Klagerin an\ndas Finanzamt abzufuhren und dort zu belassen, bis ihr in Zukunft eine\nRuckforderungsmoglichkeit eroffnet wird, und dass sie im Gegenzug in\nvertretbarem Umfang etwaige Nachteile einer erst nachtraglichen Behandlung der\nUmsatze aus den Werklieferungsvertragen als umsatzsteuerfrei gegenuber ihrem\nFinanzamt ubernimmt. In Anbetracht dieser sich aus der erganzenden Auslegung\nder geschlossenen Vertrage ergebenden Rechtslage kann die Beklagte sich weder\nmit Erfolg darauf berufen, dass ihr die an die Versicherungsnehmer der\nKlagerin auszukehrenden Betrage derzeit nicht mehr zur Verfugung stehen (zumal\nsie diese infolge einer geanderten Steueranmeldung ohne weiteres\nzuruckerlangen kann), noch darauf, dass sie diese Betrage wegen\nsteuerrechtlicher Unwagbarkeiten moglicherweise nur unter (geringfugigen)\nKurzungen zuruckerhalt. Denn der hypothetische Parteiwille ist gerade darauf\ngerichtet, der Beklagten einen solchen Einwand abzuschneiden.\n\n \n\n92\n\n \n\n4\\. Ohne Erfolg erhebt die Revision schließlich bezuglich der auf die Klagerin\nubergegangenen Ruckzahlungsanspruche ihrer Versicherungsnehmer betreffend die\nauf die Rechnungen des Jahres 2012 erbrachten Zahlungen die Einrede der\nVerjahrung. Die regelmaßige Verjahrungsfrist betragt gemaß § 195 BGB drei\nJahre und wird nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB (fruhestens) mit dem Schluss des\nJahres in Lauf gesetzt, in dem der Anspruch entsteht. Die hier maßgeblichen\nAnspruche aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB in Verbindung mit einer\nerganzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB) sind erst mit Wegfall des\nRechtsgrundes fur die Ruckzahlungsbetrage im Jahr 2016 entstanden, als der\nBeklagten die sichere Moglichkeit zur Ruckforderung der vereinnahmten\nUmsatzsteuer vom Finanzamt infolge des Schreibens des Bundesministeriums der\nFinanzen und der darin unter anderem enthaltenen Anwendungserlassanderung -\nohne eine etwaige finanzgerichtliche Durchsetzung - erstmals zur Verfugung\nstand. Die regelmaßige Verjahrung wurde damit bei ungestortem Verlauf erst mit\ndem Verstreichen des 31. Dezember 2019 enden; zudem ist der Lauf der\nVerjahrung mit der Klageerhebung gehemmt worden (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).\n\n \n\n \n\nIII.\n\n \n\n93\n\n \n\nNach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben; es\nist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur\nEndentscheidung reif. Sie ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung\nan das Berufungsgericht zuruckzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).\n\n \n\n94\n\n \n\nDas Berufungsgericht wird nach erganzendem Parteivortrag Feststellungen dazu\nzu treffen haben, ob und gegebenenfalls in welcher Hohe die Beklagte in der\nVergangenheit in Bezug auf die steuerfreien Umsatze der geschlossenen Vertrage\ngegenuber dem Finanzamt bei ihren Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 Abs. 1\nUStG) beziehungsweise ihren (Jahres-)Steueranmeldungen (§ 18 Abs. 3 UStG) der\nJahre 2012 und 2013 anteilig Vorsteuerabzuge vorgenommen hat. Diese Frage hat\ndas Berufungsgericht aufgrund seiner rechtsfehlerhaften Annahme, es seien\nNettopreisvereinbarungen zustande gekommen, bislang offengelassen.\n\n \n\n95\n\n \n\nWeiter wird das Berufungsgericht noch Feststellungen zu der Frage, ob\ntatsachlich samtliche in den gestellten Rechnungen aufgefuhrten Umsatze gemaß\n§ 4 Nr. 14 Buchst. b UStG materiell-rechtlich umsatzsteuerfrei waren, zu\ntreffen haben. Wie die Revision mit Erfolg rugt, hat das Berufungsgericht den\nVortrag der Beklagten, nicht samtliche in Rechnung gestellten Positionen\nhatten die umsatzsteuerfreie Abgabe von Zytostatika betroffen, zu Unrecht als\nunsubstantiiert bewertet (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZR\n212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rn. 11 mwN) und hat es zudem verfahrensfehlerhaft\nunterlassen, einen entsprechenden Hinweis (§ 139 ZPO) zu der aus seiner Sicht\nbestehenden Notwendigkeit erganzenden Vortrags zu erteilen und zu\ndokumentieren.\n\n \n\n Dr. Milger | | Dr. Hessel | | Dr. Schneider \n---|---|---|---|--- \n| Kosziol | | Dr. Schmidt | \n \n \n\n
318,061
bverfg-2019-03-12-2-bvr-67514
3
Bundesverfassungsgericht
bverfg
Bundesrepublik Deutschland
Verfassungsgerichtsbarkeit
Bundesgericht
2 BvR 675/14
2019-03-12
2019-04-02 12:17:22
2020-12-10 15:12:53
Beschluss
ECLI:DE:BVerfG:2019:rs20190312.2bvr067514
## Tenor\n\n \n\nDie Beschlusse des Amtsgerichts Rostock vom 30. Januar 2014 - 34 Gs 2345/13 -\nund des Landgerichts Rostock vom 26. Februar 2014 - 13 Qs 27/14 (9) -\nverletzen den Beschwerdefuhrer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1\nund Absatz 2 des Grundgesetzes, soweit sie die Durchsuchungsanordnung der\nStaatsanwaltschaft Rostock vom 14. September 2013 betreffen. Der Beschluss des\nLandgerichts Rostock vom 26. Februar 2014 - 13 Qs 27/14 (9) - wird insoweit\naufgehoben und die Sache an das Landgericht Rostock zuruckverwiesen.\n\n \n\nIm Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.\n\n \n\nDas Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdefuhrer die Halfte seiner im\nVerfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.\nIn diesem Umfang erledigt sich sein Antrag auf Bewilligung von\nProzesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Sch…; im Übrigen wird der\nAntrag abgelehnt.\n\n## Gründe\n\n \n\n# A.\n\n1\n\n \n\nDie Verfassungsbeschwerde betrifft zwei im September 2013 zwischen 4 Uhr und 5\nUhr morgens von der Polizei und der Staatsanwaltschaft wegen Gefahr im Verzug\nangeordnete Wohnungsdurchsuchungen. Sie wirft die Frage auf, ob zu dieser Zeit\nein richterlicher Bereitschaftsdienst hatte eingerichtet sein mussen, um dem\nRichtervorbehalt in Art. 13 Abs. 2 GG zu genugen.\n\n \n\n \n\nI.\n\n2\n\n \n\n1\\. Der Beschwerdefuhrer wurde an einem fruhen Samstagmorgen, dem 14.\nSeptember 2013, von Rettungskraften in Rostock aufgefunden. Er befand sich\ninfolge eines akuten Rauschzustands in hilfloser Lage, hatte keine Dokumente\nbei sich und konnte weder zu seiner Person noch zu konsumierten Rauschmitteln\nAngaben machen. Da die Rettungskrafte vermuteten, dass er Rauschpilze oder\nahnlich wirkende Betaubungsmittel zu sich genommen hatte, verstandigten sie\ndie Polizei. Nach ihrem Eintreffen gegen 4 Uhr versuchten die Polizeibeamten\nvergeblich, von einer Zeugin zu erfahren, um wen es sich bei der hilflosen\nPerson handle, brachten aber in Erfahrung, dass sie in unmittelbarer Nahe\nwohne. Da die Rettungskrafte baten, in der Wohnung nach Personaldokumenten und\nHinweisen darauf zu suchen, was die Person zu sich genommen haben konnte,\nbetraten die Polizeibeamten die Wohnung, wahrend der Beschwerdefuhrer in das\nUniversitatsklinikum Rostock verbracht wurde. Die Wohnung teilte sich der\nBeschwerdefuhrer mit einem zu diesem Zeitpunkt abwesenden Mitbewohner. Im\nZimmer des Beschwerdefuhrers fanden die Polizeibeamten zwei große Plastiktuten\nmit Cannabisprodukten, eine Feinwaage sowie eine Haschischpfeife und nahmen\nstarken Cannabisgeruch wahr.\n\n3\n\n \n\n2\\. Aufgrund ihres Fundes sahen die Polizeibeamten einen Verdacht gegen den\nBeschwerdefuhrer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betaubungsmitteln\nbegrundet. Sie hielten deshalb telefonisch Rucksprache mit der zustandigen\nBereitschaftsstaatsanwaltin der Staatsanwaltschaft Rostock, die um 4:44 Uhr\ndie Durchsuchung der Wohnung zur Beschlagnahme von Beweismitteln anordnete.\nDie Bereitschaftsstaatsanwaltin folgte der Argumentation der Polizeibeamten,\nes bestehe Gefahr im Verzug, weil sich der Beschwerdefuhrer jederzeit aus dem\nUniversitatsklinikum Rostock entfernen konne. Dass sie zuvor versucht hatte,\nden zustandigen Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Rostock zu erreichen,\nlasst sich der Ermittlungsakte nicht entnehmen. Bei der im Anschluss\nvollzogenen Durchsuchung des Zimmers des Beschwerdefuhrers und der\nGemeinschaftsraume wurde umfangreiches Beweismaterial beschlagnahmt, unter\nanderem Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt von insgesamt uber 44 Gramm.\n\n4\n\n \n\n3\\. Im weiteren Verlauf des 14. September 2013 ordnete das Amtsgericht Rostock\nauf Antrag der Staatsanwaltschaft die nochmalige Durchsuchung des Wohnraums\ndes Beschwerdefuhrers sowie der gemeinschaftlich genutzten Kuche und des Bades\nan, da zu vermuten sei, dass unter Einsatz eines Drogenspurhundes weitere\nBetaubungsmittel aufgefunden werden konnten. Diese Erwartung bestatigte sich\nnicht.\n\n5\n\n \n\n4\\. Der Beschwerdefuhrer legte zunachst gegen die richterliche\nDurchsuchungsanordnung Beschwerde ein und erstreckte sein Rechtsmittel mit\nSchriftsatz vom 11. Oktober 2013 auf die am fruhen Morgen des 14. September\n2013 getroffenen nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnungen und die auf\nAntrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 30.\nSeptember 2013 ausgesprochene Bestatigung der Beschlagnahme. Durch Beschluss\nvom 21. November 2013 verwarf das Landgericht Rostock die Beschwerde als\nunzulassig, soweit sie sich gegen die nichtrichterlichen\nDurchsuchungsanordnungen richtete, da gegen Anordnungen der Staatsanwaltschaft\noder Maßnahmen der Polizei im Rahmen ihrer Eilkompetenz allein der\nRechtsbehelf des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog statthaft sei. Im Übrigen\nverwarf das Landgericht die Beschwerde als unbegrundet.\n\n6\n\n \n\n5\\. Der Beschwerdefuhrer beantragte daraufhin, nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO\nanalog festzustellen, dass die in den fruhen Morgenstunden des 14. September\n2013 in seiner Wohnung durchgefuhrten Durchsuchungsmaßnahmen der Polizei und\nder Staatsanwaltschaft rechtswidrig gewesen seien.\n\n7\n\n \n\na) Er machte unter Verweis auf seinen Schriftsatz vom 11. Oktober 2013\ngeltend, dass die Polizeibeamten angesichts des Hinweises der Sanitater auf\neine Rauschmitteleinnahme bereits bei der ersten Durchsuchung der Wohnung\ngezielt dem Verdacht einer Straftat nach dem Betaubungsmittelgesetz\nnachgegangen seien und nicht, wie von ihnen vorgegeben, nur nach\nIdentitatsdokumenten gesucht hatten. Aber selbst eine Durchsuchung von Wohn-\nund Geschaftsraumen zum Zwecke der Gefahrenabwehr sei nach § 59 des Gesetzes\nuber die offentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (im\nFolgenden: SOG M-V) nur unter bestimmten Voraussetzungen zulassig, die nicht\nvorgelegen hatten, und von einer vorherigen richterlichen Anordnung abhangig,\nauf die nur bei Gefahr im Verzug verzichtet werden konne. Fur das Vorliegen\nvon Gefahr im Verzug ergebe sich aus der Akte allerdings nichts.\n\n8\n\n \n\nb) Weiter wandte der Beschwerdefuhrer ein, dass auch die\nBereitschaftsstaatsanwaltin ihre Eilkompetenz bei der Anordnung der zweiten\nDurchsuchung um 4:44 Uhr zu Unrecht angenommen habe. Die Erreichbarkeit eines\nBereitschaftsrichters sei nach der Rechtsprechung des\nBundesverfassungsgerichts zumindest tagsuber sicherzustellen. Da das\nBundesverfassungsgericht sich ausdrucklich auf die Definition des Tages in §\n104 Abs. 3 StPO beziehe, wonach der Tag im September um 4 Uhr morgens beginne,\nhatte die Staatsanwaltin von der Einrichtung eines entsprechenden\nrichterlichen Bereitschaftsdienstes bei dem Amtsgericht Rostock ausgehen\nmussen. Jedenfalls hatte sie versuchen mussen, einen Bereitschaftsrichter zu\nerreichen. Eine derartige Eilbedurftigkeit, dass sogar der Versuch, einen\nErmittlungsrichter zu erreichen, den Erfolg der Maßnahme gefahrdet hatte, sei\nnicht zu erkennen. Der Verlust von Beweismitteln sei nicht zu befurchten\ngewesen, da sich niemand in der Wohnung aufgehalten und der Beschwerdefuhrer\nsich in der Obhut des Rettungsdienstes befunden habe.\n\n9\n\n \n\n6\\. Das Amtsgericht Rostock wies den Antrag durch den mit der\nVerfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 30. Januar 2014 als\nunbegrundet zuruck. Es fuhrte aus, dass die Anordnung der Durchsuchung durch\ndie Staatsanwaltschaft zulassig gewesen sei, da hinreichende Grunde fur die\nBegehung einer Straftat vorgelegen hatten. Da es in der Wohnung nach Cannabis\ngerochen habe, habe der Verdacht eines Verstoßes gegen das\nBetaubungsmittelgesetz bestanden. Zuvor seien die Polizeibeamten berechtigt\ngewesen, die Wohnung zum Zwecke der Suche nach zur Identitatsfeststellung\ngeeigneten Dokumenten zu betreten. Die Voraussetzungen des Gesetzes uber die\noffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern hatten insoweit\nvorgelegen. Der Beschwerdefuhrer habe sich in einer hilflosen Lage befunden\nund die Durchsuchung sei zur Klarung seiner Identitat erforderlich gewesen.\n\n10\n\n \n\n7\\. Gegen den Beschluss vom 30. Januar 2014 legte der Beschwerdefuhrer\nBeschwerde ein, zu deren Begrundung er sich wiederum auf die Ausfuhrungen in\nseinem Schriftsatz vom 11. Oktober 2013 bezog. Das Amtsgericht Rostock half\nder Beschwerde mit Verfugung vom 20. Februar 2014 nicht ab.\n\n11\n\n \n\n8\\. Das Landgericht Rostock verwarf die Beschwerde durch den ebenfalls mit der\nVerfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 26. Februar 2014 als\nunbegrundet.\n\n12\n\n \n\na) Es wies darauf hin, dass das Amtsgericht Rostock seine Zustandigkeit fur\ndie nachtragliche richterliche Entscheidung uber das erstmalige Betreten der\nWohnung zur Gefahrenabwehr zu Unrecht angenommen habe, da diesbezuglich der\nRechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eroffnet gewesen sei. Das Landgericht\nsei als Beschwerdegericht allerdings gemaß § 17a Abs. 5 GVG an den vom\nAmtsgericht fur zulassig erachteten Rechtsweg gebunden.\n\n13\n\n \n\nb) In der Sache sei die Beschwerde sowohl hinsichtlich des ersten Betretens\nder Wohnung zum Zwecke der Gefahrenabwehr als auch hinsichtlich der von der\nBereitschaftsstaatsanwaltin angeordneten Durchsuchung unbegrundet.\n\n14\n\n \n\naa) Das Betreten und Durchsuchen der Wohnung zur Gefahrenabwehr sei nach § 59\nAbs. 3 Nr. 3 SOG M-V gerechtfertigt. Es konne dahingestellt bleiben, ob die\nPolizeibeamten die Wohnung noch in der Nachtzeit oder bereits in den fruhen\nMorgenstunden betreten hatten, da jedenfalls die Voraussetzungen fur ein\nBetreten zur Nachtzeit gemaß § 59 Abs. 4 SOG M-V vorgelegen hatten. Aufgrund\nder Bitte der Rettungskrafte, in Erfahrung zu bringen, wer die hilflose Person\nsei und was sie an Betaubungsmitteln eingenommen habe, hatten die\nPolizeibeamten von einer gegenwartigen erheblichen Gefahr fur Leib und Leben\ndes Beschwerdefuhrers ausgehen durfen. Aus der Sicht eines verstandigen\nPolizeibeamten in der Situation der vor Ort handelnden Beamten habe die Gefahr\nbestanden, dass die weitere optimale medizinische Versorgung des\nBeschwerdefuhrers ohne die von den Rettungskraften erbetenen Informationen\nnicht gewahrleistet gewesen ware. Die Beamten hatten mithin annehmen durfen,\ndass die Einholung der Informationen erforderlich sei, um der Gefahr auf\nsicherstem Wege zu begegnen. Ob die erbetenen Informationen aus arztlicher\nSicht tatsachlich zur optimalen medizinischen Versorgung notig gewesen seien,\nspiele dabei keine Rolle. Die Beschwerde verenge die Zielrichtung der\nPolizeibeamten insofern in unzulassiger Weise auf die Identitatsfeststellung.\nAber selbst dieses Ziel allein hatte ihnen das Betreten der Wohnung erlaubt,\nweil die Rettungskrafte und die weiteren behandelnden Ärzte durch die Kenntnis\nder Identitat der hilflosen Person in die Lage versetzt worden waren,\ngegebenenfalls aus Vorbehandlungen zur Verfugung stehende Befunde in die\nWeiterbehandlung miteinzubeziehen.\n\n15\n\n \n\nDass die Gefahr fur Leib und Leben des Beschwerdefuhrers es gerechtfertigt\nhabe, ohne vorherige Beantragung einer richterlichen Entscheidung gemaß § 59\nAbs. 5 Satz 1 SOG M-V auf Grundlage der polizeilichen Eilkompetenz die Wohnung\ndes Beschwerdefuhrers zu betreten, sei offensichtlich, zumal die\nPolizeibeamten nicht hatten erwarten konnen, dass sie in der Zeit vor 5 Uhr\nmorgens einen zustandigen Richter beim Amtsgericht erreichen wurden. Ein\nentsprechender Eildienst sei bei dem Amtsgericht Rostock nicht eingerichtet.\n\n16\n\n \n\nbb) Die Beschwerde gegen die telefonische Anordnung der Durchsuchung durch die\nBereitschaftsstaatsanwaltin sei unbegrundet, da diese zu Recht von Gefahr im\nVerzug im Sinne von § 105 Abs. 1 StPO ausgegangen sei. Maßgeblich seien allein\ndie tatsachlichen Moglichkeiten der mit der Sache befassten Staatsanwaltin,\nrechtzeitig im Sinne der Verhinderung weiterer Gefahren fur den\nDurchsuchungserfolg eine richterliche Entscheidung herbeizufuhren. Es komme\nhingegen nicht darauf an, ob das Amtsgericht verpflichtet gewesen sei, einen\nrichterlichen Eildienst fur die Zeit, in der die Staatsanwaltin mit der Sache\nbefasst war, einzurichten.\n\n17\n\n \n\nDer Staatsanwaltschaft Rostock und dem Beschwerdegericht sei bekannt, dass das\nAmtsgericht Rostock weder an Werktagen noch an Sonn- und Feiertagen in der\nZeit ab 21 Uhr bis zum normalen Dienstbeginn am darauffolgenden Werktag oder\nbis zur "Eilrichterzeit" zwischen 11 Uhr und 12 Uhr am darauffolgenden Samstag\noder Sonntag einen richterlichen Bereitschaftsdienst eingerichtet habe. Die\nStaatsanwaltin habe zum Zeitpunkt ihrer Befassung mit der Sache an einem\nSamstagmorgen gegen 4:40 Uhr daher davon ausgehen durfen, dass sie erst nach\nuber sechs Stunden, mithin gegen 11 Uhr, eine richterliche Entscheidung wurde\neinholen konnen. In der Zwischenzeit hatten Dritte die Beweismittel ohne\nweiteres wegschaffen oder vernichten konnen, zumal zu besorgen gewesen sei,\ndass der Beschwerdefuhrer sobald wie moglich Bekannte uber das Geschehen\ninformieren wurde.\n\n18\n\n \n\n9\\. Das Amtsgericht Rostock verurteilte den Beschwerdefuhrer am 8. Juli 2014\nwegen unerlaubten Handeltreibens mit Betaubungsmitteln in nicht geringer Menge\nzu einer Bewahrungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die inzwischen\nnach Ablauf der Bewahrungszeit erlassen wurde.\n\n \n\nII.\n\n19\n\n \n\nBei dem Amtsgericht Rostock bestand im Jahr 2013 ausweislich des\nPrasidiumsbeschlusses uber den richterlichen Bereitschaftsdienst und des\nentsprechenden Bereitschaftsdienstplans an Samstagen und dienstfreien Tagen\n(z.B. dem 24. und dem 31. Dezember) ein richterlicher Bereitschaftsdienst in\nForm einer Prasenzbereitschaft im Zeitraum von 10 Uhr bis 12 Uhr, an Sonn- und\nFeiertagen im Zeitraum von 11 Uhr bis 12 Uhr. Diese Bereitschaft dauerte\njeweils auch nach 12 Uhr an, sofern zuvor durch die Staatsanwaltschaft oder\ndie Polizei eilige Antrage angekundigt worden waren.\n\n20\n\n \n\nDaruber hinaus war ein Bereitschaftsrichter an allen Wochentagen außerhalb der\nregularen Dienstzeit eingeteilt, sofern nach vorheriger Ankundigung durch die\nPolizei bei besonderen Lagen (z.B. Demonstrationen oder Fußballspielen) ein\nBedarf an gefahrenabwehrrechtlichen richterlichen Entscheidungen nach § 56 SOG\nM-V und § 40 des Gesetzes uber die Bundespolizei (Bundespolizeigesetz - BPolG)\nbestand.\n\n21\n\n \n\nAußerdem war ein gesonderter richterlicher Rufbereitschaftsdienst\neingerichtet, der jeweils nach Dienstende (montags bis donnerstags ab 16:15\nUhr; freitags ab 15 Uhr; samstags, sonntags und feiertags ab 12 Uhr) begann\nund bis 21 Uhr andauerte. Der Rufbereitschaftsdienst war nur zustandig fur\neilige strafprozessuale Maßnahmen und Entscheidungen im Einzelfall nach § 56\nSOG M-V und § 40 BPolG.\n\n \n\nIII.\n\n22\n\n \n\n1\\. Der Beschwerdefuhrer sieht sich durch die angegriffenen Beschlusse des\nAmtsgerichts Rostock vom 30. Januar 2014 und des Landgerichts Rostock vom 26.\nFebruar 2014 in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art.\n13 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die\nEntscheidungen wurden dem verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt nicht\ngerecht.\n\n23\n\n \n\na) Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner bisherigen Rechtsprechung\nhervorgehoben, dass die Landesjustiz- und Gerichtsverwaltungen sowie die\nErmittlungsrichter sicherzustellen hatten, dass der Richtervorbehalt als\nGrundrechtssicherung praktisch wirksam werde. Sie mussten die Voraussetzungen\nfur eine tatsachlich wirksame praventive richterliche Kontrolle schaffen. Dazu\ngehore die uneingeschrankte Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage\nauch außerhalb der ublichen Dienststunden.\n\n24\n\n \n\nGemaß § 104 Abs. 3 StPO ende die Nachtzeit im Zeitraum vom 1. April bis zum\n30. September um 4 Uhr morgens. Die Durchsuchung der Wohnung des\nBeschwerdefuhrers zur Auffindung von Beweismitteln sei durch die\nBereitschaftsstaatsanwaltin am 14. September 2013 gegen 4:40 Uhr und somit zur\nTageszeit angeordnet worden. Es sei nicht ersichtlich, warum zu dieser Zeit\nnur ein staatsanwaltlicher Bereitschaftsdienst, nicht aber ein richterlicher\nBereitschaftsdienst eingerichtet gewesen sei. Ein richterlicher\nBereitschaftsdienst setze heutzutage nicht mehr voraus, dass der Richter im\nGerichtsgebaude anwesend sei oder sich zuhause aufhalte, um dort angerufen\nwerden zu konnen. Es sei lediglich erforderlich, dass der zustandige\nBereitschaftsrichter per Handy erreichbar sei.\n\n25\n\n \n\nDie in den angegriffenen Entscheidungen vertretene Auffassung, der fehlende\nrichterliche Bereitschaftsdienst rechtfertige die Anordnung einer\nWohnungsdurchsuchung durch einen Staatsanwalt ohne den vorhergehenden Versuch,\neinen Beschluss des Ermittlungsrichters zu erwirken, sei verfassungsrechtlich\nnicht haltbar. Sie bewirke im Ergebnis, dass die im Grundgesetz verankerte\nRegelzustandigkeit des Ermittlungsrichters unterlaufen werde.\n\n26\n\n \n\nb) Daruber hinaus macht der Beschwerdefuhrer geltend, dass das Landgericht\nRostock zu Unrecht die Ansicht vertreten habe, die Polizeibeamten seien zum\nersten Betreten seiner Wohnung auf der Grundlage von § 59 Abs. 3 Nr. 3 SOG M-V\nberechtigt gewesen, weil sie eine Gefahr fur Leib und Leben hatten annehmen\ndurfen. Woher das Landgericht die Erkenntnis nehme, dass seine optimale\nmedizinische Versorgung ohne die Ermittlung der konsumierten Rauschmittel\nnicht moglich gewesen ware, teile es nicht mit.\n\n27\n\n \n\n2\\. Der Beschwerdefuhrer beantragt, ihm fur das Verfassungsbeschwerdeverfahren\nProzesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmachtigten zu bewilligen.\n\n \n\nIV.\n\n28\n\n \n\n1\\. Von der Moglichkeit zur Stellungnahme haben der Generalbundesanwalt beim\nBundesgerichtshof, der Deutsche Richterbund, die Neue Richtervereinigung, die\nBundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein Gebrauch gemacht.\nAußerdem haben die Bayerische Staatsregierung, der Senat von Berlin, die\nRegierung des Landes Brandenburg, die Hessische Landesregierung, die\nLandesregierung Nordrhein-Westfalen und die Regierung des Saarlandes auf\nAufforderung mitgeteilt, wie der richterliche Bereitschaftsdienst in den\nGerichtsbezirken dieser Lander im Einzelnen, insbesondere in zeitlicher\nHinsicht, ausgestaltet ist.\n\n29\n\n \n\na) Mit Blick auf die Zulassigkeit der Verfassungsbeschwerde ist der\nGeneralbundesanwalt der Ansicht, dass sich der Beschwerdefuhrer hinsichtlich\nder Durchsuchung auf polizeirechtlicher Grundlage nicht hinreichend\nsubstantiiert mit den plausiblen und ausreichend tragfahigen Erwagungen des\nLandgerichts zur berechtigten Annahme einer Gefahr fur Leib und Leben seitens\nder Polizeibeamten auseinandergesetzt habe.\n\n30\n\n \n\nSoweit sie zulassig sei, habe die Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage der\nbisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Aussicht auf Erfolg.\nDie Anordnung der zweiten Durchsuchung durch die Bereitschaftsstaatsanwaltin\nverstoße danach gegen Art. 13 Abs. 2 GG, weil sie außerhalb der Nachtzeit im\nSinne von § 104 Abs. 3 StPO erfolgt sei und zu dieser Zeit ein richterlicher\nBereitschaftsdienst hatte eingerichtet sein mussen. Die subsidiare\nEilzustandigkeit der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen bestehe\nnicht, wenn die Moglichkeit einer vorrangigen richterlichen Prufung\nstrukturell unterlaufen werde, wovon nach der bisherigen Rechtsprechung des\nBundesverfassungsgerichts bei der allgemein unterlassenen Bereitstellung eines\nrichterlichen Bereitschaftsdienstes wahrend der Tageszeit im Sinne von § 104\nAbs. 3 StPO auszugehen sei.\n\n31\n\n \n\nDer Generalbundesanwalt meint jedoch, dass die Verfassungsbeschwerde Anlass\nbiete, die verfassungsrechtliche Anknupfung an § 104 Abs. 3 StPO fur die\nBestimmung der Zeiten des richterlichen Bereitschaftsdienstes aufzugeben. Zum\neinen diene die Vorschrift dem Schutz der raumlichen Privatsphare zur\nNachtzeit und verfolge damit einen anderen Regelungszweck. Zum anderen\norientiere sie sich an den Lebensverhaltnissen in der zweiten Halfte des 19.\nJahrhunderts. Die Arbeitswirklichkeit der modernen Angestelltengesellschaft\nwerde mit der Regelung, die den Beginn der Tageszeit im Sommer auf 4 Uhr\nfestlege, nicht mehr zutreffend abgebildet. Der Generalbundesanwalt schlagt\nvor, fur die Abgrenzung von Tag und Nacht im Hinblick auf die Zeiten des\nrichterlichen Bereitschaftsdienstes an den tatsachlichen Bedarf anzuknupfen.\nAngesichts der heutigen Lebenswirklichkeit sei es von Verfassungs wegen\ngrundsatzlich ausreichend, die obligatorische Einrichtung eines richterlichen\nBereitschaftsdienstes ganzjahrig erst ab etwa 6 Uhr morgens zu fordern.\n\n32\n\n \n\nDer Generalbundesanwalt ist der Ansicht, dass der Verfassungsbeschwerde unter\ndiesen Voraussetzungen kein Erfolg beschieden sein konne. Maßgeblich sei\ndanach allein, ob der Grundrechtsschutz aufgrund des Fallaufkommens in dem\nbetroffenen Gerichtsbezirk auch wahrend der Nachtstunden die Sicherung der\npraventiv-richterlichen Kontrollbefugnis durch die Gewahrleistung eines\nrichterlichen Bereitschaftsdienstes verlangt hatte. Dessen Ausgestaltung sei\nnach §§ 21e, 22c GVG Aufgabe der landgerichtlichen Prasidien im Einvernehmen\nmit den amtsgerichtlichen Prasidien. Fehler in der Rechtsanwendung vermoge die\nVerfassungsbeschwerde insoweit nicht aufzuzeigen.\n\n33\n\n \n\nb) Aus Sicht des Deutschen Richterbundes ist es verfassungsrechtlich nicht\ngeboten, außerhalb des in § 104 Abs. 3 StPO als Nachtzeit normierten Zeitraums\ngenerell einen richterlichen Bereitschaftsdienst zu installieren.\nAusschlaggebend sei, dass die nichtrichterliche Durchsuchungsanordnung nur die\nAusnahme sein durfe. In Zeiten, in denen es nur sehr selten zu\nDurchsuchungsanordnungen komme, konne im Sinne dieses Regel-Ausnahme-\nVerhaltnisses auf einen richterlichen Bereitschaftsdienst verzichtet werden. §\n104 Abs. 3 StPO biete insofern eine erste Orientierung, da die Zulassigkeit\nvon Wohnungsdurchsuchungen in der dort geregelten Nachtzeit durch § 104 Abs. 1\nStPO stark eingeschrankt werde, weshalb Durchsuchungen in dieser Zeit\nregelmaßig selten seien. Im Umkehrschluss bedeute dies aber nicht, dass ein\nBereitschaftsdienst außerhalb der in § 104 Abs. 3 StPO definierten Nachtzeit\nimmer eingerichtet werden musse.\n\n34\n\n \n\nOb außerhalb der in § 104 Abs. 3 StPO definierten Nachtzeit, namentlich kurz\nnach 4 Uhr morgens, so haufig Durchsuchungen angeordnet wurden, dass nicht\nmehr von einer Ausnahme gesprochen werden konne, lasse sich nicht abstrakt\ngenerell feststellen. Vielmehr sei es Aufgabe der Prasidien der einzelnen\nGerichte auszumachen, wie viele Durchsuchungsanordnungen zu welcher Tages- und\nNachtzeit im Durchschnitt angeordnet werden, und die Regelungen zum\nBereitschaftsdienst daran auszurichten, solange es keine klare gesetzliche\nRegelung zur Einrichtung eines richterlichen Eildienstes gebe. Ob die\nBereitschaftsdienstregelung im vorliegenden Fall den Vorgaben von Art. 13 Abs.\n1 und Abs. 2 GG genuge, lasse sich deshalb nicht ohne Weiteres beurteilen.\n\n35\n\n \n\nDer Deutsche Richterbund widerspricht der Annahme der Verfassungsbeschwerde,\ndass ein auch nachts eingerichteter richterlicher Eildienst heutzutage\nangesichts der modernen Fernkommunikationsmittel keine besondere Belastung\nmehr darstelle. Vielmehr habe jede Ausweitung des richterlichen Eildienstes\neinen Personalmehrbedarf bei den Gerichten zur Folge, was bei der\nEntscheidung, ob und wann er einzurichten sei, nicht außer Betracht gelassen\nwerden durfe.\n\n36\n\n \n\nc) Die Neue Richtervereinigung teilt mit, dass fur die Mehrheit der Mitglieder\nihrer Fachgruppe Strafrecht aus Art. 13 Abs. 2 GG folge, dass unabhangig von\nder Tages- und Nachtzeit grundsatzlich ein richterlicher Beschluss\nerforderlich sei, wenn ohne oder gegen den Willen des Berechtigten eine\nWohnung betreten werden solle. Aus § 104 StPO konne nicht abgeleitet werden,\ndass zur Nachtzeit kein Bereitschaftsdienst fur den Durchsuchungsrichter\neingerichtet werden musse. Auch sonst seien keine Grunde ersichtlich, warum\nnachts kein Richter zur Prufung von Durchsuchungsantragen erreichbar sein\nsolle. Es musse daher grundsatzlich organisatorisch sichergestellt werden,\ndass ein Durchsuchungsrichter jederzeit zur Verfugung stehe, an sieben Tagen\nin der Woche und 24 Stunden taglich. Der fur die anderen Richtervorbehalte\nzustandige richterliche Bereitschaftsdienst brauche dagegen nicht auch nachts\nerreichbar zu sein.\n\n37\n\n \n\nd) Die Bundesrechtsanwaltskammer halt die Verfassungsbeschwerde fur begrundet.\nDie Bereitschaftsstaatsanwaltin habe die Durchsuchung nach der Rechtsprechung\ndes Bundesverfassungsgerichts, das fur die Abgrenzung von Tages- und Nachtzeit\nausdrucklich § 104 Abs. 3 StPO in Bezug genommen habe, zur Tageszeit\nangeordnet. Nach den klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts stelle die\nfehlende Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage einen\nschwerwiegenden organisatorischen Mangel dar, der als verfassungswidrige\nMissachtung des Richtervorbehalts zu werten sei. Außerdem bleibe vollig\nunklar, auf welche Tatsachengrundlage das Landgericht die Annahme von Gefahr\nim Verzug gestutzt habe. Letztlich handele es sich um nichts anderes als reine\nSpekulationen, Vermutungen und Behauptungen. Hinsichtlich der ersten,\ngefahrenabwehrrechtlichen Durchsuchung, die ebenfalls zur Tageszeit\nstattgefunden habe, habe das Landgericht verkannt, dass Wohnungsdurchsuchungen\nnach dem Polizeirecht in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen\nRichtervorbehalt unterlagen und an denselben strengen verfassungsrechtlichen\nMaßstaben zu messen seien wie strafprozessuale Wohnungsdurchsuchungen. Eine\nRechtfertigung des Grundrechtseingriffs unter Bezugnahme auf das Gesetz uber\ndie offentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern scheide\noffenkundig aus.\n\n38\n\n \n\nDaruber hinaus spreche vieles dafur, die verfassungsrechtliche Verpflichtung\nder Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters "rund um die Uhr" unabhangig von\ndem unklaren Kriterium des praktischen Bedarfs anzuerkennen. Vor allem\nerscheine es widerspruchlich, an die Wahrung des verfassungsrechtlich\nverburgten Richtervorbehalts zur Nachtzeit geringere Anforderungen zu stellen,\nindem eine richterliche Kontrolle fur diesen Zeitraum nicht zwingend\nvorausgesetzt werde, wenn das Gesetz, wie durch die Vorschrift des § 104 StPO\nzum Ausdruck komme, den von einer Durchsuchung Betroffenen zur Nachtzeit bei\neinem Eingriff in seinen grundgesetzlich geschutzten Wohnraum fur besonders\nschutzbedurftig halte. Zudem bestunden unter Gleichheitsgesichtspunkten\nBedenken gegen das Kriterium des praktischen Bedarfs. Es stelle sich die\nFrage, ob das Grundgesetz einem Burger, der in einer landlichen Region von\neiner Wohnungsdurchsuchung zur Nachtzeit betroffen sei, weniger Schutz\neinraume als einem Burger, der einer vergleichbaren Maßnahme in einer\nGroßstadt ausgesetzt sei, in der ein großerer praktischer Bedarf angenommen\nwerden musse.\n\n39\n\n \n\nWolle das Bundesverfassungsgericht hingegen an der Unterscheidung zwischen\nTages- und Nachtzeit festhalten, sei eine Loslosung von den Vorgaben des § 104\nAbs. 3 StPO sinnvoll. Denn der Zweck dieser Vorschrift bestehe nicht darin,\ndie Regelzustandigkeit des Richters von der Eilkompetenz der\nErmittlungsbehorden abzugrenzen. Außerdem habe sie ihre Wurzeln in der\nweitgehend an landwirtschaftlichen Bedurfnissen orientierten Entstehungszeit\nder Strafprozessordnung. Vor diesem Hintergrund erscheine eine Neudefinition\nder Nachtzeit geboten, wie sie der Gesetzgeber im Jahr 2002 durch die\nEinfugung von § 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO im Zivilrecht vorgenommen habe.\nAllerdings erscheine es sachgerechter, die Nachtzeit jahreszeitunabhangig von\n22 Uhr bis 7 Uhr anstatt von 21 Uhr bis 6 Uhr zu definieren.\n\n40\n\n \n\ne) Der Deutsche Anwaltverein halt die Verfassungsbeschwerde ebenfalls fur\nbegrundet. Dabei konne offenbleiben, ob § 104 Abs. 3 StPO den\nverfassungsrechtlichen Maßstab der Abgrenzung von Tages- und Nachtzeit bei der\nGewahrleistung des Richtervorbehalts aus Art. 13 Abs. 2 GG abbilde. Selbst\nwenn man die Zeit um 4:40 Uhr noch der Nachtzeit zurechnen wollte, verstießen\ndie angegriffenen Entscheidungen gegen Art. 13 Abs. 1 GG. Die\nJustizverwaltungen seien aufgrund der in Art. 13 Abs. 2 GG statuierten\nRegelzustandigkeit des Richters fur die Anordnung von Wohnungsdurchsuchungen\nzur regelmaßigen Überprufung verpflichtet, zu welchen Zeiten ein konkreter\nBedarf fur einen richterlichen Eildienst bestehe. Sei ein Eildienst fur eine\nbestimmte Zeit nicht eingerichtet, mussten sie anhand konkreter Zahlen\nnachweisen, dass ein praktischer Bedarf fur einen nachtlichen richterlichen\nBereitschaftsdienst nicht bestehe. Fur eine solche Darlegungslast spreche die\nEffektivitat des Rechtsschutzes. Im vorliegenden Fall sei ein Ausnahmefall\ndurch die Justizverwaltung nicht dargelegt worden und bei einem\nBereitschaftsdienst, der erst um 11 Uhr beginne, auch nicht ersichtlich. Der\npauschale Hinweis des Landgerichts, dass fur den Zeitraum der\nDurchsuchungsanordnung bekanntermaßen kein richterlicher Eildienst\neingerichtet sei, genuge verfassungsrechtlich nicht.\n\n41\n\n \n\nf) Nach den Auskunften der befragten Lander Bayern, Brandenburg, Hessen,\nNordrhein-Westfalen und Saarland ist in den dortigen Gerichtsbezirken die\nErreichbarkeit eines zustandigen Richters zur Erledigung unaufschiebbarer\nGeschafte in der Regel in der Zeit zwischen 6 Uhr und 21 Uhr sichergestellt.\nIn Bayern und Nordrhein-Westfalen sieht jeweils eine Anordnung des\nJustizministeriums vor, dass ein richterlicher Bereitschaftsdienst an allen\nWochentagen zwischen 6 Uhr und 21 Uhr einzurichten ist, wobei das\nJustizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen insofern von einer Empfehlung\nfur die Gerichtsprasidien spricht, denen die Entscheidung uber die\nEinrichtung, den Umfang und die Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes in\neigener Verantwortung obliege. Der Bereitschaftsdienst wird - insbesondere\nabhangig von der Uhrzeit, der Große des Gerichtsbezirks und dem Umstand, ob\ndie Staatsanwaltschaft ihren Sitz im Gerichtsbezirk hat - teilweise als\nPrasenz- und teilweise als Rufbereitschaft ausgeubt. Von der Moglichkeit der\nKonzentration des Bereitschaftsdienstes nach § 22c GVG haben die Lander in\nsehr unterschiedlichem Umfang Gebrauch gemacht.\n\n42\n\n \n\nDagegen ist bei dem Amtsgericht Tiergarten, das in Berlin als einziges\nAmtsgericht fur Strafsachen zustandig ist, an allen Tagen der Woche und zu\njeder Tages- und Nachtzeit die telefonische Erreichbarkeit eines Richters\ngewahrleistet. Dieser Bereitschaftsdienst ist zustandig fur unaufschiebbare\nrichterliche Entscheidungen in Strafsachen und Ordnungswidrigkeitenverfahren\nsowie fur gefahrenabwehrrechtliche Entscheidungen. Der durchgangige\nEilrichterdienst ist insbesondere vor dem Hintergrund eingerichtet, dass\nBerlin als Bundeshauptstadt in besonderem Umfang Ort von Umzugen,\nVeranstaltungen, Demonstrationen und politischen Ereignissen wie\nStaatsbesuchen ist und eine Sonderzustandigkeit des Amtsgerichts Tiergarten in\nBezug auf Untersuchungsausschusse des Bundestags besteht.\n\n43\n\n \n\nEin 24-stundiger richterlicher Bereitschaftsdienst ist daruber hinaus\nanlasslich einer Entscheidung des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm\naus dem Jahr 2009 (OLG Hamm, Urteil vom 18. August 2009 - 3 Ss 293/08 -,\njuris) bei dem Amtsgericht Bielefeld fur den Bezirk des Landgerichts Bielefeld\ngeschaffen worden. In Brandenburg ist die Erreichbarkeit eines Richters bei\nzwei Amtsgerichten "rund um die Uhr" sichergestellt. Bei dem Amtsgericht\nMunchen ist ein zustandiger Richter taglich von 6 Uhr bis 22 Uhr erreichbar.\n\n44\n\n \n\nAus den Stellungnahmen der Bayerischen Staatsregierung und des\nJustizministeriums Nordrhein-Westfalen geht hervor, dass die\nBereitschaftsdienstzeiten in Ausnahmefallen bei einem erhohten Bedarf\nausgeweitet werden. Die Bayerische Staatsregierung nennt als Beispiele\nGroßereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 oder den\nG7-Gipfel im Juni 2015, das Justizministerium Nordrhein-Westfalen fuhrt\nRisikofußballspiele, Volksfeste, Karnevals- und Silvesterfeiern sowie\nGroßrazzien an.\n\n45\n\n \n\nEin 24-stundiger richterlicher Bereitschaftsdienst wird außer im Land Berlin\nregelmaßig nicht fur erforderlich gehalten. Nach Ansicht des\nJustizministeriums Nordrhein-Westfalen hat sich die bisherige Unterscheidung\nzwischen Tages- und Nachtzeit aufgrund des erfahrungsgemaß unterschiedlichen\nFallaufkommens im Grundsatz bewahrt. Die bei dem Amtsgericht Bielefeld\ngesammelten Erfahrungen zeigten, dass die Fallzahlen des Bereitschaftsdienstes\nbei Tage nicht auf die Nachtzeit ubertragen werden konnten. So seien im Jahr\n2016 in dem fur den gesamten Landgerichtsbezirk Bielefeld zustandigen\nnachtlichen Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts Bielefeld nur sieben\nAnordnungen von Wohnungsdurchsuchungen angefallen. Das Ministerium der Justiz\nund fur Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg teilt mit, dass\nbei dem Amtsgericht Neuruppin ab 2010 ein durchgehender richterlicher\nBereitschaftsdienst bestanden habe, der nach mehreren Jahren aufgrund stark\nrucklaufiger Fallzahlen vom Prasidium in der Zeit ab 21 Uhr nicht mehr fur\nerforderlich gehalten worden sei. Das Amtsgericht Potsdam, bei dem zwischen\nOktober 2009 und Dezember 2011 ein nachtlicher Bereitschaftsdienst vorgehalten\nworden sei, habe gleiche Erfahrungen gemacht. Die Bayerische Staatsregierung\nhalt insbesondere eine Ausdehnung der Bereitschaftsdienstzeiten zwischen dem\n1. April und dem 30. September auf die Zeit von 4 Uhr bis 6 Uhr morgens nicht\nfur verfassungsrechtlich geboten. Festzuhalten sei, dass auch in dieser Zeit\ndes Jahres zwischen 4 Uhr und 6 Uhr morgens nur ausnahmsweise\nDurchsuchungsanordnungen anfielen; der regulare Tagesbetrieb beginne in der\nRegel erst ab 6 Uhr.\n\n46\n\n \n\n2\\. Der Beschwerdefuhrer hat auf die Stellungnahmen erwidert und dabei sein\nbisheriges Vorbringen vertieft.\n\n47\n\n \n\n3\\. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht\nvorgelegen.\n\n \n\n \n\nB.\n\n48\n\n \n\nSoweit die angegriffenen Beschlusse die erste Durchsuchung der Wohnung des\nBeschwerdefuhrers am fruhen Morgen des 14. September 2013 auf\npolizeirechtlicher Grundlage betreffen, liegen die Annahmevoraussetzungen (§\n93a Abs. 2 BVerfGG) nicht vor. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde\nunzulassig, weil sie nicht den gesetzlichen Begrundungsanforderungen aus § 23\nAbs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genugt.\n\n49\n\n \n\nZu einer ordnungsgemaßen Begrundung in diesem Sinne gehort, dass der die\nGrundrechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlussig\nvorgetragen wird (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>;\n130, 1 <21>). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche\nEntscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden\nargumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begrundung. Es muss\ndeutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete\nGrundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>;\n130, 1 <21>; 140, 229 <232 Rn. 9>). Werden mehrere gerichtliche Entscheidungen\nangegriffen, muss sich der Beschwerdefuhrer mit dem Inhalt jeder einzelnen\nEntscheidung auseinandersetzen. Genugt sein Vortrag hinsichtlich einzelner von\nmehreren angegriffenen Entscheidungen den Anforderungen an eine substantiierte\nBegrundung nicht, so ist die Verfassungsbeschwerde insoweit unzulassig (vgl.\nBVerfGE 82, 43 <49>; 96, 171 <180>; 116, 24 <35 f.>; 128, 90 <99>; BVerfGK 1,\n145 <156>; 17, 319 <326>). Gleiches gilt, wenn sich der Beschwerdefuhrer nur\nmit einzelnen von mehreren selbstandigen Teilen einer einheitlichen\nEntscheidung auseinandersetzt, die aus verfassungsrechtlicher Sicht\nunterschiedlichen Anforderungen unterliegen und getrennt voneinander zu\nwurdigen sind (vgl. BVerfGE 86, 122 <127>).\n\n50\n\n \n\nSoweit die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen die auf\npolizeirechtlicher Grundlage erfolgte erste Wohnungsdurchsuchung betreffen,\ngenugt der Vortrag des Beschwerdefuhrers diesen Substantiierungsanforderungen\nnicht, da er sich nicht ausreichend mit den Grunden der landgerichtlichen\nBeschwerdeentscheidung auseinandersetzt. Insbesondere legt er nicht dar, warum\ninsoweit entgegen der Auffassung des Landgerichts unabhangig vom Vorhandensein\neines richterlichen Bereitschaftsdienstes die Voraussetzungen fur Gefahr im\nVerzug im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG nicht vorgelegen haben. Soweit der\nBeschwerdefuhrer eine Missachtung des Richtervorbehalts des Art. 13 Abs. 2 GG\nrugt, beziehen sich seine Ausfuhrungen allein auf die von der\nBereitschaftsstaatsanwaltin angeordnete zweite Durchsuchung.\n\n \n\nC.\n\n51\n\n \n\nDie Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, soweit die\nangegriffenen Beschlusse die Durchsuchungsanordnung der Staatsanwaltschaft\nRostock vom 14. September 2013 zum Gegenstand haben. Insoweit ist die\nVerfassungsbeschwerde zulassig und begrundet. Die angegriffenen Beschlusse\nverletzen den Beschwerdefuhrer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und\nAbs. 2 GG. Die Fachgerichte haben unberucksichtigt gelassen, dass die\nzeitliche Ausgestaltung des ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes bei\ndem Amtsgericht Rostock nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen\nentsprach, weil sie nicht geeignet war, das in Art. 13 Abs. 2 GG vorgesehene\nRegel-Ausnahme-Verhaltnis zwischen richterlicher und nichtrichterlicher\nAnordnung zu verwirklichen. Die Annahme von Gefahr im Verzug durfte deshalb\nnicht mit dem bloßen Hinweis auf die fehlende Erreichbarkeit eines\nErmittlungsrichters gerechtfertigt werden.\n\n \n\nI.\n\n52\n\n \n\n1\\. Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird\ndem Einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwurde und im Interesse der freien\nEntfaltung der Personlichkeit ein elementarer Lebensraum gewahrleistet. In\nseinen Wohnraumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese\ngrundrechtlich geschutzte Lebenssphare greift eine Durchsuchung schwerwiegend\nein (vgl. BVerfGE 51, 97 <107>; 103, 142 <150 f.>; 139, 245 <265 Rn. 56>).\n\n53\n\n \n\nDem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des\nSchutzes der raumlichen Privatsphare entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2\nHalbsatz 1 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsatzlich dem Richter\nvorbehalt. Der praventive Richtervorbehalt dient der verstarkten Sicherung des\nWohnungsgrundrechts und zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme\ndurch eine unabhangige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 57, 346 <355 f.>;\n103, 142 <151 f.>; 139, 245 <265 Rn. 57>). Das Grundgesetz geht davon aus,\ndass der Richter aufgrund seiner personlichen und sachlichen Unabhangigkeit\nund seiner strikten Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte des\nBetroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren kann (vgl. BVerfGE\n77, 1 <51>). Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das die\nStaatsanwaltschaft in eigener Verantwortung fuhrt (§§ 158 ff. StPO), ist er\nunbeteiligter Dritter, der nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft tatig wird (§\n162 StPO). Durch seine Einschaltung soll von vornherein, nicht erst nach\nvollzogener Durchsuchung, sichergestellt werden, dass die Interessen des\nBetroffenen, der vor Anordnung der Durchsuchung regelmaßig nicht angehort wird\n(vgl. § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO), angemessen berucksichtigt werden (vgl. BVerfGE\n9, 89 <97>; 103, 142 <151>; 139, 245 <266 Rn. 60>).\n\n54\n\n \n\nZugleich ergibt sich aus Art. 13 GG die Verpflichtung der staatlichen Organe,\ndafur Sorge zu tragen, dass die effektive Durchsetzung des\ngrundrechtssichernden Richtervorbehalts gewahrleistet ist. Defiziten in der\nWirksamkeit mussen sowohl die Gerichte - die einzelnen Ermittlungsrichter\nebenso wie die fur die Bestellung der Ermittlungsrichter und die\nGeschaftsverteilung zustandigen Prasidien (§ 21e Abs. 1 Satz 1 GVG) - als auch\ndie Strafverfolgungsbehorden entgegenwirken. Daneben verpflichtet Art. 13 GG\ndie fur die Organisation der Gerichte und fur die Rechtsstellung der dort\ntatigen Ermittlungsrichter zustandigen Organe der Lander und des Bundes, die\nVoraussetzungen fur eine tatsachlich wirksame praventive richterliche\nKontrolle zu schaffen. Zu diesen Voraussetzungen gehort auch eine ausreichende\nsachliche und personelle Ausstattung der Gerichte (vgl. BVerfGE 103, 142 <152\nf.>; 139, 245 <267 Rn. 62 f.>).\n\n55\n\n \n\n2\\. Art. 13 Abs. 2 Halbsatz 2 GG lasst es zu, dass Durchsuchungen bei Gefahr\nim Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe - bei der\nstrafprozessualen Durchsuchung gemaß § 105 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 StPO durch\ndie Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) - angeordnet\nwerden durfen. Wortlaut und Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG belegen indes,\ndass die richterliche Durchsuchungsanordnung die Regel und die\nnichtrichterliche die Ausnahme sein soll (vgl. BVerfGE 103, 142 <153>; 139,\n245 <269 Rn. 69>). Das entspricht der Bedeutung des verfassungsrechtlichen\nRichtervorbehalts und tragt dem Grundsatz Rechnung, dass derjenigen Auslegung\neiner Grundrechtsnorm der Vorzug zu geben ist, die ihre Wirkungskraft am\nstarksten entfaltet. Ordnen die Strafverfolgungsbehorden eine Durchsuchung an,\nfallt die praventive Kontrolle durch den unabhangigen und neutralen Richter\nweg. Die verbleibende nachtragliche Kontrolle kann den erfolgten\nGrundrechtseingriff nicht mehr ruckgangig machen und genugt dem Anspruch\npraventiven richterlichen Grundrechtsschutzes nicht (vgl. BVerfGE 139, 245\n<269 Rn. 69>). Demgemaß ist der Begriff "Gefahr im Verzug" im Sinne des Art.\n13 Abs. 2 GG eng auszulegen. Gefahr im Verzug ist nur anzunehmen, wenn die\nrichterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck\nder Maßnahme - regelmaßig die Sicherung von Beweismitteln - gefahrdet wurde\n(vgl. BVerfGE 51, 97 <111>; 103, 142 <153 f.>; 139, 245 <269 Rn. 69>).\n\n56\n\n \n\nDie Strafverfolgungsbehorden mussen dementsprechend regelmaßig versuchen, eine\nAnordnung des zustandigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung\nbeginnen. Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzogerung\nwegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Durchsuchung gefahrden wurde,\ndurfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich\nzuvor um eine richterliche Entscheidung bemuht zu haben. Die Annahme von\nGefahr im Verzug kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begrundet\nwerden, eine richterliche Entscheidung sei gewohnlich zu einem bestimmten\nZeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne mangels Erreichbarkeit\neines zustandigen Richters nicht zu erlangen (vgl. BVerfGE 103, 142 <155 f.>).\nGefahr im Verzug liegt in einem solchen Fall nur vor, wenn ein richterlicher\nBereitschaftsdienst zu dieser Zeit im Einklang mit Art. 13 Abs. 2 GG nicht\neingerichtet wurde (dazu unter 3.) und ein Zuwarten bis zur Erreichbarkeit\neines Richters nicht moglich ist.\n\n57\n\n \n\nDamit korrespondiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die\nErreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines\nEil- oder Notdienstes, zu sichern (vgl. BVerfGE 103, 142 <156>). Dem\nEilrichter mussen die notwendigen Hilfsmittel fur eine effektive Wahrnehmung\nseiner richterlichen Aufgaben zur Verfugung gestellt werden. Soweit es\nerforderlich erscheint, ist auch sicherzustellen, dass der Eilrichter auf die\nUnterstutzung durch den nichtrichterlichen Dienst zuruckgreifen kann (vgl.\nBVerfGE 139, 245 <268 Rn. 65>; BVerfGK 2, 176 <178>; 9, 287 <290>).\n\n58\n\n \n\n3\\. Zu den Anforderungen an einen dem Gebot der praktischen Wirksamkeit des\nRichtervorbehalts entsprechenden richterlichen Bereitschaftsdienst gehort die\nuneingeschrankte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage, auch\naußerhalb der ublichen Dienststunden (vgl. BVerfGE 105, 239 <248>; 139, 245\n<267 f. Rn. 64>). Die Tageszeit umfasst dabei ganzjahrig die Zeit zwischen 6\nUhr und 21 Uhr. Wahrend der Nachtzeit ist ein ermittlungsrichterlicher\nBereitschaftsdienst jedenfalls bei einem Bedarf einzurichten, der uber den\nAusnahmefall hinausgeht (vgl. BVerfGE 139, 245 <268 Rn. 64>; BVerfGK 2, 176\n<178>; 5, 74 <78>).\n\n59\n\n \n\na) Aus Art. 13 Abs. 2 GG folgt nicht, dass an allen nach § 162 Abs. 1 Satz 1\nStPO fur die ermittlungsrichterlichen Aufgaben zustandigen Amtsgerichten von\nVerfassungs wegen ein Richter "rund um die Uhr" erreichbar sein muss. Art. 13\nAbs. 2 Halbsatz 2 GG sieht die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehorden als\nAusnahme ausdrucklich vor. Kommt es nur im Ausnahmefall zu nachtlichen\nDurchsuchungsanordnungen, gefahrdet das Fehlen eines nachtlichen\nermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes die in Art. 13 Abs. 2 GG\nvorgesehene Regelzustandigkeit des Richters nicht. Es ist auch nicht\nersichtlich, dass der Verfassungsgeber bei der Schaffung von Art. 13 Abs. 2 GG\ndavon ausging, die Erreichbarkeit eines Richters musse zur Nachtzeit stets\ngewahrleistet sein.\n\n60\n\n \n\nb) Die vom Bundesverfassungsgericht in standiger Rechtsprechung vorgenommene\nDifferenzierung zwischen Tages- und Nachtzeit beruht auf der Erfahrung, dass\ntagsuber regelmaßig ein deutlich großerer Bedarf an Durchsuchungsanordnungen\nbesteht als wahrend der Nachtstunden. Dies gebietet tagsuber die\nuneingeschrankte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters unabhangig vom\nkonkreten Bedarf, lasst es jedoch zu, die Frage der nachtlichen Erreichbarkeit\neines Ermittlungsrichters dagegen vom praktischen Bedarf in dem jeweiligen\nGerichtsbezirk abhangig zu machen.\n\n61\n\n \n\nDer geringere nachtliche Bedarf folgt schon aus dem Umstand, dass\nWohnungsdurchsuchungen nachts wegen des besonderen Schutzes der Nachtruhe nur\nausnahmsweise zulassig sind. Dieser besondere Schutz der Nachtruhe hat seine\nverfassungsrechtliche Grundlage in Art. 13 Abs. 1 GG. Nachtliche\nDurchsuchungen sind von Verfassungs wegen nur ausnahmsweise zulassig, weil\neine Wohnungsdurchsuchung wahrend dieser Zeit ungleich starker in die\nRechtssphare des Betroffenen eingreift als zur Tageszeit. Stellt bereits die\nDurchsuchung der Wohnung bei Tage einen schwerwiegenden Eingriff in die\ngrundrechtlich geschutzte Lebenssphare des Wohnungsinhabers dar, sind bei\neiner nachtlichen Wohnungsdurchsuchung zusatzlich die Nachtruhe und die damit\nverbundene besondere Privatsphare betroffen (vgl. Park, Durchsuchung und\nBeschlagnahme, 4. Aufl. 2018, Rn. 185; Benfer/Bialon, Rechtseingriffe von\nPolizei und Staatsanwaltschaft, 4. Aufl. 2010, Rn. 416).\n\n62\n\n \n\nc) Dem hat der Gesetzgeber grundsatzlich auch Rechnung getragen. Gemaß § 104\nAbs. 1 StPO durfen Wohn- und Geschaftsraume sowie befriedetes Besitztum mit\nAusnahme der in § 104 Abs. 2 StPO genannten Raumlichkeiten wahrend der\nNachtzeit im Sinne von § 104 Abs. 3 StPO nur bei Verfolgung auf frischer Tat,\nbei Gefahr im Verzug oder zur Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen\ndurchsucht werden. Gefahr im Verzug als in der Praxis haufigster Ausnahmefall\nliegt vor, wenn der Aufschub der Durchsuchung bis zum Tagesbeginn ihren Erfolg\nwahrscheinlich gefahrden wurde, beispielsweise, weil in der Zwischenzeit\nBeweismittel vernichtet werden konnten (vgl. Hauschild, in: Munchener\nKommentar zur StPO, 1. Aufl. 2014, § 104 Rn. 7; Schmitt, in: Meyer-\nGoßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 104 Rn. 4). Zwar schrankt § 104 Abs. 1\nStPO nicht den nachtlichen Erlass von Durchsuchungsanordnungen ein, sondern\nlediglich deren Vollzug. Allerdings wird der Bedarf an\nDurchsuchungsanordnungen in dem Zeitraum, in dem sich aus § 104 Abs. 1 und\nAbs. 3 StPO keine Einschrankungen fur den Vollzug von Durchsuchungsanordnungen\nergeben, regelmaßig deutlich großer sein als zur Nachtzeit im Sinne von § 104\nAbs. 3 StPO. Die Stellungnahmen der befragten Lander zeigen, dass die\nFallzahlen nachts grundsatzlich deutlich geringer sind als tagsuber.\n\n63\n\n \n\nd) Der gemaß Art. 13 Abs. 1 GG gebotene Schutz vor nachtlichen\nWohnungsdurchsuchungen wird von § 104 StPO jedoch nur unvollkommen gewahrt.\nSoweit die in § 104 Abs. 3 StPO definierte Nachtzeit und damit die\nEinschrankungen des § 104 Abs. 1 StPO in den Monaten April bis September\nbereits um 4 Uhr morgens enden, bildet die Vorschrift nicht mehr die\nLebenswirklichkeit ab. Vielmehr sind nach den heutigen Lebensgewohnheiten\nmindestens die Stunden zwischen 4 Uhr und 6 Uhr noch der Nacht zuzurechnen.\n\n64\n\n \n\n§ 104 StPO hat seit dem Inkrafttreten der Strafprozessordnung am 1. Oktober\n1879 nur geringfugige Änderungen erfahren; die in § 104 Abs. 3 StPO genannten\nZeiten sind unverandert geblieben. Die Vorschrift spiegelt die noch weithin\nagrarischen Lebensverhaltnisse der Gesellschaft zur Zeit der Schaffung der\nStrafprozessordnung wieder und tragt der zwischenzeitlichen Veranderung der\nsoziokulturellen Verhaltnisse und den modernen Lebensgewohnheiten nicht\nRechnung. Sie ist insofern nicht mehr zeitgemaß, als sie nicht berucksichtigt,\ndass die Tageszeit heute fur den weit uberwiegenden Teil der Bevolkerung auch\nzwischen April und September nicht schon um 4 Uhr morgens beginnt (vgl.\nGercke, in: Gercke/Julius/Temming/Zoller, StPO, 6. Aufl. 2019, § 104 Rn. 9;\nPark, Durchsuchung und Beschlagnahme, 4. Aufl. 2018, Rn. 190; Tsambiakis, in:\nLowe-Rosenberg, StPO, Bd. 3, 27. Aufl. 2018, § 104 Rn. 4; Schafer, in: Lowe-\nRosenberg, StPO, Bd. 2, 25. Aufl. 2003, § 104 Rn. 4; Amelung, in:\nAlternativkommentar zur StPO, Bd. 2, Teilbd. 1, 1992, § 104 Rn. 18).\n\n65\n\n \n\nAnders als im Strafprozessrecht hat der Gesetzgeber den Wandel der\nLebensverhaltnisse im Bereich des Zivilprozessrechts nachvollzogen. Mit der\nEinfugung der Definition der Nachtzeit in § 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO durch das\nZustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 (BGBl I S. 1206) hat er zum Ausdruck\ngebracht, dass eine einheitliche Nachtzeit von 21 Uhr bis 6 Uhr der\nLebenswirklichkeit am nachsten kommt. Weil § 188 ZPO in der bis zum 30. Juni\n2002 gultigen Fassung mit dem Zustellungsreformgesetz durch eine neue Regelung\nersetzt wurde und die dem § 104 Abs. 3 StPO entsprechende Definition der\nNachtzeit in § 188 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. deshalb ersatzlos wegfiel, sah der\nGesetzgeber es als notwendig an, eine Definition der Nachtzeit an anderer\nStelle in die Zivilprozessordnung einzufugen, wobei er sich fur die "fur die\nPraxis relevante[n] Stelle" in § 758a ZPO entschied (vgl. BTDrucks 14/4554, S.\n26). Er begnugte sich jedoch nicht mit der schlichten Übernahme der\nbestehenden Regelung in § 188 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F., sondern schuf bewusst\neine hinsichtlich der Zeit von 4 Uhr bis 6 Uhr morgens in den Monaten April\nbis September abweichende Regelung.\n\n66\n\n \n\ne) Weil nach den heutigen Lebensgewohnheiten zumindest die Zeit zwischen 21\nUhr und 6 Uhr ganzjahrig als Nachtzeit anzusehen ist (vgl. BVerfG, Urteil des\nZweiten Senats vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 309/15 u.a. -, Rn. 100), ist es von\nVerfassungs wegen geboten, dass sich der Schutz vor nachtlichen\nWohnungsdurchsuchungen auch in den Monaten April bis September auf die Zeit\nvon 4 Uhr bis 6 Uhr morgens erstreckt. Dies folgt unmittelbar aus Art. 13 Abs.\n1 GG. Dabei kann das Regelungskonzept aus § 104 Abs. 1 und Abs. 2 StPO\nubertragen werden, so dass Wohnungsdurchsuchungen zur Verfolgung auf frischer\nTat, bei Gefahr im Verzug oder zur Wiederergreifung eines entwichenen\nGefangenen zulassig bleiben und sich die Durchsuchungsbeschrankungen nicht auf\ndie in § 104 Abs. 2 StPO genannten Raume erstrecken.\n\n67\n\n \n\nf) Ist der Vollzug von Wohnungsdurchsuchungen danach ganzjahrig zwischen 21\nUhr und 6 Uhr eingeschrankt, kann entsprechend den obigen Ausfuhrungen fur\ndiese Zeit von einem regelmaßig deutlich geringeren Bedarf auch an Anordnungen\nvon Wohnungsdurchsuchungen ausgegangen werden. Dies rechtfertigt es, einen\nermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienst in der Zeit von 21 Uhr bis 6 Uhr\nvon Verfassungs wegen nur insoweit fur geboten zu erachten, als ein uber den\nAusnahmefall hinausgehender Bedarf an nachtlichen Durchsuchungsanordnungen\nbesteht. Soweit dies nicht der Fall ist, bleibt das in Art. 13 Abs. 2 GG\nstatuierte Regel-Ausnahme-Verhaltnis auch ohne die nachtliche Erreichbarkeit\ndes Ermittlungsrichters gewahrt.\n\n68\n\n \n\n4\\. Ob und inwieweit ein uber den Ausnahmefall hinausgehender Bedarf an\nnachtlichen Durchsuchungsanordnungen die Einrichtung eines\nermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit erfordert, haben\ndie Gerichtsprasidien nach pflichtgemaßem Ermessen in eigener Verantwortung zu\nentscheiden. Fur die Art und Weise der Bedarfsermittlung steht ihnen ein\nBeurteilungs- und Prognosespielraum zu.\n\n69\n\n \n\na) Nach § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG bestimmt das Gerichtsprasidium die Besetzung\nder Spruchkorper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und\nverteilt die Geschafte. Seine Aufgaben nimmt es in voller richterlicher\nUnabhangigkeit wahr und ist dabei nur an Recht und Gesetz gebunden (vgl.\nKissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 21e Rn. 7, 20). Zur Aufgabe des Prasidiums\ngehort die konkrete Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes. Fur\nunaufschiebbare Geschafte außerhalb der ublichen Dienstzeiten sowie an\ndienstfreien Tagen muss es zustandige Richter bereitstellen, soweit dazu ein\nverfassungsrechtliches Gebot besteht (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, §\n21e Rn. 136; Breidling, in: Lowe-Rosenberg, StPO, Bd. 10, 26. Aufl. 2010, §\n21e GVG Rn. 84; Muller/Kische, DRiZ 2018, S. 352 <353>). Fur den\nermittlungsrichterlichen Aufgabenbereich obliegt es daher den Prasidien der\nAmtsgerichte am Sitz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Zweigstelle (vgl. § 162\nAbs. 1 Satz 1 StPO) oder - im Falle der Bereitschaftsdienstkonzentration nach\n§ 22c GVG - dem Prasidium des Landgerichts im Einvernehmen mit den Prasidien\nder einbezogenen Amtsgerichte (vgl. § 22c Abs. 1 Satz 4 GVG), eine\nPrognoseentscheidung daruber zu treffen, ob und inwieweit in dem betroffenen\nGerichtsbezirk ein uber den Ausnahmefall hinausgehender praktischer Bedarf fur\ndie Einrichtung eines nachtlichen ermittlungsrichterlichen\nBereitschaftsdienstes besteht (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 21e\nRn. 136 und § 22c Rn. 1).\n\n70\n\n \n\nb) Ein uber den Ausnahmefall hinausgehender Bedarf an nachtlichen\nDurchsuchungsanordnungen im Sinne der Rechtsprechung des\nBundesverfassungsgerichts liegt vor, wenn das durch Art. 13 Abs. 2 GG\nvorgegebene Regel-Ausnahme-Verhaltnis ohne die nachtliche Erreichbarkeit eines\nErmittlungsrichters nicht mehr gewahrt ware. Von der Einrichtung eines\nnachtlichen ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes kann mithin nur\nabgesehen werden, soweit nachts Durchsuchungsanordnungen lediglich in sehr\ngeringem Umfang anfallen.\n\n71\n\n \n\nc) Auf welche Weise die Gerichtsprasidien den tatsachlichen Bedarf an\nnachtlichen Durchsuchungsanordnungen in den jeweiligen Gerichtsbezirken\nschatzen, fallt in ihren Beurteilungs- und Prognosespielraum. Legen die\nGerichtsprasidien ihrer Bedarfsprognose keine statistischen Erhebungen\nzugrunde, sondern greifen auf allgemeine Erfahrungswerte zuruck, mussen diese\nhinreichend plausibel sein. Ein plausibler Erfahrungswert kann der Umstand\nsein, dass in Großstadten zur Abend- und Nachtzeit signifikant mehr\neilbedurftige Antrage auf Erlass von Durchsuchungsanordnungen anfallen als in\nlandlichen Gerichtsbezirken (vgl. einerseits BVerfGK 9, 287 <290> zur\nGroßstadt Munchen und andererseits BVerfGK 2, 176 <178> zum Land Brandenburg).\nAuch konnen die Grenznahe eines Gerichtsbezirks, wenn sie erfahrungsgemaß in\ngroßerem Umfang zu grenzuberschreitender Kriminalitat fuhrt, oder der Umstand,\ndass sich im Gerichtsbezirk ein bekannter Kriminalitatsschwerpunkt befindet,\ndarauf schließen lassen, dass zur Nachtzeit ein uber den Ausnahmefall\nhinausgehender Bedarf an Durchsuchungsanordnungen besteht. Ein solcher\nerhohter Bedarf kann schließlich zeitlich begrenzt wahrend der Dauer von\nGroßereignissen auftreten (vgl. z.B. BVerfGK 7, 87 <102> zur Erforderlichkeit\nder Einrichtung eines richterlichen Eildienstes zur Nachtzeit aufgrund von zu\nerwartenden gefahrenabwehrrechtlichen Masseningewahrsamnahmen anlasslich eines\nCastor-Transports). Maßgeblich sind stets die spezifischen Verhaltnisse im\neinzelnen Gerichtsbezirk, so dass sich generelle Vorgaben verbieten.\n\n \n\nII.\n\n72\n\n \n\nDiesen Maßstaben werden die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen\nnicht gerecht, soweit sie die Durchsuchungsanordnung der Staatsanwaltschaft\nRostock vom 14. September 2013 als rechtmaßig erachtet haben.\n\n73\n\n \n\n1\\. Das Amtsgericht hat sich bereits nicht mit dem Richtervorbehalt in Art. 13\nAbs. 2 GG auseinandergesetzt und nicht gepruft, ob die\nBereitschaftsstaatsanwaltin wegen Gefahr im Verzug zur Anordnung der\nDurchsuchung berechtigt war. Es hat seine Entscheidung vom 30. Januar 2014\nunzureichend nur mit dem Vorliegen eines Anfangsverdachts begrundet.\n\n74\n\n \n\n2\\. Das Landgericht hat den Verfassungsverstoß nicht ausgeraumt. Es hat sich\nzwar mit der Frage befasst, ob die Bereitschaftsstaatsanwaltin ihre\nZustandigkeit wegen Gefahr im Verzug annehmen durfte. Bei der Auslegung des\nBegriffs Gefahr im Verzug hat es die sich aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG\nergebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben jedoch nicht beachtet. Entgegen der\nvon ihm vertretenen Auffassung konnte nicht dahingestellt bleiben, ob das\nAmtsgericht Rostock seiner aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG folgenden\nVerpflichtung zur Einrichtung eines ermittlungsrichterlichen\nBereitschaftsdienstes nachgekommen war.\n\n75\n\n \n\na) Das Landgericht hat die Frage, ob Gefahr im Verzug vorlag, ausschließlich\nanhand der tatsachlichen Moglichkeiten der mit der Sache befassten\nBereitschaftsstaatsanwaltin und somit nur anhand der tatsachlichen\nErreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei dem Amtsgericht Rostock beurteilt.\nEs hat allein darauf abgestellt, ob die Bereitschaftsstaatsanwaltin davon\nausgehen durfte, dass die Einholung einer richterlichen Entscheidung, also ein\nZuwarten bis zum Beginn des vorhandenen richterlichen Bereitschaftsdienstes,\nden Durchsuchungszweck gefahrdet hatte. Ob das Amtsgericht Rostock\nverpflichtet war, einen ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienst fur den\nZeitraum einzurichten, in dem die Staatsanwaltin mit der Sache befasst war,\nhat es dagegen fur unmaßgeblich gehalten.\n\n76\n\n \n\nDer Verweis auf die tatsachliche Erreichbarkeit des ermittlungsrichterlichen\nBereitschaftsdienstes ist aber nur dann verfassungsrechtlich tragfahig, wenn\ndie konkrete Ausgestaltung den Anforderungen von Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG\ngenugt. Danach konnen Durchsuchungsanordnungen der Staatsanwaltschaft oder\nihrer Ermittlungspersonen nicht unter Berufung auf Gefahr im Verzug\ngerechtfertigt werden, wenn diese gerade aus der unter Verstoß gegen Art. 13\nAbs. 1 und Abs. 2 GG unterbliebenen Einrichtung eines ausreichenden\nermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes resultiert. Zwar kann den\nErmittlungsbehorden in einem solchen Fall keine Pflichtverletzung vorgeworfen\nwerden; darauf kommt es indes auch nicht an. Denn die Verpflichtung, die\nVoraussetzungen fur eine tatsachlich wirksame praventive richterliche\nKontrolle zu schaffen, richtet sich an alle staatlichen Organe. Diese\nVerpflichtung konnte unterlaufen werden, wenn die Rechtmaßigkeit von\nEingriffsmaßnahmen in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG letztlich mit einem\ndauerhaft Art. 13 Abs. 2 GG verletzenden Zustand der Gerichtsorganisation\nbegrundet werden konnte. Verletzen die Gerichtsprasidien ihre Pflicht zur\nEinrichtung eines das Regel-Ausnahme-Verhaltnis des Art. 13 Abs. 2 GG\nwahrenden ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes und stutzen die\nErmittlungsbehorden ihre Anordnungskompetenz deswegen auf Gefahr im Verzug,\nfuhrt dies zur Rechts- und Verfassungswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung.\n\n77\n\n \n\nb) Die Ausgestaltung der Bereitschaftsdienstzeiten bei dem Amtsgericht Rostock\nim Jahr 2013 wurde den Anforderungen aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG nicht\ngerecht. Am 14. September 2013 bestand - wie an allen anderen Samstagen auch -\nein richterlicher Prasenzbereitschaftsdienst im Zeitraum von 10 Uhr bis 12\nUhr, an den sich ein bis 21 Uhr dauernder Rufbereitschaftsdienst anschloss. Im\nZeitraum zwischen 6 Uhr und 10 Uhr war dagegen kein Ermittlungsrichter\nerreichbar. Die - unabhangig vom konkreten Bedarf gebotene - uneingeschrankte\nErreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage, die ausnahmslos auch fur\nSamstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage sicherzustellen ist, war auf\ndiese Weise nicht gewahrleistet. Ein Ermittlungsrichter hatte mindestens ab 6\nUhr erreichbar sein mussen. Der vom Landgericht irrtumlich angenommene Beginn\ndes Bereitschaftsdienstes um 11 Uhr ware demnach erst recht nicht geeignet\ngewesen, den Anforderungen aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu genugen.\n\n78\n\n \n\nc) Das Landgericht hatte sich daher mit der Frage auseinandersetzen mussen, ob\ndie Anordnung der Durchsuchung durch die Bereitschaftsstaatsanwaltin am 14.\nSeptember 2013 um 4:44 Uhr im Falle eines verfassungsgemaß eingerichteten\nermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes wegen Gefahr im Verzug\ngerechtfertigt gewesen ware. Dabei hatte es vorliegend nahegelegen, zunachst\nzu prufen, ob die Staatsanwaltschaft ohne Gefahrdung des Durchsuchungszwecks\nbis zur hypothetischen, von Verfassungs wegen mindestens gebotenen\nErreichbarkeit des Ermittlungsrichters um 6 Uhr morgens hatte zuwarten mussen,\num sodann eine richterliche Durchsuchungsanordnung zu beantragen. Hatte das\nLandgericht dies verneint, weil die durch die Einholung der richterlichen\nAnordnung bedingte zeitliche Verzogerung den Erfolg der Durchsuchung aus\nseiner Sicht gefahrdet hatte, hatte es sich mit der Frage auseinandersetzen\nmussen, ob fur das Prasidium des Amtsgerichts Rostock angesichts des Bedarfs\nan nachtlichen Durchsuchungsanordnungen Anlass bestanden hatte, die\nErreichbarkeit eines Ermittlungsrichters zum Zeitpunkt der staatsanwaltlichen\nDurchsuchungsanordnung sicherzustellen.\n\n \n\nD.\n\n79\n\n \n\nDie angegriffenen Beschlusse des Amtsgerichts und des Landgerichts verletzen\nden Beschwerdefuhrer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG,\nsoweit sie die Durchsuchungsanordnung der Staatsanwaltschaft Rostock vom 14.\nSeptember 2013 betreffen. Der Beschluss des Landgerichts Rostock vom 26.\nFebruar 2014 - 13 Qs 27/14 (9) - wird insoweit aufgehoben und die Sache zur\nerneuten Entscheidung an das Landgericht Rostock zuruckverwiesen (§ 95 Abs. 2\nBVerfGG).\n\n80\n\n \n\nEntsprechend dem Umfang, in dem der Beschwerdefuhrer mit seiner\nVerfassungsbeschwerde erfolgreich ist, hat das Land Mecklenburg-Vorpommern ihm\ngemaß § 34a Abs. 2 BVerfGG die Halfte seiner notwendigen Auslagen zu\nerstatten. Insoweit erledigt sich sein Antrag auf Bewilligung von\nProzesskostenhilfe und Beiordnung seines Bevollmachtigten (vgl. BVerfGE 62,\n392 <397>; 71, 122 <136 f.>; 105, 239 <252>). Im Übrigen liegen die\nVoraussetzungen fur eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels\nhinreichender Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde nicht vor (§ 114 Abs.\n1 Satz 1 ZPO analog).\n\n
318,064
bag-2018-12-12-4-azr-6817
7
Bundesarbeitsgericht
bag
Bundesrepublik Deutschland
Arbeitsgerichtsbarkeit
Bundesgericht
4 AZR 68/17
2018-12-12
2019-04-02 12:17:29
2019-04-02 12:17:29
Urteil
ECLI:DE:BAG:2018:121218.U.4AZR68.17.0
\n\n
319,329
vg-stuttgart-2019-03-13-3-k-281417
160
Verwaltungsgericht Stuttgart
vg-stuttgart
Stuttgart
Baden-Württemberg
Verwaltungsgerichtsbarkeit
3 K 2814/17
2019-03-13
2019-05-16 10:01:14
2020-12-10 13:22:03
Urteil
## Tenor\n\nDie Klage wird abgewiesen.\n\nDer Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.\n\n## Tatbestand\n\n| | \n--- \n| 1 \n--- \n| Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Versorgungsbezügen. \n--- \n| 2 \n--- \n| Der im Jahre 1946 geborene Kläger war seit 1972 als verbeamteter Lehrer –\nzuletzt als Oberstudienrat – im Schuldienst des beklagten Landes tätig und\nwurde nach Vollendung seines 64. Lebensjahres im Jahre 2010 und Ablauf des\nSchuljahres 2009/2010 zum 31.07.2010 in den Ruhestand versetzt. Seit dem\n01.08.2010 bezieht der Kläger von dem beklagten Land Versorgungsbezüge als\nRuhestandsbeamter. \n--- \n| 3 \n--- \n| Im Zeitraum vom 01.10.2010 – 31.10.2010 und vom 01.01.2011 – 28.02.2011\narbeitete der Kläger als Lehrkraft bei der I. GmbH in H. (fortan: I. GmbH) und\nhielt dort Lehrveranstaltungen in Form von – teilweise monatsübergreifenden –\nKursen. Die Bezahlung erfolgte auf Grundlage kursbezogener Rechnungen, in\ndenen die für die jeweiligen Kurse gehaltenen Unterrichtsstunden berechnet\nwurden. \n--- \n| 4 \n--- \n| Damit ergaben sich folgende Einkünfte: \n--- \n--- \n| 5 \n--- \n| \n--- \n| Oktober 2010 \n--- \n| Januar 2011 \n--- \n| Februar 2011 \n--- \n| 256,00 EUR + 128,00 EUR + 448,00 EUR = 832,00 EUR \n--- \n| 210,00 EUR + 700,00 EUR = 910,00 EUR \n--- \n| 910,00 EUR + 2520,00 EUR = 3430,00 EUR \n--- \n--- \n| 6 \n--- \n| Hinsichtlich der zeitlichen Aufteilung und des genauen Umfangs der\nLeistungen wird auf die in den Behördenakten befindlichen Abrechnungen\nverwiesen. Zusätzlich hierzu erzielte der Kläger weiteres Einkommen in Höhe\nvon 815,94 EUR aus einer nichtselbstständigen Tätigkeit bei der W.-Schule in\nH. \n--- \n| 7 \n--- \n| Mit Bescheid vom 17.12.2010 stellte das Landesamt für Besoldung und\nVersorgung Baden–Württemberg (fortan: Landesamt) die Berechnungsgrundlagen für\ndie Regelung der Versorgungsbezüge nach § 52 BeamtVG fest. Im Bescheid wurde\nweiter darauf hingewiesen, dass Versorgungsbezüge neben einem Erwerbs- oder\nErwerbsersatzeinkommen nur bis zum Erreichen der Höchstgrenze gezahlt werden.\nIm Falle einer Überschreitung würden die Versorgungsbezüge gekürzt. Da der\nKläger Erwerbs- bzw. Erwerbsersatzeinkommen beziehe, seien die\nVersorgungsbezüge ab dem 01.09.2010 zu regeln. Nach der angefügten\nÄnderungsmitteilung 1/2011 betrugen die Bezüge monatlich 3.565,82 EUR bei\neiner Höchstgrenze von 4.941,82 EUR. Schließlich wies der Bescheid auf die\nAnzeigepflicht des Klägers hinsichtlich seines gesamten Erwerbseinkommens hin. \n--- \n| 8 \n--- \n| Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 19.01.2011 Widerspruch und\nführte zur Begründung aus, ihn träfe keine Auskunftspflicht hinsichtlich des\nEinkommens, das nicht Verwendungseinkommen sei. Dies folge daraus, dass er die\nRegelaltersgrenze erreicht habe und damit nicht § 68 Abs. 5 LBeamtVG, sondern\nallein § 68 Abs. 6 LBeamtVG Anwendung finden müsse. \n--- \n| 9 \n--- \n| Hierauf erläuterte das Landesamt mit Schreiben vom 18.05.2011 die\nAuskunftspflicht unter Hinweis auf die Möglichkeit der Kürzung der Bezüge bei\nVerweigerung der Auskünfte nach § 9 Abs. 4 LBeamtVG und führte weiter aus, der\nKläger sei durch den Bescheid vom 17.12.2010 bereits nicht beschwert, da es\nbislang nicht zu einer Anrechnung seiner Einkünfte gekommen sei. \n--- \n| 10 \n--- \n| Mit Schreiben vom 12.07.2011 teilte der Kläger dem Landesamt sein Brutto-\nEinkommen für seine Tätigkeit bei der I. GmbH mit und legte mit Schreiben vom\n14.07.2011 ergänzende Kopien seiner der I. GmbH vorgelegten Rechnungen für\nseine Lehrtätigkeit vor. \n--- \n| 11 \n--- \n| Mit Bescheid vom 19.07.2011 stellte das Landesamt fest, dass die\nVersorgungsbezüge insoweit ruhen, als die Gesamtversorgung die Höchstgrenze\nüberstiege. Überdies wurde die Höhe der Überzahlung von Versorgungsbezügen mit\n3.261,81 EUR berechnet. Da die Zahlung der Versorgungsbezüge vorbehaltlich\neiner Ruhensregelung erfolge, käme weder der Einwand des Wegfalls der\nBereicherung, noch das Absehen von Rückforderungen aus Billigkeitsgründen in\nBetracht. \n--- \n| 12 \n--- \n| Auch hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19.08.2011 Widerspruch\nein. Daraufhin wurde er mit Schreiben vom 23.11.2011 zur Anrechnung von\nErwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen angehört. Ein Widerspruchsbescheid\nbezüglich des Widerspruchs vom 19.08.2011 erging bis zum Zeitpunkt der\nmündlichen Verhandlung nicht. \n--- \n| 13 \n--- \n| Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2012 wies das Landesamt den Widerspruch\ndes Klägers vom 19.01.2011 zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen\naus, das Einkommen des Klägers habe aufgrund der jeweils maßgeblichen\nRegelungen der § 68 LBeamtVG bzw. § 53 BeamtVG F. 2006 auf seine\nVersorgungsbezüge angerechnet werden müssen, da es vor Erreichen der\nmaßgeblichen Regelaltersgrenze von 65 Jahren erworben wurde. Daraus ergäbe\nsich auch die korrespondierende Mitteilungspflicht. \n--- \n| 14 \n--- \n| Mit weiterem Schreiben vom 27.03.2013 wurde dem Kläger unter Hinweis auf den\nWiderspruchsbescheid vom 12.12.2012 die entstandene Überzahlung in Höhe von\n3.261,81 EUR erneut mitgeteilt und er zu einer Rückforderung und deren\nModalitäten angehört. \n--- \n| 15 \n--- \n| Mit Schreiben vom 28.04.2013 rügte der Kläger die fehlende Rechtsgrundlage\nfür die Anrechnung und die Art und Weise der Berechnung, insbesondere die\nNichtberücksichtigung von Werbungskosten. Da er die Einkünfte nicht\nmonatsbezogen erzielt habe, sei zudem eine jährliche Betrachtungsweise\nangezeigt. \n--- \n| 16 \n--- \n| Mit Bescheid vom 01.08.2013 forderte das Landesamt für den Zeitraum vom\n01.10.2010–31.10.2010 und vom 01.01.2011–28.02.2011 überbezahlte\nVersorgungsbezüge in Höhe von 3.261,81 EUR zurück und wiederholte zur\nBegründung im Wesentlichen seine bisherigen Ausführungen. \n--- \n| 17 \n--- \n| Gegen den Bescheid vom 01.08.2013 legte der Kläger mit Schreiben vom\n26.08.2013 Widerspruch ein und rügte ergänzend zu seinem vorhergehenden\nVortrag die Verfassungswidrigkeit der Anrechnungsvorschriften, sofern Lehrer\nzwangsläufig vor der Regelaltersgrenze aus dem Dienst ausscheiden müssten.\nAuch sei § 68 LBeamtVG nachträglich rückwirkend geändert worden, was eine\nverfassungswidrige Rückwirkung darstelle. \n--- \n| 18 \n--- \n| Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Landesamts vom 03.02.2017\nunter Wiederholung der bisherigen Ausführungen als unbegründet zurückgewiesen. \n--- \n| 19 \n--- \n| Der Kläger hat am 03.02.2017 Klage erhoben, zu deren Begründung er unter\nVertiefung seiner Argumentation aus dem Widerspruchsverfahren im Wesentlichen\nvorbringt, die Anrechnungsregelungen seien verfassungswidrig, insoweit eine\nausgleichslose Anrechnung von Erwerbseinkommen im Falle einer vorgezogenen\nAltersgrenze für Lehrer erfolge. Auch sei in der vorliegenden Konstellation\ndie Ausnahmeregelung des § 53 Abs. 8 BeamtVG, bzw. § 68 Abs. 6 LBeamtVG\nanzuwenden, da er die maßgebliche Altersgrenze erreicht habe und somit nur\nnoch Verwendungseinkommen anrechnungsrelevant sei. Jedenfalls aber sei die\nBerechnung der Rückforderung fehlerhaft, diese habe jahresbezogen und unter\nBerücksichtigung seiner Werbungskosten zu erfolgen. \n--- \n| 20 \n--- \n| Der Kläger beantragt, \n--- \n| 21 \n--- \n| den Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung vom 01.08.2013 und\ndessen Widerspruchsbescheid vom 03.02.0217 aufzuheben. \n--- \n| 22 \n--- \n| Der Beklagte beantragt, \n--- \n| 23 \n--- \n| die Klage abzuweisen. \n--- \n| 24 \n--- \n| Zur Begründung wird im Wesentlichen die Argumentation des\nRückforderungsbescheids sowie des Widerspruchsbescheids aufgegriffen und\nvertieft. Die Anrechnungsregeln seien verfassungsgemäß und auch im Einzelfall\nrechtmäßig angewendet worden. Mangels Erreichen der Regelaltersgrenze sei das\ngesamte Erwerbseinkommen zu berücksichtigen gewesen. Auch die Berechnung sei\nkorrekt und unter Anrechnung der Werbungskosten erfolgt. Zudem ist eine\nBerechnungstabelle beigefügt, aus der sich der Rückforderungsbetrag ergibt. \n--- \n| 25 \n--- \n| Dem Gericht liegt die Verwaltungsakte des Landesamts vor. Wegen der weiteren\nEinzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf diese sowie auf die\nSchriftsätze der Beteiligten verwiesen. \n--- \n \n## Entscheidungsgründe\n\n| | \n--- \n| 26 \n--- \n| Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Rückforderungsbescheid des\nLandesamts vom 01.08.2013 und dessen Widerspruchsbescheid vom 03.02.0217 sind\nrechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs. 1 Satz\n1 VwGO). \n--- \n| 27 \n--- \n| Rechtsgrundlage für den Rückforderungsbescheid ist § 5 Abs. 2 LBeamtVG.\nDanach regelt sich die Rückforderung zu viel gezahlter Bezüge nach den\nVorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über die Herausgabe einer\nungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt\nist. Nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist zur Herausgabe verpflichtet, wer etwas\ndurch Leistung eines anderen ohne rechtlichen Grund erlangt. \n--- \n| 28 \n--- \n| Gemessen an diesen Voraussetzungen ist der Kläger zur Rückzahlung von\n3.261,81 EUR verpflichtet. Die Auszahlung des Ruhegehalts an den Kläger durch\ndas Landesamt erfolgte in der Zeit vom 01.10.2010 – 31.10.2010 und 01.01.2011\n– 28.02.2011 teilweise ohne rechtlichen Grund, da ihr insoweit durch die\ngesetzlichen Anrechnungsvorschriften ein rechtliches Hindernis entgegenstand\n(vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2013 – 2 C 17.12 – juris Rn. 10; BVerwG, Urteil\nvom 31.05.2012 – 2 C 18.10 – juris Rn. 11). \n--- \n| 29 \n--- \n| Für den Zeitraum vom 01.10.2010 – 31.10.2010 richtet sich die Anrechnung\nentsprechend § 108 Abs. 1 BeamtVG dabei nach § 53 BeamtVG in der Fassung vom\n31.08.2006 (fortan: BeamtVG 2006), für den Zeitraum vom 01.01.2011 –\n28.02.2011 nach § 68 LBeamtVG in der Fassung vom 09.11.2010 (GBl. S. 793;\nfortan: LBeamtVG a.F.). Gemäß dem im Wesentlichen gleichlautenden Wortlaut der\nNormen erhält ein Versorgungsberechtigter für den Fall, dass er Erwerbs- oder\nErwerbsersatzeinkommen bezieht, daneben seine Versorgungsbezüge nur bis zum\nErreichen der im jeweiligen Absatz 2 der Vorschriften bezeichneten\nHöchstgrenze (vgl. § 53 Abs. 1 BeamtVG 2006 und § 68 Abs. 1 LBeamtVG a.F.).\nErwerbseinkommen nach § 53 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG 2006 und § 68 Abs. 5 Satz\n1LBeamtVG a.F. sind dabei unter anderem Einkünfte aus nichtselbständiger\nArbeit, sowie Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die auf einer die\nArbeitskraft des Ruhestandsbeamten nennenswert beanspruchenden\nerwerbswirtschaftlichen Betätigung beruhen. \n--- \n| 30 \n--- \n| Daran gemessen überstieg das klägerische Einkommen aus Versorgungsbezügen\nund Erwerbseinkommen die für den Kläger geltenden Höchstgrenze im\nstreitgegenständlichen Zeitraum um insgesamt 3.261,81 EUR. Die Anrechnung war\ndabei zunächst nicht wegen Erreichens der Regelaltersgrenze ausgeschlossen\n(1.), die Anrechnungsnormen im Falle einer besonderen Altersgrenze unterliegen\nauch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (2.) und die\nBerechnung des überzahlten Betrages erfolgte fehlerfrei (3.). \n--- \n| 31 \n--- \n| 1\\. Die Anrechnung des Erwerbseinkommens ist entgegen des klägerischen\nVorbringens vorliegend nicht bereits wegen § 53 Abs. 8 BeamtVG 2006 (a.) und §\n68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. (b.) ausgeschlossen. \n--- \n| 32 \n--- \n| a. Nach § 53 Abs. 8 BeamtVG findet mit dem Ablauf des Monats, in dem der\nVersorgungsberechtigte das 65. Lebensjahr vollendet, eine Anrechnung nur\nhinsichtlich Erwerbseinkommens aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst\nstatt. Unstreitig hatte der im Jahre 1946 geborene Kläger jedoch im Zeitraum\nvom 01.10.2010 – 31.10.2010 das 65. Lebensjahr nicht vollendet, sodass das\ngesamte Erwerbseinkommen anrechnungspflichtig war. \n--- \n| 33 \n--- \n| b. Nach § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F findet mit dem Ablauf des Monats, in dem\nder Versorgungsberechtigte die nach § 36 Abs. 1 LBG in Verbindung mit Art. 62\n§ 3 Abs. 2 des Dienstrechtsreformgesetzes (DRG) berechnete Regelaltersgrenze\nerreicht, eine Anrechnung nur hinsichtlich Erwerbseinkommens aus einer\nVerwendung im öffentlichen Dienst statt. Nach § 36 Abs. 1 LBG erreichen Beamte\nauf Lebenszeit die Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand kraft\nGesetzes mit dem Ablauf des Monats, in dem sie das 67. Lebensjahr vollenden.\nArt. 62 § 3 Abs. 2 DRG bestimmt, dass abweichend von § 36 Abs. 1 LBG Beamte\nauf Lebenszeit die Altersgrenze bei Geburt im Jahr 1946 oder früher mit dem\nAblauf des Monats erreichen, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Auch\nhiernach liegt die für den im Jahre 1946 geborenen Kläger relevante\nAltersgrenze bei 65 Jahren, die er im Zeitraum 01.01.2011 – 28.02.2011 noch\nnicht erreicht hatte. \n--- \n| 34 \n--- \n| Entgegen der Ansicht des Klägers ist die für vor dem 01.01.1947 geborene\nLehrer geltende Regelaltersgrenze nicht mit dem Ende des Schuljahres erreicht,\nin dem diese das 64. Lebensjahr vollendeten. Diese besondere Altersgrenze für\nLehrkräfte wird in § 36 Abs. 2 LBG. i.V.m. Art. 62 § 3 Abs. 3 DRG geregelt.\nDabei handelt es sich jedoch gerade nicht um die allgemeine Regelaltersgrenze,\nweshalb § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. auch nur auf § 36 Abs. 1 LBG i.V.m. Art. 62\n§ 3 Abs. 2 DRG – die die allgemeinen Regelaltersgrenzen enthalten – verweist\nund nicht auf § 36 Abs. 2 LBG i.V.m. Art. 62 § 3 Abs. 3 DRG, die die für\nLehrer maßgeblichen besonderen Altersgrenzen regeln. \n--- \n| 35 \n--- \n| Die Änderung des § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. mit Gesetz vom 24.07.2012 (GBl.\nS. 482) zum 01.01.2011 entfaltet entgegen des klägerischen Vorbringens keine\nverfassungswidrige echte Rückwirkung. \n--- \n| 36 \n--- \n| Zwar kann grundsätzlich auch die Klarstellung einer Norm dem\nRechtsstaatsprinzip für rückwirkende Rechtssetzung widersprechen. Das Verbot\necht rückwirkender Gesetze ist materiell aber durch eine formal rückwirkende\nNorm nur dann betroffen, wenn diese Vorschrift konstitutiven Charakter hat,\ndie Rechtslage also nicht lediglich klarstellt. Andernfalls kann das Vertrauen\nin das geltende Recht von vornherein nicht berührt sein, weil das geltende\nRecht nachträglich keine materielle Änderung erfahren hat (BVerfG, Beschluss\nvom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08 – juris Rn. 45). Ob eine rückwirkende\nGesetzesänderung gegenüber dem alten Recht deklaratorisch oder konstitutiv\nwirkt, hängt vom Inhalt des alten und des neuen Rechts ab, der durch Auslegung\nermittelt werden muss (BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08 – a.a.O.\nRn. 46). \n--- \n| 37 \n--- \n| Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die rückwirkende Änderung des\nWortlautes des § 68 Abs. 6 LBeamtVG als lediglich deklarative Klarstellung.\nZwar ist die in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Auffassung, der\nneu gefasste Wortlaut diene lediglich der redaktionellen Klarstellung (vgl.\nLT-Drs. 15/1719, S. 21), für das Gericht nicht verbindlich. Sie schränkt weder\ndie Kontrollrechte und –pflichten ein noch relativiert sie die für sie\nmaßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (vgl. BVerfG, Beschluss vom\n17.12.2013 – 1 BvL 5/08 – a.a.O. Rn. 47). \n--- \n| 38 \n--- \n| Im Wege der Auslegung ergibt sich indes, dass § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. auch\nin seiner ursprünglichen Fassung vom 09.11.2010 denselben Inhalt hatte wie in\nder geänderten Fassung. § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. bezieht sich in seiner\nursprünglichen Fassung vom 09.11.2010 (GBl. S. 793) zur Bestimmung des\nZeitpunktes, ab dem nur noch Verwendungseinkommen angerechnet wird, nach\nseinem Wortlaut auf die „jeweils maßgebliche gesetzliche Regelaltersgrenze“. \n--- \n| 39 \n--- \n| Allein aus dem Wortlaut lässt sich damit zwar nicht ermitteln, welche\nkonkrete Altersgrenze einschlägig ist. Jedoch ist bereits auf der Ebene des\nWortlauts zu beachten, dass der Gesetzgeber grundsätzlich terminologisch\nzwischen der Regelaltersgrenze und den besonderen Altersgrenzen unterscheidet\nund diese Begriffe bewusst verwendet (vgl. zur vorherigen Rechtslage die\nSystematik von § 51 Abs. 1 Satz 2 BBG, der insoweit zwischen der\nRegelaltersgrenze und gesetzlich bestimmten, besonderen Altersgrenzen\ndifferenziert und die entsprechenden Legaldefinitionen festlegt). Während\ndiese Differenzierung im Wortlaut des § 36 LBG keinen ausdrücklichen\nNiederschlag gefunden hat, ergibt sich jedoch aus der Gesetzesbegründung zu §\n36 Abs. 1 LBG, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle die – ausdrücklich als\nsolche bezeichnete – gesetzliche Regelaltersgrenze regeln wollte (vgl. LT-Drs.\n14/6694, S. 417 f.). \n--- \n| 40 \n--- \n| Systematisch wird dieses Argument dadurch bestärkt, dass der\nLandesgesetzgeber in § 68 Abs. 2 Nr. 3 LBeamtVG a.F. auf die Regelaltersgrenze\nBezug nimmt und diese dort nach § 36 Abs. 1 LBG i.V.m. Artikel 62 § 3 Abs. 2\nDRG bestimmt. Damit liegt es nahe, die Formulierung des Absatzes 6 nur als\nBinnenverweis auf die in Absatz 2 getroffene Definition zu verstehen. Dass\ninnerhalb derselben Norm nicht zweifach auf dieselben Vorschriften zur\nErmittlung der Altersgrenze verwiesen wird, kann durchgreifende Zweifel daran,\ndass der Gesetzgeber von einem einheitlichen Verständnis der Regelaltersgrenze\nausgehen wollte, nicht begründen. Insoweit ist von einer reinen sprachlichen\nUnschärfe auszugehen, die durch die klarstellende Änderung beseitigt werden\nsollte. \n--- \n| 41 \n--- \n| Dem steht auch nicht entgegen, dass der § 68 Abs. 6 LBeamtVG in der Fassung\nvom 09.11.2010 von der „jeweils“ maßgeblichen Regelaltersgrenze spricht. Denn\ndas Wort „jeweils“ bezieht sich nicht etwa – wie vom Kläger angedeutet – auf\ndie besonderen Altersgrenzen, sondern auf die vom Geburtsjahr abhängige\nallgemeine Regelaltersgrenze, die näher in Artikel 62 § 3 Abs. 2 DRG\nausgeführt wird. Hätte der Gesetzgeber abweichend von der bisherigen\nRegelungsstruktur aus dem BeamtVG regeln wollen, dass die für die jeweiligen\nBeamtengruppen geltende Sonderaltersgrenze maßgeblich sein sollte, hätte\nnahegelegen, auch nur von der „jeweiligen Altersgrenze“ zu sprechen. \n--- \n| 42 \n--- \n| Diese Auslegung wird schließlich auch durch die historische Betrachtung\ngestützt. In seiner Begründung zu § 68 LBeamtVG a.F. hat der Gesetzgeber\nexplizit seinen Willen geäußert, Absatz 6 solle § 53 Abs. 8 BeamtVG in der bis\nzum 31. August 2006 geltenden Fassung entsprechen, der auf die allgemeine\ngesetzliche Regelaltersgrenze von 65 Jahren abstellt (LT-Drs. 14/6694, S.\n527). Dass es sich bei der nachträglichen Änderung lediglich um eine\nredaktionelle Klarstellung handelt, unterstreicht auch die Formulierung des\nGesetzgebers in der Gesetzesbegründung, die Vorschrift des § 68 Abs. 6\nLBeamtVG a.F. solle nicht „geändert“, sondern nur anders „gefasst“ werden. \n--- \n| 43 \n--- \n| Ein Unterschied der rechtlichen Regelungen ergibt sich damit trotz des\nabweichenden Wortlautes nicht, womit auch eine echte Rückwirkung bereits\ntatbestandlich ausscheidet. \n--- \n| 44 \n--- \n| 2\\. Die Anrechnungsvorschriften des § 53 Abs. 1 und 8 BeamtVG 2006, sowie §\n68 Abs. 1 und 6 LBeamtVG a.F. verstoßen entgegen der Ansicht des Klägers nicht\ngegen verfassungsrechtliche Grundsätze. \n--- \n| 45 \n--- \n| Zur Verfassungskonformität der Anrechnungsregeln des § 53 Abs. 1 und 8\nBeamtVG hat das BVerwG folgende Erwägungen angestellt, die auf § 68 Abs. 1 und\n6 LBeamtVG a.F. gleichermaßen Anwendung finden und denen sich das Gericht\numfassend anschließt. Dabei ist zu beachten, dass nach der ständigen\nRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Versorgungsgesetzgeber große\nBeurteilungs- und Entscheidungsspielräume zukommen (vgl. zuletzt Beschluss vom\n23.05.2017 – 2 BvL 10/11 –; – 2 BvL 28/14 – juris). \n--- \n| 46 \n--- \n| „Die zeitliche Anrechnungsgrenze des § 53 Abs. 8 Satz 1 BeamtVG verstößt\nnicht gegen den durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten\nAlimentationsgrundsatz, soweit sie auch privatwirtschaftliches\nErwerbseinkommen der Anrechnung unterwirft, das Ruhestandsbeamte in der Zeit\nzwischen dem Eintritt in den Ruhestand aufgrund einer besonderen Altersgrenze\nund der Vollendung des 65. Lebensjahres erzielen [...]. Zwar besteht der\nverfassungsrechtliche Anspruch auf amtsangemessene Alimentation grundsätzlich\nohne Rücksicht darauf, ob und inwieweit ein Beamter den amtsangemessenen\nLebensunterhalt aus seinem Vermögen oder aus Einkünften bestreiten kann, die\nnicht aus öffentlichen Kassen stammen. \n--- \n| 47 \n--- \n| Dieser Grundsatz wird jedoch durch den Gedanken des Vorteilsausgleichs\nüberlagert. Danach ist der Gesetzgeber berechtigt, die Anrechnung desjenigen\nEinkommens auf die Alimentation anzuordnen, das ein Ruhestandsbeamter nur\ndeshalb erzielen kann, weil seine Dienstleistungspflicht vorzeitig weggefallen\nist [...]. Die Ruhensregelungen des § 53 BeamtVG stellen eine gesetzliche\nKonkretisierung des Vorteilsausgleichs dar. \n--- \n| 48 \n--- \n| Der Vorteilsausgleich findet seine Rechtfertigung darin, dass das\nGleichgewicht zwischen Alimentationspflicht des Dienstherrn und\nDienstleistungspflicht des Beamten bei einem Eintritt in den Ruhestand vor\nErreichen der allgemeinen gesetzlichen Altersgrenze gestört ist. Beide\nPflichten stehen in einem engen sachlichen Zusammenhang. Der Dienstherr\nschuldet die Alimentation als Gegenleistung dafür, dass sich ihm der Beamte\nmit seiner ganzen Persönlichkeit zur Verfügung stellt und die übertragenen\nAufgaben nach besten Kräften erfüllt. Der vorzeitige Eintritt eines Beamten in\nden Ruhestand verschiebt dieses Pflichtengefüge zu Lasten des Dienstherrn,\nweil diesem die Arbeitskraft des Beamten zu früh verloren geht und er über\neinen längeren Zeitraum hinweg Versorgungsleistungen erbringen muss [...]. In\ndiesem Fall steht den Versorgungsbezügen keine zeitlich angemessene Dienstzeit\ngegenüber, so dass der Beamte die Altersversorgung noch nicht vollständig\nerdient hat. [...] \n--- \n| 49 \n--- \n| Vorzeitig ist auch ein Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens einer\nbesonderen, vor der Vollendung des 65. Lebensjahres liegenden gesetzlichen\nAltersgrenze. Auch hier ist das Gleichgewicht zwischen aktiver Dienstzeit und\nRuhestand nicht gewahrt. Denn gegenwärtig gibt der Gesetzgeber nur durch die\nFestlegung einer allgemeinen Altersgrenze zu erkennen, welches zeitliche\nVerhältnis von aktivem Dienst und Ruhestand er als angemessen ansieht. Erst\nbei Erreichen dieser Altersgrenze haben Beamte ihre Altersversorgung\nvollständig erdient. Daran orientiert sich die zeitliche Anrechnungsgrenze des\n§ 53 Abs. 8 Satz 1 BeamtVG (BT-Drs 13/9527 S. 40 f.). Die Bedeutung der\nallgemeinen Altersgrenze für die Bestimmung des Gleichgewichts zwischen\naktivem Dienst und Ruhestand folgt daraus, dass für ihre Festlegung nicht\nausschließlich Gesichtspunkte der Dienstfähigkeit der Beamten maßgebend sind.\nVielmehr ist die allgemeine Altersgrenze das Ergebnis gesundheits-, finanz-,\narbeitsmarkt- und personalpolitischer Erwägungen des Gesetzgebers. Hierzu\ngehören etwa die Entwicklung der Versorgungslasten und der Altersstrukturen\ndes öffentlichen Dienstes sowie die Erhaltung von Einstellungs- und\nBeförderungsmöglichkeiten.“ \n--- \n| 50 \n--- \n| (BVerwG, Urteil vom 17.12.2008 – 2 C 26.07 – juris Rn. 9 -13 zum § 53\nBeamtVG in der insoweit gleichlauten Fassung vom 29. Juni 1998 (BGBl I S.\n1666, 1674) \n--- \n| 51 \n--- \n| Soweit das BVerwG in diesem Urteil weiter insoweit verkürzt ausführt, den\nbesonderen gesetzlichen Altersgrenzen für bestimmte Beamtengruppen läge\n„ausschließlich“ die generalisierende, auf Erfahrungswerten beruhende\nEinschätzung des Gesetzgebers zugrunde, das für die Dienstausübung\nerforderliche Leistungsvermögen und damit die Dienstfähigkeit dieser Beamten\nsei typischerweise bereits vor Erreichen der allgemeinen Altersgrenze nicht\nmehr gegeben, führt der Kläger zwar zurecht an, dass diese Erwägungen sich\nnicht auf die besondere Altersgrenze für Lehrer übertragen lassen. Denn diese\nhat der Gesetzgeber mit Bezug auf die Besonderheiten und Eigenheiten des\nSchulbetriebs eingeführt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.07.2017\n– 4 S 1764/16 – juris). Deshalb lässt sich auch daran zweifeln, ob auch bei\nLehrern der Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens einer besonderen\nAltersgrenze der Versetzung in den Ruhestand wegen individueller\nDienstunfähigkeit näher steht als dem Eintritt in den Ruhestand wegen\nErreichens der allgemeinen Altersgrenze (so im Hinblick auf die\nBeamtengruppen, bei denen die typisierte Vermutung einer vorzeitigen\nDienstunfähigkeit greift BVerwG, Urteil vom 17.12.2008 – 2 C 26.07 – a.a.O.\nRn. 15). \n--- \n| 52 \n--- \n| Trotzdem vermag dieser Einwand keine Verfassungswidrigkeit der\nAnrechnungsvorschriften und ihrer Anwendung im Einzelfall zu begründen. Zum\neinen sind gegen die besondere Altersgrenze für Lehrer durchgreifende Bedenken\nweder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Denn für eine von der gesetzlich\nbestimmten Regelaltersgrenze abweichende Altersgrenze sind allein sachliche\nGründe erforderlich, die in der Regel in der Eigenart der betreffenden\nAmtsaufgaben liegen werden. Solche stellen sowohl die Annahme einer\nvorzeitigen Dienstunfähigkeit als auch die Besonderheiten des Schuldienstes\ndar. Soweit der Kläger bemängelt, ihm sei dadurch die Möglichkeit genommen\nworden, seine vollen Dienstbezüge zu erdienen, liegt dies gerade im Wesen\neiner vorgezogenen Altersgrenze und vermag die Rechtswidrigkeit dieser nicht\nzu stützen. \n--- \n| 53 \n--- \n| Überdies bleibt der die Anrechnungsvorschriften tragende und legitimierende\nGesichtspunkt des Vorteilsausgleiches von diesen Erwägungen unberührt. So\nwurde auch dem Kläger gerade durch das im Vergleich zur regelmäßigen\ngesetzlichen Regelaltersgrenze frühere Ausscheiden aus dem aktiven Dienst die\nMöglichkeit eröffnet, sich mit der ihm verbliebenen Arbeitskraft in vollem\nUmfang einem privaten Gelderwerb zuzuwenden. Dadurch entging dem Dienstherrn\nspiegelbildlich die Nutzung der Dienstkraft des Klägers und er musste früher\nund damit länger Versorgungsbezüge zahlen. \n--- \n| 54 \n--- \n| Ebenso folgt aus den Anrechnungsvorschriften keine gleichheitswidrige\nBenachteiligung. Nach Art. 3 Abs. 1 GG ist der Gesetzgeber verpflichtet,\nwesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.\nDer allgemeine Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber grundsätzlich einen\nweiten Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung, an welche\nsachverhaltsbezogenen Differenzierungsmerkmale er eine Gleich– oder\nUngleichbehandlung anknüpft. Art. 3 Abs. 1 GG ist gewahrt, wenn sich im\nHinblick auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs ein vernünftiger Grund\nfür die gesetzliche Unterscheidung finden lässt (BVerwG, Urteil vom 17.12.2008\n– 2 C 26.07 – a.a.O. Rn. 16). \n--- \n| 55 \n--- \n| Gemessen hieran scheidet ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG aus. Durch den\nEintritt in den Ruhestand wegen Erreichens einer besonderen Altersgrenze\nmüssen Lehrer, gegenüber Beamten, für die die allgemeine Regelaltersgrenze\ngilt, zwar Einkommensverluste in Höhe der Differenz zwischen Dienst– und\nVersorgungsbezügen hinnehmen. Dies stellt jedoch keine gleichheitswidrige\nBenachteiligung dar. Denn die frühere Pensionierung aufgrund einer besonderen\nAltersgrenze stellt zugleich einen Vorteil dar, weil den Beamten Dienstjahre\nerlassen werden (BVerwG, Urteil vom 17.12.2008 – 2 C 26.07 – a.a.O. Rn. 18). \n--- \n| 56 \n--- \n| Soweit der Kläger weiter das Fehlen einer finanziellen Ausgleichsregelung\ni.S.d. § 48 Abs. 1 BeamtVG rügt, folgt hieraus nicht anderes. Denn es gibt\nkeinen hergebrachten Grundsatz im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG, dass im Falle\neiner Versetzung in den Ruhestand vor Erreichen der Regelaltersgrenze ein\nbesonderer finanzieller Ausgleich gewährt werden muss. Daher reicht es aus,\ndass die Möglichkeiten dieser Beamten, privatwirtschaftliches Erwerbseinkommen\nzu erzielen, nicht eingeschränkt sind und dieses Einkommen unabhängig von\nseiner Höhe, d.h. auch dann, wenn es die Versorgungsbezüge erheblich\nübersteigt, gemäß § 53 Abs. 5 Satz 1 BeamtVG 2006 bzw. § 68 Abs. 3 Satz 1\nLBeamtVG a.F. stets durch Zahlung von mindestens 20 v.H. des Ruhegehalts\naufgestockt wird (BVerwG, Urteil vom 17.12.2008 – 2 C 26.07 – a.a.O. Rn. 18). \n--- \n| 57 \n--- \n| Auch in diesem Zusammenhang ergibt sich vor dem obigen Prüfungsmaßstab kein\nGleichheitsverstoß, da im Hinblick auf die Eigenart des geregelten\nSachbereichs ein vernünftiger Grund für die gesetzliche Unterscheidung\nbesteht. So unterliegen die von der Ausgleichsregelung begünstigten\nBeamtengruppen der Vermutung einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit und scheiden\nmit 5 Jahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze signifikant früher aus dem\naktiven Dienst als Lehrer, bei denen der Zeitraum zwischen dem Erreichen der\nbesonderen Altersgrenze und der Regelaltersgrenze denknotwendig unter einem\nJahr liegt. Auch stellt die Ausgleichszahlung nach § 48 Abs. 1 BeamtVG gerade\nkeinen vollständigen Ausgleich des Differenzbetrages zwischen Dienst– und\nVersorgungsbezügen für den gesamten Zeitraum dar, sondern soll nur die diese\nBeamtengruppe treffende besondere Härte abmildern (BVerwG, Urteil vom\n17.12.2008 – 2 C 26.07 – a.a.O. Rn. 17). Angesichts der weiten\nGestaltungsfreiheit des Gesetzgebers kommt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG\ndamit nicht in Betracht. \n--- \n| 58 \n--- \n| Damit unterlag die grundsätzliche Anrechnung des Erwerbseinkommens des\nKlägers auf seine Versorgungsbezüge keinen durchgreifenden Bedenken. \n--- \n| 59 \n--- \n| 3\\. Da die Voraussetzungen der verfassungsgemäßen Anrechnungsnormen\nvorlagen, hat das Landesamt das Erwerbseinkommen des Klägers dem Grunde nach\nzutreffend auf seine Versorgungsbezüge angerechnet. Auch soweit der Kläger\nsich gegen die konkrete Art und Weise der Anrechnung wendet, vermag er nicht\ndurchzudringen. \n--- \n| 60 \n--- \n| Zutreffend ist das Landesamt bei der Berechnung von dem nach Zurückweisung\ndes Widerspruchs des Klägers bestandskräftig gewordenen Festsetzungsbescheid\nvom 17.10.2010 ausgegangen. Ein weiterer Anrechnungsbescheid war daneben nicht\nnotwendig. Der Wortlaut des § 53 Abs. 1 und 8 BeamtVG 2006 bzw. des § 68 Abs.\n1 und 6 LBeamtVG a.F. liefert keinen Hinweis für das Erfordernis eines\ngesonderten Bescheides, vielmehr erfolgt die Anrechnung von Erwerbseinkommen\nkraft Gesetzes. Das Erfordernis eines „Anrechnungsbescheides“ ergibt sich auch\nnicht als gegenläufiger Akt zu der ursprünglichen Festsetzung der\nVersorgungsbezüge durch den Versorgungsfestsetzungsbescheid. Denn durch die\nAnrechnung des Erwerbseinkommens erlischt nicht der Anspruch auf die Bezüge,\nwie dies etwa bei einer Aufhebung des Bescheides der Fall gewesen wäre,\nsondern es steht rechtlich ihrer Auszahlung ein Hindernis entgegen. Ein\netwaiger Bescheid hätte daher ohnehin nur feststellenden Charakter (vgl.\nBVerwG, Urteil vom 26.11.2013 – 2 C 17.12 – a.a.O Rn. 10; BVerwG, Urteil vom\n31.05.2012 – 2 C 18.10 – a.a.O. Rn. 11). \n--- \n| 61 \n--- \n| Somit ergibt sich in den Zeiträumen vom 01.10.2010 – 31.10.2010 und\n01.01.2011 – 28.02.2011 die Höhe der Versorgungsbezüge aus dem\nbestandskräftigen Bescheid vom 17.12.2010 und beträgt 3.565,82 EUR pro Monat.\nIm selben Bescheid wurde die Höchstgrenze zutreffend mit 4.941,82 EUR\nermittelt. Der Kläger erzielte aus der nichtselbstständigen Tätigkeit bei der\nW.-Schule in H. Einkommen in Höhe von 815,94 EUR monatlich und im Rahmen\nseiner Unterrichtstätigkeiten an der I. GmbH im Oktober 2010 832,- EUR, im\nFebruar 2011 910,- EUR und im Februar 2011 3430,- EUR an zusätzlichem\nErwerbseinkommen. Aus den Bescheiden ergibt sich auch explizit, dass das\nLandesamt monatlich 1/12 der Werbungskostenpauschale gegen das Erwerbsankommen\nin Ansatz gebracht hat. Der Kläger hat deshalb in der mündlichen Verhandlung\nseinen hierauf gerichteten Einwand nicht aufrecht erhalten. \n--- \n| 62 \n--- \n| Dies zugrunde gelegt ergibt sich folgende Berechnung: \n--- \n--- \n| 63 \n--- \n| \n--- \n| | **Okt. 10** \n--- \n| **Jan. 11** \n--- \n| **Feb. 11** \n--- \n| **Gezahlte Versorgungsbezüge** \n--- \n| 3.565,82 EUR \n--- \n| 3.565,82 EUR \n--- \n| 3.565,82 EUR \n--- \n| **Höchstgrenze** \n--- \n| 4.941,82 EUR \n--- \n| 4.941,82 EUR \n--- \n| 4.941,82 EUR \n--- \n| **Einkommen (anderweitig)** \n--- \n| 815,94 EUR \n--- \n| 815,94 EUR \n--- \n| 815,94 EUR \n--- \n| **Einkommen (I. GmbH)** \n--- \n| 832,00 EUR \n--- \n| 910,00 EUR \n--- \n| 3.430,00 EUR \n--- \n| **Werbungskosten** \n--- \n| -76,67 EUR \n--- \n| -76,67 EUR \n--- \n| -76,67 EUR \n--- \n| **anrechenbares Einkommen** \n--- \n| 1.571,27 EUR \n--- \n| 1.649,27 EUR \n--- \n| 4.169,27 EUR \n--- \n| **Gesamteinkommen** \n--- \n| 5.137,09 EUR \n--- \n| 5.215,09 EUR \n--- \n| 7.735,09 EUR \n--- \n| **Überzahlungsbetrag** \n--- \n| 195,27 EUR \n--- \n| 273,27 EUR \n--- \n| 2.793,27 EUR \n--- \n| **Überzahlungsbetrag (gesamt)** \n--- \n| 3.261,81 EUR \n--- \n| \n--- \n| 64 \n--- \n| Das Einkommen des Klägers wurde zurecht monatlich und nicht etwa\njahresbezogen angerechnet. Nach dem insoweit gleichlautenden Wortlaut der\njeweils einschlägigen § 53 Abs. 7 Satz 4, 5 BeamtVG a.F., bzw. § 68 Abs. 5\nSatz 4,5 LBeamtVG a.F erfolgt die Berücksichtigung des Erwerbs- und des\nErwerbsersatzeinkommens monatsbezogen. Nur, wenn Einkommen nicht in\nMonatsbeträgen erzielt wird, ist das Einkommen des Kalenderjahres, geteilt\ndurch zwölf Kalendermonate, anzusetzen. Nach der gesetzlichen Konzeption ist\ndamit die monatsbezogene Berücksichtigung des Einkommens die Regel. Lediglich\nin den Fällen, in denen eine Zuordnung des Einkommens zu einem bestimmten\nMonat ausgeschlossen ist, ist das Einkommen auf das gesamte Jahr gleichmäßig\naufzuteilen (zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 08.06.2017 – 2 C 46/16 – juris Rn.\n17 f. m. w. N.; vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 05.09.2017 – 1 A 2366/16.Z\n– juris Rn. 17). Maßgeblich für diese Abgrenzung ist nicht der Zeitpunkt der\nAuszahlung, sondern der Zeitraum, für den die betreffende Leistung eine\nVergütung darstellt. Erzielt ein Versorgungsempfänger für einen bestimmten\nZeitraum zusätzliche Einkünfte, ist für diese Zeitspanne ein sachlicher Grund\nfür die Anrechnung auf die vom Dienstherrn gewährleistete Alimentation\ngegeben. Die Bezugnahme auf den Zahlungsmonat ist gerechtfertigt, wenn die\ngeleistete Zahlung gerade auf diesen Monat bezogen ist – wie etwa bei einer\nzusätzlichen Vergütung für in diesem Monat erbrachte Dienstleistungen. Ist die\nZahlung dagegen nicht für den Auszahlungsmonat bestimmt, sondern eine\nzusätzliche, auf das gesamte Kalenderjahr abgestellte Vergütung, kann die\nLeistung für jeden Monat auch nur mit dem Teilbetrag berücksichtigt werden,\nder auf diesen Monat entfällt (BVerwG, Urteil vom 26.11.2013 – 2 C 17/12 –\na.a.O. Rn. 13). \n--- \n| 65 \n--- \n| Dies zugrunde gelegt ist das Landesamt zutreffend davon ausgegangen, dass\nder Kläger sein Einkommen in Monatsbeträgen erzielt hat. Daran ließe sich zwar\ninsoweit zweifeln, als der Kläger seine Abrechnungen gegenüber der I. GmbH für\ndie jeweiligen Lehrgänge gesammelt in Rechnung stellte und einzelne Rechnungen\nsich auf den Zeitraum von mehreren Monaten beziehen. Diese Überlegungen\nverfangen im Ergebnis jedoch nicht. Denn der Kläger wurde nicht etwa pauschal\nfür die Erbringung eines Lehrgangs entlohnt, sondern für die konkret in diesem\nZusammenhang gehaltenen Unterrichtsstunden. Diese lassen sich aber trotz der\nTatsache, dass der Kurs selbst über einen längeren Zeitraum erfolgte, ohne\nweiteres einzelnen Monaten zuordnen, sodass die Leistung eine Vergütung für\ndie Arbeitskraft in diesem Zeitraum darstellt. Im Wege der Gesamtschau ist\ndabei weiter zu berücksichtigen, dass auch der Kläger selbst in seiner\nAuflistung des Zuerwerbs eine Zuordnung zu den jeweiligen Monaten anhand der\nabgerechneten Stunden vornahm. Daher trägt auch das Argument nicht, Vor- und\nNachbereitungszeiten seien mit umfasst und überspannten die jeweiligen Monate.\nZunächst ist dem Landesamt zuzugestehen, es sei sehr ungewöhnlich, bei\nUnterrichtsstunden die Vor- und Nachbereitungszeiten gesondert zu berechnen,\nzumal sich dies aus den Rechnungen nicht ergibt. Selbst dies zugrunde gelegt,\nändert sich im Ergebnis nichts. Denn auch etwaige Vor- und\nNachbereitungszeiten ließen sich den jeweiligen Monaten zuordnen. Wann die I.\nGmbH die Honorare auszahlte und wann und in welcher Form der Kläger die\nRechnungen zu stellen hatte, spielt nach dem oben gesagten keine Rolle.\nWeitere Anhaltspunkte, dass eine nach der gesetzlichen Konzeption nur\nausnahmsweise Jahresberechnung erfolgen müsste, sind weder vorgebracht noch\nerkennbar. \n--- \n| 66 \n--- \n| Schließlich unterliegt die Entscheidung des Landesamtes, nicht von einer\nRückforderung nach billigem Ermessen abzusehen, keinen durchgreifenden\nrechtlichen Bedenken. Nach § 5 Abs. 2 Satz 3 LBeamtVG kann von der\nRückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde\noder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden. Die\nBilligkeitsentscheidung hat die Aufgabe, eine allen Umständen des Einzelfalls\ngerecht werdende, für die Behörde zumutbare, für den Bereicherten tragbare\nLösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige\nLebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen\n(vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1982 – 2 C 14.81 – juris Rn. 32; Urteil vom\n26.04.2012 – 2 C 15.10 – juris Rn. 24; Urteil vom 15.11.2016 – 2 C 9.15 –\njuris Rn. 32). Sie soll der besonderen Lage des Einzelfalls Rechnung tragen,\ndie formale Strenge des Besoldungs- und Versorgungsrechts auflockern und\nAusdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und\nGlauben sein und sich als sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen\nGrundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung auswirken\n(BVerwG, Urteil vom 21.09.1989 – 2 C 14.81 – a. a. O. Rn. 21; Urteil vom\n26.04.2012 – 2 C 15.10 – a. a. O. Rn. 24). Sie ist insbesondere in Fällen der\nverschärften Haftung – wie hier – bedeutsam. Dabei ist jedoch nicht die ganze\nRechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals\nunter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern es ist auf\ndas konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der\nRückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des\nBereicherungsschuldners abzustellen. Dafür kommt es nicht entscheidend auf die\nLage in dem Zeitraum an, für den die Überzahlung geleistet worden ist, sondern\nauf die Lage im Zeitpunkt der Rückabwicklung (BVerwG, Urteil vom 21.9.1989 – 2\nC 14.81 – a. a. O. Rn. 21). Da die Billigkeitsentscheidung zu Gunsten des\nSchuldners den Rückzahlungsanspruch modifiziert, beurteilt sich deren\nRechtmäßigkeit nach der Sach– und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten\nBehördenentscheidung (BVerwG, Urteil vom 25.01.2001 – 2 A 7.99 – juris Rn.\n23). Die Billigkeitsentscheidung kann darin bestehen, dass von der\nRückforderung insgesamt oder teilweise endgültig abgesehen, dass die\nRückforderung ganz oder teilweise erst für einen späteren Zeitpunkt verlangt\noder dass die Rückzahlung in Teilbeträgen (Ratenzahlung) gestattet wird\n(BVerwG, Urteil vom 25.01.2001 – 2 A 7.99 – a. a. O. Rn. 22). \n--- \n| 67 \n--- \n| Gemessen an diesen Voraussetzungen begegnet es keinen Bedenken, dass das\nLandesamt sein – ohnehin nur im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich\nüberprüfbares – Ermessen dahingehend ausgeübt hat, dem Kläger zur Vermeidung\neiner besonderen Belastung im Falle einer sofortigen Gesamtrückzahlung eine\nRatenzahlung mit monatlichen Raten von 300,- EUR anzubieten. Weitere\nAnhaltspunkte für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte, die das\nErmessen hätte reduzieren können, sind weder vorgetragen noch angesichts der\nGesamtumstände sonst ersichtlich. \n--- \n| 68 \n--- \n| Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. \n--- \n \n## Gründe\n\n| | \n--- \n| 26 \n--- \n| Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Rückforderungsbescheid des\nLandesamts vom 01.08.2013 und dessen Widerspruchsbescheid vom 03.02.0217 sind\nrechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs. 1 Satz\n1 VwGO). \n--- \n| 27 \n--- \n| Rechtsgrundlage für den Rückforderungsbescheid ist § 5 Abs. 2 LBeamtVG.\nDanach regelt sich die Rückforderung zu viel gezahlter Bezüge nach den\nVorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über die Herausgabe einer\nungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt\nist. Nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist zur Herausgabe verpflichtet, wer etwas\ndurch Leistung eines anderen ohne rechtlichen Grund erlangt. \n--- \n| 28 \n--- \n| Gemessen an diesen Voraussetzungen ist der Kläger zur Rückzahlung von\n3.261,81 EUR verpflichtet. Die Auszahlung des Ruhegehalts an den Kläger durch\ndas Landesamt erfolgte in der Zeit vom 01.10.2010 – 31.10.2010 und 01.01.2011\n– 28.02.2011 teilweise ohne rechtlichen Grund, da ihr insoweit durch die\ngesetzlichen Anrechnungsvorschriften ein rechtliches Hindernis entgegenstand\n(vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2013 – 2 C 17.12 – juris Rn. 10; BVerwG, Urteil\nvom 31.05.2012 – 2 C 18.10 – juris Rn. 11). \n--- \n| 29 \n--- \n| Für den Zeitraum vom 01.10.2010 – 31.10.2010 richtet sich die Anrechnung\nentsprechend § 108 Abs. 1 BeamtVG dabei nach § 53 BeamtVG in der Fassung vom\n31.08.2006 (fortan: BeamtVG 2006), für den Zeitraum vom 01.01.2011 –\n28.02.2011 nach § 68 LBeamtVG in der Fassung vom 09.11.2010 (GBl. S. 793;\nfortan: LBeamtVG a.F.). Gemäß dem im Wesentlichen gleichlautenden Wortlaut der\nNormen erhält ein Versorgungsberechtigter für den Fall, dass er Erwerbs- oder\nErwerbsersatzeinkommen bezieht, daneben seine Versorgungsbezüge nur bis zum\nErreichen der im jeweiligen Absatz 2 der Vorschriften bezeichneten\nHöchstgrenze (vgl. § 53 Abs. 1 BeamtVG 2006 und § 68 Abs. 1 LBeamtVG a.F.).\nErwerbseinkommen nach § 53 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG 2006 und § 68 Abs. 5 Satz\n1LBeamtVG a.F. sind dabei unter anderem Einkünfte aus nichtselbständiger\nArbeit, sowie Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die auf einer die\nArbeitskraft des Ruhestandsbeamten nennenswert beanspruchenden\nerwerbswirtschaftlichen Betätigung beruhen. \n--- \n| 30 \n--- \n| Daran gemessen überstieg das klägerische Einkommen aus Versorgungsbezügen\nund Erwerbseinkommen die für den Kläger geltenden Höchstgrenze im\nstreitgegenständlichen Zeitraum um insgesamt 3.261,81 EUR. Die Anrechnung war\ndabei zunächst nicht wegen Erreichens der Regelaltersgrenze ausgeschlossen\n(1.), die Anrechnungsnormen im Falle einer besonderen Altersgrenze unterliegen\nauch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (2.) und die\nBerechnung des überzahlten Betrages erfolgte fehlerfrei (3.). \n--- \n| 31 \n--- \n| 1\\. Die Anrechnung des Erwerbseinkommens ist entgegen des klägerischen\nVorbringens vorliegend nicht bereits wegen § 53 Abs. 8 BeamtVG 2006 (a.) und §\n68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. (b.) ausgeschlossen. \n--- \n| 32 \n--- \n| a. Nach § 53 Abs. 8 BeamtVG findet mit dem Ablauf des Monats, in dem der\nVersorgungsberechtigte das 65. Lebensjahr vollendet, eine Anrechnung nur\nhinsichtlich Erwerbseinkommens aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst\nstatt. Unstreitig hatte der im Jahre 1946 geborene Kläger jedoch im Zeitraum\nvom 01.10.2010 – 31.10.2010 das 65. Lebensjahr nicht vollendet, sodass das\ngesamte Erwerbseinkommen anrechnungspflichtig war. \n--- \n| 33 \n--- \n| b. Nach § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F findet mit dem Ablauf des Monats, in dem\nder Versorgungsberechtigte die nach § 36 Abs. 1 LBG in Verbindung mit Art. 62\n§ 3 Abs. 2 des Dienstrechtsreformgesetzes (DRG) berechnete Regelaltersgrenze\nerreicht, eine Anrechnung nur hinsichtlich Erwerbseinkommens aus einer\nVerwendung im öffentlichen Dienst statt. Nach § 36 Abs. 1 LBG erreichen Beamte\nauf Lebenszeit die Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand kraft\nGesetzes mit dem Ablauf des Monats, in dem sie das 67. Lebensjahr vollenden.\nArt. 62 § 3 Abs. 2 DRG bestimmt, dass abweichend von § 36 Abs. 1 LBG Beamte\nauf Lebenszeit die Altersgrenze bei Geburt im Jahr 1946 oder früher mit dem\nAblauf des Monats erreichen, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Auch\nhiernach liegt die für den im Jahre 1946 geborenen Kläger relevante\nAltersgrenze bei 65 Jahren, die er im Zeitraum 01.01.2011 – 28.02.2011 noch\nnicht erreicht hatte. \n--- \n| 34 \n--- \n| Entgegen der Ansicht des Klägers ist die für vor dem 01.01.1947 geborene\nLehrer geltende Regelaltersgrenze nicht mit dem Ende des Schuljahres erreicht,\nin dem diese das 64. Lebensjahr vollendeten. Diese besondere Altersgrenze für\nLehrkräfte wird in § 36 Abs. 2 LBG. i.V.m. Art. 62 § 3 Abs. 3 DRG geregelt.\nDabei handelt es sich jedoch gerade nicht um die allgemeine Regelaltersgrenze,\nweshalb § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. auch nur auf § 36 Abs. 1 LBG i.V.m. Art. 62\n§ 3 Abs. 2 DRG – die die allgemeinen Regelaltersgrenzen enthalten – verweist\nund nicht auf § 36 Abs. 2 LBG i.V.m. Art. 62 § 3 Abs. 3 DRG, die die für\nLehrer maßgeblichen besonderen Altersgrenzen regeln. \n--- \n| 35 \n--- \n| Die Änderung des § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. mit Gesetz vom 24.07.2012 (GBl.\nS. 482) zum 01.01.2011 entfaltet entgegen des klägerischen Vorbringens keine\nverfassungswidrige echte Rückwirkung. \n--- \n| 36 \n--- \n| Zwar kann grundsätzlich auch die Klarstellung einer Norm dem\nRechtsstaatsprinzip für rückwirkende Rechtssetzung widersprechen. Das Verbot\necht rückwirkender Gesetze ist materiell aber durch eine formal rückwirkende\nNorm nur dann betroffen, wenn diese Vorschrift konstitutiven Charakter hat,\ndie Rechtslage also nicht lediglich klarstellt. Andernfalls kann das Vertrauen\nin das geltende Recht von vornherein nicht berührt sein, weil das geltende\nRecht nachträglich keine materielle Änderung erfahren hat (BVerfG, Beschluss\nvom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08 – juris Rn. 45). Ob eine rückwirkende\nGesetzesänderung gegenüber dem alten Recht deklaratorisch oder konstitutiv\nwirkt, hängt vom Inhalt des alten und des neuen Rechts ab, der durch Auslegung\nermittelt werden muss (BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08 – a.a.O.\nRn. 46). \n--- \n| 37 \n--- \n| Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die rückwirkende Änderung des\nWortlautes des § 68 Abs. 6 LBeamtVG als lediglich deklarative Klarstellung.\nZwar ist die in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Auffassung, der\nneu gefasste Wortlaut diene lediglich der redaktionellen Klarstellung (vgl.\nLT-Drs. 15/1719, S. 21), für das Gericht nicht verbindlich. Sie schränkt weder\ndie Kontrollrechte und –pflichten ein noch relativiert sie die für sie\nmaßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (vgl. BVerfG, Beschluss vom\n17.12.2013 – 1 BvL 5/08 – a.a.O. Rn. 47). \n--- \n| 38 \n--- \n| Im Wege der Auslegung ergibt sich indes, dass § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. auch\nin seiner ursprünglichen Fassung vom 09.11.2010 denselben Inhalt hatte wie in\nder geänderten Fassung. § 68 Abs. 6 LBeamtVG a.F. bezieht sich in seiner\nursprünglichen Fassung vom 09.11.2010 (GBl. S. 793) zur Bestimmung des\nZeitpunktes, ab dem nur noch Verwendungseinkommen angerechnet wird, nach\nseinem Wortlaut auf die „jeweils maßgebliche gesetzliche Regelaltersgrenze“. \n--- \n| 39 \n--- \n| Allein aus dem Wortlaut lässt sich damit zwar nicht ermitteln, welche\nkonkrete Altersgrenze einschlägig ist. Jedoch ist bereits auf der Ebene des\nWortlauts zu beachten, dass der Gesetzgeber grundsätzlich terminologisch\nzwischen der Regelaltersgrenze und den besonderen Altersgrenzen unterscheidet\nund diese Begriffe bewusst verwendet (vgl. zur vorherigen Rechtslage die\nSystematik von § 51 Abs. 1 Satz 2 BBG, der insoweit zwischen der\nRegelaltersgrenze und gesetzlich bestimmten, besonderen Altersgrenzen\ndifferenziert und die entsprechenden Legaldefinitionen festlegt). Während\ndiese Differenzierung im Wortlaut des § 36 LBG keinen ausdrücklichen\nNiederschlag gefunden hat, ergibt sich jedoch aus der Gesetzesbegründung zu §\n36 Abs. 1 LBG, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle die – ausdrücklich als\nsolche bezeichnete – gesetzliche Regelaltersgrenze regeln wollte (vgl. LT-Drs.\n14/6694, S. 417 f.). \n--- \n| 40 \n--- \n| Systematisch wird dieses Argument dadurch bestärkt, dass der\nLandesgesetzgeber in § 68 Abs. 2 Nr. 3 LBeamtVG a.F. auf die Regelaltersgrenze\nBezug nimmt und diese dort nach § 36 Abs. 1 LBG i.V.m. Artikel 62 § 3 Abs. 2\nDRG bestimmt. Damit liegt es nahe, die Formulierung des Absatzes 6 nur als\nBinnenverweis auf die in Absatz 2 getroffene Definition zu verstehen. Dass\ninnerhalb derselben Norm nicht zweifach auf dieselben Vorschriften zur\nErmittlung der Altersgrenze verwiesen wird, kann durchgreifende Zweifel daran,\ndass der Gesetzgeber von einem einheitlichen Verständnis der Regelaltersgrenze\nausgehen wollte, nicht begründen. Insoweit ist von einer reinen sprachlichen\nUnschärfe auszugehen, die durch die klarstellende Änderung beseitigt werden\nsollte. \n--- \n| 41 \n--- \n| Dem steht auch nicht entgegen, dass der § 68 Abs. 6 LBeamtVG in der Fassung\nvom 09.11.2010 von der „jeweils“ maßgeblichen Regelaltersgrenze spricht. Denn\ndas Wort „jeweils“ bezieht sich nicht etwa – wie vom Kläger angedeutet – auf\ndie besonderen Altersgrenzen, sondern auf die vom Geburtsjahr abhängige\nallgemeine Regelaltersgrenze, die näher in Artikel 62 § 3 Abs. 2 DRG\nausgeführt wird. Hätte der Gesetzgeber abweichend von der bisherigen\nRegelungsstruktur aus dem BeamtVG regeln wollen, dass die für die jeweiligen\nBeamtengruppen geltende Sonderaltersgrenze maßgeblich sein sollte, hätte\nnahegelegen, auch nur von der „jeweiligen Altersgrenze“ zu sprechen. \n--- \n| 42 \n--- \n| Diese Auslegung wird schließlich auch durch die historische Betrachtung\ngestützt. In seiner Begründung zu § 68 LBeamtVG a.F. hat der Gesetzgeber\nexplizit seinen Willen geäußert, Absatz 6 solle § 53 Abs. 8 BeamtVG in der bis\nzum 31. August 2006 geltenden Fassung entsprechen, der auf die allgemeine\ngesetzliche Regelaltersgrenze von 65 Jahren abstellt (LT-Drs. 14/6694, S.\n527). Dass es sich bei der nachträglichen Änderung lediglich um eine\nredaktionelle Klarstellung handelt, unterstreicht auch die Formulierung des\nGesetzgebers in der Gesetzesbegründung, die Vorschrift des § 68 Abs. 6\nLBeamtVG a.F. solle nicht „geändert“, sondern nur anders „gefasst“ werden. \n--- \n| 43 \n--- \n| Ein Unterschied der rechtlichen Regelungen ergibt sich damit trotz des\nabweichenden Wortlautes nicht, womit auch eine echte Rückwirkung bereits\ntatbestandlich ausscheidet. \n--- \n| 44 \n--- \n| 2\\. Die Anrechnungsvorschriften des § 53 Abs. 1 und 8 BeamtVG 2006, sowie §\n68 Abs. 1 und 6 LBeamtVG a.F. verstoßen entgegen der Ansicht des Klägers nicht\ngegen verfassungsrechtliche Grundsätze. \n--- \n| 45 \n--- \n| Zur Verfassungskonformität der Anrechnungsregeln des § 53 Abs. 1 und 8\nBeamtVG hat das BVerwG folgende Erwägungen angestellt, die auf § 68 Abs. 1 und\n6 LBeamtVG a.F. gleichermaßen Anwendung finden und denen sich das Gericht\numfassend anschließt. Dabei ist zu beachten, dass nach der ständigen\nRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Versorgungsgesetzgeber große\nBeurteilungs- und Entscheidungsspielräume zukommen (vgl. zuletzt Beschluss vom\n23.05.2017 – 2 BvL 10/11 –; – 2 BvL 28/14 – juris). \n--- \n| 46 \n--- \n| „Die zeitliche Anrechnungsgrenze des § 53 Abs. 8 Satz 1 BeamtVG verstößt\nnicht gegen den durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten\nAlimentationsgrundsatz, soweit sie auch privatwirtschaftliches\nErwerbseinkommen der Anrechnung unterwirft, das Ruhestandsbeamte in der Zeit\nzwischen dem Eintritt in den Ruhestand aufgrund einer besonderen Altersgrenze\nund der Vollendung des 65. Lebensjahres erzielen [...]. Zwar besteht der\nverfassungsrechtliche Anspruch auf amtsangemessene Alimentation grundsätzlich\nohne Rücksicht darauf, ob und inwieweit ein Beamter den amtsangemessenen\nLebensunterhalt aus seinem Vermögen oder aus Einkünften bestreiten kann, die\nnicht aus öffentlichen Kassen stammen. \n--- \n| 47 \n--- \n| Dieser Grundsatz wird jedoch durch den Gedanken des Vorteilsausgleichs\nüberlagert. Danach ist der Gesetzgeber berechtigt, die Anrechnung desjenigen\nEinkommens auf die Alimentation anzuordnen, das ein Ruhestandsbeamter nur\ndeshalb erzielen kann, weil seine Dienstleistungspflicht vorzeitig weggefallen\nist [...]. Die Ruhensregelungen des § 53 BeamtVG stellen eine gesetzliche\nKonkretisierung des Vorteilsausgleichs dar. \n--- \n| 48 \n--- \n| Der Vorteilsausgleich findet seine Rechtfertigung darin, dass das\nGleichgewicht zwischen Alimentationspflicht des Dienstherrn und\nDienstleistungspflicht des Beamten bei einem Eintritt in den Ruhestand vor\nErreichen der allgemeinen gesetzlichen Altersgrenze gestört ist. Beide\nPflichten stehen in einem engen sachlichen Zusammenhang. Der Dienstherr\nschuldet die Alimentation als Gegenleistung dafür, dass sich ihm der Beamte\nmit seiner ganzen Persönlichkeit zur Verfügung stellt und die übertragenen\nAufgaben nach besten Kräften erfüllt. Der vorzeitige Eintritt eines Beamten in\nden Ruhestand verschiebt dieses Pflichtengefüge zu Lasten des Dienstherrn,\nweil diesem die Arbeitskraft des Beamten zu früh verloren geht und er über\neinen längeren Zeitraum hinweg Versorgungsleistungen erbringen muss [...]. In\ndiesem Fall steht den Versorgungsbezügen keine zeitlich angemessene Dienstzeit\ngegenüber, so dass der Beamte die Altersversorgung noch nicht vollständig\nerdient hat. [...] \n--- \n| 49 \n--- \n| Vorzeitig ist auch ein Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens einer\nbesonderen, vor der Vollendung des 65. Lebensjahres liegenden gesetzlichen\nAltersgrenze. Auch hier ist das Gleichgewicht zwischen aktiver Dienstzeit und\nRuhestand nicht gewahrt. Denn gegenwärtig gibt der Gesetzgeber nur durch die\nFestlegung einer allgemeinen Altersgrenze zu erkennen, welches zeitliche\nVerhältnis von aktivem Dienst und Ruhestand er als angemessen ansieht. Erst\nbei Erreichen dieser Altersgrenze haben Beamte ihre Altersversorgung\nvollständig erdient. Daran orientiert sich die zeitliche Anrechnungsgrenze des\n§ 53 Abs. 8 Satz 1 BeamtVG (BT-Drs 13/9527 S. 40 f.). Die Bedeutung der\nallgemeinen Altersgrenze für die Bestimmung des Gleichgewichts zwischen\naktivem Dienst und Ruhestand folgt daraus, dass für ihre Festlegung nicht\nausschließlich Gesichtspunkte der Dienstfähigkeit der Beamten maßgebend sind.\nVielmehr ist die allgemeine Altersgrenze das Ergebnis gesundheits-, finanz-,\narbeitsmarkt- und personalpolitischer Erwägungen des Gesetzgebers. Hierzu\ngehören etwa die Entwicklung der Versorgungslasten und der Altersstrukturen\ndes öffentlichen Dienstes sowie die Erhaltung von Einstellungs- und\nBeförderungsmöglichkeiten.“ \n--- \n| 50 \n--- \n| (BVerwG, Urteil vom 17.12.2008 – 2 C 26.07 – juris Rn. 9 -13 zum § 53\nBeamtVG in der insoweit gleichlauten Fassung vom 29. Juni 1998 (BGBl I S.\n1666, 1674) \n--- \n| 51 \n--- \n| Soweit das BVerwG in diesem Urteil weiter insoweit verkürzt ausführt, den\nbesonderen gesetzlichen Altersgrenzen für bestimmte Beamtengruppen läge\n„ausschließlich“ die generalisierende, auf Erfahrungswerten beruhende\nEinschätzung des Gesetzgebers zugrunde, das für die Dienstausübung\nerforderliche Leistungsvermögen und damit die Dienstfähigkeit dieser Beamten\nsei typischerweise bereits vor Erreichen der allgemeinen Altersgrenze nicht\nmehr gegeben, führt der Kläger zwar zurecht an, dass diese Erwägungen sich\nnicht auf die besondere Altersgrenze für Lehrer übertragen lassen. Denn diese\nhat der Gesetzgeber mit Bezug auf die Besonderheiten und Eigenheiten des\nSchulbetriebs eingeführt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.07.2017\n– 4 S 1764/16 – juris). Deshalb lässt sich auch daran zweifeln, ob auch bei\nLehrern der Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens einer besonderen\nAltersgrenze der Versetzung in den Ruhestand wegen individueller\nDienstunfähigkeit näher steht als dem Eintritt in den Ruhestand wegen\nErreichens der allgemeinen Altersgrenze (so im Hinblick auf die\nBeamtengruppen, bei denen die typisierte Vermutung einer vorzeitigen\nDienstunfähigkeit greift BVerwG, Urteil vom 17.12.2008 – 2 C 26.07 – a.a.O.\nRn. 15). \n--- \n| 52 \n--- \n| Trotzdem vermag dieser Einwand keine Verfassungswidrigkeit der\nAnrechnungsvorschriften und ihrer Anwendung im Einzelfall zu begründen. Zum\neinen sind gegen die besondere Altersgrenze für Lehrer durchgreifende Bedenken\nweder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Denn für eine von der gesetzlich\nbestimmten Regelaltersgrenze abweichende Altersgrenze sind allein sachliche\nGründe erforderlich, die in der Regel in der Eigenart der betreffenden\nAmtsaufgaben liegen werden. Solche stellen sowohl die Annahme einer\nvorzeitigen Dienstunfähigkeit als auch die Besonderheiten des Schuldienstes\ndar. Soweit der Kläger bemängelt, ihm sei dadurch die Möglichkeit genommen\nworden, seine vollen Dienstbezüge zu erdienen, liegt dies gerade im Wesen\neiner vorgezogenen Altersgrenze und vermag die Rechtswidrigkeit dieser nicht\nzu stützen. \n--- \n| 53 \n--- \n| Überdies bleibt der die Anrechnungsvorschriften tragende und legitimierende\nGesichtspunkt des Vorteilsausgleiches von diesen Erwägungen unberührt. So\nwurde auch dem Kläger gerade durch das im Vergleich zur regelmäßigen\ngesetzlichen Regelaltersgrenze frühere Ausscheiden aus dem aktiven Dienst die\nMöglichkeit eröffnet, sich mit der ihm verbliebenen Arbeitskraft in vollem\nUmfang einem privaten Gelderwerb zuzuwenden. Dadurch entging dem Dienstherrn\nspiegelbildlich die Nutzung der Dienstkraft des Klägers und er musste früher\nund damit länger Versorgungsbezüge zahlen. \n--- \n| 54 \n--- \n| Ebenso folgt aus den Anrechnungsvorschriften keine gleichheitswidrige\nBenachteiligung. Nach Art. 3 Abs. 1 GG ist der Gesetzgeber verpflichtet,\nwesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.\nDer allgemeine Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber grundsätzlich einen\nweiten Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung, an welche\nsachverhaltsbezogenen Differenzierungsmerkmale er eine Gleich– oder\nUngleichbehandlung anknüpft. Art. 3 Abs. 1 GG ist gewahrt, wenn sich im\nHinblick auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs ein vernünftiger Grund\nfür die gesetzliche Unterscheidung finden lässt (BVerwG, Urteil vom 17.12.2008\n– 2 C 26.07 – a.a.O. Rn. 16). \n--- \n| 55 \n--- \n| Gemessen hieran scheidet ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG aus. Durch den\nEintritt in den Ruhestand wegen Erreichens einer besonderen Altersgrenze\nmüssen Lehrer, gegenüber Beamten, für die die allgemeine Regelaltersgrenze\ngilt, zwar Einkommensverluste in Höhe der Differenz zwischen Dienst– und\nVersorgungsbezügen hinnehmen. Dies stellt jedoch keine gleichheitswidrige\nBenachteiligung dar. Denn die frühere Pensionierung aufgrund einer besonderen\nAltersgrenze stellt zugleich einen Vorteil dar, weil den Beamten Dienstjahre\nerlassen werden (BVerwG, Urteil vom 17.12.2008 – 2 C 26.07 – a.a.O. Rn. 18). \n--- \n| 56 \n--- \n| Soweit der Kläger weiter das Fehlen einer finanziellen Ausgleichsregelung\ni.S.d. § 48 Abs. 1 BeamtVG rügt, folgt hieraus nicht anderes. Denn es gibt\nkeinen hergebrachten Grundsatz im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG, dass im Falle\neiner Versetzung in den Ruhestand vor Erreichen der Regelaltersgrenze ein\nbesonderer finanzieller Ausgleich gewährt werden muss. Daher reicht es aus,\ndass die Möglichkeiten dieser Beamten, privatwirtschaftliches Erwerbseinkommen\nzu erzielen, nicht eingeschränkt sind und dieses Einkommen unabhängig von\nseiner Höhe, d.h. auch dann, wenn es die Versorgungsbezüge erheblich\nübersteigt, gemäß § 53 Abs. 5 Satz 1 BeamtVG 2006 bzw. § 68 Abs. 3 Satz 1\nLBeamtVG a.F. stets durch Zahlung von mindestens 20 v.H. des Ruhegehalts\naufgestockt wird (BVerwG, Urteil vom 17.12.2008 – 2 C 26.07 – a.a.O. Rn. 18). \n--- \n| 57 \n--- \n| Auch in diesem Zusammenhang ergibt sich vor dem obigen Prüfungsmaßstab kein\nGleichheitsverstoß, da im Hinblick auf die Eigenart des geregelten\nSachbereichs ein vernünftiger Grund für die gesetzliche Unterscheidung\nbesteht. So unterliegen die von der Ausgleichsregelung begünstigten\nBeamtengruppen der Vermutung einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit und scheiden\nmit 5 Jahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze signifikant früher aus dem\naktiven Dienst als Lehrer, bei denen der Zeitraum zwischen dem Erreichen der\nbesonderen Altersgrenze und der Regelaltersgrenze denknotwendig unter einem\nJahr liegt. Auch stellt die Ausgleichszahlung nach § 48 Abs. 1 BeamtVG gerade\nkeinen vollständigen Ausgleich des Differenzbetrages zwischen Dienst– und\nVersorgungsbezügen für den gesamten Zeitraum dar, sondern soll nur die diese\nBeamtengruppe treffende besondere Härte abmildern (BVerwG, Urteil vom\n17.12.2008 – 2 C 26.07 – a.a.O. Rn. 17). Angesichts der weiten\nGestaltungsfreiheit des Gesetzgebers kommt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG\ndamit nicht in Betracht. \n--- \n| 58 \n--- \n| Damit unterlag die grundsätzliche Anrechnung des Erwerbseinkommens des\nKlägers auf seine Versorgungsbezüge keinen durchgreifenden Bedenken. \n--- \n| 59 \n--- \n| 3\\. Da die Voraussetzungen der verfassungsgemäßen Anrechnungsnormen\nvorlagen, hat das Landesamt das Erwerbseinkommen des Klägers dem Grunde nach\nzutreffend auf seine Versorgungsbezüge angerechnet. Auch soweit der Kläger\nsich gegen die konkrete Art und Weise der Anrechnung wendet, vermag er nicht\ndurchzudringen. \n--- \n| 60 \n--- \n| Zutreffend ist das Landesamt bei der Berechnung von dem nach Zurückweisung\ndes Widerspruchs des Klägers bestandskräftig gewordenen Festsetzungsbescheid\nvom 17.10.2010 ausgegangen. Ein weiterer Anrechnungsbescheid war daneben nicht\nnotwendig. Der Wortlaut des § 53 Abs. 1 und 8 BeamtVG 2006 bzw. des § 68 Abs.\n1 und 6 LBeamtVG a.F. liefert keinen Hinweis für das Erfordernis eines\ngesonderten Bescheides, vielmehr erfolgt die Anrechnung von Erwerbseinkommen\nkraft Gesetzes. Das Erfordernis eines „Anrechnungsbescheides“ ergibt sich auch\nnicht als gegenläufiger Akt zu der ursprünglichen Festsetzung der\nVersorgungsbezüge durch den Versorgungsfestsetzungsbescheid. Denn durch die\nAnrechnung des Erwerbseinkommens erlischt nicht der Anspruch auf die Bezüge,\nwie dies etwa bei einer Aufhebung des Bescheides der Fall gewesen wäre,\nsondern es steht rechtlich ihrer Auszahlung ein Hindernis entgegen. Ein\netwaiger Bescheid hätte daher ohnehin nur feststellenden Charakter (vgl.\nBVerwG, Urteil vom 26.11.2013 – 2 C 17.12 – a.a.O Rn. 10; BVerwG, Urteil vom\n31.05.2012 – 2 C 18.10 – a.a.O. Rn. 11). \n--- \n| 61 \n--- \n| Somit ergibt sich in den Zeiträumen vom 01.10.2010 – 31.10.2010 und\n01.01.2011 – 28.02.2011 die Höhe der Versorgungsbezüge aus dem\nbestandskräftigen Bescheid vom 17.12.2010 und beträgt 3.565,82 EUR pro Monat.\nIm selben Bescheid wurde die Höchstgrenze zutreffend mit 4.941,82 EUR\nermittelt. Der Kläger erzielte aus der nichtselbstständigen Tätigkeit bei der\nW.-Schule in H. Einkommen in Höhe von 815,94 EUR monatlich und im Rahmen\nseiner Unterrichtstätigkeiten an der I. GmbH im Oktober 2010 832,- EUR, im\nFebruar 2011 910,- EUR und im Februar 2011 3430,- EUR an zusätzlichem\nErwerbseinkommen. Aus den Bescheiden ergibt sich auch explizit, dass das\nLandesamt monatlich 1/12 der Werbungskostenpauschale gegen das Erwerbsankommen\nin Ansatz gebracht hat. Der Kläger hat deshalb in der mündlichen Verhandlung\nseinen hierauf gerichteten Einwand nicht aufrecht erhalten. \n--- \n| 62 \n--- \n| Dies zugrunde gelegt ergibt sich folgende Berechnung: \n--- \n--- \n| 63 \n--- \n| \n--- \n| | **Okt. 10** \n--- \n| **Jan. 11** \n--- \n| **Feb. 11** \n--- \n| **Gezahlte Versorgungsbezüge** \n--- \n| 3.565,82 EUR \n--- \n| 3.565,82 EUR \n--- \n| 3.565,82 EUR \n--- \n| **Höchstgrenze** \n--- \n| 4.941,82 EUR \n--- \n| 4.941,82 EUR \n--- \n| 4.941,82 EUR \n--- \n| **Einkommen (anderweitig)** \n--- \n| 815,94 EUR \n--- \n| 815,94 EUR \n--- \n| 815,94 EUR \n--- \n| **Einkommen (I. GmbH)** \n--- \n| 832,00 EUR \n--- \n| 910,00 EUR \n--- \n| 3.430,00 EUR \n--- \n| **Werbungskosten** \n--- \n| -76,67 EUR \n--- \n| -76,67 EUR \n--- \n| -76,67 EUR \n--- \n| **anrechenbares Einkommen** \n--- \n| 1.571,27 EUR \n--- \n| 1.649,27 EUR \n--- \n| 4.169,27 EUR \n--- \n| **Gesamteinkommen** \n--- \n| 5.137,09 EUR \n--- \n| 5.215,09 EUR \n--- \n| 7.735,09 EUR \n--- \n| **Überzahlungsbetrag** \n--- \n| 195,27 EUR \n--- \n| 273,27 EUR \n--- \n| 2.793,27 EUR \n--- \n| **Überzahlungsbetrag (gesamt)** \n--- \n| 3.261,81 EUR \n--- \n| \n--- \n| 64 \n--- \n| Das Einkommen des Klägers wurde zurecht monatlich und nicht etwa\njahresbezogen angerechnet. Nach dem insoweit gleichlautenden Wortlaut der\njeweils einschlägigen § 53 Abs. 7 Satz 4, 5 BeamtVG a.F., bzw. § 68 Abs. 5\nSatz 4,5 LBeamtVG a.F erfolgt die Berücksichtigung des Erwerbs- und des\nErwerbsersatzeinkommens monatsbezogen. Nur, wenn Einkommen nicht in\nMonatsbeträgen erzielt wird, ist das Einkommen des Kalenderjahres, geteilt\ndurch zwölf Kalendermonate, anzusetzen. Nach der gesetzlichen Konzeption ist\ndamit die monatsbezogene Berücksichtigung des Einkommens die Regel. Lediglich\nin den Fällen, in denen eine Zuordnung des Einkommens zu einem bestimmten\nMonat ausgeschlossen ist, ist das Einkommen auf das gesamte Jahr gleichmäßig\naufzuteilen (zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 08.06.2017 – 2 C 46/16 – juris Rn.\n17 f. m. w. N.; vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 05.09.2017 – 1 A 2366/16.Z\n– juris Rn. 17). Maßgeblich für diese Abgrenzung ist nicht der Zeitpunkt der\nAuszahlung, sondern der Zeitraum, für den die betreffende Leistung eine\nVergütung darstellt. Erzielt ein Versorgungsempfänger für einen bestimmten\nZeitraum zusätzliche Einkünfte, ist für diese Zeitspanne ein sachlicher Grund\nfür die Anrechnung auf die vom Dienstherrn gewährleistete Alimentation\ngegeben. Die Bezugnahme auf den Zahlungsmonat ist gerechtfertigt, wenn die\ngeleistete Zahlung gerade auf diesen Monat bezogen ist – wie etwa bei einer\nzusätzlichen Vergütung für in diesem Monat erbrachte Dienstleistungen. Ist die\nZahlung dagegen nicht für den Auszahlungsmonat bestimmt, sondern eine\nzusätzliche, auf das gesamte Kalenderjahr abgestellte Vergütung, kann die\nLeistung für jeden Monat auch nur mit dem Teilbetrag berücksichtigt werden,\nder auf diesen Monat entfällt (BVerwG, Urteil vom 26.11.2013 – 2 C 17/12 –\na.a.O. Rn. 13). \n--- \n| 65 \n--- \n| Dies zugrunde gelegt ist das Landesamt zutreffend davon ausgegangen, dass\nder Kläger sein Einkommen in Monatsbeträgen erzielt hat. Daran ließe sich zwar\ninsoweit zweifeln, als der Kläger seine Abrechnungen gegenüber der I. GmbH für\ndie jeweiligen Lehrgänge gesammelt in Rechnung stellte und einzelne Rechnungen\nsich auf den Zeitraum von mehreren Monaten beziehen. Diese Überlegungen\nverfangen im Ergebnis jedoch nicht. Denn der Kläger wurde nicht etwa pauschal\nfür die Erbringung eines Lehrgangs entlohnt, sondern für die konkret in diesem\nZusammenhang gehaltenen Unterrichtsstunden. Diese lassen sich aber trotz der\nTatsache, dass der Kurs selbst über einen längeren Zeitraum erfolgte, ohne\nweiteres einzelnen Monaten zuordnen, sodass die Leistung eine Vergütung für\ndie Arbeitskraft in diesem Zeitraum darstellt. Im Wege der Gesamtschau ist\ndabei weiter zu berücksichtigen, dass auch der Kläger selbst in seiner\nAuflistung des Zuerwerbs eine Zuordnung zu den jeweiligen Monaten anhand der\nabgerechneten Stunden vornahm. Daher trägt auch das Argument nicht, Vor- und\nNachbereitungszeiten seien mit umfasst und überspannten die jeweiligen Monate.\nZunächst ist dem Landesamt zuzugestehen, es sei sehr ungewöhnlich, bei\nUnterrichtsstunden die Vor- und Nachbereitungszeiten gesondert zu berechnen,\nzumal sich dies aus den Rechnungen nicht ergibt. Selbst dies zugrunde gelegt,\nändert sich im Ergebnis nichts. Denn auch etwaige Vor- und\nNachbereitungszeiten ließen sich den jeweiligen Monaten zuordnen. Wann die I.\nGmbH die Honorare auszahlte und wann und in welcher Form der Kläger die\nRechnungen zu stellen hatte, spielt nach dem oben gesagten keine Rolle.\nWeitere Anhaltspunkte, dass eine nach der gesetzlichen Konzeption nur\nausnahmsweise Jahresberechnung erfolgen müsste, sind weder vorgebracht noch\nerkennbar. \n--- \n| 66 \n--- \n| Schließlich unterliegt die Entscheidung des Landesamtes, nicht von einer\nRückforderung nach billigem Ermessen abzusehen, keinen durchgreifenden\nrechtlichen Bedenken. Nach § 5 Abs. 2 Satz 3 LBeamtVG kann von der\nRückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde\noder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden. Die\nBilligkeitsentscheidung hat die Aufgabe, eine allen Umständen des Einzelfalls\ngerecht werdende, für die Behörde zumutbare, für den Bereicherten tragbare\nLösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige\nLebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen\n(vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1982 – 2 C 14.81 – juris Rn. 32; Urteil vom\n26.04.2012 – 2 C 15.10 – juris Rn. 24; Urteil vom 15.11.2016 – 2 C 9.15 –\njuris Rn. 32). Sie soll der besonderen Lage des Einzelfalls Rechnung tragen,\ndie formale Strenge des Besoldungs- und Versorgungsrechts auflockern und\nAusdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und\nGlauben sein und sich als sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen\nGrundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung auswirken\n(BVerwG, Urteil vom 21.09.1989 – 2 C 14.81 – a. a. O. Rn. 21; Urteil vom\n26.04.2012 – 2 C 15.10 – a. a. O. Rn. 24). Sie ist insbesondere in Fällen der\nverschärften Haftung – wie hier – bedeutsam. Dabei ist jedoch nicht die ganze\nRechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals\nunter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern es ist auf\ndas konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der\nRückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des\nBereicherungsschuldners abzustellen. Dafür kommt es nicht entscheidend auf die\nLage in dem Zeitraum an, für den die Überzahlung geleistet worden ist, sondern\nauf die Lage im Zeitpunkt der Rückabwicklung (BVerwG, Urteil vom 21.9.1989 – 2\nC 14.81 – a. a. O. Rn. 21). Da die Billigkeitsentscheidung zu Gunsten des\nSchuldners den Rückzahlungsanspruch modifiziert, beurteilt sich deren\nRechtmäßigkeit nach der Sach– und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten\nBehördenentscheidung (BVerwG, Urteil vom 25.01.2001 – 2 A 7.99 – juris Rn.\n23). Die Billigkeitsentscheidung kann darin bestehen, dass von der\nRückforderung insgesamt oder teilweise endgültig abgesehen, dass die\nRückforderung ganz oder teilweise erst für einen späteren Zeitpunkt verlangt\noder dass die Rückzahlung in Teilbeträgen (Ratenzahlung) gestattet wird\n(BVerwG, Urteil vom 25.01.2001 – 2 A 7.99 – a. a. O. Rn. 22). \n--- \n| 67 \n--- \n| Gemessen an diesen Voraussetzungen begegnet es keinen Bedenken, dass das\nLandesamt sein – ohnehin nur im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich\nüberprüfbares – Ermessen dahingehend ausgeübt hat, dem Kläger zur Vermeidung\neiner besonderen Belastung im Falle einer sofortigen Gesamtrückzahlung eine\nRatenzahlung mit monatlichen Raten von 300,- EUR anzubieten. Weitere\nAnhaltspunkte für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte, die das\nErmessen hätte reduzieren können, sind weder vorgetragen noch angesichts der\nGesamtumstände sonst ersichtlich. \n--- \n| 68 \n--- \n| Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. \n---\n\n
319,359
vg-schleswig-holsteinisches-2019-04-17-11-b-5319
1,071
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht
vg-schleswig-holsteinisches
Schleswig-Holsteinisches
Schleswig-Holstein
Verwaltungsgerichtsbarkeit
11 B 53/19
2019-04-17
2019-05-17 10:00:47
2020-12-10 13:22:08
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2019:0417.11B53.19.00
#### Tenor\n\n \n\nDie Anträge werden abgelehnt.\n\n \n\nDer Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.\n\n \n\nDer Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.\n\n \n\nI.\n\n#### Gründe\n\n1\n\n \n\nDer Antragsteller ist armenischer Staatsangehöriger, der im Jahr 2015 einen\nAsylantrag stellte. Mit Bescheid vom 17.04.2018 wurde die\nFlüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, der Antrag auf Asylanerkennung wurde\nabgelehnt, der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt. Es wurde\nfestgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG\nnicht vorliegen. Der Antragsteller wurde zur Ausreise aufgefordert, ihm wurde\ndie Abschiebung nach Armenien angedroht. Der Kläger erhob Klage zum\nAktenzeichen 8 A 159/18. Das Verfahren wurde nach Klagrücknahme eingestellt.\n\n2\n\n \n\nMit Schreiben vom 13.02.2019 bat der Antragsgegner das Landesamt für\nAusländerangelegenheiten Schleswig-Holstein, die Passersatzbeschaffung und die\nAbschiebung des Antragstellers in Amtshilfe durchzuführen.\n\n3\n\n \n\nMit Schreiben vom 06.03.2019 beantragte der Antragsteller, ihm eine\nAusbildungsduldung zu erteilen. Über diesen Antrag wurde bislang nicht\nentschieden.\n\n4\n\n \n\nDer Antragsteller hat am 01.04.2019 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen\nRechtsschutzes gestellt, zu dessen Begründung er u.a. vorträgt, es sei ihm\ngelungen, einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechatroniker zu finden, am\n01.03.2019 sei ein Berufsausbildungsvertrag zustande gekommen, der von der\nHandwerkskammer xxx registriert worden sei. Rückfragen beim Antragsgegner\nhätten ergeben, dass man dort nicht bereit sei, eine Arbeitserlaubnis bzw.\neine Ausbildungsduldung zu erteilen. Von einem Bestehen konkreter Maßnahmen\nzur Aufenthaltsbeendigung könne nicht ausgegangen werden.\n\n5\n\n \n\nDer Antragsteller beantragt,\n\n6\n\n \n\n1\\. im Wege der einstweiligen Anordnung den Antragsgegner zu verpflichten, ihm\neine Ausbildungsduldung zu erteilen,\n\n7\n\n \n\n2\\. ihm für die Durchführung der Ausbildung eine Arbeitserlaubnis zu erteilen.\n\n8\n\n \n\nDer Antragsgegner trägt u.a. vor, eine Ausbildungsduldung könne nicht erteilt\nwerden, da konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen. Dies sei\nhier Fall, da ein Amtshilfeersuchen zur Beschaffung von Passersatzpapieren\nsowie zur Abschiebung in Amtshilfe bereits am 13.02.2019 an das Landesamt für\nAusländerangelegenheiten gestellt worden sei.\n\n9\n\n \n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der\nParteien wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen\nVerwaltungsvorgänge Bezug genommen.\n\n \n\nII.\n\n10\n\n \n\nDem Erfolg eines Antrages nach § 123 VwGO steht das Verbot der Vorwegnahme der\nHauptsache entgegen. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung\nentsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen\nund dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf\nbeschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das\ngewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Eine\nDurchbrechung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache kommt nur dann in\nBetracht, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller unzumutbar\nwäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.01.1999 – 11 VR 8/98 – NVwZ 1999, 650).\nEine solche Ausnahme setzt voraus, dass einerseits zumindest eine sehr hohe\nWahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache besteht und andererseits\nRechtsschutz in der Hauptsache wegen der langen Verfahrensdauer nicht\nrechtzeitig erlangt werden kann und dies zu schweren und unzumutbaren, anders\nnicht abwendbaren Nachteilen für den Antragsteller führt, die sich auch bei\neinem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr ausgleichen lassen (vgl.\nBVerfG, Beschluss vom 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – BVerfGE 79, 69; BVerwG,\nBeschluss vom 13.08.1999 – 2 VR 1.99 – BVerwGE 109, 258; Beschluss der Kammer\nvom 31.08.2016 – 11 B 23/16 -).\n\n11\n\n \n\nDiese Voraussetzungen liegen nicht vor, da keine sehr hohe Wahrscheinlichkeit\neines Obsiegens in der Hauptsache besteht.\n\n12\n\n \n\nDer Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Er hat\nnach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen\nPrüfung keinen Anspruch auf Erteilung einer sog. Ausbildungsduldung nach § 60a\nAbs. 2 Satz 3 und 4 AufenthG.\n\n13\n\n \n\n§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG sieht vor, dass einem Ausländer eine Duldung\nerteilt werden kann, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder\nerhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende Anwesenheit im\nBundesgebiet erfordern. Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eine Duldung\nwegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von Satz 3 zu erteilen, wenn der\nAusländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten\noder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder\naufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorliegen und\nkonkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen\n(Ausbildungsduldung).\n\n14\n\n \n\nDiese Voraussetzungen liegen nicht vor, da im entscheidenden Zeitpunkt bereits\nkonkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorlagen.\n\n15\n\n \n\nBezüglich des maßgeblichen Zeitpunkts für die Feststellung des Vorliegens von\nMaßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ist auf das Datum der Antragstellung bei\ndem Antragsgegner abzustellen (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 24.07.2017 – 1 B\n63/17 – und 18.12.2017 – 11 B 69/17 -), sofern diesem Antrag ein hinreichend\nkonkretisierter Nachweis über die aufzunehmende Ausbildungsstelle beigefügt\nist.\n\n16\n\n \n\nZwar beurteilt sich die Frage, ob einem Ausländer ein Anspruch auf Erteilung\neiner Duldung zusteht, grundsätzlich nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im\nZeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Soweit es aber darum geht, ob der\nAusschlussgrund des Bevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung\nvorliegt, ist der maßgebliche Zeitpunkt jedoch aus materiell- rechtlichen\nGründen ausnahmsweise auf die Beantragung der Erteilung der Ausbildungsduldung\nvorzuverlagern. Andernfalls hätte es letztlich die Ausländerbehörde in der\nHand, durch kurzfristige Einleitung von Abschiebemaßnahmen - die nach dem\nGesetzeswortlaut selbst im Fall einer bereits aufgenommenen Ausbildung die\nDuldungserteilung hindern - die Entstehung des Anspruchs zu verhindern (vgl.\nVGH Mannheim Beschluss vom 13.10.2016 – 11 S 1991/16; OVG Münster Beschluss\nvom 13.03.2017 – 18 B 148/17; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom\n22.11.2016- 12 S 61/16).\n\n17\n\n \n\nDer hinreichend konkretisierte Nachweis über die Ausbildungsstelle setzt\ngrundsätzlich die Vorlage eines bereits abgeschlossenen Ausbildungsvertrages\nvoraus, der sich zudem auf das unmittelbar bevorstehende Ausbildungsjahr\nbeziehen muss und in engem zeitlichem Zusammenhang mit diesem steht.\n\n18\n\n \n\nNicht erforderlich ist in diesem Zusammenhang aber, dass auch der Nachweis\nüber die Eintragung des Ausbildungsvertrages in das\nBerufsausbildungsverzeichnis bereits im Zeitpunkt der Antragstellung erbracht\nwird. Insoweit ist es mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Auszubildende\nzwar im Hinblick auf einen erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung (vgl. §\n43 Abs. 1 Nr. 3 BBiG) ein erhebliches eigenes Interesse an der Eintragung hat,\ndiese aber nicht unmittelbar beeinflussen kann, da die Eintragung in das\nBerufsausbildungsverzeichnis nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BBiG von dem Ausbildenden\nzu veranlassen und von der zuständigen berufsständischen Kammer nach Prüfung\nder Eintragungsvoraussetzungen vorzunehmen ist, ausreichend, wenn der Nachweis\nüber die Eintragung des bei Antragstellung vorgelegten\nBerufsausbildungsvertrags zeitnah nachgereicht wird (vgl. OVG Münster,\nBeschluss vom 13. 03.2017 – 18 B 148/17).\n\n19\n\n \n\nNach diesen Maßstäben waren aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Fall des\nAntragstellers bereits vor der Antragstellung eingeleitet worden. Der\nAntragsteller hat mit Schreiben vom 06.03.2019 einen Antrag auf Erteilung\neiner Ausbildungsduldung unter Vorlage eines Ausbildungsvertrages gestellt. Zu\ndiesem Zeitpunkt hatte der Antragsgegner bereits einen Antrag an das Landesamt\nfür Ausländerangelegenheiten Schleswig-Holstein gestellt, die\nPassersatzbeschaffung und die Abschiebung des Antragstellers in Amtshilfe\ndurchzuführen. Dieser Antrag erfolgte mit Schreiben vom 13.02.2019. Bereits\ndas Einleiten von Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung durch Richtung eines\nAmtshilfeersuchens an das Landesamt für Ausländerangelegenheiten oder an die\nBundespolizei ist als konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung i. S. des §\n60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG anzusehen (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom\n20.11.2017 – 4 MB 83/17 -). Dies hindert demnach die Erteilung einer\nAusbildungsduldung an den Antragsteller.\n\n20\n\n \n\nAngesichts dessen besteht auch kein Anspruch auf Erteilung einer\nBeschäftigungserlaubnis.\n\n21\n\n \n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung\nauf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, wobei die Kammer den sich daraus\nergebenden Wert wegen des engen inhaltlichen Zusammenhangs der Anträge nur\neinmal berücksichtigt.\n\n \n\n
319,624
lagrlp-2019-04-11-5-sa-37118
899
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
lagrlp
Rheinland-Pfalz
Arbeitsgerichtsbarkeit
5 Sa 371/18
2019-04-11
2019-05-28 10:01:08
2020-12-10 13:22:48
Urteil
ECLI:DE:LAGRLP:2019:0411.5Sa371.18.00
#### Tenor\n\n \n\n \n\n1\\. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen\n- Auswärtige Kammern Landau - vom 20. September 2018, Az. 5 Ca 618/17, wird\nkostenpflichtig zurückgewiesen.\n\n \n\n2\\. Die Revision wird nicht zugelassen.\n\n#### Tatbestand\n\n \n\n1\n\n \n\nDie Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Wirksamkeit einer\nVersetzung des Klägers an einen anderen Arbeitsort.\n\n2\n\n \n\nDie Beklagte ist ein Unternehmen der Entsorgungsbranche mit mehreren\nStandorten, ua. in R. und M.. Zum Standort R. gehört ein Wertstoffhof in W.\n(Pfalz). An jedem Standort besteht ein Betriebsrat. Der 1963 geborene Kläger\nist seit Oktober 2001 bei der Beklagten als Müllwerker zu einem Monatslohn von\nzuletzt € 2.565,00 brutto beschäftigt. Auf seinen Antrag wurde ein Grad der\nBehinderung (GdB) von 30 festgestellt; das Widerspruchsverfahren auf\nFeststellung eines höheren GdB ist nicht abgeschlossen.\n\n3\n\n \n\nIm schriftlichen Arbeitsvertrag vom 17.10.2001 haben die Parteien ua.\nfolgendes vereinbart:\n\n4\n\n \n\n**"§ 2 Aufgabenbereich**\n\n5\n\n \n\n1\\. Der Mitarbeiter wird als Müllwerker eingestellt. \n2\\. Erfüllungsort für die Arbeitsleistung ist R.. \n3\\. Die Firma behält sich einen etwa notwendigen anderweitigen Einsatz des\nMitarbeiters - eventuell auch an einem anderen Ort - im Rahmen seiner Stellung\nentsprechenden Tätigkeit vor. \n4\\. Soweit betrieblich erforderlich, kann der Mitarbeiter auch mit anderen\nArbeiten im Rahmen seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten beschäftigt werden. \n..."\n\n6\n\n \n\nDie Beklagte beschäftigte den Kläger mehrere Jahre als Kraftfahrer. Weil er\ndiese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte, setzte\nsie ihn ab dem Jahr 2012 auf dem Wertstoffhof in W. ein, den die Beklagte als\nEntsorgungspartner des Landkreises Germersheim betreibt. Die Gebühren für die\nAnlieferer sind aufgrund einer Gebührensatzung nach Gewicht oder Volumen\nabzurechnen. Der Kläger hatte am Wertstoffhof die von Unternehmen und\nPrivatpersonen angelieferten Abfälle an der Pforte zu begutachten, ggf. zu\nwiegen sowie die entsprechenden Entsorgungsgebühren zu erheben und zu\nkassieren. Außerdem hatte er zu beaufsichtigen, dass keine werthaltigen\nAbfälle entwendet werden.\n\n7\n\n \n\nDie Beklagte nahm - im Einzelnen vom Kläger bestrittene - Hinweise von Bürgern\nzum Anlass, den Wertstoffhof und auch den Kläger von einer Detektei\nobservieren zu lassen. Die Observationen fanden an drei Tagen, am 14.05.,\n19.07. und 30.07.2016 statt, die Detektive hielten ihre Beobachtungen in drei\nEinsatzberichten fest (Anlage B1). Weil die polizeilichen Ermittlungen, die\naufgrund einer Strafanzeige gegen den Kläger durchgeführt worden sind, keinen\nFortgang nahmen, führte die Beklagte am 02.12.2016 auf dem Wertstoffhof eine\nBefragung von drei dort beschäftigten Mitarbeitern durch und fertigte hierüber\nGesprächsprotokolle (Anlage B2) an. Anschließend führte die Beklagte Gespräche\nmit dem Kläger. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen\nDiebstahls wurde von der Staatsanwaltschaft Landau (Az. 7291 Js 16338/16) gem.\n§ 153 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt.\n\n8\n\n \n\nMit Schreiben vom 27.12.2016 versetzte die Beklagte den Kläger - nach\nZustimmung der Betriebsräte des abgebenden und des aufnehmenden Betriebs - ab\ndem 01.01.2017 nach M., wo sie keinen Wertstoffhof betreibt. Nach Einholung\neiner arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 19.06.2017 gestaltete die\nBeklagte das Tätigkeitsprofil des Klägers in ihrem Betrieb in M. so um, dass\nes seiner gesundheitlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Die einfache\nEntfernung vom Wohnort des Klägers zum Betrieb in M. beträgt 56,4\nStraßenkilometer. Gegen die Versetzung wendet sich der Kläger nach Einstellung\ndes Ermittlungsverfahrens mit seiner am 01.08.2017 beim Arbeitsgericht\neingegangenen Klage. Außerdem verlangt er von der Beklagten den Widerruf und\ndie Unterlassung der Behauptung, er habe am Wertstoffhof Schrottteile\ngestohlen. Die Beklagte bestreitet diese Äußerung.\n\n9\n\n \n\n**Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,**\n\n10\n\n \n\n1\\. die Beklagte zu verurteilen, ihn mit sofortiger Wirkung wieder auf seinem\nbisherigen Arbeitsplatz im Wertstoffhof W. zu beschäftigen,\n\n11\n\n \n\nhilfsweise festzustellen,\n\n12\n\n \n\ndass die Weisung der Beklagten vom 27.12.2016, ihn vom Wertstoffhof W. zum\nWertstoffhof M. zu versetzen, unwirksam und er zur Befolgung der Weisung nicht\nverpflichtet ist,\n\n13\n\n \n\n2\\. die Beklagte zu verurteilen, bei Meidung eines für jeden Fall der Zu-\nwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00 und für\nden Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder\nOrdnungshaft bis zu sechs Monaten, es zu unterlassen, gegenüber ihren\nMitarbeitern und gegenüber Dritten zu behaupten, er habe aus dem Wertstoffhof\nW. Schrottteile gestohlen,\n\n14\n\n \n\n3\\. die Beklagte zu verurteilen, ihre Behauptung, er habe aus dem Wertstoffhof\nW. Schrottteile gestohlen, zu widerrufen.\n\n15\n\n \n\n**Die Beklagte hat beantragt,**\n\n16\n\n \n\ndie Klage abzuweisen.\n\n17\n\n \n\nVon einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des\nerstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und\nauf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige\nKammern Landau - vom 20.09.2018 Bezug genommen.\n\n18\n\n \n\nDas Arbeitsgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme\nabgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, der Klageantrag\nzu 1) sei unbegründet, denn die Versetzung des Klägers nach M. sei rechtmäßig.\nDas Weisungsrecht der Beklagten, dem Kläger einen anderen Arbeitsort\nzuzuweisen, sei durch den Arbeitsvertrag vom 17.10.2001 nicht eingeschränkt.\nDie Beklagte habe mit der Versetzung die Grenzen des billigen Ermessens iSv.\n§§ 106 Satz 1 GewO, 315 BGB gewahrt. Nach den Feststellungen in den\nObservationsberichten der beauftragten Detektei bestehe der dringende\nVerdacht, dass der Kläger bei seiner Tätigkeit auf dem Wertstoffhof in W. die\nBeklagte in strafrechtlich relevanter Weise geschädigt bzw. an solchen\nHandlungen mitgewirkt habe. So habe der Kläger dem ihm bekannten W. R.\nermöglicht, nach Schließung auf dem Gelände des Wertstoffhofs zu verbleiben,\num Metallgegenstände aus dem Altmetallcontainer herauszunehmen und in seinen\nKleintransporter zu verladen. Der Tatverdacht gegen den Kläger sei außerdem\ndurch die Aussagen der am 02.12.2016 von der Beklagten befragten drei\nMitarbeiter bekräftigt worden. Die Beklagte habe daher ein schutzwürdiges\nInteresse daran, den Kläger nicht mehr auf dem Wertstoffhof zu beschäftigen;\nalle Interessen des Klägers müssten dahinter zurückstehen. Entgegen der\nAnsicht des Klägers seien sowohl die Observationsberichte der Detektei als\nauch die Aussagen der drei von der Beklagten befragten Mitarbeiter im\nvorliegenden Rechtsstreit verwertbar. Insbesondere verstoße die\nBerücksichtigung der Observationsberichte nicht gegen § 32 BDSG aF. Nach dem\nErgebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung des ehemaligen\nNiederlassungsleiters F. habe bei Beauftragung der Detektei der konkrete\nTatverdacht bestanden, dass der Kläger - allein oder im Zusammenwirken mit\nDritten - die Beklagte bei seiner Tätigkeit auf dem Wertstoffhof schädige.\nZudem habe der Zeuge F. den vergeblichen Versuch unternommen, die\nVerdachtsmomente durch die Befragung der Arbeitskollegen des Klägers\naufzuklären. Die Beklagte habe zur weiteren Sachaufklärung keine milderen,\ngleichermaßen geeigneten Mittel gehabt, um die Beteiligung des Klägers an\nUnterschlagungen aufzuklären. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf dem\nWertstoffhof W. - ggf. mit anderen Aufgaben - sei der Beklagten nicht\nzuzumuten, weil aufgrund (falsch verstandener) Loyalität der anderen\nMitarbeiter gegenüber dem Kläger dort Strukturen bestanden hätten, bei denen\nweitere Schädigungen zu befürchten gewesen seien. Die vom Kläger mit den\nKlageanträgen zu 2) und 3) verfolgten Ansprüche auf Widerruf und Unterlassung\nbestimmter Äußerungen seien unbegründet, weil er nicht aufgezeigt habe, dass\ndie Beklagte überhaupt entsprechende Behauptungen aufgestellt habe. Die\nBeklagte habe vorgetragen, den Mitarbeitern lediglich erklärt zu haben, dass\nder Kläger bezüglich des Verdachts des illegal abhanden gekommenen\nMetallschrotts befragt worden sei. Die von der Beklagten aufgestellte\nTatsachenbehauptung, "_der Kläger wurde wegen dem Diebstahl von Schrottteilen\npolizeilich befragt"_ , entspreche den Tatsachen. Außerdem habe die Beklagte\nbei der Durchführung der Mitarbeiterbefragung in Wahrnehmung berechtigter\nEigeninteressen gehandelt, um den Tatverdacht gegen den Kläger aufzuklären.\nWegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung\nvon Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 20.09.2018\nBezug genommen.\n\n19\n\n \n\nDas genannte Urteil ist dem Kläger am 24.10.2018 zugestellt worden. Er hat\nhiergegen mit einem am 15.11.2018 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz\neingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 12.12.2018\neingegangenen Schriftsatz begründet.\n\n20\n\n \n\nEr macht geltend, die Observationsberichte der Detektei unterlägen im Hinblick\nauf den Tatbestand des § 32 BDSG aF einem Beweisverwertungsverbot. Für die\nverdeckte Überwachungsmaßnahme habe kein ausreichend dokumentierter Verdacht\neiner groben Pflichtverletzung bestanden. Weil er die von der Detektei\nfestgestellten Tatsachen unter Beweisantritt bestritten habe, hätte das\nArbeitsgericht seinen Beweisangeboten nachgehen müssen. Das Arbeitsgericht\nhabe angenommen, dass aufgrund der Zeugenaussage des ehemaligen\nNiederlassungsleiters F. ein konkreter Tatverdacht gegen ihn bestanden habe.\nDamit habe das Arbeitsgericht gegen den Beibringungsgrundsatz verstoßen, denn\ndie Beklagte habe schriftsätzlich lediglich vorgetragen, ein Bürger habe dem\nZeugen mitgeteilt, dass er von diesem bei der Anlieferung von Grünschnitt -\naußerhalb der Gebührensatzung - Geld verlangt habe. Der Bürger sei der\nZahlungsaufforderung nachgekommen, ohne von ihm eine Quittung erhalten zu\nhaben. Daraufhin habe der Zeuge F. an einen weiteren Mitarbeiter der Beklagten\neine E-Mail mit folgendem Wortlaut versandt:\n\n21\n\n \n\n_"... am 28.12.2015 um 14:30 Uhr berichtete mir im Beisein von [...] ein\nAnlieferer in W., daß er bei der Anlieferung von Grünschnitt, mehrfach Geld an\n[den Kläger] und [...] gezahlt habe. Ohne Quittung. Dieses Geld wurde von den\nHerren gefordert"._\n\n22\n\n \n\nWeitere Tatsachen zu einem konkreten Tatverdacht vor der verdeckten\nÜberwachungsmaßnahme habe die Beklagte nicht vorgetragen. Auch den Namen des\nBürgers, der den Vorfall gemeldet haben soll, habe sie nicht genannt. Das\nArbeitsgericht habe seinem Urteil die Aussage des Zeugen F. zugrunde gelegt,\nder bekundet habe, dass sein Name in einer Betriebsratssitzung im Zusammenhang\nmit Unregelmäßigkeiten gefallen sei. Daraufhin habe der Zeuge F. Mitarbeiter\nin W. befragt, die ihm jedoch erklärt hätten, sie wollten damit nichts zu tun\nhaben und sich "raushalten". Weiter sei der Umsatz des Wertstoffhofs W. im\nVergleich zum Wertstoffhof in R. gering gewesen. Der Zeuge F. habe außerdem\nausgesagt, ihm sei von einem Kunden berichtet worden, er (der Kläger) sei\nbestechlich und nehme Abfall "am Landkreis vorbei" gegen Geld an. Weiter seien\nKunden am Wertstoffhof eingetroffen, die gezielt nach ihm gefragt hätten. Wenn\ner nicht anwesend gewesen sei, seien diese Kunden mit der Erklärung, sie kämen\nspäter wieder, weggefahren. Diese vom Arbeitsgericht der Entscheidung zugrunde\ngelegten Tatsachen seien ausschließlich vom Zeugen F. bekundet worden. Der vom\nZeugen geschilderte Sachverhalt habe jedoch nichts mit dem Vortrag der\nBeklagten zu tun. Damit handele es sich bei diesen Tatsachen nicht um solche,\ndie aus Parteivortrag resultierten. Das Arbeitsgericht habe mit der Vernehmung\ndes Zeugen F. selbständig Tatsachen ermittelt. Diese Tatsachen hätte es dem\nUrteil nicht zugrunde legen dürfen. Das Arbeitsgericht hätte die Berichte der\nDetektei außerdem nicht verwerten dürfen, weil die Beklagte den von ihr\ngeäußerten Verdacht nicht auf "_dokumentierte_ " Tatsachen gestützt habe. Die\nvom Zeugen F. geschilderten Tatsachen seien nicht dokumentiert worden; sie\nkönnten frei erfunden sein. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass\ndie Beklagte selbst nicht einmal in der Lage gewesen sei, diese Tatsachen\nvorzutragen. Bei einem solch massiven Eingriff in seine Grundrechte, sich auf\neine Zeugenaussage verlassen zu müssen, solle das Tatbestandsmerkmal\n"_dokumentieren_ " in § 32 BDSG aF gerade verhindern. Damit sei der für die\nVerwertbarkeit der verdeckten Überwachungsmaßnahme erforderliche Verdacht\nausschließlich mit dem Inhalt der E-Mail des Zeugen F. begründbar. Der Inhalt\ndieser E-Mail liefere jedoch keine konkreten Tatsachen für einen Tatverdacht.\nDer E-Mail sei nicht zu entnehmen, wann und wo er von einem Bürger außerhalb\nder Gebührensatzung liegende Gebühren vereinnahmt haben solle. Zudem werde\nnicht konkretisiert, um welche Gebühr und um welchen Bürger es sich gehandelt\nhabe. Es sei auch unklar, ob es sich um Grünschnitt eines Gewerbetreibenden\noder einer Privatperson gehandelt habe. Der Grünschnitt von Privatpersonen\nkönne gebührenfrei entsorgt werden. Demnach sei es ihm nicht möglich, sich zu\ndem Vorfall zu äußern, um den Verdacht aus der Welt zu räumen. Die Detektei\nsei zu dem Ergebnis gekommen, dass er einem W. R. ermöglicht habe, Schrott vom\nWertstoffhof abzutransportieren. Er sei dem entgegengetreten und habe\nausgeführt, dass er ua. in Zusammenarbeit mit umliegenden Gemeinden gebrauchte\nFahrräder für Flüchtlinge gesammelt und diese auf dem Wertstoffhof abgestellt\nhabe. Ausschließlich diese Fahrräder seien von R. abgeholt worden. Den dazu\ngestellten Beweisanträgen sei das Arbeitsgericht nicht nachgegangen, es habe\nvielmehr auf die von der Beklagten angefertigten Protokolle über die\nVernehmung von drei Mitarbeitern abgestellt. Da diese Protokolle von den\nbefragten Mitarbeitern nicht unterschrieben worden seien, handele es sich um\nstreitigen Parteivortrag, den das Arbeitsgericht seinem Urteil zugrunde gelegt\nhabe, ohne Beweis zu erheben. Schließlich seien auch die bei den\nMitarbeitergesprächen gewonnenen Tatsachen nicht verwertbar. Denn diese\nTatsachen seien nur aufgrund der Berichte der Detektei gewonnen worden.\nInsoweit entfalte das Beweisverwertungsverbot für die Berichte der Detektei\neine Fernwirkung für die Mitarbeitergespräche.\n\n23\n\n \n\n**Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,**\n\n24\n\n \n\ndas Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau - vom\n20.09.2018, Az. 5 Ca 618/17, abzuändern und die Beklagte nach den\nSchlussanträgen erster Instanz zu verurteilen.\n\n25\n\n \n\n**Der Beklagte beantragt,**\n\n26\n\n \n\ndie Berufung zurückzuweisen.\n\n27\n\n \n\nSie verteidigt das angefochtene Urteil.\n\n28\n\n \n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die\ngewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der\nSitzungsniederschriften Bezug genommen.\n\n#### Entscheidungsgründe\n\n \n\n29\n\n \n\nDie Berufung des Klägers ist teilweise unzulässig; im Übrigen ist sie\nzulässig, aber unbegründet.\n\n \n\n**I.**\n\n30\n\n \n\nDie Berufung ist unzulässig, soweit sich der Kläger gegen die Abweisung der\nKlageanträge zu 2) und 3) auf Widerruf von Äußerungen und die Unterlassung von\nBehauptungen wendet. Der Kläger beantragt zwar, die Beklagte nach den\n"Schlussanträgen erster Instanz" zu verurteilen, es fehlt aber eine\nBerufungsbegründung zu allen Streitgegenständen. Zu den Anträgen auf Widerruf\nund Unterlassung ehrschutzrelevanter Äußerungen verhält sich die Berufung\nnicht.\n\n31\n\n \n\n1\\. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 ArbGG muss die\nBerufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die\nRechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das\nErgebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den\nzur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den\nrechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen.\nHat das Arbeitsgericht - wie hier - über mehrere Streitgegenstände iSv. § 253\nAbs. 2 Nr. 2 ZPO mit jeweils eigenständiger Begründung entschieden, muss für\njeden eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Rechtsmittelbegründung\ngegeben werden. Fehlen Ausführungen zu einem Streitgegenstand, ist das\nRechtsmittel insoweit unzulässig. Eine eigenständige Begründung ist nur\nentbehrlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig\nvon der Entscheidung über den anderen abhängt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz\n10.08.2017 - 5 Sa 75/17 - Rn. 41 mwN).\n\n32\n\n \n\n2\\. Mit der Abweisung der Klageanträge zu 2) und 3) befasst sich die Berufung\nüberhaupt nicht. Das wäre indes erforderlich gewesen. Über die geltend\ngemachten Ansprüche auf Widerruf und Unterlassung der Behauptung, der Kläger\nhabe vom Wertstoffhof W. Schrottteile gestohlen, hat das Arbeitsgericht mit\neigenständiger Begründung entschieden. Auf die diesbezüglichen Erwägungen des\nArbeitsgerichts geht der Kläger mit keinem Wort ein. Seine Berufung war daher\nteilweise als unzulässig zu verwerfen, ohne dass dies im Urteilstenor\ngesondert zum Ausdruck zu bringen war.\n\n \n\n**II.**\n\n33\n\n \n\nSoweit die Berufung zulässig ist, ist sie unbegründet. Das Arbeitsgericht hat\nzutreffend erkannt, dass die Versetzung des Klägers mit Wirkung ab 01.01.2017\nvom Wertstoffhof in W. zum Standort der Beklagten in M. wirksam ist. Die\nBerufungskammer folgt den ausführlichen und sorgfältig dargestellten\nEntscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69\nAbs. 2 ArbGG fest. Die Berufungsangriffe des Klägers bleiben erfolglos.\n\n34\n\n \n\n1\\. Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die\narbeitsvertraglichen Regelungen eine Versetzung des Klägers zulassen. Die\nParteien haben in § 2 Ziff. 2 des Arbeitsvertrags vom 17.10.2001 zwar R. als\nErfüllungsort für die Arbeitsleistung bestimmt, jedoch in Ziff. 3 dieser\nBestimmung einen Versetzungsvorbehalt vereinbart. Die Beklagte hat sich\nvorbehalten, den Kläger auch an einem anderen Ort einzusetzen.\n\n35\n\n \n\nWie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat, verhindert die Bestimmung eines\nOrts der Arbeitsleistung in Kombination mit einer im Arbeitsvertrag durch\nVersetzungsvorbehalt geregelten Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen\nregelmäßig die vertragliche Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der\nArbeitsleistung (vgl. BAG 13.11.2013 - 10 AZR 1082/12 - Rn. 26 mwN). Es macht\nkeinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der\nArbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO\nvorbehalten bleibt oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die\nMöglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird. In diesem Fall\nwird lediglich klargestellt, dass § 106 Satz 1 GewO gelten und eine\nVersetzungsbefugnis an andere Arbeitsorte bestehen soll. Hiergegen wird von\nder Berufung auch nichts erinnert.\n\n36\n\n \n\n2\\. Das Arbeitsgericht hat weiterhin zutreffend festgestellt, dass die\nVersetzung des Klägers nach M. der gebotenen Ausübungskontrolle am Maßstab von\n§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB standhält. Die erkennende Kammer schließt sich\ndem an.\n\n37\n\n \n\na) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der\nwechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen\nWertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der\nVerhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und\nZumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls\neinzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315\nAbs. 1 BGB verbleibt auch im Fall der Versetzung für die rechtsgestaltende\nLeistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum.\nInnerhalb dieses Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere\nEntscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach §\n106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als\nGläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat. Bei dieser\nPrüfung kommt es, wie ausgeführt, nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten\nangestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen\nEntscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Darlegungs- und\nBeweislast für die Einhaltung dieser Grenzen hat der Bestimmungsberechtigte.\nMaßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem\nder Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte (vgl. BAG\n24.05.2018 - 6 AZR 116/17 - Rn. 39 mwN).\n\n38\n\n \n\nb) Das Arbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Beklagte mit der\nVersetzung des Klägers vom Wertstoffhof in W. zu ihrem Standort in M. billiges\nErmessen gewahrt hat. Dies sieht die Berufungskammer genauso.\n\n39\n\n \n\naa) Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, den Kläger nicht mehr\nauf dem Wertstoffhof in W. einzusetzen. Sie hat ausreichende Tatsachen dafür\nvorgetragen, die den Verdacht begründen, dass der Kläger seine\narbeitsvertraglichen Pflichten an diesem Arbeitsort verletzt hat. Auf die\nstrafrechtliche Bewertung seines Verhaltens kommt es nicht an. Es ist auch\nunerheblich, ob die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe geeignet wären, einen\nGrund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung abzugeben, denn die\nBeklagte hat als milderes Mittel lediglich eine räumliche Versetzung des\nKlägers angeordnet.\n\n40\n\n \n\n(1) Entgegen der Ansicht der Berufung musste das Arbeitsgericht bei seiner\nEntscheidungsfindung weder den Sachvortrag der Beklagten noch den Inhalt der\nAussage des Zeugen F. unberücksichtigt lassen. Die Verwertung des Vorbringens\nder Beklagten, insbesondere auch der drei Observationsberichte der\nbeauftragten Detektei vom 14.05., 09.07. und 30.07.2016, ist mit dem Recht des\nKlägers auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar.\n\n41\n\n \n\nAnders als die Berufung meint, ist es unmaßgeblich, dass die Beklagte die\ntatsächlichen Anhaltspunkte, die aus ihrer Sicht den Verdacht einer schweren\nPflichtverletzung bzw. eines strafbaren Verhaltens des Klägers begründeten,\nnicht iSv. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aF vor Beauftragung der Detektei\n"dokumentiert" hat. Ein solches Versäumnis führt weder zu einer Präklusion mit\nVortrag zu den Verdachtsmomenten im Prozess noch begründet es für sich\ngenommen die Unverwertbarkeit der aus der Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse.\nDie Vorgabe, die Tatsachen zu dokumentieren, auf die sich ein Anfangsverdacht\ngründet, verfolgt den Zweck, dem hiervon erfassten Personenkreis die\nnachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle zu erleichtern. Aus ihr kann ein\nprozessuales Verwertungsverbot jedenfalls dann nicht abgeleitet werden, wenn\nder Arbeitgeber den Verdacht von Straftaten spätestens im Rechtsstreit durch\nkonkrete Tatsachen untermauert und dadurch eine Rechtmäßigkeitskontrolle\ngesichert ist (vgl. BAG 27.07.2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 37; 20.10.2016 - 2 AZR\n395/15 - Rn. 33).\n\n42\n\n \n\nDas Arbeitsgericht konnte, entgegen der Ansicht der Berufung, seine\nÜberzeugungsbildung auch auf die Aussage des Zeugen F. in der Beweisaufnahme\nvom 20.09.2018 stützen. Der von der Berufung bemängelte Verstoß gegen den\nBeibringungsgrundsatz liegt nicht vor. Im Gegenteil: Das Arbeitsgericht durfte\ndas Beweisergebnis und das erhebliche Vorbringen der Beklagten nicht\nübergehen. Das Arbeitsgericht hat verfahrensfehlerfrei den ihm unterbreiteten\nSachverhalt nach § 286 ZPO ausgeschöpft und den in der höchstrichterlichen\nRechtsprechung anerkannten Grundsatz beachtet, dass sich eine Partei die bei\neiner Beweisaufnahme zutage tretenden ihr günstigen Umstände regelmäßig\nzumindest hilfsweise zu eigen macht (vgl. BGH 14.06.2018 - III ZR 54/17 - Rn.\n21 mwN; 10.11.2009 - VI ZR 325/08 - Rn. 5 mwN). Dafür, dass sich die Beklagte\ndas ihr günstige Beweisergebnis nicht wenigstens hilfsweise zu Eigen gemacht\nhat, ist nichts ersichtlich.\n\n43\n\n \n\n(2) Es besteht, entgegen der Ansicht der Berufung, weder ein Sachvortrags-\noder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des gem. Art. 2 Abs. 1\niVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts des\nKlägers (vgl. auch Art. 8 Abs. 1 EMRK). Auch dies hat das Arbeitsgericht\nzutreffend erkannt.\n\n44\n\n \n\nIm arbeitsgerichtlichen Verfahren kann sich ein Sachvortrags- oder\nBeweisverwertungsverbot aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen\nAuslegung des Prozessrechts - etwa der § 138 Abs. 3, § 286, § 331 Abs. 1 Satz\n1 ZPO - ergeben. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG gegebenen Bindung an die\ninsoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer\nrechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung hat das Gericht zu prüfen, ob die\nVerwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die\nsich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des\nBetroffenen vereinbar ist (vgl. grundlegend BAG 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 -\nRn. 14 ff mwN; 27.07.2017 – 2 AZR 681/16 - Rn. 16 ff mwN; 29.06.2017 - 2 AZR\n597/16 - Rn. 21 mwN).\n\n45\n\n \n\n(3) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich das Arbeitsgericht nach Vernehmung\ndes Zeugen F. zu Recht nicht gehindert gesehen, die Ergebnisse der verdeckten\nÜberwachung des Klägers durch eine Detektei an drei Tagen im Mai und Juli 2016\nseiner Entscheidung zugrunde zu legen. Eine Verletzung der Grundrechte des\nKlägers liegt nicht vor. Zum einen erfolgte die heimliche Überwachung durch\nDetektive nicht iSv. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aF anlasslos, zum anderen diente\nsie auch der Wahrung berechtigter Interessen iSd. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2\nBDSG aF. Insoweit wird § 28 BDSG aF von § 32 BDSG aF nicht verdrängt (vgl. BAG\n29.06.2017 - 2 AZR 597/16 - Rn. 25 mwN).\n\n46\n\n \n\nGegen den Kläger bestanden nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen\nBeweisaufnahme genügend Verdachtsmomente, die eine verdeckte Observation durch\neine Detektei als geboten erscheinen ließen. Der Zeuge F., der ehemalige\nNiederlassungsleiter der Beklagten, hat bei seiner erstinstanzlichen\nVernehmung bekundet, dass in einer Betriebsratssitzung der Name des Klägers im\nZusammenhang mit Unregelmäßigkeiten auf dem Wertstoffhof in W. gefallen sei.\nZwei Betriebsratsmitglieder hätten den Namen des Klägers erwähnt. Da ihm keine\nBeweise vorlagen, habe der Zeuge die Mitarbeiter in W. befragt, die ihm jedoch\nerklärt hätten, sie wollten damit nichts zu tun haben und sich "raushalten".\nIm Urlaub des Klägers habe ihm ein Kunde auf dem Wertstoffhof mitgeteilt, dass\nder Kläger bestechlich sei, er nehme Abfall "am Landkreis vorbei" gegen Geld\nan. Der Kunde (Arbeitnehmer einer Firma), der anonym bleiben wolle, habe ihm\nerklärt, dass sein Chef immer "an der Beklagten vorbei" Abfall anliefere und\ndafür dem Kläger Geld bezahle. Er, der Zeuge F., habe während seiner\nAnwesenheit auf dem Wertstoffhof selbst beobachtet, dass Personen mit vollen\nAnhängern eingetroffen seien, die gezielt nach dem Kläger gefragt hätten. Wenn\nihnen mitgeteilt worden sei, der Kläger sei nicht anwesend, seien sie, ohne\nabzuladen, mit der Erklärung wieder weggefahren, sie kämen dann später wieder.\nEr sei deshalb so sensibilisiert gewesen, dass er gemeinsam mit dem\nPersonalleiter beschlossen habe, eine Überwachung durch eine Detektei zu\nveranlassen. Er habe keine andere Möglichkeit gesehen, weil die\nArbeitskollegen den Kläger nicht anschwärzen wollten. Es habe aber auch noch\nandere Indizien gegeben. Auf dem Wertstoffhof in R. sei mit den Wertstoffen\nrichtig Geld verdient worden, obwohl dort wesentlich geringere Mengen\numgesetzt worden seien.\n\n47\n\n \n\nDas Arbeitsgericht hat die Aussage des Zeugen F. insgesamt als glaubhaft und\ndie Person des Zeugen als glaubwürdig beurteilt. Einwendungen gegen die\nBeweiswürdigung im angefochtenen Urteil hat der Kläger nicht erhoben. Aufgrund\nder Aussage des Zeugen F. bestand für die verdeckte Beobachtung des Klägers\ndurch eine Detektei ein hinreichender Anlass, so dass die daraus gewonnenen\nErkenntnisse verwertet werden können. Die Überwachung war auch nicht\nunverhältnismäßig, denn weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des\nVerdachts bestanden nicht, zumal sich die vom Zeugen F. befragten anderen\nMitarbeiter aus der Sache "raushalten" wollten. Auch insoweit schließt sich\ndie Berufungskammer dem Arbeitsgericht an.\n\n48\n\n \n\nEntgegen der Ansicht des Klägers wäre der Einsatz von Testpersonen kein\nmilderes Mittel zur Ehrlichkeitskontrolle gewesen, denn auch bei derartigen\nTests kollidieren - wie bei der heimlichen Überwachung durch Detektive -\nschützenswerte betriebliche Interessen des Arbeitgebers mit dem\nPersönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Soweit der Kläger meint, die Beklagte\nhätte die Gespräche mit den drei Mitarbeitern, die sie erst im Dezember 2016\ngeführt hat, vor Beauftragung der Detektei führen müssen, übersieht er, dass\ndie erste Befragung dieser Mitarbeiter durch den Zeugen F. zu keinem Ergebnis\ngeführt hat, weil sie sich aus der Sache "raushalten" wollten. Offensichtlich\nwaren sie erst zu Aussagen gegen den Kläger bereit, nachdem die Polizei vor\nOrt war, um wegen des "Schwunds" von Metallschrott zu ermitteln.\n\n49\n\n \n\n(4) Die von der Beklagten beauftragten Detektive haben mehrere Male\nbeobachtet, dass der Kläger von Kunden, die Abfall angeliefert haben, an deren\nFahrzeugen etwas entgegengenommen und in seine Jackentasche gesteckt hat. Sie\nbeobachteten auch, dass der Kläger von einem Anlieferer (aus dem\nHandwerkerfahrzeug eines Malerbetriebs) eine orange Rolle entgegengenommen und\ndiese im weiteren Verlauf in den Kofferraum seines Privat-Pkw gelegt hat. Die\nDetektive haben schließlich festgestellt, dass der Kläger einer\nbetriebsfremden Person (W. R.) gestattete, den Wertstoffhof mit einem Mercedes\nSprinter zu befahren, um sich dort, auch außerhalb der Öffnungszeiten und nach\nSchließung des Hoftores, aufzuhalten. R. durfte mit Billigung des Klägers\nseinen Transporter neben dem Altmetallcontainer abstellen und mit\nMetallgegenständen beladen.\n\n50\n\n \n\nBereits die in den Einsatzberichten dokumentierten Beobachtungen der\nDetektive, die der Kläger vom äußeren Geschehensablauf in den Grundzügen nicht\nbestreitet, führen in jeder Hinsicht zu einem berechtigten Interesse der\nBeklagten daran, den Kläger nicht mehr auf dem Wertstoffhof in W. einzusetzen.\nEs bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob das Arbeitsgericht verpflichtet\ngewesen ist, die drei Arbeitnehmer als Zeugen zu vernehmen, die von der\nBeklagten am 02.12.2016 angehört worden sind, anstatt den Inhalt der von ihnen\nnicht unterzeichneten Gesprächsprotokolle zu verwerten.\n\n51\n\n \n\nDas wesentliche Entlastungsvorbringen des Klägers besteht darin, dass R.,\nwährend er am 09.07.2016 von den Detektiven beobachtet worden ist, keinen\nMetallschrott aus dem Altmetallcontainer, sondern daneben abgestellte\nFahrräder in seinen Transporter geladen habe, die er (der Kläger) auf dem\nWertstoffhof für Asylbewerber gesammelt habe. Unabhängig davon, dass auf den\nim Einsatzbericht enthaltenen Fotografien keine Fahrräder zu erkennen sind,\nhat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass bei ihr keine Anfrage von\n"umliegenden Gemeinden" eingegangen sei, ob im Wertstoffhof alte Fahrräder und\nKinderroller zum Entsorgen abgegeben werden, die an Asylbewerber unentgeltlich\nherausgegeben werden könnten. Der Kläger war von der Beklagten nicht\nbevollmächtigt, derartige Anfragen zu bearbeiten. Er konnte auch nicht\nannehmen, er sei befugt, Fahrräder, die bei der Beklagten auf dem Wertstoffhof\nzur Entsorgung abgegeben worden sind - selbst zu karitativen Zwecken - ohne\nausdrückliche Erlaubnis seiner Arbeitgeberin an betriebsfremde Personen,\ninsbesondere W. R., herauszugeben. Schon nach seinem eigenen Vorbringen hat\nder Kläger unter Ausnutzung der Betriebsmittel und des Betriebsgrundstücks der\nBeklagten während der von ihr bezahlten Arbeitszeit auf dem Wertstoffhof\neigenmächtig Fahrräder gesammelt und einer betriebsfremden Person gestattet,\ndiese vom Betriebsgelände zu entfernen. Bereits diese pflichtwidrige\nVerhaltensweise durfte die Beklagte dadurch unterbinden, dass sie dem Kläger\nim Wege des Direktionsrechts eine andere Tätigkeit an einem anderen Arbeitsort\nzuweist.\n\n52\n\n \n\nAußerdem hat der Kläger, um den von den Detektiven gewonnenen äußeren Anschein\nzu zerstreuen, er habe von den Kunden unmittelbar an deren Fahrzeugen für sich\nprivat Geld kassiert, vorgetragen, dass er von Kunden, die keine Rechnung oder\nQuittung wollten, das vereinnahmte Bargeld zunächst in seine Jacken- oder\nHosentasche gesteckt habe, um es dann bei der "nächsten Gelegenheit" in die\nKasse zu legen. Auch mit dieser Handhabung hat der Kläger die von ihm\ngeschuldete Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß erbracht. Der Kläger soll an\nden Kundenfahrzeugen kein Geld annehmen, vielmehr soll der Kunde die\nanfallenden Entsorgungsgebühren in der Regel an dem neben der Waage gelegenen\nDurchreichefenster entrichten. Die eingenommenen Gelder sollen in die Kasse\ngelegt und ein Beleg erstellt werden. Es besteht auch deshalb ein\nanerkennenswertes Interesse der Beklagten, den Kläger an einem anderen\nArbeitsort mit Tätigkeiten zu betrauen, die nicht das Kassieren von Bargeld\nerfordern.\n\n53\n\n \n\nAuch die Behauptung des Kläger, dass manche Kunden den Mitarbeitern des\nWertstoffhofs gelegentlich Geschenke mit geringem Wert aushändigten, so dass\ner bspw. auch Bonbons entgegengenommen haben könnte, während er von den\nDetektiven beobachtet worden sei, lässt die Versetzung nicht als unbillig\nerscheinen. Dasselbe gilt für die von den Detektiven beobachtete Übergabe\neiner orangenen Rolle, die ihm aus dem Firmenfahrzeug eines Malerbetriebs\nherausgereicht worden ist. Es soll sich nach den Angaben des Klägers um eine\nRolle Putzgewebe gehandelt haben, die er nicht im Baumarkt habe kaufen wollen,\nweil sie ihm dort überteuert erschien. Soweit der Kläger behauptet, er habe\ndie Rolle bezahlt, ist er dabei jedenfalls nicht beobachtet worden.\n\n54\n\n \n\nUnter Berücksichtigung aller Umstände hat die Beklagte ein anerkennenswertes\nInteresse daran, den Kläger nicht mehr auf dem Wertstoffhof in W. zu\nbeschäftigen, sondern so einzusetzen, dass er nicht mit der Erhebung von\nAbfallgebühren und der Entgegennahme von angelieferten Abfällen beschäftigt\nist. Der Kläger hat durch sein Verhalten das erforderliche Vertrauen der\nBeklagten in seine Redlichkeit verloren.\n\n55\n\n \n\nbb) Hinter dem Interesse der Beklagten an der Versetzung des Klägers nach M.\nmuss das Interesse des Klägers an der Beibehaltung seines bisherigen\nArbeitsplatzes auf dem Wertstoffhof in W. zurückzutreten. Auch dies hat das\nArbeitsgericht zutreffend erkannt.\n\n56\n\n \n\nDie Beklagte hat keine Kündigung erklärt, sondern den Kläger aufgrund der\nVerdachtsmomente lediglich versetzt. Damit hat sie auf das nicht\nbeanstandungsfreie Verhalten des Klägers während seiner Tätigkeit auf dem\nWertstoffhof mit einem milden Mittel reagiert. Der Kläger muss bei dem Wechsel\ndes Arbeitsorts seinen Wohnort nicht ändern, der einfache Weg zur Arbeit\nbeträgt rund 40 Minuten. Zwar ist das berechtigte Interesse des Klägers an\nkurzen Pendelzeiten und geringem finanziellen Aufwand im Rahmen der\nindividuellen Abwägung aller betroffenen Interessen ein wesentliches\nKriterium. Der zeitliche Mehraufwand für die Fahrstrecke nach M. ist dem\nKläger jedoch zumutbar. Der einfache Arbeitsweg nach M. beläuft sich auf 56,4\nKilometer, die Strecke ist ca. 36 Kilometer länger als zuvor. Die auftretenden\nUnbequemlichkeiten und zusätzlich entstehenden Kosten muss der Kläger\nhinnehmen. Sie gehen im Grundsatz nicht über das hinaus, was Arbeitnehmern\nregelmäßig zugemutet wird, nämlich die Belastungen des Wegs zur und von der\nArbeit zu tragen (vgl. zu diesem Aspekt BAG 12.11.2013 - 10 AZR 605/12 - Rn.\n45). Soweit der Kläger erstinstanzlich vorgetragen hat, dass er zur Arbeit mit\neinem Mercedes der M-Klasse fahre, der auf 100 Kilometer ca. 11 Liter\nDieselkraftstoff verbrauche, macht auch dies die Versetzung nicht unbillig.\nDer Kläger könnte seine finanzielle Belastung durch die Anschaffung eines\nangemessenen Pkw und die Eintragung eines Steuerfreibetrags reduzieren.\n\n57\n\n \n\nGesundheitliche Gründe stehen der Versetzung nach Mannheim nicht entgegen. Der\narbeitsmedizinischen Stellungnahme des BAD vom 19.06.2017, die auf Antrag des\nKlägers erfolgt ist, lässt sich entnehmen, dass der Kläger nach der REFA-\nKlassifizierung leichte bis mittelschwere Tätigkeiten beim Heben und Tragen,\nZiehen und Schieben von Lasten ausüben kann. Die Tätigkeit sollte überwiegend\nim Stehen (zeitweise im Gehen sei möglich) erfolgen. Überwiegende Tätigkeiten\nim Sitzen oder im Gehen, sollten weitgehend vermieden werden. Fahrtätigkeiten\n(Bagger, Radlader, Flurförderzeuge, Lkw) seien nur zeitweise möglich, etwa 15\nMinuten am Stück. Eine Tätigkeit in der Werkstatt - Zerlegen und Reparieren\nvon Behältern/Containern - entspreche am ehesten dem aktuellen Leistungsbild\ndes Klägers. Beide Parteien haben in der mündlichen Berufungsverhandlung auf\nBefragen übereinstimmend erklärt, dass die Beklagte das Tätigkeitsprofil dem\ngesundheitlichen Leistungsvermögen des Klägers angepasst habe.\n\n58\n\n \n\nAus welchen konkreten Gründen es dem Kläger gesundheitlich nicht möglich sein\nsoll, mit dem Pkw den Arbeitsweg von seinem Wohnort nach M. zurückzulegen, ist\nnicht dargelegt worden. Die arbeitsmedizinische Stellungnahme des BAD vom\n19.06.2017 enthält lediglich die "Empfehlung", dass eine Rückversetzung an den\nalten Arbeitsplatz "geprüft" werden sollte, um die Belastungen durch den Weg\nzur Arbeit zu reduzieren. Diese völlig unverbindlich formulierte und allgemein\ngehaltene Empfehlung steht einer Versetzung nicht entgegen.\n\n \n\n**III.**\n\n59\n\n \n\nDer Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu\ntragen.\n\n60\n\n \n\nDie Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen\nVoraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.\n\n
319,732
sg-osnabruck-2019-05-16-s-19-u-12318
611
Sozialgericht Osnabrück
sg-osnabruck
Osnabrück
Niedersachsen
Sozialgerichtsbarkeit
S 19 U 123/18
2019-05-16
2019-06-01 10:00:55
2020-12-10 13:23:04
Urteil
#### Tenor\n\n \n\n**1\\. Der Bescheid der Beklagten vom 05.04.2018 in der Gestalt des\nWiderspruchsbescheides vom 23.05.2018 wird aufgehoben.**\n\n \n\n**2\\. Es wird festgestellt, dass die Klägerin am 20.02.2018 einen\nArbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat.**\n\n \n\n**3\\. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der\nKlägerin.**\n\n \n\n#### Tatbestand\n\n1\n\n \n\nZwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Fahrradunfall, den die Klägerin\nam 20.02.2018 erlitten hat, als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.\n\n2\n\n \n\nDie am 09.12.1978 geborene Klägerin ist seit fast 20 Jahren bei dem Zeugen,\ndem Juwelier Herrn C. (im Folgenden: Zeuge C.), in A-Stadt (D-Straße)\nbeschäftigt.\n\n3\n\n \n\nNach dem Durchgangsarztbericht vom 20.02.2018 rutschte die Klägerin gegen 7:50\nUhr mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit auf Glatteis weg und erlitt eine\nhohe Fibulafraktur (Typ Weber C) rechts mit Fraktur des hinteren Volkmann-\nDreiecks und Ruptur der vorderen Syndesmose. Am 21.02.2018 erfolgte die\noperative Versorgung.\n\n4\n\n \n\nDie Klägerin befand sich am Unfalltag zunächst auf dem direkten Weg von ihrer\nWohnung zu ihrer Arbeitsstätte. Kurz vor Erreichen des Juweliergeschäftes\nverließ sie die C. Straße und bog in die D. ein, um weiter zum Parkhaus E. zu\nfahren. Dort wollte sie sich mit ihrer Kollegin, der Geschäftsführerin Frau\nF., treffen. Auf diesem Weg, der ca. 180 Meter lang und zu Fuß ca. 2 Minuten\nweit ist, ereignet sich der Unfall. Auf telefonische Nachfrage teilte die\nKlägerin mit, dass Frau F. die Schlüssel für das Juweliergeschäft habe. Sie\nfahre seit Jahren gewohnheitsmäßig immer mit dem Fahrrad zum Parkhaus, hole\nFrau F. dort ab und laufe mit ihr dann gemeinsam zum Juweliergeschäft. Es sei\nnicht so gut, morgens um 8 Uhr alleine ein Juweliergeschäft aufzuschließen.\n\n5\n\n \n\nDer Zeuge teilte am 27.03.2018 schriftlich mit, dass Frau F. über\nSchlüsselgewalt und Kenntnis der Entsicherung der Alarmanlage verfüge. Es sei\nseit Jahren geübte Praxis, dass die Klägerin die Geschäftsführerin Frau F. am\nParkhaus E. treffe, damit Frau F. nach Möglichkeit nicht alleine dem Risiko\ndes Öffnens des Juweliergeschäftes ausgesetzt sei. Dieser Weg gehöre nicht zur\nArbeitszeit und werde auch nicht extra vergütet.\n\n6\n\n \n\nMit Bescheid vom 05.04.2018 lehnte die Beklagte die Anerkennung des\nEreignisses vom 20.02.2018 als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, dass sich\ndie Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem versicherten Weg befunden\nhabe. Versicherungsschutz bestünde nur auf dem unmittelbaren Weg nach und von\ndem Ort der Tätigkeit. Der Versicherungsschutz werde unterbrochen, wenn der\nVersicherte den direkten Weg verlasse und sich auf einen Abweg begebe. Ein\nAbweg sei jeder Weg, der von dem Ziel des Weges weg oder darüber hinaus führe.\nDer Versicherungsschutz lebe erst mit der Rückkehr auf dem direkten Weg wieder\nauf.\n\n7\n\n \n\nDer hiergegen erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom\n23.05.2018).\n\n8\n\n \n\nHiergegen richtet sich die am 18.06.2018 vor dem Sozialgericht Osnabrück\nerhobene Klage.\n\n9\n\n \n\nDie Klägerin legt eine schriftliche Stellungnahme von Frau F. vor, wonach sie\nsich am Parkhaus mit der Klägerin treffe, die sie aus Sicherheitsgründen zum\nJuweliergeschäft begleite, damit sie nicht allein die Alarmanlage entsichern\nund das Juweliergeschäft öffnen müsse.\n\n10\n\n \n\nDie Klägerin trägt vor, sie habe den direkten Arbeitsweg nicht aus\nprivatwirtschaftlichen Gründen verlassen. Vielmehr diene der Weg zum Parkhaus\nund zurück einem dem Unternehmen dienenden Zweck. Es gehe nicht nur um das\nAufschließen des Geschäftes. Auch die Begleitung von Frau F. erfolge aus\nSicherheitsgründen. Daher müsse auch dieser Weg unter Versicherungsschutz\nstehen.\n\n11\n\n \n\nDie Klägerin beantragt,\n\n12\n\n \n\n1\\. den Bescheid der Beklagten vom 05.04.2018 in der Gestalt des\nWiderspruchsbescheides vom 23.05.2018 aufzuheben,\n\n13\n\n \n\n2\\. festzustellen, dass sie am 20.02.2018 einen Arbeitsunfall im Sinne der\ngesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat.\n\n14\n\n \n\nDie Beklagte beantragt,\n\n15\n\n \n\ndie Klage abzuweisen.\n\n16\n\n \n\nDie Beklagte verweist auf die Gründe der angefochtenen Bescheide. Der Abweg\nsei unter Berücksichtigung des Hin- und Rückweges erheblich, insbesondere im\nHinblick auf den Gesamtweg, der dadurch um ca. 20 % verlängert würde. Das\nVerhalten der Klägerin sei seit 20 Jahren zwar eine nette Geste, jedoch auch\nunter Berücksichtigung der Handlungstendenz nicht dem\nUnfallversicherungsschutz zuzurechnen.\n\n17\n\n \n\nDie Kammer hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung angehört und\nden Zeugen C. vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die\nSitzungsniederschrift Bezug genommen.\n\n18\n\n \n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der\nBeteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten\nverwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und\nEntscheidungsfindung gewesen sind.\n\n#### Entscheidungsgründe\n\n19\n\n \n\nDie form- und fristgerecht als mit einer Anfechtungsklage verbundene\nFeststellungsklage erhobene Klage ist zulässig. Die grundsätzliche\nprozessrechtliche Nachrangigkeit der Feststellungsklage steht nach ständiger\nRechtsprechung des BSG, der die Kammer folgt, in Fällen der vorliegenden Art\nnicht entgegen. Begehrt der Versicherte nämlich allein die von dem\nUnfallversicherungsträger abgelehnte Feststellung des Vorliegens eines\nVersicherungsfalls, kann er durch die Verbindung einer Anfechtungs- mit einer\nFeststellungsklage unmittelbar eine rechtskräftige, von der Verwaltung nicht\nmehr beeinflussbare Feststellung erlangen (vgl. hierzu Urteil des BSG vom\n27.04.2010, Az.: B 2 U 23/09 R).\n\n20\n\n \n\nDie Klage ist auch begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen\nBescheid der Beklagten vom 05.04.2018 in der Gestalt des\nWiderspruchsbescheides vom 23.05.2018 beschwert. Die Beklagte hat es\nrechtswidrig abgelehnt, den Fahrradunfall der Klägerin vom 20.02.2018 als\nArbeitsunfall anzuerkennen. Denn die Klägerin hat bei dem Unfall unter dem\nSchutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.\n\n21\n\n \n\nGemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten\ninfolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden\nTätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen\nauf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder\nzum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für die Anerkennung eines\nArbeitsunfalls ist danach im Regelfall erforderlich, dass ein Unfallereignis\nvorliegt, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der\nversicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang),\ndiese Verrichtung zu dem Unfallereignis geführt hat (Unfallkausalität) und\ndass schließlich das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod\ndes Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Die Merkmale\n"versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis"\nsowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" müssen für das Gericht\nim Wege des Voll-beweises, also mit an Sicherheit grenzender\nWahrscheinlichkeit, feststehen (vgl. BSG vom 02.04.2009 - Az.: B 2 U 29/07 R,\njuris Rdnr. 15 f. m. w. N.). Lassen sich die anspruchsbegründenden Tatsachen\nnicht nachweisen oder ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der\nversicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis oder zwischen diesem und der\neingetretenen Gesundheitsstörung nicht wahrscheinlich, geht dies nach dem im\nSozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des\nBeteiligten, der hieraus eine ihm günstige Rechtsfolge herleiten will. Dagegen\nträgt die Beklagte die objektive Beweis- und Feststellungs-last für\nanspruchsverhindernde, -vernichtende sowie -hemmende Gegennormen.\n\n22\n\n \n\nUnter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht zur Überzeugung der Kammer\nfest, dass die Klägerin am 20.02.2018 einen Wegeunfall erlitten hat.\n\n23\n\n \n\nDie Klägerin hat am 20.02.2018 einen Unfall (d.h. ein zeitlich begrenztes, von\naußen auf den Körper einwirkendes Ereignis, vgl. § 8 Abs. 1 S 2 SGB VII) mit\nder Folge gesundheitlicher Schäden erlitten, als sie mit ihrem Fahrrad bei\nGlatteis ausrutschte, stürzte und sich hierbei eine hohe Fibulafraktur vom Typ\nWeber C zuzog, die am 21.02.2018 operativ versorgt wurde.\n\n24\n\n \n\nDie Klägerin ist zum Zeitpunkt des Unfallereignisses als Beschäftigte des\nZeugen C. gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII in der gesetzlichen Unfallversicherung\nversichert gewesen. Ihre Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses, die Fahrt\nüber die D. zum Parkhaus, hat auch in einem sachlichen Zusammenhang mit ihrer\nversicherten Tätigkeit gestanden.\n\n25\n\n \n\nGemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII zählt zu den versicherten Tätigkeiten auch das\nZurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 und 6 SGB VII versicherten Tätigkeit\nzusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.\nBegründet wird dieser Versicherungsschutz damit, dass diese Wege nicht aus\nprivaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit, also mit einer\nauf die versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz unternommen werden\n(vgl. BSG vom 09.11.2010, Az.: B 2 U 14/10 R, juris Rdnr. 31 m.w.N.).\n\n26\n\n \n\nEs ist nicht der Weg als solcher, sondern dessen Zurücklegen versichert, also\nder Vorgang des Sichfortbewegens auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs-\nund einen Zielpunkt begrenzt ist. Der Versicherungsschutz besteht, wenn der\nWeg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit – oder\nnach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung – zu erreichen.\nMaßgebliches Kriterium für den sachlichen Zusammenhang ist, ob die anhand\nobjektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim\nZurücklegen des Weges darauf gerichtet war, eine dem Beschäftigungsunternehmen\ndienende Verrichtung auszuüben, d.h. ob sein Handeln zum Zurücklegen des Weges\nzu oder von der Arbeitsstätte gehört. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine\nkonkrete Verrichtung noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin\n(hier Arbeitsstätte der Klägerin) dient, ist ausschließlich die objektivierte\nHandlungstendenz des Versicherten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl.\nzuletzt Urteil vom 31.08.2017, Az.: B 2 U 1/16 R, juris Rdnrn. 12 und 19).\n\n27\n\n \n\nUnstreitig hat der Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr.1 SGB VII bestanden,\nsolange und soweit die Klägerin den Weg von ihrer Wohnung zum Ort des\nJuweliergeschäftes zurückgelegt hat. Dieser zum Zwecke der Arbeitsaufnahme\nunternommene Weg ist ihrer gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten\nBeschäftigung zuzurechnen.\n\n28\n\n \n\nEntgegen der Ansicht der Beklagten ist der Versicherungsschutz nicht dadurch\nunterbrochen worden, dass Klägerin die kurz vor Erreichen des\nJuweliergeschäftes die C. Straße verlassen und in die D. eingebogen ist, um\nweiter zum Parkhaus E. zu fahren. Auch dieser Weg ist nach § 8 Abs. 2 Nr.1 SGB\nVII versichert gewesen, da er weiterhin der versicherten Beschäftigung\nzuzurechnen ist. Daher hat die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfallereignisses,\ndem Sturz mit dem Fahrrad auf der D., unter dem Schutz der gesetzlichen\nUnfallversicherung gestanden.\n\n29\n\n \n\nZwar steht, wie sich aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII und dem\ndort verwendeten Begriff "unmittelbar" ergibt, grundsätzlich nur das\nZurücklegen des direkten Weges nach und von der versicherten Tätigkeit unter\ndem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Allerdings kann ein Weg, der\nnicht nur unbedeutend länger ist als der kürzeste Weg, dann ein versicherter\nunmittelbarer Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII sein, wenn die längere\nWegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärbaren Sicht des\nVersicherten weniger zeitaufwändig, sicherer, übersichtlicher, besser\nausgebaut oder kostengünstiger als der kürzere direkte Weg ist (Urteil des BSG\nvom 31.08.2017, Az.: B 2 U 11/16 R, juris Rdnr. 13). Wird der Weg zu oder von\nder Arbeitsstätte durch eine private Besorgung mehr als nur geringfügig\nunterbrochen, setzt der Versicherungsschutz erst dann wieder ein, wenn die\neigenwirtschaftliche Tätigkeit beendet ist und der ursprüngliche Weg wieder\naufgenommen wird, somit mit der Fortführung des ursprünglichen Weges (Urteil\ndes BSG vom 31.08.2017, Az.: B 2 U 1/16 R, juris Rdnr. 20, 21).\n\n30\n\n \n\nBewegen sich Versicherte nicht auf direktem Weg in Richtung ihrer\nArbeitsstätte oder Wohnung, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem\nZiel fort, befinden sie sich auf einem Abweg. Wird ein solcher bei einer mehr\nals geringfügigen Unterbrechung des direkten Weges zurückgelegt, besteht,\nsobald der direkte Weg verlassen und der Abweg begonnen wird, kein\nVersicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Erst wenn sich die\nVersicherten wieder auf dem direkten Weg befinden und der Abweg beendet ist,\nbesteht erneut Versicherungsschutz. Jedoch führt nicht jedes Abweichen vom\ndirekten Weg zu einer Lösung des inneren Zusammenhanges mit der versicherten\nTätigkeit und damit zum Verlust des Versicherungsschutzes. Dieser kann\nausnahmsweise auch auf einem Abweg bestehen, wenn dieser Abweg selbst im\ninneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. In Betracht kommt,\ndass sich Versicherte aus betriebsbedingten Gründen fortbewegen, etwa um einen\nGegenstand zu holen, den sie für die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit\nbenötigen (Urteil des BSG vom 19.10.1982, Az.: 2 RU 52/81, juris Rdnr. 17 f.).\n\n31\n\n \n\nIm vorliegenden Fall hat die Klägerin den unmittelbaren Weg von ihrer Wohnung\nzu ihrer Arbeitsstätte, dem Juweliergeschäft C., nicht aus\neigenwirtschaftlichen Gründen (wie z.B. beim beabsichtigten Kauf von Brötchen)\nverlassen. Die Klägerin wollte weiter zum Parkhaus E. fahren, um sich dort mit\nihrer Kollegin, der Geschäftsführerin Frau F., zu treffen. Hierbei hat es sich\nzur Überzeugung der Kammer um einen Weg gehandelt, der weiterhin unter\nVersicherungsschutz gestanden hat. Denn die Handlungstendenz der Klägerin war\nauch beim Zurücklegen des weiteren Weges alleine darauf gerichtet, eine dem\nBeschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben.\n\n32\n\n \n\nDie Klägerin hat mit dem Zurücklegen des Weges von der C. Straße zum Parkhaus\nden Zweck verfolgt, ihre Geschäftsführerin beim Weg vom Parkhaus zum\nJuweliergeschäft zu begleiten. Hierbei hat es sich eindeutig nicht um einen\nprivaten Interessen dienenden Weg gehandelt, vielmehr ist dieser – zusätzliche\n– Weg aus Sicherheitsgründen erfolgt. Denn Frau F. verfügt über die\nSchlüsselgewalt und über die Kenntnis der Entsicherung der Alarmanlage des\nJuweliergeschäftes. Die Begleitung der „Schlüsselträgerin“ sowohl beim Weg vom\nParkhaus zum Juweliergeschäft als auch beim Öffnen des Juweliergeschäftes aus\nSicherheitsaspekten ist ein erkennbar dem Unternehmen dienender Grund und\nnicht nur, wie die Beklagte meint, eine nette Geste der Klägerin. Denn dieses\nBegleiten ist objektiv sinnvoll, da es der Gefahr eines Überfalls begegnen\nsoll.\n\n33\n\n \n\nDie Klägerin und der Zeuge C. haben im Rahmen der mündlichen Verhandlung für\ndie Kammer schlüssig und glaubhaft vorgetragen, dass die Praxis, die\nSchlüsselträgerin auf dem Weg zu Fuß zu begleiten, ausgeübt wird, seitdem die\nKlägerin in dem Juweliergeschäft beschäftigt ist, somit seit 20 Jahren. Die\nKlägerin handelt auf Wunsch ihrer Geschäftsführerin, die der Klägerin\ngegenüber weisungsbefugt ist. Die Geschäftsführerin selbst hat seitens des\nArbeitgebers die Weisung, dass der Umgang mit dem Schlüssel mit größtmöglicher\nSorgfalt erfolgt. Das Vorgehen der Geschäftsführerin und der Klägerin ist dem\nArbeitgeber, dem Zeugen C., bekannt.\n\n34\n\n \n\nBei dem Weg von der C. Straße zum Parkhaus hat sich somit um einen Weg\ngehandelt, der in unmittelbarem Betriebsinteresse zurückgelegt wird und im\nsachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Da es sich\nweiterhin um einen Weg handelt, der der eigentlich versicherten Tätigkeit nach\n§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII vorausgegangen ist, hat es sich zwar nicht um einen\nBetriebsweg gehandelt, jedoch um einen versicherten Abweg, der unter dem\nSchutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat.\n\n35\n\n \n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.\n\n \n\n* * *\n\n![Abkürzung Fundstelle](/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-\ninfo.gif)Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können\nSie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in\nIhre Favoriten als Lesezeichen einfügen.\', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true,\nABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und\nverwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten: \nhttp://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid;=JURE190007090&psml;=bsndprod.psml&max;=true\n\n
319,748
vg-karlsruhe-2019-05-10-10-k-341817
158
Verwaltungsgericht Karlsruhe
vg-karlsruhe
Karlsruhe
Baden-Württemberg
Verwaltungsgerichtsbarkeit
10 K 3418/17
2019-05-10
2019-06-01 10:01:24
2020-12-10 13:23:06
Urteil
## Tenor\n\nDie Verfügung des Landratsamts Rastatt vom 20.03.2017 wird aufgehoben.\n\nDer Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung zu\nerteilen.\n\nDer Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der\naußergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, welche diese auf sich behält.\n\n## Tatbestand\n\n| | \n--- \n| 1 \n--- \n| Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine\nWerbeanlage. \n--- \n| 2 \n--- \n| Sie beantragte am 19.09.2016 die Erteilung einer Baugenehmigung für eine\ndoppelseitig beleuchtete Werbetafel auf dem Flurstück Nr. ... in der ..., ...\nLichtenau. \n--- \n| 3 \n--- \n| Mit Schreiben vom 19.10.2016 teilte das Regierungspräsidium Karlsruhe als\nStraßenbaulastträger dem Landratsamt Rastatt – Amt für Baurecht – (nachfolgend\nAmt für Baurecht) mit, dass aus straßenrechtlicher Sicht keine Bedenken gegen\ndas Vorhaben beständen. \n--- \n| 4 \n--- \n| Mit Schreiben vom 21.10.2016 teilte das Straßenverkehrsamt des Landratsamts\nRastatt dem Amt für Baurecht mit, dass gegen das Vorhaben aus\nstraßenverkehrsrechtlicher Sicht keine grundsätzlichen Bedenken beständen. Zum\nFahrbahnrand der L 75 sei jedoch ein Abstand von 5,0 Meter einzuhalten.\nAußerdem sei die doppelseitig beleuchtete Großflächenwerbetafel so zu\ngestalten, dass sie nicht ablenkend und blendend auf die Verkehrsteilnehmer\neinwirke. \n--- \n| 5 \n--- \n| Mit Schreiben vom 18.11.2016 verweigerte die Stadt Lichtenau ihr\nEinvernehmen. Zur Begründung führte sie aus, dass der vorbeifließende Verkehr\nauf der L 75 und die Ein- und Ausfahrt der Landstraße 55 und 57 durch die\nWerbeanlage gefährdet würden. \n--- \n| 6 \n--- \n| Mit Schreiben vom 25.11.2016 wies das Amt für Baurecht die Stadt Lichtenau\ndarauf hin, dass das Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 i.V.m Abs. 2 Baugesetzbuch\n(BauGB) nicht rechtmäßig versagt werden könne. Das Einvernehmen dürfe nur aus\nden sich aus §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagt werden. Es\nforderte die Stadt auf, das gemeindliche Einvernehmen bis zum 25.12.2016 zu\nerteilen. \n--- \n| 7 \n--- \n| Mit Schreiben vom 02.12.2016 teilte die Stadt Lichtenau dem Amt für Baurecht\nmit, dass das Einvernehmen auch aufgrund von § 34 Abs. 1 BauGB nicht erteilt\nwerde, da sich die Werbeanlage nicht in die nähere Umgebung einfüge und das\nOrtsbild erheblich beeinträchtige. \n--- \n| 8 \n--- \n| Mit E-Mail vom 02.12.2016 teilte das Amt für Baurecht der Stadt Lichtenau\nmit, dass die Werbeanlage planungsrechtlich zulässig sei und das gemeindliche\nEinvernehmen ersetzt werden würde, da es rechtswidrig versagt worden sei. Es\nbestehe bis zum 25.12.2016 Gelegenheit, erneut über das Einvernehmen zu\nentscheiden. \n--- \n| 9 \n--- \n| Mit E-Mail vom 09.12.2016 teilte die Stadt Lichtenau dem Amt für Baurecht\nmit, dass sich der Bauausschuss für die Erstellung einer Satzung zur Regelung\nvon Werbeanlagen ausgesprochen habe. Es sei geplant, im Januar 2017 einen\nentsprechenden Aufstellungsbeschluss zu fassen und eine Veränderungssperre zu\nbeschließen. Es werde darum gebeten, den Bauantrag bis dahin zurückzustellen\nund zunächst nicht zu bescheiden. \n--- \n| 10 \n--- \n| Am 26.01.2017 beschloss der Gemeinderat der Stadt Lichtenau eine\n„Veränderungssperre für Werbeanlagen für den Geltungsbereich der Landstraße in\n... Lichtenau-Scherzheim“. Die Veränderungssperre wurde am 03.02.2017 im\nAmtsblatt der Stadt Lichtenau bekannt gemacht. \n--- \n| 11 \n--- \n| Mit Schreiben vom 13.02.2017 teilte das Amt für Baurecht der Klägerin mit,\ndass der Antrag keine Aussicht auf Genehmigung habe, da die Gemeinde ihr\nEinvernehmen verweigert und eine Veränderungssperre erlassen habe. \n--- \n| 12 \n--- \n| Am 21.02.2017 teilte die Beklagte dem Amt für Baurecht mit, dass sich das\nVorhaben nicht im Geltungsbereich der Veränderungssperre befinde. Darüber\nhinaus sei die Veränderungssperre rechtswidrig und unwirksam. \n--- \n| 13 \n--- \n| Mit E-Mail vom 24.02.2017 teilte der Bürgermeister der Stadt Lichtenau dem\nAmt für Baurecht mit, dass die Veränderungssperre in der Gemeinderatssitzung\nam 09.03.2017 neu gefasst werden solle. Um eine weitere Zurückstellung des\nAntrags werde gebeten. \n--- \n| 14 \n--- \n| Mit E-Mail vom 06.03.2017 teilte das Amt für Baurecht dem Bürgermeister der\nStadt Lichtenau mit, dass der Bauantrag bis zur nächsten Gemeinderatssitzung\nzurückgestellt werde. \n--- \n| 15 \n--- \n| Am 09.03.2017 beschloss der Gemeinderat der Stadt Lichtenau eine\n„Veränderungssperre für Werbeanlagen für den Geltungsbereich der Landstraße in\n... Lichtenau-Scherzheim“. Die Veränderungssperre wurde am 17.03.2017 im\nAmtsblatt der Stadt Lichtenau bekannt gemacht. \n--- \n| 16 \n--- \n| Mit Bescheid vom 20.03.2017 lehnte das Amt für Baurecht den Antrag auf\nErteilung der Baugenehmigung ab. Der Erteilung der Baugenehmigung ständen\nöffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne von § 58 Abs. 1 Landesbauordnung\n(LBO) entgegen. Der geplante Standort der Werbeanlage befinde sich innerhalb\ndes Geltungsbereiches der am 09.03.2017 neu beschlossen Veränderungssperre.\nBezüglich des Inhalts der Satzung sei eine Rechtswidrigkeit nicht zu erkennen.\nIm Übrigen sei der geplante Standort der Werbeanlage aus\nstraßenverkehrsrechtlicher Hinsicht nicht möglich. Um eine Gefährdung der\nVerkehrsteilnehmer auf der Landesstraße auszuschließen, müsse ein\nMindestabstand von 5,0 m vom Fahrbahnrand der L 75 eingehalten und das\nSichtdreieck für den ausfahrenden Verkehr aus dem vorhandenen Parkplatz\ngewährleistet werden. \n--- \n| 17 \n--- \n| Die Klägerin hat am 21.03.2017 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus,\ndass die erste Veränderungssperre das Vorhaben nicht umfasse und auch im\nÜbrigen rechtswidrig sei. Auch die zweite Veränderungssperre sei formell und\nmateriell rechtswidrig. \n--- \n| 18 \n--- \n| Am 17.05.2018 hat der Gemeinderat der Stadt Lichtenau den Bebauungsplan\n„Landstraße“ beschlossen und diesen am 25.05.2018 im Amtsblatt der Stadt\nLichtenau bekannt gemacht. Der Bebauungsplan setzt ein besonderes Wohngebiet\ngem. § 4a BauNVO fest. Der geplante Standort des Vorhabens der Klägerin\nbefindet sich innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans. In\ndem Plangebiet befindet sich außerdem unter anderem das Bauunternehmen ... –\nnach eigenen Angaben auf der Firmenhomepage ... ein familiengeführtes\nmittelständisches Bauunternehmen mit über 50 Beschäftigten – und die ... –\nnach eigenen Angaben auf der Firmenhomepage ... eine in Deutschland und Europa\nführende Marke für Freizeitmöbel mit Stammsitz in Lichtenau –. \n--- \n| 19 \n--- \n| Die Klägerin hat weiter ausgeführt, dass der Bebauungsplan formell und\nmateriell rechtswidrig sei. Die eigenhändigen Unterschriften auf den\nPlanzeichnungen und den Übrigen relevanten Unterlagen seien zu\nunterschiedlichen Zeitpunkten erfolgt. Die Planzeichnung sei angeblich am\n04.06.2018 vom Bürgermeister unterzeichnet worden, während der textliche Teil\nbereits am 18.05.2018 unterzeichnet worden sein solle. Dies begründe Zweifel\nan einer ordnungsgemäßen Ausfertigung. Der Bürgermeister habe dementsprechend\nzu keinem Zeitpunkt eine ordnungsgemäße Ausfertigung vorgenommen. Es handele\nsich zudem insbesondere um eine Loseblattsammlung, die den Austausch einzelner\nTeile möglich mache. Es sei zudem unklar, welcher Teil zum Zeitpunkt des\nErlasses tatsächlich bekanntgemacht worden sei. Dies werde anhand der\nunterschiedlichen Datumsangaben neben den Unterschriften anschaulich belegt.\nHätten der zeichnerische und der textliche Teil zugleich zur Ausfertigung\nvorgelegen, würden sie dasselbe Datum tragen. Die beiden Teile hätten\naugenscheinlich nicht zum selben Zeitpunkt zur Unterzeichnung vorgelegen,\nsodass begründete Zweifel bestünden, ob die unterschiedlichen Teile überhaupt\nso im Gemeinderat beschlossen worden seien. Der Bebauungsplan widerspreche\naußerdem den Darstellungen des Flächennutzungsplans. In Ziffer 3.9. der\nBegründung des Bebauungsplans werde festgestellt, dass der Flächennutzungsplan\neine Mischbaufläche darstelle. Das festgesetzte Gebiet nach § 4a\nBaunutzungsverordnung (BauNVO) entspreche gerade nicht diesen Vorgaben. Gemäß\n§ 4a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BauNVO dienten besondere Wohngebiete vorwiegend dem\nWohnen. Dies sei mit den Darstellungen im Flächennutzungsplan gerade nicht\nvereinbar. Die Gewerbetreibenden seien schlechter gestellt als in einem\nMischgebiet, da die Wohnnutzung in einem Besonderen Wohngebiet überwiege. Der\nBebauungsplan leide bereits an einem Abwägungsausfall, mindestens jedoch unter\nAbwägungsmängeln. Insbesondere die Belange der Gewerbebetriebe und der\nLandwirtschaftsstellen seien nicht bzw. nicht hinreichend berücksichtigt\nworden. Im Rahmen der Bestandsaufnahme unter Ziffer 4.1. der Begründung zum\nBebauungsplan würden die landwirtschaftlichen und gewerblichen Nutzungen\nbestätigt werden. Sodann werde unter Ziffer 5.1. in Absatz 2 die\nRücksichtnahme auf vorhandene landwirtschaftliche Betriebe und deren\nEntwicklungsbedarf verwiesen. Diese sollten zulässig bleiben, sofern ihre\nVerträglichkeit im besonderen Wohngebiet sichergestellt sei. Diese\nÜberlegungen seien widersprüchlich bzw. miteinander unvereinbar.\nLandwirtschaftliche Betriebe seien in einem besonderen Wohngebiet nicht\nzulässig. Die vorhandenen Nutzungen genössen jedenfalls Bestandsschutz und\nentfalteten eine stark prägende Wirkung in Richtung eines Dorfgebietes.\nInsbesondere die Formulierung, dass die Landwirtschaftsstellen lediglich\nzulässig blieben, „sofern ihre Verträglichkeit im Besonderen Wohngebiet\nsichergestellt“ sei, mache deutlich, dass die Belange der Landwirte nicht\nhinreichend berücksichtigt worden seien. In der Begründung der\nplanungsrechtlichen Festsetzungen werde im Hinblick auf die\nlandwirtschaftlichen Betriebe lediglich auf Ziffer 5.1. verwiesen. Dies stelle\nkeine tragfähige Begründung dar. Der Ausschluss von Werbeanlagen für\nFremdwerbung in Ziffer 1.4 der planungsrechtlichen Festsetzungen stütze sich\nauf § 1 Abs. 6 BauNVO. Dem Wortlaut in Ziffer 1.4. nach seien die unter dieser\nZiffer genannten Nutzungsarten „nicht Bestandteil des Bebauungsplanes und\nsomit unzulässig". Die in § 1 Abs. 6 BauNVO genannten "Ausnahmen" beträfen\njedoch ausschließlich die Ausnahmen in den §§ 2 - 9 BauNVO, die jeweils in\nAbsatz 3 genannt seien. Dies sei bei der hier genannten Fremdwerbung nicht der\nFall, da hier ein Gebiet nach § 4a BauNVO festgesetzt worden sei, bei dem\n"sonstige Gewerbebetriebe" nach § 4a Abs. 2 Nr. 3 BauNVO grundsätzlich\nzulässig seien. Bei der hier beantragten Werbeanlage handele es sich um eine\nnach § 4a Abs. 2 Nr. 3 BauNVO allgemein zulässige Nutzung. Die Nennung des § 1\nAbs. 9 BauNVO, nachdem bereits statuiert worden sei, dass die im Folgenden\nunter Ziffer 1.4. genannten Nutzungen „nicht Bestandteil des Bebauungsplanes"\nwürden, vermöge an diesen Feststellungen nichts zu ändern. Der pauschale\nAusschluss von großflächigen Werbeanlagen für Fremdwerbung in den örtlichen\nBauvorschriften sei ebenfalls rechtswidrig. Die Gemeinde gehe in ihrem\nBebauungsplan von einer gemischten Nutzung des Baugebietes aus. Werbeanlagen\nseien in gemischten Baugebieten grundsätzlich zulässig. Nach der\nRechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes verstoße ein in örtlichen\nBauvorschriften geregeltes generelles Verbot von Werbung mit\nGroßflächenwerbetafeln in gemischten Baugebieten gegen das\nEigentumsgrundrecht. Die Satzung sei insoweit nichtig. Die örtlichen\nBauvorschriften seien insbesondere materiell rechtswidrig, da sie\nGroßflächenwerbung insgesamt verböten und hierbei auch nicht zwischen\nverschiedenen Baugebieten und deren jeweiligem Schutzbedürfnis\ndifferenzierten. Die Begründung der Satzung erfülle nicht die Voraussetzungen\nzur Rechtfertigung der Einschränkungen der betroffenen Rechte der Eigentümer\nund Nutzer der betroffenen Grundstücke. Die Ausführungen zum Planungsanlass\nerschöpften sich in allgemeinen und unsubstantiierten Behauptungen, die keinen\nkonkreten Bezug zu den geregelten Sachverhalten hätten und keine ausreichende\nDifferenzierung der verschiedenen Gebiete in den verschiedenen\nGeltungsbereichen vornähmen. Vor allem für den hier in Rede stehenden Bereich\nder Satzung ließe sich keine besondere Schutzwürdigkeit feststellen, welche\nein über die gesetzlich vorgesehene Beschränkung von Werbeanlagen\nhinausgehendes Verbot rechtfertigen könnten. Ein schützenswertes\nstädtebauliches oder historisches Erscheinungsbild sei in diesem\nStraßenabschnitt nicht vorhanden. Wegen der Eigenart der vorhandenen Bebauung\nergäben sich hier auch keine Blickbezüge zu schützenswerten Bereichen. \n--- \n| 20 \n--- \n| Die Klägerin beantragt, \n--- \n \n> > | 21 \n--- \n| die Verfügung des Landratsamts vom 20.03.2017 aufzuheben und den Beklagten\nzu verpflichten, die beantrage Baugenehmigung zu erteilen. \n--- \n| 22 \n--- \n| Der Beklagte beantragt, \n--- \n \n> > | 23 \n--- \n| die Klage abzuweisen. \n--- \n| 24 \n--- \n| Zur Begründung trägt er vor, der Bebauungsplan sei weder formell noch\nmateriell rechtswidrig. Die beantragte Werbeanlage stehe damit im Widerspruch\nzum Bebauungsplan sowie zu den örtlichen Bauvorschriften. Damit lägen die\nGenehmigungsvoraussetzungen nach § 58 Abs. 1 LBO weiterhin nicht vor. Es\nbeständen keine Zweifel an der ordnungsgemäßen Ausfertigung. Die Beigeladene\nhabe den Bebauungsplan mit Beschluss vom 17.05.2018 beschlossen, die\nAusfertigung sei am 18.05.2018 und die Bekanntmachung am 25.05.2018 erfolgt.\nAus der Ausfertigung lasse sich in Anbetracht der in § 2 geregelten\nBestandteile des Bebauungsplans nachvollziehen, was Teil des Bebauungsplans\nsei. Die beanstandete „Loseblattsammlung" sei aufgrund der genauen\nBezeichnungen der Planbestandteile bzw. -anlagen unproblematisch. Aus dem\nBekanntmachungstext lasse sich nachvollziehen, welche Fassungen tatsächlich\nbekanntgemacht worden seien. Die Darstellung im Flächennutzungsplan als\nMischbaufläche bedeute nicht, dass dort nur ein Mischgebiet zulässig sei. Die\nin § 1 Abs. 1 BauNVO bezeichneten Bauflächen seien den in § 1 Abs. 2 BauNVO\nbezeichneten Baugebieten nicht in einer bestimmten Weise normativ, also\nformal-rechtlich, zugeordnet. Es sei daher anerkannt, dass die inhaltliche\nNähe bestimmter Baugebiete zu bestimmten Bauflächen nicht als eine Zuordnung\nim strengen Sinne zu verstehen sei. Die Bauflächendarstellung lasse unter\nbestimmten Voraussetzungen auch (scheinbar) abweichende\nBaugebietsfestsetzungen zu. Ein Widerspruch zu den Darstellungen des\nFlächennutzungsplans und damit ein etwaiger Mangel des Entwicklungsgebots läge\nnicht vor. Ein Abwägungsausfall im Hinblick auf die Gewerbe und\nLandwirtschaftsstellen sei nicht ersichtlich. Ein Widerspruch zwischen der\nBestandsaufnahme und der zukünftigen Nutzungsmöglichkeit sei nicht erkennbar.\nDie Gemeinde verfolge die Konzeption, das Plangebiet langfristig für die\nWohnnutzung zu sichern und fortzuentwickeln. Genau deshalb sehe der\nBebauungsplan eine Darstellung als besonderes Wohngebiet vor und schließe die\nzukünftige Neuansiedlung landwirtschaftlicher Stellen aus. Dieses Ziel sei\nlegitim und letztlich Ausfluss der kommunalen Planungshoheit. Die Gemeinde\nhabe die Belange der bereits bestehenden gewerblichen und landwirtschaftlichen\nBetriebe ausreichend berücksichtigt. Für die landwirtschaftlichen Stellen sei\nein erweiterter Bestandsschutz durch Anwendung des § 1 Abs. 10 BauNVO\ngeschaffen worden. Dies erscheine auch deshalb ausreichend, da nach der\nBestandserfassung der Gemeinde eine zunehmende Umwidmung der Hofstellen in\nRichtung Wohnnutzung wahrzunehmen sei (vgl. Ziffer 4.1 der Begründung). Für\ndie gewerblichen Betriebe bestehe unter Berücksichtigung von § 4a Abs. 2\nBauNVO im Grundsatz eine Zulässigkeit. Der Ausschluss von Werbeanlagen als\neinzelne Nutzungsart der sonstigen Gewerbebetriebe sei zulässig. Zwar könne\neine nach § 4a Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässige Nutzung nicht nach § 1 Abs. 6\nBauNVO ausgeschlossen werden. Allerdings erfolge die Einschränkung nicht auf\nGrundlage von § 1 Abs. 6 BauNVO, sondern auf Grundlage von § 1 Abs. 9 BauNVO.\nDie Beigeladene habe im August 2017 im Plangebiet eine Bestandaufnahme der\nvorhandenen Nutzungen veranlasst. Dabei seien bestehende Nutzungen von Hand\ndurch die Vertreterin des beauftragten Planungsbüros in einen Übersichtsplan\neingetragen worden. Die Bestandserfassung sei durch die Begründung des\nBebauungsplans dokumentiert. Der geplante Umgang mit den noch bestehenden\nlandwirtschaftlichen Betrieben sei anhand einer Präsentation des Planungsbüros\nmit entsprechendem mündlichen Vortrag und anhand der Gemeinderatsvorlage\nerläutert worden. Es befänden sich im Plangebiet lediglich einzelne, kleine,\nnicht (mehr) beim Landwirtschaftsamt gemeldete Wirtschaftsstellen sogenannter\n„Hobbylandwirte“ mit dem Schwerpunkt Eigenversorgung. \n--- \n| 25 \n--- \n| Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat den Bebauungsplan\n„Landstraße“ am 15.04.2019 erneut ausgefertigt und am 18.04.2019 im Amtsblatt\nder Stadt Lichtenau bekannt gemacht. \n--- \n| 26 \n--- \n| Dem Gericht liegen die Akten der Beklagten und die „Veränderungssperre für\nWerbeanlagen für den Geltungsbereich der Landstraße in ... Lichtenau-\nScherzheim“ vom 09.03.2017 sowie der Bebauungsplan „Landstraße“ vom 17.05.2018\nvor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des\nVorbringens der Beteiligten wird hierauf sowie auf den Inhalt der\nGerichtsakten Bezug genommen. \n--- \n \n## Entscheidungsgründe\n\n| | \n--- \n| 27 \n--- \n| Die zulässige Klage ist begründet. \n--- \nA. \n--- \n| 28 \n--- \n| Die zunächst als Untätigkeitsklage erhobene Klage ist als\nVerpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch sonst\nzulässig. Ein Vorverfahren ist abweichend von § 68 VwGO entbehrlich, § 75 Abs.\n1 S. 1 VwGO. Zu Gunsten der Klägerin geht die Kammer davon aus, dass die Klage\nvom 21.03.2017 anhängig geworden ist, bevor der auf den 20.03.2017 datierende\nAblehnungsbescheid der Klägerin nach § 43 Abs. 1 S. 1 LVwVfG bekanntgegeben\nwurde. Es war für die Kammer nicht aufklärbar, ob der auf den 20.03.2017\ndatierende Ablehnungsbescheid noch am selben Tag zur Post gegeben wurde und ob\ndiese den Bescheid am nächsten Tag zugestellt hat. Aufgrund der üblichen\nBearbeitungsdauer und Postlaufzeit dürfte ein Schreiben in der Regel nicht\nbereits am nächsten Tag zugestellt sein. Bei einer zulässig – also nach Ablauf\nder Frist in § 75 S. 1 oder S. 2 VwGO – als Untätigkeitsklage erhobenen Klage\nkann der Kläger nach negativer Entscheidung der Behörde die Klage unter\nEinbeziehung des ergangenen Verwaltungsakts als Verpflichtungsklage\naufrechterhalten und fortführen. Dies ist vorliegend geschehen. Die\nDurchführung eines Vorverfahrens ist insoweit grundsätzlich nicht erforderlich\n(vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.04.1984 – 5 S 2079/83 –, juris LS\n1). \n--- \n| 29 \n--- \n| Etwas Anderes soll zwar dann gelten, wenn – wie vorliegend – der Bescheid\nunmittelbar nach Klageerhebung, und damit vor der Möglichkeit einer\nNachfristsetzung durch das Gericht, erging. Liegt in einer solchen\nFallkonstellation ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung vor, sei ein\nVorverfahren durchzuführen (Eyermann/Rennert, VwGO § 75 Rn. 20; Sodan/Ziekow,\nVwGO § 75 Rn. 72; ausführlich dazu: Weides, Die nachträgliche\nVerwaltungsentscheidung im Verfahren der Untätigkeitsklage, NVwZ 1988, 673,\n678 Fall 6). Begründet wird dies damit, dass es widersinnig sei, wollte man in\ndieser Fallkonstellation ein Vorverfahren für entbehrlich halten, es\ndemgegenüber aber als erforderlich ansehen, wenn die Behörde mit ihrer\nEntscheidung bis zu einer Fristsetzung durch das Gericht nach § 75 S. 3 VwGO\ngewartet hätte. Vorliegend fehlt es aber bereits an einem zureichenden Grund\ni.S.d. § 75 S. 3 VwGO. Zureichende Gründe sind nur solche, die mit der\nRechtsordnung in Einklang stehen (BVerwG, Beschluss vom 23.07.1991 – 3 C 56/90\n–, juris LS 3). Mit der Rechtsordnung ist es nicht vereinbar, dass die\nVerwaltung die Entscheidung über einen Antrag verzögert, um ihn nach einer\nabsehbaren Rechtsänderung ablehnen zu können. (BVerwG, Beschluss vom\n08.01.2004 – 7 B 58/03 –, juris Rn. 4). So liegt der Fall aber hier. Die\nBeklagte hat den entscheidungsreifen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung\nformlos zurückgestellt bzw. die Entscheidung verzögert (vgl. Behördenakte S.\n95 ff.), um den Erlass der Veränderungssperre abzuwarten. Damit fehlt es an\neinem zureichenden Grund nach § 75 S. 3 VwGO. \n--- \nB. \n--- \n| 30 \n--- \n| Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der\nBaugenehmigung für ihr Bauvorhaben (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). \n--- \n| 31 \n--- \n| Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 58 Abs. 1 S. 1 LBO.\nDanach ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem genehmigungspflichtigen\nVorhaben keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen\nVorschriften entgegenstehen. \n--- \n| 32 \n--- \n| Die geplante Werbeanlage, die nach §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 u. 9, 49, 50 Abs. 1\nLBO i.V.m. Nr. 9 des Anhangs zu § 50 LBO genehmigungspflichtig ist, ist\ngenehmigungsfähig. Dem Vorhaben stehen von der Baurechtsbehörde zu prüfende\nöffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegen. \n--- \nI. \n--- \n| 33 \n--- \n| Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt sich\nvorliegend nach den §§ 29 ff. BauGB. Es handelt sich bei der geplanten\nWerbeanlage um eine bauliche Anlage im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB.\nWerbeanlagen, zumal freistehende, besitzen bodenrechtliche Relevanz, da\njedenfalls die gedachte Häufung solcher Anlagen bauplanungsrechtliche Relevanz\nin Form der Gestaltung des Ortsbildes zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom\n03.12.1993 – 4 C 27.91 –, juris Rn. 16 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom\n28.10.1992 – 3 S 2490/91 juris Rn. 19 ff.). \n--- \n| 34 \n--- \n| 1\\. § 30 Abs. 3 BauGB steht dem Vorhaben nicht entgegen. Das Vorhaben\nwiderspricht zwar der Festsetzung in Ziffer 1.4 der planungsrechtlichen\nFestsetzungen im Bebauungsplan „Landstraße“ der Beigeladenen. Der\nBebauungsplan „Landstraße“ ist jedoch unwirksam, da eine sorgfältige\nBestandsaufnahme zur Beurteilung der besonderen Eigenart des Gebiets zum\nmaßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung der Begründung zum Bebauungsplan\nund den Planaufstellungsunterlagen nicht zu entnehmen ist. \n--- \n| 35 \n--- \n| Die Festsetzung als besonderes Wohngebiet setzt nach § 4a Abs. 1 BauNVO in\ntatsächlicher Hinsicht voraus, dass es sich um ein überwiegend bebautes Gebiet\nhandelt, welches aufgrund ausgeübter Wohnnutzung und vorhandener sonstiger in\nAbsatz 2 genannter Anlagen eine besondere Eigenart aufweist. An der besonderen\nEigenart der vorgefundenen Mischung aus Wohnen und anderen Nutzungen fehlt es\netwa dann, wenn die in der Vorschrift hervorgehobenen Gewerbebetriebe nach §\n4a Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BauNVO in dem Gebiet nicht oder nur in einer Anzahl\ntatsächlich vorhanden sind, die faktisch keinen nennenswerten Einfluss auf die\nEigenart des Gebietes ausübt (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.09.2006 –\nOVG 2 A 12.05 –, juris Rn. 27). Das Vorhandensein von Nutzungen im Sinne von §\n4a Abs. 3 BauNVO sowie weiterer sonstiger Nutzungen ist dabei unschädlich,\nsofern sie einen untergeordneten Umfang haben und den Gebietscharakter nicht\nprägen (Schiller in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Aufl. 2014,\nB. Die zulässigen Vorhaben in beplanten Gebieten, Rn. 1614). \n--- \n| 36 \n--- \n| Erforderlich für die Festsetzung ist eine sorgfältige und ins Detail gehende\nBestandsermittlung, welche eine Beurteilung dieser besonderen Eigenart des\nGebiets und der Folgen für die künftige Entwicklung zulässt (vgl. OVG\nNiedersachsen, Urteil vom 30.06.1986 – 1 C 5/86 –, BauR 1987, 174; OVG\nNordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.06.1996 – 10a D 61/92 NE –, juris Rn. 5;\nOVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.9.2006 – 2 A 12.05 –, Ls. 1, Rn. 27).\nDie Bestandsermittlung verlangt eine ins Detail gehende Erfassung der\nvorhandenen Nutzung nach Art und Maß. Ergeben die Ermittlungen, dass neben\nWohnnutzung gewerbliche Nutzung vorhanden ist, die ihrer Art nach geeignet\nist, die Wohnnutzung zu beeinträchtigen oder mit dieser gar unvereinbar sein\nkönnte, müssen ferner die von dem oder den Gewerbebetrieb / Gewerbebetrieben\nverursachten Emissionen nach Art, Dauer, Häufigkeit, Intensität etc. ermittelt\nwerden (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Die Bestandsaufnahme ist dabei zu\ndokumentieren (Wallhäuser in: Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, 2.\nAufl. 2018, § 4a Rn. 26) und soll in der Begründung zum Bebauungsplan\nzusammenfassend dargestellt werden (Boeddinghaus/Grigoleit,\nBaunutzungsverordnung, 7. Aufl. 2018, § 4 a Rn. 10). Das Fehlen einer solchen\nverlässlichen Bestandsaufnahme führt zwingend zur Unwirksamkeit des\nBebauungsplans. Denn sie ist für den Plangeber unerlässlich, damit er sich\nüber die „besondere“ Eigenart des Gebiets und die hieraus folgende\neinzuschlagende Entwicklung schlüssig werden kann. Mangels ausreichender\nBestandsermittlung lässt sich nämlich die Frage, ob die vorhandene\nGebietsstruktur im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bauleitplan eine\n„besondere Eigenart“ aufgewiesen und damit eine Ausweisung als besonderes\nWohngebiet gerechtfertigt hat, nicht beantworten. Die\nFestsetzungsvoraussetzungen sind gerade kein Bestandteil der Abwägung i.S.d.\n§§ 1 Abs. 7, 2 Abs. 3 BauGB, § 214 BauGB ist nicht anwendbar (vgl. Wallhäuser\na.a.O.; Hornmann in: BeckOK BauNVO, Stand: 15.03.2019, § 4a Rn. 10; OVG\nNordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.06.1996 – 10a D 61/92 NE –, juris Rn. 17\nff.). \n--- \n| 37 \n--- \n| Hiervon ausgehend fehlt es vorliegend an einer zur Beurteilung der\nVoraussetzungen des § 4a BauGB ausreichenden und dokumentierten\nBestandsaufnahme. Der Begründung des Bebauungsplans, dem Auszug aus der\nPräsentation des Planungsbüros (vom Beklagten als Anlage A 2 vorgelegt,\nGerichtsakte S. 223) und der Gemeinderatsvorlage (vom Beklagten als Anlage A 3\nvorgelegt, Gerichtsakte S. 225) kann weder die genaue Zahl und Art der\nGewerbebetriebe einschließlich der von diesen verursachten Emissionen noch die\ngenaue Zahl und Art der – in einem besonderen Wohngebiet grundsätzlich\nunzulässigen – Hofstellen landwirtschaftlicher Betriebe entnommen werden. Auch\naus den sonstigen Planaufstellungsunterlagen ergibt sich nicht, dass eine den\nAnforderungen entsprechende Bestandsaufnahme stattgefunden hat. Angesichts der\nüberschaubaren Größe des Plangebiets wäre eine diesbezügliche Ermittlung ohne\nweiteres möglich gewesen. Auf welcher Grundlage der Gemeinderat beurteilt hat,\nob die vorhandenen Gewerbebetriebe einen nennenswerten Einfluss auf die\nEigenart des Gebietes ausüben, ob die in der Begründung erwähnten Hofstellen\neinen untergeordneten Umfang haben und den Gebietscharakter nicht prägen und\nob die Gewerbebetriebe (insbesondere das Bauunternehmen ... – nach eigenen\nAngaben auf der Firmenhomepage ... ein familiengeführtes, mittelständisches\nBauunternehmen mit über 50 Beschäftigten – und die ... – nach eigenen Angaben\nauf der Firmenhomepage ... eine in Deutschland und Europa führende Marke für\nFreizeitmöbel mit Stammsitz im Plangebiet) und die Hofstellen der Wohnnutzung\nentgegenstehen, ist mithin nicht erkennbar. \n--- \n| 38 \n--- \n| Zwar hat der Beklagte vorgetragen, dass die bestehenden Nutzungen von Hand\ndurch eine Vertreterin des Planungsbüros in einen Übersichtsplan eingetragen\nworden sei (vgl. vom Beklagten als Anlage A 1 vorgelegte Übersicht,\nGerichtsakte S. 221) und dass es im Plangebiet nur zwei bis drei kleine, nicht\n(mehr) beim Landwirtschaftsamt gemeldete Hofstellen gäbe. Es ist aber nicht\nersichtlich und wurde auch nicht vorgetragen, dass diese – im Übrigen nicht\nausreichenden – Informationen dem Gemeinderat bei der Beschlussfassung zur\nVerfügung gestanden hätten. Insoweit fehlt es auch an einer Dokumentation der\nBestandsaufnahme. \n--- \n| 39 \n--- \n| Erweist sich die Festsetzung des Baugebietes in einem Bebauungsplan als\nunwirksam, so erfasst die Nichtigkeit dieser Festsetzung regelmäßig auch alle\nübrigen Festsetzungen, ohne dass es noch auf den mutmaßlichen Willen der\nGemeinde ankommt (BVerwG Beschluss vom 08.08.1989 – 4 NB 2.89 –, juris Ls. 2,\nRn. 12; BVerwG Urteil vom 11.09.2014 – 4 CN 3.14 –, juris Rn. 27, Külpmann in\nErnst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, 131. EL Oktober 2018, BauGB § 10 Rn.\nRandnummer 305a). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Gesichtspunkte, die für\nein Abweichen von dieser Regel streiten, haben die Beteiligten nicht benannt\nund sind auch sonst nicht ersichtlich. \n--- \n| 40 \n--- \n| 2\\. Damit beurteilt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34\nAbs. 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich\nnach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der\nGrundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren\nUmgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Beteiligten haben in\nder mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt, dass sich das geplante\nVorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der\nGrundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren\nUmgebung einfügt. Gegenteilige Anhaltspunkte sind für die Kammer nicht\nersichtlich. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das\nGebot der Rücksichtnahme oder die Nichtwahrung der Anforderungen an gesunde\nWohn- und Arbeitsverhältnisse nach § 34 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BauGB. \n--- \nII. \n--- \n| 41 \n--- \n| Bauordnungsrechtliche Vorschriften stehen dem Vorhaben gleichfalls nicht\nentgegen. \n--- \n| 42 \n--- \n| 1\\. Die Örtlichen Bauvorschriften, welche nach § 74 Abs. 7 S. 1 LBO zusammen\nmit dem Bebauungsplan beschlossen wurden, stehen dem geplanten Vorhaben nicht\nentgegen. \n--- \n| 43 \n--- \n| Es ist bereits zweifelhaft, ob diese im Verfahrensverbund erlassenen\nörtlichen Bauvorschriften trotz der Unwirksamkeit des Bebauungsplans weiterhin\nwirksam sind. Zwar folgt nicht abstrakt aus der Unwirksamkeit eines\nBebauungsplans die Unwirksamkeit von örtlichen Bauvorschriften, welche für den\ngleichen Geltungsbereich erlassen worden sind, da es sich bei den örtlichen\nBauvorschriften um eine selbstständige Satzung handelt (VGH Baden-Württemberg,\nUrteil vom 18.12.2014 – 5 S 584/13 –, juris Rn. 70). Allerdings sind bei einem\ngemeinsamen Erlass der beiden Satzungen nach § 74 Abs. 7 LBO die örtlichen\nBauvorschriften unwirksam, wenn nach dem Willen des Satzungsgebers das\nrechtliche Schicksal der örtlichen Bauvorschriften an dasjenige des\nBebauungsplans gekoppelt sein soll (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,\nUrteil vom 24. Juli 2015 – 8 S 538/12 –, juris Rn. 63). Gegen einen\nhypothetischen Willen des Beklagten, die örtlichen Bauvorschriften auch ohne\nden Bebauungsplan zu beschließen spricht, dass ausweislich der Begründung zu\nden örtlichen Bauvorschriften diese „zusätzlich für erforderlich gehalten\nwerden“ um Werbeanlagen an der Stätte der Leistung zu regeln. Die Formulierung\n„zusätzlich“ weist darauf hin, dass ein gemeinsames Satzungswerk geschaffen\nwerden sollte. Zweifelhaft ist angesichts dieser Formulierung auch, ob die\nBauvorschriften Werbeanlagen außerhalb der Stätte der Leistung überhaupt\nerfassen sollen. Für die der Vorschrift in Ziffer 1.0 a. folgenden\nVorschriften dürfte dies auch deshalb zweifelhaft sein, weil nach Ziffer 1.0\na. und aufgrund der Festsetzungen im Bebauungsplan Fremdwerbeanlagen ohnehin\nunzulässig sind. \n--- \n| 44 \n--- \n| Die Wirksamkeit der örtlichen Bauvorschriften und die Anwendbarkeit der\nBauvorschriften auf Fremdwerbeanlagen kann vorliegend jedoch dahinstehen, da\ndas geplante Vorhaben nicht unter Ziffer 1.0 b. 1. Alt. oder c. (gemeint ist\nwohl d.) fällt und jedenfalls Ziffer 1.0 a. und b. 2. Alt. (gemeint ist wohl\nc.) aus anderen Gründen unwirksam sind. \n--- \n| 45 \n--- \n| a. Ziffer 1.0 b. 1. Alt. ist nicht anwendbar, da es sich um keine\nWerbeanlage an einem Gebäude handelt. Ziffer 1.0 c. ist nicht anwendbar, da es\nsich um keine Werbeanlage mit blinkendem oder sich bewegendem Licht handelt.\nZwar umfasst eine örtliche Bauvorschrift, mit der die Gemeinde Werbeanlagen\nmit wechselndem oder bewegtem Licht wegen deren besonderer Auffälligkeit\nverbietet, nach ihrem Zweck nicht nur Werbeanlagen mit wechselnden\nLichtquellen, sondern auch Anlagen, bei denen die von einer gleichbleibenden\nLichtquelle beleuchtete Folie in bestimmten Zeitabständen durch eine andere\nersetzt wird (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom\n24.02.2003 – 8 S 406/03 –, juris LS 1). Vorliegend handelt es sich ausweislich\ndes Bauantrags jedoch um eine Werbeanlage, bei der das Plakat verklebt wird\n(Behördenakte S. 14: „Tafelelement: Kantholzunterbau belegt mit [...]\nSperrholztafeln. Optional Aluminiumblech-Auflage, aufgeraut zu besseren\nPlakat-Beklebung“). Bei einer solchen bestehen keine vergleichbaren oder\nähnlichen optischen Effekte wie bei einer Werbeanlage mit wechselnden\nLichtquellen. \n--- \n| 46 \n--- \n| b. Ziffer 1.0 a. ist unwirksam, da sie Fremdwerbung generell ausschließt. \n--- \n| 47 \n--- \n| Örtliche Bauvorschriften sind nach § 74 Abs. 1 LBO nur „im Rahmen dieses\nGesetzes“ zulässig. Der Gesetzgeber bringt damit die – an sich\nselbstverständliche – Einschränkung zum Ausdruck, dass örtliche\nBauvorschriften den gesetzlichen Regelungen nicht widersprechen und sich\ninnerhalb der mit diesen Regelungen verbundenen Ziele bewegen müssen (VGH\nBaden-Württemberg, Urteil vom 26.8.1982 – 5 S 858/82 –, VBlBW 1982, 179). Im\nvorliegenden Fall ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die\nLandesbauordnung in § 11 Abs. 4 eine mit Ziffer 1.0 a. vergleichbare Regelung\nenthält, nach der in reinen Wohngebieten, allgemeinen Wohngebieten und\nKleinsiedlungsgebieten nur für Anschläge bestimmte Werbeanlagen sowie\nWerbeanlagen an der Stätte der Leistung zulässig sind. Werbeanlagen der\nFremdwerbung sind danach in diesen vorwiegend dem Wohnen dienenden Gebieten\ngenerell – und damit unabhängig von einer durch sie verursachten\nverunstaltenden Wirkung des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbilds im\nEinzelfall – ausgeschlossen, da der Gesetzgeber sie in diesen Gebieten als\ngrundsätzlich wesensfremd erachtet (vgl. die Begründung für die Neufassung des\n§ 11 Abs. 4 durch die LBO 1995, LT-Drs. 11/5337, S. 86). Besondere Wohngebiete\ngehören nicht zu den in diesem Sinn geschützten Gebieten, da in einem\nbesonderen Wohngebiet auch Gewerbebetriebe zulässig sind und es sich deshalb\nnicht um einen Gebietstypus handelt, dem Werbeanlagen im Allgemeinen\nwesensfremd sind. Diese gesetzgeberische Wertung schließt eine Ausweitung der\nRegelung durch eine auf § 74 Abs. 1 LBO gestützte örtliche Bauvorschrift auf\nvon der Regelung nicht erfasste Gebiete aus (Schlotterbeck in:\nSchlotterbeck/Hager/Busch/Gammerl, LBO für Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2016, §\n11 Rn. 27). \n--- \n| 48 \n--- \n| Indem Ziffer 1.0 a. das generelle, d.h. nicht von einer verunstaltenden\nWirkung im Einzelfall abhängige Verbot von Werbeanlagen außerhalb der Stätte\nder Leistung über die in § 11 Abs. 4 LBO genannten Gebiete auf besondere\nWohngebiete ausdehnt, steht er mithin im Widerspruch zu dieser Vorschrift. Die\nSatzungsregelung wird damit insoweit nicht von § 74 Abs. 1 LBO gedeckt mit der\nFolge, dass sie jedenfalls insoweit nichtig ist (vgl. zu einem Dorfgebiet:\nVerwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 21. 02.2017 – 3 S 1748/14\n–, juris Rn. 55). \n--- \n| 49 \n--- \n| c. Ziffer 1. b. 2. Alt. ist unwirksam, da die Vorschrift ein\ngeneralisierendes Verbot von großen Werbeanlagen enthält, ohne dass sich im\nPlangebiet ein Mindestmaß an Einheitlichkeit findet. \n--- \n| 50 \n--- \n| An die Zulässigkeit von Werbeanlagen sind je nach den Gegebenheiten des\njeweiligen Gemeindebereichs und dem damit verbundenen Schutzzweck\nunterschiedliche Anforderungen zu stellen. Nach diesen Schutzmaßstäben ist das\nGebiet abzustufen. Eine generalisierende Regelung für Werbeanlagen setzt\ndaher, um einer Prüfung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG standzuhalten, eine\nEntsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters\nvoraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.1980 – IV C 44.76 –, NJW 1980, 2091\nm.w.N., Urteil vom 16.03.1995 – 4 C 3.94 –, NVwZ 1995, 899). Daran fehlt es\nbspw. bei einem Verbot großflächiger Werbetafeln in einem Mischgebiet (vgl.\nBVerwG, Urteil vom 28.04.1972 – IV C 11.69 –, BVerwGE 40, 94.). Der\nSatzungsgeber hat bei Erlass einer Werbeanlagensatzung deshalb die\nSchutzbedürftigkeit des betroffenen Gebiets sorgfältig abzuwägen und im\nZweifel nach Baugebieten, Bauquartieren und unter Umständen noch weitergehend,\netwa nach Straßenzügen, abzustufen (Bayerischer Verfassungsgerichtshof,\nEntscheidung vom 23.01.2012 – Vf. 18-VII-09 –, juris Rn. 107). Die\nerforderliche, den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG Rechnung tragende\nEinheitlichkeit kann nicht nur durch eine Homogenität im Sinne der\nplanungsrechtlichen Gebietseinteilung nach Maßgabe der Baunutzungsverordnung,\nsondern auch durch eine städtebaulich bedeutsame Prägung eines bestimmten\nTeilgebiets einer Gemeinde bewirkt werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.02.1980\nund vom 16.03.1995 a.a.O., Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil\nvom 06.04.2011 – 8 S 1213/09 –, juris Rn. 25). Dabei genügt es, wenn sich die\ngestalterischen Absichten durch Auslegung ermitteln lassen. Eine konkrete\nFestlegung der beabsichtigten gestalterischen Ziele ist jedenfalls dann\nentbehrlich, wenn sich die gestalterischen Absichten ohne Weiteres aus dem\nInhalt der Anforderungen und den Gesamtumständen ablesen lassen (VG Stuttgart,\nUrteil vom 06.096.2003 – 19 K 1236/02 –, juris Rn. 20). Für die Beurteilung\nder Frage, wann die Einheitlichkeit der von der einschränkenden\nSatzungsregelung betroffenen Teilgebiete der Gemeinde vorliegen muss, kommt es\nmaßgeblich auf den Zeitpunkt des Satzungserlasses an, denn nur zu diesem\nZeitpunkt kann der Satzungsgeber die hier maßgeblichen tatsächlichen Umstände\nwürdigen und in seine erforderliche Abwägungsentscheidung (vgl.\nVerwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 22.04.2002 – 8 S 177/02\n–, VBlBW 2003, 123) einstellen. \n--- \n| 51 \n--- \n| Vorliegend fehlt es an einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des\nBaugebietscharakters. Im Planungsgebiet befinden sich in der Hauptsache\nWohnnutzungen und im Bereich der jeweiligen Ortseingänge Gewerbebetriebe (vgl.\nZiffer 4.1 des Bebauungsplans; Übersichtkarte in Anlage A1, Gerichtsakte S.\n221). Daneben sind Gaststätten und landwirtschaftliche Hofstellen vorhanden\nsind (vgl. Ziffern 1, 4.1 und 5.1 der Begründung zum Bebauungsplan).\nInsbesondere im Bereich der Ortseingänge gilt aufgrund der dort vorhanden\nGewerbebetriebe ein anderer Schutzmaßstab als in dem dazwischenliegenden, eher\ndurch Wohnnutzung geprägten, Teilgebiet. Damit fehlt es an der notwendigen\nEinheitlichkeit. Es ist auch nichts für eine städtebaulich bedeutsame Prägung\ndes Planbereichs ersichtlich. Der umgestaltete Bereich von Scherzheim um die\nKirche, welcher ausweislich der Ziffer 1 der Begründung des Bebauungsplans ein\nbesonders attraktives Umfeld darstelle, liegt außerhalb des Plangebiets und\nkann schon aus diesem Grund den Planbereich nicht prägen. Jedenfalls im\nBereich der Ortseingänge liegt eine städtebaulich bedeutsame Prägung nicht\nvor. \n--- \n| 52 \n--- \n| 2\\. § 16 Abs. 2 LBO steht dem geplanten Vorhaben ebenfalls nicht entgegen.\nNach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil\nvom 16.06.2003 – 3 S 2324/02 –, juris Rn. 43) ist von einer Gefährdung der\nSicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs „(nur) dann auszugehen,\nwenn eine Sachlage gegeben ist, die die Annahme rechtfertigt, dass nach\nallgemeiner Erfahrung in überschaubarer Zukunft der Eintritt eines Schadens\nhinreichend wahrscheinlich ist, wenn also ein Verkehrsunfall oder doch eine\nVerkehrsbehinderung zu erwarten ist“. Für eine solche Sachlage ist vorliegend\nnichts ersichtlich. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig, wie sich\nin der mündlichen Verhandlung gezeigt hat. Etwaige Bedenken des\nStraßenverkehrsamtes des Beklagten werden demnach nicht aufrechterhalten. \n--- \nIII. \n--- \n| 53 \n--- \n| Auch sonstige von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche\nVorschriften stehen dem geplanten Vorhaben nicht entgegen. § 33 Abs. 1 S. 2\nStVO findet keine Anwendung, da der Verkehr außerhalb der Ortschaft durch das\ngeplante Vorhaben nicht gestört wird. \n--- \nC. \n--- \n| 54 \n--- \n| Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene\nkeinen Antrag gestellt hat und damit auch kein Kostenrisiko eingegangen ist\n(vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), erscheint es billig, ihre außergerichtlichen Kosten\nnicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO). Gründe, die eine\nBerufungszulassung durch das Verwaltungsgericht ermöglichen (§ 124a Abs. 1\nSatz 1, § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO), sind nicht erkennbar. \n--- \n| 55 \n--- \n| **B E S C H L U S S** \n--- \n| 56 \n--- \n| Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.1.2.3.1 des\nStreitwertkatalogs 5.000,00 EUR festgesetzt. \n--- \n| 57 \n--- \n| Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird\nauf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen. \n--- \n \n## Gründe\n\n| | \n--- \n| 27 \n--- \n| Die zulässige Klage ist begründet. \n--- \nA. \n--- \n| 28 \n--- \n| Die zunächst als Untätigkeitsklage erhobene Klage ist als\nVerpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch sonst\nzulässig. Ein Vorverfahren ist abweichend von § 68 VwGO entbehrlich, § 75 Abs.\n1 S. 1 VwGO. Zu Gunsten der Klägerin geht die Kammer davon aus, dass die Klage\nvom 21.03.2017 anhängig geworden ist, bevor der auf den 20.03.2017 datierende\nAblehnungsbescheid der Klägerin nach § 43 Abs. 1 S. 1 LVwVfG bekanntgegeben\nwurde. Es war für die Kammer nicht aufklärbar, ob der auf den 20.03.2017\ndatierende Ablehnungsbescheid noch am selben Tag zur Post gegeben wurde und ob\ndiese den Bescheid am nächsten Tag zugestellt hat. Aufgrund der üblichen\nBearbeitungsdauer und Postlaufzeit dürfte ein Schreiben in der Regel nicht\nbereits am nächsten Tag zugestellt sein. Bei einer zulässig – also nach Ablauf\nder Frist in § 75 S. 1 oder S. 2 VwGO – als Untätigkeitsklage erhobenen Klage\nkann der Kläger nach negativer Entscheidung der Behörde die Klage unter\nEinbeziehung des ergangenen Verwaltungsakts als Verpflichtungsklage\naufrechterhalten und fortführen. Dies ist vorliegend geschehen. Die\nDurchführung eines Vorverfahrens ist insoweit grundsätzlich nicht erforderlich\n(vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.04.1984 – 5 S 2079/83 –, juris LS\n1). \n--- \n| 29 \n--- \n| Etwas Anderes soll zwar dann gelten, wenn – wie vorliegend – der Bescheid\nunmittelbar nach Klageerhebung, und damit vor der Möglichkeit einer\nNachfristsetzung durch das Gericht, erging. Liegt in einer solchen\nFallkonstellation ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung vor, sei ein\nVorverfahren durchzuführen (Eyermann/Rennert, VwGO § 75 Rn. 20; Sodan/Ziekow,\nVwGO § 75 Rn. 72; ausführlich dazu: Weides, Die nachträgliche\nVerwaltungsentscheidung im Verfahren der Untätigkeitsklage, NVwZ 1988, 673,\n678 Fall 6). Begründet wird dies damit, dass es widersinnig sei, wollte man in\ndieser Fallkonstellation ein Vorverfahren für entbehrlich halten, es\ndemgegenüber aber als erforderlich ansehen, wenn die Behörde mit ihrer\nEntscheidung bis zu einer Fristsetzung durch das Gericht nach § 75 S. 3 VwGO\ngewartet hätte. Vorliegend fehlt es aber bereits an einem zureichenden Grund\ni.S.d. § 75 S. 3 VwGO. Zureichende Gründe sind nur solche, die mit der\nRechtsordnung in Einklang stehen (BVerwG, Beschluss vom 23.07.1991 – 3 C 56/90\n–, juris LS 3). Mit der Rechtsordnung ist es nicht vereinbar, dass die\nVerwaltung die Entscheidung über einen Antrag verzögert, um ihn nach einer\nabsehbaren Rechtsänderung ablehnen zu können. (BVerwG, Beschluss vom\n08.01.2004 – 7 B 58/03 –, juris Rn. 4). So liegt der Fall aber hier. Die\nBeklagte hat den entscheidungsreifen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung\nformlos zurückgestellt bzw. die Entscheidung verzögert (vgl. Behördenakte S.\n95 ff.), um den Erlass der Veränderungssperre abzuwarten. Damit fehlt es an\neinem zureichenden Grund nach § 75 S. 3 VwGO. \n--- \nB. \n--- \n| 30 \n--- \n| Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der\nBaugenehmigung für ihr Bauvorhaben (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). \n--- \n| 31 \n--- \n| Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 58 Abs. 1 S. 1 LBO.\nDanach ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem genehmigungspflichtigen\nVorhaben keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen\nVorschriften entgegenstehen. \n--- \n| 32 \n--- \n| Die geplante Werbeanlage, die nach §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 u. 9, 49, 50 Abs. 1\nLBO i.V.m. Nr. 9 des Anhangs zu § 50 LBO genehmigungspflichtig ist, ist\ngenehmigungsfähig. Dem Vorhaben stehen von der Baurechtsbehörde zu prüfende\nöffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegen. \n--- \nI. \n--- \n| 33 \n--- \n| Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt sich\nvorliegend nach den §§ 29 ff. BauGB. Es handelt sich bei der geplanten\nWerbeanlage um eine bauliche Anlage im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB.\nWerbeanlagen, zumal freistehende, besitzen bodenrechtliche Relevanz, da\njedenfalls die gedachte Häufung solcher Anlagen bauplanungsrechtliche Relevanz\nin Form der Gestaltung des Ortsbildes zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom\n03.12.1993 – 4 C 27.91 –, juris Rn. 16 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom\n28.10.1992 – 3 S 2490/91 juris Rn. 19 ff.). \n--- \n| 34 \n--- \n| 1\\. § 30 Abs. 3 BauGB steht dem Vorhaben nicht entgegen. Das Vorhaben\nwiderspricht zwar der Festsetzung in Ziffer 1.4 der planungsrechtlichen\nFestsetzungen im Bebauungsplan „Landstraße“ der Beigeladenen. Der\nBebauungsplan „Landstraße“ ist jedoch unwirksam, da eine sorgfältige\nBestandsaufnahme zur Beurteilung der besonderen Eigenart des Gebiets zum\nmaßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung der Begründung zum Bebauungsplan\nund den Planaufstellungsunterlagen nicht zu entnehmen ist. \n--- \n| 35 \n--- \n| Die Festsetzung als besonderes Wohngebiet setzt nach § 4a Abs. 1 BauNVO in\ntatsächlicher Hinsicht voraus, dass es sich um ein überwiegend bebautes Gebiet\nhandelt, welches aufgrund ausgeübter Wohnnutzung und vorhandener sonstiger in\nAbsatz 2 genannter Anlagen eine besondere Eigenart aufweist. An der besonderen\nEigenart der vorgefundenen Mischung aus Wohnen und anderen Nutzungen fehlt es\netwa dann, wenn die in der Vorschrift hervorgehobenen Gewerbebetriebe nach §\n4a Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BauNVO in dem Gebiet nicht oder nur in einer Anzahl\ntatsächlich vorhanden sind, die faktisch keinen nennenswerten Einfluss auf die\nEigenart des Gebietes ausübt (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.09.2006 –\nOVG 2 A 12.05 –, juris Rn. 27). Das Vorhandensein von Nutzungen im Sinne von §\n4a Abs. 3 BauNVO sowie weiterer sonstiger Nutzungen ist dabei unschädlich,\nsofern sie einen untergeordneten Umfang haben und den Gebietscharakter nicht\nprägen (Schiller in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Aufl. 2014,\nB. Die zulässigen Vorhaben in beplanten Gebieten, Rn. 1614). \n--- \n| 36 \n--- \n| Erforderlich für die Festsetzung ist eine sorgfältige und ins Detail gehende\nBestandsermittlung, welche eine Beurteilung dieser besonderen Eigenart des\nGebiets und der Folgen für die künftige Entwicklung zulässt (vgl. OVG\nNiedersachsen, Urteil vom 30.06.1986 – 1 C 5/86 –, BauR 1987, 174; OVG\nNordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.06.1996 – 10a D 61/92 NE –, juris Rn. 5;\nOVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.9.2006 – 2 A 12.05 –, Ls. 1, Rn. 27).\nDie Bestandsermittlung verlangt eine ins Detail gehende Erfassung der\nvorhandenen Nutzung nach Art und Maß. Ergeben die Ermittlungen, dass neben\nWohnnutzung gewerbliche Nutzung vorhanden ist, die ihrer Art nach geeignet\nist, die Wohnnutzung zu beeinträchtigen oder mit dieser gar unvereinbar sein\nkönnte, müssen ferner die von dem oder den Gewerbebetrieb / Gewerbebetrieben\nverursachten Emissionen nach Art, Dauer, Häufigkeit, Intensität etc. ermittelt\nwerden (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Die Bestandsaufnahme ist dabei zu\ndokumentieren (Wallhäuser in: Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, 2.\nAufl. 2018, § 4a Rn. 26) und soll in der Begründung zum Bebauungsplan\nzusammenfassend dargestellt werden (Boeddinghaus/Grigoleit,\nBaunutzungsverordnung, 7. Aufl. 2018, § 4 a Rn. 10). Das Fehlen einer solchen\nverlässlichen Bestandsaufnahme führt zwingend zur Unwirksamkeit des\nBebauungsplans. Denn sie ist für den Plangeber unerlässlich, damit er sich\nüber die „besondere“ Eigenart des Gebiets und die hieraus folgende\neinzuschlagende Entwicklung schlüssig werden kann. Mangels ausreichender\nBestandsermittlung lässt sich nämlich die Frage, ob die vorhandene\nGebietsstruktur im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bauleitplan eine\n„besondere Eigenart“ aufgewiesen und damit eine Ausweisung als besonderes\nWohngebiet gerechtfertigt hat, nicht beantworten. Die\nFestsetzungsvoraussetzungen sind gerade kein Bestandteil der Abwägung i.S.d.\n§§ 1 Abs. 7, 2 Abs. 3 BauGB, § 214 BauGB ist nicht anwendbar (vgl. Wallhäuser\na.a.O.; Hornmann in: BeckOK BauNVO, Stand: 15.03.2019, § 4a Rn. 10; OVG\nNordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.06.1996 – 10a D 61/92 NE –, juris Rn. 17\nff.). \n--- \n| 37 \n--- \n| Hiervon ausgehend fehlt es vorliegend an einer zur Beurteilung der\nVoraussetzungen des § 4a BauGB ausreichenden und dokumentierten\nBestandsaufnahme. Der Begründung des Bebauungsplans, dem Auszug aus der\nPräsentation des Planungsbüros (vom Beklagten als Anlage A 2 vorgelegt,\nGerichtsakte S. 223) und der Gemeinderatsvorlage (vom Beklagten als Anlage A 3\nvorgelegt, Gerichtsakte S. 225) kann weder die genaue Zahl und Art der\nGewerbebetriebe einschließlich der von diesen verursachten Emissionen noch die\ngenaue Zahl und Art der – in einem besonderen Wohngebiet grundsätzlich\nunzulässigen – Hofstellen landwirtschaftlicher Betriebe entnommen werden. Auch\naus den sonstigen Planaufstellungsunterlagen ergibt sich nicht, dass eine den\nAnforderungen entsprechende Bestandsaufnahme stattgefunden hat. Angesichts der\nüberschaubaren Größe des Plangebiets wäre eine diesbezügliche Ermittlung ohne\nweiteres möglich gewesen. Auf welcher Grundlage der Gemeinderat beurteilt hat,\nob die vorhandenen Gewerbebetriebe einen nennenswerten Einfluss auf die\nEigenart des Gebietes ausüben, ob die in der Begründung erwähnten Hofstellen\neinen untergeordneten Umfang haben und den Gebietscharakter nicht prägen und\nob die Gewerbebetriebe (insbesondere das Bauunternehmen ... – nach eigenen\nAngaben auf der Firmenhomepage ... ein familiengeführtes, mittelständisches\nBauunternehmen mit über 50 Beschäftigten – und die ... – nach eigenen Angaben\nauf der Firmenhomepage ... eine in Deutschland und Europa führende Marke für\nFreizeitmöbel mit Stammsitz im Plangebiet) und die Hofstellen der Wohnnutzung\nentgegenstehen, ist mithin nicht erkennbar. \n--- \n| 38 \n--- \n| Zwar hat der Beklagte vorgetragen, dass die bestehenden Nutzungen von Hand\ndurch eine Vertreterin des Planungsbüros in einen Übersichtsplan eingetragen\nworden sei (vgl. vom Beklagten als Anlage A 1 vorgelegte Übersicht,\nGerichtsakte S. 221) und dass es im Plangebiet nur zwei bis drei kleine, nicht\n(mehr) beim Landwirtschaftsamt gemeldete Hofstellen gäbe. Es ist aber nicht\nersichtlich und wurde auch nicht vorgetragen, dass diese – im Übrigen nicht\nausreichenden – Informationen dem Gemeinderat bei der Beschlussfassung zur\nVerfügung gestanden hätten. Insoweit fehlt es auch an einer Dokumentation der\nBestandsaufnahme. \n--- \n| 39 \n--- \n| Erweist sich die Festsetzung des Baugebietes in einem Bebauungsplan als\nunwirksam, so erfasst die Nichtigkeit dieser Festsetzung regelmäßig auch alle\nübrigen Festsetzungen, ohne dass es noch auf den mutmaßlichen Willen der\nGemeinde ankommt (BVerwG Beschluss vom 08.08.1989 – 4 NB 2.89 –, juris Ls. 2,\nRn. 12; BVerwG Urteil vom 11.09.2014 – 4 CN 3.14 –, juris Rn. 27, Külpmann in\nErnst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, 131. EL Oktober 2018, BauGB § 10 Rn.\nRandnummer 305a). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Gesichtspunkte, die für\nein Abweichen von dieser Regel streiten, haben die Beteiligten nicht benannt\nund sind auch sonst nicht ersichtlich. \n--- \n| 40 \n--- \n| 2\\. Damit beurteilt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34\nAbs. 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich\nnach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der\nGrundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren\nUmgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Beteiligten haben in\nder mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt, dass sich das geplante\nVorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der\nGrundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren\nUmgebung einfügt. Gegenteilige Anhaltspunkte sind für die Kammer nicht\nersichtlich. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das\nGebot der Rücksichtnahme oder die Nichtwahrung der Anforderungen an gesunde\nWohn- und Arbeitsverhältnisse nach § 34 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BauGB. \n--- \nII. \n--- \n| 41 \n--- \n| Bauordnungsrechtliche Vorschriften stehen dem Vorhaben gleichfalls nicht\nentgegen. \n--- \n| 42 \n--- \n| 1\\. Die Örtlichen Bauvorschriften, welche nach § 74 Abs. 7 S. 1 LBO zusammen\nmit dem Bebauungsplan beschlossen wurden, stehen dem geplanten Vorhaben nicht\nentgegen. \n--- \n| 43 \n--- \n| Es ist bereits zweifelhaft, ob diese im Verfahrensverbund erlassenen\nörtlichen Bauvorschriften trotz der Unwirksamkeit des Bebauungsplans weiterhin\nwirksam sind. Zwar folgt nicht abstrakt aus der Unwirksamkeit eines\nBebauungsplans die Unwirksamkeit von örtlichen Bauvorschriften, welche für den\ngleichen Geltungsbereich erlassen worden sind, da es sich bei den örtlichen\nBauvorschriften um eine selbstständige Satzung handelt (VGH Baden-Württemberg,\nUrteil vom 18.12.2014 – 5 S 584/13 –, juris Rn. 70). Allerdings sind bei einem\ngemeinsamen Erlass der beiden Satzungen nach § 74 Abs. 7 LBO die örtlichen\nBauvorschriften unwirksam, wenn nach dem Willen des Satzungsgebers das\nrechtliche Schicksal der örtlichen Bauvorschriften an dasjenige des\nBebauungsplans gekoppelt sein soll (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,\nUrteil vom 24. Juli 2015 – 8 S 538/12 –, juris Rn. 63). Gegen einen\nhypothetischen Willen des Beklagten, die örtlichen Bauvorschriften auch ohne\nden Bebauungsplan zu beschließen spricht, dass ausweislich der Begründung zu\nden örtlichen Bauvorschriften diese „zusätzlich für erforderlich gehalten\nwerden“ um Werbeanlagen an der Stätte der Leistung zu regeln. Die Formulierung\n„zusätzlich“ weist darauf hin, dass ein gemeinsames Satzungswerk geschaffen\nwerden sollte. Zweifelhaft ist angesichts dieser Formulierung auch, ob die\nBauvorschriften Werbeanlagen außerhalb der Stätte der Leistung überhaupt\nerfassen sollen. Für die der Vorschrift in Ziffer 1.0 a. folgenden\nVorschriften dürfte dies auch deshalb zweifelhaft sein, weil nach Ziffer 1.0\na. und aufgrund der Festsetzungen im Bebauungsplan Fremdwerbeanlagen ohnehin\nunzulässig sind. \n--- \n| 44 \n--- \n| Die Wirksamkeit der örtlichen Bauvorschriften und die Anwendbarkeit der\nBauvorschriften auf Fremdwerbeanlagen kann vorliegend jedoch dahinstehen, da\ndas geplante Vorhaben nicht unter Ziffer 1.0 b. 1. Alt. oder c. (gemeint ist\nwohl d.) fällt und jedenfalls Ziffer 1.0 a. und b. 2. Alt. (gemeint ist wohl\nc.) aus anderen Gründen unwirksam sind. \n--- \n| 45 \n--- \n| a. Ziffer 1.0 b. 1. Alt. ist nicht anwendbar, da es sich um keine\nWerbeanlage an einem Gebäude handelt. Ziffer 1.0 c. ist nicht anwendbar, da es\nsich um keine Werbeanlage mit blinkendem oder sich bewegendem Licht handelt.\nZwar umfasst eine örtliche Bauvorschrift, mit der die Gemeinde Werbeanlagen\nmit wechselndem oder bewegtem Licht wegen deren besonderer Auffälligkeit\nverbietet, nach ihrem Zweck nicht nur Werbeanlagen mit wechselnden\nLichtquellen, sondern auch Anlagen, bei denen die von einer gleichbleibenden\nLichtquelle beleuchtete Folie in bestimmten Zeitabständen durch eine andere\nersetzt wird (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom\n24.02.2003 – 8 S 406/03 –, juris LS 1). Vorliegend handelt es sich ausweislich\ndes Bauantrags jedoch um eine Werbeanlage, bei der das Plakat verklebt wird\n(Behördenakte S. 14: „Tafelelement: Kantholzunterbau belegt mit [...]\nSperrholztafeln. Optional Aluminiumblech-Auflage, aufgeraut zu besseren\nPlakat-Beklebung“). Bei einer solchen bestehen keine vergleichbaren oder\nähnlichen optischen Effekte wie bei einer Werbeanlage mit wechselnden\nLichtquellen. \n--- \n| 46 \n--- \n| b. Ziffer 1.0 a. ist unwirksam, da sie Fremdwerbung generell ausschließt. \n--- \n| 47 \n--- \n| Örtliche Bauvorschriften sind nach § 74 Abs. 1 LBO nur „im Rahmen dieses\nGesetzes“ zulässig. Der Gesetzgeber bringt damit die – an sich\nselbstverständliche – Einschränkung zum Ausdruck, dass örtliche\nBauvorschriften den gesetzlichen Regelungen nicht widersprechen und sich\ninnerhalb der mit diesen Regelungen verbundenen Ziele bewegen müssen (VGH\nBaden-Württemberg, Urteil vom 26.8.1982 – 5 S 858/82 –, VBlBW 1982, 179). Im\nvorliegenden Fall ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die\nLandesbauordnung in § 11 Abs. 4 eine mit Ziffer 1.0 a. vergleichbare Regelung\nenthält, nach der in reinen Wohngebieten, allgemeinen Wohngebieten und\nKleinsiedlungsgebieten nur für Anschläge bestimmte Werbeanlagen sowie\nWerbeanlagen an der Stätte der Leistung zulässig sind. Werbeanlagen der\nFremdwerbung sind danach in diesen vorwiegend dem Wohnen dienenden Gebieten\ngenerell – und damit unabhängig von einer durch sie verursachten\nverunstaltenden Wirkung des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbilds im\nEinzelfall – ausgeschlossen, da der Gesetzgeber sie in diesen Gebieten als\ngrundsätzlich wesensfremd erachtet (vgl. die Begründung für die Neufassung des\n§ 11 Abs. 4 durch die LBO 1995, LT-Drs. 11/5337, S. 86). Besondere Wohngebiete\ngehören nicht zu den in diesem Sinn geschützten Gebieten, da in einem\nbesonderen Wohngebiet auch Gewerbebetriebe zulässig sind und es sich deshalb\nnicht um einen Gebietstypus handelt, dem Werbeanlagen im Allgemeinen\nwesensfremd sind. Diese gesetzgeberische Wertung schließt eine Ausweitung der\nRegelung durch eine auf § 74 Abs. 1 LBO gestützte örtliche Bauvorschrift auf\nvon der Regelung nicht erfasste Gebiete aus (Schlotterbeck in:\nSchlotterbeck/Hager/Busch/Gammerl, LBO für Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2016, §\n11 Rn. 27). \n--- \n| 48 \n--- \n| Indem Ziffer 1.0 a. das generelle, d.h. nicht von einer verunstaltenden\nWirkung im Einzelfall abhängige Verbot von Werbeanlagen außerhalb der Stätte\nder Leistung über die in § 11 Abs. 4 LBO genannten Gebiete auf besondere\nWohngebiete ausdehnt, steht er mithin im Widerspruch zu dieser Vorschrift. Die\nSatzungsregelung wird damit insoweit nicht von § 74 Abs. 1 LBO gedeckt mit der\nFolge, dass sie jedenfalls insoweit nichtig ist (vgl. zu einem Dorfgebiet:\nVerwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 21. 02.2017 – 3 S 1748/14\n–, juris Rn. 55). \n--- \n| 49 \n--- \n| c. Ziffer 1. b. 2. Alt. ist unwirksam, da die Vorschrift ein\ngeneralisierendes Verbot von großen Werbeanlagen enthält, ohne dass sich im\nPlangebiet ein Mindestmaß an Einheitlichkeit findet. \n--- \n| 50 \n--- \n| An die Zulässigkeit von Werbeanlagen sind je nach den Gegebenheiten des\njeweiligen Gemeindebereichs und dem damit verbundenen Schutzzweck\nunterschiedliche Anforderungen zu stellen. Nach diesen Schutzmaßstäben ist das\nGebiet abzustufen. Eine generalisierende Regelung für Werbeanlagen setzt\ndaher, um einer Prüfung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG standzuhalten, eine\nEntsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters\nvoraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.1980 – IV C 44.76 –, NJW 1980, 2091\nm.w.N., Urteil vom 16.03.1995 – 4 C 3.94 –, NVwZ 1995, 899). Daran fehlt es\nbspw. bei einem Verbot großflächiger Werbetafeln in einem Mischgebiet (vgl.\nBVerwG, Urteil vom 28.04.1972 – IV C 11.69 –, BVerwGE 40, 94.). Der\nSatzungsgeber hat bei Erlass einer Werbeanlagensatzung deshalb die\nSchutzbedürftigkeit des betroffenen Gebiets sorgfältig abzuwägen und im\nZweifel nach Baugebieten, Bauquartieren und unter Umständen noch weitergehend,\netwa nach Straßenzügen, abzustufen (Bayerischer Verfassungsgerichtshof,\nEntscheidung vom 23.01.2012 – Vf. 18-VII-09 –, juris Rn. 107). Die\nerforderliche, den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG Rechnung tragende\nEinheitlichkeit kann nicht nur durch eine Homogenität im Sinne der\nplanungsrechtlichen Gebietseinteilung nach Maßgabe der Baunutzungsverordnung,\nsondern auch durch eine städtebaulich bedeutsame Prägung eines bestimmten\nTeilgebiets einer Gemeinde bewirkt werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.02.1980\nund vom 16.03.1995 a.a.O., Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil\nvom 06.04.2011 – 8 S 1213/09 –, juris Rn. 25). Dabei genügt es, wenn sich die\ngestalterischen Absichten durch Auslegung ermitteln lassen. Eine konkrete\nFestlegung der beabsichtigten gestalterischen Ziele ist jedenfalls dann\nentbehrlich, wenn sich die gestalterischen Absichten ohne Weiteres aus dem\nInhalt der Anforderungen und den Gesamtumständen ablesen lassen (VG Stuttgart,\nUrteil vom 06.096.2003 – 19 K 1236/02 –, juris Rn. 20). Für die Beurteilung\nder Frage, wann die Einheitlichkeit der von der einschränkenden\nSatzungsregelung betroffenen Teilgebiete der Gemeinde vorliegen muss, kommt es\nmaßgeblich auf den Zeitpunkt des Satzungserlasses an, denn nur zu diesem\nZeitpunkt kann der Satzungsgeber die hier maßgeblichen tatsächlichen Umstände\nwürdigen und in seine erforderliche Abwägungsentscheidung (vgl.\nVerwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 22.04.2002 – 8 S 177/02\n–, VBlBW 2003, 123) einstellen. \n--- \n| 51 \n--- \n| Vorliegend fehlt es an einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des\nBaugebietscharakters. Im Planungsgebiet befinden sich in der Hauptsache\nWohnnutzungen und im Bereich der jeweiligen Ortseingänge Gewerbebetriebe (vgl.\nZiffer 4.1 des Bebauungsplans; Übersichtkarte in Anlage A1, Gerichtsakte S.\n221). Daneben sind Gaststätten und landwirtschaftliche Hofstellen vorhanden\nsind (vgl. Ziffern 1, 4.1 und 5.1 der Begründung zum Bebauungsplan).\nInsbesondere im Bereich der Ortseingänge gilt aufgrund der dort vorhanden\nGewerbebetriebe ein anderer Schutzmaßstab als in dem dazwischenliegenden, eher\ndurch Wohnnutzung geprägten, Teilgebiet. Damit fehlt es an der notwendigen\nEinheitlichkeit. Es ist auch nichts für eine städtebaulich bedeutsame Prägung\ndes Planbereichs ersichtlich. Der umgestaltete Bereich von Scherzheim um die\nKirche, welcher ausweislich der Ziffer 1 der Begründung des Bebauungsplans ein\nbesonders attraktives Umfeld darstelle, liegt außerhalb des Plangebiets und\nkann schon aus diesem Grund den Planbereich nicht prägen. Jedenfalls im\nBereich der Ortseingänge liegt eine städtebaulich bedeutsame Prägung nicht\nvor. \n--- \n| 52 \n--- \n| 2\\. § 16 Abs. 2 LBO steht dem geplanten Vorhaben ebenfalls nicht entgegen.\nNach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil\nvom 16.06.2003 – 3 S 2324/02 –, juris Rn. 43) ist von einer Gefährdung der\nSicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs „(nur) dann auszugehen,\nwenn eine Sachlage gegeben ist, die die Annahme rechtfertigt, dass nach\nallgemeiner Erfahrung in überschaubarer Zukunft der Eintritt eines Schadens\nhinreichend wahrscheinlich ist, wenn also ein Verkehrsunfall oder doch eine\nVerkehrsbehinderung zu erwarten ist“. Für eine solche Sachlage ist vorliegend\nnichts ersichtlich. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig, wie sich\nin der mündlichen Verhandlung gezeigt hat. Etwaige Bedenken des\nStraßenverkehrsamtes des Beklagten werden demnach nicht aufrechterhalten. \n--- \nIII. \n--- \n| 53 \n--- \n| Auch sonstige von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche\nVorschriften stehen dem geplanten Vorhaben nicht entgegen. § 33 Abs. 1 S. 2\nStVO findet keine Anwendung, da der Verkehr außerhalb der Ortschaft durch das\ngeplante Vorhaben nicht gestört wird. \n--- \nC. \n--- \n| 54 \n--- \n| Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene\nkeinen Antrag gestellt hat und damit auch kein Kostenrisiko eingegangen ist\n(vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), erscheint es billig, ihre außergerichtlichen Kosten\nnicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO). Gründe, die eine\nBerufungszulassung durch das Verwaltungsgericht ermöglichen (§ 124a Abs. 1\nSatz 1, § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO), sind nicht erkennbar. \n--- \n| 55 \n--- \n| **B E S C H L U S S** \n--- \n| 56 \n--- \n| Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.1.2.3.1 des\nStreitwertkatalogs 5.000,00 EUR festgesetzt. \n--- \n| 57 \n--- \n| Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird\nauf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen. \n---\n\n
319,902
vg-hannover-2019-05-14-12-b-119219
615
Verwaltungsgericht Hannover
vg-hannover
Hannover
Niedersachsen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
12 B 1192/19
2019-05-14
2019-06-08 10:00:57
2020-12-10 13:23:30
Beschluss
#### Tenor\n\n \n\n \n\nDie aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des\nAntragsgegners vom 14. Februar 2019 wird wiederhergestellt.\n\n \n\nDer Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.\n\n \n\nDer Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.\n\n \n\nDer Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.\n\n#### Gründe\n\n \n\n1\n\n \n\nDer Antrag des Antragstellers,\n\n2\n\n \n\ndie aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 7. März 2019 gegen den Bescheid des\nAntragsgegners vom 14. Februar 2019 wiederherzustellen,\n\n3\n\n \n\nhat Erfolg.\n\n4\n\n \n\nDer Antrag ist zulässig, da der Antragsgegner in seinem Bescheid die sofortige\nVollziehung hinsichtlich der streitgegenständlichen räumlichen Beschränkung\ndes Aufenthalts angeordnet hat.\n\n5\n\n \n\nDer Antrag ist auch begründet. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die\naufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle der Anordnung der\nsofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen,\nwenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende\nInteressenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen\nVollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes hinter das Interesse des\nAdressaten an einem Aufschub der Vollziehung zurücktritt. Dies ist zum einen\ndann der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, denn\nan der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein\nvorrangiges öffentliches Interesse bestehen. Das Aufschubinteresse der\nAdressaten überwiegt zum anderen auch dann, wenn die Anordnung der sofortigen\nVollziehung rechtswidrig ist, weil es an einem besonderen Vollzugsinteresse\nfehlt, welches über das Interesse hinausgeht, das den Erlass des\nVerwaltungsaktes selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Mai 2007\n- 2 BvR 2483.06 -, juris Rn. 31).\n\n6\n\n \n\nZwar erweist sich nach der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen, aber auch\nausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die angegriffene\nräumliche Beschränkung vom 14. Februar 2019 als offensichtlich rechtmäßig. Der\nAntragsgegner hat den Aufenthalt des Antragstellers rechtlich in nicht zu\nbeanstandender Weise auf den Landkreis Hildesheim beschränkt. Dies gilt\nunabhängig davon, ob - wie der Antragsgegner meint - der Antragsteller über\nseine Identität getäuscht oder bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten\nnicht ausreichend mitgewirkt und damit den Tatbestand des § 61 Abs. 1c Satz 2\nAufenthG erfüllt hat. Denn jedenfalls die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1c\nSatz 1 Nr. 1 AufenthG sind erfüllt.\n\n7\n\n \n\nNach § 61 Abs. 1c Satz 1 Nr. 1 AufenthG kann eine räumliche Beschränkung des\nAufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers angeordnet\nwerden, wenn der Ausländer wegen einer Straftat, mit Ausnahme solcher\nStraftaten, deren Tatbestand nur von Ausländern verwirklicht werden kann,\nrechtskräftig verurteilt worden ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der\nAntragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig und wurde vom Amtsgericht C.\nmit Urteil vom 15. August 2017 unter dem Aktenzeichen D. wegen\nKörperverletzung und Bedrohung zu einer Geldstrafe in Höhe von 45 Tagessätzen\nzu je 10 € verurteilt. Bei den abgeurteilten Straftaten handelt es sich auch\num Straftaten, deren Tatbestände nicht nur von Ausländern verwirklicht werden\nkönnen.\n\n8\n\n \n\nDer Bescheid ist auch nicht ermessensfehlerhaft, insbesondere nicht\nunverhältnismäßig. Zwar wird weder eine geringfügige noch eine schon Jahre\nzurückliegende Verurteilung die Anordnung einer räumlichen Beschränkung des\nAufenthalts rechtfertigen können (vgl. Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt,\nAusländerrecht, 12. Auflage, § 61 Rn. 8). Im Falle des Antragstellers stellt\nsich die Anordnung aber als verhältnismäßig dar, denn der Antragsteller wurde\nbereits wegen mehrerer geringfügiger Straftaten verurteilt, die nicht schon\nJahre zurückliegen. Nach dem aktuellen BZR-Auszug wurde der Antragsteller wie\nfolgt verurteilt:\n\n9\n\n \n\n1\\. mit Urteil des Amtsgerichts C. vom 15. August 2017 wegen Körperverletzung\nund Bedrohung zu einer Geldstrafe in Höhe von 45 Tagessätzen zu je 10 €,\n\n10\n\n \n\n2\\. mit Urteil des Amtsgerichts E. vom 5. Dezember 2017 wegen Diebstahls\ngeringwertiger Sachen zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 15\n€,\n\n11\n\n \n\n3\\. mit Urteil des Amtsgerichts F. vom 28. Februar 2018 wegen Erschleichens\nvon Leistungen in fünf Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen\nzu je 10 €.\n\n12\n\n \n\nDarüber hinaus sind wegen Art. 6 Abs. 1 GG zwar grundsätzlich auch familiäre\nBelange in die Ermessensentscheidung einzustellen. Der Antragsteller hat\njedoch nicht nachgewiesen, dass er Vater eines deutschen Kindes wird. Dafür\nreicht es nämlich nicht aus, einen Mutterpass nebst eidesstattlicher\nVersicherung vorzulegen. Erforderlich ist vielmehr zumindest die Vorlage einer\nVaterschaftsanerkennung beim Jugendamt. Dem Antragsteller war ausweislich des\nanwaltlichen Schriftsatzes vom 23. Oktober 2018 auch bereits seit Oktober\nbekannt, angeblich Vater eines deutschen Kindes zu werden. Es stand ihm somit\nausreichend Zeit zur Verfügung, die Vaterschaft anzuerkennen.\n\n13\n\n \n\nDer Anordnung des Antragsgegners mangelt es jedoch am besonderen\nVollzugsinteresse. Gemeint ist damit ein besonderes öffentliches Interesse,\ndas über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst\nrechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers aus Art. 19 Abs. 4 GG ist\ndabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die\nihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung\nUnabänderliches bewirkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Mai 2007 - 2 BvR\n2483.06 -, juris Rn. 31). Dem Antragsgegner war spätestens seit dem 15. März\n2018 bekannt, dass sich der Antragsteller dauerhaft bei seiner Freundin in\nA-Stadt aufhält. Trotzdem sah er keine Notwendigkeit, den Antragsteller\naufzufordern, sich räumlich im Bereich des Landkreises Hildesheim oder in\nseiner Unterkunft aufzuhalten. Es wurde lediglich der Freundin des\nAntragstellers am 20. Juli 2018 telefonisch mitgeteilt, dass der Antragsteller\neiner Wohnsitzauflage unterliege. Erst als der Antragsteller die Änderung der\nWohnsitzauflage auf A-Stadt beantragte, wurde der Antragsgegner tätig und\nordnete die räumliche Beschränkung des Aufenthalts des Antragstellers an.\nGründe, weshalb nunmehr nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache\nabgewartet werden kann und mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der\nRechtsschutzanspruch des Antragstellers erheblich verkürzt wird, sind für das\nGericht nicht ersichtlich. Insbesondere trägt die Begründung des Antraggegners\ndie Anordnung nicht. Allein die Tatsache, dass die Ausreisepflicht aufgrund\nmangelnder Mitwirkung nicht durchgesetzt werden konnte, ergibt keinen Grund,\nweshalb nunmehr eine räumliche Beschränkung des Aufenthaltes dringend\ndurchgesetzt werden muss. Der Antragsteller ist zudem seit dem 23. August 2017\nstrafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten.\n\n14\n\n \n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des\nStreitwertes aus § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Teil II Nr. 1.5 des\nStreitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (www.bverwg.de). Der\ndanach anzunehmende Auffangwert (5.000 Euro) ist im Hinblick auf die\nVorläufigkeit des vorliegenden Rechtsschutzverfahrens auf die Hälfte zu\nreduzieren (= 2.500 Euro).\n\n15\n\n \n\nDer Antrag auf Prozesskostenhilfe ist nicht begründet. Prozesskostenhilfe\nerhält gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein\nBeteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen\ndie Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen\nkann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg\nbietet und nicht mutwillig erscheint. Trotz Ankündigung hat der Antragsteller\ndie Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst\nEinkommensnachweis nicht nachgereicht.\n\n \n\n* * *\n\n![Abkürzung Fundstelle](/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-\ninfo.gif)Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können\nSie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in\nIhre Favoriten als Lesezeichen einfügen.\', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true,\nABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und\nverwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten: \nhttp://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid;=JURE190007294&psml;=bsndprod.psml&max;=true\n\n
320,020
ovgsn-2019-05-03-3-m-4519
982
Sächsisches Oberverwaltungsgericht
ovgsn
Sachsen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
3 M 45/19
2019-05-03
2019-06-14 10:01:08
2020-12-10 13:24:03
Beschluss
#### Gründe\n\n \n\n1\n\n \n\nDer Beschluss des Senats vom 3. April 2019 war gemäß §§ 118, 122 Abs. 1 VwGO\nhinsichtlich des Tenors und der Gründe zu berichtigen. Der Tenor des\nBeschlusses war offenbar unrichtig, weil dort auf einen Beschluss des\nVerwaltungsgerichts Halle Bezug genommen wurde, obwohl es sich bei der mit der\nBeschwerde angegriffenen Entscheidung um einen Beschluss des\nVerwaltungsgerichts Magdeburg gehandelt hat.\n\n2\n\n \n\nDer Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).\n\n \n\n \n\n
320,111
lsgbw-2019-05-16-l-7-so-479716
128
Landessozialgericht Baden-Württemberg
lsgbw
Baden-Württemberg
Sozialgerichtsbarkeit
L 7 SO 4797/16
2019-05-16
2019-06-15 10:02:03
2020-12-10 13:24:17
Urteil
## Tenor\n\n> > Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen\n> vom 23. November 2016 wird zurückgewiesen.\n\n> > Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider\n> Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.\n\n## Tatbestand\n\n| 1 \n--- \n| Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte zur Erbringung von\nEingliederungshilfeleistungen im Arbeitsbereich der Z. Werkstatt in B., einer\nanerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (i.F.: WfbM) der Beigeladenen,\nverpflichtet ist. \n--- \n| 2 \n--- \n| Die am 31. Dezember 1963 geborene alleinstehende Klägerin war zuletzt von\n1986 bis 2006 als Bürogehilfin in einem Textilhandelsunternehmen in Vollzeit\nbeschäftigt. Sie ist infolge einer am 14. Dezember 2006 erlittenen\nHirnstammblutung im Brückenbereich (Pons) schwer behindert; es bestehen u.a.\neine teilweise Lähmung aller vier Extremitäten (ataktische, leicht\nlinksbetonte Tetraparese), sodass die Klägerin zur Fortbewegung auf einen\nRollstuhl angewiesen ist, eine Sprachbehinderung (Dysarthrophonie) und\nSchluckstörung (Dysphagie). Bei der Klägerin ist seit April 2012 eine\nSchwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie den\nNachteilsausgleichen „B“, „G“, „aG“ und „H“ festgestellt. Ab Juni 2007 war sie\nin der sozialen Pflegeversicherung der damals gültigen Pflegestufe II und ist\nseit Januar 2017 dem Pflegegrad 3 zugeordnet. Für die Klägerin ist eine\ngesetzliche Betreuung eingerichtet, wobei anfänglich der Bruder der Klägerin\nihr Betreuer war; seit Oktober 2012 ist gesetzlicher Betreuer der\nBerufsbetreuer H. R. (Aufgabenkreis: vermögensrechtliche Angelegenheiten\neinschließlich der Geltendmachung von Renten-, Unterhalts- und\nSozialhilfeansprüchen und sonstiger Versorgungsangelegenheiten). Seit August\n2007 bezieht die Klägerin aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente\nwegen voller Erwerbsminderung. Darüber hinaus zahlt ihr die Beigeladene ein\nWerkstattentgelt. \n--- \n| 3 \n--- \n| Nach ihrer Erkrankung zog die Klägerin, die bis dahin allein in einer\nWohnung in H. gewohnt hatte, zu ihrem Vater und Bruder in das gemeinsame\nHausanwesen in H.-B. I.. Nachdem der Vater im Januar 2011 verstorben und die\nhäusliche Pflege auch durch den Bruder wegen dessen gesundheitlicher\nVerfassung nicht mehr möglich war, wurde die Klägerin am 17. September 2012\nvollstationär in das in H. gelegene Altenpflegeheim S. J. der Stiftung S. E.\naufgenommen. Der Beklagte gewährt der Klägerin seitdem Hilfe zur Pflege in\neiner stationären Einrichtung in Form der Unterbringungskosten im\nAltenpflegeheim, wobei die Kostenübernahme wegen eines hälftigen\nMiterbenanteils der Klägerin an dem vorgenannten Hausgrundstück in B. I.\n(Verkehrswert laut Gutachten vom 13. August 2014 4.000,00 Euro) zunächst\ndarlehensweise erfolgte (vgl. Bescheid vom 8. Juli 2013), jedoch rückwirkend\nin einen Zuschuss umgewandelt wurde (vgl. Aktenvermerk des Beklagten vom 10.\nOktober 2016), nachdem sich im Rahmen der von der kreditgebenden Bank\nbetriebenen Zwangsversteigerung des Grundstücks am 17. August 2016 ein\nErlösüberschuss zugunsten der Miterben nicht ergeben hatte. Bereits am 7. Juli\n2016 war das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin wegen\nZahlungsunfähigkeit eröffnet worden. \n--- \n| 4 \n--- \n| Am 13. Februar 2013 wurde die Klägerin in das Eingangsverfahren, ab 13. Mai\n2013 in den Berufsbildungsbereich (bis 12. Mai 2014 Grundkurs, ab 13. Mai 2014\n2. Jahr) der WfbM der Beigeladenen teilstationär aufgenommen, wobei\nKostenträger jeweils die Deutsche Rentenversicherung Bund war. Seit 13. Mai\n2015 ist die Klägerin dort im Arbeitsbereich beschäftigt. Zwischen dem\nBeklagten und der Beigeladenen bestehen Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 des\nZwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) u.a. betreffend den Leistungstyp\nI.4.4 „Tagesstrukturierende Angebote für Menschen mit Behinderung im\nArbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen“. Die Zielgruppe und\nder Hilfebedarf dieses Leistungsangebots ist ausweislich des in den\nVereinbarungen in Bezug genommenen Rahmenvertrags nach § 79 Abs. 1 SGB XII vom\n15. Dezember 1998 (in der aktualisierten Fassung vom 22. November 2012) in der\nAnlage 1 folgendermaßen beschrieben: „Erwachsene Menschen mit wesentlichen\ngeistigen, körperlichen und/oder seelischen Behinderungen - im Sinne von § 53\nSGB XII und der Eingliederungshilfeverordnung, die wegen Art und/oder Schwere\nder Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen\nArbeitsmarkt beschäftigt werden können und ein Mindestmaß an wirtschaftlich\nverwertbarer Arbeitsleistung erreichen; mit unterschiedlichem Hilfebedarf;\nMenschen mit oder ohne zusätzlichen stationären Hilfebedarf“. Die\nVereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII sahen - neben einem Investitionsbetrag\nin Höhe von 5,23 Euro - ab 1. März 2015 eine Grundpauschale von 8,08 Euro und\neine Maßnahmepauschale von 22,89 Euro, ab 1. März 2016 eine Grundpauschale von\n8,28 Euro und eine Maßnahmepauschale von 23,45 Euro, ab 1. Februar 2017 eine\nGrundpauschale von 8,46 Euro und eine Maßnahmepauschale von 23,96 Euro, ab 1.\nMärz 2018 eine Grundpauschale von 8,71 Euro und eine Maßnahmepauschale von\n24,66 Euro sowie ab 1. April 2019 eine Grundpauschale von 8,96 Euro und eine\nMaßnahmepauschale von 25,96 Euro vor. \n--- \n| 5 \n--- \n| Die Klägerin schloss mit der Beigeladenen am 5. März 2013 mit Wirkung vom\n13. Februar 2013 einen schriftlichen Werkstatt-Vertrag. Darin heißt es in § 2\n(Grundlagen des Vertrages) u.a.: „(1.) Voraussetzung für die Beschäftigung ist\ndie Übernahme der Kosten durch einen Kostenträger (Landeswohlfahrtsverband,\nSozialamt, Landesarbeitsamt, Bundesamt für Arbeit, Landesversicherungsanstalt\no.a.) oder den/die Beschäftigte/-n (sogenannte Selbstzahler). (2.) Soweit die\nKostenträger die Kostenzusage zurückziehen (Vermögensüberschreitung u.a.),\nübernimmt der/die Beschäftigte diese Pflegesatzkosten, die sich aus einem für\ndie WfbM über Pflegesatzverhandlungen allgemein festgelegten Tagespflegesatz\nergeben (30/31 Tage = Monat) oder bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses“.\n§§ 3 ff. des Werkstattvertrags enthalten weitere Regelungen zum\nRechtsverhältnis, darunter zur Entlohnung (§ 4 a.a.O.). \n--- \n| 6 \n--- \n| Im Februar 2013 informierte der Betreuer der Klägerin den Beklagten darüber,\ndass deren Beschäftigung in der WfbM der Beigeladenen von der\nRentenversicherung „genehmigt“ worden sei. Die entsprechenden Beschlüsse des\nFachausschusses von Februar 2013 und April 2014 zur Aufnahme der Klägerin in\ndas Eingangsverfahren und in den Berufsbildungsbereich nahm der Beklagte im\nFachausschussverfahren zur Kenntnis, ohne ihnen zuzustimmen. Der vom Beklagten\nwährend des Verfahrens auf Bewilligung von Hilfe zur Pflege im Juni 2013\neingeschaltete Medizinisch-Pädagogische Dienst (MPD) des Kommunalverbandes für\nJugend und Soziales (KVJS) hielt in seiner Stellungnahme vom 24. Juli 2013\neine vollstationäre Eingliederungshilfe für erforderlich und empfahl zugleich\ndie Eingliederung in eine WfbM für körperlich behinderte Menschen. Im Januar\n2013 nahm die Klägerin für eine Woche am Probewohnen in einem Wohnhaus der KBF\nin B. teil; ein dauerhaftes Wohnen kam dort mangels seinerzeit gegebener\nAufnahmekapazitäten jedoch nicht zustande. Ein für den Juni 2013 geplantes\nProbewohnen in den Wohneinrichtungen der Beigeladenen in B. führte die\nKlägerin nicht mehr durch. In einem Ferngespräch mit dem Betreuer der Klägerin\nam 16. Oktober 2013 wurde das Probewohnen thematisiert, wobei der Beklagte\naber zugleich zum Ausdruck brachte, dass auch die Kosten im Altenpflegeheim\nweiterfinanziert werden könnten (vgl. Aktenvermerk vom selben Tage). Den im\nMai 2013 gestellten Antrag auf Eingliederungshilfe in einer vollstationären\nEinrichtung nahm der Betreuer darauf am 25. Oktober 2013 zurück. \n--- \n| 7 \n--- \n| Am 5. März 2015 ging beim Beklagten der Eingliederungsplan der Beigeladenen\nfür das 2. Jahr des Berufsbildungsbereichs ein, welchem ein Antrag der\nKlägerin auf Aufnahme in den Arbeitsbereich der WfbM der Beigeladenen ab dem\n13. Mai 2015 beigefügt war. Mit Blick auf die Aufnahme in den Arbeitsbereich\nbaten die Beigeladene am 21. Mai 2015 und der Betreuer der Klägerin am 22.\nJuni 2015 beim Beklagten um eine Kostenzusage. Zur Begründung trug die\nKlägerin vor, sie habe sich im Pflegeheim gut eingelebt und dort ihren\nLebensmittelpunkt gefunden; sie wünsche zugleich den Besuch des\nArbeitsbereichs der WfbM in B., in welche sie sich integriert habe. Die\nBeschäftigung in der WfbM trage ganz wesentlich dazu bei, ihr Leben trotz\nihrer Einschränkungen so normal wie möglich zu gestalten. Diesen Antrag lehnte\nder Beklagte durch Bescheid vom 19. August 2015 mit der Begründung ab, die\nWfbM der Beigeladenen sei nicht Bestandteil der vollstationären\nPflegeeinrichtung, für die er der Klägerin Leistungen der Hilfe zur Pflege\nnach dem Siebten Kapitel des SGB XII gewähre, sondern rechtlich und\norganisatorisch selbständig. Sofern ein tagesstrukturierender Betreuungsbedarf\nbestehe, sei dieser vom Altenpflegeheim in H. zu erbringen. In den\nPflegesätzen sei bereits ein Anteil für tagesstrukturierende Maßnahmen, wie\nsie in einem Pflegeheim üblich seien, enthalten. Unabhängig davon handele es\nsich bei dieser WfbM um eine solche für geistig behinderte Menschen, während\ndie Klägerin körperbehindert sei. Mit ihrem Widerspruch verwies die Klägerin\nauf das Wunsch- und Wahlrecht und machte geltend, sie habe ihren\nLebensmittelpunkt seit vielen Jahren in H.; sie sei dort in das Gemeindeleben\nintegriert, sei früher beispielsweise aktives Mitglied im Musikverein gewesen\nund erhalte weiterhin regelmäßig Besuche von Freunden und Bekannten. Durch die\nTrennung von Arbeit in der WfbM, in die sie sich gut integriert habe, und\nWohnen in dem Altenpflegeheim werde sie in ihrer Leistungsfähigkeit und in\nihrer Persönlichkeit individuell gefördert. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.\nApril 2016 wies der Beklagte den Widerspruch zurück; die Klägerin nehme auf\neigenen Wunsch die Leistungen des Altenpflegeheims in Anspruch, sodass ihr\nBedarf an Tagesstruktur vollumfänglich gedeckt sei. Die gleichzeitige\nÜbernahme der Kosten für den Besuch des Arbeitsbereichs der WfbM im Wege der\nEingliederungshilfe sei daher nicht möglich. Handlungsalternativen, die ein\nWunsch- und Wahlrecht auslösen könnten, lägen nicht vor; dem Wunsch, in einer\nPflegeeinrichtung zu wohnen und gleichzeitig im Arbeitsbereich einer WfbM zu\narbeiten, könne nicht nachgekommen werden. \n--- \n| 8 \n--- \n| Deswegen hat die Klägerin am 29. April 2016 Klage zum Sozialgericht\nReutlingen (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgebracht, sie leide an\neiner wesentlichen Behinderung und wolle am Arbeitsleben und am\ngesellschaftlichen Leben teilhaben. Sie habe die von der Rentenversicherung\nfinanzierte berufsfördernde Maßnahme in der WfbM in B. absolviert, sich nun in\nden Arbeitsbereich gut integriert und fühle sich in dem Umfeld sehr wohl. Der\nBeklagte sei von Beginn der Maßnahme am 13. Februar 2013 über die Tätigkeit\ninformiert gewesen. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat auf\nAnforderung des SG einen Kostenvergleich zum Gesamtaufwand bei verschiedenen\nWohnalternativen vorgelegt (vgl. Bl. 16/17 der SG-Akte). Das SG hat noch von\nder AOK - Pflegekasse - dort vorhandene Aktenunterlagen beigezogen. \n--- \n| 9 \n--- \n| Mit Urteil vom 23. November 2016 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung\ndes Bescheids vom 19. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom\n4. April 2016 verurteilt, „der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe im\nArbeitsbereich der WfbM der ZAW gGmbH in B. in gesetzlichem Umfang zu\ngewähren“. In den Entscheidungsgründen hat das SG im Wesentlichen ausgeführt,\nder Klägerin stehe ein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Förderung\nihrer Beschäftigung im Arbeitsbereich der WfbM zu. Rechtsgrundlage der\nEntscheidung seien die §§ 53, 54 SGB XII i.V.m. den Regelungen der\nEingliederungshilfeverordnung (EinglHV) sowie § 41 des Neunten Buches\nSozialgesetzbuch (SGB IX). Zu beachten dabei sei außerdem nach § 9 Abs. 1 SGB\nIX und § 33 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) ein Wunsch- und\nWahlrecht des Leistungsberechtigten. Die Klägerin, die wesentlich behindert\nsei, erfülle die Grundvoraussetzungen für die Förderung ihrer Beschäftigung in\nder WfbM; sie könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht eingegliedert\nwerden, sei aber in der Lage, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer\nArbeitsleistung zu erbringen. Die gegenwärtig durchgeführte Pflege der\nKlägerin in einer stationären Pflegeeinrichtung schließe entgegen der\nAuffassung des Beklagten einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der\nFörderung der Beschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM nicht generell aus.\nZwar weise der Beklagte zutreffend darauf hin, dass sowohl stationäre\nPflegeeinrichtungen als auch die WfbM tagesstrukturierende Angebote\nvorhielten. Umfang und Qualität dieser Angebote unterschieden sich jedoch\nwesentlich. Bei einer stationären Pflegeeinrichtung gehe es hinsichtlich der\nTagesstruktur gemäß § 82 Abs. 1 Satz 3 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB\nXI) lediglich um eine allgemeine soziale Betreuung. Zielrichtung der\nBeschäftigung in einer WfbM sei dagegen die über eine allgemeine soziale\nBetreuung hinausgehende Gewährleistung einer angemessenen Teilhabe am\nArbeitsleben (§ 33 Abs. 1 SGB IX). Eine Deckungsgleichheit mit einem\nzwingenden gegenseitigen Leistungsausschluss auf Grund von ansonsten\nanfallenden Doppelleistungen liege somit nicht vor. Zu berücksichtigen sei\ndabei auch, dass den gesetzlichen Regelungen zur Beschäftigung in einer WfbM\ndie gesetzgeberische Intention zugrunde liege, den behinderten Menschen neben\nihrem Wohnumfeld in räumlicher Hinsicht einen „zweiten Lebensraum“ zu eröffnen\nund ihnen die Möglichkeit zu geben, wie nicht behinderte Menschen eine\nTrennung von Wohn- und Arbeitsstätte erleben zu können. Personen, die wie die\nKlägerin in verhältnismäßig jungem Alter unter atypischen Umständen in einer\ngewöhnlichen Pflegeeinrichtung für ältere Menschen gepflegt würden, seien\ndemnach nicht von vornherein von zusätzlichen Leistungen zur Teilhabe am\nArbeitsleben ausgeschlossen. Die Kammer verkenne nicht, dass die Klägerin nach\ndem Schlaganfall im Jahr 2006 im Wesentlichen unter einer erheblichen\nkörperlichen Behinderung leide; in der Gesamtschau sei jedoch auch ihre\npsychische Befindlichkeit zu berücksichtigen. Die zu Tage getretenen Grenzen\nder psychischen Belastbarkeit der Klägerin machten die Auswahl der WfbM,\nwelche zudem nicht nur auf die Beschäftigung ausschließlich geistig\nbehinderter Menschen, sondern auch auf die Beschäftigung mehrfach behinderter\nMenschen ausgerichtet sei, nicht zwingend, aber dennoch sachgerecht. Es\nbestünden Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bei der Aufnahme in eine WfbM\nfür rein körperlich behinderte Menschen nicht mit demselben Erfolg von den\nTeilhabeleistungen profitieren würde. Der vom Beklagten vorgelegte\nKostenvergleich spreche derzeit nicht für eine Beendigung der gewählten Wohn-\nund Arbeitsform. Für den Beklagten erweise sich die gegenwärtige Konstellation\nim Vergleich zu der Aufnahme in eine Einrichtung der Behindertenhilfe nach §\n43a SGB XI oder der Unterbringung in einer binnendifferenzierten Einrichtung\nsogar um ca. 400 bis 600 Euro günstiger. Die von der Klägerin aktuell\ngewählten Wohn- und Arbeitsstätten seien jedenfalls derzeit und erst recht für\ndie vorherige Zeit ab Mai 2015 zu akzeptieren. Die Kammer gehe mangels sich\naktuell anbietender anderer Möglichkeiten auf der Rechtsfolgenseite von einer\nErmessensreduzierung auf Null aus, wobei sich die Lebenssituation der\nKlägerin, z.B. im Hinblick auf ihr soziales Umfeld, zukünftig durchaus auch\nändern könne. Dem Beklagten stehe es frei, der Klägerin nochmals alternative\nWohn- und Arbeitsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Kammer halte es auch für gut\nmöglich, dass die Klägerin nach einem weiteren Probewohnen in einer anderen\nEinrichtung vielleicht sogar von sich aus den Wunsch äußern werde, das\nPflegeheim, in dem sie als atypische Bewohnerin lebe, zu verlassen. \n--- \n| 10 \n--- \n| Gegen dieses dem Beklagten am 9. Dezember 2016 zugestellte Urteil richtet\nsich seine am 24. Dezember 2016 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-\nWürttemberg eingelegte Berufung. Zur Begründung hat er vorgebracht, es sei\nzwar zutreffend, dass sich die tagesstrukturierenden Angebote in einer\nPflegeeinrichtung und einer WfbM unterschieden. Dies führe jedoch nicht dazu,\ndass damit keine Doppelleistung anfalle. Die Klägerin lebe vorwiegend auf\neigenen Wunsch im Altenpflegeheim und nehme insoweit Leistungen der\nvollstationären Pflege in Anspruch. Sie erhalte dementsprechend bereits eine\nvollumfängliche Betreuung und Pflege, welche durch entsprechende Pflegesätze\nabgedeckt seien. Bei diesen Pflegesätzen handele es sich um\nEinheitspflegesätze ohne Trennung in Wohnen und Tagesstruktur; dementsprechend\nsei eine Kürzung der Pflegesätze um einen Betrag für eine etwaig nicht in\nAnspruch genommene Tagesstruktur nicht möglich. Das könne auch nicht dadurch\ngerechtfertigt werden, dass sich die von der Klägerin gewählte Konstellation\naugenscheinlich als günstiger erweise als die Aufnahme in eine Einrichtung der\nBehindertenhilfe nach § 43a SGB XI oder in eine binnendifferenzierte\nEinrichtung. Hierbei sei zu beachten, dass die Unterbringung der Klägerin im\nAltenpflegeheim nur deswegen günstiger erscheine, weil hierbei die Leistungen\nder Pflegeversicherung wesentlich höher seien als in einer\nBehinderteneinrichtung. Die von der Klägerin gewünschte Konstellation würde\ndazu führen, dass das Kreissozialamt mit Mehrkosten belastet werde und darüber\nhinaus die Pflegekasse mit den wesentlich höheren Leistungen der\nvollstationären Pflege belastet bleibe, obwohl die Klägerin das von diesen\nLeistungen umfasste tagesstrukturierende Angebot überhaupt nicht in Anspruch\nnehmen wolle. Die beiden in Anspruch genommenen Leistungen seien nicht\nkompatibel. In dem Ferngespräch vom 16. Oktober 2013 sei dem Betreuer der\nKlägerin deutlich gemacht worden, dass ein Wohnen in einem Altenheim mit\nLeistungen der Eingliederungshilfe nicht zu kombinieren sei. Er - der Beklagte\n- halte die WfbM der Beigeladenen im Übrigen nicht für die richtige\nEinrichtung, weil die Klägerin wesentlich körperlich behindert, nicht jedoch\ngeistig behindert sei. \n--- \n| 11 \n--- \n| Der Beklagte beantragt, \n--- \n \n> > | 12 \n--- \n| das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. November 2016 aufzuheben\nund die Klage abzuweisen. \n--- \n| 13 \n--- \n| Die Klägerin beantragt, \n--- \n \n> > | 14 \n--- \n| die Berufung zurückzuweisen. \n--- \n| 15 \n--- \n| Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie habe, neben den\nsozialen Kontakten am Wohnort, in der Zwischenzeit gute soziale Kontakte zum\nPersonal und den Mitbewohnern im Altenpflegeheim sowie außerdem zu den\nKollegen in der Werkstatt. Lediglich in der Anfangsphase der Beschäftigung in\nder WfbM habe allgemeine Übereinstimmung bestanden, dass sie für ein Altenheim\nzu jung sei. Seit Februar 2013 habe es eine Weiterentwicklung und Festigung\ngegeben; sie lebe seit 2012 in dem Altenpflegeheim. Die von dem Beklagten im\nFerngespräch vom 16. Oktober 2013 genannten stationären Einrichtungen der\nEingliederungshilfe lägen dagegen außerhalb des Z.. Ihr Hilfebedarf sei im\nÜbrigen umfassend und bedürfe vielfältiger Unterstützung, die nur in einer\nstationären Einrichtung erbracht werden könne; wegen drohender Aspiration sei\nsie auf sofortige Hilfe angewiesen. Sie berufe sich auf die UN-\nBehindertenrechtskonvention im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts auf Wohnen\nund Arbeit. \n--- \n| 16 \n--- \n| Die Beigeladene (Beiladungsbeschluss vom 19. September 2017) hat keinen\nAntrag gestellt. \n--- \n| 17 \n--- \n| Sie hat vorgebracht, bei ihrer WfbM handele es sich nicht um eine Werkstatt\nfür ausschließlich geistig behinderte Menschen; es würden je nach Einzelfall\nauch Menschen mit weiteren Beeinträchtigungen betreut. In der\nEingliederungsplanung über einen Zeitraum von insgesamt 27 Monaten sei\nfestgestellt worden, dass die Klägerin eindeutig zum Arbeitsbereich ihrer WfbM\npasse, was auch im Eingliederungsplan vom 2. März 2015 dargestellt worden sei.\nIm Arbeitsbereich könne die Klägerin sowohl im Bereich ihrer\nLeistungsfähigkeit als auch in ihrer Persönlichkeit weiter gefördert werden.\nSie führe in ihrer Arbeitsgruppe mittelschwere mehrgliedrige Montagearbeiten\nsowie Verpackungs- und Sortierarbeiten durch. Ihr Arbeitstempo sei langsam bis\ndurchschnittlich, aber konstant. Die Qualität sei bei einfacheren Arbeiten\nmeist gut; bei komplexeren Tätigkeiten könne es zu Einbrüchen kommen. Die\nAuffassungsgabe und das Konzentrationsvermögen seien gut, bei Leistungsdruck\noder sonstiger Überforderung könne es allerdings zu psychischen Einbrüchen bis\nhin zu Atemnotanfällen kommen. Ziele in der Arbeit mit der Klägerin lägen in\nder Verbesserung ihrer Flexibilität. Ein weiterer Schwerpunkt liege in der\nErhöhung der psychischen Belastbarkeit, wobei durch entsprechende Maßnahmen\ndie Häufigkeit der Atemnotanfälle bereits habe reduziert werden können. Zur\nFörderung ihrer Arbeit nehme sie außerdem an arbeitsbegleitenden Maßnahmen\n(z.B. „Kochen“) teil. Da die Klägerin in der Kommunikation deutlich\neingeschränkt sei, erhalte sie in der WfbM außerdem Logopädie. Die Klägerin\nerhalte einen Werkstattlohn, der über dem Grundlohn einer WfbM liege. Die\nBeigeladene hat die im Zeitraum vom 13. Mai 2015 bis 31. Mai 2019 entstandenen\nKosten auf insgesamt 74.062,45 Euro beziffert und insoweit u.a. die für diesen\nZeitraum erstellten Rechnungen vorgelegt. \n--- \n| 18 \n--- \n| Der Senat hat von der AOK - Pflegekasse - erneut die dort vorhandenen\nUnterlagen beigezogen. Der Senat hat ferner vom Altenpflegeheim S. J. die\nAuskünfte vom 24. Januar und 14. Februar 2018 (Bl. 130/131, 140/141 LSG-Akte)\nerhoben. \n--- \n| 19 \n--- \n| Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf beigezogenen Akten, die\nVerwaltungsakten des Beklagten (7 Bde.), die Klageakte des SG sowie die\nBerufungsakte des Senats verwiesen. \n--- \n--- \n \n## Entscheidungsgründe\n\n| 20 \n--- \n| Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. \n--- \n| 21 \n--- \n| Die Berufung ist zulässig. Sie ist unter Beachtung der Form- und\nFristvorschriften des § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt\nworden sowie statthaft (§ 143 SGG); die Berufungsausschlussgründe des § 144\nAbs. 1 Sätze 1 und 2 SGG greifen nicht ein. Die Berufung ist jedoch nicht\nbegründet. \n--- \n| 22 \n--- \n| 1\\. a) Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 19. August 2015 in der\nGestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2016, mit dem der Beklagte\nLeistungen für den Besuch des Arbeitsbereichs der WfbM der Beigeladenen für\ndie Zeit ab 13. Mai 2015 abgelehnt hat. Allein über diese unter den\nBeteiligten umstrittene teilstationäre Eingliederungshilfe ist mithin\nvorliegend zu entscheiden. Nicht streitbefangen sind dagegen Leistungen der\nHilfe zur Pflege in der stationären Pflegeeinrichtung S. J., welche der\nBeklagte der Klägerin durch Bescheid vom 8. Juli 2013 rückwirkend zum 17.\nSeptember 2012 (Eintritt in die Einrichtung) bewilligt hat und - nach\nvermögensrechtlicher Prüfung - ab diesem Zeitpunkt auch zuschussweise zahlt. \n--- \n| 23 \n--- \n| b) Das SG hat unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide eine\nVerurteilung des Beklagten ausgesprochen, „der Klägerin Leistungen der\nEingliederungshilfe im Arbeitsbereich der WfbM der ZAW gGmbH in B. in\ngesetzlichem Umfang zu gewähren“. Insoweit hat das SG ein Grundurteil erlassen\n(§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG); das erachtet der Senat für zulässig. Der Senat hat\nim Urteil vom 13. September 2018 - L 7 SO 3470/15 - ) für den Besuch einer\nWfbM einen unmittelbaren Rechtsanspruch der WfbM auf die Vergütung bejaht\n(vgl. neuerdings auch Bundessozialgericht , Urteil vom 5. Juli 2018 - B 8 SO\n28/16 R - , welches dort von einem „Vergütungsanspruch“ der WfbM spricht;\nferner § 123 Abs. 6 SGB IX in der Fassung durch das Bundesteilhabegesetz -\nBTHG - vom 23. Dezember 2016 ). Infolgedessen ist das Modell des\nsozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses mit dem Kriterium der\nKostenübernahme im Wege des Schuldbeitritts (vgl. hierzu grundlegend BSGE 102,\n1 = SozR 4-1500 § 75 Nr. 9 ) auf die Leistungen des Eingliederungshilfeträgers\nfür den Besuch einer WfbM nicht übertragbar. Zutreffendes Klageziel ist\ndemnach vorliegend die Förderung des Besuchs des Arbeitsbereichs der WfbM der\nBeigeladenen seit 13. Mai 2015 durch den Beklagten im Rahmen der\nEingliederungshilfe, welches die Klägerin zulässigerweise mittels der\nkombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dem Grunde nach verfolgt (vgl.\nhierzu BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 ; BSGE 76, 178, 181 = SozR 3-4100 § 58 Nr.\n7; Bayer. LSG, Urteil vom 23. Mai 2012 - L 10 AL 8/11 - ). \n--- \n| 24 \n--- \n| c) Der beklagte Landkreis ist richtiger Gegner des Verfahrens. Denn er ist\nder für die Leistungen der Eingliederungshilfe an die Klägerin sachlich\nzuständige Träger (§ 97 Abs. 1 und 3 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII,\n§ 1 Abs. 1, § 2 des Gesetzes zur Ausführung des SGB XII in der Fassung des\nArt. 122 des Verwaltungsstruktur-Reformgesetzes - VRG - vom 1. Juli 2004 , §\n42 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX mit nachfolgenden Änderungen , § 63 Abs. 2 Nr. 5 SGB\nIX ). Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten für die Eingliederungshilfe in\nder WfbM ist ebenfalls gegeben; diese richtet sich nach § 97 Abs. 4 SGB XII\n(vgl. zur erweiternden Anwendung dieser Vorschrift BSG, Urteil vom 6. Dezember\n2018 - B 8 SO 9/18 R - ), wobei hier sowohl der Maßnahmeort als auch der\nfrühere Wohnort der Klägerin vor der Aufnahme in das Altenpflegeheim und\nebenso auch dieses im Landkreis des Beklagten liegen. \n--- \n| 25 \n--- \n| 2\\. Rechtsgrundlagen des geltend gemachten Anspruchs sind § 19 Abs. 3 i.V.m.\n§§ 53, 54 SGB XII, §§ 41 Abs. 1 SGB IX a.F. bzw. § 58 Abs. 1 SGB IX n.F. Nach\n§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben Personen, die durch eine Behinderung im Sinne\nvon § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der\nGesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen\nBehinderung bedroht sind, Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe,\nwenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art\noder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der\nEingliederungshilfe erfüllt werden kann. \n--- \n| 26 \n--- \n| a) Die Klägerin erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs.\n1 Satz 1 SGB XII. Sie ist infolge des im Dezember 2006 erlittenen\nSchlaganfalls in schwerem Maße körperlich beeinträchtigt; es bestehen u.a.\neine ataktische, leicht linksbetonte Tetraparese, sodass sie zur Fortbewegung\nganz wesentlich auf einen Rollstuhl angewiesen ist, ferner eine\nDysarthrophonie und Dysphagie. Die Klägerin ist deshalb in ihrer Fähigkeit, an\nder Gesellschaft teilzuhaben, wesentlich (§ 1 Nr. 1 EinglHV) eingeschränkt.\nDarüber bestehen unter den Beteiligten auch keine Meinungsverschiedenheiten. \n--- \n| 27 \n--- \n| b) Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören nach § 54 Abs. 1 SGB\nXII u.a. Leistungen für behinderte Menschen im Arbeitsbereich einer\nanerkannten WfbM. Leistungen in einer anerkannten WfbM werden erbracht, um die\nLeistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu\nentwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser\nMenschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu\nsichern (vgl. § 39 SGB IX a.F., § 56 SGB IX n.F.). In § 41 Abs. 1 SGB IX a.F.\n(§ 58 Abs. 1 SGB IX n.F.) ist bestimmt, dass behinderte Menschen Leistungen im\nArbeitsbereich einer anerkannten WfbM erhalten, bei denen eine Beschäftigung\nauf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht,\nnoch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommen und die in der Lage sind,\nwenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu\nerbringen, wobei (vgl. § 41 Abs. 2 SGB IX a.F. bzw. § 58 Abs. 2 SGB IX n.F.)\ndie Leistungen gerichtet sind auf die Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer\nder Eignung und Neigung des behinderten Menschen entsprechenden Beschäftigung,\ndie Teilnahme an arbeitsbegleitenden Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung\nder im Berufsbildungsbereich erworbenen Leistungsfähigkeit und zur\nWeiterentwicklung der Persönlichkeit sowie die Förderung des Übergangs\ngeeigneter behinderter Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch\ngeeignete Maßnahmen. Gemäß § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a.F. (§ 219 Abs. 2 Satz\n1 SGB IX n.F.) steht die Werkstatt allen behinderten Menschen im Sinne des\nAbsatzes 1 unabhängig von Art und Schwere der Behinderung offen, sofern\nerwartet werden kann, dass sie spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im\nBerufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer\nArbeitsleistung erbringen werden. Das Nähere über den Begriff und die Aufgaben\nsowie die fachlichen Anforderungen ist in der Werkstättenverordnung (WVO vom\n13. August 1980 mit nachfolgenden Änderungen; zum Arbeitsbereich vgl. § 8\nWVO) geregelt. \n--- \n| 28 \n--- \n| Ziel und Funktion einer WfbM ist es, Menschen mit schweren Behinderungen,\ndie vom Arbeitsleben weitgehend ausgeschlossen sind und wegen Art und Schwere\nihrer Behinderungen kaum die Möglichkeit haben, eine reguläre Beschäftigung\nauf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden, durch berufliche und\npersönlichkeitsbildende Förderung zu helfen, einen gleichberechtigten Platz in\nder Gesellschaft zu erlangen, und ihre individuelle Leistungsfähigkeit zu\nentwickeln, wiederzugewinnen oder so zu erhöhen, dass sie entweder in der\nWerkstatt ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung\nerbringen oder sogar ins Erwerbsleben eingegliedert werden können (vgl. BSGE\n102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 ). Die Leistungen im Arbeitsbereich sind\ndarüber hinaus, entsprechend dem ganzheitlichen Förderkonzept einer WfbM, auch\ndarauf gerichtet, die Persönlichkeit des behinderten Menschen\nweiterzuentwickeln (BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 unter Verweis auf\n§§ 39, 41 Abs. 2 Nr. 2, 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IX a.F. <§§ 56, 58 Abs. 2\nNr. 2, 219 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB IX n.F.>). So sind zur Erhaltung und\nErhöhung der (im Berufsbildungsbereich erworbenen) Leistungsfähigkeit und zur\nWeiterentwicklung der Persönlichkeit der behinderten Menschen\narbeitsbegleitend geeignete Maßnahmen durchzuführen (vgl. § 5 Abs. 3 WVO). Zu\nden arbeitsbegleitenden Maßnahmen, die der Weiterentwicklung der\nPersönlichkeit dienen, gehören z.B. auch Maßnahmen, die die Fähigkeiten in den\nBereichen Lesen, Schreiben, Rechnen, Mobilität und Orientierung, Kooperation\nund Kommunikation (mit anderen behinderten Menschen, Vorgesetzten und dem\nsonstigen sozialen Umfeld), eigenverantwortliche Lebensbewältigung und\nFestigung des Selbstwertgefühls in angemessenem Umfang erhalten, erhöhen oder\nentwickeln (BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 unter Verweis auf die\nWerkstattempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger\nder Sozialhilfe ). \n--- \n| 29 \n--- \n| c) Die Voraussetzungen für die von der Klägerin für den Besuch des\nArbeitsbereichs der WfbM der Beigeladenen begehrten Leistungen, die im Übrigen\nvom Vermögenseinsatz gänzlich freigestellt sind (§ 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7,\nAbs. 2 Satz 2 SGB XII) und für die ein Einkommenseinsatz nur unter den\nVoraussetzungen des § 92 Abs. 2 Satz 3 SGB XII in Betracht kommt (vgl. hierzu\nBSG SozR 4-3500 § 92 Nr. 3 ), liegen seit 13. Mai 2015 durchgehend vor. Die\nLeistungen im Arbeitsbereich der WfbM der Beigeladenen sind geeignet und\nerforderlich, der Klägerin eine angemessene Teilhabe am Arbeitsleben zu\nermöglichen und zu erleichtern und sie in ihrer Persönlichkeit\nweiterzuentwickeln. Auf Grund ihrer schweren körperlichen Behinderung gehört\ndie Klägerin zum Personenkreis des § 41 Abs. 1 SGB IX a.F. (§ 58 Abs. 1 SGB IX\nn.F.). Wegen Art und Schwere ihrer Behinderung kommt weder eine Beschäftigung\nauf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Berufsvorbereitung, eine\nindividuelle betriebliche Qualifizierung, eine berufliche Anpassung und\nWeiterbildung oder eine berufliche Ausbildung (vgl. § 33 Abs. 3 Nrn. 2 bis 4\nSGB IX a.F., § 49 Abs. 3 Nrn. 2 bis 5 SGB IX n.F.) in Betracht (vgl. ferner §\n136 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F., § 219 Abs. 1 Satz 2 SGB IX n.F.). Schon der MPD\ndes KVJS hatte in seiner Stellungnahme vom 24. Juli 2013 auf die deutlichen\nEinschränkungen in der Teilhabe auf Grund der schweren körperlichen\nBehinderung der Klägerin, die in allen Lebensbereichen pflegerische und\nbetreuerische Hilfen, gerade auch zur sozialen Integration benötige,\nhingewiesen und u.a. die Eingliederung in eine WfbM empfohlen. \n--- \n| 30 \n--- \n| d) Die Klägerin war ausweislich der Eingliederungspläne der Beigeladenen vom\n9. April 2013, 16. April 2014 und 2. März 2015 von Anbeginn an werkstattfähig,\nd.h. gemeinschaftsfähig und nicht außerordentlich pflegebedürftig (vgl. hierzu\nBSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 ; ferner § 136 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB IX a.F.; §\n219 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB IX n.F.). Sie war darüber hinaus jedenfalls nach\nBeendigung des 2. Jahres im Berufsbildungsbereich ab 13. Mai 2015 in der Lage,\nein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen und\nist es auch weiterhin (vgl. Entwicklungsbericht im Schriftsatz der\nBeigeladenen vom 14. Januar 2019). Ein solches Leistungsminimum ist gegeben,\nwenn der behinderte Mensch an der Herstellung der von der WfbM vertriebenen\nWaren und Dienstleistungen durch nützliche Arbeit beteiligt werden kann, ohne\ndass es auf ein wirtschaftliches Verhältnis von Personalaufwand und\nArbeitsergebnis im Sinne betriebswirtschaftlicher Erwägungen ankommt (BSGE 72,\n187, 192 f. = SozR 3-3870 § 54 Nr. 1; BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 ; BSGE 76,\n178, 183 = SozR 3-4100 § 58 Nr. 7). Ausweislich der Angaben der Beigeladenen\n(vgl. etwa Schriftsätze vom 17. Oktober 2017 und 14. Januar 2019) führt die\nKlägerin in ihrer Arbeitsgruppe mittelschwere mehrgliedrige Montagearbeiten\nsowie Verpackungs- und Sortierarbeiten durch. Es handelt sich dabei um\ndreiteilige Sortierarbeiten von Metallteilen gleicher Farbe, die nach ihrer\nForm unterschieden werde müssen, um zweifaches Falten von Montageanleitungen\nvon DIN A 5 nach DIN A 7, wobei auf die Anordnung der deutschsprachigen\nAnleitung auf der Vorderseite zu achten ist, um die Verpackung der\nbetreffenden Montageanleitung mit drei weiteren Komponenten in einen\nKunststoffbeutel, um fünfteilige feinmotorische Montagearbeiten (ELPA-\nKlemmenblock), wobei diese Arbeit von der Klägerin je nach Verfassung nicht\nden ganzen Tag ausgeführt werden kann, sowie um das Bestücken von Lagerbolzen\nmit Metallbolzen als eine einfachere zweigliedrige Montagearbeit. Das\nArbeitstempo der Klägerin ist den Angaben der Beigeladenen zufolge langsam bis\ndurchschnittlich, aber konstant. Die Qualität ist bei einfacheren Arbeiten\nmeist gut; bei komplexeren Tätigkeiten kann es allerdings zu Einbrüchen\nkommen. Die Klägerin verfügt ferner über ein gutes Auffassungs- und\nKonzentrationsvermögen; unter Leistungsdruck oder bei sonstiger Überforderung\nkann es freilich ebenfalls zu psychischen Einbrüchen bis hin zu\nAtemnotanfällen kommen. Als Ziele in der Arbeit mit der Klägerin hat die\nBeigeladene die Verbesserung von deren Flexibilität sowie die Erhöhung der\npsychischen Belastbarkeit genannt, wobei durch entsprechende Maßnahmen (z.B.\nAblenkung durch Gang an die frische Luft, situationsbedingte Gespräche mit\nReflexion und Erarbeitung gemeinsamer Lösungsstrategien) die Häufigkeit der\nbei der Klägerin in kritischen Situationen zu beobachtenden Atemnotanfälle\nbereits habe reduziert werden können. Die Klägerin konnte sich in den letzten\nJahren nach den Darlegungen der Beigeladenen stetig weiterentwickeln,\ninsbesondere auch in ihrer psychischen Stabilität, ist in der WbfM gut\nintegriert und hat gute soziale Kontakte aufgebaut. Einschränkungen mit Bezug\nauf die psychische Belastbarkeit der Klägerin - bei geringem Selbstvertrauen\nund Selbstwertgefühl - waren im Übrigen schon in den Eingliederungsplänen vom\n9. April 2013, 16. April 2014 und 2. März 2015 thematisiert und ferner auch in\nder Stellungnahme des MPD vom 24. Juli 2013 angesprochen. Das ändert indessen\nnichts an der ausreichenden Leistungsfähigkeit der Klägerin für den\nArbeitsbereich der WfbM. Denn sie ist in der Lage, am Arbeitsablauf der WfbM\nmitzuwirken und eine verwertbare Tätigkeit zu erbringen, wobei - wie oben\nbereits dargestellt - ein wirtschaftliches Verhältnis zwischen Arbeit und\nArbeitsergebnis nicht maßgeblich und deshalb auch nicht zu prüfen ist. \n--- \n| 31 \n--- \n| e) Von der Werkstattfähigkeit und dem für den Arbeitsbereich zu erwartenden\nLeistungsminimum war im Übrigen bereits die Deutsche Rentenversicherung Bund\nals Kostenträgerin für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich (§\n42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX a.F.) im Anschluss an die Fachausschussbeschlüsse von\nFebruar 2013 und April 2013 (§ 2 Abs. 2 WVO; dazu BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 )\nausgegangen. Eine dementsprechende Förderung wäre schon nicht in Betracht\ngekommen, wenn von vornherein festgestanden hätte, dass die Voraussetzungen\nfür eine Aufnahme in den Arbeitsbereich einer WfbM - auch nach Teilnahme am\nEingangsverfahren (§ 3 WVO) und dem Berufsbildungsbereich (§ 4 WVO) - nicht zu\nerfüllen gewesen wären (vgl. BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 ). \n--- \n| 32 \n--- \n| f) Dass die Klägerin zu einem Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer\nArbeitsleistung im Arbeitsbereich in der Lage ist, stellt auch der Beklagte\nnicht in Abrede. Soweit er allerdings meint, dass die WfbM der Beigeladenen\nnicht „richtige Einrichtung“ für die Klägerin sei, weil diese wesentlich\nkörperlich behindert, nicht jedoch geistig behindert sei, greift dieser\nEinwand nicht durch. Darauf hinzuweisen ist, dass das SGB IX nicht\nverschiedene Typen von Werkstätten mit unterschiedlichen Förderkonzeptionen\nvorsieht; vielmehr gilt der „Grundsatz der einheitlichen Werkstatt" (§ 1 WVO),\nd.h., es existiert bis auf die in § 137 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB IX a.F. (§ 220\nAbs. 1 Nr. 2 SGB IX n.F.) angesprochenen Einrichtungen für spezielle\nBehinderungsarten (etwa Blindenwerkstätten), nur eine einzige Art der\nWerkstatt mit identischem Förderkonzept für alle behinderten Menschen, die auf\ndiese Einrichtungsart zur Eingliederung in das Arbeitsleben und zur Teilhabe\nam Arbeitsleben angewiesen sind (BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 ). Dem\nentsprechen auch die rahmenvertraglichen Vorgaben, die hinsichtlich des\nLeistungstyps I.4.4 nicht nach geistigen, körperlichen und seelischen\nBehinderungen unterscheiden. Die Klägerin gehört als erwachsener Mensch mit\neiner wesentlichen körperlichen Behinderung sowie auf Grund ihres Hilfebedarfs\n(Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben durch eine angemessene\nBeschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM) zu der Zielgruppe des zwischen dem\nBeklagten und der Beigeladenen seit ihrer Aufnahme in die WfbM geltenden\nVereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII mit dem Leistungsangebot\n„Tagesstrukturierende Angebote für Menschen mit Behinderung im Arbeitsbereich\neiner Werkstatt für behinderte Menschen“ im Leistungstyp I.4.4. Demgemäß nimmt\ndie Beigeladene in ihre WfbM nicht nur geistig behinderte Menschen auf,\nsondern betreut je nach Einzelfall auch Menschen mit weiteren\nBeeinträchtigungen. Dass die Klägerin in die WfbM der Beigeladenen mit großer\nFreude hingeht, hatte der MPD des K. bereits in seiner Stellungnahme vom 24.\nJuli 2013 vermerkt. \n--- \n| 33 \n--- \n| g) Ein Eingliederungshilfebedarf der Klägerin für den Besuch des\nArbeitsbereichs ist sonach gegeben. Dieser wird in der WfbM der Beigeladenen\nauch vollumfänglich gedeckt. Die Betreuung der Klägerin im Arbeitsbereich der\nWfbM ist darauf gerichtet, sie angemessen zu beschäftigen, dabei ihre\npsychische Belastbarkeit und Flexibilität zu erhöhen und zu verbessern, sowie\nihre Persönlichkeit (insbesondere Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen) zu\nentwickeln. Dies entspricht dem Leistungsangebot in der WfbM der Beigeladenen,\ndas insoweit im Einklang mit den im Rahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB XII zum\nLeistungstyp I.4.4 festgeschriebenen Zielen steht (angemessene Beschäftigung,\nberufliche Bildung, Förderung des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt,\nPersönlichkeitsentwicklung, Teilhabe an der Arbeitswelt, Erhaltung bzw.\nWiederherstellung der Leistungsfähigkeit, Erzielung eines Arbeitsentgelts,\nsoziale Integration). Durch den Besuch der WfbM der Beigeladenen wird der\nKlägerin eine ihrer schweren Behinderung angemessene Tätigkeit ermöglicht;\nihre Teilhabemöglichkeiten sind im Rahmen des ganzheitlichen Förderkonzepts\nder WfbM (vgl. nochmals BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 ) erleichtert\nworden. Sie erhält in der WfBM ein Arbeitsentgelt, das über dem Grundlohn\nliegt. Darüber hinaus wurde am 5. März 2013 ein Werkstatt-Vertrag geschlossen,\nder hinsichtlich des Rechtsverhältnisses der Klägerin zur WfbM in jeder\nHinsicht die gesetzlichen Vorgaben des § 138 SGB IX a.F. (§ 221 SGB IX n.F.)\nbeachtet hat. Sie wäre im Übrigen ausweislich § 2 des Werkstatt-Vertrags auch\neiner Kostenforderung der Beigeladenen ausgesetzt, sollte der Beklagte als\nSozialhilfeträger die Kosten für den Besuch der WfbM nicht übernehmen. \n--- \n| 34 \n--- \n| h) Einem Anspruch der Klägerin auf Eingliederungshilfe in der Form des\nBesuchs des Arbeitsbereichs der WfbM der Beigeladenen steht vorliegend nicht\nentgegen, dass sie zugleich in einer vollstationären Pflegeeinrichtung wohnt.\nDie Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB\nXII bleiben nach § 13 Abs. 3 SGB XI unberührt; sie sind im Verhältnis zur\nPflegeversicherung nicht nachrangig (vgl. hierzu Meßling in jurisPK-SGB XII,\n2. Auflage 2014 , § 61 SGB XII 1. Überarbeitung Rdnrn. 36 ff. ).\nEingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege unterscheiden sich vielmehr nach\nihren unterschiedlichen Zielrichtungen (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 2007 -\nL 7 SO 414/07 - ). Pflegerische Leistungen erfassen etwa Maßnahmen der\nKommunikation, Freizeitgestaltung und Bildung, die für den pflegebedürftigen\nMenschen - z.B. als tagesstrukturierende Maßnahmen oder zur Verhinderung von\ndessen Vereinsamung - von essentieller Bedeutung sein können (vgl. BSGE 123,\n171 = SozR 4-3500 § 66 Nr. 1 ; BSG, Urteil vom 28. August 2018 - B 8 SO 1/17 R\n- ), sodass die notwendige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben insoweit\ndurch die pflegerische Unterstützung verwirklicht wird. Auf diesen Aspekt\nweisen auch die Betreuungsangebote in dem von der Klägerin bewohnten\nAltenpflegeheim hin, für die in den Schreiben der Pflegeeinrichtung vom 24.\nJanuar und 14. Februar 2018 beispielhaft Gedächtnistraining, Bibelstunde,\nGottesdienst, Rosenkranzgebet, Sturzprophylaxe, Basteln, hauswirtschaftliche\nTätigkeiten, kulinarische Abende, Gespräche, Spiele, Singkreis sowie Hausfeste\ngenannt sind, an welchen die Klägerin an den Wochenenden sowie ggf. in den\nAbendstunden teilnimmt. Allein um eine soziale Teilhabe geht es bei der\nEingliederungshilfe für den Besuch einer WfbM indessen nicht; so dürfte der\nAspekt der Freizeitgestaltung schon nicht zu den Aufgaben einer WfbM gehören\n(vgl. BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 ). Zutreffend hat das SG auf die\nanders gelagerte Zielrichtung der Beschäftigung in einer WfbM hingewiesen,\nwelche der über eine allgemeine soziale Betreuung hinausgehenden\nGewährleistung einer angemessenen Teilhabe am Arbeitsleben dient (vgl. zu den\nZielen einer WfbM nochmals oben unter b). Der dementsprechende Teilhabebedarf\nder Klägerin wird in der WfbM der Beigeladenen, nicht dagegen im\nAltenpflegeheim gedeckt. „Doppelleistungen“, wie sie der Beklagte beanstandet,\nliegen sonach nicht vor. Schon nach seinen eigenen Berechnungen (vgl.\nSchriftsatz vom 28. Juni 2016) dürfte im Übrigen die bei der Klägerin gegebene\nKonstellation von Wohnen und Arbeit die für den Beklagten kostengünstigste\nVariante darstellen. \n--- \n| 35 \n--- \n| i) Ob das Altenpflegeheim S. J. mit Blick auf die Altersstruktur der\ndortigen Bewohner eine für die Klägerin bedarfsgerechte stationäre Einrichtung\ndarstellt, bedarf vorliegend keiner Erörterungen. Obgleich nicht\nentscheidungserheblich, sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Beklagte -\ntrotz Kenntnis vom Werkstatteintritt der Klägerin spätestens seit dem\nSchreiben ihres Betreuers vom 7. Februar 2013 - durch Bescheid vom 8. Juli\n2013 Hilfe zur Pflege in der vorgenannten stationären Pflegeeinrichtung\nbewilligt hat und auch seitdem gewährt. Das ist geschehen, obgleich der\nBetreuer jedenfalls in der Vergangenheit (vgl. etwa sein Schreiben vom 24.\nFebruar 2013) selbst von einer nicht bedarfsgerechten Betreuung der Klägerin\nim Altenpflegeheim ausgegangen war und den Beklagten überdies bereits im\nSchreiben vom 1. November 2012 um Beratung hinsichtlich der angemessenen Hilfe\nund Unterstützung der Klägerin gebeten hatte. Auch in dem Ferngespräch vom 16.\nOktober 2013, in welchem ein Probewohnen thematisiert worden war, hatte der\nBeklagte die Möglichkeit einer Weiterfinanzierung der Kosten im\nAltenpflegeheim zum Ausdruck gebracht, was dazu führte, dass der Betreuer am\n25. Oktober 2013 den im Mai 2013 gestellten Antrag auf Eingliederungshilfe in\neiner vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe zurücknahm (vgl. zur\nZumutbarkeit eines Einrichtungswechsels im Übrigen Senatsbeschluss vom 2.\nSeptember 2010 - L 7 SO 1357/10 ER-B - ). Die Bewilligung von Hilfe zur\nPflege in einer stationären Pflegeeinrichtung erfolgte mithin, obwohl der\nBeklagte wusste, dass die Klägerin im Eingangsverfahren und\nBerufsbildungsbereich auf die künftige Beschäftigung im Arbeitsbereich der\nWfbM der Beigeladenen vorbereitet wurde. \n--- \n| 36 \n--- \n| 3\\. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Kostenauferlegung\nzugunsten der (erst im Berufungsverfahren) beigeladenen Trägerin der WfbM\nkommt nicht in Betracht, nachdem diese im Verfahren keine Anträge gestellt hat\n(vgl. BSGE 90, 127 = SozR 3-5795 § 10d Nr. 1 ). \n--- \n| 37 \n--- \n| 4\\. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1\nund 2 SGG) liegen nicht vor. \n--- \n--- \n \n## Gründe\n\n| 20 \n--- \n| Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. \n--- \n| 21 \n--- \n| Die Berufung ist zulässig. Sie ist unter Beachtung der Form- und\nFristvorschriften des § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt\nworden sowie statthaft (§ 143 SGG); die Berufungsausschlussgründe des § 144\nAbs. 1 Sätze 1 und 2 SGG greifen nicht ein. Die Berufung ist jedoch nicht\nbegründet. \n--- \n| 22 \n--- \n| 1\\. a) Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 19. August 2015 in der\nGestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2016, mit dem der Beklagte\nLeistungen für den Besuch des Arbeitsbereichs der WfbM der Beigeladenen für\ndie Zeit ab 13. Mai 2015 abgelehnt hat. Allein über diese unter den\nBeteiligten umstrittene teilstationäre Eingliederungshilfe ist mithin\nvorliegend zu entscheiden. Nicht streitbefangen sind dagegen Leistungen der\nHilfe zur Pflege in der stationären Pflegeeinrichtung S. J., welche der\nBeklagte der Klägerin durch Bescheid vom 8. Juli 2013 rückwirkend zum 17.\nSeptember 2012 (Eintritt in die Einrichtung) bewilligt hat und - nach\nvermögensrechtlicher Prüfung - ab diesem Zeitpunkt auch zuschussweise zahlt. \n--- \n| 23 \n--- \n| b) Das SG hat unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide eine\nVerurteilung des Beklagten ausgesprochen, „der Klägerin Leistungen der\nEingliederungshilfe im Arbeitsbereich der WfbM der ZAW gGmbH in B. in\ngesetzlichem Umfang zu gewähren“. Insoweit hat das SG ein Grundurteil erlassen\n(§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG); das erachtet der Senat für zulässig. Der Senat hat\nim Urteil vom 13. September 2018 - L 7 SO 3470/15 - ) für den Besuch einer\nWfbM einen unmittelbaren Rechtsanspruch der WfbM auf die Vergütung bejaht\n(vgl. neuerdings auch Bundessozialgericht , Urteil vom 5. Juli 2018 - B 8 SO\n28/16 R - , welches dort von einem „Vergütungsanspruch“ der WfbM spricht;\nferner § 123 Abs. 6 SGB IX in der Fassung durch das Bundesteilhabegesetz -\nBTHG - vom 23. Dezember 2016 ). Infolgedessen ist das Modell des\nsozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses mit dem Kriterium der\nKostenübernahme im Wege des Schuldbeitritts (vgl. hierzu grundlegend BSGE 102,\n1 = SozR 4-1500 § 75 Nr. 9 ) auf die Leistungen des Eingliederungshilfeträgers\nfür den Besuch einer WfbM nicht übertragbar. Zutreffendes Klageziel ist\ndemnach vorliegend die Förderung des Besuchs des Arbeitsbereichs der WfbM der\nBeigeladenen seit 13. Mai 2015 durch den Beklagten im Rahmen der\nEingliederungshilfe, welches die Klägerin zulässigerweise mittels der\nkombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dem Grunde nach verfolgt (vgl.\nhierzu BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 ; BSGE 76, 178, 181 = SozR 3-4100 § 58 Nr.\n7; Bayer. LSG, Urteil vom 23. Mai 2012 - L 10 AL 8/11 - ). \n--- \n| 24 \n--- \n| c) Der beklagte Landkreis ist richtiger Gegner des Verfahrens. Denn er ist\nder für die Leistungen der Eingliederungshilfe an die Klägerin sachlich\nzuständige Träger (§ 97 Abs. 1 und 3 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII,\n§ 1 Abs. 1, § 2 des Gesetzes zur Ausführung des SGB XII in der Fassung des\nArt. 122 des Verwaltungsstruktur-Reformgesetzes - VRG - vom 1. Juli 2004 , §\n42 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX mit nachfolgenden Änderungen , § 63 Abs. 2 Nr. 5 SGB\nIX ). Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten für die Eingliederungshilfe in\nder WfbM ist ebenfalls gegeben; diese richtet sich nach § 97 Abs. 4 SGB XII\n(vgl. zur erweiternden Anwendung dieser Vorschrift BSG, Urteil vom 6. Dezember\n2018 - B 8 SO 9/18 R - ), wobei hier sowohl der Maßnahmeort als auch der\nfrühere Wohnort der Klägerin vor der Aufnahme in das Altenpflegeheim und\nebenso auch dieses im Landkreis des Beklagten liegen. \n--- \n| 25 \n--- \n| 2\\. Rechtsgrundlagen des geltend gemachten Anspruchs sind § 19 Abs. 3 i.V.m.\n§§ 53, 54 SGB XII, §§ 41 Abs. 1 SGB IX a.F. bzw. § 58 Abs. 1 SGB IX n.F. Nach\n§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben Personen, die durch eine Behinderung im Sinne\nvon § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der\nGesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen\nBehinderung bedroht sind, Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe,\nwenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art\noder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der\nEingliederungshilfe erfüllt werden kann. \n--- \n| 26 \n--- \n| a) Die Klägerin erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs.\n1 Satz 1 SGB XII. Sie ist infolge des im Dezember 2006 erlittenen\nSchlaganfalls in schwerem Maße körperlich beeinträchtigt; es bestehen u.a.\neine ataktische, leicht linksbetonte Tetraparese, sodass sie zur Fortbewegung\nganz wesentlich auf einen Rollstuhl angewiesen ist, ferner eine\nDysarthrophonie und Dysphagie. Die Klägerin ist deshalb in ihrer Fähigkeit, an\nder Gesellschaft teilzuhaben, wesentlich (§ 1 Nr. 1 EinglHV) eingeschränkt.\nDarüber bestehen unter den Beteiligten auch keine Meinungsverschiedenheiten. \n--- \n| 27 \n--- \n| b) Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören nach § 54 Abs. 1 SGB\nXII u.a. Leistungen für behinderte Menschen im Arbeitsbereich einer\nanerkannten WfbM. Leistungen in einer anerkannten WfbM werden erbracht, um die\nLeistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu\nentwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser\nMenschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu\nsichern (vgl. § 39 SGB IX a.F., § 56 SGB IX n.F.). In § 41 Abs. 1 SGB IX a.F.\n(§ 58 Abs. 1 SGB IX n.F.) ist bestimmt, dass behinderte Menschen Leistungen im\nArbeitsbereich einer anerkannten WfbM erhalten, bei denen eine Beschäftigung\nauf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht,\nnoch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommen und die in der Lage sind,\nwenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu\nerbringen, wobei (vgl. § 41 Abs. 2 SGB IX a.F. bzw. § 58 Abs. 2 SGB IX n.F.)\ndie Leistungen gerichtet sind auf die Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer\nder Eignung und Neigung des behinderten Menschen entsprechenden Beschäftigung,\ndie Teilnahme an arbeitsbegleitenden Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung\nder im Berufsbildungsbereich erworbenen Leistungsfähigkeit und zur\nWeiterentwicklung der Persönlichkeit sowie die Förderung des Übergangs\ngeeigneter behinderter Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch\ngeeignete Maßnahmen. Gemäß § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a.F. (§ 219 Abs. 2 Satz\n1 SGB IX n.F.) steht die Werkstatt allen behinderten Menschen im Sinne des\nAbsatzes 1 unabhängig von Art und Schwere der Behinderung offen, sofern\nerwartet werden kann, dass sie spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im\nBerufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer\nArbeitsleistung erbringen werden. Das Nähere über den Begriff und die Aufgaben\nsowie die fachlichen Anforderungen ist in der Werkstättenverordnung (WVO vom\n13. August 1980 mit nachfolgenden Änderungen; zum Arbeitsbereich vgl. § 8\nWVO) geregelt. \n--- \n| 28 \n--- \n| Ziel und Funktion einer WfbM ist es, Menschen mit schweren Behinderungen,\ndie vom Arbeitsleben weitgehend ausgeschlossen sind und wegen Art und Schwere\nihrer Behinderungen kaum die Möglichkeit haben, eine reguläre Beschäftigung\nauf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden, durch berufliche und\npersönlichkeitsbildende Förderung zu helfen, einen gleichberechtigten Platz in\nder Gesellschaft zu erlangen, und ihre individuelle Leistungsfähigkeit zu\nentwickeln, wiederzugewinnen oder so zu erhöhen, dass sie entweder in der\nWerkstatt ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung\nerbringen oder sogar ins Erwerbsleben eingegliedert werden können (vgl. BSGE\n102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 ). Die Leistungen im Arbeitsbereich sind\ndarüber hinaus, entsprechend dem ganzheitlichen Förderkonzept einer WfbM, auch\ndarauf gerichtet, die Persönlichkeit des behinderten Menschen\nweiterzuentwickeln (BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 unter Verweis auf\n§§ 39, 41 Abs. 2 Nr. 2, 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IX a.F. <§§ 56, 58 Abs. 2\nNr. 2, 219 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB IX n.F.>). So sind zur Erhaltung und\nErhöhung der (im Berufsbildungsbereich erworbenen) Leistungsfähigkeit und zur\nWeiterentwicklung der Persönlichkeit der behinderten Menschen\narbeitsbegleitend geeignete Maßnahmen durchzuführen (vgl. § 5 Abs. 3 WVO). Zu\nden arbeitsbegleitenden Maßnahmen, die der Weiterentwicklung der\nPersönlichkeit dienen, gehören z.B. auch Maßnahmen, die die Fähigkeiten in den\nBereichen Lesen, Schreiben, Rechnen, Mobilität und Orientierung, Kooperation\nund Kommunikation (mit anderen behinderten Menschen, Vorgesetzten und dem\nsonstigen sozialen Umfeld), eigenverantwortliche Lebensbewältigung und\nFestigung des Selbstwertgefühls in angemessenem Umfang erhalten, erhöhen oder\nentwickeln (BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 unter Verweis auf die\nWerkstattempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger\nder Sozialhilfe ). \n--- \n| 29 \n--- \n| c) Die Voraussetzungen für die von der Klägerin für den Besuch des\nArbeitsbereichs der WfbM der Beigeladenen begehrten Leistungen, die im Übrigen\nvom Vermögenseinsatz gänzlich freigestellt sind (§ 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7,\nAbs. 2 Satz 2 SGB XII) und für die ein Einkommenseinsatz nur unter den\nVoraussetzungen des § 92 Abs. 2 Satz 3 SGB XII in Betracht kommt (vgl. hierzu\nBSG SozR 4-3500 § 92 Nr. 3 ), liegen seit 13. Mai 2015 durchgehend vor. Die\nLeistungen im Arbeitsbereich der WfbM der Beigeladenen sind geeignet und\nerforderlich, der Klägerin eine angemessene Teilhabe am Arbeitsleben zu\nermöglichen und zu erleichtern und sie in ihrer Persönlichkeit\nweiterzuentwickeln. Auf Grund ihrer schweren körperlichen Behinderung gehört\ndie Klägerin zum Personenkreis des § 41 Abs. 1 SGB IX a.F. (§ 58 Abs. 1 SGB IX\nn.F.). Wegen Art und Schwere ihrer Behinderung kommt weder eine Beschäftigung\nauf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Berufsvorbereitung, eine\nindividuelle betriebliche Qualifizierung, eine berufliche Anpassung und\nWeiterbildung oder eine berufliche Ausbildung (vgl. § 33 Abs. 3 Nrn. 2 bis 4\nSGB IX a.F., § 49 Abs. 3 Nrn. 2 bis 5 SGB IX n.F.) in Betracht (vgl. ferner §\n136 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F., § 219 Abs. 1 Satz 2 SGB IX n.F.). Schon der MPD\ndes KVJS hatte in seiner Stellungnahme vom 24. Juli 2013 auf die deutlichen\nEinschränkungen in der Teilhabe auf Grund der schweren körperlichen\nBehinderung der Klägerin, die in allen Lebensbereichen pflegerische und\nbetreuerische Hilfen, gerade auch zur sozialen Integration benötige,\nhingewiesen und u.a. die Eingliederung in eine WfbM empfohlen. \n--- \n| 30 \n--- \n| d) Die Klägerin war ausweislich der Eingliederungspläne der Beigeladenen vom\n9. April 2013, 16. April 2014 und 2. März 2015 von Anbeginn an werkstattfähig,\nd.h. gemeinschaftsfähig und nicht außerordentlich pflegebedürftig (vgl. hierzu\nBSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 ; ferner § 136 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB IX a.F.; §\n219 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB IX n.F.). Sie war darüber hinaus jedenfalls nach\nBeendigung des 2. Jahres im Berufsbildungsbereich ab 13. Mai 2015 in der Lage,\nein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen und\nist es auch weiterhin (vgl. Entwicklungsbericht im Schriftsatz der\nBeigeladenen vom 14. Januar 2019). Ein solches Leistungsminimum ist gegeben,\nwenn der behinderte Mensch an der Herstellung der von der WfbM vertriebenen\nWaren und Dienstleistungen durch nützliche Arbeit beteiligt werden kann, ohne\ndass es auf ein wirtschaftliches Verhältnis von Personalaufwand und\nArbeitsergebnis im Sinne betriebswirtschaftlicher Erwägungen ankommt (BSGE 72,\n187, 192 f. = SozR 3-3870 § 54 Nr. 1; BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 ; BSGE 76,\n178, 183 = SozR 3-4100 § 58 Nr. 7). Ausweislich der Angaben der Beigeladenen\n(vgl. etwa Schriftsätze vom 17. Oktober 2017 und 14. Januar 2019) führt die\nKlägerin in ihrer Arbeitsgruppe mittelschwere mehrgliedrige Montagearbeiten\nsowie Verpackungs- und Sortierarbeiten durch. Es handelt sich dabei um\ndreiteilige Sortierarbeiten von Metallteilen gleicher Farbe, die nach ihrer\nForm unterschieden werde müssen, um zweifaches Falten von Montageanleitungen\nvon DIN A 5 nach DIN A 7, wobei auf die Anordnung der deutschsprachigen\nAnleitung auf der Vorderseite zu achten ist, um die Verpackung der\nbetreffenden Montageanleitung mit drei weiteren Komponenten in einen\nKunststoffbeutel, um fünfteilige feinmotorische Montagearbeiten (ELPA-\nKlemmenblock), wobei diese Arbeit von der Klägerin je nach Verfassung nicht\nden ganzen Tag ausgeführt werden kann, sowie um das Bestücken von Lagerbolzen\nmit Metallbolzen als eine einfachere zweigliedrige Montagearbeit. Das\nArbeitstempo der Klägerin ist den Angaben der Beigeladenen zufolge langsam bis\ndurchschnittlich, aber konstant. Die Qualität ist bei einfacheren Arbeiten\nmeist gut; bei komplexeren Tätigkeiten kann es allerdings zu Einbrüchen\nkommen. Die Klägerin verfügt ferner über ein gutes Auffassungs- und\nKonzentrationsvermögen; unter Leistungsdruck oder bei sonstiger Überforderung\nkann es freilich ebenfalls zu psychischen Einbrüchen bis hin zu\nAtemnotanfällen kommen. Als Ziele in der Arbeit mit der Klägerin hat die\nBeigeladene die Verbesserung von deren Flexibilität sowie die Erhöhung der\npsychischen Belastbarkeit genannt, wobei durch entsprechende Maßnahmen (z.B.\nAblenkung durch Gang an die frische Luft, situationsbedingte Gespräche mit\nReflexion und Erarbeitung gemeinsamer Lösungsstrategien) die Häufigkeit der\nbei der Klägerin in kritischen Situationen zu beobachtenden Atemnotanfälle\nbereits habe reduziert werden können. Die Klägerin konnte sich in den letzten\nJahren nach den Darlegungen der Beigeladenen stetig weiterentwickeln,\ninsbesondere auch in ihrer psychischen Stabilität, ist in der WbfM gut\nintegriert und hat gute soziale Kontakte aufgebaut. Einschränkungen mit Bezug\nauf die psychische Belastbarkeit der Klägerin - bei geringem Selbstvertrauen\nund Selbstwertgefühl - waren im Übrigen schon in den Eingliederungsplänen vom\n9. April 2013, 16. April 2014 und 2. März 2015 thematisiert und ferner auch in\nder Stellungnahme des MPD vom 24. Juli 2013 angesprochen. Das ändert indessen\nnichts an der ausreichenden Leistungsfähigkeit der Klägerin für den\nArbeitsbereich der WfbM. Denn sie ist in der Lage, am Arbeitsablauf der WfbM\nmitzuwirken und eine verwertbare Tätigkeit zu erbringen, wobei - wie oben\nbereits dargestellt - ein wirtschaftliches Verhältnis zwischen Arbeit und\nArbeitsergebnis nicht maßgeblich und deshalb auch nicht zu prüfen ist. \n--- \n| 31 \n--- \n| e) Von der Werkstattfähigkeit und dem für den Arbeitsbereich zu erwartenden\nLeistungsminimum war im Übrigen bereits die Deutsche Rentenversicherung Bund\nals Kostenträgerin für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich (§\n42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX a.F.) im Anschluss an die Fachausschussbeschlüsse von\nFebruar 2013 und April 2013 (§ 2 Abs. 2 WVO; dazu BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 )\nausgegangen. Eine dementsprechende Förderung wäre schon nicht in Betracht\ngekommen, wenn von vornherein festgestanden hätte, dass die Voraussetzungen\nfür eine Aufnahme in den Arbeitsbereich einer WfbM - auch nach Teilnahme am\nEingangsverfahren (§ 3 WVO) und dem Berufsbildungsbereich (§ 4 WVO) - nicht zu\nerfüllen gewesen wären (vgl. BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6 ). \n--- \n| 32 \n--- \n| f) Dass die Klägerin zu einem Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer\nArbeitsleistung im Arbeitsbereich in der Lage ist, stellt auch der Beklagte\nnicht in Abrede. Soweit er allerdings meint, dass die WfbM der Beigeladenen\nnicht „richtige Einrichtung“ für die Klägerin sei, weil diese wesentlich\nkörperlich behindert, nicht jedoch geistig behindert sei, greift dieser\nEinwand nicht durch. Darauf hinzuweisen ist, dass das SGB IX nicht\nverschiedene Typen von Werkstätten mit unterschiedlichen Förderkonzeptionen\nvorsieht; vielmehr gilt der „Grundsatz der einheitlichen Werkstatt" (§ 1 WVO),\nd.h., es existiert bis auf die in § 137 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB IX a.F. (§ 220\nAbs. 1 Nr. 2 SGB IX n.F.) angesprochenen Einrichtungen für spezielle\nBehinderungsarten (etwa Blindenwerkstätten), nur eine einzige Art der\nWerkstatt mit identischem Förderkonzept für alle behinderten Menschen, die auf\ndiese Einrichtungsart zur Eingliederung in das Arbeitsleben und zur Teilhabe\nam Arbeitsleben angewiesen sind (BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 ). Dem\nentsprechen auch die rahmenvertraglichen Vorgaben, die hinsichtlich des\nLeistungstyps I.4.4 nicht nach geistigen, körperlichen und seelischen\nBehinderungen unterscheiden. Die Klägerin gehört als erwachsener Mensch mit\neiner wesentlichen körperlichen Behinderung sowie auf Grund ihres Hilfebedarfs\n(Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben durch eine angemessene\nBeschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM) zu der Zielgruppe des zwischen dem\nBeklagten und der Beigeladenen seit ihrer Aufnahme in die WfbM geltenden\nVereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII mit dem Leistungsangebot\n„Tagesstrukturierende Angebote für Menschen mit Behinderung im Arbeitsbereich\neiner Werkstatt für behinderte Menschen“ im Leistungstyp I.4.4. Demgemäß nimmt\ndie Beigeladene in ihre WfbM nicht nur geistig behinderte Menschen auf,\nsondern betreut je nach Einzelfall auch Menschen mit weiteren\nBeeinträchtigungen. Dass die Klägerin in die WfbM der Beigeladenen mit großer\nFreude hingeht, hatte der MPD des K. bereits in seiner Stellungnahme vom 24.\nJuli 2013 vermerkt. \n--- \n| 33 \n--- \n| g) Ein Eingliederungshilfebedarf der Klägerin für den Besuch des\nArbeitsbereichs ist sonach gegeben. Dieser wird in der WfbM der Beigeladenen\nauch vollumfänglich gedeckt. Die Betreuung der Klägerin im Arbeitsbereich der\nWfbM ist darauf gerichtet, sie angemessen zu beschäftigen, dabei ihre\npsychische Belastbarkeit und Flexibilität zu erhöhen und zu verbessern, sowie\nihre Persönlichkeit (insbesondere Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen) zu\nentwickeln. Dies entspricht dem Leistungsangebot in der WfbM der Beigeladenen,\ndas insoweit im Einklang mit den im Rahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB XII zum\nLeistungstyp I.4.4 festgeschriebenen Zielen steht (angemessene Beschäftigung,\nberufliche Bildung, Förderung des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt,\nPersönlichkeitsentwicklung, Teilhabe an der Arbeitswelt, Erhaltung bzw.\nWiederherstellung der Leistungsfähigkeit, Erzielung eines Arbeitsentgelts,\nsoziale Integration). Durch den Besuch der WfbM der Beigeladenen wird der\nKlägerin eine ihrer schweren Behinderung angemessene Tätigkeit ermöglicht;\nihre Teilhabemöglichkeiten sind im Rahmen des ganzheitlichen Förderkonzepts\nder WfbM (vgl. nochmals BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 ) erleichtert\nworden. Sie erhält in der WfBM ein Arbeitsentgelt, das über dem Grundlohn\nliegt. Darüber hinaus wurde am 5. März 2013 ein Werkstatt-Vertrag geschlossen,\nder hinsichtlich des Rechtsverhältnisses der Klägerin zur WfbM in jeder\nHinsicht die gesetzlichen Vorgaben des § 138 SGB IX a.F. (§ 221 SGB IX n.F.)\nbeachtet hat. Sie wäre im Übrigen ausweislich § 2 des Werkstatt-Vertrags auch\neiner Kostenforderung der Beigeladenen ausgesetzt, sollte der Beklagte als\nSozialhilfeträger die Kosten für den Besuch der WfbM nicht übernehmen. \n--- \n| 34 \n--- \n| h) Einem Anspruch der Klägerin auf Eingliederungshilfe in der Form des\nBesuchs des Arbeitsbereichs der WfbM der Beigeladenen steht vorliegend nicht\nentgegen, dass sie zugleich in einer vollstationären Pflegeeinrichtung wohnt.\nDie Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB\nXII bleiben nach § 13 Abs. 3 SGB XI unberührt; sie sind im Verhältnis zur\nPflegeversicherung nicht nachrangig (vgl. hierzu Meßling in jurisPK-SGB XII,\n2. Auflage 2014 , § 61 SGB XII 1. Überarbeitung Rdnrn. 36 ff. ).\nEingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege unterscheiden sich vielmehr nach\nihren unterschiedlichen Zielrichtungen (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 2007 -\nL 7 SO 414/07 - ). Pflegerische Leistungen erfassen etwa Maßnahmen der\nKommunikation, Freizeitgestaltung und Bildung, die für den pflegebedürftigen\nMenschen - z.B. als tagesstrukturierende Maßnahmen oder zur Verhinderung von\ndessen Vereinsamung - von essentieller Bedeutung sein können (vgl. BSGE 123,\n171 = SozR 4-3500 § 66 Nr. 1 ; BSG, Urteil vom 28. August 2018 - B 8 SO 1/17 R\n- ), sodass die notwendige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben insoweit\ndurch die pflegerische Unterstützung verwirklicht wird. Auf diesen Aspekt\nweisen auch die Betreuungsangebote in dem von der Klägerin bewohnten\nAltenpflegeheim hin, für die in den Schreiben der Pflegeeinrichtung vom 24.\nJanuar und 14. Februar 2018 beispielhaft Gedächtnistraining, Bibelstunde,\nGottesdienst, Rosenkranzgebet, Sturzprophylaxe, Basteln, hauswirtschaftliche\nTätigkeiten, kulinarische Abende, Gespräche, Spiele, Singkreis sowie Hausfeste\ngenannt sind, an welchen die Klägerin an den Wochenenden sowie ggf. in den\nAbendstunden teilnimmt. Allein um eine soziale Teilhabe geht es bei der\nEingliederungshilfe für den Besuch einer WfbM indessen nicht; so dürfte der\nAspekt der Freizeitgestaltung schon nicht zu den Aufgaben einer WfbM gehören\n(vgl. BSGE 102, 126 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 3 ). Zutreffend hat das SG auf die\nanders gelagerte Zielrichtung der Beschäftigung in einer WfbM hingewiesen,\nwelche der über eine allgemeine soziale Betreuung hinausgehenden\nGewährleistung einer angemessenen Teilhabe am Arbeitsleben dient (vgl. zu den\nZielen einer WfbM nochmals oben unter b). Der dementsprechende Teilhabebedarf\nder Klägerin wird in der WfbM der Beigeladenen, nicht dagegen im\nAltenpflegeheim gedeckt. „Doppelleistungen“, wie sie der Beklagte beanstandet,\nliegen sonach nicht vor. Schon nach seinen eigenen Berechnungen (vgl.\nSchriftsatz vom 28. Juni 2016) dürfte im Übrigen die bei der Klägerin gegebene\nKonstellation von Wohnen und Arbeit die für den Beklagten kostengünstigste\nVariante darstellen. \n--- \n| 35 \n--- \n| i) Ob das Altenpflegeheim S. J. mit Blick auf die Altersstruktur der\ndortigen Bewohner eine für die Klägerin bedarfsgerechte stationäre Einrichtung\ndarstellt, bedarf vorliegend keiner Erörterungen. Obgleich nicht\nentscheidungserheblich, sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Beklagte -\ntrotz Kenntnis vom Werkstatteintritt der Klägerin spätestens seit dem\nSchreiben ihres Betreuers vom 7. Februar 2013 - durch Bescheid vom 8. Juli\n2013 Hilfe zur Pflege in der vorgenannten stationären Pflegeeinrichtung\nbewilligt hat und auch seitdem gewährt. Das ist geschehen, obgleich der\nBetreuer jedenfalls in der Vergangenheit (vgl. etwa sein Schreiben vom 24.\nFebruar 2013) selbst von einer nicht bedarfsgerechten Betreuung der Klägerin\nim Altenpflegeheim ausgegangen war und den Beklagten überdies bereits im\nSchreiben vom 1. November 2012 um Beratung hinsichtlich der angemessenen Hilfe\nund Unterstützung der Klägerin gebeten hatte. Auch in dem Ferngespräch vom 16.\nOktober 2013, in welchem ein Probewohnen thematisiert worden war, hatte der\nBeklagte die Möglichkeit einer Weiterfinanzierung der Kosten im\nAltenpflegeheim zum Ausdruck gebracht, was dazu führte, dass der Betreuer am\n25. Oktober 2013 den im Mai 2013 gestellten Antrag auf Eingliederungshilfe in\neiner vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe zurücknahm (vgl. zur\nZumutbarkeit eines Einrichtungswechsels im Übrigen Senatsbeschluss vom 2.\nSeptember 2010 - L 7 SO 1357/10 ER-B - ). Die Bewilligung von Hilfe zur\nPflege in einer stationären Pflegeeinrichtung erfolgte mithin, obwohl der\nBeklagte wusste, dass die Klägerin im Eingangsverfahren und\nBerufsbildungsbereich auf die künftige Beschäftigung im Arbeitsbereich der\nWfbM der Beigeladenen vorbereitet wurde. \n--- \n| 36 \n--- \n| 3\\. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Kostenauferlegung\nzugunsten der (erst im Berufungsverfahren) beigeladenen Trägerin der WfbM\nkommt nicht in Betracht, nachdem diese im Verfahren keine Anträge gestellt hat\n(vgl. BSGE 90, 127 = SozR 3-5795 § 10d Nr. 1 ). \n--- \n| 37 \n--- \n| 4\\. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1\nund 2 SGG) liegen nicht vor. \n--- \n---\n\n
321,830
ovgsh-2019-07-11-4-la-8318
1,066
Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
ovgsh
Schleswig-Holstein
Verwaltungsgerichtsbarkeit
4 LA 83/18
2019-07-11
2019-08-27 10:00:50
2020-12-10 13:26:10
Beschluss
ECLI:DE:OVGSH:2019:0711.4LA83.18.00
#### Tenor\n\n \n\nDie Anträge auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung\nvom 23. Januar 2018 ergangene Urteil des Schleswig-Holsteinischen\nVerwaltungsgerichts – 1. Kammer, Einzelrichter – und auf Bewilligung von\nProzesskostenhilfe für dieses Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt B.\nwerden abgelehnt.\n\n \n\nDie Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.\n\n \n\nDer Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.\n\n \n\n#### Gründe\n\n1\n\n \n\nDer Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die\nbeabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen nicht die\nerforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1\nVwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).\n\n2\n\n \n\nDer Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten\nZulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor; jedenfalls haben\ndie Kläger dies nicht ausreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).\n\n3\n\n \n\n1\\. Das angegriffene Urteil leidet nicht unter einem Verfahrensmangel (§ 124\nAbs. 2 Nr. 5 VwGO).\n\n4\n\n \n\na) Das Verwaltungsgericht hat nicht gegen § 88 VwGO verstoßen. Wie sich den\nUrteilsgründen entnehmen lässt, bezieht sich die klageabweisende Entscheidung\nauf den von den Klägern gestellten Antrag, die Beklagte zu verpflichten, den\nAntrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG zu\nbescheiden. Das Verwaltungsgericht hat den Klägern damit nichts abgesprochen,\nwas nicht Gegenstand der Klage war. Es hat den Umfang des Klagebegehrens\nzutreffend bestimmt, indem es den Antrag nicht als „reine“ Bescheidungsklage,\nsondern als Bescheidungsklage im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO ausgelegt\nhat. Im Gegensatz zum sozialgerichtlichen Verfahren, in der der Gegenstand\neiner Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 SGG grundsätzlich nur die Bescheidung\neines Antrags und nicht die Prüfung der materiellen Voraussetzungen eines\nAnspruchs ist (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Oktober 2014 – B 13 R 282/14 B –,\njuris Rn. 6; BVerfG, Beschluss vom 3. März 2011 – 1 BvR 2852/10 –, juris Rn.\n14), ist für die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO eine generelle Beschränkung\nauf eine reine Bescheidungsklage auch mit Blick auf den Grundsatz der\nGewaltenteilung nicht anerkannt (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18.17\n–, juris Rn. 27 m.w.N.). Die Untätigkeitsklage unterscheidet sich von der\nVersagungsgegenklage allein dadurch, dass sie schon vor dem (vollständigen)\nAbschluss des Verwaltungsverfahrens erhoben wird; an der Bedeutung des mit ihr\ngeltend gemachten Anliegens (des mit der Klage verfolgten Begehrens) für den\nKläger ändert sich dadurch nichts (OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. August 2018\n– 13 OA 279/18 –, juris Rn. 4 m.w.N.). Eine Bescheidungsklage ist daher\ngrundsätzlich als „normale“ Verpflichtungsklage auszulegen, wenn sie nicht\nausdrücklich als schlichte, auf eine „Bescheidung schlechthin“ gerichtete\nUntätigkeitsklage erhoben wird (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 8. Juli 2003 –\n1 S 229/03 –, juris Rn. 3). Dass die Kläger im Verfahren vor dem\nVerwaltungsgericht eine solche Eingrenzung mit der gebotenen Eindeutigkeit\nvorgenommen haben, lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Die\nKläger tragen auch nichts zu den Voraussetzungen vor, unter denen im\nVerwaltungsprozess eine reine Bescheidungsklage ausnahmsweise zulässig ist.\n\n5\n\n \n\nb) Die Verpflichtung zur Herbeiführung der Spruchreife ist nicht verletzt.\nNach § 86 Abs. 1 VwGO hat das Gericht im Rahmen des Klagebegehrens alle für\ndie Entscheidung maßgebenden tatsächlichen Voraussetzungen des geltend\ngemachten Anspruchs in eigener Verantwortung festzustellen. Danach muss das\nGericht die Streitsache im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO in vollem Umfang\nspruchreif machen. Deshalb ist es grundsätzlich nicht zulässig, dass das\nVerwaltungsgericht der Behörde mit gewissermaßen zurückverweisender Wirkung\ndie Prüfung und Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen aufgibt. Vielmehr\nhat es die notwendigen Prüfungen und Feststellungen selbst vorzunehmen und\nsodann abschließend in der Sache zu entscheiden (BVerwG, Urteil vom 2. Mai\n1984 – 8 C 94.82 –, juris Rn. 19; Urteil vom 10. Februar 1998 – 9 C 28.97 –,\njuris Rn. 9). Diesen Vorgaben wird das angegriffene Urteil gerecht. Das\nVerwaltungsgericht hat die Sache nicht zur Aufklärung der Voraussetzungen von\n§ 25 Abs. 5 AufenthG an den Beklagten zurückverwiesen, sondern die aus seiner\nSicht erforderlichen Feststellungen selbst getroffen.\n\n6\n\n \n\nMit der Beanstandung, das Verwaltungsgericht habe in diesem Zusammenhang aber\ndie Pflicht zur (vollständigen) Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1\nSatz 1 VwGO verletzt, dringen die Kläger ebenfalls nicht durch.\n\n7\n\n \n\nFür die Rüge eines Aufklärungsmangels ist die substantiierte Darlegung\nerforderlich, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen\nAuffassung des Verwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für\nerforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht\nkamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen\nworden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen\nAuffassung des Verwaltungsgerichts zu einer für die Kläger günstigeren\nEntscheidung hätten führen können. Weiterhin muss dargelegt werden, dass\nbereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der\nmündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren\nUnterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem\nGericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten\naufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um\nVersäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der ersten Instanz, vor allem das\nUnterlassen der Stellung von Beweisanträgen zu kompensieren (OVG Schleswig,\nBeschluss vom 11. Juli 2018 – 2 LA 95/16 –, juris Rn. 8; vgl. ferner – die\nNichtzulassungsbeschwerde betreffend – BVerwG, Beschluss vom 30. April 2019 –\n2 B 59.18 –, juris Rn. 12).\n\n8\n\n \n\nNach Auffassung der Kläger hat eine „Prüfung der Vorgaben, die in dem\neinstweiligen Anordnungsverfahren 1 B 79/14 … aufgegeben worden sind“ nicht\nstattgefunden. Es habe geklärt werden sollen, inwieweit die familiäre\nLebensgemeinschaft der Kläger mit ihren Kindern auch in Marokko möglich wäre.\nDieser Vorwurf ist schon deshalb nicht berechtigt, weil sich das angefochtene\nUrteil ausführlich damit beschäftigt, ob die Kläger zusammen mit ihren Kindern\ndie erforderlichen Ausweispapiere und sonstigen Berechtigungen für eine\nEinreise und einen gemeinsamen Aufenthalt der ganzen Familie in Marokko\nerhalten können und ob die Bemühungen um eine Ausreise wegen der bei einzelnen\nFamilienmitgliedern bestehenden Erkrankungen oder im Hinblick auf die Rechte\nder in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder unzumutbar sind.\nAbgesehen davon bezeichnen die Kläger auch keine Aufklärungsmaßnahme, die das\nVerwaltungsgericht noch hätte vornehmen sollen.\n\n9\n\n \n\nDie Kläger heben ferner darauf ab, dass nicht aufgeklärt worden sei, welche\nAufforderungen ihnen die Ausländerbehörde zu den erforderlichen Bemühungen um\neine Ausreise erteilt habe. Auch dies trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu.\nIm Tatbestand des angefochtenen Urteils werden zwei Vorführungen des Klägers\nzu 2. bei der irakischen Botschaft erwähnt (2006 und 2014). Im Übrigen legen\ndie Kläger nicht dar, inwieweit dieser Punkt aus der Sicht des\nVerwaltungsgerichts streitentscheidend gewesen ist.Dass allein die Kläger der\nAnsicht sind, sich erst nach einer behördlichen Aufforderung um die Ausreise\nbemühen zu müssen, begründet nicht den Vorwurf einer unzureichenden\nSachaufklärung. Die Frage, ob das erstinstanzliche Verfahren an einem Mangel\nleidet, ist vom materiellrechtlichen Standpunkt des Verwaltungsgerichts aus zu\nbeurteilen, selbst wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (Senat,\nBeschluss vom 2. Mai 2019 – 4 LA 128/17 –, juris Rn. 22; vgl. ferner – zur\nRevisionszulassung – BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2015 – 9 B 12.15 –, juris\nRn. 10).\n\n10\n\n \n\nLetztlich scheitert die Aufklärungsrüge auch daran, dass die Kläger zu den\nvorstehenden Punkten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht\nkeine Beweisanträge gestellt haben.\n\n11\n\n \n\nc) Das rechtliche Gehör ist nicht verletzt.\n\n12\n\n \n\naa) Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht den Antrag der Kläger nicht als\n„reine“ Bescheidungsklage, sondern als Bescheidungsklage im Sinne von § 113\nAbs. 5 Satz 2 VwGO ausgelegt hat, stellt keine Überraschungsentscheidung dar.\nAus dem Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs folgt keine allgemeine Frage-\nund Aufklärungspflicht. Insbesondere muss das Gericht die Beteiligten\ngrundsätzlich nicht vorab auf die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs\nhinweisen. Nur wenn es an den Vortrag eines Beteiligten Anforderungen stellt,\nmit denen auch ein verständiger Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen\nVerlaufs des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte, ist es zur Vermeidung einer\nÜberraschungsentscheidung gehalten, einen entsprechenden Hinweis zu geben\n(BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2015 – 5 P 6/14 –, juris Rn. 20). Die\nAuslegung des Klagebegehrens durch das Verwaltungsgericht entspricht – wie\nausgeführt – den anerkannten Grundsätzen des Verwaltungsprozesses. Dies war\nfür die anwaltlich vertretenen Kläger vorhersehbar. Die Bewilligung von\nProzesskostenhilfe ändert daran nichts.\n\n13\n\n \n\nbb) Das rechtliche Gehör ist auch nicht dadurch verletzt worden, dass das\nVerwaltungsgericht die Erkenntnismittelliste erst in der mündlichen\nVerhandlung eingeführt hat.\n\n14\n\n \n\nDas Gebot rechtlichen Gehörs verlangt, dass das Urteil nur auf Tatsachen und\nBeweisergebnisse gestützt wird, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten\n(Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Die Verwertung von Tatsachen und\nBeweisergebnissen setzt deshalb voraus, dass diese von den\nVerfahrensbeteiligten oder vom Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand\nder mündlichen Verhandlung gemacht oder sonst in das Verfahren eingeführt\nworden sind, und dass sich die Beteiligten hierzu äußern konnten. Es liegt\njedoch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wenn ein Beteiligter es\nunterlässt, Gebrauch von den ihm verfahrensrechtlich gebotenen Möglichkeiten\nzu machen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Für den Fall, dass eine\nmündliche Verhandlung stattfindet, begründet der Anspruch auf rechtliches\nGehör vor allem das Recht des Beteiligten auf Äußerung in dieser Verhandlung.\nInwieweit diese Gelegenheit wahrgenommen wird, ist Sache des Beteiligten.\nDurch seine prozessuale Mitverantwortung wird der Anspruch auf rechtliches\nGehör begrenzt (OVG Münster, Beschluss vom 6. Februar 2019 – 4 A 939/17 –,\njuris Rn. 4 ff. m.w.N.; OVG Saarlouis, Beschluss vom 15. Januar 2001 – 9 Q\n207/00 –, juris Rn. 4).\n\n15\n\n \n\nDie Möglichkeit, sich über die Erkenntnismittel zu unterrichten, hätte den\nKlägern in der mündlichen Verhandlung offen gestanden. Ausweislich des\nVerhandlungsprotokolls ist die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten\nausführlich erörtert worden. Bei dieser Gelegenheit haben die Kläger aber –\nsoweit ersichtlich – keine Einsicht in die dort eingeführten Erkenntnisquellen\nverlangt und – bei eventuell sich ergebender Erforderlichkeit einer\neingehenderen und zeitaufwendigeren Prüfung der entsprechenden Unterlagen –\neine Vertagung beantragt, sondern am Schluss der Verhandlung den Klageantrag\ngestellt. Deswegen ist davon auszugehen, dass die Kläger es versäumt haben,\nsich in der mündlichen Verhandlung das von ihnen nunmehr vermisste rechtliche\nGehör zu verschaffen.\n\n16\n\n \n\nAbgesehen davon erfordert eine Gehörsrüge regelmäßig die substantiierte\nDarlegung dessen, was der Prozessbeteiligte bei ausreichender Gehörsgewährung\nnoch vorgetragen hätte und inwiefern dieser weitere Vortrag zur Klärung des\ngeltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (BVerwG, Beschluss vom 31.\nAugust 2016 – 4 B 36/16 –, juris Rn. 3). Auch hieran fehlt es.\n\n17\n\n \n\ncc) Die Kläger mussten davon ausgehen, dass das Verwaltungsgericht die\nVoraussetzungen von § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG prüfen würde. Deshalb bedurfte\nes keinen gesonderten gerichtlichen Hinweises etwa dazu, dass das Verhalten\ndes Klägers zu 2. in der irakischen Botschaft im Jahr 2014 für die\ngerichtliche Entscheidung von Bedeutung sein konnte, und auch keines Hinweises\nauf die einschlägigen Fundstellen in der Ausländerakte. Abgesehen davon\nbestreitet der Kläger auch jetzt nicht, dass er bei jener Gelegenheit einen\nReisepass nicht beantragen wollte.\n\n18\n\n \n\n2\\. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§\n124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).\n\n19\n\n \n\nDie Kläger sind der Auffassung, ihnen könne ein Verstoß gegen ihre\nMitwirkungspflichten im Rahmen von § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG nur vorgehalten\nwerden, wenn sie zur konkreten und bestimmten Mitwirkung unter Belehrung über\ndie Folgen einer Mitwirkungspflichtverletzung aufgefordert worden seien. Dem\nist nicht zu folgen; die von den Klägern zitierte Literaturstelle betrifft\nauch nicht diese Norm, sondern § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG(Fränkel, in:\nHofmann, AufenthG, 2. Auflage 2016, § 25 Rn. 30). Nach zutreffender Auffassung\ndes Verwaltungsgerichts hat ein ausreisepflichtiger Ausländer alle zur\nErfüllung der Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen zur Klärung seine\nIdentität und zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers\neinschließlich der Beschaffung von Dokumenten grundsätzlich auch ohne\nbesondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde einzuleiten (sog.\nInitiativpflicht, vgl. VGH München, Beschluss vom 8. Januar 2018 – 19 C 16.670\n–, juris Rn. 8; OVG Lüneburg, Urteil vom 11. Juli 2014 – 13 LB 153/13 –, juris\nRn. 53; OVG Greifswald, Urteil vom 24. Juni 2014 – 2 L 192/10 –, juris Rn. 33;\nOVG Magdeburg, Beschluss vom 23. Juni 2014 – 2 L 32/13 –, juris Rn. 16;OVG\nMünster, Beschluss vom 18. Juli 2011 – 17 A 175/11 –, juris Rn. 7; VGH\nMannheim, Urteil vom 22. Juli 2009 – 11 S 1622/07 –, juris Rn. 87).\n\n20\n\n \n\nSoweit die Kläger die ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aus\nVerfahrensfehlern herleiten, wird auf die vorstehenden Ausführungen zur\nVerfahrensrüge Bezug genommen.\n\n21\n\n \n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.\n\n22\n\n \n\nDie Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.\n\n23\n\n \n\nDas Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4\nVwGO).\n\n24\n\n \n\nDieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66\nAbs. 3 Satz 3 GKG).\n\n \n\n \n\n
321,835
vg-schleswig-holsteinisches-2019-08-22-1-b-6619
1,071
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht
vg-schleswig-holsteinisches
Schleswig-Holsteinisches
Schleswig-Holstein
Verwaltungsgerichtsbarkeit
1 B 66/19
2019-08-22
2019-08-27 10:00:54
2020-12-10 13:26:11
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2019:0822.1B66.19.00
#### Tenor\n\n \n\nDer Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.\n\n \n\nDie Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.\n\n \n\nDer Streitwert wird auf 5.000, -- € festgesetzt.\n\n \n\n#### Gründe\n\n1\n\n \n\nDer Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.\n\n2\n\n \n\nDas Rechtsschutzbegehren ist als Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung\nder aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die tierschutzrechtliche\nVerfügung des Antragsgegners vom 1. Juli 2019 mit den darin enthaltenen\nZwangsgeldandrohungen nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.\n\n3\n\n \n\nDer Antragsgegner ordnete die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung vom\n1. Juli 2019 nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO mit den Anordnungen zu Ziff. 1-6\nan. Insoweit ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung\ndes Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 S. 1 2. Alt. VwGO statthaft. Hinsichtlich\nder darüber hinaus in dem Bescheid enthaltenen Zwangsgeldandrohungen für den\nFall der Nichtbefolgung der zuvor genannten Anordnungen ist der Antrag auf\nAnordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 1. Alt. VwGO\nstatthaft, da einem Widerspruch gegen diese Vollzugsmaßnahme bereits von\nGesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. § 248 Abs. 1 S. 2\nLVwG, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO).\n\n4\n\n \n\nDer Antrag ist jedoch unbegründet.\n\n5\n\n \n\nNach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann durch das Gericht die aufschiebende Wirkung im\nFalle des Absatzes 2 S. 1 Nr. 4, also insbesondere in Fällen, in denen die\nsofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse von der\nBehörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu\nentscheiden hat, besonders angeordnet wurde, ganz oder teilweise\nwiederhergestellt werden. In den Fällen (unter anderem) des § 80 Abs. 2 S. 1\nNr. 3 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz\noder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der\nGrundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind\ndas private Aufschubinteresse einerseits und das öffentliche Interesse an der\nsofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen der\nInteressenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die\nRechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes Bedeutung erlangen. Lässt sich bei der\ngebotenen summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen\nBescheides ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die\naufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen bzw. anzuordnen,\nweil an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen\nBescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich der\nangefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, bedarf es in den Fällen,\nin denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde\nim Einzelfall angeordnet wurde, noch eines besonderen Interesses an der\nsofortigen Vollziehung, das mit dem Interesse am Erlass eines Verwaltungsaktes\nin der Regel nicht identisch ist, sondern vielmehr ein qualitativ anderes\nInteresse ist. Insbesondere in Fällen der Gefahrenabwehr kann dieses besondere\nVollzugsinteresse aber mit dem Interesse am Erlass des Bescheides selbst\nidentisch sein. Lässt sich die Rechtmäßigkeit bei summarischer Prüfung nicht\neindeutig beurteilen, bedarf es schließlich einer allgemeinen\nInteressenabwägung im Sinne einer Folgenabwägung. Dabei sind die Folgen\ngegenüberzustellen, die einerseits eintreten, wenn dem Antrag stattgegeben\nwird, die Bescheide sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig\nerweisen bzw. die andererseits eintreten, wenn der Antrag abgelehnt wird, die\nBescheide sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen\n(Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 06. August 1991 - 4 M 109/91 -, zitiert nach\nJuris).\n\n6\n\n \n\nGemessen an diesen Maßstäben ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen\nRechtsschutzes hinsichtlich Anordnungen der Ordnungsverfügung vom 1. Juli\n2019, soweit diese die Antragstellerin betrifft, und der darauf beruhenden\nZwangsgeldandrohung unbegründet.\n\n7\n\n \n\nDie Anordnung der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung\ngem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.\nSie entspricht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach das\nbesondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts in den\nFällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich zu begründen ist.\nErforderlich ist dabei eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung\ndes besonderen öffentlichen Interesses daran, dass ausnahmsweise die sofortige\nVollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche\nInteresse das Interesse des Betroffenen, zunächst nicht von den Wirkungen des\nangegriffenen Verwaltungsaktes betroffen zu werden, zurückzutreten hat. Der\nAntragsgegner hat den Regelungen in Ziff. 1-6 deshalb eine sofortige\nVollziehbarkeit beimessen wollen, weil die Regelungen im Interesse der\nVermeidung von Schmerzen und Schäden der Hunde sofort bzw. kurzfristig\numgesetzt werden sollten, weshalb die Einzelanordnungen nach dem Inhalt des\nBescheides auch "unverzüglich" bzw. innerhalb einer kurzen Frist befolgt\nwerden sollen. Ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung wäre das dem\nBescheid selbst zu Grunde liegende und in der Begründung zum Ausdruck kommende\nZiel, kurzfristig ein mögliches Leiden der Tiere zu verhindern, nicht zu\nerreichen. Der Antragsgegner stellt dabei ausdrücklich auf die Zeit eines\nmöglichen Rechtsbehelfsverfahrens ab und begründet insgesamt hinreichend die\nbesondere Dringlichkeit der angeordneten Maßnahmen.\n\n8\n\n \n\nDas vom Antragsgegner dargelegte besondere Interesse an der sofortigen\nVollziehung überzeugt auch inhaltlich, die sofortige Vollziehung ist\nnotwendig, um den Tieren auch für die Zeit eines möglichen\nRechtsbehelfsverfahrens mögliche Leiden zu ersparen. An der Verhinderung\nvermeidbarer Leiden der Tiere für diese Zeit besteht ein besonderes\nöffentliches Interesse, das über das allgemeine öffentliche Interesse an der\nDurchsetzung tierschutzrechtlicher Verfügungen hinausgeht.\n\n9\n\n \n\nDer Bescheid vom 1. Juli 2019 ist in Ziffer 1-4 und 6 der getroffenen\nAnordnungen offensichtlich rechtmäßig. Hinsichtlich der Anordnung in Ziffer 5,\neinen Elektrodraht über dem Zugangstor zum Zwinger unverzüglich zu entfernen,\nkann zwar noch nicht abschließend die Rechtmäßigkeit beurteilt werden, eine\ndarüberhinausgehende Interessenabwägung führt jedoch dazu, dass auch insoweit\ndas Interesse an der Durchsetzung der Anordnung höher zu gewichten ist als das\nInteresse an einer Aussetzung der Vollziehung.\n\n10\n\n \n\nRechtsgrundlagen für die getroffenen Anordnungen in Ziffer 1-6 sind § 16a Abs.\n1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 TierSchG. Nach § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG trifft\ndie zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur\nVerhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Nach § 16a Abs. 1 Satz 2\nNr. 1 TierSchG kann sie insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der\nAnforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen. Nach § 2 Nr.\n1 TierSchG muss, wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, dieses\nseiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen\nund verhaltensgerecht unterbringen. Er darf die Möglichkeit des Tieres zu\nartgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare\nLeiden oder Schäden zugefügt werden (§ 2 Nr. 2 TierSchG). Er muss über die für\neine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des\nTieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen (§ 2 Nr. 3\nTierSchG). Nach § 2a Abs. 1 TierSchG ist das Bundesministerium für Ernährung\nund Landwirtschaft ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des\nBundesrates, soweit es zum Schutz der Tiere erforderlich ist, die\nAnforderungen an die Haltung von Tieren nach § 2 näher zu bestimmen und dabei\ninsbesondere Vorschriften über näher bestimmte Anforderungen zu erlassen. Dies\nist durch die Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV) geschehen.\n\n11\n\n \n\nBei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der tierschutzrechtlichen Anordnungen\nin dem Bescheid vom 1. Juli 2019 ist vor allem zu berücksichtigen, dass bei\nder Beantwortung der Frage, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG erfüllt\nsind, den verbeamteten Tierärzten vom Gesetz eine vorrangige\nBeurteilungskompetenz eingeräumt ist. Hierdurch wird die bestehende\nRechtsschutzgarantie nicht beeinträchtigt. Denn das Gericht überprüft, ob sich\ndie Beurteilungen der zuständigen Amtstierärzte innerhalb der rechtlichen\nVorgaben bewegen und unter Berücksichtigung der Angaben des Antragstellers\nfachlich vertretbar sind. Die Einschätzung des zugezogenen beamteten\nTierarztes wird vom Gesetz in § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG im Regelfall als\nmaßgeblich angesehen. Als gesetzlich vorgesehene Sachverständige sind die\nAmtstierärzte für Aufgaben wie diese eigens bestellt (vgl. § 15 Abs. 2\nTierSchG). In einem exakten Nachweisen nur begrenzt zugänglichen Bereich\neinzelfallbezogener Wertungen kommt ihrer fachlichen Beurteilung daher\nbesonderes Gewicht zu (siehe BVerwG, Beschluss vom 2. April 2014 – 3 B 62/13\n–, juris Rn. 10; OVG Lüneburg, Urteil vom 20. April 2016 – 11 LB 29/15 –,\njuris Rn. 39; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Juni 2013 – OVG 5 S\n27.12 -, juris Rn. 4 m.w.N.; VGH München, Urteil vom 30. Januar 2008 – 9 B\n05.3146 –, juris Rn. 29). Die vorgenommenen amtstierärztlichen Wertungen und\ndie ihnen zugrundeliegenden Feststellungen können nicht durch schlichtes\nBestreiten entkräftet werden (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni\n2010 – OVG 5 S 10.10 –, juris Rn. 9). Diese Maßstäbe gelten auch für die\nBeurteilung tierschutzrechtlicher Anordnungen gem. § 16a Abs. 1 Satz 1 und 2\nNr. 1 TierSchG, soweit sie – wie im vorliegenden Fall – auf einer\namtstierärztlichen Stellungnahme bzw. Beurteilung beruhen.\n\n12\n\n \n\nVorliegend hat die begutachtende Amtstierärztin die vom Antragsgegner\nfestgesetzten Anordnungen zur Einhaltung tierschutzgerechter Zustände\nempfohlen.\n\n13\n\n \n\nDie Anordnung zu Ziff. 1 der Ordnungsverfügung vom 1. Juli 2019, alle Hunde\ngrundsätzlich in der Gruppe zu halten und bei gut begründeter und\nunumgänglicher Einzelhaltung mindestens Sichtkontakt zu anderen Hunden zu\ngewähren, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Ziel dieser Anordnung ist es,\ndie Einhaltung der Pflicht zur verhaltensgerechten Unterbringung nach § 2 Nr.\n1 TierSchG sicherzustellen. § 2 Abs. 2 TierSchHuV konkretisiert diese Pflicht\nmit der Bestimmung, dass, wer mehrere Hunde auf demselben Grundstück hält, sie\ngrundsätzlich in der Gruppe zu halten hat, sofern andere Rechtsvorschriften\ndem nicht entgegenstehen. Von der Gruppenhaltung kann abgesehen werden, wenn\ndies wegen der Art der Verwendung, dem Verhalten oder dem Gesundheitszustand\ndes Hundes erforderlich ist. Der Antragsgegner hat bei unumgänglicher\nEinzelhaltung angeordnet, dass dann mindestens Sichtkontakt zu anderen Hunden\nzu gewähren ist. Dies entspricht bei einer notwendigen Einzelhaltung in einer\nGruppenumgebung dem Gemeinschaftsbedürfnis des Hundes. Gemäß § 6 Abs. 5\nTierSchHuV sollen Zwinger so angeordnet sein, dass die Hunde Sichtkontakt zu\nanderen Hunden haben, wenn mehrere Hunde auf dem Grundstück einzeln in\nZwingern gehalten werden müssen. Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 4 und 5 TierSchHuV muss\nmindestens eine Seite eines Zwingers dem Hund freie Sicht nach außen\nermöglichen und der freie Blick aus dem Gebäude heraus gewährleistet sein,\nwenn sich der Zwinger in einem Gebäude befindet.\n\n14\n\n \n\nDie Anordnung zu Ziff. 2 der Ordnungsverfügung vom 1. Juli 2019, allen Hunden\nbis zum 1. September 2019 eine wärmegedämmte Schutzhütte zur Verfügung zu\nstellen, die sie mit ihrer Körperwärme warmhalten können, wobei dies für die\nHaltung im Innen- und Außenzwinger gelten soll, begegnet ebenfalls keinen\nrechtlichen Bedenken. Diese festgesetzten Anforderungen ergeben sich zunächst\naus § 4 Abs. 2 TierSchHuV für die Haltung im Außenzwinger, wonach die\nvorgeschriebene Schutzhütte aus wärmedämmendem und gesundheitsunschädlichem\nMaterial hergestellt und so beschaffen sein muss, dass sich der Hund daran\nnicht verletzen und trocken liegen kann. Sie muss so bemessen sein, dass der\nHund 1. sich darin verhaltensgerecht bewegen und hinlegen kann und 2. den\nInnenraum mit seiner Körperwärme warmhalten kann, sofern die Schutzhütte nicht\nbeheizbar ist. In nicht beheizbaren Räumen fordert § 5 Abs. 3 Nr. 1 TierSchHuV\neine Schutzhütte im Sinne von § 4 Abs. 2.\n\n15\n\n \n\nDie Anordnung ist auch geeignet und erforderlich, um tierschutzgerechte\nZustände zu gewährleisten. Soweit vorgetragen wird, dass den gehaltenen Hunden\neine Schutzhütte zur Verfügung steht, konnte dies bei der Ortsbesichtigung\nzwar bei einem Berner Sennenhund im Bereich des ehemaligen Pferdestalles\nfestgestellt werden, nach der nachvollziehbaren Einschätzung der\nAmtstierärztin ist diese Hütte, von der es zusammen mit dem davor befindlichen\nHund eine Fotoaufnahme gibt, jedoch so groß, dass der Hund sie vermutlich mit\nseiner Körperwärme nicht warmhalten kann. Aus dem ehemaligen Pferdestall drang\nauch noch das Gebell weiterer Hunde, die nicht näher begutachtet werden\nkonnten. Im Bereich des Zwingers links des Hoftores mit einem teils\nüberdachten Bereich – dort wurde ein Berner Sennenhund und ein Landseer\nvorgefunden – konnte nicht festgestellt werden, dass eine Schutzhütte\nvorhanden war. Weiteres Gebell war aus dem Stall am Wohnhaus zu hören, dort\nkonnte in einem hinteren Zwinger ein Landseer vorgefunden werden. Weiteres\nGebell war aus einer anderen Ecke des Hofes zu hören.\n\n16\n\n \n\nAuch die in Ziffer 3 der Ordnungsverfügung getroffene Anordnung, die\nLichteinfallsfläche des Stalles am Wohnhaus bis zum 10. Juli 2019 zu\nvergrößern, um den Lichteinfall zu erhöhen, sofern sie nicht mindestens 24,75\nm² beträgt, ist rechtmäßig. Gemäß § 5 Abs. 1 TierSchHuV darf ein Hund nur in\nRäumen gehalten werden, bei denen der Einfall von natürlichem Tageslicht\nsichergestellt ist. Die Fläche der Öffnungen für das Tageslicht bei der\nHaltung in Räumen, die nach ihrer Zweckbestimmung nicht dem Aufenthalt von\nMenschen dienen, muss grundsätzlich mindestens 1/8 der Bodenfläche betragen.\nBei einer früheren Ortsbesichtigung ist eine Grundfläche des Stalles von 198\nm² ermittelt worden. Dies bedeutet, dass bei einer Haltung in diesem Gebäude\ndie Lichteinfallsfläche 24,75 m² betragen muss. Es lässt sich nicht erkennen,\ndass die Fläche nicht richtig berechnet worden ist. Nach den Feststellungen\ndes bestandskräftig gewordenen Bescheides vom 17. Juni 2016 betrug die\nLichteinfallsfläche damals insgesamt 7,22 m². Die Fläche des Stalles betrage –\nso die Feststellungen des Bescheides – 198 m². Damals ist bereits eine\nVergrößerung der Lichteinfallsfläche des Stalles am Wohnhaus angeordnet\nworden, ohne dass allerdings eine bestimmte Lichteinfallsfläche genannt worden\nwar. Es versteht sich von selbst, dass auf Grundlage der Ordnungsverfügung die\nLichteinfallsfläche dann nicht vergrößert werden muss, wenn dort keine\nHundehaltung mehr stattfinden sollte.\n\n17\n\n \n\nDie Anordnung in Ziff. 4 der Ordnungsverfügung vom 1. Juli 2019, den Hunden\nunverzüglich den freien Blick vom Hofplatz und aus den Gebäuden heraus zu\ngewähren, entspricht den Anforderungen des § 6 Abs. 3 Satz 4 und 5 TierSchHuV,\nwonach mindestens eine Seite eines Zwingers dem Hund freie Sicht nach außen\nermöglichen und für den Hund der freie Blick aus dem Gebäude heraus\ngewährleistet sein muss, wenn sich der Zwinger in einem Gebäude befindet. Auch\nder Hofplatz ist insoweit als Zwinger anzusehen, er war vollständig\neingefriedet und erlaubte für die Hunde nach den Feststellungen der\nAmtsveterinärin keine freie Sicht nach außen. Der freie Blick aus dem Gebäude\nist auch im Pferdestall und dem Stall am Wohnhaus für die dort untergebrachten\nHunde nicht möglich gewesen.\n\n18\n\n \n\nDie Anordnung in Ziff. 6 der Ordnungsverfügung, den Aufenthaltsbereich der\nHunde sauber zu halten und Kot täglich entsorgen, entspricht fast wörtlich § 8\nAbs. 2 Nr. 4 TierSchHuV. Es bestand auch Anlass zum Erlass dieser Anordnung,\nselbst wenn man davon ausgeht, dass es sich bei den Haufen im rechten Abteil\nim ehemaligen Pferdestall um Pellets handelte. So fanden sich dort mehrere\nfeuchte Stellen und auf Grundlage dieses Vortrages dann auch feuchte, mit Urin\ndurchtränkte Pellets. Diese durchtränkten Pellets stellen selbst eine\nVerschmutzung des Aufenthaltsbereiches dar. Zudem roch es an der rückwärtigen\nWand des Pferdestalles stark nach Exkrementen, woraus die Amtstierärztin den\nnachvollziehbaren Schluss gezogen hat, dass Kot offenbar dort nicht täglich\nentfernt wird.\n\n19\n\n \n\nAuch die Anordnung zu Ziffer 5 der Ordnungsverfügung, den Elektrodraht über\ndem Zugangstor zum Zwinger auf dem Hofplatz unverzüglich zu entfernen, könnte\nrechtmäßig sein, denn nach § 6 Abs. 4 TierSchHuV dürfen in einem Zwinger bis\nzu einer Höhe, die der aufgerichtete Hund mit den Vorderpfoten erreichen kann,\nkeine stromführenden Vorrichtungen, mit denen der Hund in Berührung kommen\nkann, vorhanden sein. Es ist zwischen den Beteiligten streitig, ob es sich bei\ndem bei der Ortsbesichtigung vorgefundenen Teil um einen möglicherweise\nstromführenden Elektrodraht oder nur ein Seil handelt. Auf den vorhandenen\nFotoaufnahmen ist dies nicht eindeutig erkennbar, allerdings wurde auch schon\nbei der Kontrolle im Jahre 2016 ein Elektrodraht über dem Zugangstor zu dem\nZwinger auf dem Hofplatz festgestellt, der allerdings nicht in Benutzung war.\nDies könnte dafür sprechen, dass dort eine Elektrodraht immer noch vorhanden\nist. Es ist allerdings auch nicht auszuschließen, dass es sich nicht um einen\nmöglicherweise stromführenden Elektrodraht, sondern einen anderen Gegenstand\nhandelt.\n\n20\n\n \n\nLässt sich nach summarischer Prüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit\nnoch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Verfügung in Ziff. 5\nfeststellen, so ist im Wege der weiteren Abwägung der widerstreitenden\nInteressen der Beteiligten danach zu fragen, ob die bei einer denkbaren\nVerwendung eines Elektrodrahtes zu befürchtenden Gefahren für die Hunde für\nden Fall, dass sich im Hauptsacheverfahren die für die Verfügung in diesem\nPunkt tragenden tatsächlichen Umstände und deren Bewertung endgültig als\nzutreffend erweisen, schwerer wiegen als die Belastungen, die die\nAntragstellerin durch die für sofort vollziehbar erklärten Beschränkungen für\nden Fall erlitte, dass sie in dem Hauptsacheverfahren erfolgreich wäre. Bei\ndieser weitergehenden Abwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der\nsofortigen Vollziehung das Aufschubinteresse. Die Beseitigung des\nElektrodrahtes würde eine mögliche Gefahrenquelle für die Gesundheit der Hunde\nbeseitigen. Sollte dort gar kein Draht, sondern nur ein Seil vorhanden sein,\nwäre die Antragstellerin auch nicht verpflichtet, ein nicht stromführendes\nSeil zu entfernen. Sollte tatsächlich ein Elektrodraht sich dort befinden,\nwäre die Beseitigung nicht mit unverhältnismäßigen Belastungen verbunden. Bei\nder Abwägung überwiegt daher das Interesse an der Beseitigung einer jedenfalls\ndenkbaren Gefahr für die Gesundheit der Hunde.\n\n21\n\n \n\nDie Anordnungen in dem Bescheid vom 1. Juli 2019 sind insgesamt notwendig und\nverhältnismäßig. Für Anordnungen nach § 16a Satz 2 Nr. 1 TierSchG besteht –\nwie sich aus Abs. 1 Satz 1 ergibt – kein Entschließungsermessen (bei der\nFeststellung von Verstößen muss die Behörde somit einschreiten), jedoch\nbesteht ein Auswahlermessen („wie“ des Einschreitens) hinsichtlich des\nHandlungsmittels. Die Wahl des Handlungsmittels wird durch den Grundsatz der\nVerhältnismäßigkeit geleitet und beschränkt. In der Begründung des\nVerwaltungsakts muss zum Ausdruck kommen, dass die Behörde ihren\nErmessensspielraum erkannt und genutzt hat. Das Ermessen ist seitens des\nGerichts nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar (§ 114 Satz 1\nVwGO). Notwendige Anordnungen im Sinne des § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG sind\ndiejenigen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d.h. sie\nmüssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein\n(Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl., 2016, § 16a TierSchG, Rn.\n6). Im vorliegenden Fall sind die Anordnungen unter den Ziff. 1-6 der\nOrdnungsverfügung notwendig im oben genannten Sinne. Sie sind geeignet,\nerforderlich und auch verhältnismäßig im engeren Sinne, um tierschutzkonforme\nZustände in der Tierhaltung auf dem Grundstück herzustellen. Insbesondere ist\nauch kein milderes Mittel zur Erreichung der Einhaltung der\ntierschutzrechtlichen Bestimmungen erkennbar.\n\n22\n\n \n\nDie Ordnungsverfügung vom 1. Juli 2019 konnte gegenüber beiden Hundehaltern\nergehen. Die Antragstellerin und ihr unmittelbar auf dem Grundstück wohnender\nNachbar halten die Hunde gemeinsam, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen.\nSie sind verantwortliche Tierhalter, jedenfalls aber als Betreuer der Tiere\nfür die Tierhaltung insgesamt verantwortlich, so dass gegen sie die\nAnordnungen nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Tierschutzgesetz (TierSchG)\nerlassen werden konnten. Im Rahmen der §§ 2, 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG\ngeht es darum, wer für die tierschutzwidrigen Verhältnisse verantwortlich ist\n(VG Magdeburg, Urteil vom 4. Juli 2016 – 1 A 1198/14 –, juris Rn. 43). Es\nkommt auf die tatsächliche oder rechtliche Übernahme der Verantwortung für das\nTier an (vgl. VGH München, Beschluss vom 27. Juni 2006 – 25 ZB 05.1507 –,\njuris Rn. 2). Die Anforderungen des § 2 TierSchG sind als dauerhafte\nHandlungspflichten des Tierhalters bzw. Tierbetreuers ausgestaltet, setzen in\nder Regel besondere Kenntnisse und Fähigkeiten (vgl. § 2 Nr. 3 TierSchG) sowie\nVorkehrungen zur verhaltensgerechten Unterbringung voraus und sind ihrer Art\nnach nicht auf einen anderen übertragbar, ohne dass dieser selbst damit\nfaktisch die Stellung eines Tierhalters oder Tierbetreuers übernehmen müsste\n(OVG Schleswig, Urteil vom 28. Januar 2016 – 4 LB 46/14 –, juris Rn. 38).\n\n23\n\n \n\nGemessen an diesen Grundsätzen sind vorliegend beide Personen Tierhalter und\nTierbetreuer. Beide haben Einwirkungsmöglichkeit auf die Tiere. Es ist weder\nvorgetragen noch ersichtlich, dass eine Person von der Tierhaltung vollständig\nausgeschlossen wird, so dass ihm oder ihr keine Einwirkungsmöglichkeit auf die\nTiere zukäme. Die Verhaltenspflichten des § 2 TierSchG richten sich an\nTierhalter und Tierbetreuer und knüpfen nicht an das Eigentum an.\n\n24\n\n \n\nDie Zwangsgeldandrohung beruht auf §§ 228, 229 Abs. 1 Nr. 2, 235 Abs. 1 Nr. 1,\n236, 237 LVwG. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes unterliegt keinen\nrechtlichen Bedenken.\n\n25\n\n \n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur\nStreitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs.2, 53 Abs. 2 und 52 Abs. 2 GKG.\n\n \n\n \n\n
323,384
vg-trier-2019-09-19-7-k-258619tr
920
Verwaltungsgericht Trier
vg-trier
Trier
Rheinland-Pfalz
Verwaltungsgerichtsbarkeit
7 K 2586/19.TR
2019-09-19
2019-11-01 11:00:48
2020-12-10 13:27:34
Urteil
ECLI:DE:VGTRIER:2019:0919.7K2586.19.TR.00
#### Tenor\n\n \n\nDer Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2019 wird aufgehoben.\n\n \n\nDie Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht\nerhoben.\n\n \n\nDas Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird\nnachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110\nProzent des vollstreckungsfähigen Betrages abzuwenden, soweit nicht der Kläger\nvor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu\nvollstreckenden Betrages leistet.\n\n#### Tatbestand\n\n1\n\n \n\nDer Kläger ist armenischer Staatsbürger und wendet sich gegen die Ablehnung\nseines Asylantrags als unzulässig sowie gegen die von der Beklagten\nangeordnete Abschiebung nach Frankreich im Rahmen des sog. „Dublin-\nVerfahrens“.\n\n2\n\n \n\nMit Entscheidung vom 20. Februar 2019 erteilte das französische Konsulat in\nJerewan (Armenien) dem Kläger ein Schengen-Visum mit Gültigkeit vom 28.\nFebruar 2019 bis zum 26. März 2019 (Bl. 18 ff. der Asylakte). Mithilfe des\nVisums reiste der Kläger zu einem ihm angeblich nicht bekannten Zeitpunkt und\nüber ihm angeblich nicht bekannte Länder in die Bundesrepublik Deutschland\nein. Dort äußerte er am 8. März 2019 ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für\nMigration und Flüchtlinge – Bundesamt – am 11. März 2019 schriftlich Kenntnis\nerlangte. Am 14. März 2019 stellte er einen förmlichen Asylantrag, der nicht\nauf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkt wurde. Am selben Tag\ngab er gegenüber dem Bundesamt schriftlich an, mit einer Aufrechterhaltung\nbzw. Wiederherstellung der Familieneinheit einverstanden zu sein (Bl. 26 ff.\nder Asylakte).\n\n3\n\n \n\nIm Rahmen seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt vom 22. März 2019 zur\nZulässigkeit seines Asylantrags gab der Kläger im Wesentlichen an, er wisse\nnicht, ob ein Visum für ihn beantragt worden sei, da sich der Schleuser um\nalles gekümmert habe. Er wolle in Deutschland bleiben, weil es sich hierbei um\nein sicheres Land handele und seine Ehefrau sowie die drei gemeinsamen Kinder\nhier lebten.\n\n4\n\n \n\nZuvor hatte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Mai 2017 (Az.: ...) die\nAsylanträge der Ehefrau und der Kinder des Klägers abgelehnt und die\nAbschiebung nach Armenien angedroht. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom\nerkennenden Gericht mit Urteil vom 6. März 2019 – 11 K 7076/17.TR –\nabgewiesen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist derzeit beim\nOberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz anhängig (Az.: 6 A 10541/19.OVG)\n\n5\n\n \n\nDie Beklagte richtete am 26. März 2019 ein Aufnahmegesuch an die französischen\nBehörden (Bl. 118 ff. der Asylakte), das diese mit Schreiben vom 23. Mai 2019\nannahmen (Bl. 139 f. der Asylakte).\n\n6\n\n \n\nMit Bescheid vom 24. Mai 2019, zugestellt am 31. Mai 2019 (Bl. 176 der\nAsylakte), lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab\n(Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs.\n7 S. 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – nicht vorliegen (Ziffer 2.) und ordnete\ndie Abschiebung des Klägers nach Frankreich an (Ziffer 3.). Schließlich\nbefristete sie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs.\n1 AufenthG auf neun Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.).\n\n7\n\n \n\nHiergegen hat der Kläger am 31. Mai 2019 Klage erhoben, ohne gleichzeitig\neinen Eilrechtsschutzantrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO\n– zu stellen. Am 13. August 2019 ist der Kläger im Rahmen des Dublin-\nVerfahrens nach Frankreich überstellt worden (Bl. 64 der Gerichtsakte).\n\n8\n\n \n\nZur Begründung der Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, er sei 2015\ngegen seinen Willen von seiner Familie getrennt, entführt und bis Anfang 2018\nin Armenien festgehalten und zur Arbeit in der Landwirtschaft gezwungen\nworden. Dies könne nicht zur Trennung von seiner Familie führen, da der\ngrundrechtliche Schutz von Ehe und Familie auch im Dublin-Verfahren zu\nbeachten sei. Zum Nachweis der familiären Bindung legt der Kläger ein privates\nAbstammungsgutachten hinsichtlich des Sohnes ... vor. Außerdem beruft er sich\nauf seinen in Deutschland anwesenden Bruder, der infolge der Geschehnisse in\nder Heimat traumatisiert sei und seine Unterstützung benötige.\n\n9\n\n \n\nrd nr="9"/>Der Kläger beantragt,\n\n10\n\n \n\nden Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2019 aufzuheben.\n\n11\n\n \n\nDie Beklagte beantragt,\n\n12\n\n \n\ndie Klage abzuweisen.\n\n13\n\n \n\nSie bezieht sich zur Begründung ihres Antrags auf den angefochtenen Bescheid.\n\n14\n\n \n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von\nden Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Asylakten der Beklagten und die\nGerichtsakten im Hinblick auf den Kläger und seine Familie sowie auf die\naktuelle Unterlagenliste zu Frankreich Bezug genommen. Diese lagen vor und\nwaren jeweils Gegenstand der Urteilsfindung.\n\n#### Entscheidungsgründe\n\n15\n\n \n\nIm Einverständnis der Beteiligten kann der Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und\n3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –) ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs.\n2 VwGO) über die Klage entscheiden. Der Verzicht der Beklagten auf die\nDurchführung einer mündlichen Verhandlung ergibt sich hierbei aus der\n„Allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamtes in Verwaltungsstreitsachen wegen\nVerfahren nach dem Asylgesetz“ vom 25. Februar 2016 in der Fassung vom 27.\nJuni 2017.\n\n16\n\n \n\nDie als Anfechtungsklage statthafte (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1\nC 4.16 –, Rn. 16 f., juris) und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.\nZiffer 1. des streitgegenständlichen Bescheids der Beklagten vom 24. Mai 2019\nist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der\nEntscheidungsfällung durch das Gericht (§ 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Asylgesetz –\nAsylG –) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1\nS. 1 VwGO).\n\n17\n\n \n\nDie in Ziffer 1. des Bescheids tenorierte Unzulässigkeitsentscheidung findet\nihre rechtliche Grundlage in § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG. Danach ist ein\nAsylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU)\nNr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 –\nDublin III-Verordnung – für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.\nAn dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend, da die Zuständigkeit der\nBeklagten für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers aus Art. 10\nDublin III-Verordnung folgt.\n\n18\n\n \n\nNach dieser Vorschrift ist, wenn ein Antragsteller in einem Mitgliedstaat\neinen Familienangehörigen hat, über dessen Antrag auf internationalen Schutz\nnoch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, dieser Mitgliedstaat\nfür die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die\nbetreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.\n\n19\n\n \n\nDiese Voraussetzungen sind hier gegeben.\n\n20\n\n \n\n1\\. Der Kläger hat in Deutschland einen Familienangehörigen i.S.v. Art. 2 g)\nzweiter Spiegelstrich Dublin III-Verordnung, denn er ist Vater des am 9. Mai\n2016 in Mainz (Deutschland) geborenen, minderjährigen Kindes .... Die\nVaterschaft hat der Kläger durch die Vorlage des privaten\nAbstammungsgutachtens der Universitätsmedizin Mainz vom 22. Juli 2019 (Bl. 46\nff. der Gerichtsakte) zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen.\n\n21\n\n \n\nZwar setzt Art. 2 g) Dublin III-Verordnung für die Eigenschaft als\nFamilienangehöriger grundsätzlich voraus, dass die Familie bereits im\nHerkunftsland bestanden hat. An dieser Voraussetzung fehlt es hier, da der\nSohn des Klägers erst in Deutschland geboren wurde und das familiäre Band\nzwischen ihnen im Heimatland Armenien folglich noch nicht existierte. Im\nRahmen der Prüfung von Art. 10 Dublin III-Verordnung ist die Vorschrift des\nArt. 2 g) Dublin III-Verordnung jedoch insoweit einschränkend auszulegen, dass\nfür die Eigenschaft des Familienangehörigen ausreichend ist, wenn – wie\nvorliegend – die Familie, in die ein minderjähriges Kind später hineingeboren\nwird, bereits im Herkunftsland bestanden hat (a.A. wohl: VG Lüneburg,\nBeschluss vom 25. Januar 2019 – 8 B 194/18 –, Rn. 14, juris).\n\n22\n\n \n\nLediglich durch ein derartiges Verständnis des Art. 10 Dublin III-Verordnung\nkann der im 14. Erwägungsgrund genannten Zielsetzung Rechnung getragen werden,\ndas Familienleben bei der Anwendung der Verordnung zu beachten. Denn ansonsten\nkäme es in Fällen wie dem Vorliegenden, wenn eine schwangere\nAsylantragstellerin zunächst allein in einen Dublin-Mitgliedsstaat einreist\nund der Kindsvater seiner Familie erst nach der Geburt des Kindes auf einem\nabweichenden Reiseweg nachfolgt, gegebenenfalls zu einer abweichenden\nZuständigkeit für Mutter und Kind einerseits und für den Kindsvater\nandererseits. Dies hätte eine mit Art. 8 der Europäischen Konvention zum\nSchutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – und Art. 7 der\nEuropäischen Grundrechtecharta – GRC – nicht zu vereinbarende Trennung des\nKindsvaters von seinem Kind zur Folge (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 27.\nApril 2018 – 12 L 3840/17.A –, Rn. 33, juris). Auch ermöglicht ein derartiges\nVerständnis von Art. 2 g) Dublin III-Verordnung die nach dem 15.\nErwägungsgrund der Dublin III-Verordnung ausdrücklich gewollte, gemeinsame und\nkohärente Bearbeitung der von den Mitgliedern einer Familie gestellten Anträge\nauf internationalen Schutz (vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 7. Mai 2018 –\n34 L73.18 A –, Rn. 8, juris).\n\n23\n\n \n\nAus denselben Gründen wird in der vergleichbaren rechtlichen Fragestellung der\nAbleitung des internationalen Schutzes von einem minderjährigen Kind nach § 26\nAbs. 3 AsylG die Auffassung vertreten, dass ausreichend ist, wenn das\nminderjährige Kind erst im (sicheren) Ausland geboren wird (Günther, in:\nBeckOK AuslR, 23. Ed. 1.8.2019, AsylG § 26 Rn. 23b).\n\n24\n\n \n\nDieser Wertung steht nicht entgegen, dass in Art. 9 Dublin III-Verordnung\nausdrücklich auf eine bereits im Heimatland bestehende familiäre Bindung\nverzichtet wird, während eine derartige Ausnahme im hier maßgeblichen Art. 10\nDublin III-Verordnung fehlt. Hintergrund dessen ist vielmehr, dass die Dublin\nIII-Verordnung in Art. 20 Abs. 3 S. 2 eine Sonderregelung für im Hoheitsgebiet\nder Dublin-Staaten nachgeborene Kinder vorsieht, die eine Trennung von ihren\nEltern verhindern soll (Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Kommentar,\nStand 1. Februar 2014, Artikel 10 Rn. K27). Im vorliegenden Fall greift die\nVorschrift des Art. 20 Abs. 3 S. 2 Dublin III-Verordnung jedoch in Bezug auf\nden Kläger nicht ein, da er nicht gemeinsam mit seinem Sohn eingereist ist.\nDiese Lücke im Schutzbereich von Art. 10 und Art. 20 Abs. 3 S. 2 Dublin III-\nVerordnung kann nur durch die obenstehend beschriebene, einschränkende\nAuslegung von Art. 10 i.V.m. Art. 2 g) Dublin III-Verordnung geschlossen\nwerden.\n\n25\n\n \n\nDer Kläger hat das Bundesamt bereits im Rahmen seiner persönlichen Anhörung\nzum Reiseweg vom 14. März 2019 sowie bei seiner Anhörung zur Zulässigkeit des\nAsylantrags vom 22. März 2019 auf die Anwesenheit seiner Familienangehörigen\nhingewiesen (Bl. 51 f., 76 f. der Asylakte). Damit bestanden bereits vor der\nAnnahme des Aufnahmegesuchs durch die französischen Behörden vom 23. Mai 2019\nIndizien für den Aufenthalt des Sohnes des Klägers, Art. 7 Abs. 3 Dublin III-\nVerordnung.\n\n26\n\n \n\n2\\. Die Bundesrepublik Deutschland ist für die Prüfung des Asylantrags des\nSohnes zuständig.\n\n27\n\n \n\nDie Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Antrags\ndes Familienangehörigen auf internationalen Schutz ist Voraussetzung für die\nAnwendbarkeit von Art. 10 Dublin III-Verordnung (VG Augsburg, Beschluss vom\n27. Oktober 2017 – Au 6 S 17.50305 –, Rn. 23, juris; VG Aachen, Urteil vom 17.\nJuli 2017 – 6 K 429/17.A –, Rn. 25, juris). Andernfalls könnten die\nZuständigkeitskriterien der Dublin III-Verordnung durch eine gestaffelte\nEinreise ausgehebelt werden, indem sich die Antragsteller jeweils auf den\nAufenthalt eines Familienangehörigen in einem für diesen ebenfalls\nunzuständigen Mitgliedsstaat berufen. So könnten sie dessen Zuständigkeit\nherbeizuführen, obwohl der Mitgliedsstaat für jedes Familienmitglied für sich\ngesehen nicht zuständig wäre.\n\n28\n\n \n\nDie Zuständigkeit der Beklagten für die Prüfung des Sohnes des Klägers ergibt\nsich aus Art. 20 Abs. 3 S. 2 Dublin III-Verordnung, da die Beklagte für die\nPrüfung des Asylantrags der Mutter gemäß Art. 21 Abs. 1 Dublin III-Verordnung\nzuständig ist. Denn trotz der illegalen Einreise über Lettland (Bl. 43 der\nAsylakte ...) hat die Beklagte den Asylantrag der Mutter inhaltlich geprüft\nund kein Aufnahmegesuch gestellt, sodass zwischenzeitlich die hierfür\nmaßgebliche Frist abgelaufen ist.\n\n29\n\n \n\n3\\. Über den Antrag auf internationalen Schutz des Sohns des Klägers ist\nbisher keine Erstentscheidung in der Sache ergangen.\n\n30\n\n \n\nZwar hat die Beklagte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 20. Mai 2017 (Az.:\n...) abgelehnt und das Gericht die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom\n6. März 2019 – 11 K 7076/17.TR – abgewiesen. Die eine Zuständigkeit nach Art.\n10 Dublin III-Verordnung ausschließende „Erstentscheidung in der Sache“ liegt\njedoch erst bei einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung über den\nAntrag auf internationalen Schutz vor (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom\n3. September 2019 – OVG 6 N 58.19 –, Rn. 10 ff., juris; VG Berlin, Beschluss\nvom 7. Mai 2018 – 34 L 73.18 A –, Rn. 8, juris mit Verweis auf Bruns, in:\nHofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, AsylVfG § 27a Rn. 38;\nFilzwieser/Sprung a.a.O., Art. 10 Rn. K3). Eine rechtskräftige Entscheidung\nüber den Asylantrag des Sohnes liegt indes bisher nicht vor, denn das\nOberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat über den Antrag auf Zulassung der\nBerufung (Az.: 6 A 10541/19.OVG) bislang nicht entschieden.\n\n31\n\n \n\nFür das obenstehend genannte Verständnis von Art. 10 Dublin III-Verordnung\nspricht die bereits angesprochene Zielsetzung der Dublin III-Verordnung,\nwonach die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der\nMitgliedstaaten sein soll. Diesem Ziel wird Art. 10 der Dublin III-Verordnung\nnur gerecht, wenn eine gemeinsame Zuständigkeit für alle Familienangehörigen\nwährend des gesamten behördlichen und gerichtlichen Asylverfahrens angenommen\nwird. Denn andernfalls droht den Familienangehörigen die Trennung bis zum\n(möglicherweise divergierenden) Abschluss eines oder gar beider Asylverfahren\nin unterschiedlichen Mitgliedstaaten. Da Art. 10 Dublin III-Verordnung die\ngemeinsame und kohärente Bearbeitung der von den Mitgliedern einer Familie\ngestellten Anträge (vgl. 15. Erwägungsgrund der Verordnung) bezweckt, kann\ndieser im Lichte der Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GRC nur so verstanden werden,\ndass die Zuständigkeit des Aufenthaltsstaats des Familienangehörigen lediglich\ndann endet, wenn dessen Verfahren bereits bestandskräftig abgeschlossen ist,\ndieser also keinen potentiellen Anspruch mehr auf internationalen Schutz hat\n(VG Berlin a.a.O.).\n\n32\n\n \n\nDass es maßgeblich auf die Bestands- bzw. Rechtskraft der Erstentscheidung in\nder Sache ankommt, ergibt sich auch aus dem systematischen Zusammenhang der\nArt. 9 und 10 Dublin III-Verordnung. Art. 10 ergänzt Art. 9 der Verordnung,\nwelcher die Zuständigkeit für Familienangehörige regelt, die Begünstigte\ninternationalen Schutzes sind. Gemäß Art. 9 Dublin III-Verordnung ist der\nMitgliedstaat, in welchem ein Begünstigter internationalen Schutzes\naufenthaltsberechtigt ist, für den Antrag von dessen Familienangehörigen\nzuständig. Nach Art. 10 der Verordnung soll die Zuständigkeit auch bestehen,\nsolange über dessen Antrag noch keine Erstentscheidung ergangen ist. Würde die\nZuständigkeit bereits vor dem Abschluss des Klageverfahrens enden, so würde\neine von der Verordnung nach dem oben Gesagten nicht beabsichtigte\nZuständigkeitslücke für den Zeitraum zwischen der behördlichen und der\ngerichtlichen Entscheidung entstehen (VG Berlin a.a.O. Rn. 9).\n\n33\n\n \n\nWeiter spricht für dieses Verständnis von Art. 10 Dublin III-Verordnung, dass\nnach Art. 2 lit. d) Dublin III-Verordnung unter der „Prüfung eines Antrags auf\ninternationalen Schutz” die Gesamtheit der Prüfungsvorgänge, der\nEntscheidungen oder Urteile der zuständigen Behörden in Bezug auf einen Antrag\nauf internationalen Schutz zu verstehen sind. Daraus ergibt sich, dass die\nDublin III-Verordnung erst dann von einer Sachentscheidung über einen Antrag\nauf internationalen Schutz ausgeht, wenn hierzu behördliche Entscheidungen,\ngegebenenfalls aber auch gerichtliche Urteile ergangen sind.\n\n34\n\n \n\nAuch kann hierdurch einem weiteren Sinn der Bestimmung des Art. 10 Dublin III-\nVerordnung – den Vorteil für die Mitgliedsstaaten zu nutzen, dass mehrere\nFamilienangehörige zur gleichen Zeit im Asylverfahren stehen, damit\nwechselweise als Auskunftspersonen herangezogen werden können und die\ngemeinsame Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz eine genauere\nund kohärente Prüfung ermöglicht (Filzwieser/Sprung a.a.O. Rn. K2) – besser\nRechnung getragen werden. Denn die gemeinsame Antragsbearbeitung ist auch für\ndas noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Gerichtsverfahren von Vorteil und\nbietet auch insoweit eine genauere und kohärentere Prüfung durch das Gericht\n(ähnlich: Günther a.a.O.).\n\n35\n\n \n\nSchließlich steht die genannte Auslegung nicht dem Wortlaut des Art. 10 Dublin\nIII-Verordnung entgegen. Der Begriff „Erstentscheidung“ ist nicht als die\nzeitlich erste Entscheidung in der Sache, sondern als Gegenstück zu der\nEntscheidung über einen Folge- bzw. Zweitantrag zu verstehen (VG Berlin\na.a.O., Rn. 10).\n\n36\n\n \n\n4\\. Der Kläger und seine Familienangehörigen haben den Wunsch, dass ihre\nAsylanträge gemeinsam in Deutschland geprüft werden, rechtzeitig und\nschriftlich kundgetan. Unabhängig von einer entsprechenden Kundgabe durch\nSchriftsatz vom 9. September 2019 haben sowohl der Kläger als auch die\nKindsmutter stellvertretend für den Sohn gegenüber dem Bundesamt durch\nUnterzeichnung eines entsprechenden Formblatts, das auf Art. 10 Dublin III-\nVerordnung Bezug nimmt, erklärt, dass sie mit einer Wiederherstellung der\nFamilieneinheit einverstanden sind (Bl. 26 der Asylakte ..., Bl. 39 f. der\nAsylakte ...). Diese Erklärungen lagen zeitlich gesehen vor der Annahme des\nAufnahmeersuchens durch die französischen Behörden vom 23. Mai 2019. Demnach\nkann dahinstehen, ob die Vorschrift des Art. 7 Abs. 3 Dublin III-Verordnung\nauch auf die Kundgabe des Wunsches einer gemeinsamen Prüfung der Asylanträge\nanzuwenden ist (dagegen: VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2018 – 12 L\n3840/17.A –, Rn. 33, juris). Auch hat der Kläger ausweislich einer Abfrage in\nder Eurodac-Datenbank in Frankreich bisher keinen Antrag auf internationalen\nSchutz gestellt (Bl. 1 der Asylakte).\n\n37\n\n \n\nDie nach Art. 10 Dublin III-Verordnung geltende Zuständigkeit der Beklagten\nfür die Prüfung des Asylantrags des Klägers genießt Vorrang gegenüber der\nursprünglich durch das Visum begründeten Zuständigkeit Frankreichs gemäß Art.\n12 Dublin III-Verordnung. Denn gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-Verordnung\nfinden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in\nKapitel 3 der Verordnung genannten Rangfolge Anwendung.\n\n38\n\n \n\nNach alledem kann dahinstehen, ob sich die Zuständigkeit der Beklagten\nebenfalls aus Art. 16 Abs. 1 Dublin III-Verordnung und im Hinblick auf den\ngesundheitlichen Zustand des Bruders des Klägers ergibt.\n\n39\n\n \n\n6\\. Der streitgegenständliche Bescheid hat sich durch die von der Beklagten\n(rechtswidrig) durchgeführte Abschiebung des Klägers nach Frankreich nicht\nerledigt. Eine Erledigung der Abschiebungsanordnung tritt allenfalls im – hier\nnicht vorliegenden – Fall der Wiedereinreise des Asylantragstellers ein (VG\nTrier, Urteil vom 3. April 2019 – 7 K 5601/18.TR –, Rn. 66 ff., juris).\n\n40\n\n \n\n7\\. Infolge der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des\nstreitgegenständlichen Bescheids waren auch dessen übrige Ziffern aufzuheben,\nda die dort getroffenen Entscheidungen auf der Unzulässigkeitsentscheidung\nberuhen und jedenfalls verfrüht ergangen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.\nDezember 2016 – 1 C 4/16 –, BVerwGE 157, 18-34, Rn. 21).\n\n41\n\n \n\n8\\. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wobei die\nGerichtskostenfreiheit aus § 83b AsylG folgt. Die Entscheidung über die\nvorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11,\n711 S. 1 und S. 2 Zivilprozessordnung.\n\n
323,411
fg-munster-2019-09-24-3-k-245818-e
792
Finanzgericht Münster
fg-munster
Münster
Nordrhein-Westfalen
Finanzgerichtsbarkeit
3 K 2458/18 E
2019-09-24
2019-11-01 11:01:11
2020-12-10 13:27:39
Urteil
ECLI:DE:FGMS:2019:0924.3K2458.18E.00
## Tenor\n\nDie Klage wird abgewiesen.\n\nDie Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.\n\nDie Revision wird zugelassen.\n\n \n1\n\n**Tatbestand**\n\n2\n\nDie Beteiligten streiten, ob seitens des Klägers für seine Tätigkeit im\nPräsidium des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen (StGB NRW)\nbezogene Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder gemäß § 3 Nr. 12 Satz 2\nEinkommensteuergesetz (EStG) oder gemäß § 3 Nr. 26a EStG steuerfrei sind.\n\n3\n\nDie Kläger sind Eheleute und wurden für das Streitjahr 2016 zusammen zur\nEinkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Bürgermeister der Gemeinde G-Dorf.\nDarüber hinaus ist er Präsidiumsmitglied des StGB NRW.\n\n4\n\nDer StGB NRW ist ein Zusammenschluss von 360 kreisangehörigen Kommunen in\nNordrhein-Westfalen in der Form eines eingetragenen Vereins (§ 1 Abs. 2 der\nSatzung). Die Mitgliedschaft im StGB NRW ist freiwillig (§ 4 der Satzung).\nAufgabe und Zweck des StGB NRW ist es, die verfassungsmäßigen Rechte seiner\nMitglieder auf gemeindliche Selbstverwaltung zu schützen, ihre allgemeinen\nBelange zu fördern und sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen.\nDazu gehört insbesondere die Darlegung und Vertretung der gemeinsamen Anliegen\nund Belange gegenüber staatlichen Institutionen, die Beratung der Mitglieder\nbei der Durchführung ihrer gemeindlichen Aufgaben, Öffentlichkeitsarbeit,\nWeiterbildung und Informationsaustausch (§ 2 Abs. 1 der Satzung). Laut § 2\nAbs. 2 der Satzung werden ausschließlich gemeinnützige Zwecke im Sinne der\nAbgabenordnung verfolgt. Eine Befreiung von der Körperschaftsteuer liegt nicht\nvor.\n\n5\n\nDie Finanzierung erfolgt unabhängig von staatlichen Zuschüssen ausschließlich\naus Beiträgen der Mitglieder (§ 6 Abs. 1c der Satzung). Die\nMitgliederversammlung beschließt über die Festsetzung der Beiträge (§ 9 Abs.\n1c der Satzung), der Hauptausschuss beschließt u. a. über den Haushaltsplan,\ndie Verwaltung des Vermögens und auch über die Bestimmung der Prüfer für die\nHaushalts-, Kassen- und Rechnungsführung (§ 10 Abs. 4 der Satzung). Die\nPrüfung der Finanzen des Städte- und Gemeindebundes wird von einem kommunalen\nRechnungsprüfungsamt einer Mitgliedsgemeinde vorgenommen, was auf § 10 Abs. 4\nder Satzung bzw. auf ständiger Übung beruht.\n\n6\n\nFür seine Tätigkeit im Präsidium bezog der Kläger im Streitjahr eine\nAufwandsentschädigung in Höhe von 4.800 Euro sowie Sitzungsgelder in Höhe von\ninsgesamt 320 Euro (vgl. Bescheinigung des StGB NRW in der Steuerakte). Diese\nGelder erklärte der Kläger im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2016 als\nEinkünfte aus selbständiger Tätigkeit und vertrat die Auffassung, dass diese\nEinkünfte gemäß § 3 Nr. 12 EStG steuerfrei zu belassen seien. Dem folgte der\nBeklagte nicht und erfasste Aufwandsentschädigung und Sitzungsgelder im Rahmen\nder Einkommensteuerfestsetzung 2016 durch Bescheid vom 13.11.2017 als\nsteuerpflichtige Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Zu den Einzelheiten\nwird auf den Bescheid in der Steuerakte Bezug genommen.\n\n7\n\nGegen den Bescheid legten die Kläger am 28.11.2017 Einspruch ein, mit dem sie\nsich gegen die Versagung der Steuerbefreiung wandten. Die Organisation des\nStGB NRW als eingetragener Verein rechtfertige die Versagung der\nSteuerbefreiung nicht, da Mitglieder nur öffentlich-rechtlich organisierte\nGebietskörperschaften seien, so dass auch die geleisteten Beiträge aus\nöffentlich-rechtlichen Kassen stammten. Es existierten zahlreiche gesetzliche\nVorschriften, wie z. B. § 27 Sparkassengesetz NRW (SpkG) (Verpflichtung zur\nAnhörung kommunaler Spitzenverbände bei über das Kreisgebiet hinausreichender\nVereinigung von Sparkassen), zur Anhörung bzw. Beteiligung kommunaler\nSpitzenverbände in Gesetzgebungsverfahren oder Einzelfällen, womit den\nSpitzenverbänden und damit auch dem StGB NRW öffentlich-rechtliche Aufgaben\nzugewiesen seien.\n\n8\n\nDen Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 04.07.2018\nals unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für die Gewährung der\nSteuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG seien nicht gegeben, da die\nAufwandsentschädigung nicht aus einer öffentlichen Kasse im Sinne dieser\nVorschrift gezahlt werde. Als öffentliche Kasse sei nach der Rechtsprechung\ndes Bundesfinanzhofs (BFH) nur eine solche anzusehen, die der Dienstaufsicht\nunterstehe und deren Finanzgebaren der Prüfung durch die öffentliche Hand\nunterliege.\n\n9\n\nMit der Klage vom 05.08.2018 vertiefen die Kläger ihr Vorbringen aus dem\nEinspruchsverfahren und vertreten die Auffassung, dass die Struktur und die\ngesetzlich vorgesehenen Beteiligungsrechte des StGB NRW es rechtfertigten, die\nvom Kläger bezogene Aufwandsentschädigung und Sitzungsgelder mit einer aus\neiner öffentlichen Kasse gezahlten Geldern i. S. d. § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG\ngleichzustellen. Im Übrigen sei die vom Kläger als Vizepräsident des StGB NRW\nausgeübte ehrenamtliche Tätigkeit mit der ebenfalls ehrenamtlichen Ausübung\nkommunaler Mandate vergleichbar, bei denen die Aufwandsentschädigungen\nebenfalls in beträchtlichem Maße steuerfrei seien. Die Steuerbefreiung müsse\nauch unter Berücksichtigung des ehrenamtlichen Charakters der Tätigkeit\ngewährt werden.\n\n10\n\nDie Kläger beantragen,\n\n11\n\nden Einkommensteuerbescheid 2016 vom 13.11.2017 in der Gestalt der\nEinspruchsentscheidung vom13.04.2018 zu ändern und die vom StGB NRW gezahlten\nAufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder (5.120 Euro) steuerfrei zu\nbelassen.\n\n12\n\nDer Beklagte beantragt,\n\n13\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n14\n\nEr bezieht sich auf seine Einspruchsentscheidung und verweist ergänzend\ndarauf, dass Aufgaben des StGB NRW und Mittelherkunft der Beiträge bei der\nQualifizierung als öffentliche Kasse i. S. d. § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG nicht\nmaßgeblich seien. Darüber hinaus vertritt er die Auffassung, dass § 27 SpkG\nNRW die Beteiligung privatrechtlicher Zusammenschlüsse nicht vorsehe; gemeint\nsein könnten allenfalls Gemeinden oder Zusammenschlüsse von Gemeinden in der\nForm einer Körperschaft öffentlichen Rechts.\n\n15\n\nDie Tatsache, dass die Prüfung der Finanzen des StGB NRW durch ein kommunales\nRechnungsprüfungsamt erfolge, könne die Anwendung des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG\nebenfalls nicht rechtfertigen. Denn die Prüfung sei nicht öffentlich-rechtlich\nangeordnet, sondern erfolge nach § 16 Abs. 4 der Satzung durch vom\nHauptausschuss gewählte Prüfer (§ 10 der Satzung).\n\n16\n\nAuch eine Befreiung nach § 3 Nr. 26a EStG komme nicht in Betracht. Die\nGemeinnützigkeit des StGB NRW sei nicht nachgewiesen. Darüber hinaus fehle es\nan einer Satzungsregelung zur Vergütung für die Tätigkeit als Vizepräsident.\nAuf § 27 Abs. 3 Satz 2 BGB werde hingewiesen.\n\n17\n\nDie Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am\n07.06.2019 erörtert. Auf das Protokoll über den Erörterungstermin, Blatt 42\nder Gerichtsakte, wird hingewiesen.\n\n18\n\nDer Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche\nVerhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO).\n\n19\n\n**Entscheidungsgründe**\n\n20\n\nDie zulässige Klage ist nicht begründet.\n\n21\n\nDer angefochtene Bescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ist\nrechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1\nFGO). Die Gewährung einer Steuerbefreiung für die vom Kläger vom StGB NRW\nbezogenen Gelder kommt nicht in Betracht.\n\n22\n\nSteuerfrei sind gemäß § 3 Nr. 12 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG)\nAufwandsentschädigungen, wenn sie aus einer öffentlichen Kasse an öffentliche\nDienste leistende Personen gezahlt werden.\n\n23\n\nÖffentliche Kassen sind Kassen einer inländischen Person des öffentlichen\nRechts und solche Kassen, die einer Dienstaufsicht und Prüfung des\nFinanzgebarens durch die inländische öffentliche Hand unterliegen (vgl. BFH,\nUrteil vom 07.08.1986 IV R 228/82, BStBl. II 1986, 848). Dabei hat der BFH\nausgeführt, dass es vorderhand ausreichender Regelungen zum Finanzgebaren\nbedarf und die Prüfung dann durch eine öffentliche Stelle erfolgen muss.\n\n24\n\nDer Senat kann im vorliegenden Fall offenlassen, ob nach der Satzung des StGB\nNRW überhaupt ausreichende Regelungen für das Finanzgebaren vorliegen. Denn\ndie Satzungsbestimmungen erschöpfen sich in der Verpflichtung der Mitglieder\nzur Beitragsentrichtung in Form von Umlagen (§ 6 Abs. 1c), wobei die\nMitgliederversammlung die Festsetzung von Umlagen beschließt (§ 9 Abs. 1c). §\n11 Abs. 7 bestimmt, dass den Mitgliedern des Präsidiums eine\nAufwandsentschädigung gezahlt werden kann, ohne dass sich zu weiteren\nKriterien der Bemessung der Aufwandsentschädigung Regelungen finden.\n\n25\n\nJedenfalls fehlt es aber an einer Dienstaufsicht und an der Prüfung des\nFinanzgebarens durch die öffentliche Hand. Denn der StGB NRW ist\nprivatrechtlich als eingetragener Verein verfasst und hat in § 16 Abs. 4 i. V.\nm. § 10 Abs. 4e der Satzung eine verbandsinterne Rechnungsprüfung installiert.\nAn einer Dienstaufsicht und Prüfung durch die öffentliche Hand fehlt es\ndeshalb. Insofern ist es auch unerheblich, dass die Rechnungsprüfung\ntatsächlich durch ein kommunales Rechnungsprüfungsamt vorgenommen wird. Denn\ndieses wird nicht als staatliche Stelle tätig, sondern von den satzungsmäßig\nbestimmten Organen des StGB NRW beauftragt und nimmt die Prüfung aufgrund der\nSatzungsbestimmungen vor. Dass dabei das Beitragsaufkommen aus öffentlichen\nKassen stammt und der Aufgabenkreis des StGB NRW öffentlich-rechtlichen Bezug\nhat, führt ebenfalls nicht zur Gewährung der Steuerbefreiung.\n\n26\n\nDarüber hinaus scheitert die Gewährung der Steuerbefreiung daran, dass es nach\nAuffassung des Senats an der Leistung öffentlicher Dienste durch die\nsatzungsgemäß tätig werdenden Personen fehlt.\n\n27\n\nBezüglich der Tätigkeit als Vertreter des geschäftsführenden\nVorstandsmitglieds in der Leitung der Geschäftsstelle des Hessischen\nSparkassen- und Giroverbandes hat der BFH das Merkmal „Leistung öffentlicher\nDienste“ bejaht (BFH, Urteil vom 27.02.1976 VI R 97/72, BStBl. II 1976, 418).\nDabei war ausschlaggebend, dass bezüglich des Hessischen Sparkassen- und\nGiroverbandes für sämtliche Sparkassen des Landes eine Zwangsmitgliedschaft\nbestand und die Vertretung deshalb das Gesamtinteresse aller Sparkassen zu\nberücksichtigen und dabei ein Höchstmaß an Objektivität habe walten lassen\nmüssen. Demgegenüber beruht der Zusammenschluss im StGB NRW auf freiwilliger\nMitgliedschaft mit dem wesentlichen Ziel der Interessenvertretung gegenüber\nGesetzgebung und Politik. Auch wenn der Organisationsgrad hoch und die\nMitglieder selbst juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, ist ein\nUnterschied zu anderen privatrechtlich organisierten Wirtschafts- und\nInteressenverbänden nicht so wesentlich, dass eine diesen gegenüber\nprivilegierte Einordnung gerechtfertigt wäre.\n\n28\n\nAuch eine Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 26a EStG, die sich im Übrigen, worauf\nder Beklagte zu Recht hinweist, nur noch auf den noch nicht ausgeschöpften\nRestbetrag von 270 Euro erstrecken könnte, kommt nach Auffassung des Senats im\nvorliegenden Fall nicht in Betracht. Steuerfrei sind nach dieser Vorschrift\nunter anderem Einnahmen aus einer nebenberuflichen Tätigkeit im Dienst oder\nAuftrag einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG)\nfallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder\nkirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung – AO) bis zur Höhe von\ninsgesamt 720 Euro. Im vorliegenden Fall kann der Senat nicht feststellen,\ndass der StGB NRW tatsächlich – hier allein in Betracht kommende –\ngemeinnützige Zwecke i. S. d. § 52 AO verfolgt und damit eine Körperschaft i.\nS. d. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG ist. Denn nach Auskunft des Klägers, deren\nRichtigkeit anzuzweifeln der Senat keinen Anlass hat, ist der StGB NRW nicht\nwegen Gemeinnützigkeit von der Körperschaftsteuer befreit.\n\n29\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.\n\n30\n\nDie Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts\nzugelassen. Die Frage der Steuerbefreiung von Aufwandsentschädigungen gemäß §\n3 Nr. 12 bzw. 26a EStG für ehrenamtliche Tätigkeiten bei einem privatrechtlich\norganisierten kommunalen Spitzenverband, ist – soweit ersichtlich – bislang\nnicht höchstrichterlich geklärt.\n\n
323,452
lg-stuttgart-2019-04-05-3-o-8517
142
Landgericht Stuttgart
lg-stuttgart
Stuttgart
Baden-Württemberg
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Landgericht
3 O 85/17
2019-04-05
2019-11-05 11:01:01
2020-12-10 13:27:44
Urteil
## Tenor\n\n1\\. Die Klage gegen den Beklagten Ziffer 2) wird abgewiesen.\n\n2\\. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.\n\n## Tatbestand\n\n| \n---|--- \n| 1 \n--- \n| Der Klager macht mit der vorliegenden Klage gegen die Beklagten Anspruche\naufgrund fehlerhafter Beratung geltend. \n--- \n| 2 \n--- \n| Die Beklagte Ziffer 3 ist eine Wohnbaugenossenschaft, deren Zweck nach § 2\nihrer Satzung die wirtschaftliche Forderung und Betreuung der Mitglieder ist,\ninsbesondere mit dem Ziel, die Mitglieder durch ein Optionskaufkonzept mit\ndauerhaft bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Die Beklagte Ziffer 1 hat dem\nKlager eine Beteiligung an der Beklagten Ziffer 3 vermittelt. Der Beklagte\nZiffer 2 war Gesellschafter der Beklagten Ziffer 1) und Vorstand der Beklagten\nZiffer 3). \n--- \n| 3 \n--- \n| Mit Erklarung vom 11.06.2010 (Anlage K1) trat der Klager der Beklagten\nZiffer 3) mit dem Erwerb von zunachst 290 Geschaftsanteilen a 100,00 EUR,\ninsgesamt 29.000,00 EUR, bei und verpflichtete sich zur Zahlung einer\nAbschlussgebuhr von 5.303,00 EUR. \n--- \n| 4 \n--- \n| Der Anteilserwerb erfolgte auf Beratung der Zeugin Wolf, die fur die\nBeklagte Ziffer 1) als Vermittlerin auftrat. Dem lag eine\nInformationsveranstaltung zugrunde, bei der der Klager auf Anregung des Zeugen\nB teilgenommen hat. Bei dieser Informationsveranstaltung stellte die Zeugin\nWolf das Konzept der Beklagten Ziffer 3) vor und informierte die Besucher der\nVeranstaltung, wie sie sich an dieser beteiligen konnten. In der Folge\nunterzeichnete der Klager am 11.06.2010 die Beitrittserklarung, die er der\nZeugin Wolf auf dem Postweg zukommen ließ. Außer dem Treffen bei der\nInformationsveranstaltung gab es keinen weiteren direkten Kontakt zwischen der\nZeugin Wolf und dem Klager. \n--- \n| 5 \n--- \n| Die Zahlung der erworbenen Anteile wurde dem Klager gestundet. Insgesamt\nzahlte er 15.061,00 EUR ein, worin auch die Abschlussgebuhr enthalten war. Die\nMitgliedschaft war jederzeit innerhalb einer Frist von einem Jahr zum\nJahresende kundbar. Die Abschlussgebuhr wird im Falle der Kundigung nicht\nruckerstattet. \n--- \n| 6 \n--- \n| Mit Schreiben vom 29.10.2012 erklarte der Klager mit sofortiger Wirkung die\nKundigung seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten Ziffer 3) (Anlage K7). Die\nBeklagte teilte dem Klager mit Schreiben vom 20.11.2012 (Anlage K8) mit, dass\ndie Kundigung seiner Mitgliedschaft zum 31.12.2013 wirksam werde. \n--- \n| 7 \n--- \n| Die Satzung der Beklagten zum Stand 31.12.2013 enthalt u.a. die folgenden\nRegelungen: \n--- \n| 8 \n--- \n| _§ 2 Zweck und Gegenstand_ \n--- \n| 9 \n--- \n| _(1) Zweck der Genossenschaft ist die wirtschaftliche F orderung und\nBetreuung der Mitglieder. Die Genossenschaft hat insbesondere das Ziel,\nWohnungen fur ihre Mitglieder zu errichten und zu erwerben, die eine Forderung\nnach § 17 EigZulG erhalten und denen die Rechte nach § 11n) der Satzung\nzustehen. … Zur Durchfuhrung beider Hauptzielsetzungen wurde ein\nOptionskaufkonzept entwickelt._ \n--- \n| 10 \n--- \n| _§ 10 Auseinandersetzung_ \n--- \n| 11 \n--- \n| _…_ \n--- \n| 12 \n--- \n| _(6) W urde die Liquiditat der Genossenschaft durch die gleichmaßige\nAuszahlung der Auseinandersetzungsguthaben die zur Fortsetzung des\nGeschaftsbetriebs fur die folgenden drei Monate erforderlichen Mittel\nunterschreiten, so ist die Genossenschaft berechtigt, die Zahlung in sechs\ngleichen vierteljahrlichen Raten vorzunehmen; die erste Rate ist vier Monate\nnach dem Beschluss der Mitgliederversammlung, der den zugrunde liegenden\nJahresabschluss feststellt, auszuzahlen. Sonderzahlungen durch die\nGenossenschaft sind jederzeit moglich. Bis zur vollstandigen Auszahlung sind\ndie jeweils offenen Teilbetrage mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen.\nDie Liquiditat ist zu jedem quartalsmaßigen Zahlungstermin zu prufen. Fallen\ndie Voraussetzungen gemaß S. 1 weg, ist die volle Auszahlung der\nAuseinandersetzungsguthaben wieder aufzunehmen._ \n--- \n| 13 \n--- \n| Weiter heißt es dort: \n--- \n| 14 \n--- \n| _§ 33 a Mindestkapital_ \n--- \n| 15 \n--- \n| _Das Mindestkapital der G Wohnbaugenossenschaft gem aß § 8a GenG, das bei\nder Auszahlung von Auseinandersetzungsguthaben zu beachten ist, betragt 97 %\nder eingezahlten Genossenschaftsanteile zum Stand des Jahresabschlusses, der\nfur das Auseinandersetzungsguthaben einschlagig ist, vermindert um zwei\nDrittel der in dem darauf folgenden Geschaftsjahr eingehenden Einzahlungen auf\ndie Geschaftsguthaben. Es darf durch die Auszahlung des\nAuseinandersetzungsguthabens an ausgeschiedene Mitglieder oder nach\nTeilkundigung nicht unterschritten werden. Wurde das Mindestkapital durch die\nAuszahlung des Auseinandersetzungsguthabens unterschritten, so ist die\nAuszahlung des Auseinandersetzungsguthabens insoweit ausgesetzt. In diesem\nFall wird das Auseinandersetzungsguthaben aller ausscheidenden Mitglieder\nanteilig gekurzt. wird das Mindestkapital wieder uberschritten, werden die\nausgesetzten Auseinandersetzungsguthaben zur Auszahlung fallig. Die\nÜberprufung, ob das Mindestkapital wieder uberschritten wird, findet monatlich\njeweils zum Monatsende auf der Grundlage der Einzahlungen des beendeten Monats\nstatt. Auszahlungen erfolgen dann jahrgangsweise in der Reihenfolge des\nAusscheidens. Der Vorstand hat die Auszahlung monatlich zu veranlassen._ \n--- \n| 16 \n--- \n| Insbesondere § 33a und § 10 Abs. 6 der Satzung wurden erst im Jahr 2013\neingefuhrt. In der Satzung 2012 war in § 10 Abs. 1 Folgendes vorgesehen: \n--- \n| 17 \n--- \n| _Mit dem Ausgeschiedenen hat sich die Genossenschaft auseinanderzusetzen.\nMa ßgebend ist die Bilanz, die fur das Geschaftsjahr, zu dessen Ende das\nMitglied ausgeschieden ist, festgestellt worden ist (29 Abs. 1 Buchst. b)._ \n--- \n| 18 \n--- \n| Der Jahresabschluss ist gem. § 29b der Satzung durch die\nMitgliederversammlung festzustellen. \n--- \n| 19 \n--- \n| Die Beklagte Ziffer 3) zahlte an den Klager vorgerichtlich zunachst 5.494,22\nEUR und im Laufe des gerichtlichen Verfahrens weitere 1.537,50 EUR. \n--- \n| 20 \n--- \n| **Der Kl ager tragt vor,** \n--- \n| 21 \n--- \n| er sei weder im Vorfeld noch bei Abschluss der Beitrittserklarung daruber\ninformiert worden, dass das Konzept der Beklagten Risiken berge und auch ein\nVerlust der Anlage moglich sei. Die Vermittler der Beklagten Ziffer 1) seien\nauf Betreiben des Beklagten Ziffer 2) oder jedenfalls ohne dessen Einschreiten\nsystematisch darauf geschult worden, einseitig die Vorteile des Konzepts der\nBeklagten Ziffer 3) herauszustellen und sie den angeblichen Nachteilen der\nherkommlichen Immobilienfinanzierung uber Banken und Bausparkassen\ngegenuberzustellen. Das Konzept sei dabei bewusst wahrheitswidrig als sicheres\nInstrument der Immobilienfinanzierung dargestellt worden, bei dem kein Verlust\ndes eingezahlten Geldes drohe. Mit der in der Beitrittserklarung aufgefuhrten\n„Abschlussgebuhr" sei zudem gezielt irrefuhrend eine Nahe zum Bausparvertrag\nhergestellt worden. Die Abschlussgebuhr sei indessen nicht der Genossenschaft\nzugutegekommen. Vielmehr habe es sich um eine Vertriebsprovision gehandelt,\ndie letztlich dem Beklagten Ziffer 2) zugeflossen sei. Risiken des\nAnteilserwerbs seien nicht aufgezeigt, sondern gezielt verschwiegen worden.\nDieses System sei darauf gerichtet gewesen, durch Ausnutzung der Unwissenheit\ndes Klagers, den erfolgreichen Vertrieb zu fordern. Der Beklagte Ziffer 2)\nhabe sogar aktiv behauptet, es bestehe kein Insolvenzrisiko und kein\nVerlustrisiko. Er habe dabei jedenfalls billigend in Kauf genommen, dass der\nKlager geschadigt werde. \n--- \n| 22 \n--- \n| Daruber hinaus habe der Beklagte Ziffer 2) die Vermogen der Beklagten Ziffer\n1) und des von ihm gefuhrten Unternehmens G eK einerseits und das Vermogen der\nG Wohnbaugenossenschaft eG andererseits vermischt. Es seien zahlreiche\nTatigkeiten von Angestellten der G Wohnbaugenossenschaft eG bzw. der G\nVertriebs AG fur die G eK vorgenommen worden, die in der Buchhaltung keinen\nentsprechenden Niederschlag gefunden hatten. Er hafte daher nach den\nGrundsatzen hochstrichterlicher Rechtsprechung personlich fur\nVerbindlichkeiten der Beklagten Ziffer 1). \n--- \n| 23 \n--- \n| Der Klager ist der Auffassung, aufgrund fehlerhafter Aufklarung uber die\nRisiken der Mitgliedschaft bei der Beklagten zur außerordentlichen Kundigung\nberechtigt gewesen zu sein. Zudem habe der Klager das Vertragsverhaltnis, das\nin einer Haustursituation zustande gekommen sei, mit der Beklagten wirksam\nwiderrufen. Die ihm erteilte Belehrung belehre nicht uber die Widerrufsfolgen,\ndie sich aus den Grundsatzen der fehlerhaften Gesellschaft ergaben.\nSchließlich habe er einen Anspruch auf Ruckabwicklung des Anteilserwerbs in\nForm des negativen Schadensersatzes gegen die Beklagte Ziffer 1), mit der\nkonkludent ein Anlageberatungsvertrag, zumindest aber ein\nAnlagevermittlungsvertrag zustande gekommen sei. Seine Mitgliedschaft habe\ndaher nie wirksam bestanden, zumindest habe sie aber spatestens mit Ablauf des\nJahres 2012 geendet. Gegen den Beklagten Ziffer 2) macht der Klager Anspruche\naufgrund sittenwidriger Schadigung geltend, denn das gesamte Konzept sei wie\nein „Schneeballsystem" von ihm personlich darauf ausgerichtet, den\nAnteilserwerbern Risikofreiheit vorzutauschen, um moglichst schnell, moglichst\nviele Genossenschaftsmitglieder anzuwerben und durch die Abschlussgebuhren\nhohe Vermittlungsprovisionen zu generieren. Die Beklagte Ziffer 3) hafte fur\ndiese sittenwidrige Schadigung gem. § 831 BGB. \n--- \n| 24 \n--- \n| **Der Kl ager beantragt:** \n--- \n| 25 \n--- \n| 1\\. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Klager\n8.290,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. funf Prozentpunkten uber dem Basiszinssatz\nseit dem 01.07.2013 zu zahlen. \n--- \n| 26 \n--- \n| 2\\. Die Beklagten haben dem Klager die Kosten fur anwaltliche Vertretung\ni.H.v. 1.029,35 EUR zu ersetzen, zuzuglich Zinsen i.H.v. funf Prozentpunkten\nuber dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2016. \n--- \n| 27 \n--- \n| **Die Beklagten beantragen jeweils** \n--- \n| 28 \n--- \n| die Klage abzuweisen. \n--- \n| 29 \n--- \n| **Die Beklagten tragen vor,** \n--- \n| 30 \n--- \n| der Klager sei bei der Vermittlung daruber aufgeklart worden, dass ein\nVerlust der Einlage bei der Beklagten moglich sei. Es habe auch keine Zusage\ngegeben, dass bei einer Kundigung die bezahlte Genossenschaftsanlage\nvollstandig zuruckbezahlt werde. Der Klager habe auf der Beitrittserklarung\nmit seiner Unterschrift bestatigt, die Satzung und Vertragsbedingungen der\nBeklagten erhalten zu haben. Anhand der Satzung sei er insbesondere darauf\nhingewiesen worden, dass er am Gewinn und Verlust der Genossenschaft\nteilnehme. \n--- \n| 31 \n--- \n| Der Klager sei erst zum 31.12.2013 aus der Genossenschaft ausgeschieden,\nweshalb er einen Auszahlungsanspruch i.H.v. 6.770,50 EUR habe, den die\nBeklagte Ziffer 3) auf Basis der Satzung mit dem Stand 31.12.2013 durch die\nbis zum Schluss der mundlichen Verhandlung gezahlten Betrage erfullt habe. \n--- \n| 32 \n--- \n| Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen B, S und W.\nErganzend wird umfassend auf den Akteninhalt, insbesondere den\nschriftsatzlichen Vortrag der Parteien, diesem beigefugte Anlagen und die\nProtokolle der mundlichen Verhandlung Bezug genommen. \n--- \n| 33 \n--- \n| Nachdem das Verfahren hinsichtlich der Beklagten Ziffern 1) und 2) gem. §\n240 ZPO unterbrochen wurde, richtet sich das laufende Verfahren nunmehr\nlediglich noch gegen den Beklagten Ziffer 2). \n--- \n \n## Entscheidungsgründe\n\n| \n---|--- \n| 34 \n--- \n| **I. Hauptentscheidung** \n--- \n| 35 \n--- \n| Die Klage ist teilweise unzulassig und teilweise unbegrundet. \n--- \n**1.** \n--- \n| 36 \n--- \n| Die Klage ist unzulassig, soweit der Klager mit ihr einen eigentlich gegen\ndie Beklagte Ziffer 1) behaupteten, abgeleiteten Anspruch gegen den Beklagten\nZiffer 2) geltend macht. Wegen der alleinigen Prozessfuhrungsbefugnis des\nInsolvenzverwalters der Beklagten Ziffer 1) fur die Einziehung der Anspruche\nerweist sich die von dem Klager gegen den Beklagten Ziffer 2) erhobene Klage\ninsoweit als unzulassig, § 93 InsO (vgl. BGH, Beschluss vom 12.07.2012 − IX ZR\n217/11, juris-Rn. 10 f.). \n--- \n| 37 \n--- \n| Nach standiger Rechtsprechung kommt eine personliche Haftung von GmbH-\nGesellschaftern in Betracht, wenn die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und\nPrivatvermogen durch eine undurchsichtige Buchfuhrung oder auf andere Weise\nverschleiert worden ist; denn dann konnen die Kapitalerhaltungsvorschriften,\nderen Einhaltung ein unverzichtbarer Ausgleich fur die Beschrankung der\nHaftung auf das Gesellschaftsvermogen ist, nicht funktionieren. Dies kann es\nrechtfertigen, ausnahmsweise den Glaubigern außer dem nicht mehr wirksam\ngeschutzten Haftungsfonds der Gesellschaft das Privatvermogen der\nGesellschafter zur Verfugung zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 13.04.1994 - II\nZR 16/93, juris-Rn. 6 = BGHZ 125, 366 m.w.N.). \n--- \n| 38 \n--- \n| Vorliegend kann indes dahinstehen, ob dieser erstmals mit Schriftsatz vom\n08.03.2019 geltend gemachte Haftungsdurchgriff gegen den Beklagten Ziffer 2)\naufgrund der behaupteten Vermogensvermischung in Betracht kommt. Denn dieser\nausnahmsweise Haftungsdurchgriff fuhrt letztlich nur zur akzessorischen\nHaftung der Gesellschafter fur Verbindlichkeiten der Beklagten Ziffer 1).\nEinen eigenstandigen Haftungsgrund konstituiert er nicht. Fur akzessorische\nAnspruche gegen die Gesellschafter ist der Klager jedoch nicht\nprozessfuhrungsbefugt, da § 93 InsO vorliegend analog anwendbar ist und ein\nentsprechender Anspruch ausschließlich vom Insolvenzverwalter und zugunsten\nder Masse geltend gemacht werden kann. \n--- \n**a.** \n--- \n| 39 \n--- \n| Die Sperrwirkung des § 93 InsO verbietet den Glaubigern der insolventen\nPersonengesellschaft, Anspruche gegen einen personlich haftenden\nGesellschafter geltend zu machen. \n--- \n| 40 \n--- \n| Zwar handelt es sich bei der Beklagten Ziffer 1) nicht um eine\nPersonengesellschaft. Allerdings leitet der Klager den abgeleiteten Anspruch\ngegen den Beklagten Ziffer 2) auch nicht aus gesetzlichen Vorschriften uber\ndie personliche Haftung von GmbH-Gesellschaftern ab, denn solche existieren\nnicht. Die Regelung ist jedoch im Wege der Analogie auf die Konstellation\nanzuwenden, in der ein Glaubiger aufgrund besonderer Grunde Anspruche gegen\ndie von Gesetzes wegen grundsatzlich nicht personlich haftenden Gesellschafter\ngeltend macht, sofern der Anspruch ein abgeleiteter Anspruch gegen die\nGesellschaft ist. \n--- \n| 41 \n--- \n| Der Gesetzgeber hat die Inanspruchnahme von GmbH-Gesellschaftern in § 93\nInsO ersichtlich deshalb nicht aufgefuhrt, da hier von Gesetzes wegen kein\nAnlass bestand, denn GmbH-Gesellschafter haften grundsatzlich nicht\npersonlich, § 13 Abs. 2 GmbhG. Insoweit besteht jedoch eine Regelungslucke fur\ndiejenigen Falle, in denen ein Gesellschafter ausnahmsweise etwa aufgrund\nVermogensvermischung doch wegen Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch\ngenommen wird. \n--- \n| 42 \n--- \n| Aus Glaubigerschutzinteressen ist es geboten, in solchen Konstellationen §\n93 InsO analog anzuwenden. Denn andernfalls wurde derjenige Glaubiger der\nfruhzeitig auf den Gesellschafter zugreift, gegenuber den anderen Glaubigern\nbegunstigt (sog. Glaubigerwettlauf). Das lauft jedoch den Zielen des § 93 InsO\nersichtlich zuwider. \n--- \n**b.** \n--- \n| 43 \n--- \n| § 93 InsO erfasst zwar nicht samtliche Anspruche gegen den ausnahmsweise\npersonlich in Anspruch genommenen Gesellschafter. Nach hochstrichterlicher\nRechtsprechung ist § 93 InsO namlich auch bei\nPersonengesellschaftsgesellschaftern nicht auf solche Anspruche anwendbar, die\ndeshalb gegen die Gesellschafter bestehen, weil diese aus einem von den\nhandelsrechtlichen Haftungsbestimmungen unabhangigen Rechtsgrund, insbesondere\neiner rechtlich selbstandigen eigenen Verpflichtung, fur die Verbindlichkeit\nder Gesellschaft einzustehen haben (BGH, Urteil vom 04.07.2002 - IX ZR 265/01,\njuris-Rn. 9). \n--- \n| 44 \n--- \n| Vorliegend macht der Klager jedoch neben den unter Ziffer 2. unten\nbehandelten deliktischen Anspruchen gerade einen akzessorischen Anspruch gegen\nden Klager geltend. Dies erfolgt zwar nicht aufgrund einer gesetzlichen\nAkzessorietat, da diese bei einer GmbH gerade nicht besteht. Allerdings ist\nder ausnahmsweise geltend gemachte Durchgriff aufgrund der behaupteten\nVermogensvermischung der Gesellschaft gleichwohl so zu behandeln wie im Falle\neiner gesetzlichen Akzessorietat. Denn der Glaubigergemeinschaft\nentgegenstehende Sonderinteressen des einzelnen Glaubigers, etwa aus\nSicherungsabreden bzw. einem entsprechenden Vertrauen des Glaubigers, bestehen\nin einer solchen Konstellation gerade nicht. Es wird in der vorliegenden\nKonstellation gerade nicht in die der Privatautonomie unterstehende\nMoglichkeit eingegriffen, Sicherungsgeschafte abzuschließen (vgl. dazu BGH,\nUrteil vom 04.07.2002 - IX ZR 265/01, juris-Rn. 12). \n--- \n| 45 \n--- \n| Der Klager hat vorliegend kein uber die allgemeinen Glaubigerinteressen der\nInsolvenzschuldnerin hinausgehendes Sonderinteresse, das seine Besserstellung\ngegenuber der Glaubigergemeinschaft rechtfertigen wurde. Dementsprechend ist §\n93 InsO vorliegend analog anwendbar und der Klager nicht befugt, die\nakzessorischen Anspruche gegen den Beklagten Ziffer 2) geltend zu machen. \n--- \n**2.** \n--- \n| 46 \n--- \n| Die im Übrigen zulassige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. \n--- \n**a.** \n--- \n| 47 \n--- \n| Wie ausgefuhrt, steht § 93 InsO nicht einem selbstandigen deliktischen\nAnspruch des Klagers gegen den Beklagten Ziffer 2) entgegen. Hierbei handelt\nes sich nicht um einen akzessorischen Anspruch gegen die Beklagten Ziffern 1)\noder 3), sodass § 93 InsO hierauf nicht analog anwendbar ist. \n--- \n**b.** \n--- \n**(1)** \n--- \n| 48 \n--- \n| Der Klager hat gegen den Beklagten Ziffer 2) jedoch keinen Anspruch auf\nSchadensersatz aus § 826 BGB. \n--- \n| 49 \n--- \n| Es kann dahinstehen, ob die vom Klager angefuhrte Rechtsprechung uber die\nHaftung wegen vorsatzlicher sittenwidriger Schadigung bei der Beteiligung an\neiner Fondsgesellschaft bzw. Vermittlung von Anlageprodukten aufgrund\nbewusster Tauschung der Anlageinteressenten auf den vorliegenden Fall\nuberhaupt anwendbar ist. Das ist bereits zweifelhaft, da diese Rechtsprechung\nausschließlich prospektpflichtige juristische Personen betrifft.\nEntscheidungserheblich ist dies fur den zu entscheidenden Fall jedoch nicht. \n--- \n**(2)** \n--- \n| 50 \n--- \n| Zwar geht das Gericht davon aus, dass die Beklagte Ziffer 1) den Klager uber\ndas Verlustrisiko insbesondere im Falle einer Insolvenz der Beklagten Ziffer\n3) hatte informieren mussen. Der Klager war zur Wahrung seiner\nVermogensinteressen auf eine wahrheitsgemaße Darstellung der Beteiligung im\nVermittlungsgesprach als der maßgeblichen Informationsquelle angewiesen. Dies\nbegrundete die Rechtspflicht zur vollstandigen und richtigen Aufklarung. Das\nUnterlassen einer fur die Anlageentscheidung erheblichen Information ist fur\nsich genommen jedoch - selbst bei Bestehen einer Prospektpflicht - nicht\nverwerflich. Gegen die guten Sitten verstoßt ein Prospektverantwortlicher nur\ndann, wenn er Anlageinteressenten durch eine bewusste Tauschung zur\nBeteiligung bewegt, etwa dadurch, dass er einen ihm bekannten Umstand bewusst\nverschweigt, um unter Ausnutzung der Unkenntnis der Anlageinteressenten\nmoglichst viele Beitritte zu erreichen (BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR\n536/15, juris-Rn. 17 = NJW 2017, 250 m.w.N.). Anderenfalls fuhrte die objektiv\nunrichtige Beratung stets zu einer sittenwidrigen Schadigung der die\nBeteiligung erwerbenden Anleger, obwohl darin zunachst nicht mehr als eine zu\neinem moglicherweise ungewollten Vertragsschluss fuhrende Pflichtverletzung zu\nsehen ist (vgl. zur Informationspflichtverletzung bei Prospektpflicht BGH,\nUrteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, juris-Rn. 21 = NJW 2017, 250). \n--- \n| 51 \n--- \n| Selbst wenn man diese Grundsatze auf den vorliegenden Fall anwenden wollte,\nist dem Klager der Nachweis dieser Voraussetzungen beim Beklagten Ziffer 2)\nnicht gelungen. Der Klager hat bereits nicht bewiesen, dass dem Beklagten\nZiffer 2) bekannt war, dass ein Insolvenzrisiko der Beklagten Ziffer 3)\nbestand. Ungeachtet dessen hat der Klager nicht bewiesen, dass der Beklagte\nZiffer 2) entweder vorsatzlich darauf hingewirkt hat, dass dem Klager Risiken\nbeim Erwerb der Genossenschaftsbeteiligung bewusst verschwiegen wurden, oder\ner ein solches Unterlassen als Vorstand vorsatzlich geduldet hat. Nur dann\nkame eine entsprechende Haftung des Beklagten Ziffer 2) in Betracht. \n--- \n**aa.** \n--- \n| 52 \n--- \n| Dafur genugt auch nicht die Duldung der verwendeten Schulungsunterlagen.\nDass diese keine Hinweise auf mit der Genossenschaftsbeteiligung verbundene\nRisiken enthalten und gezielt die Vorteile der Beteiligung herausstellen, ist\nnicht ausreichend, um eine Haftung gem. § 826 BGB zu begrunden. Erheblich\nwaren lediglich eine vorsatzliche Desinformation oder eine vorsatzlich\nluckenhafte Information. Den Schulungsunterlagen lasst sich jedoch nicht\nentnehmen, dass die Vermittler der Beklagten Ziffer 1) eine Beratung uber\nRisiken allgemein auch mundlich zu unterlassen hatten oder gezielt untersagt\nwurde, entsprechende Informationen zu erteilen. So ist es durchaus denkbar,\ndass im Rahmen der Schulungen mundlich auf mogliche Risiken hingewiesen wurde.\nEs ist auch nicht bewiesen, dass außer den vorgelegten Auszugen aus den\nSchulungsunterlagen keine entsprechenden Risikohinweise in anderen Unterlagen\nenthalten waren. Selbst wenn die fur die Vermittler angebotenen Schulungen die\nSchulungsteilnehmer moglicherweise nicht oder nicht deutlich genug fur\nentsprechende Risiken sensibilisiert haben sollten, begrundet dies noch keine\nHaftung wegen vorsatzlicher sittenwidriger Schadigung. Denn ein entsprechender\nVorsatz des Beklagten Ziffer 2) ist damit nicht bewiesen. \n--- \n| 53 \n--- \n| Dies konnte auch durch die Zeugenvernehmungen nicht nachgewiesen werden. \n--- \n| 54 \n--- \n| Der Zeuge S war zu keinem Zeitpunkt im Betrieb der Beklagten Ziffern 1) und\n3) tatig und hatte keine Einblicke in die Vertriebsstruktur oder die Inhalte\nder Schulungen. Seine Angaben zu der Beratungspraxis der G... 24 genugen daher\nim vorliegenden Verfahren nicht, um einen entsprechenden Vorsatz des Beklagten\nZiffer 2) zu belegen. \n--- \n| 55 \n--- \n| Auch die Zeugen B und W konnten hierzu keine Angaben zur Kenntnis oder\nirgendwie gearteten Steuerung des Beklagten Ziffer 2) machen. Der Zeuge W war\nnur bei einer Schulungsveranstaltung anwesend und generell nur sehr kurz fur\ndie Beklagten tatig. Unabhangig von der Glaubhaftigkeitsbewertung, kann aus\ndessen Angaben, bei dieser einen Schulung sei keine Information der\nSchulungsteilnehmer uber die Risikoaufklarung erfolgt, nicht geschlossen\nwerden, dass dies (i) in Kenntnis der Risiken der Beteiligung bei schulenden\nPersonen erfolgte und (iii) der Beklagte Ziffer 2) hiervon - oder von dem\nRisiko - Kenntnis hatte. \n--- \n| 56 \n--- \n| Der Handelnde muss jedoch die Schadigung des Anspruchstellers gekannt bzw.\nvorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber fur moglich\ngehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genugt nicht, wenn die\nrelevanten Tatumstande lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde\nsie hatte kennen konnen oder kennen mussen oder sie sich ihm sogar hatten\naufdrangen mussen; in einer solchen Situation ist lediglich ein\nFahrlassigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR\n536/15, juris-Rn. 25 = NJW 2017, 250 m.w.N.). Diesen Nachweis hat der Klager\nvorliegend nicht dadurch gefuhrt, dass er auszugsweise Schulungsunterlagen\nvorlegt. Dem steht auch nicht entgegen, dass auch der Zeuge B berichtet hat,\ndass er dieselben Schulungsunterlagen erhalten habe wie der Zeuge W. \n--- \n| 57 \n--- \n| Es kann insofern auch offenbleiben, ob der Klager moglicherweise nicht doch\ndurch die Zeugin Wolf uber entsprechende Risiken informiert wurde. Denn selbst\nwenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, lassen sich hieraus keine\nRuckschlusse auf den Vorsatz des Beklagten Ziffer 2) ziehen. Hieraus lasst\nsich namlich nicht ableiten, dass es sich hierbei um eine gezielte\nDesinformation handelte und der Beklagte Ziffer 2) diese kannte. Auch eine\nWissenszurechnung anderer Personen kommt nicht in Betracht. Das ist wenn dann\nuberhaupt nur im Hinblick auf die Haftung der juristischen Person denkbar,\nnicht jedoch auf die Haftung einer naturlichen Person. Fur das Merkmal der\nSittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB ist zudem ein moralisches Unwerturteil\nerforderlich, das nicht uber eine Wissenszurechnung des Wissens der die\nSchulungen ausfuhrenden Mitarbeiter der Beklagten Ziffern 1) und 3) begrundet\nwerden kann (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, juris-Rn. 23 =\nNJW 2017, 250). Einer Vernehmung der Zeugin Wolf bedurfte es daher nicht. \n--- \n**bb.** \n--- \n| 58 \n--- \n| Auch eine entsprechende Beihilfe des Beklagten Ziffer 2) zu einer Haupttat\neines Dritten hat der Klager nicht nachgewiesen. Eine deliktische Beihilfe-\nHaftung kommt von vornherein nur bei vorsatzlicher Beteiligung an einem\nfremden Vorsatzdelikt in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 11.07.2006 - VI ZR\n339/04 m.w.N.). Dies erfordert jedoch eine vorsatzlich begangene Haupttat. \n--- \n| 59 \n--- \n| Eine solche vorsatzliche Haupttat etwa der ihm die Beteiligung vermittelnden\nbzw. ihn beratenden Personen hat der Klager nicht nachgewiesen. Auch\ndiesbezuglich fehlt es am Nachweis des Vorsatzes der handelnden Personen, hier\nder Zeugin Wolf. Selbst wenn man davon ausginge, dass im Falle des Klagers\nkeine entsprechenden Risikohinweise erfolgten, bedeutet das noch nicht, dass\ndies auch vorsatzlich wahrheitswidrig erfolgte. Es kann insofern nicht\nausgeschlossen werden, dass die Vermittler gar keine Kenntnis von Risiken\nhatten, da sie diese Risiken selbst nicht wahrgenommen haben bzw. kannten. \n--- \n**(3)** \n--- \n| 60 \n--- \n| Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der\nHauptforderung. \n--- \n| 61 \n--- \n| **II. Nebenentscheidungen** \n--- \n| 62 \n--- \n| Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten, da das\nVerfahren gegen die Beklagten Ziffern 1) und 3) unterbrochen ist. \n--- \n--- \n \n## Gründe\n\n| \n---|--- \n| 34 \n--- \n| **I. Hauptentscheidung** \n--- \n| 35 \n--- \n| Die Klage ist teilweise unzulassig und teilweise unbegrundet. \n--- \n**1.** \n--- \n| 36 \n--- \n| Die Klage ist unzulassig, soweit der Klager mit ihr einen eigentlich gegen\ndie Beklagte Ziffer 1) behaupteten, abgeleiteten Anspruch gegen den Beklagten\nZiffer 2) geltend macht. Wegen der alleinigen Prozessfuhrungsbefugnis des\nInsolvenzverwalters der Beklagten Ziffer 1) fur die Einziehung der Anspruche\nerweist sich die von dem Klager gegen den Beklagten Ziffer 2) erhobene Klage\ninsoweit als unzulassig, § 93 InsO (vgl. BGH, Beschluss vom 12.07.2012 − IX ZR\n217/11, juris-Rn. 10 f.). \n--- \n| 37 \n--- \n| Nach standiger Rechtsprechung kommt eine personliche Haftung von GmbH-\nGesellschaftern in Betracht, wenn die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und\nPrivatvermogen durch eine undurchsichtige Buchfuhrung oder auf andere Weise\nverschleiert worden ist; denn dann konnen die Kapitalerhaltungsvorschriften,\nderen Einhaltung ein unverzichtbarer Ausgleich fur die Beschrankung der\nHaftung auf das Gesellschaftsvermogen ist, nicht funktionieren. Dies kann es\nrechtfertigen, ausnahmsweise den Glaubigern außer dem nicht mehr wirksam\ngeschutzten Haftungsfonds der Gesellschaft das Privatvermogen der\nGesellschafter zur Verfugung zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 13.04.1994 - II\nZR 16/93, juris-Rn. 6 = BGHZ 125, 366 m.w.N.). \n--- \n| 38 \n--- \n| Vorliegend kann indes dahinstehen, ob dieser erstmals mit Schriftsatz vom\n08.03.2019 geltend gemachte Haftungsdurchgriff gegen den Beklagten Ziffer 2)\naufgrund der behaupteten Vermogensvermischung in Betracht kommt. Denn dieser\nausnahmsweise Haftungsdurchgriff fuhrt letztlich nur zur akzessorischen\nHaftung der Gesellschafter fur Verbindlichkeiten der Beklagten Ziffer 1).\nEinen eigenstandigen Haftungsgrund konstituiert er nicht. Fur akzessorische\nAnspruche gegen die Gesellschafter ist der Klager jedoch nicht\nprozessfuhrungsbefugt, da § 93 InsO vorliegend analog anwendbar ist und ein\nentsprechender Anspruch ausschließlich vom Insolvenzverwalter und zugunsten\nder Masse geltend gemacht werden kann. \n--- \n**a.** \n--- \n| 39 \n--- \n| Die Sperrwirkung des § 93 InsO verbietet den Glaubigern der insolventen\nPersonengesellschaft, Anspruche gegen einen personlich haftenden\nGesellschafter geltend zu machen. \n--- \n| 40 \n--- \n| Zwar handelt es sich bei der Beklagten Ziffer 1) nicht um eine\nPersonengesellschaft. Allerdings leitet der Klager den abgeleiteten Anspruch\ngegen den Beklagten Ziffer 2) auch nicht aus gesetzlichen Vorschriften uber\ndie personliche Haftung von GmbH-Gesellschaftern ab, denn solche existieren\nnicht. Die Regelung ist jedoch im Wege der Analogie auf die Konstellation\nanzuwenden, in der ein Glaubiger aufgrund besonderer Grunde Anspruche gegen\ndie von Gesetzes wegen grundsatzlich nicht personlich haftenden Gesellschafter\ngeltend macht, sofern der Anspruch ein abgeleiteter Anspruch gegen die\nGesellschaft ist. \n--- \n| 41 \n--- \n| Der Gesetzgeber hat die Inanspruchnahme von GmbH-Gesellschaftern in § 93\nInsO ersichtlich deshalb nicht aufgefuhrt, da hier von Gesetzes wegen kein\nAnlass bestand, denn GmbH-Gesellschafter haften grundsatzlich nicht\npersonlich, § 13 Abs. 2 GmbhG. Insoweit besteht jedoch eine Regelungslucke fur\ndiejenigen Falle, in denen ein Gesellschafter ausnahmsweise etwa aufgrund\nVermogensvermischung doch wegen Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch\ngenommen wird. \n--- \n| 42 \n--- \n| Aus Glaubigerschutzinteressen ist es geboten, in solchen Konstellationen §\n93 InsO analog anzuwenden. Denn andernfalls wurde derjenige Glaubiger der\nfruhzeitig auf den Gesellschafter zugreift, gegenuber den anderen Glaubigern\nbegunstigt (sog. Glaubigerwettlauf). Das lauft jedoch den Zielen des § 93 InsO\nersichtlich zuwider. \n--- \n**b.** \n--- \n| 43 \n--- \n| § 93 InsO erfasst zwar nicht samtliche Anspruche gegen den ausnahmsweise\npersonlich in Anspruch genommenen Gesellschafter. Nach hochstrichterlicher\nRechtsprechung ist § 93 InsO namlich auch bei\nPersonengesellschaftsgesellschaftern nicht auf solche Anspruche anwendbar, die\ndeshalb gegen die Gesellschafter bestehen, weil diese aus einem von den\nhandelsrechtlichen Haftungsbestimmungen unabhangigen Rechtsgrund, insbesondere\neiner rechtlich selbstandigen eigenen Verpflichtung, fur die Verbindlichkeit\nder Gesellschaft einzustehen haben (BGH, Urteil vom 04.07.2002 - IX ZR 265/01,\njuris-Rn. 9). \n--- \n| 44 \n--- \n| Vorliegend macht der Klager jedoch neben den unter Ziffer 2. unten\nbehandelten deliktischen Anspruchen gerade einen akzessorischen Anspruch gegen\nden Klager geltend. Dies erfolgt zwar nicht aufgrund einer gesetzlichen\nAkzessorietat, da diese bei einer GmbH gerade nicht besteht. Allerdings ist\nder ausnahmsweise geltend gemachte Durchgriff aufgrund der behaupteten\nVermogensvermischung der Gesellschaft gleichwohl so zu behandeln wie im Falle\neiner gesetzlichen Akzessorietat. Denn der Glaubigergemeinschaft\nentgegenstehende Sonderinteressen des einzelnen Glaubigers, etwa aus\nSicherungsabreden bzw. einem entsprechenden Vertrauen des Glaubigers, bestehen\nin einer solchen Konstellation gerade nicht. Es wird in der vorliegenden\nKonstellation gerade nicht in die der Privatautonomie unterstehende\nMoglichkeit eingegriffen, Sicherungsgeschafte abzuschließen (vgl. dazu BGH,\nUrteil vom 04.07.2002 - IX ZR 265/01, juris-Rn. 12). \n--- \n| 45 \n--- \n| Der Klager hat vorliegend kein uber die allgemeinen Glaubigerinteressen der\nInsolvenzschuldnerin hinausgehendes Sonderinteresse, das seine Besserstellung\ngegenuber der Glaubigergemeinschaft rechtfertigen wurde. Dementsprechend ist §\n93 InsO vorliegend analog anwendbar und der Klager nicht befugt, die\nakzessorischen Anspruche gegen den Beklagten Ziffer 2) geltend zu machen. \n--- \n**2.** \n--- \n| 46 \n--- \n| Die im Übrigen zulassige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. \n--- \n**a.** \n--- \n| 47 \n--- \n| Wie ausgefuhrt, steht § 93 InsO nicht einem selbstandigen deliktischen\nAnspruch des Klagers gegen den Beklagten Ziffer 2) entgegen. Hierbei handelt\nes sich nicht um einen akzessorischen Anspruch gegen die Beklagten Ziffern 1)\noder 3), sodass § 93 InsO hierauf nicht analog anwendbar ist. \n--- \n**b.** \n--- \n**(1)** \n--- \n| 48 \n--- \n| Der Klager hat gegen den Beklagten Ziffer 2) jedoch keinen Anspruch auf\nSchadensersatz aus § 826 BGB. \n--- \n| 49 \n--- \n| Es kann dahinstehen, ob die vom Klager angefuhrte Rechtsprechung uber die\nHaftung wegen vorsatzlicher sittenwidriger Schadigung bei der Beteiligung an\neiner Fondsgesellschaft bzw. Vermittlung von Anlageprodukten aufgrund\nbewusster Tauschung der Anlageinteressenten auf den vorliegenden Fall\nuberhaupt anwendbar ist. Das ist bereits zweifelhaft, da diese Rechtsprechung\nausschließlich prospektpflichtige juristische Personen betrifft.\nEntscheidungserheblich ist dies fur den zu entscheidenden Fall jedoch nicht. \n--- \n**(2)** \n--- \n| 50 \n--- \n| Zwar geht das Gericht davon aus, dass die Beklagte Ziffer 1) den Klager uber\ndas Verlustrisiko insbesondere im Falle einer Insolvenz der Beklagten Ziffer\n3) hatte informieren mussen. Der Klager war zur Wahrung seiner\nVermogensinteressen auf eine wahrheitsgemaße Darstellung der Beteiligung im\nVermittlungsgesprach als der maßgeblichen Informationsquelle angewiesen. Dies\nbegrundete die Rechtspflicht zur vollstandigen und richtigen Aufklarung. Das\nUnterlassen einer fur die Anlageentscheidung erheblichen Information ist fur\nsich genommen jedoch - selbst bei Bestehen einer Prospektpflicht - nicht\nverwerflich. Gegen die guten Sitten verstoßt ein Prospektverantwortlicher nur\ndann, wenn er Anlageinteressenten durch eine bewusste Tauschung zur\nBeteiligung bewegt, etwa dadurch, dass er einen ihm bekannten Umstand bewusst\nverschweigt, um unter Ausnutzung der Unkenntnis der Anlageinteressenten\nmoglichst viele Beitritte zu erreichen (BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR\n536/15, juris-Rn. 17 = NJW 2017, 250 m.w.N.). Anderenfalls fuhrte die objektiv\nunrichtige Beratung stets zu einer sittenwidrigen Schadigung der die\nBeteiligung erwerbenden Anleger, obwohl darin zunachst nicht mehr als eine zu\neinem moglicherweise ungewollten Vertragsschluss fuhrende Pflichtverletzung zu\nsehen ist (vgl. zur Informationspflichtverletzung bei Prospektpflicht BGH,\nUrteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, juris-Rn. 21 = NJW 2017, 250). \n--- \n| 51 \n--- \n| Selbst wenn man diese Grundsatze auf den vorliegenden Fall anwenden wollte,\nist dem Klager der Nachweis dieser Voraussetzungen beim Beklagten Ziffer 2)\nnicht gelungen. Der Klager hat bereits nicht bewiesen, dass dem Beklagten\nZiffer 2) bekannt war, dass ein Insolvenzrisiko der Beklagten Ziffer 3)\nbestand. Ungeachtet dessen hat der Klager nicht bewiesen, dass der Beklagte\nZiffer 2) entweder vorsatzlich darauf hingewirkt hat, dass dem Klager Risiken\nbeim Erwerb der Genossenschaftsbeteiligung bewusst verschwiegen wurden, oder\ner ein solches Unterlassen als Vorstand vorsatzlich geduldet hat. Nur dann\nkame eine entsprechende Haftung des Beklagten Ziffer 2) in Betracht. \n--- \n**aa.** \n--- \n| 52 \n--- \n| Dafur genugt auch nicht die Duldung der verwendeten Schulungsunterlagen.\nDass diese keine Hinweise auf mit der Genossenschaftsbeteiligung verbundene\nRisiken enthalten und gezielt die Vorteile der Beteiligung herausstellen, ist\nnicht ausreichend, um eine Haftung gem. § 826 BGB zu begrunden. Erheblich\nwaren lediglich eine vorsatzliche Desinformation oder eine vorsatzlich\nluckenhafte Information. Den Schulungsunterlagen lasst sich jedoch nicht\nentnehmen, dass die Vermittler der Beklagten Ziffer 1) eine Beratung uber\nRisiken allgemein auch mundlich zu unterlassen hatten oder gezielt untersagt\nwurde, entsprechende Informationen zu erteilen. So ist es durchaus denkbar,\ndass im Rahmen der Schulungen mundlich auf mogliche Risiken hingewiesen wurde.\nEs ist auch nicht bewiesen, dass außer den vorgelegten Auszugen aus den\nSchulungsunterlagen keine entsprechenden Risikohinweise in anderen Unterlagen\nenthalten waren. Selbst wenn die fur die Vermittler angebotenen Schulungen die\nSchulungsteilnehmer moglicherweise nicht oder nicht deutlich genug fur\nentsprechende Risiken sensibilisiert haben sollten, begrundet dies noch keine\nHaftung wegen vorsatzlicher sittenwidriger Schadigung. Denn ein entsprechender\nVorsatz des Beklagten Ziffer 2) ist damit nicht bewiesen. \n--- \n| 53 \n--- \n| Dies konnte auch durch die Zeugenvernehmungen nicht nachgewiesen werden. \n--- \n| 54 \n--- \n| Der Zeuge S war zu keinem Zeitpunkt im Betrieb der Beklagten Ziffern 1) und\n3) tatig und hatte keine Einblicke in die Vertriebsstruktur oder die Inhalte\nder Schulungen. Seine Angaben zu der Beratungspraxis der G... 24 genugen daher\nim vorliegenden Verfahren nicht, um einen entsprechenden Vorsatz des Beklagten\nZiffer 2) zu belegen. \n--- \n| 55 \n--- \n| Auch die Zeugen B und W konnten hierzu keine Angaben zur Kenntnis oder\nirgendwie gearteten Steuerung des Beklagten Ziffer 2) machen. Der Zeuge W war\nnur bei einer Schulungsveranstaltung anwesend und generell nur sehr kurz fur\ndie Beklagten tatig. Unabhangig von der Glaubhaftigkeitsbewertung, kann aus\ndessen Angaben, bei dieser einen Schulung sei keine Information der\nSchulungsteilnehmer uber die Risikoaufklarung erfolgt, nicht geschlossen\nwerden, dass dies (i) in Kenntnis der Risiken der Beteiligung bei schulenden\nPersonen erfolgte und (iii) der Beklagte Ziffer 2) hiervon - oder von dem\nRisiko - Kenntnis hatte. \n--- \n| 56 \n--- \n| Der Handelnde muss jedoch die Schadigung des Anspruchstellers gekannt bzw.\nvorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber fur moglich\ngehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genugt nicht, wenn die\nrelevanten Tatumstande lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde\nsie hatte kennen konnen oder kennen mussen oder sie sich ihm sogar hatten\naufdrangen mussen; in einer solchen Situation ist lediglich ein\nFahrlassigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR\n536/15, juris-Rn. 25 = NJW 2017, 250 m.w.N.). Diesen Nachweis hat der Klager\nvorliegend nicht dadurch gefuhrt, dass er auszugsweise Schulungsunterlagen\nvorlegt. Dem steht auch nicht entgegen, dass auch der Zeuge B berichtet hat,\ndass er dieselben Schulungsunterlagen erhalten habe wie der Zeuge W. \n--- \n| 57 \n--- \n| Es kann insofern auch offenbleiben, ob der Klager moglicherweise nicht doch\ndurch die Zeugin Wolf uber entsprechende Risiken informiert wurde. Denn selbst\nwenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, lassen sich hieraus keine\nRuckschlusse auf den Vorsatz des Beklagten Ziffer 2) ziehen. Hieraus lasst\nsich namlich nicht ableiten, dass es sich hierbei um eine gezielte\nDesinformation handelte und der Beklagte Ziffer 2) diese kannte. Auch eine\nWissenszurechnung anderer Personen kommt nicht in Betracht. Das ist wenn dann\nuberhaupt nur im Hinblick auf die Haftung der juristischen Person denkbar,\nnicht jedoch auf die Haftung einer naturlichen Person. Fur das Merkmal der\nSittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB ist zudem ein moralisches Unwerturteil\nerforderlich, das nicht uber eine Wissenszurechnung des Wissens der die\nSchulungen ausfuhrenden Mitarbeiter der Beklagten Ziffern 1) und 3) begrundet\nwerden kann (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, juris-Rn. 23 =\nNJW 2017, 250). Einer Vernehmung der Zeugin Wolf bedurfte es daher nicht. \n--- \n**bb.** \n--- \n| 58 \n--- \n| Auch eine entsprechende Beihilfe des Beklagten Ziffer 2) zu einer Haupttat\neines Dritten hat der Klager nicht nachgewiesen. Eine deliktische Beihilfe-\nHaftung kommt von vornherein nur bei vorsatzlicher Beteiligung an einem\nfremden Vorsatzdelikt in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 11.07.2006 - VI ZR\n339/04 m.w.N.). Dies erfordert jedoch eine vorsatzlich begangene Haupttat. \n--- \n| 59 \n--- \n| Eine solche vorsatzliche Haupttat etwa der ihm die Beteiligung vermittelnden\nbzw. ihn beratenden Personen hat der Klager nicht nachgewiesen. Auch\ndiesbezuglich fehlt es am Nachweis des Vorsatzes der handelnden Personen, hier\nder Zeugin Wolf. Selbst wenn man davon ausginge, dass im Falle des Klagers\nkeine entsprechenden Risikohinweise erfolgten, bedeutet das noch nicht, dass\ndies auch vorsatzlich wahrheitswidrig erfolgte. Es kann insofern nicht\nausgeschlossen werden, dass die Vermittler gar keine Kenntnis von Risiken\nhatten, da sie diese Risiken selbst nicht wahrgenommen haben bzw. kannten. \n--- \n**(3)** \n--- \n| 60 \n--- \n| Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der\nHauptforderung. \n--- \n| 61 \n--- \n| **II. Nebenentscheidungen** \n--- \n| 62 \n--- \n| Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten, da das\nVerfahren gegen die Beklagten Ziffern 1) und 3) unterbrochen ist. \n--- \n---\n\n
323,537
ovgnrw-2019-09-30-4-a-199119
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
4 A 1991/19
2019-09-30
2019-11-08 11:01:14
2020-12-10 13:27:55
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2019:0930.4A1991.19.00
## Tenor\n\nDer Antrag des Klagers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.\n\n \n1\n\nGrunde:\n\n2\n\nDer Senat versteht das als „Antrag auf Zulassung der Berufung" bezeichnete\nRechtsmittel nach entsprechender Anhorung des Klagers als Antrag auf\nBewilligung von Prozesskostenhilfe fur einen durch einen\nProzessbevollmachtigten noch zu stellenden Antrag auf Zulassung der Berufung.\nDies liegt im Kosteninteresse des Klagers, der im erstinstanzlichen Verfahren\neinen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hatte. Ein von ihm selbst gestellter\nAntrag auf Zulassung der Berufung musste wegen des bei dem\nOberverwaltungsgericht bestehenden Vertretungserfordernisses (§ 67 Abs. 4 i.\nV. m. Abs. 2 VwGO), auf das der Klager in der Rechtsmittelbelehrung des\nUrteils des Verwaltungsgerichts hingewiesen worden ist, auf seine Kosten als\nunzulassig verworfen werden.\n\n3\n\nDer Klager ist vor dem Oberverwaltungsgericht nicht vertretungsberechtigt.\nEntgegen seiner Auffassung ergibt sich seine Vertretungsberechtigung nicht aus\n§ 1902 BGB. Diese Vorschrift betrifft ausschließlich die Vertretung eines\nBetreuten und nicht die Vertretungsberechtigung vor dem\nOberverwaltungsgericht. Die vor dem Oberverwaltungsgericht zur Vertretung\nbefugten Personen ergeben sich abschließend aus § 67 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2\nVwGO. Die vom Klager zitierte Vorschrift des § 67 Abs. 7 VwGO bezieht sich auf\nBeistande in der mundlichen Verhandlung, regelt aber gleichfalls nicht die\nVertretungsberechtigung vor dem Oberverwaltungsgericht. Auch § 67 Abs. 4 Satz\n8 VwGO, wonach sich ein Beteiligter, der nach den Satzen 3 und 7 zur\nVertretung vor dem Oberverwaltungsgericht berechtigt ist, selbst vertreten\nkann, greift nicht, weil dem Klager diese Vertretungsberechtigung gerade\nfehlt. Der vom Klager zitierte Gesetzentwurf der Bundesregierung zur\nNeuregelung des Rechtsberatungsgesetzes vom 30.11.2006 (BT-Drs. 16/3655, S.\n97, 100) lasst sich fur eine Vertretungsberechtigung des Klagers vor dem\nOberverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar anfuhren, weil es sich bei dem\nAntrag auf Zulassung der Berufung nicht um ein kostenrechtliches Verfahren\nnach dem Gerichtskostengesetz handelt.\n\n4\n\nDer Antrag auf Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte\nRechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1\nSatz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ein noch zu stellender\nBerufungszulassungsantrag ware verfristet. Die Monatsfrist gemaß § 124a Abs. 4\nSatz 1 VwGO ist, nachdem das angegriffene Urteil dem Klager am 6.5.2019\nzugestellt worden war, am 6.6.2019 abgelaufen. Wiedereinsetzung in den vorigen\nStand gemaß § 60 VwGO konnte dem Klager nicht gewahrt werden. Ist einer Partei\nwegen ihrer Mittellosigkeit die fristgerechte Einlegung eines Rechtsmittels\ndurch einen Rechtsanwalt nicht zuzumuten, darf Wiedereinsetzung in den vorigen\nStand nur dann gewahrt werden, wenn die Partei bis zum Ablauf der\nRechtsmittelfrist ein vollstandiges Prozesskostenhilfegesuch mit allen\ndazugehorigen Unterlagen eingereicht hat. Nur dann hat die Partei alles getan,\nwas von ihr zur Wahrung der Frist erwartet werden kann, und ist es\ngerechtfertigt, das Fristversaumnis als unverschuldet anzusehen.\n\n5\n\nVgl. BVerwG, Beschlusse vom 21.1.1999 - 1 B 3.99, 1 PKH 1.99 -, Buchholz 310 §\n166 VwGO Nr. 38 = juris, Rn. 3, und vom 28.1.2004 - 6 PKH 15.03 -, NVwZ 2004,\n888 = juris, Rn. 5.\n\n6\n\nDaran fehlt es hier. Der Klager hat zwar die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.\nV. m. § 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 und Abs. 4 ZPO erforderliche Erklarung uber\nseine personlichen und wirtschaftlichen Verhaltnisse unter Verwendung des\ndafur vorgeschriebenen Formulars abgeben. Dies ist aber nicht innerhalb der\nAntragsfrist geschehen. Auch hat er ‒ bis heute ‒ nicht die Angaben belegt,\nobwohl er in der Eingangsverfugung ausdrucklich auf das entsprechende\nErfordernis hingewiesen worden war.\n\n7\n\nDieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).\n\n
323,564
ovgsh-2019-10-24-4-mb-5819
1,066
Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
ovgsh
Schleswig-Holstein
Verwaltungsgerichtsbarkeit
4 MB 58/19
2019-10-24
2019-11-09 11:00:31
2020-12-10 13:27:58
Beschluss
ECLI:DE:OVGSH:2019:1024.4MB58.19.00
#### Tenor\n\n \n\nDer Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer -\nvom 18. Juni 2019 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert und der\nAntrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des\nWiderspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom\n16. Mai 2019 abgelehnt.\n\n \n\nDie Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.\n\n \n\nDer Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.\n\n \n\n#### Gründe\n\n \n\nI.\n\n1\n\n \n\nDie Beteiligten streiten über die Zulässigkeit von Plakatwerbung an einem\nSchaltkasten für Telekommunikationsleitungen.\n\n2\n\n \n\nDie Antragstellerin betreibt ein Gewerbe spezialisiert auf Außenwerbung.\nVermittelt über eine Kooperation mit einer anderen Werbeagentur und deren\nvertraglichem Recht zur werblichen Nutzung von Schaltkästen der Telekom\nDeutschland GmbH brachte sie an einem Schaltkasten am Fußgängerüberweg „Am\nLotsenberg“ in Travemünde eine auf Styropor aufgeklebte Plakatwerbung für\neinen örtlichen Supermarkt an.\n\n3\n\n \n\nMit Bescheid vom 16. Mai 2019 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin\nunter Anordnung des Sofortvollzuges auf, diese Werbeanlage unverzüglich,\nspätestens bis zum 27. Juli 2019 zu entfernen. Für den Fall, dass die\nAntragstellerin dem nicht in der gesetzten Frist nachkomme, wurde ihr ein\nZwangsgeld i.H.v. 2000,- Euro angedroht. Zur Begründung führte die\nAntragsgegnerin aus, dass ein erlaubnisfreies Bekleben von Schaltkästen mit\nkommerzieller Werbung nicht von der öffentlich-rechtlichen\nNutzungsberechtigung in Bezug auf Telekommunikationslinien einschließlich\ndazugehöriger Schaltkästen gemäß §§ 68 Abs. 1 und 69 Abs. 1 TKG umfasst sei\nund es sich deshalb um eine straßenrechtliche Sondernutzung handele, für die\ndie Antragstellerin keine Erlaubnis habe. Gemäß der städtischen\nWerbeanlagensatzung sei die Sondernutzung auch nicht erlaubnisfähig. Dagegen\nerhob die Antragstellerin rechtzeitig Widerspruch.\n\n4\n\n \n\nIhrem zugleich gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat\ndas Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juni 2019 stattgegeben und sich\nim Wesentlichen darauf gestützt, dass es sich bei der Werbeanlage bzw. dem\nAnbringen der Werbeanlage an dem Schaltkasten um keine erlaubnispflichtige\nSondernutzung handele. Der Schaltkasten sei Teil einer Telekommunikationslinie\nund unterfalle deshalb dem Telekommunikationsgesetz, nicht aber dem Straßen-\nund Wegerecht. Dass der Schaltkasten plakatiert sei, ändere daran nichts.\nEtwas anderes könne nur gelten, wenn der Gemeingebrauch der anderen\nVerkehrsteilnehmer nicht nur unerheblich beeinträchtigt werde; dies sei bei\neinem Plakat aber nicht der Fall.\n\n5\n\n \n\nDagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie macht u.a.\ngeltend, dass sich das Verwaltungsgericht weder mit der Übertragbarkeit und\ndem Umfang der Nutzungsberechtigung an öffentlichen Verkehrsflächen nach § 68\nAbs. 1 Satz 1 TKG noch mit den Besonderheiten der Sondernutzung durch Nutzung\ndes Schaltkastens für die Zwecke der Plakatierung auseinandergesetzt habe.\nDurch das Bekleben des Schaltkastens mit Werbung werde dessen Nutzungszweck\ngeändert. Dies sei als straßenrechtliche Sondernutzung anzusehen, mit deren\nBesonderheiten sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt habe. Die\nWerbung an dem Schaltkasten erfolge unter Ausnutzung öffentlichen Straßenraums\nund an exponierter Stelle, weil sie die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer\nauf sich ziehen solle. Durch das Stoppen der Verkehrsteilnehmer könne es zu\nVerkehrsbehinderungen und damit zur Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs\nkommen.\n\n \n\nII.\n\n6\n\n \n\nDie Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig und\nbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand\nder Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben Anlass, den\nerstinstanzlichen Beschluss zu ändern und den Antrag insgesamt abzulehnen.\n\n7\n\n \n\n1\\. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO\ngenügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Entgegen der Ansicht\nder Antragstellerin setzt sich die Antragsgegnerin hinreichend deutlich mit\nden Umständen des Einzelfalls auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass der\nsofortigen Vollziehung ausnahmsweise der Vorrang gegenüber dem\nAussetzungsinteresse einzuräumen sei. Sie führt aus, dass es im Falle der\naufschiebenden Wirkung über längere Zeit zu einer Wildwerbung im öffentlichen\nStraßenraum kommen und das Risiko einer Nachahmung mit sich bringen könne.\nZudem gelte es zu vermeiden, dass der Antragstellerin durch die unerlaubte\nSondernutzung ein wirtschaftlicher Vorteil zuwachse, der anderen, sich\nrechtmäßig verhaltenden Bewerbern vorenthalten bleibe.\n\n8\n\n \n\n2\\. Die von der Antragsgegnerin verfügte Entfernung der Werbeanlage an dem –\nim Bescheid näher bezeichneten – Schaltkasten der Telekom stellt sich als\noffensichtlich rechtmäßig dar. Sie ist von § 21 Abs. 7 StrWG gedeckt. Danach\nkann die für die Erteilung der (Sondernutzungs-) Erlaubnis zuständige Behörde\ndie erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung einer öffentlichen\nStraße anordnen, wenn die Straße ohne die nach Abs. 1 erforderliche Erlaubnis\nbenutzt wird.\n\n9\n\n \n\na. Die Anbringung des streitbefangenen Werbeplakates am Schaltkasten der\nTelekom und im öffentlichen Straßenraum – hier im Bereich eines Gehweges, der\ngemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrWG zur öffentlichen Straße gehört – stellt sich als\nstraßenrechtliche Sondernutzung dar, für die es gemäß § 21 Abs. 1 StrWG einer\nErlaubnis bedarf. Die mit dem Plakat verbundene Straßennutzung geht über den\nGemeingebrauch hinaus. Ein Gemeingebrauch liegt nach § 20 Abs. 1 StrWG nur\nvor, wenn öffentliche Straßen im Rahmen der Widmung und der\nStraßenverkehrsordnung zum Verkehr gebraucht werden, nicht jedoch, wenn die\nStraße nicht überwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken genutzt wird.\nSo liegt es hier. Der mit der Werbung verfolgte Zweck ist kommerzieller Art\nund bewegt sich außerhalb des Widmungszwecks. Die Plakattafel soll die\nAufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer auf die Werbung ziehen und sie\nmöglicherweise sogar zur näheren Betrachtung animieren. Hier wird die Straße\nausschließlich zur Verwirklichung eines privaten geschäftlichen Interesses\nbenutzt, dass außerhalb eines verkehrsbezogenen kommunikativen Geschehens\nliegt (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 16.08.1990 - 1 Ss OWi 31/90 -, juris Rn. 7;\nBehnsen in: Praxis der Kommunalverwaltung, StrWG, Juli 2017, § 21 Rn. 35). Die\nAntragstellerin benutzt die ihr mit der Straße gegebene Gelegenheit, die\nWerbung einer Vielzahl von Passanten mitzuteilen und zum Vorteil für das\nwerbende Unternehmen auf sie einzuwirken.\n\n10\n\n \n\nFür die Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung unerheblich ist die\nFrage, ob bzw. in welchem Umfang es durch ein Stoppen der Verkehrsteilnehmer\nzu Verkehrsbehinderungen und damit zu einer (nicht nur unerheblichen)\nBeeinträchtigung des Gemeingebrauchs kommen kann. Gemäß §§ 20 Abs. 1, 21 Abs.\n1 StrWG kommt es allein darauf an, ob eine Nutzung vorwiegend zum Verkehr\nerfolgt oder nicht. Würde man an dieser Stelle auch auf eine Beeinträchtigung\ndes Gemeingebrauchs abstellen, wären geringfügige Sondernutzungen letztlich\nnicht mehr als Sondernutzung, sondern als Gemeingebrauch einzuordnen. Dies\nwiderspräche dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschriften (Urt. des\nSenats v. 10.07.1996 - 4 L 175/95 -, juris Rn. 27; vgl. auch OVG Berlin-Brbg.,\nBeschl. v. 16.09.2008 - OVG 1 S 154.07 -, juris Rn. 21). Sollte das OVG\nMünster in Anwendung der §§ 14, 18 Abs. 1 StrWG NRW an dieser Stelle eine\nnicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs verlangen (Urt. v.\n03.09.2018 - 11 A 546/15 -, juris Rn. 51 a.E.; Beschl. v. 07.02.2019 - 11 B\n1033/19 -, juris Rn. 6, 18), kann dem für das schleswig-holsteinische Straßen-\nund Wegerecht nicht gefolgt werden.\n\n11\n\n \n\nb. Das Vorliegen einer Beeinträchtigung ist allein bei der Frage bedeutsam, ob\neine öffentliche oder privat-rechtliche Sondernutzung i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz\n1 Nr. 1 StrWG vorliegt (Urt. des Senats v. 10.07.1996 a.a.O.). Um wiederum die\nVoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrWG abzulehnen, kommt es nicht darauf\nan, ob eine konkrete Gefährdung des Gemeingebrauchs besteht. Ausreichend ist\nvielmehr allein die abstrakte Möglichkeit, dass der Gemeingebrauch\nbeeinträchtigt werden könnte (Urt. des Senats v. 10.07.1996 a.a.O. Rn. 33).\nDaran hat der Senat in Anbetracht des hier gewählten Standortes direkt\ngegenüber einem Fußgängerüberweg schon allein wegen der denkbaren Ablenkung\nder Verkehrsteilnehmer keine Zweifel. Das Maß der denkbaren Beeinträchtigung\nkönnte im Übrigen im Falle eines Antrages auf Erteilung einer\nSondernutzungserlaubnis im Rahmen der behördlichen Ermessensbetätigung eine\nRolle spielen.\n\n12\n\n \n\nc. Die Straßennutzung durch Hineinwirken der Werbung in den Straßenraum zu\nprivaten kommerziellen Zwecken ist auch nicht durch Regelungen außerhalb des\nStraßen- und Wegegesetzes gedeckt, insbesondere nicht durch die\nNutzungsberechtigung aus § 68 Abs. 1 Satz 1 TKG. Nach dieser wegerechtlichen\nVorschrift ist der Bund befugt, Verkehrswege für die öffentlichen Zwecken\ndienenden Telekommunikationslinien unentgeltlich zu benutzen, soweit dadurch\nnicht der Widmungszweck der Verkehrswege dauernd beschränkt wird\n(Nutzungsberechtigung). Zu Telekommunikationslinien zählen gemäß § 3 Nr. 26\nTKG u.a. unter- oder oberirdisch geführte Telekommunikationskabelanlagen,\neinschließlich ihrer zugehörigen Schalt- und Verzweigungseinrichtungen und\ndamit auch Schaltkästen der hier in Rede stehenden Art.\n\n13\n\n \n\nDas Verwaltungsgericht kommt zu dem Schluss, dass die Inanspruchnahme des\nöffentlichen Verkehrsraums durch den streitgegenständlichen Schaltkasten auch\ndann durch § 68 Abs. 1 TKG abgedeckt bleibt, wenn an ihm Werbung angebracht\nwird, die ihrerseits nicht dem Betrieb von Telekommunikationslinien dient(wie\nOVG Münster, Beschl. v. 07.02.2019 - 11 B 1033/19 -, juris Rn. 16).\nDemgegenüber macht die Antragsgegnerin geltend, dass das Bekleben des\nSchaltkastens mit kommerzieller Werbung von dem mit § 68 Abs. 1 TKG verfolgten\nöffentlichen Zweck der Versorgung der Allgemeinheit mit Telekommunikation\nnicht abgedeckt ist und sich deshalb als erlaubnispflichtige Sondernutzung\ndarstellt (so auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.07.2019 - 7 ME 27/19 -, juris\nRn. 10 ff.). Dem schließt sich der erkennende Senat an.\n\n14\n\n \n\nBei der gesetzlich eingeräumten Nutzungsberechtigung handelt es sich um einen\nAnnex zur straßenrechtlichen Widmung, da sie in ihrem Bestand vom\nVorhandensein eines öffentlichen Verkehrsweges abhängig ist und zugleich den\nZweck der Widmung kraft Gesetzes erweitert. Die Nutzungsberechtigung wird\ndeshalb als die Fiktion einer besonderen Form des Gemeingebrauchs (Stelkens,\nTKG - Wegerecht -, 1. Aufl. 2010, § 68 Rn. 33, 34) oder auch als ein auf\naußerhalb des straßen- und wegerechtlicher Grundlage beruhendes\nSondergebrauchsrecht (Stahlhut in: Kodal, 7. Aufl., Kap. 27 Rn. 33 und Kap. 28\nRn. 134) bezeichnet. Die Widmung erhält kraft Gesetzes eine weitere\nZweckbestimmung, nämlich den über Kabel geführten \nöffentlichen Telekommunikationsverkehr aufzunehmen, so dass zu dem\nFortbewegungsverkehr der Telekommunikationsverkehr tritt und sich die\nNutzungsberechtigung rechtstypisch als ein Recht zur Mitbenutzung öffentlicher\nVerkehrswege darstellt (Schütz in: BeckOK, TKG, 4. Aufl. 2013, § 68 Rn. 12\nm.w.N.). Die Nutzungsberechtigung steht damit neben dem straßenrechtlichen\nGemeingebrauch. Daher liegt es nahe, die Reichweite der Nutzungsberechtigung\nmaßgeblich anhand des sie legitimierenden Zweckes zu definieren, ebenso, wie\ndie Reichweite des Gemeingebrauchs anhand des Benutzungszwecks definiert wird\n(§ 20 Abs. 1 Satz 2, § 21 Abs. 1 StrWG). Die Befugnis aus § 68 Abs. 1 Satz 1\nTKG, öffentliche Verkehrswege unentgeltlich zu benutzen, kann dementsprechend\nnur so weit reichen, wie die Benutzung sich im Rahmen des damit verfolgten\nZwecks bewegt. Der mit § 68 Abs. 1 Satz 1 TKG verfolgte öffentliche Zweck\nbesteht darin, der Allgemeinheit Telekommunikationseinrichtungen für eine\nNutzung durch jedermann zur Verfügung zu stellen (BVerwG, Beschl. v.\n07.05.2001 - 6 B 55/00 -, juris Rn. 14). Das Bekleben des Schaltkastens mit\nWerbeplakaten ist davon nicht erfasst, da es lediglich privaten kommerziellen\nZwecken dient (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.07.2019 - 7 ME 27/19 -, juris\nRn. 13; Stelkens, TKG - Wegerecht -, 1. Aufl. 2010, § 68 Rn. 100).\n\n15\n\n \n\nd. Ohne eine Erlaubnis für die Benutzung der Straße zu Werbezwecken war die\nAntragsgegnerin gemäß § 21 Abs. 7 StrWG befugt, die Antragstellerin zur\nEntfernung des Werbeplakates vom Schaltkasten aufzufordern. Entsprechend ist\ndie Untersagung tragend darauf gestützt, dass die Antragstellerin nicht über\ndie erforderliche Sondernutzungserlaubnis verfügt. Bei Vorliegen einer\nformellen Rechtswidrigkeit bedarf es in der Regel keiner weiteren Darlegung\nzum Ermessen vonseiten der Behörde (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 19.04.2016 -\n11 B 144/16 -, juris Rn. 4-7; OVG Hamburg, Beschl. v. 23.07.1991 - Bs II 47/91\n-, juris Rn. 25). Etwas Anderes könnte nur dann gelten, wenn die praktizierte\nSondernutzung in materieller Hinsicht offensichtlich rechtmäßig ist und sich\nihre Untersagung deshalb als unverhältnismäßig darstellte (Behnsen in: Praxis\nder Kommunalverwaltung, StrWG, Juli 2017, § 21 Rn. 80 m.w.N.). So liegt es\nhier jedoch nicht.\n\n16\n\n \n\nOb die von der Antragsgegnerin im Rahmen der angestellten materiell-\nrechtlichen Würdigung herangezogene Werbeanlagensatzung für den\nAltstadtbereich Lübeck-Travemünde den Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage\naus § 84 Abs. 1 LBO entspricht und ob sie das auf einem Schaltkasten\nangebrachte Werbeplakat in ihrem räumlichen und sachlichen Geltungsbereich\n(noch) erfasst, muss hier nicht entschieden werden. Auch ohne Heranziehung der\nWerbeanlagensatzung ist nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin bei\nAntragstellung eine Sondernutzungserlaubnis offensichtlich erteilt werden\nmüsste. Dies würde erfordern, dass das der Antragsgegnerin mit § 21 Abs. 1\nStrWG eingeräumte Ermessen auf Null reduziert wäre. Anhaltspunkte hierfür\nbestehen nicht. Ganz im Gegenteil steht ihr ein weiter Ermessensspielraum zu.\nDenn für das Aufstellen oder auch das Ankleben von Plakaten an Verteilerkästen\nim öffentlichen Straßenraum gelten keine besonderen verfassungsrechtlichen\nRestriktionen (Behnsen in: Praxis der Kommunalverwaltung, StrWG, Juli 2017, §\n21 Rn 35). Es ist der Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Planungs- und\nGestaltungshoheit in einem weiten Umfang freigestellt, das Erscheinungsbild\nder Straßen und Plätze in der Altstadt, aber auch um den Altstadtbereich herum\nzu bestimmen. Die straßenrechtliche Gestaltungsfreiheit findet ihre Grenze nur\nim Willkürverbot (vgl. Beschl. des Senats v. 08.07.2009 - 4 LA 45/09 - n.v.).\n\n17\n\n \n\nDie Anordnung, das Werbeplakat zu entfernen, stellt sich auch als\nverhältnismäßig dar. Die Entfernung dürfte ohne Substanzverlust und ohne\nunverhältnismäßigen Kostenaufwand beendet werden können. Auch stellt das\nbehördliche Verfahren der Sondernutzungserlaubnis keine unverhältnismäßige\nBelastung der Antragstellerin dar. Schließlich hat der Umstand, dass die\nAntragstellerin mit dem Recht zur werblichen Nutzung zugleich die optische\nInstandhaltung der Schaltkästen übernommen hat, auf die Verhältnismäßigkeit\nder Anordnung keinen Einfluss. Aus Gründen der Gleichbehandlung ist es\nvielmehr gerechtfertigt, dass sie im Falle der Erlaubnis wie andere\nWerbetreibende auch Sondernutzungsgebühren entrichtet, statt – aus Sicht der\nöffentlichen Hand – unentgeltlich kommerzielle Werbung im öffentlichen\nStraßenraum zu betreiben. Das Konzept des „Nutzens“ und „Putzens“ mag sowohl\nfür die Telekom als auch für die Antragstellerin von Vorteil sein; einen\nnotwendigen Beitrag zur flächendeckenden Versorgung der Allgemeinheit mit\nTelekommunikationsleistungen vermag der Senat darin jedoch nicht zu erkennen.\n\n18\n\n \n\n3\\. Soweit sich der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auch gegen die Androhung\neines Zwangsgeldes i.H.v. 2.000,- Euro gemäß §§ 235 Abs. 1 Nr. 1, 236 und 237\nLVwG bezieht, bleibt auch ihm der Erfolg versagt. Insoweit kann auf die\nAusführungen der Antragsgegnerin zu Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides\nverwiesen werden. Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Androhung\nbestehen nicht.\n\n19\n\n \n\n4\\. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die\nStreitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG.\n\n20\n\n \n\nDieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66\nAbs. 3 Satz 3 GKG).\n\n \n\n
323,919
ovgnrw-2019-11-07-15-e-86319
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
15 E 863/19
2019-11-07
2019-11-23 11:01:57
2020-12-10 13:28:48
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2019:1107.15E863.19.00
## Tenor\n\nDie Beschwerde wird zuruckgewiesen.\n\nDie Klagerin tragt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Etwaige Kosten der\nBeklagten werden nicht erstattet.\n\n \n1\n\nG r u n d e :\n\n2\n\nDie Beschwerde hat keinen Erfolg.\n\n3\n\nGemaß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO\nerhalt eine Partei, die nach ihren personlichen und wirtschaftlichen\nVerhaltnissen die Kosten der Prozessfuhrung nicht, nur zum Teil oder nur in\nRaten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte\nRechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg\nbietet und nicht mutwillig erscheint.\n\n4\n\nDer fur die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche Grad der\nErfolgsaussicht darf mit Blick auf Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht in\neiner Weise uberspannt werden, dass der Zweck der Prozesskostenhilfe deutlich\nverfehlt wird, Unbemittelten und Bemittelten weitgehend gleichen Zugang zu\nGericht zu ermoglichen. Verweigert werden muss Prozesskostenhilfe aber dann,\nwenn die Erfolgschance in der Hauptsache nur eine entfernte oder bloß\ntheoretische ist.\n\n5\n\nVgl. dazu etwa BVerfG, Beschlusse vom 28. August 2014 - 1 BvR 3001/11 -, juris\nRn. 12, vom 28. Januar 2013 - 1 BvR 274/12 -, juris Rn. 11 ff., vom 26. Juni\n2003 - 1 BvR 1152/02 -, juris Rn. 10, und vom 7. April 2000 - 1 BvR 81/00 -,\njuris Rn. 16; Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn.\n64, jeweils mit weiteren Nachweisen.\n\n6\n\nDie Prufung der Erfolgsaussichten soll dabei nicht dazu dienen, die\nRechtsverfolgung selbst in das summarische Nebenverfahren der\nProzesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des\nHauptsacheverfahrens treten zu lassen. Letzteres ist der richtige Ort, um\nschwierige, bislang ungeklarte Rechts- und/oder Tatsachenfragen zu\nbeantworten.\n\n7\n\nVgl. BVerfG, Beschlusse vom 29. November 2018 ‑ 2 BvR 2513/17 -, juris Rn. 15,\nvom 4. Mai 2015 ‑ 1 BvR 2096/13 -, juris Rn. 12 ff., und vom 17. Februar 2014\n- 2 BvR 57/13 -, juris Rn. 10, jeweils mit weiteren Nachweisen.\n\n8\n\nGemessen an diesen Maßstaben hat die Klagerin keinen Anspruch auf Bewilligung\nvon Prozesskostenhilfe fur die Klage mit dem Antrag,\n\n9\n\ndie Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 21. November 2018 in\nder Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2018 zu verpflichten,\nihr Akteneinsicht im Jugendhilfefall J. C. zu gewahren.\n\n10\n\nDas Verwaltungsgericht hat die hinreichende Erfolgsaussicht dieser Klage zu\nRecht verneint.\n\n11\n\nEin auf § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestutzter Einsichtsanspruch besteht aller\nVoraussicht nach nicht, weil dieser den "Beteiligten" im Sinne von § 12 Abs. 1\nSGB X vorbehalten ist. Danach sind "Beteiligte" Antragsteller und\nAntragsgegner (Nr. 1), diejenigen, an die die Behorde den Verwaltungsakt\nrichten will oder gerichtet hat (Nr. 2), diejenigen, mit denen die Behorde\neinen offentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat (Nr.\n3) sowie diejenigen, die nach Absatz 2 von der Behorde zu dem Verfahren\nhinzugezogen worden sind (Nr. 4). Zu dem solchermaßen gezogenen Kreis der\nVerfahrensbeteiligten zahlt die Klagerin nicht.\n\n12\n\nAus entsprechenden Grunden ist sie auch keine "betroffene Person" im Sinne des\n§ 83 Abs. 1 SGB X. Die in der Jugendhilfeakte enthaltenen Daten beziehen sich\nnicht auf die Klagerin (vgl. zum Begriff der personenbezogenen Daten und der\n"betroffenen Person" auch Art. 4 Nr. 1 DSGVO).\n\n13\n\nSoweit die Klagerin ihr Informationsbegehren auf § 4 Abs. 1 IFG NRW stutzt,\nsteht diesem nach Lage der Dinge - wie das Verwaltungsgericht zutreffend\nausgefuhrt hat ‑ im Hinblick auf in der Jugendhilfeakte enthaltene Sozialdaten\ndas besondere Weitergabeverbot des § 65 SGB VIII entgegen. Dieses gestattet\ndie Gewahrung von Akteneinsicht und die Erteilung von Auskunften, die auf eine\nWeitergabe von anvertrauten Sozialdaten hinauslaufen, nur in den engen - hier\nnicht einschlagigen - Grenzen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 SGB VIII,\nversagt sie im Übrigen jedoch dem Jugendamtsmitarbeiter - und damit mittelbar\nauch dem Rechtstrager des Jugendamts (vgl. § 25 Abs. 3 SGB X, § 35 Abs. 3 SGB\nI in Verbindung mit § 65 Abs. 2 SGB VIII) - umfassend und als\nspezialgesetzliche Norm auch unabhangig davon, aus welcher sonstigen\nErmachtigungsgrundlage der jeweilige Akteneinsichts- und/oder\nAuskunftsanspruch hergeleitet wird (z. B. aus § 4 Abs. 1 IFG NRW) und ob\ninsoweit etwaige Subsidiaritatsregelungen den Vorrang des § 65 SGB VIII\nanerkennen (wie z. B. § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW).\n\n14\n\nVgl. insoweit OVG NRW, Beschlusse vom 5. Februar 2009 - 8 E 1258/08 -, juris\nRn. 7, und vom 26. Marz 2008 - 12 E 115/08 -, juris Rn. 8.\n\n15\n\nAuf das ohne Weiteres nachvollziehbare Interesse der Klagerin, nicht von\nvornherein auszuschließenden Versaumnissen der Beklagten im Zusammenhang mit\ndem Tod ihres Enkelkindes nachzugehen, kommt es in diesem spezifischen\nrechtlichen Zusammenhang nicht an, weil § 65 Abs. 1 SGB VIII keinen Raum fur\neine allgemeine Guterabwagung lasst,\n\n16\n\nvgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2018 - 12 A 1057/17 -, juris,\nRn. 10,\n\n17\n\nin deren Rahmen dieses Aufklarungsinteresse Berucksichtigung finden konnte.\nEntsprechendes gilt fur die in der Beschwerde angefuhrten "generalpraventiven\nGesichtspunkte […], dass weitere Kinder vor einem moglichen\nOrganisationsverschulden im Hause der Beklagten geschutzt werden" mussten.\n\n18\n\nIm Anschluss daran kann auch der Umstand, dass in der Jugendhilfeakte\nwomoglich Hinweise eines Krankenhauses auf gesundheitliche Probleme der Mutter\ndes Kindes abgelegt sind, aus sich heraus keinen Einsichtsanspruch begrunden.\nDas Verwaltungsgericht hat diesbezuglich darauf hingewiesen, dass insofern\nkeine Einwilligungserklarungen der Ärzte des Krankenhauses nach § 65 Abs. 1\nSatz 1 Nr. 1 SGB VIII vorliegen und solche auch nicht zu erwarten sind.\n\n19\n\nIm Übrigen - also soweit die Jugendhilfeakte keine § 65 SGB VIII\nunterfallenden Sozialdaten beinhalten sollte - ist dem Verwaltungsgericht\ndarin zuzustimmen, dass einem Informationsanspruch der Klagerin aus § 4 Abs. 1\nIFG NRW der Schutz personenbezogener Daten - etwa derjenigen der Mutter des\nKindes - nach § 9 IFG NRW entgegenstehen durfte, die der Akteneinsicht durch\nDritte in die Jugendhilfeakte ausdrucklich widersprochen hat. Die demgegenuber\nin Betracht zu ziehende Offenbarungsbefugnis aufgrund von § 9 Abs. 1 Hs. 2 e)\nIFG NRW ist aus den vom Verwaltungsgericht angestellten Erwagungen\nvoraussichtlich nicht gegeben.\n\n20\n\nEin "rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Information" im Sinne\ndieser Bestimmung erfordert, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit\nRechtsverhaltnissen des Auskunftsbegehrenden besteht. Die Kenntnis der Daten\nmuss zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Anspruchen erforderlich\nsein.\n\n21\n\nVgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Februar 2019 ‑ 15 E 1026/18 -, juris Rn. 49,\nUrteil vom 6. Mai 2015 - 8 A 1943/13 -, juris Rn. 103, Beschluss vom 23. Juni\n2003 - 8 A 175/03 -, juris Rn. 11 ff.; siehe außerdem Franßen/Seidel, IFG NRW,\n2007, § 9 Rn. 986.\n\n22\n\nEin derartiges rechtliches Interesse macht die Klagerin indes nicht geltend.\nEs wird ihr auch nicht durch ihre Stellung als Nebenklagerin im Strafprozess\nvor dem Landgericht Munster vermittelt. Ihr geht es nicht um die Verfolgung\neigener subjektiver Rechte oder um die Abwehr gegen sie erhobener Anspruche,\nsondern - wie bereits erwahnt - darum, nicht von vornherein auszuschließenden\nVersaumnisse des Jugendamts der Beklagten und eine Mitverantwortung der Mutter\ndes Kindes an dessen Tod zu klaren. Dieses Anliegen lasst sich § 9 Abs. 1 Hs.\n2 e) IFG NRW aber nicht zuordnen. Außerhalb des § 9 Abs. 1 Hs. 2 IFG NRW kann\nder in § 9 Abs. 1 Hs. 1 IFG NRW informationsfreiheitsrechtlich statuierte\nSchutz personenbezogener Daten nicht uberwunden werden. Eine allgemeine\nAbwagung zwischen schutzwurdigen Belangen des Betroffenen und dem\nInformationsinteresse der Allgemeinheit ist auch hier nicht vorgesehen. Die\nVorschrift geht vielmehr davon aus, dass personenbezogene Informationen\ngrundsatzlich schutzwurdig sind und nur im Fall einzeln benannter Ausnahmen\nzuganglich gemacht werden durfen.\n\n23\n\nVgl. die Begrundung des Entwurfs des Informationsfreiheitsgesetzes NRW, LT-\nDrs. 13/1311, S. 14.\n\n24\n\nWas in der Jugendhilfeakte eventuell auch enthaltene Sozialdaten des\nverstorbenen Kindes und deren (fortwirkende) Geheimhaltungsbedurftigkeit gemaß\n§ 35 SGB I anbelangt, kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die\nDarlegungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen werden.\n\n25\n\nMit diesem Begrundungsumfang und dieser Begrundungstiefe wird der\nPrufungsrahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens nicht uberschritten. Dieses\ntritt dadurch nicht an die Stelle des Hauptsacheverfahrens. Vielmehr ist die\nLange des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts ebenso wie die\nLange der Beschwerdeentscheidung des Senats dem Umstand geschuldet, dass das\nBegehren der Klagerin nach verschiedenen Anspruchsgrundlagen und nach von\ndiesem potentiell erfassten Informationsarten auszudifferenzieren ist.\nEntscheidungserhebliche schwierige, bislang ungeklarte Rechts- und/oder\nTatsachenfragen, deren Beantwortung dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten\nware, werden dabei allerdings nicht aufgeworfen.\n\n26\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1\nVwGO, § 127 Abs. 4 ZPO.\n\n27\n\nDieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).\n\n
323,937
vg-ansbach-2019-11-07-an-3-k-1900607
286
Verwaltungsgericht Ansbach
vg-ansbach
Ansbach
Bayern
Verwaltungsgerichtsbarkeit
AN 3 K 19.00607
2019-11-07
2019-11-24 11:03:00
2020-12-10 13:28:51
Urteil
## Tenor\n\n1\\. Die Klage wird abgewiesen.\n\n2\\. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.\n\n## Tatbestand\n\nDer Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung.\n\nMit Antrag vom 26. Juni 2012 beantragte der Kläger auf dem Grundstück FlNr. …,\nGemarkung …, zunächst eine Genehmigungsfreistellung zur Sanierung des\nMehrfamilienhauses sowie die Erneuerung des Dachstuhls und den Anbau von\nBalkonen. Das Vorhaben wurde von der Verwaltungsgemeinschaft … freigestellt.\n\nIm Rahmen von Baukontrollen wurde durch das Landratsamt … festgestellt, dass\ndas Bauvorhaben planabweichend errichtet wurde. Der Kläger wurde daraufhin\naufgefordert, Bauzeichnung einzureichen. Dabei kam der Beklagte zu der\nAuffassung, dass das Bauvorhaben Festsetzungen des Bebauungsplans „…“ nicht\neinhalte. Nachdem der Kläger einen förmlichen Bauantrag stellte, verweigerte\ndie Gemeinde … ihr Einvernehmen zur Befreiung von der Festsetzung hinsichtlich\nder Vollgeschosszahl (3 statt 2), da dies die Grundzüge der Planung berühre.\n\nMit streitgegenständlichem Bescheid vom 13. Februar 2019 lehnte der Beklagte\nden Bauantrag des Klägers ab.\n\nZur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe das\nursprüngliche Vorhaben dergestalt planabweichend errichtet, dass das\nDachgeschoss aufgrund der abweichend errichteten nördlichen Gaube und des\nsüdlichen Zwerggiebels ein Vollgeschoss darstelle. Ebenso könnten die\nAbstandsflächen nach Norden nicht eingehalten werden, da sie die Straßenmitte\nüberschreiten würden.\n\nIn Bezug auf das Vollgeschoss könne keine Befreiung von 2 zu 3 Vollgeschossen\nerteilt werden, da die Grundzüge der Planung berührt würden. Innerhalb des\nPlangebiets lägen auch keine Vergleichsfälle vor. Zwar seien bereits einzelne\nBefreiungen von der Zahl der Vollgeschosse erteilt worden, dies betraf aber\nstets die Errichtung eines Kellergeschosses zu einem Vollgeschoss. Der einzige\nvom Kläger vorgebrachte Vergleichsfall liege außerhalb des Plangebietes.\n\nIm Übrigen seien auch die Abstandsflächen nicht eingehalten. Vielmehr würden\ndie nördlichen Abstandsflächen die … überschreiten. Die beantragte Abweichung\nhabe auch nicht erteilt werden können, da keine atypische Fallkonstellation\nvorliege.\n\nMit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 19. März 2019 ließ der Kläger\nKlage erheben.\n\nZur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, richtig sei, dass das\nDachgeschoss irrtümlich planabweichend errichtet worden sei und es dadurch zu\neinem Vollgeschoss wurde und die Abstandsfläche die Straßenmitte dadurch\ngeringfügig überschreite. Diese Überschreitung sei aber nicht erheblich, so\ndass eine Abweichung hätte erteilt werden müssen.\n\nIn rechtlicher Hinsicht dürfte die Festsetzung des Bebauungsplans hinsichtlich\nder Vollgeschosszahl schon gar nicht herangezogen werden, da sie als\nfunktionslos zu beurteilen sei. Im Plangebiet befänden sich überwiegend\nBauvorhaben mit mindestens drei Vollgeschossen, zum Beispiel in der …, … und …\nsowie in der … Straße, … und … und in der … …, …, und … In all diesen Fällen\nsei das Dachgeschoss ein drittes Vollgeschoss. Eine Verwirklichung des\nPlanungswillens sei damit auf „unabsehbare Zeit“, wie es die Rechtsprechung\nverlange, ausgeschlossen.\n\nSelbst wenn man keine Funktionslosigkeit der Festsetzung annehme, lägen die\nVoraussetzungen für eine Befreiung vor, da die Grundzüge der Planung nicht\nberührt seien, die Befreiung städtebaulich vertretbar sei und nachbarliche\nBelange nicht beeinträchtigt würden. Letztlich sei das Vorhaben auch mit den\nübrigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar.\n\nEs wird beantragt,\n\n * 1.Der Bescheid des Landratsamtes … vom 12. Februar 2019 wird aufgehoben.\n\n * 2.Der Beklagte wird verpflichtet, die vom Kläger beantragte Baugenehmigung zu erteilen.\n\nDer Beklagte beantragt,\n\nDie Klage wird abgewiesen.\n\nZur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die in der Klagebegründung\naufgeführten Bezugsfälle in der … Str. ... und ... sowie in der … befänden\nsich nicht innerhalb des Plangebietes. Des Weiteren würden die vorgelegten\nLichtbilder nicht das Plangebiet ablichten, sondern den Bereich der … Haupt\nstraße sowie des … Eine Augenscheinnahme sowie eine Sichtung der\nPlanunterlagen des Beklagten habe keine Dachgeschosse als Vollgeschoss im\nPlangebiet erkennen lassen. Dementsprechend könne die Festsetzung hinsichtlich\nder Vollgeschosse auch nicht als funktionslos angesehen werden.\n\nEine Befreiung könne weiterhin nicht erteilt werden, da die Anzahl der\nVollgeschosse einen Grundzug der Planung darstelle und eine Abweichung von 2\nauf 3 dem gemeindlichen Planungskonzept widerspreche.\n\nEine Abweichung von den Abstandsflächen könne ebenfalls nicht erteilt werden,\nda keine atypische Situation vorliege. Das Vorhaben könne, wie ursprünglich\ngeplant, auch unter Einhaltung der Abstandsflächen sinnvoll errichtet werden.\nIm Übrigen habe der Nachbar der anderen Straßenseite ebenfalls einen Anspruch,\ndiese Seite der Straße für seine Abstandsflächen auszunutzen, so dass eine\nÜberschreitung der Straßenmitte durch das Vorhaben des Klägers den Nachbarn\nnegativ beeinträchtigen würde.\n\nLetztlich würde eine Erteilung einer Abweichung für die nördlichen\nAbstandsflächen dazu führen, dass das 16-Meter Privileg, dass der Kläger für\nseine West- und Ostseite in Anspruch nehme, nicht mehr zum Tragen käme. Das\n16-Meter Privileg könne an zwei Außenwänden nur in Anspruch genommen werden,\nwenn nicht für die anderen Außenwände eine Abweichung erteilt worden sei. Bei\nErteilung der beantragten Abweichung „verliere“ der Kläger somit für eine\nSeite sein 16-Meter Privileg.\n\nMit Schreiben vom 29. Oktober 2019 führte der Kläger aus, eine Befreiung müsse\nerteilt werden, da die Festsetzung zu den Vollgeschossen funktionslos geworden\nsei. Dies ergebe sich daraus, dass innerhalb des gesamten Plangebietes bereits\nfünf Befreiungen hinsichtlich der Vollgeschosszahl erteilt worden seien.\nBezogen auf das Teilgebiet „…“, in dem sich das klägerische Vorhaben sowie 16\nweitere Vorhaben befänden, seien damit knapp ein Drittel aller Grundstücke mit\ndrei Vollgeschossen ausgestattet. Aus dieser großzügigen Befreiungspraxis\nergebe sich somit eine Funktionslosigkeit der Festsetzung.\n\nSelbst wenn man noch von einer Funktionsfähigkeit der Vollgeschossfestsetzung\nausgehe, so sei die Befreiung zu erteile.\n\nZum einen berühre die Aufstockung auf drei Vollgeschosse nicht die Grundzüge\nder Planung, da durch die bisher erteilten Befreiungen das „Berührtsein“ schon\naufgeweicht worden sei. Aus demselben Grund sei eine Befreiung auch\nstädtebaulich vertretbar.\n\nAuch sei die begehrte Befreiung mit nachbarlichen Belangen vereinbar, da die\ngeringe Überschreitung der Straßenmitte den nördlichen Nachbar überhaupt nicht\ntangiere und in der näheren Umgebung ebenfalls Vorhaben mit drei\nVollgeschossen existieren würden.\n\nLetztlich müsse bei pflichtgemäßer Ermessensausübung auch die Befreiung\nerteilt werden, denn bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen sei\nregelmäßig das Ermessen dahingehend auszuüben, dass die Befreiung erteilt\nwerde.\n\nLetztlich sei die beantragte und verweigerte Abweichung nach Art. 63 BayBO\nauch zu erteilen.\n\nEntgegen den Ausführungen des Beklagten sei das ungeschriebene\nTatbestandsmerkmal der „Atypik“ nicht mehr erforderlich. Nach der\nGesetzesbegründung zum neu geschaffenen Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO soll die\nAufstockung von Bestandsgebäuden unter erleichterten Bedingungen möglichen\nseien. Demgemäß führe die Gesetzesbegründung aus, dass eine atypische\nSituation, wie sie die Rechtsprechung bislang gefordert habe, nicht mehr zu\nfordern sei. Da durch die geringfügige Überschreitung der Straßenmitte auch\nnachbarliche Belange nicht gefährdet seien, müsse die beantragte Abweichung\nerteilt werden.\n\nWegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Behörden- und die\nGerichtsakten sowie auf die über die mündliche Verhandlung gefertigte\nNiederschrift.\n\n## Gründe\n\nDie zulässige Klage ist unbegründet.\n\nZunächst war die beantragte Schriftsatzfrist des Klägervertreters von 4 Wochen\nabzulehnen, da, wie schon in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, sich aus\ndem Vortrag des Einzelrichters keine neuen Aspekte ergeben haben, die einer\nneuen Erörterung bedürfen.\n\nDer Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung.\n\nDer Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 12. Februar\n2019 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).\n\nDem Vorhaben des Klägers stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen.\n\nDie streitgegenständliche Festsetzung zu zwei Vollgeschosse ist nicht\nfunktionslos geworden (dazu 1.). Demnach handelt es sich bei dieser\nFestsetzung um einen Grundzug der Planung nach § 31 Abs. 2 BauGB, der durch\ndie beantragte Vollgeschosszahl von 3 berührt wird (dazu 2.). Des Weiteren\nverstößt das Vorhaben gegen Abstandsflächenrecht, da die beantragte Abweichung\nzu Recht abgelehnt wurde (dazu 3.)\n\n1\\. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die hier inmitten stehende\nFestsetzung des Plangebiets zur Vollgeschosszahl nicht funktionslos geworden.\n\nNach der Rechtsprechung kann eine bauplanerische Festsetzung funktionslos\nsein, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich\nbezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese\nTatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes\nVertrauen keinen Schutz verdient. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist\nfür jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die\nVerhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Entscheidend ist vielmehr, ob die\njeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im\nGeltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten. Die\nPlanungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon\ndann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann.\nErst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so\noffenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche\nGestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer\nFunktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung\nunabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer\nGesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung\nnoch in einer bestimmten Richtung zu steuern (BVerwG, B.v. 9.10.2003 - 4 B\n85/03, VGH München, B.v. 24.5.2018 - 9 ZB 16.321).\n\nZunächst bedarf es hier keiner weiteren Klärung, ob und wenn ja, wie viel\nBefreiungen zur Vollgeschosszahl im Plangebiet erteilt wurden. Ebenfalls geht\ndie Beweisanregung zum Inaugenschein zur Überprüfung von dritten\nVollgeschossen im Plangebiet fehl.\n\nDenn zum einen ist nicht ersichtlich, wie durch einen Augenscheinstermin die\nAnzahl von Vollgeschossen von außerhalb eines Gebäudes festgestellt werden\nkann. Zum anderen liegen dem Landratsamt keine Unterlagen vor, dass überhaupt\nBefreiungen in besagtem Gebiet erteilt wurden. Nachdem das Landratsamt als\nstaatliche Behörde an Recht und Gesetz gebunden ist und die Anzahl der\nVollgeschosse eines Gebäudes sich in erster Linie anhand eines Aktenstudiums\nnachweisen lässt, ist das Gericht der Überzeugung, dass keinerlei Bezugsfälle\nim Hinblick auf die Funktionslosigkeit der streitgegenständlichen Festsetzung\nvorliegen. Selbst wenn jedoch die vom Kläger vorgetragenen Bezugsfälle\nvorliegen, so genügen diese bei Weitem nicht, um eine Funktionslosigkeit\nanzunehmen.\n\nEntgegen der Auffassung des Klägers können für den räumlichen Bereich zur\nKlärung der Frage der Funktionslosigkeit einer Festsetzung nicht nur die\nGrundstücke der …, sozusagen die „nähere Umgebung“ des Baugrundstücks\nherangezogen werden.\n\nIm Grundsatz gilt, dass in derartigen Fällen der räumliche Bereich sich über\nden gesamten Planbereich erstreckt. Nur in engen Grenzen können Ausnahmen\nvorliegen, etwa bei einer großen Anzahl von Grundstücken im Plangebiet, die\neindeutig topographisch abgegrenzt werden können (OVG Hamburg, U.v. 28.3.2013\n- 2 Bf 17/11 m.w.N.).\n\nEine solche Ausnahme liegt offensichtlich nicht vor. Es ist nicht ersichtlich,\ndass die Grundstücke der …, in dem sich das Klägergrundstück befindet,\nerkennbar abgrenzbar vom übrigen räumlichen Bereich des Bebauungsplans sind.\nZur Beurteilung der Funktionslosigkeit müssen neben den Grundstücken der …\nmindestens noch die südlich davon, an der … Straße anliegend Grundstücke\nherangezogen werden, wobei das Gericht davon ausgeht, dass es vorliegend bei\ndem Grundsatz bleibt, das der gesamte räumliche Bereich des Bebauungsplans „…“\nherangezogen wird.\n\nIm gesamten Gebiet befinden sich 43 Grundstücke mit der Festsetzung zwei\nVollgeschosse, im Gebiet rund um die … … Grundstücke. Eventuell illegal\nerrichtete dritte Vollgeschosse können nicht als Bezugsfälle herangezogen\nwerden.\n\nSelbst wenn, entgegen den glaubhaften Ausführungen des Landratsamtes 5\nBefreiungen zur Vollgeschosszahl im Gebiet erteilt worden wären, so ergäbe\nsich eine Quote von 11,6% über das gesamte Gebiet und von 29% in Bezug auf die\n… Eine solch geringe Quote von Grundstücken, die die Festsetzung nicht\neinhalten, führt ohne jeden Zweifel nicht zu einer massiven und offenkundigen\nAbweichung, dass von einer Funktionslosigkeit gesprochen werden kann (vgl.\ninsbesondere VGH München, U.v. 27.3.2013 - 14 B 12.193).\n\nGanz im Gegenteil geht das Gericht sogar von einer Quote von 0% aus, da es\nlaut Aktenlage keine Bezugsfälle gibt (Zur Annahme einer Funktionslosigkeit\nbei Abweichen vom Plan bei 80% aller Grundstücke OVG Hamburg U.v. 28.2.2013 -\n2 Bf 17/11).\n\n2\\. Die nicht funktionslos gewordene Festsetzung zur Vollgeschosszahl stellt\neinen Grundzug der Planung im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB dar, der durch ein\ndrittes Vollgeschoss berührt ist.\n\nAls „Grundzüge der Planung“ i.S.d. § 31 Abs. 2 BauGB ist die sog. planerische\nGrundkonzeption zu verstehen, die den Festsetzungen des jeweiligen\nBebauungsplanes zugrunde liegt (BVerwG, B.v. 19.5.2004 - 4 B 35/04), mithin\nalso das den Festsetzungen zu entnehmende gemeinsame und diese insoweit\nmiteinander verklammernde Planungskonzept. Ein solches Konzept ergibt sich\nvorliegend aus den verschiedenen Maßfestsetzungen des Bebauungsplans, zu dem\nunter anderem die Dachformen, die Baugrenzen und eben auch die\nVollgeschosszahl gehören. Insbesondere wollte der Plangeber mit der\nFestsetzung der zwingenden Vollgeschosszahl von 2 bei noch unbebauten\nGrundstücken und der maximale Vollgeschosszahl von 2 bei schon bestehenden\nGebäuden eine durchgehende, zweigeschossige Bebauung erreichen (so auch VGH\nMünchen, U.v. 27.3.2013 - 14 B 12.193).\n\nSomit handelt es sich bei der Festsetzung zur Vollgeschosszahl um einen\nGrundzug der Planung.\n\nEntgegen der Auffassung des Klägers ist der Grundzug der Planung auch nicht\ndurch die tatsächlich geschaffenen Verhältnisse im Plangebiet „aufgeweicht“\nworden.\n\nZum einen kann solches „Aufweichen“ überhaupt nur angenommen werden, wenn\naufgrund einer Vielzahl von erteilten Befreiungen eine erneute Befreiung die\nGrundkonzeption des Bebauungsplans nicht mehr nachhaltig stören würde, es den\nGrundzug mithin nicht berührt.\n\nZum anderen wird das Institut des „Aufweichens“ abgelehnt (so neuerdings auch\nBayVGH, B.v. 26.7.2018 - 2 ZB 17.1656). Denn entweder ist die Festsetzung\nwirksam mit der Folge, dass ein Berühren des Grundzugs der Planung einer\nBefreiung nach § 31 Abs. 1 BauGB ausschließt oder die Festsetzung ist\nfunktionslos. Dafür, dass Festsetzung hinsichtlich der Vollgeschosszahl\nfunktionslos ist, bestehen keine Anhaltspunkte (siehe unter 1.).\n\nDie Erhöhung der Vollgeschosszahl von 2 auf 3 und damit um 50% der\nfestgesetzten Zahl berührt ohne jeden Zweifel den Grundzug der Planung, da er\nevident dem Planungskonzept zuwider läuft und Bezugsfälle schafft (zum\n„Berührtsein“ bei einer Aufstockung von 4 auf 5 Vollgeschosse VGH München,\nB.v. 17.11.2016 - 15 ZB 15.468).\n\nDie beantragte Befreiung wurde zu Recht abgelehnt, weshalb sich das Vorhaben\naufgrund fehlender Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans als\nbauplanungsrechtlich unzulässig erweist.\n\n3\\. Darüber hinaus stellt sich das Vorhaben auch als bauordnungsrechtlich\nunzulässig dar, denn die beantragte Abweichung nach Art. 63 BayBO wurde zu\nRecht abgelehnt, so dass das klägerische Vorhaben die Abstandsflächen nach\nNorden nicht einhält.\n\nEine abstandsflächenrechtliche Neubewertung des gesamten Gebäudes des Klägers\nwar hier trotz nur weniger Veränderungen des Dachgeschosses angezeigt.\n\nDie Frage der Beurteilung von Abstandsflächen ergibt sich nicht nur bei\nNeubauten, sondern kann auch bei Nutzungsänderungen oder baulichen\nVeränderungen neu aufgeworfen werden. Eine abstandsflächenrechtliche\nNeubetrachtung ist bei der Änderung eines Gebäudes immer dann veranlasst, wenn\nsich entweder die für die Ermittlung der Abstandsflächentiefe relevanten\nMerkmale ändern oder wenn die Änderung für sich betrachtet zwar keine\nabstandsflächenrelevanten Merkmale betrifft, das bestehende Gebäude aber die\nnach dem geltenden Recht maßgeblichen Abstandsflächen nicht einhält und die\nÄnderung möglicherweise zu nicht nur unerheblichen nachteiligen Auswirkungen\nauf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange wie Belichtung,\nBelüftung und Wohnfrieden führen kann (VGH München, B. v. 27.02.2015 - 15 ZB\n13.2384; BayVGH U. v. 26.11.1979 - 51 XIV 78; VG Ansbach U. v. 26.10.2017 - AN\n3 K 16.02371).\n\nErsteres ist hier der Fall, da sich durch die (planabweichende) Errichtung der\nnördlichen Gaube die Abstandsflächentiefe der nördlichen Seite des\nklägerischen Gebäudes geändert hat. Durch die nunmehrige Überschreitung der\nStraßenmitte war eine Abweichung nach Art. 63 BayBO erforderlich.\n\nFür die Beurteilung der Abweichung kann es vorliegend dahinstehen, ob mit der\nEinführung des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO das ungeschrieben Merkmal der\n„Atypik“ entfallen ist (dafür VG Augsburg, U.v. 11.7.2019 - Au 5 K 19.54,\ndagegen VG München, U.v. 24.7.2019 - M 9 K 18.5334I). Denn der Erteilung der\nAbweichung stehen gewichtige nachbarliche Belange entgegen.\n\nWird von einer Norm abgewichen, die konkurrierende private Interessen im\nRahmen eines gegenseitigen Austauschverhältnisses ausgleicht und damit\nDrittschutz vermittelt, so genießen die nachbarlichen Interessen einen hohen\nStellenwert, weil sie in das normative Konfliktschlichtungsprogramm Eingang\ngefunden haben und damit als besonders schutzwürdig anerkannt worden sind.\nEine Zurückstellung derart geschützter Interessen verlangt daher private\nund/oder öffentliche Belange von herausgehobener Bedeutung, um sich gegen die\nNachbarinteressen durchsetzen zu können (VGH München, B.v. 19.7.2016 - 9 CS\n15.336, VG Augsburg, U.v. 11.7.2019 - Au 5 K 19.54).\n\nDie vorliegend relevante Norm des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO dient wie fast\ndas gesamte Abstandsflächenrecht dem Nachbarschutz. Nach dieser Norm soll den\nan einer Straße angrenzenden Nachbarn je eine Seite der Straße für\nAbstandsflächen zur Verfügung stehen, mithin hat jeder Anlieger einen Anspruch\ndarauf, die Seite bis zur Straßenmitte für eigene Abstandflächen in Anspruch\nzu nehmen. Überschreitet ein Nachbar die Straßenmitte, beeinträchtigt er somit\ndie Belange des gegenüberliegenden Nachbarn und verletzt ihn damit in seinen\nRechten.\n\nDass den Belangen des Klägers hier Vorrang vor den geschützten Interessen des\nnördlichen Nachbarn zukommen soll, ist weder vorgetragen noch ersichtlich,\ninsbesondere auch deshalb, da der Kläger sein Vorhaben nach obigen\nAusführungen materiell illegal errichtet hat und die Abstandsflächen bei\nplankonformer Errichtung eingehalten hätte.\n\nDoch selbst wenn die beantrage Abweichung erteilt werden kann, so würde das\nVorhaben dennoch gegen Abstandsflächenrecht verstoßen. Dies deshalb, da der\nKläger mit Erteilung der Befreiung ein 16- Meter Privileg nicht mehr in\nAnspruch nehmen kann.\n\nNach der Entscheidung des Großen Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof\nvom 17. April 2000 - Gr. S. 1/1999, 14 B 97.2901, scheidet eine Anwendung des\n16-Meter Privilegs dann aus, wenn die Abstandsflächentiefe des Art. 6 Abs. 4\nSatz 1 BayBO vor mehr als zwei Außenwänden unterschritten wird. Ein derartiges\nVorhaben ist danach nur dann zulässig, wenn für jede der Außenwände, vor denen\ndie Abstandsflächentiefe des Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO unterschritten wird,\neine Abweichung nach Art. 63 BayBO zugelassen wird. Damit wird die\nMöglichkeit, die Anwendung des sog. 16-Meter Privilegs mit der Erteilung von\nAbweichungen zu kombinieren, ausgeschlossen.\n\nIm konkreten Fall hat der Kläger für seine westliche und östliche Außenwand\ndas 16-Meter Privileg in Anspruch genommen. Würde nun die Abweichung für die\nnördliche Abstandsfläche erteilt, kann er nach der ständigen Rechtsprechung\ndes Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes nur noch für eine Seite das 16-Meter\nPrivileg in Anspruch nehmen. Für die andere Seite gilt dann die Grundregel des\nArt. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO, nämlich 1 H. Laut Abstandsflächenplan würden die\nAbstandsflächen das klägerische Gebäudes bei Anwendung der 1 H Regel sowohl\nwestlich als auch östlich auf den Nachbargrundstücken liegen und damit gegen\nArt. 6 Abs. 2 BayBO verstoßen.\n\nOb eine mögliche Abweichung der östlichen und westlichen Abstandflächen in\nBetracht kommt, war hier nicht zu prüfen, denn sie wurden bisher nicht\nbeantragt (VGH München, U.v. 29.10.2015 - 2 B 15 1431).\n\nDamit bleibt es dabei, dass das Vorhaben gegen die abstandsflächenrechtliche\nVorschriften verstößt und damit auch bauordnungsrechtlich unzulässig ist.\n\nNach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO\nabzuweisen.\n\n
324,006
lg-wuppertal-2019-11-14-9-s-12519
818
Landgericht Wuppertal
lg-wuppertal
Wuppertal
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Landgericht
9 S 125/19
2019-11-14
2019-11-28 11:00:58
2020-12-10 13:29:02
Urteil
ECLI:DE:LGW:2019:1114.9S125.19.00
## Tenor\n\nDie Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Solingen, 13 C\n441/18, vom 19.06.2019 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.\n\nDieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicher- heitsleistung\nvorläufig vollstreckbar.\n\n \n1\n\nGründe\n\n2\n\nI.\n\n3\n\nDie Klägerin, die bei der Beklagten eine private Haftpflichtversicherung\nunterhielt, mietete einen Transporter an. Als sie auf dessen Hebebühne stehend\neine Leiter entladen wollte, beschädigte sie mit dieser ein in den Luftraum\nragendes Reklameschild und verursachte einen Nettoschaden von 1.310,- €. Sie\nwurde in der Folge zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.335,- €\nverurteilt.Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen,\nsie von den mit dem betreffenden Urteil sowie dem zugehörigen\nKostenfestsetzungsbeschluss titulierten Forderungen (422,58 €) freizustellen\nund an sie 334,75 € außergerichtliche Kosten nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe\nzu zahlen.Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Nach Ziff. 6.1 der\nAllgemeinen Versicherungsbedingungen sei die Haftpflicht des Besitzers eines\nKraftfahrzeuges wegen Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeuges\nverursacht werden, nicht versichert. Es habe sich hier nicht das allgemeine\nLebensrisiko, sondern das Gebrauchsrisiko verwirklicht.Hiergegen wendet sich\ndie Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren\nweiter verfolgt. Dass ausschließlich der Versicherer des Kraftfahrzeuges\nhaften solle, nur weil der Schaden anlässlich eines Umzuges entstanden sei,\nerschließe sich keinem vernünftig denkenden Versicherungsnehmer. Mit der\n„Benzinklausel“ werde aus dessen Sicht lediglich dasjenige aus dem\nAnwendungsbereich der privaten Haftpflichtversicherung ausgenommen, was\ntypischerweise dem Versicherungsschutz der Kfz-Haftpflicht unterfalle, d.h.,\nwo sich das Gebrauchsrisiko gerade des Kfz verwirklicht habe.Im Übrigen wird\nvon der Darstellung eines Tatbestandes gemäß §§ 540 II, 313a ZPO, 26 Nr. 8 S.\n1 EGZPO abgesehen.\n\n4\n\nII.\n\n5\n\nDie zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete\nBerufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht\nweder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO\nzugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung; § 513 ZPO. Ein\nAnspruch der Klägerin aus dem Versicherungsvertrag mit der Beklagten (§ 100\nVVG, Ziff. 1.1 AHB) besteht im Hinblick auf das streitgegenständliche\nSchadensereignis nicht.Da die Parteien übereinstimmend von der wirksamen\nEinbeziehung der „Privat-Haftpflichtversicherung“-Bedingungen der Beklagten\nausgehen, hatte die Kammer die Anwendbarkeit der Klausel Ziff. 6.1 (Bl. 20 GA)\nihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Nach dieser sog. Benzinklausel ist die\nHaftpflicht u.a. des Führers eines Kraftfahrzeuges wegen Schäden, die durch\nden Gebrauch des Fahrzeuges verursacht werden, nicht versichert. Die\nVoraussetzungen dieser allgemeinen Vertragsbedingung sind erfüllt.Zwar stand\ndas Fahrzeug im Moment der Schadenszufügung. Das ändert aber nichts daran,\ndass die Klägerin nach wie vor Führerin des in der Entladung befindlichen\nTransporters war, während bloßer Fremdbesitz nach Auffassung von\nPrölss/Martin/ Lücke (30. Aufl. 2018, BB PHV § 3 Rn. 9, m.w.N.) entgegen des\nWortlautes von Ziff. 6.1 nicht ausgereicht hätte.Der – aus sich heraus und eng\nauszulegende – Ausschluss greift im Einzelfall nur dann, wenn sich eine Gefahr\nverwirklicht hat, die gerade dem Fahrzeuggebrauch eigen und diesem selbst und\nunmittelbar zuzurechnen ist. Der Schaden muss deshalb dem Kraftfahrzeugrisiko\nnäher stehen als dem Privat-/Betriebs-/Tierhalter-Risiko, also bei natürlicher\nBetrachtung diesem zuzuordnen sein (Prölss/Martin/ Lücke, 30. Aufl. 2018, BB\nPHV § 3 Rn. 10, m.w.N.). Das ist bei Be- und Entladevorgängen zumindest dann\nder Fall, wenn und solange das Kraftfahrzeug in innerem Zusammenhang mit\nseiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel be- und entladen wird. Ein\nsolcher innerer Zusammenhang besteht jedenfalls, wenn das Entladen mit Hilfe\neiner speziellen Entladevorrichtung des Kraftfahrzeuges selbst erfolgt (vgl.\nOLG Köln, 3 U 49/18, juris, zur Frage, ob Be- und Entladevorgänge zum Betrieb\nim Sinne von § 7 StVG gehören). Nach der Rechtsprechung des BGH gehört ein\nEntladevorgang zum Gebrauch des Kfz, solange das Kraftfahrzeug oder seine an\nund auf ihm befindlichen Vorrichtungen dabei beteiligt sind. Der Schaden, der\nbeim Hantieren mit Ladegut eintritt, ist dann "durch den Gebrauch" des\nKraftfahrzeugs entstanden, dh diesem Gebrauch noch zuzurechnen, wenn es für\ndie schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich\nnahe eingesetzt gewesen ist (BGH, VI ZR 122/78, juris).Vorliegend ist der\nSchaden nicht nur im Sinne der BGH-Rechtsprechung beim Einsatz von\nVorrichtungen des Transporters, nämlich der Hebebühne, entstanden. Es hat sich\nzudem eine dem Fahrzeuggebrauch eigene Gefahr und nicht bloß ein Alltagsrisiko\nverwirklicht, da die Klägerin die Reklameeinrichtung schädigen konnte, weil\nsie auf der Hebebühne des Transporters stand.Diesem Ergebnis steht die\nEntscheidung des OLG Hamm vom 09.08.2017 (20 U 30/17, juris) nicht entgegen.\nDenn auch das OLG Hamm stellt darauf ab, ob sich das Gebrauchsrisiko gerade\ndes Fahrzeugs verwirklicht hat. Ausdrücklich hat das OLG nämlich ausgeführt,\ndass zum Gebrauch eines Fahrzeugs u.a. auch das Be- und Entladen gehören. Der\nentscheidende Unterschied zum vorliegenden Fall liegt darin, dass dort eine\nBauschaumflasche aus Ungeschicklichkeit heruntergefallen und explodiert war,\nweshalb sich eine typische Gefahr dieser Flasche und, anders als hier (s.o.),\nnicht ein typisches Risiko des Fahrzeuges verwirklicht hatte.\n\n6\n\nIII.\n\n7\n\nDie prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 10, 711 und\n713 ZPO.Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 3.000,- € (§§ 43 I, 48 I\nGKG, 6 S. 1 ZPO)Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 I Nr. 1, II ZPO),\nbestand nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern\nBelange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen\nRechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.Eine grundsätzliche\nBedeutung ist nämlich nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidung der Sache von\neiner klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt, die über den konkreten\nRechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder den beteiligten\nVerkehrskreisen umstritten ist (BGH, IV ZR 543/15, bei juris). Anlass zur\nFortbildung des Rechts durch Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze im\nSinne von § 543 II 1 Nr. 2, 1. Alt. ZPO besteht nur dann, wenn es für die\nrechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger\nLebenssachverhalte an einer richtungweisenden Orientierungshilfe ganz oder\nteilweise fehlt (BGH, V ZR 291/02, bei juris).\n\n
324,446
lsgsn-2019-09-27-l-4-as-27216
981
Sächsisches Landessozialgericht
lsgsn
Sachsen
Sozialgerichtsbarkeit
L 4 AS 272/16
2019-09-27
2019-12-14 11:00:39
2020-12-10 13:30:10
Urteil
ECLI:DE:LSGST:2019:0927.L4AS272.16.00
#### Tenor\n\n \n\nDie Berufung wird zurückgewiesen.\n\n \n\nKosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.\n\n \n\nDie Revision wird nicht zugelassen.\n\n \n\n#### Tatbestand\n\n1\n\n \n\nDie Beteiligten streiten über die endgültige Festsetzung und Erstattung von\nLeistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Dezember 2013 bis\nzum 31. Januar 2014.\n\n2\n\n \n\nDie am ... 1986 geborene Klägerin und Berufungsklägerin zu 1 beantragte am\n...2013 für sich und ihre am ...2005, ...2006, ... 2009 und ... 2013 geborenen\nKinder, die Berufungskläger und Kläger zu 2 bis 5 (im Folgenden: Kläger), die\nFortzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten\nBuch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) ab\nDezember 2013. In diesem Zusammenhang gaben sie im Hinblick auf die Kosten der\nUnterkunft und Heizung an, dass keine Änderungen eingetreten seien, wobei die\nWohnung mit Strom beheizt werde.\n\n3\n\n \n\nDaraufhin bewilligte der Beklagte und Berufungsbeklagter (im Folgenden:\nBeklagter) mit Bescheid vom 22. Oktober 2013 nur für die Monate März bis Mai\n2014 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts; eine Bewilligung\nfür Dezember 2013 bis Februar 2014 erfolgte nicht. Die Vorläufigkeit\nbegründete er mit der unbekannten Höhe des Einkommens aus einer\nselbstständigen Tätigkeit der Klägerin zu 1. Dabei berücksichtigte er keine\nHeizkosten. Mit Schreiben vom selben Tag forderte der Beklagte die Klägerin zu\n1 u.a. auf, die Jahresrechnung des Energieversorgers bis zum 5. November 2013\neinzureichen, weil der Anspruch (auf Heizstrom) sonst nicht geprüft werden\nkönne.\n\n4\n\n \n\nDie Abrechnung vom 5. November 2013 ging am 14. November 2013 beim Beklagten\nein. Danach sei der neue Abschlag für Heizstrom i.H.v. 131,00 EUR erstmals am\n23. November 2013 und in der Folge jeweils zum 23. eines Monats bis\neinschließlich Oktober 2014 fällig. Der erste Abschlag werde jedoch mit dem\nGuthaben der Klägerin zu 1 i.H.v. 297,20 EUR verrechnet, sodass ein Guthaben\nvom 166,20 EUR verbleibe. Gleichzeitig bat der Versorger um Auskunft, ob das\nRestguthaben ausgezahlt oder mit künftigen Abschlägen verrechnet werden solle.\n\n5\n\n \n\nAufgrund der Regelsatzanpassung zum 1. Januar 2014 bewilligte der Beklagte den\nKlägern mit Bescheid vom 17. November 2013 erneut vorläufig Leistungen zur\nSicherung des Lebensunterhalts, wobei er Heizkosten erneut nicht\nberücksichtigte.\n\n6\n\n \n\nDie Kläger erhoben mit anwaltlichem Schreiben am 21. November 2013 u.a.\nWiderspruch mit dem Ziel, auch Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2013\nbis zum 28. Februar 2014 und höhere Leistungen für die Zeit vom 1. März bis\nzum 31. Mai 2014 jeweils unter Einschluss von Heizkosten zu erhalten. Zur\nBegründung führten sie u.a. aus: Die Klägerin zu 1 habe die für die\nBerücksichtigung von Heizkosten erforderlichen Unterlagen zwischenzeitlich\neingereicht, sodass für die Zeit von März bis Mai 2014 höhere Leistungen zu\nbewilligen seien. Darüber hinaus stünden den Klägern auch für die ersten drei\nMonate des Bewilligungszeitraumes Grundsicherungsleistungen zu.\n\n7\n\n \n\nDaraufhin erließ der Beklagte mit Datum vom 27. November 2013 einen weiteren\nÄnderungsbescheid für Dezember 2013 bis Mai 2014 und berücksichtigte dabei die\nHeizkostenabschläge. Das Guthaben der Klägerin zu 1 bei ihrem Energieversorger\nließ er hingegen unberücksichtigt. Bedarfsmindernd berücksichtigte er\nlediglich das Kindergeld. Mit Schreiben vom 28. November 2013 bat der Beklagte\num ergänzende Informationen bezüglich der Verwendung des Guthabens. In der\nFolge teilte die Klägerin zu 1 am 3. Dezember 2013 mit, dass keine Auszahlung,\nsondern eine Aufrechnung mit den in den Monaten Dezember 2013 und Januar 2014\nzu zahlenden Abschlägen erfolge.\n\n8\n\n \n\nMit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2014 wies der Beklagte die Widersprüche\nder Kläger zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde bestandskräftig, soweit er\ndie Leistungsbewilligung betraf.\n\n9\n\n \n\nNach Ablauf des Bewilligungszeitraumes bat der Beklagte die Klägerin zu 1,\ndiverse Unterlagen zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit einzureichen.\nDieser Aufforderung kam sie nach. Auf Grundlage dieser und weiterer\nInformationen setzte der Beklagte die Leistungen zur Sicherung des\nLebensunterhalts für die Zeit vom 1. Dezember 2013 bis zum 31. Mai 2014 mit\nBescheid vom 29. Oktober 2014 endgültig fest, wobei er für Dezember 2013\n1.440,36 EUR und für Januar 2014 1.571,48 EUR bewilligte. Neben dem Kindergeld\nfür die Kläger zu 2 bis 5 rechnete der Beklagte lediglich das Restguthaben aus\nder Abrechnung der Stadtwerke i.H.v. 166,20 EUR auf die Bedarfe der Unterkunft\nund Heizung an.\n\n10\n\n \n\nMit weiterem Bescheid vom 30. Oktober 2014 forderte der Beklagte zu viel\ngezahlte Bedarfe der Unterkunft und Heizung aufgrund der nunmehr erfolgten\nBerücksichtigung des Guthabens zurück. Dabei schlüsselte er seine Forderung\nsowohl bezogen auf die einzelnen Kläger als auch auf die einzelnen\nBewilligungsmonate auf.\n\n11\n\n \n\nMit Schreiben vom 30. November 2014 erhoben die Kläger u.a. hinsichtlich der\nendgültigen Festsetzung der Kosten der Unterkunft und Heizung für die Monate\nDezember 2013 und Januar 2014 Widerspruch. Zur Begründung führten sie aus:\nAuch in diesen Monaten seien die vollen Heizkosten in Höhe von jeweils 131,00\nEUR zu berücksichtigen. Mit Änderungsbescheid vom 27. November 2013 seien im\nRahmen der vorläufigen Bewilligung Heizkosten in dieser Höhe berücksichtigt\nworden. Das Guthaben hätte bereits im vorläufigen Bescheid vom 27. November\n2013 Berücksichtigung finden müssen. Mit weiterem Schreiben vom selben Tag\nerhoben die Kläger auch gegen den Erstattungsbescheid vom 30. Oktober 2014\nWiderspruch. Einerseits sei der Erstattungszeitraum für den Kläger zu 2\nfehlerhaft angegeben worden. Andererseits sei die Gesamtsumme rechnerisch\nfehlerhaft.\n\n12\n\n \n\nDer Beklagte hielt im Widerspruchsbescheid vom 2. März 2015 an seinen\nEntscheidungen vom 29. und 30. Oktober 2014 fest. Den Klägern stünden keine\nhöheren Leistungsansprüche zu. Das Guthaben der e. M. Energie AG (e. M) aus\nderen Abrechnung vom 5. November 2013 sei bedarfsmindernd zu berücksichtigen.\nDas (Rest-) Guthaben in Höhe von 166,20 EUR sei aufgrund des Schreibens der\nKlägerin zu 1 vom 3. Dezember 2013 zu recht mit den Abschlägen für Dezember in\nHöhe von 131,00 EUR und Januar 2014 in Höhe von 35,20 EUR verrechnet worden.\nHeizkosten seien gem. § 22 Abs. 3 SGB II nicht (vollständig) zu\nberücksichtigen. Entgegen der klägerischen Ansicht ergebe sich auch nichts\nAnderes aus der Tatsache, dass im Rahmen der vorläufigen Bewilligung der volle\nAbschlag als Bedarf berücksichtigt worden sei. Die Erstattungsentscheidung sei\nim Ergebnis nicht zu beanstanden, wenngleich sie formale Fehler aufweise.\n\n13\n\n \n\nDie Kläger haben am 2. April 2015 zwei Klagen beim Sozialgericht Halle (SG)\nerhoben, wobei das ursprüngliche Klageverfahren S 34 AS 1202/15 die\nErstattungsforderung und das Verfahren S 34 AS 1203/15 die endgültige\nFestsetzung betroffen hat. Zur Begründung der Klage gegen die endgültige\nFestsetzung haben die Kläger ausgeführt, die im Rahmen der vorläufigen\nBewilligung mit Änderungsbescheid vom 27. November 2013 berücksichtigten\nHeizkosten seien auch im Rahmen der endgültigen Festsetzung als Bedarf\nanzuerkennen. Dem Beklagten sei bei der vorläufigen Bewilligung vom 27.\nNovember 2013 bekannt gewesen, dass der Klägerin zu 1 ein Guthaben in Höhe von\n166,20 EUR aus Heizkostenabschlägen zugestanden habe. Die Vorläufigkeit der\nBescheide habe nicht den Bescheid in seiner Gesamtheit betroffen, weil die\nBerechnungselemente bereits festgestanden hätten. Die Vorläufigkeit habe sich\nlediglich auf die "Einnahmen bzw. Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit im\nBewilligungszeitraum" bezogen. Daher sei der Beklagte verpflichtet gewesen,\nbereits im Rahmen der vorläufigen Entscheidungen alle feststehenden\nKostenpositionen korrekt zu berücksichtigen. Demgemäß bestünde auch kein\nErstattungsanspruch des Beklagten in dieser Höhe. Im Übrigen sei der\nErstattungszeitraum für den Kläger zu 2 fehlerhaft angegeben worden. Letztlich\nhabe der Beklagte auch eine falsche Summe (199,44 EUR statt 166,20 EUR)\nangegeben. Beide Fehler seien nicht offensichtlich.\n\n14\n\n \n\nDas Sozialgericht hat diverse Verfahren der Kläger – unter anderem auch die\nVerfahren S 34 AS 1202/15 und S 34 AS 1203/15 – mit Beschluss vom 23.\nSeptember 2015 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die\nKläger haben diesbezüglich beantragt, ihnen für die Zeit vom 1. Dezember 2013\nbis zum 31. Mai 2014 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu\ngewähren (insbesondere ohne Reduzierung durch eine nachträgliche Korrektur der\ntatsächlichen Heizkosten) und den Erstattungsbescheid aufzuheben.\n\n15\n\n \n\nMit Urteil vom selben Tag hat das SG – soweit hier relevant – die Klagen\nabgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die angefochtenen Entscheidungen\nseien nicht zu beanstanden. Der Beklagte habe den Leistungsanspruch der Kläger\nzutreffend ermittelt; insbesondere habe er dabei das Guthaben aus der\nHeizkostenabrechnung zu Lasten der Kläger berücksichtigt. Auch die Tatsache,\ndass der Beklagte das Guthaben im Rahmen der vorläufigen Bewilligung\nunberücksichtigt gelassen habe, begründe keinen Vertrauensschutz. Der\nVorläufigkeitsvorbehalt in den Bescheiden vom 22. Oktober und 27. November\n2013 erfasse die gesamte Leistungsbewilligung. Dies ergebe sich aus den\nVerfügungssätzen. Auf die Begründung der Vorläufigkeit komme es nicht an.\n\n16\n\n \n\nDarüber hinaus hat es u.a. auch Klagen der Kläger zu 2 und 3 auf Übernahme von\nKosten außerschulischer Lernförderungen für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai\n2015 in Höhe von 1.950,00 EUR abgewiesen.\n\n17\n\n \n\nGegen das ihnen am 29. Dezember 2015 zugestellte Urteil haben die Kläger\numfänglich am 21. Januar 2016 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt\n(LSG) eingelegt. Mit Beschluss vom 4. Mai 2016 hat der seinerzeit zuständige\nzweite Senat des LSG die hier streitigen Ursprungsverfahren zur gemeinsamen\nVerhandlung und Entscheidung abgetrennt.\n\n18\n\n \n\nZur Begründung ihrer Berufung haben die Kläger ausgeführt, sie hätten für die\nMonate Dezember 2013 und Januar 2014 höhere Ansprüche auf Leistungen zur\nSicherung des Lebensunterhaltes, weil der Beklagte nicht berechtigt sei, ein\nHeizkostenguthaben aus der Abrechnung vom 5. November 2013 zu ihren Lasten zu\nberücksichtigen. Zudem greife die Argumentation des SG zur Vorläufigkeit des\ngesamten Bescheides zu kurz. Für Leistungsbezieher sei auch die Begründung ein\nwesentlicher Bestandteil des Bescheides. Andernfalls ergebe § 35\nSozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und\nSozialdatenschutz – (SGB X) keinen Sinn. Vorliegend sei der Grund für die\nVorläufigkeit der Leistungsbewilligung das unbekannte Einkommen der Klägerin\nzu 1 gewesen, was sich den Formulierungen eindeutig entnehmen lasse. Die\nKläger seien davon ausgegangen, dass – sofern keine Änderungen im zu\nberücksichtigen Einkommen einträten – der Bescheid auch in Zukunft Bestand\nhabe. Letztlich ergäbe sich auch aus den gesetzlichen Regelungen, dass nicht\nnur Grund, sondern auch der Umfang der Vorläufigkeit anzugeben sei. Insofern\nverbiete sich ein Automatismus dahingehend, allein aus der Erklärung des\nBescheides als vorläufig auf den Umfang zu schließen. Dies ergebe sich auch\naus einem Vergleich mit der Neuregelung der vorläufigen Bewilligung im Rahmen\nder Grundsicherung für Arbeitssuchende gemäß § 41a Sozialgesetzbuch Zweites\nBuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Danach sei nur noch der\nGrund der Vorläufigkeit anzugeben. Einer derartigen gesetzlichen Änderung\nhätte es nicht bedurft, wenn sich bereits aus der Vorläufigkeit im\nVerfügungssatz deren Umfang ergebe. Auch der Erstattungsbescheid sei\nrechtswidrig, weil der ausgewiesene Gesamtbetrag rechnerisch falsch sei.\n\n19\n\n \n\nSie haben nach einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage ergänzend\nvorgetragen: Soweit dem Berufungsbeklagten am 27. November 2013 der\nZuflusszeitpunkt des Heizkostenguthabens unbekannt gewesen sei, habe er die\nMöglichkeit gehabt, diesen Sachverhalt. aufzuklären und erst dann einen\nÄnderungsbescheid zu erlassen. Insbesondere sei es hinsichtlich des\nErstattungsbescheides auch unerheblich, dass sich aus der Addition der\neinzelnen Forderungsbeträge ein Wert von 166,20 EUR ergebe. Maßgeblich sei der\nim Bescheid genannte Betrag von 199,44 EUR. Dieser Betrag sei durch die\nKlägerin zu überweisen. Man könne nicht davon ausgehen, dass die\nLeistungsbezieher die Einzelbeträge überprüften.\n\n20\n\n \n\nDie Kläger beantragen nach einer ausdrücklichen Beschränkung der Berufung auf\ndie Monate Dezember 2013 und Januar 2014,\n\n21\n\n \n\ndas Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. November 2015 hinsichtlich der\nUrsprungsverfahren S 34 AS 1202/15 und S 34 AS 1203/15 sowie den\nErstattungsbescheid des Beklagten vom 30. Oktober 2014 in Gestalt des\nWiderspruchsbescheides vom 2. März 2015 aufzuheben und den Beklagten unter\nAbänderung des Bescheides vom 29. Oktober 2014 in Gestalt des\nWiderspruchsbescheides vom 2. März 2015 zu verpflichten, die Leistungen für\nDezember 2013 und Januar 2014 in Höhe der mit Bescheid vom 27. November 2013\nvorläufig bewilligten Leistungen festzusetzen.\n\n22\n\n \n\nDer Beklagte beantragt,\n\n23\n\n \n\ndie Berufung zurückzuweisen.\n\n24\n\n \n\nEr hat sich nicht geäußert.\n\n25\n\n \n\nDie Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und\nwaren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten\ndes Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt\nder Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.\n\n \n\n#### Entscheidungsgründe\n\n26\n\n \n\nDie statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Die Beschwer der Kläger\nüberschreitet die maßgebliche Berufungssumme von 750 EUR des § 144 Abs. 1 Satz\n1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil die Ansprüche der Kläger gemäß § 202\nSGG in Verbindung mit § 5 Zivilprozessordnung (ZPO) auch bei subjektiver\nKlagehäufung zu addieren sind (vergleiche auch Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12.\nAuflage, zu § 144, Rn. 16). Zudem hat der Kindesvater die Klägerin zu 1\nermächtigt, Ansprüche der gemeinsamen Kinder, der Kläger zu 2 bis 5, gegenüber\ndem Beklagten geltend zu machen.\n\n27\n\n \n\nDie Berufung ist jedoch unbegründet. Das klageabweisende Urteil ist im\nErgebnis zu Recht ergangen.\n\n28\n\n \n\nRechtsgrundlage für die endgültige Festsetzung vom 29. Oktober 2014 in Gestalt\ndes Widerspruchsbescheides vom 2. März 2015 bildet aufgrund der\nVerweisungsnorm des § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011)\n§ 328 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III).\nDanach ist eine vorläufige Entscheidung nur auf Antrag der berechtigten Person\nfür endgültig zu erklären, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist. Hier\nhat sich jedoch die bestandskräftig gewordene vorläufige Entscheidung nach\nAblauf des Bewilligungszeitraumes jedenfalls für den streitigen Zeitraum als\nunrichtig erwiesen und war zu ändern. Denn den Klägern stehen geringere\nLeistungen zu als ihnen vorläufig bewilligt worden sind (vgl. auch § 328 Abs.\n3 SGB III).\n\n29\n\n \n\nIm Einzelnen:\n\n30\n\n \n\nZwar weisen die Kläger im Grunde zutreffend darauf hin, dass der Beklagte im\nRahmen der vorläufigen Bewilligung das Heizkostenguthaben aus der Abrechnung\nvom 5. November 2013 im Rahmen der Anspruchsermittlung hätte berücksichtigen\nmüssen, weil auch im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung sämtliche\nleistungserheblichen und bekannten Tatsachen zu berücksichtigen sind. Konkret\nwar auch die Aufrechnung in Höhe von 131,00 EUR mit dem Abschlag für November\n2013 bekannt. Allerdings folgt daraus nicht, dass der Beklagte gehindert wäre,\ndies im Rahmen der hier streitigen endgültigen Festsetzung nachzuholen. Den\nKlägern kann nicht darin zugestimmt werden, dass der vorläufigen Bewilligung\neine Bindungswirkung dergestalt zukommt, dass ein Grundsicherungsträger\ngehindert wäre, Leistungen entsprechend der materiellen Rechtslage endgültig\nfestzusetzen, falls vorläufig zu hohe Leistungen bewilligt wurden (so aber in\nder Tendenz Schmidt-De Caluwe in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB\nIII, 6. Auflage, zu § 328, Rn. 43 ff., Rn. 47; ähnlich auch Schaumberg in:\njurisPK, zu § 328 SGB III, Rn. 97 ff. (100); ähnlich auch Greiser in\nEicher/Schlegel, SGB III, zu § 328, Stand 2/2013, Rn.5f.).\n\n31\n\n \n\nVielmehr schließt sich der Senat nach eigener Prüfung der ständigen\nRechtsprechung des Bundessozialgerichts an, nach der vorläufigen\nEntscheidungen nach dem Sozialgesetzbuch [vergleiche etwa auch § 42\nSozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I)] nach Zweck und\nBindungswirkung allein die Funktion zukommt, eine (Zwischen-) Regelung bis zur\nendgültigen Klärung der Sach- und Rechtslage zu treffen. Vorläufig bewilligte\nLeistungen sind daher als aliud gegenüber endgültigen Leistungen anzusehen,\nwobei ihre Bewilligung keine Bindungswirkung für die endgültige Leistung\nentfaltet (vergleiche BSG – Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 31/14 R – Rn.\n23 m.w.N.; ähnlich bereits BSG – Urteil vom 22. August 2013 – B 14 AS 1/13 R –\nRn. 15 – juris). Insbesondere hat der Gesetzgeber auch darauf verzichtet,\nVertrauensschutzregelungen entsprechend der §§ 44 ff. SGB X zu erlassen. Hätte\ner Vertrauensschutzgesichtspunkte berücksichtigen wollen, so hätte er dies\nangesichts der unterschiedlichen Zielsetzungen von vorläufigen und endgültigen\nBewilligungen ausdrücklich regeln müssen. Letztlich ist im Bereich der\nGrundsicherung für Arbeitsuchende auch zu berücksichtigen, dass es zumindest\nim Hinblick auf die Leistungshöhe keine Teilregelungen im Sinne eigenständiger\n(beschränkter) Verwaltungsakte geben kann, auf die sich der Vertrauensschutz\ngründen könnte. Sowohl der Bedarf als auch das auf dieses anzurechnende\nEinkommen stellen letztlich nur Berechnungselemente der Ansprüche auf\nLeistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dar (vgl. auch\nGesetzesbegründung zu § 41 a SGB II BT-Drs. 18/8041, Nr. 36, S. 52). Ob etwas\nAnderes gilt, wenn es z.B. um die Frage der Erwerbsfähigkeit oder das Bestehen\neiner Bedarfsgemeinschaft geht, ist hier nicht zu entscheiden.\n\n32\n\n \n\nZudem folgt der Senat dem SG darin, dass die vorläufige Bewilligung insgesamt\nvorläufig ergangen ist. Dies ergibt sich einerseits bereits aus dem\nVerfügungssatz, der die gesamte Bewilligung für vorläufig erklärt, und\nandererseits aus der Tatsache, dass das noch unbekannte Einkommen lediglich\nein Berechnungselement für den jeweiligen Anspruch darstellt, sodass\nLeistungen nur insgesamt vorläufig bewilligt werden konnten (vgl. in diesem\nSinne für § 41a SGB II n.F. auch BT-Drs. 18/8041, zu § 41a, Nr. 36, S. 52\nsowie zur Auslegung der Vorläufigkeit auch Urteile des BSG vom 6. April 2011 –\nB 4 AS 119/10 R – Rn. 18 – und vom 22. August 2013 – B 14 AS 1/13 – Rn. 15 –\njuris sowie zum Umfang der Begründung der Vorläufigkeit und ihres Grundes Düe,\nin: Brand, Kommentar zum SGB III, zu § 328, Rn. 19 ff. sowie Kallert, in:\nGagel, Kommentar zum SGB II/SGB III, zu § 328 SGB III, Stand: Juni 2019, Rn.\n67 f. m.w.N.).\n\n33\n\n \n\nDanach gilt hier: Das von e. M in ihrer Jahresabrechnung vom 5. November 2013\nausgewiesene Guthaben steht im Zeitpunkt seiner Gutschrift einem\nEinkommenszufluss gleich, der modifiziert durch die Regelung des § 22 Abs. 3\nSGB II bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung im danach folgenden Monat\nzu berücksichtigen ist. Der Energieversorger verrechnete die Forderung der\nKlägerin zu 1 aus der Jahresabrechnung mit den für November und Dezember 2013\nbzw. Januar 2014 fälligen Abschlägen. Hierbei handelt es sich um Aufrechnungen\nim Sinne von §§ 387 ff. BGB, die dazu führten, dass der jeweilige Anspruch auf\ndie in diesem Monat fälligen Abschläge (teilweise) in Höhe des\n(Rest)-Guthabens erloschen ist (§ 389 BGB). Aufgrund dessen war die Klägerin\nzu 1 im November bzw. Dezember 2013 nicht und im Januar 2014 nur anteilig zur\nZahlung der Abschläge verpflichtet. § 22 Abs. 3 SGB II stellt insoweit eine\nAusnahme von § 19 Satz 3 SGB II dar, als durch ihn die Rangfolge der\nLeistungen, bei deren Berechnung das Einkommen Berücksichtigung findet,\nmodifiziert wird. Grundsätzlich gilt, dass das zu berücksichtigende Einkommen\n(und Vermögen) die Geldleistungen der Agentur für Arbeit mindert; soweit\nEinkommen (oder Vermögen) darüber hinaus zu berücksichtigen ist, mindert es\ndie Geldleistungen der kommunalen Träger. Nach § 22 Abs. 3 SGB II mindern\nRückzahlungen und Guthaben, die den Kosten der Unterkunft und Heizung\nzuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder Gutschrift\nentstehenden Aufwendungen. Es findet demnach eine direkte Anrechnung auf die\nzum überwiegenden Teil von den kommunalen Trägern zu tragenden Kosten für die\nUnterkunft und Heizung im Folgemonat statt. Dies führt vor dem Hintergrund der\nKostentragung im Ergebnis zu einer Entlastung der kommunalen Träger (vgl. BT-\nDrs. 16/1696, S. 26 f). § 22 Abs. 3 SGB II ist damit eine Spezialvorschrift in\nBezug auf die Anrechnung von Einkommen aus Rückzahlungen und Guthaben, die den\nKosten der Unterkunft und Heizung zuzurechnen sind. Ebenso modifiziert § 22\nAbs. 3 SGB II den Zeitpunkt des Zuflusses des Einkommens. Abweichend vom\ntatsächlichen "Zufluss" des Einkommens bestimmt § 22 Abs. 3 SGB II, dass für\ndie Einkommensanrechnung erst der Monat nach der Rückzahlung oder Gutschrift\nmaßgeblich ist und die entstehenden Aufwendungen gemindert werden. Ebenso wie\ndie Berechnung bei der Leistungsbewilligung folgt auch die Berücksichtigung\nder Gutschrift daher den Verhältnissen des jeweiligen Zeitpunktes angepasst\nkopfteilig, also hier je zu 1/5 bei den Klägern (vergleiche hierzu BSG –\nUrteil vom 22. Dezember 2012 – B 4 AS 139/11 R – Rn. 16 ff.– juris).\n\n34\n\n \n\nFür Dezember 2013 ist hinsichtlich der allein streitigen Leistungen für\nUnterkunft und Heizung (KdUH) in Höhe von 621,00 EUR allein das mit den\nAbschlägen für November 2013 (und nicht wie der Beklagte meint für Dezember\n2013) verrechnete Guthaben bedarfsmindernd als Einkommen zu berücksichtigen.\nDamit ergibt sich für diesen Monat folgende Berechnung:\n\n35\n\n \n\nTabelle nicht darstellbar\n\n36\n\n \n\nDie den Klägern zustehenden Leistungen entsprechen den vom Beklagten in der\nangefochtenen Entscheidung für Dezember 2013 bewilligten Leistungen, so dass\ndiese nicht zu beanstanden ist.\n\n37\n\n \n\nAuf die KdUH der Kläger im Monat Januar 2014 (621,00 EUR) ist erneut\nausschließlich das mit den Abschlägen für Dezember 2013 verrechnete Guthaben\nanzurechnen, so dass sich folgende Berechnung ergibt:\n\n38\n\n \n\nTabelle nicht darstellbar\n\n39\n\n \n\nDamit stehen den Klägern für Januar 2014 sogar geringere Leistungen zu als vom\nBeklagten bewilligt. Die Entscheidung ist damit begünstigend rechtswidrig;\neine weitergehende Leistungsbewilligung scheidet aus.\n\n40\n\n \n\nGemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der Fassung vom 13. Mai 2011 der § 328 Abs.\n3 Satz 2 SGB III haben die Kläger die über die endgültig festgesetzten\nLeistungen hinausgehend erbrachten Leistungen zu erstatten. Die vom Beklagten\nindividuell ermittelten Rückforderungen sind nach den obigen Ausführungen\nnicht zu beanstanden und bleiben für Januar 2014 sogar hinter den\ntatsächlichen Rückforderungsansprüchen zurück.\n\n41\n\n \n\nEine Rückforderung der zu viel erbrachten Leistungen scheitert auch nicht\ndaran, dass der Beklagte im Ausgangsbescheid vom 30. Oktober 2014 die\nGesamtforderung mit 199,44 EUR beziffert hatte. Insbesondere ist der\nErstattungsbescheid hinreichend bestimmt (§ 33 SGB X). Es handelt sich bei der\nAngabe dieser Gesamtsumme nicht um einen Verfügungssatz im Sinne eines\nVerwaltungsaktes. Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X sind nach Ansicht\ndes Senats lediglich die für die einzelnen Monate aufgeschlüsselten\nForderungen. Nur diese enthalten Verfügungen, die auf eine unmittelbare\nRechtswirkung nach außen gerichtet sind. Dies ergibt sich bereits aus der\nTatsache, dass es sich sowohl bei den Leistungsansprüchen der\nLeistungsempfänger als auch bei den Rückforderungen der Grundsicherungsträger\num individuelle Ansprüche der bzw. gegenüber einzelnen Personen handelt und es\nfolglich keinen einheitlichen Rückforderungsanspruch gegenüber allen\nMitgliedern der Bedarfsgemeinschaft gibt. Zudem ist aus dem Gesamtzusammenhang\nder endgültigen Festsetzung einerseits und des Erstattungsbescheides\nandererseits ersichtlich, dass es sich bei der Angabe einer Gesamtforderung in\nHöhe von 199,44 EUR lediglich um eine Addition der individuellen\nErstattungsforderungen handelt und nicht – wie die Kläger meinen – um einen\nVerwaltungsakt (vergleiche auch BSG – Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10\nR – Rn. 30 ff. – juris).\n\n42\n\n \n\nLetztlich kann sich der Kläger zu 2 auch nicht darauf berufen, dass der\nErstattungszeitraum für ihn unzutreffend angegeben worden sei. Es handelt sich\nhierbei nach Auffassung des Senats um eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne\nvon § 38 Satz 1 SGB X. Es kann nach dem Gesamtzusammenhang der angefochtenen\nBescheide keinem Zweifel unterliegen, dass wie für die übrigen Mitglieder der\nBedarfsgemeinschaft auch bezüglich des Klägers zu 2 jeweils\nErstattungsforderungen für Dezember 2013 und Januar 2014 geltend gemacht\nwurden. Dies hat der Beklagte auch im Widerspruchsbescheid ausdrücklich\nklargestellt.\n\n43\n\n \n\nNach alledem war die Berufung zurückzuweisen.\n\n44\n\n \n\nDie Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.\n\n45\n\n \n\nDie Revision war nicht zuzulassen, weil Revisionsgründe nicht vorliegen. Es\nhandelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf geklärter Rechtsgrundlage.\nErgänzend ist darauf hinzuweisen, dass die endgültige Festsetzung bzw.\nErstattung von Leistungen nunmehr in § 41a SGB II geregelt ist.\n\n \n\n \n\n
325,564
vg-schleswig-holsteinisches-2020-01-29-12-b-5819
1,071
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht
vg-schleswig-holsteinisches
Schleswig-Holsteinisches
Schleswig-Holstein
Verwaltungsgerichtsbarkeit
12 B 58/19
2020-01-29
2020-02-06 11:00:41
2020-12-10 13:30:29
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2020:0129.12B58.19.00
#### Tenor\n\n \n\nDer Antrag wird abgelehnt.\n\n \n\nDer Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.\n\n \n\nDer Wert des Streitgegenstandes wird auf 35.419,56 € festgesetzt.\n\n \n\n#### Gründe\n\n \n\n**I.**\n\n1\n\n \n\nDer Antragsteller begehrt die Verlängerung eines Beamtenverhältnisses auf Zeit\nwegen Inanspruchnahme von Elternzeit.\n\n2\n\n \n\nDie Antragsgegnerin ernannte den Antragsteller mit Wirkung zum 1. September\n2016 nach § 63 HSG für die Dauer von zwei Jahren unter Berufung in ein\nBeamtenverhältnis auf Zeit zum Professor. Nach Besuch verschiedener vom\nAntragsteller abgehaltener Lehrveranstaltungen erstellte der\nBerufungsausschuss der Antragsgegnerin am 31. Januar 2018 ein positives\nGutachten in Bezug auf seine pädagogische und didaktische Eignung und\nbeschloss seine Ernennung auf Lebenszeit. Dem stimmte der Fachbereichskonvent\nam 4. April 2018 zunächst zu. Aufgrund einer negativen Stellungnahme von\nStudierenden vom 10. Juni 2018 beschloss der Fachbereichskonvent am 11. Juli\n2018 jedoch, dass die pädagogische Eignung doch nicht festgestellt werden\nkönne. Die Präsidentin der Antragsgegnerin widersprach daraufhin seiner\nErnennung, um den weiteren Verfahrensablauf näher zu prüfen.\n\n3\n\n \n\nMit Einweisungsverfügung vom 23. Juli 2018 verlängerte die Antragsgegnerin das\nBeamtenverhältnis auf Zeit um ein Jahr, mithin bis zum 31. August 2019. Die\nVerlängerung sei erforderlich, um die pädagogische Eignung des Antragstellers\nweiter zu überprüfen. Dem widersprach der Antragsteller und beantragte seine\nunmittelbare Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit, setzte seine Lehrtätigkeit\nentsprechend der Einweisungsverfügung jedoch fort.\n\n4\n\n \n\nIm Wintersemester 2018 nahm er vom 12. September 2018 bis zum 11. November\n2018 Elternzeit in Anspruch.\n\n5\n\n \n\nMit Bescheid vom 19. Dezember 2018 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch\ngegen die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit zurück. Dieser\nWiderspruchsbescheid ist Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen\nHauptsacheverfahrens, mit dem der Antragsteller sein Ziel der Ernennung auf\nLebenszeit ohne weitere Überprüfung seiner pädagogischen Eignung weiter\nverfolgt (Az. 12 A 20/19).\n\n6\n\n \n\nIm Sommersemester 2019 nahm der Antragsteller erneut vom 12. März 2019 bis 11.\nJuni 2019 Elternzeit in Anspruch.\n\n7\n\n \n\nAm 9. Juli 2019 verweigerte der Kläger die Entgegennahme eines\nEinweisungsschreibens der Antragsgegnerin vom 2. Juli 2019, das die\nVerlängerung des Beamtenverhältnisses auf Zeit um ein weiteres Jahr vom 1.\nSeptember 2019 bis zum 31. August 2020 zum Gegenstand hatte. Zur Begründung\nteilte er mit, dass er einen Anspruch auf eine Verbeamtung auf Lebenszeit ohne\nweitere Überprüfung seiner pädagogischen Eignung habe und durch die\nEntgegennahme der Urkunde nicht die Rechtmäßigkeit der Verlängerung seines\nBeamtenverhältnisses auf Zeit bestätigen wolle.\n\n8\n\n \n\nMit Schreiben vom 5. August 2019 teilte die Antragsgegnerin ihm mit, dass eine\nÜberprüfung seiner pädagogischen und didaktischen Eignung nur möglich sei,\nwenn er Lehrveranstaltungen anbiete und forderte ihn auf, bis zum 12. August\n2019 _„verbindlich und schriftlich (gerne per E-Mail)“_ mitzuteilen, ob er\neine Berufung auf Zeit oder eine Lehrbeauftragung für ein weiteres Jahr\nannehme. Eine Verlängerung dieser Frist sei aus organisatorischen Gründen\nnicht möglich.\n\n9\n\n \n\nMit Schreiben vom 9. August 2019 erhob der Verfahrensbevollmächtigte des\nAntragsstellers Widerspruch gegen den _„Bescheid vom 2. Juli 2019“_ und\nbeantragte erneut, den Antragsteller zum Beamten auf Lebenszeit zu ernennen.\nEs sei eine ausreichende Grundlage gegeben, um eine Entscheidung über seine\npädagogische Eignung zu treffen.\n\n10\n\n \n\nMit E-Mail vom 12. August 2019 erklärte der Antragsteller, er werde im\nWintersemester 2019/2020 für die Antragsgegnerin tätig sein. Sollte die\nAntragsgegnerin sich gegen eine direkte Verbeamtung auf Lebenszeit\nentscheiden, beantrage er _„die Einstellung oder zumindest fünfmonatige\nAussetzung der Begutachtung bei voller Beschäftigung“_.\n\n11\n\n \n\nMit E-Mail vom 14. August 2019 teilte ihm die Antragsgegnerin daraufhin mit:\n_„Wenn Sie der Überprüfung Ihrer pädagogischen und didaktischen Eignung\nvollumfänglich zustimmen und Ihre Kooperation hierbei schriftlich mir\ngegenüber bis zum 20. August 2019 erklären, können Sie hierfür im\nWintersemester 2019/20 Lehraufträge an der Technischen Hochschule Lübeck\nerhalten.“_\n\n12\n\n \n\nMit Bescheid vom 21. August 2019 wies die Antragsgegnerin den Antrag des\nVerfahrensbevollmächtigten des Antragsstellers auf Ernennung zum Beamten auf\nLebenszeit vom 9. August 2019 zurück. Das Berufungsverfahren könne nicht zu\neinem positiven Abschluss gebracht werden, weil es wegen der langen\nAbwesenheit des Antragstellers im Wintersemester 2018/2019 nicht möglich\ngewesen sei, eine Entscheidung über dessen pädagogische und didaktische\nEignung zu treffen.\n\n13\n\n \n\nMit E-Mail vom 22. August 2019 beantragte der Antragsteller bei der\nAntragsgegnerin eine Verlängerung seiner Dienstzeit vom 1. September 2019 bis\nzum 31. Januar 2020 nach § 117 Abs. 5 Nr. 5 LBG SH. Da er vom 12. September\n2018 bis zum 11. November 2018 und vom 12. März 2019 bis 11. Juni 2019\nElternzeit in Anspruch genommen habe, habe er einen Anspruch auf Verlängerung\nder Dienstzeit um fünf Monate.\n\n14\n\n \n\nMit Schreiben vom 27. August 2019 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag mit\nder Begründung ab, dass dienstliche Gründe entgegenstünden. Die\nPersonalplanung für das betreffende Semester sei bereits abgeschlossen. Der\nAntragsteller könne aufgrund des beantragten Zeitraums nicht alle\nLehrveranstaltungen seines Faches abhalten und nicht an allen dazugehörigen\nPrüfungen mitwirken. Wenn Lehre und dazugehörige Prüfungen von\nunterschiedlichen Personen durchgeführt würden, benachteilige dies die\nStudierenden unzumutbar. Außerdem sei es auch für die Lehrenden nicht\nzumutbar, Prüfungen zu übernehmen, an deren Lehre sie nicht beteiligt seien.\nDer Antragsteller habe die Fristen zur Rückmeldung nicht eingehalten und der\nZeitraum reiche nicht für die weiterhin erforderliche pädagogische\nEignungsüberprüfung aus.\n\n15\n\n \n\nMit Schreiben vom 30. August 2019 erhob der Antragssteller hiergegen\nWiderspruch, über den bisher nicht entschieden wurde.\n\n16\n\n \n\nAm selben Tag hat er auch um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes\nersucht.\n\n17\n\n \n\nEr trägt vor, er habe einen Anspruch auf Verlängerung seiner Dienstzeit. Seine\ndidaktische und pädagogische Eignung sei bereits im April 2018 vom Konvent des\nFachbereichs einstimmig festgestellt worden, sodass die Berufung bereits im\nSommer 2018 hätte erfolgen müssen. Der etwaigen erneuten Beurteilung seiner\npädagogischen Eignung im Wintersemester 2018 habe seine Elternzeit nicht\nentgegengestanden. Während der beantragten Verlängerung um fünf Monate sei\neine vollständige Durchführung der Lehrveranstaltungen und der dazugehörigen\nPrüfungen problemlos möglich. Der Vorlesungszeitraum ende im Januar 2020 und\nder zum Wintersemester gehörige Prüfungszeitraum am 28. Januar 2020. Damit\nlägen beide Zeiträume innerhalb der beantragten Verlängerung. Die\nAntragsgegnerin habe auch in der Vergangenheit zugelassen, dass Lehrende nicht\nbis zum Ende des Semesters anwesend gewesen seien. Die von der Antragsgegnerin\nangeführten organisatorischen Gründe griffen nicht durch. Er sei zunächst für\nLehrveranstaltungen eingeplant gewesen. Eine Umplanung habe erst ab dem 22.\nAugust 2019 stattgefunden, also nachdem er seinen Antrag auf Verlängerung nach\n§ 117 Abs. 5 Nr. 5 LBG SH gestellt habe.\n\n18\n\n \n\nDer Antragsteller beantragt,\n\n19\n\n \n\ndie Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seine\nDienstzeit vorläufig um fünf Monate (vom 01. September bis zum 31. Januar\n2020) zu verlängern.\n\n20\n\n \n\nDie Antragsgegnerin beantragt,\n\n21\n\n \n\nden Antrag abzulehnen.\n\n22\n\n \n\nDie Antragsgegnerin trägt vor, dass der Anspruch auf Verlängerung der\nDienstzeit nach § 117 Abs. 5 Nr. 5 LBG SH nur bestehe, sofern dienstliche\nGründe nicht entgegenstünden. Hierunter sei das Interesse an einer sachgemäßen\nund reibungslosen Erfüllung der Aufgaben der Verwaltung zu verstehen. Es lägen\nentgegenstehende dienstliche Gründe vor. Studierende könnten Prüfungen bis zum\n29. Februar 2020 oder zu Beginn des Folgesemesters ablegen. Dieser Zeitraum\nliege außerhalb der fünf Monate. Der Antragsteller habe seine\nLehrveranstaltungen nicht zurückgemeldet und somit freigegeben sowie die\nEntgegennahme der Ernennungsurkunde und später auch die Annahme von\nLehraufträgen abgelehnt. Wenn er jede Beschäftigung ablehne, könne man auch\nkeine Lehre mit ihm organisieren. Die Lehre sei bereits vollständig\norganisiert und habe am 16. September 2019 begonnen. Darüber hinaus wiederholt\nsie in Bezug auf die begehrte Lebenszeiternennung im Wesentlichen ihren\nbisherigen Vortrag.\n\n23\n\n \n\nHinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf\ndie Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.\n\n \n\nII.\n\n24\n\n \n\nDer Antrag hat keinen Erfolg.\n\n25\n\n \n\nDer Antrag dürfte in seiner gestellten Form bereits unzulässig sein, weil ihm\nim maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung das notwendige\nRechtsschutzbedürfnis fehlt. Mit dem Rechtsschutzbedürfnis wird zum Ausdruck\ngebracht, dass nur derjenige, welcher mit dem von ihm angestrengten\ngerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse\nverfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat. Es fehlt,\nwenn der Antrag für den Antragsteller offensichtlich keinerlei rechtliche oder\ntatsächliche Vorteile bringen kann (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 24. Auflage 2018,\nVorbemerkung § 40 Rn. 30, 38). Dies dürfte vorliegend der Fall sein, da mit\nEnde der festgesetzten Dienstzeit am 31. August 2019 eine Erledigung des\nBegehrens des Antragstellers eingetreten ist. Denn eine Verlängerung kann nur\nwährend eines noch bestehenden Beamtenverhältnisses in Betracht kommen. Nach\ndessen Ende kann allenfalls eine (Wieder-)Einstellung durch entweder erneute\nErnennung mit Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Zeit oder in ein solches\nauf Lebenszeit erfolgen.\n\n26\n\n \n\nUnbeschadet dessen war eine Verlängerung des Beamtenverhältnisses auf Zeit\nauch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Antragstellung zwei Tage vor Ende des\nBeamtenverhältnisses nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung zu erreichen,\nweil sich die Antragsgegnerin in nicht zu beanstandender Weise auf einer\nVerlängerung entgegenstehende Gründe berufen hat, mithin dem Antragsgegner\nkein Anordnungsanspruch zur Seite stand.\n\n27\n\n \n\nEine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO darf nur ergehen, wenn dies zur\nAbwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint.\nSowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (sogenannter\nAnordnungsgrund), als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts\n(sogenannter Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§§ 123 VwGO iVm 920\nAbs. 2 ZPO).\n\n28\n\n \n\nZwar bestand jedenfalls bei Antragstellung am 30. August 2019 ein\nAnordnungsgrund. Der Antragsteller hat die besondere Dringlichkeit der\nbegehrten einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht. Denn ein grundsätzlich in\nBetracht zu ziehender beamtenrechtlicher Ersatzanspruch, mit dem der\nAntragsteller sich im Falle des späteren Obsiegens in der Hauptsache ggf. beim\nDienstherrn schadlos halten könnte, ließe vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs.\n4 GG den Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung nicht entfallen (OVG\nSchleswig, Beschluss vom 05.11.2018 - 2 MB 17/18 - juris Rn. 9). Zudem\ngebietet der Rechtsgedanke des § 839 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dem\nAntragsteller, seine Ansprüche im Wege des Primärrechtschutzes geltend zu\nmachen und nicht auf die spätere Geltendmachung von Sekundäransprüchen zu\nverlagern (vgl. hierzu ausführlich: BVerwG, Urteil vom 15.06.2018 - 2 C 19.17\n-, Rn. 22 ff., juris).\n\n29\n\n \n\nJedoch hat der Antragsteller das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht im\nerforderlichen Maße glaubhaft gemacht.\n\n30\n\n \n\nEr begehrt mit dem Antrag‚ das bis zum 31. August 2019 befristete\nBeamtenverhältnis auf Zeit über diesen Zeitpunkt hinaus fortzusetzen‚ keine\nvorläufige Maßnahme‚ sondern eine endgültige Vorwegnahme der in einem\nHauptsacheverfahren zu erstrebenden Entscheidung. Dem Antragsbegehren könnte\nnur durch eine statusbegründende Ernennung des Antragstellers zum Beamten auf\nZeit entsprochen werden. Würde dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen\nAnordnung aufgegeben‚ den Antragsteller zum Beamten auf Zeit für weitere fünf\nMonate zu ernennen‚ würde sich die Hauptsache bereits erledigen.\n\n31\n\n \n\nDem Gericht ist es regelmäßig verwehrt, mit seiner Entscheidung die Hauptsache\nvorwegzunehmen. Es würde dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung\nwidersprechen, wenn dem Antragsteller in vollem Umfang, wenn auch nur auf\nbeschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das\ngewährt würde, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte (vgl.\nKopp/Schenke, VwGO 24. Auflage 2018, § 123 Rn. 13 ff. m.w.N.). Im Hinblick auf\ndie Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist eine Vorwegnahme der\ngrundsätzlich dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Entscheidung dann\nausnahmsweise zulässig, wenn wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren\nnicht zu erreichen ist, dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen\nAnordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen und er im\nHauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird (vgl. OVG Münster, Beschluss\nvom 30.06.2008 - 6 B 971/08 -, Rn. 2, juris) oder wenn der Erfolg in der\nHauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, die Sache also bei Anlegung eines\nstrengen Maßstabes an die Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben wird (so\nOVG Schleswig, Beschluss vom 10.01.2017 - 2 MB 33/16 -, Rn. 26, juris,\nm.w.N.).\n\n32\n\n \n\nDiese strengen Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Eine überwiegende\nWahrscheinlichkeit eines Erfolgs im Hauptsacheverfahren ist nicht glaubhaft\ngemacht worden. Der Entscheidung der Antragsgegnerin, das Beamtenverhältnis\nnicht nach § 117 Abs. 5 S. 1 und S. 2 Nr. 5 LBG zu verlängern, begegnen keine\ndurchgreifenden Bedenken.\n\n33\n\n \n\nNach § 117 Abs. 5 S. 1 und S. 2 Nr. 5 LBG ist, soweit Hochschullehrerinnen und\nHochschullehrer Beamtinnen oder Beamte auf Zeit sind, das Dienstverhältnis,\nsofern dienstliche Gründe nicht entgegenstehen, auf Antrag der Beamtin oder\ndes Beamten aus den in Satz 2 genannten Gründen zu verlängern. Gründe für eine\nVerlängerung sind: […] Inanspruchnahme von Elternzeit nach der\nElternzeitverordnung vom 18. Dezember 2001 in dem Umfang, in dem eine\nErwerbstätigkeit nicht erfolgt ist.\n\n34\n\n \n\nDer Kläger hat Elternzeit im Umfang von fünf Monaten in Anspruch genommen und\nden erforderlichen Antrag auf Verlängerung mit seiner E-Mail vom 22. August\n2019 gestellt. Jedoch durfte sich die Antragsgegnerin hier in gerichtlich\nnicht zu beanstandender Weise auf entgegenstehende dienstliche Gründe berufen.\n\n35\n\n \n\nEs handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Vorliegen\ngrundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Das\ndienstliche Interesse richtet sich dabei ausschließlich nach dem gesetzlichen\nAuftrag der Behörde und den dort vorhandenen personalwirtschaftlichen und\norganisatorischen Möglichkeiten. Es bezeichnet das Interesse des Dienstherrn\nan einer sachgemäßen und reibungslosen Aufgabenerfüllung. Über das Vorliegen\ndes dienstlichen Interesses befindet der Dienstherr ohne\nBeurteilungsspielraum, so dass seine diesbezügliche Entscheidung grundsätzlich\nder vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Dabei ist allerdings zu\nbeachten, dass das dienstliche Interesse maßgebend durch verwaltungspolitische\nEntscheidungen des Dienstherrn (vor-)geprägt wird, die ihrerseits gerichtlich\nnur eingeschränkt überprüfbar sind. Es ist in erster Linie Sache des\nDienstherrn, in Ausübung der ihm zugewiesenen Personal- und\nOrganisationsgewalt zur Umsetzung gesetzlicher und politischer Ziele die\nAufgaben der Verwaltung festzulegen, ihre Prioritäten zu bestimmen, sie auf\ndie einzelnen Organisationseinheiten zu verteilen und ihre Erfüllung durch\nbestmöglichen Einsatz von Personal sowie der zur Verfügung stehenden\nSachmittel sicherzustellen. Angesichts der ihm insoweit zukommenden\nEinschätzungsprärogative und Gestaltungsfreiheit ist die gerichtliche\nKontrolle dieser Entscheidungen auf die Prüfung beschränkt, ob die\ngesetzlichen Grenzen des Organisationsermessens überschritten sind oder von\ndiesem in unsachlicher Weise Gebrauch gemacht worden ist (so OVG Schleswig zum\nBegriff des dienstlichen Interesses in Bezug auf § 35 Abs. 4 Nr. 2 LBG, wonach\nder Dienstherr den Eintritt in den Ruhestand auf Antrag der Beamtin oder des\nBeamten um bis zu drei Jahre hinausschieben kann, wenn dienstliche Interessen\nnicht entgegenstehen, Beschluss vom 23. August 2010 – 3 MB 18/10 –, Rn. 11,\njuris).\n\n36\n\n \n\nDie Antragsgegnerin kann sich demgemäß nicht mit Erfolg darauf berufen, dass\nder Zweck des Beamtenverhältnisses auf Zeit, nämlich die Überprüfung der\npädagogischen Eignung des Antragstellers, innerhalb der beantragten\nVerlängerung von fünf Monaten nicht mehr erreicht werden könne. Diese\nZweckmäßigkeitserwägung stellt keinen tauglichen dienstlichen Grund dar, da\nsie keine Fragen der sachgemäßen und reibungslosen Aufgabenerfüllung betrifft,\nsondern nur hier nicht erhebliche Fragen der Berufung auf Lebenszeit nach §§\n63 f. HSG.\n\n37\n\n \n\nAuch die Problematik der von der Antragsgegnerin als für eine ordnungsgemäß\ndurchgeführte Lehrtätigkeit zu kurz angesehenen Verlängerungszeit von fünf\nMonaten dürfte hier nicht als entgegenstehender dienstlicher Grund\nherangezogen werden können, da dies eine Problematik ist, die bei\nHochschullehrern typsicherweise mit einer Verlängerung der Dienstzeit wegen\nInanspruchnahme von Elternzeit einhergeht. Typische organisatorische Probleme\nsind aber wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift gerade kein tauglicher\nGrund. Denn dadurch, dass der Gesetzgeber dem Beamten einen Rechtsanspruch auf\nVerlängerung seiner Dienstzeit für den Fall eingeräumt hat, dass dienstliche\nInteressen nicht entgegenstehen, hat er die Verlängerung der Dienstzeit zum\nRegelfall erklärt. Dieser Rechtsanspruch liefe faktisch leer und das\ngesetzgeberische Ziel der Erleichterung der Inanspruchnahme von Elternzeit des\nbefristet beschäftigten Hochschulpersonals würde unterlaufen, wenn Folgen,\nwelche typischerweise mit einer Verlängerung der Dienstzeit verbunden sind,\nein dienstliches Interesse zu begründen vermöchten (vgl. OVG Lüneburg zum\ndienstlichen Interesse im Zusammenhang mit dem Hinausschieben des Ruhestands\nnach § 36 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsisches Beamtengesetzes, Beschluss vom\n29. Oktober 2013 – 5 ME 220/13 –, Rn. 11, juris, m.w.N.).\n\n38\n\n \n\nDies kann jedoch dahinstehen.\n\n39\n\n \n\nDenn nicht zu beanstanden ist die Begründung der Entscheidung der\nAntragsgegnerin dagegen im Hinblick auf die organisatorischen Erwägungen wegen\nder kurzfristigen Antragstellung am 22. August 2019. Die Antragsgegnerin hat\ndas ihr zukommende Organisationsermessen ordnungsgemäß ausgeübt, indem sie die\nAblehnung der Verlängerung hierauf stützte.\n\n40\n\n \n\nEs war dem Antragsteller zuzumuten, in Hinblick auf die berechtigten\norganisatorischen Interessen der Antragstellerin an einer reibungslosen\nOrganisation der Lehrveranstaltungen für das Wintersemester 2019/2020 den\nAntrag auf Verlängerung wegen Elternzeit nicht erst 10 Tage vor Ende der\nDienstzeit zu stellen.\n\n41\n\n \n\nDenn entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die E-Mail vom 12. August\n2019 bei der gebotenen Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht\nals Antrag nach § 117 Abs. 5 Nr. 2 LBG zu verstehen. Dass er eine Verlängerung\nder Dienstzeit wegen der Elternzeit begehrte, ergibt sich weder unmittelbar\naus der dort gewählten Formulierung, er beantrage _„_ _die Einstellung oder\nzumindest fünfmonatige Aussetzung der Begutachtung bei voller Beschäftigung“,_\nnoch aus dem Kontext heraus wegen des Verweises auf die fünf Monate. Denn eine\nVerlängerung nach § 117 LBG war bis dahin überhaupt nicht Gegenstand der\nVerhandlungen.\n\n42\n\n \n\nZum Zeitpunkt der Antragstellung am 22. August 2019 war die von der\nAntragsgegnerin in der E-Mail vom 14. August gesetzte, in Anbetracht des\nheranrückenden Semesterbeginns angemessene, letztmalige Frist für eine Annahme\nder Verlängerung des Dienstverhältnisses abgelaufen.\n\n43\n\n \n\nDer Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er\nausweislich des Einweisungsschreibens vom 2. Juli 2019 ursprünglich als\nLehrender für das Wintersemester 2019 eingeplant war und dementsprechend bei\neiner Bewilligung der am 22. August 2019 beantragten Verlängerung keine\norganisatorischen Schwierigkeiten entstehen würden. Die Antragsgegnerin\ndurfte, nachdem er die Entgegennahme eines Einweisungsschreibens am 9. Juli\n2019 verweigert und mitgeteilt hatte, mit einer Verlängerung um ein weiteres\nJahr nicht einverstanden zu sein, in der E-Mail vom 14. August 2019 eine\nendgültige Frist von weiteren sechs Tagen für eine verbindliche\nEinverständniserklärung setzen und nach Ablauf dieser Frist anderweitige\nDispositionen treffen. Die Rückmeldefrist für Lehrpersonal und Veranstaltungen\nwar bereits lange überschritten und die Antragsgegnerin hat schlüssig\nvorgetragen, dass die Semesterplanung zu diesem Zeitpunkt endgültig\nabgeschlossen war.\n\n44\n\n \n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.\n\n45\n\n \n\nDer Wert des Streitgegenstandes ist gemäß §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52\nAbs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG (monatliches Grundgehalt W2, Stand: 2019 i.H.v.\nmonatlich 5903.26 € x 6 = 35.419,56 €) festgesetzt worden.\n\n \n\n
325,709
ovgsl-2020-01-16-2-d-720
938
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes
ovgsl
Saarland
Verwaltungsgerichtsbarkeit
2 D 7/20
2020-01-16
2020-02-12 11:00:58
2020-12-10 13:30:51
Beschluss
## Tenor\n\nDie Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 8.1.2020 – 2\nD 328/19 – wird zurückgewiesen.\n\nDer Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.\n\n## Gründe\n\nDie gemäß § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO statthafte Anhörungsrüge des Klägers hat\nkeinen Erfolg. Der Kläger hat nicht im Sinne von § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO\ndargelegt, dass der Senat in dem angegriffenen Beschluss vom 8.1.2020, mit dem\ndie Beschwerde des Klägers gegen die erstinstanzliche Versagung von\nProzesskostenhilfe zurückgewiesen wurde, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör\nin entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2\nVwGO).\n\nDer Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet grundsätzlich das Recht, sich\nin dem Verfahren sowohl zur Rechtslage als auch zum zugrunde liegenden\nSachverhalt äußern zu können (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2\nVwGO).(Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 14.6.1960 – 2\nBVR 96/60 –, \nBVerfGE11, 218; und vom 30.10.1990 – 2 BR 562/88 –, juris) Das Gebot des\nrechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag\noder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen.(Vgl.\nBVerwG, Beschlüsse vom 24.11.2011 – 8 C 13/11 – und vom 11.2.2008 – 5 B 17/08\n– jeweils zitiert nach juris.) Das Gericht ist ebenso wenig verpflichtet,\njedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung\nausdrücklich zu bescheiden. Die Annahme einer Verletzung der Pflicht des\nGerichts zur Kenntnisnahme des Beteiligtenvorbringens ist nicht schon dann\ngerechtfertigt, wenn in der angefochtenen Entscheidung auf einen bestimmten\nSachvortrag der Beteiligten nicht eingegangen worden ist. Denn das Gericht ist\nweder nach Art. 103 Abs. 1 GG noch nach einfachem Verfahrensrecht (§§ 108 Abs.\n1 Satz 2, 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) verpflichtet, sich in den\nEntscheidungsgründen mit jeder Einzelheit des Vorbringens zu befassen. Es\ngenügt vielmehr die Angabe der Gründe, die für die richterliche\nÜberzeugungsbildung leitend gewesen sind.(Vgl. BVerfG, Beschluss v. 17.11.1992\n– 1 BR 168/89 u.a. –, juris.) Die Anhörungsrüge stellt zudem keinen\nRechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen\nEntscheidung dar und dient auch nicht dazu, das Gericht zur Erläuterung oder\nErgänzung derselben zu veranlassen. Es handelt sich vielmehr um ein formelles\nRecht, das nur dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches\nVorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen\nund sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat.(Vgl.\nhierzu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschluss vom 12.12.2019 – 1 A 343/19 –,\nNr. 91 der Leitsatzübersicht 2/2019 auf der Homepage des Gerichts)\n\nNach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Senat den Anspruch des Klägers auf\nrechtliches Gehör durch den angefochtenen Beschluss vom 8.1.2020 nicht\nverletzt. Er hat das für die Entscheidung über die Versagung von\nProzesskostenhilfe entscheidungsrelevante Vorbringen des Klägers in diesem\nVerfahren zur Kenntnis genommen und sich hinreichend damit auseinandergesetzt.\nDass die Entscheidung des Senats vom 8.1.2020 _„ohne Erläuterung ohne den\nPräsidenten des OVG B.“_ ergangen ist, hat – abgesehen von dessen\nurlaubsbedingter Abwesenheit, die nach dem Geschäftsverteilungsplan seine\nVertretung zur Folge hatte – mit der Verletzung rechtlichen Gehörs nichts zu\ntun. Auf die Behauptung des Klägers, der von ihm gerügte Verstoß bei der\nGestaltung der Wahlzettel könne hunderte oder gar tausende von\nWahlberechtigten von der Wahl abgehalten haben, ist der Senat in seinem\nBeschluss vom 8.1.2020 hinlänglich eingegangen. Dass alle Wahlzettel bei der\nBriefwahl den falschen Hinweis enthielten, kann dabei unterstellt werden.\nSoweit der Kläger im Rahmen der Anhörungsrüge den Ausführungen des\nVerwaltungsgerichts zur Bewerberneutralität des Verstoßes widerspricht und in\ndiesem Zusammenhang vorträgt, der Verstoß habe möglicherweise einen\nmandatsrelevanten Einfluss auf die Wahlbeteiligung / das Wahlergebnis gehabt,\nhat sich der Senat auch damit in seinem Beschluss vom 8.1.2020\nauseinandergesetzt. Die betreffenden Ausführungen des Klägers im\nAnhörungsrügeverfahren geben Anlass erneut darauf hinzuweisen, dass die\nVerfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs die Gerichte zwar verpflichtet, das\nvon dem Beteiligten Vorgetragene zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu\nziehen. Sie gebietet aber nicht, bei der Würdigung des Prozessstoffes den\nAnsichten der Beteiligten zu folgen.(Vgl. BVerwG, Beschluss v. 3.3.2010 – 2 B\n12.10 –, juris) Dass der Senat bei der Einschätzung der hinreichenden\nErfolgsaussichten der Klage eine andere Rechtsauffassung vertreten hat als der\nKläger, vermag einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen\nGehörs daher nicht zu begründen.(Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.1.1997 – 6 B\n55/96 –, juris) Die Anhörungsrüge ist – wie oben ausgeführt – kein Instrument,\nmit dem eine neue inhaltliche Überprüfung der Sache erreicht werden kann.(Vgl.\nauch OVG Münster, Beschluss vom 17.12.2019 – 4 A 4236/19 –, juris)\n\nOb das Gericht die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe zum\nProzesskostenhilfeverfahren richtig angewendet hat, ist keine Frage des\nrechtlichen Gehörs. Auf die nach Auffassung eines Beteiligten materielle\nUnrichtigkeit einer Entscheidung kann eine Anhörungsrüge nicht gestützt\nwerden.(Vgl. auch OVG des Saarlandes, Beschluss vom 12.11.2018 – 2 B 299/18 –,\nNr. 72 der Leitsatzübersicht 2/2018 auf der Homepage des Gerichts)\n\nDass der Senat den Anspruch Klägers auf rechtliches Gehör in\nentscheidungserheblicher Weise verletzt hat, ist daher insgesamt nicht\nfestzustellen.\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.\n\nEiner Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten\nFestgebühr für das Anhörungsrügeverfahren (Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses\nder Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht.\n\nDer Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).\n\n
325,825
ovgnrw-2020-02-10-4-b-67318
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
4 B 673/18
2020-02-10
2020-02-15 11:01:00
2020-12-10 13:31:08
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2020:0210.4B673.18.00
## Tenor\n\nDie Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung vorlaufigen\nRechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dusseldorf vom\n8.5.2018 wird verworfen, soweit die Wiederherstellung der aufschiebenden\nWirkung der Klage gegen die Schließungsverfugungen der Antragsgegnerin vom\n18.4.2018 beantragt wurde. Im Übrigen wird die Beschwerde zuruckgewiesen.\n\nDie Antragstellerin tragt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.\n\nDer Streitwert wird unter Abanderung der erstinstanzlichen\nStreitwertfestsetzung fur beide Instanzen auf jeweils 15.000,00 EUR\nfestgesetzt.\n\n \n1\n\nG r u n d e:\n\n2\n\nDie Beschwerde der Antragstellerin mit den sinngemaßen Antragen,\n\n3\n\nunter Abanderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Dusseldorf vom\n8.5.2018\n\n4\n\na) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide der Antragsgegnerin\nvom 18.4.2018 (Spielhallen 1 und 2, F. Str. , S. ) wiederherzustellen,\n\n5\n\nb) die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1\nSatz 2 VwGO zu verpflichten, ihr zum Betrieb ihrer Spielhallen 1 und 2 in der\nF. Str. in S. fur die Zeit ab dem 8.5.2018 bis zur rechtskraftigen\nEntscheidung uber die am 20.1.2016 und 3.3.2017 bei der Antragsgegnerin\ngestellten Antrage auf Erteilung spielhallenrechtlicher Erlaubnisse vorlaufige\nspielhallenrechtliche Erlaubnisse zu erteilen,\n\n6\n\nc) der Antragsgegnerin unter Fristsetzung ein Zwangsgeld bis 10.000,00 EUR\nanzudrohen fur den Fall, dass sie der ihr in der einstweiligen Anordnung\nauferlegten Verpflichtung nicht nachkommt,\n\n7\n\nist hinsichtlich des Begehrens zu a) unzulassig (dazu unter 1.) und hat\nhinsichtlich der weiteren Begehren keinen Erfolg (dazu unter 2.).\n\n8\n\n1\\. Die begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage kann\nbereits deshalb nicht mehr zugesprochen werden, weil keine Klage gegen die\nSchließungsverfugungen der Antragsgegnerin vom 18.4.2018 anhangig ist und\ndiese bestandskraftig geworden sind. Ist gegen einen Verwaltungsakt kein\nRechtsmittel (mehr) moglich oder anhangig, dessen aufschiebende Wirkung\nwiederhergestellt oder angeordnet werden konnte, ist der Verwaltungsakt also\nbestandskraftig, so besteht schon deswegen fur den Eilrechtsschutz nach § 80\nAbs. 5 VwGO kein Raum mehr.\n\n9\n\nVgl. OVG NRW, Beschlusse vom 13.6.2017 ‒ 4 B 492/17 ‒, juris, Rn. 4 f., und\nvom 24.5.2011 ‒ 14 B 391/11 ‒, NVwZ-RR 2011, 753 = juris, Rn. 4 f.; Puttler,\nin: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 129.\n\n10\n\nDie mit ordnungsgemaßen Rechtsbehelfsbelehrungen versehenen\nSchließungsverfugungen vom 18.4.2018 sind der Antragstellerin laut\nEmpfangsbekenntnis jeweils am 23.4.2018 zugestellt worden. Die einmonatige\nKlagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO lief mithin am 23.5.2018 ab. Die\nAntragstellerin hat jedoch innerhalb dieser Frist keine Klage gegen die\nSchließungsverfugungen bei dem Verwaltungsgericht Dusseldorf erhoben. Ihr\nVerweis auf eine Klageerhebung am 18.5.2018 gebietet keine andere\nEinschatzung, weil das vorgelegte Schriftstuck vom 18.5.2018 ausweislich des\naufgedruckten Fax-Sendeberichts nicht an das Verwaltungsgericht Dusseldorf,\nsondern einen Anschluss in S. gesandt worden ist. Abgesehen davon ist aus dem\nFax-Sendebericht ersichtlich, dass eine Übertragung des Schriftstuckes an den\nEmpfanger fehlgeschlagen ist. Anderweitige Nachweise fur eine rechtzeitige\nKlageerhebung gegen die Schließungsverfugungen sind weder vorgetragen noch\nersichtlich.\n\n11\n\n2\\. Die Beschwerde der Antragstellerin ist hinsichtlich des Begehrens zu b)\nunbegrundet.\n\n12\n\nDie Antragsgegnerin ist nicht im Wege der einstweiligen Anordnung zu\nverpflichten, vorlaufige glucksspielrechtliche Erlaubnisse zum Betrieb der\nSpielhallen F. Str. in S. zu erteilen.\n\n13\n\nEin Bedurfnis fur eine derartige vorlaufige Erlaubnis besteht bereits deshalb\nnicht, weil dem Rechtsschutzziel der Antragstellerin schon dadurch genugt\nwerden kann, dass die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung\nverpflichtet wird, den Betrieb der Spielhalle vorlaufig zu dulden.\n\n14\n\nVgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.9.2019 - 4 B 255/18 -, ZfWG 2019, 516 = juris,\nRn. 7 f., m. w. N.; Hess. VGH, Beschluss vom 27.9.2018 - 8 B 432/18 -, ZfWG\n2018, 572 = juris, Rn. 19 f.\n\n15\n\nEiner derartigen Verpflichtung zur Duldung des Spielhallenbetriebs steht\nallerdings entgegen, dass die Antragsgegnerin bestandskraftig die Schließung\nder Spielhallen angeordnet hat.\n\n16\n\nFur die Frage, ob die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung\nnach § 123 VwGO zur Duldung der Spielhalle zu verpflichten ist, bleibt in\nFallen, in denen wie hier eine unanfechtbare Schießungsverfugung nach § 15\nAbs. 2 GewO vorliegt, kein Raum mehr. Eine Schließungsanordnung nach § 15 Abs.\n2 GewO ist grundsatzlich gerechtfertigt, solange das Erlaubnisverfahren nicht\nabgeschlossen und nicht geklart ist, ob die Erlaubnisvoraussetzungen\nvorliegen. Erst die Erteilung der erforderlichen Erlaubnis, nicht schon ein\nhierauf gerichteter Antrag oder eine entsprechende Klage, schließen ein\nEinschreiten nach dieser Vorschrift aus. Zweck der Ermachtigung ist es, den\nErlaubnisvorbehalt zur Sicherung des Geschaftsverkehrs durchzusetzen, also die\nvorherige behordliche Prufung der Erlaubnisfahigkeit der beabsichtigten\nGewerbetatigkeit zu sichern und damit die mit einer unerlaubten Tatigkeit\nverbundenen Gefahren abzuwehren.\n\n17\n\nVgl. BVerwG, Beschluss vom 25.2.2015 - 8 B 36.14 -, ZfWG 2015, 227 = juris,\nRn. 13, m. w. N.; OVG NRW, Beschlusse vom 10.1.2019 - 4 B 1333/18 -, ZfWG\n2019, 181 = juris, Rn. 3, 24, vom 18.7.2018 - 4 B 179/18 -, NWVBl. 2018, 529 =\njuris, Rn. 18 f., 23 f., 32 ff., und vom 10.2.2020 ‒ 4 B 1253/18 ‒ (im Falle\neiner sofort vollziehbaren noch nicht bestandskraftigen Schließungsverfugung).\n\n18\n\nWird von dieser Ermachtigung bestandskraftig Gebrauch gemacht, ist dem\nAntragsteller deshalb zuzumuten, den regularen Abschluss des\nErlaubnisverfahrens abzuwarten. Ein Bedurfnis fur vorlaufigen Rechtsschutz\nnach § 123 Abs. 1 VwGO besteht wegen der nach § 123 Abs. 5 VwGO vorrangigen\nMoglichkeit, Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die die Prufung der\nErlaubnisvoraussetzungen sichernde Schließungsverfugung zu erlangen,\nallenfalls dann, wenn der vorrangige Weg ebenfalls erfolgreich beschritten\nwird. Das ist hier nicht geschehen.\n\n19\n\nMit der ablehnenden Entscheidung des Senats uber das Begehren zu b) gibt es\nkeine Grundlage fur die mit dem Antrag zu c) verfolgte Androhung eines\nZwangsgeldes bei Verstoß gegen die begehrte einstweilige Anordnung.\n\n20\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.\n\n21\n\nDie Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 und\n2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG und berucksichtigt, dass es der\nAntragstellerin um den weiteren Betrieb zweier Spielhallen geht. Dabei zieht\nder Senat in Orientierung an der Empfehlung unter Nr. 54.1 des\nStreitwertkatalogs 201 fur die Verwaltungsgerichtsbarkeit [NVwZ-Beilage 2013,\n58 (68)] den dort genannten Mindestbetrag fur den Jahresgewinn von 15.000,00\nEUR einer Spielhalle als Grundlage der Wertfestsetzung heran. Dieser Betrag\nist im vorliegenden Fall wegen der Vorlaufigkeit des Eilverfahrens zu\nhalbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013).\n\n22\n\nVgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.8.2018 ‒ 4 B 441/18 ‒, juris, Rn. 53 ff., m. w.\nN.\n\n23\n\nDer Beschluss ist gemaß § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz\n3 GKG unanfechtbar.\n\n
325,994
ovgnrw-2020-02-07-1-a-254318
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
1 A 2543/18
2020-02-07
2020-02-21 11:01:27
2020-12-10 13:31:31
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2020:0207.1A2543.18.00
## Tenor\n\nDer Antrag wird abgelehnt.\n\nDer Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.\n\nDer Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- Euro\nfestgesetzt.\n\n \n1\n\n**G r ü n d e**\n\n2\n\nDer auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO gestützte\nAntrag hat keinen Erfolg.\n\n3\n\nDie Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur\nzuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der\nBegründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Dabei bedeutet „darlegen“ i. S.\nv. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem\nangefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des\njeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen.\nDas Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Zulassungsbegründung die\nZulassungsfrage beurteilen können, also keine weiteren aufwändigen\nErmittlungen anstellen müssen.\n\n4\n\nVgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2013– 1 A 106/12 –, juris, Rn. 2 f.,\nm. w. N.\n\n5\n\nHiervon ausgehend rechtfertigt das – fristgerecht vorgelegte –\nZulassungsvorbringen des Klägers die begehrte Zulassung der Berufung nicht.\n\n6\n\n1\\. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des\nangefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.\n\n7\n\nErnstliche Zweifel in diesem Sinne sind begründet, wenn zumindest ein\neinzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine\nerhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage\ngestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen\nim Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und\nRechtslage beantworten lässt. Der Rechtsmittelführer muss darlegen, warum die\nangegriffene Entscheidung aus seiner Sicht unrichtig ist. Dazu muss er sich\nmit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinander\nsetzen und konkret aufzeigen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen sie\nernstlichen Zweifeln begegnen. Er muss insbesondere die konkreten\nFeststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art benennen, die er mit seiner\nRüge angreifen will. Diesen Darlegungsanforderungen wird (beispielsweise)\nnicht genügt, wenn und soweit sich das Vorbringen in einer Wiederholung des\nerstinstanzlichen Vortrags erschöpft, ohne im Einzelnen auf die Gründe der\nangefochtenen Entscheidung einzugehen.\n\n8\n\nVgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 28. August 2018 – 1 A 249/16 –, juris, Rn. 2\nff.\n\n9\n\nDas Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,\n\n10\n\ndie Beklagte unter Aufhebung der ihm am 19. März 2015 eröffneten\nRegelbeurteilung sowie des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2016 zu\nverpflichten, die dienstliche Leistungsbeurteilung für den Zeitraum vom 1.\nOktober 2012 bis zum 30. September 2014 unter Berücksichtigung der\nRechtsauffassung des Gerichts neu vorzunehmen,\n\n11\n\nmit der Begründung abgewiesen, die Beurteilung weise keine, ihre Aufhebung\nrechtfertigenden Fehler auf. Der Kläger rüge erfolglos, die Beurteilung\nenthalte keine hinreichende Begründung für die gegenüber der Vorbeurteilung\n(sieben Punkte) erheblich schlechtere Leistungsbewertung (vier Punkte). Sollte\neine Pflicht zur Begründung dieser Leistungsbewertung bestanden haben, wäre\nihr genügt worden. Nach seiner Beförderung am 30. April 2013 sei der Kläger\nanhand des strengeren, für das Beförderungsamt geltenden Maßstabs zu\nbeurteilen. Nach einer Beförderung sei die Leistung eines Beamten, der seine\nLeistung nicht weiter (erheblich) steigere regelmäßig schlechter zu bewerten\nals vor der Beförderung. Dass der Kläger seine Leistung erheblich gesteigert\nhabe, sei selbst auf der Grundlage seines Vortrages nicht ersichtlich. Ferner\nsei das Werturteil über die Leistung des Klägers weitergehend damit begründet\nworden, dass nach seinem Wechsel aus der Gruppe „Ausreise“ in die Gruppe\n„Einreise“ der Einsatz seiner der Befähigungen und Stärken nicht mehr habe\nfestgestellt werden können. Diese Begründung habe der Erstbeurteiler in seiner\nStellungnahme vom 7. Februar 2015 sowie in der mündlichen Verhandlung unter\nBezugnahme auf den drastischen Rückgang der Aufgriffszahlen des Klägers weiter\nkonkretisiert und dadurch plausibilisiert. Auch der Hinweis des Klägers, er\nhabe nur Stichproben durchgeführt, bei denen der Zufall eine wesentliche Rolle\nspiele, führe nicht auf einen Fehler der Beurteilung. Der Kläger habe sich\nnicht mit der Einlassung des Erstbeurteilers auseinandergesetzt, nach\ndienstlicher Erfahrung würden selbst Polizeianwärtern innerhalb weniger Wochen\ndurchaus Fahndungstreffer gelingen. Im Übrigen habe das Gericht kein Anlass,\ndiesen Erfahrungswert in Zweifel zu ziehen; dies habe auch der Kläger nicht\ngetan. Wenn er ausführe, seine Aufgriffszahlen im Beurteilungszeitraum seien\nnicht unterdurchschnittlich, führe dies ebenfalls nicht auf einen Fehler der\nBeurteilung. Dieser Hinweis stelle die Feststellungen zu den Aufgriffszahlen\ndes Klägers nicht infrage. Der Kläger habe den Erläuterungen des\nErstbeurteilers zum Rückgang der Aufgriffe nach dem Wechsel in die Gruppe\n„Einreise“ nichts von Substanz entgegengesetzt. Unerheblich sei ferner, dass\nder Kläger den Leistungsabfall bestreite und meine, sich im Vergleich zur\nVorbeurteilung nicht verschlechtert zu haben. Damit trage er nur seine vom\nWerturteil des Dienstherrn abweichende Einschätzung der eigenen Leistung vor,\nohne einen rechtlich relevanten Fehler der angegriffenen Beurteilung\ndarzulegen. Der Vortrag des Klägers, er sei mit der schlechteren Gesamtnote\ndafür sanktioniert worden, dass er die dienstliche Weisung, dass miteinander\nverheiratete oder liierte Polizeivollzugsbeamte zukünftig nicht mehr gemeinsam\ndem Polizeidienst verrichten sollten, infrage gestellt habe, sei spekulativ.\nEntgegen der Auffassung des Klägers bestehe auch kein Wertungswiderspruch\nzwischen seiner unterdurchschnittlichen Befähigungsbeurteilung und dem Hinweis\ndes Zweitbeurteilers in seiner Stellungnahme vom 10. Januar 2016, die\nBefähigung des Klägers sei zum Teil durchaus stärker ausgeprägt. Der\nZweitbeurteiler habe das Befähigungsmerkmal „Ideenreichtum“ mit der Note „B“\nund damit mit der zweitbesten von vier Noten bewertet. Der Umstand, dass der\nZweitbeurteiler die Befähigungsmerkmale „Auffassungsgabe“ und „Denk- und\nUrteilsfähigkeit“ im Unterschied zu dem vorangegangenen aktuellen\nLeistungsnachweis und dem Erstbeurteiler (jeweils Note B) ohne tragfähige\nBegründung mit der Note C beurteilt habe, sei ebenfalls frei von Fehlern.\nSeine Bewertung habe der Zweitbeurteiler mit seinem Eindruck aus einem mit dem\nKläger geführten Gespräch erklärt. Die Rüge des Klägers, die divergierende\nBeurteilung seiner Befähigung einerseits und seiner dienstlichen Leistung\nandererseits ließen sich nicht mit den diesbezüglichen Vorgaben der\nBeurteilungsrichtlinien, namentlich Ziffer 5.5.2, vereinbaren, sei bereits\nnicht hinreichend substantiiert. Im Übrigen lasse die Beurteilung in jedem der\nbeiden Abschnitte jeweils eine – gemessen an der jeweiligen Notenskala –\nunterdurchschnittliche Bewertung erkennen. Auch die Berücksichtigung\nkrankheitsbedingter Fehlzeiten bei der Beurteilung stelle keinen\nBeurteilungsfehler dar. Der Erstbeurteiler habe ausgeführt, die Fehlzeiten\nseien (nur) bei dem Leistungsmerkmal „körperliche Leistung“ (Unterpunkt\n„Leistungsfähigkeit“) und dem Befähigungsmerkmal „Leistungsbereitschaft und\nBelastbarkeit“ (Unterpunkt „Belastbarkeit“) berücksichtigt worden. Es treffe\ndaher nicht zu, dass – wie der Kläger ausführe – nicht deutlich sei, in\nwelcher Weise und in welchem Umfang sich die krankheitsbedingten Fehlzeiten in\nder Beurteilung konkret ausgewirkt hätten. Ebenso wenig dringe der Kläger mit\nseinem Vorbringen durch, krankheitsbedingte Fehlzeiten seien nicht dazu\ngeeignet, eine im Vergleich zur Vorbeurteilung in fast allen\nLeistungsmerkmalen um zwei bis vier Noten und in der Gesamtnote und drei Noten\nschlechtere Beurteilung zu rechtfertigen. Für einen solchen Einfluss dieser\nFehlzeiten sei nichts erkennbar. Auch die Teilnahme des EPHKI. beim\nBeurteilungsgespräch sei nicht zu beanstanden. Es sei nicht ersichtlich, dass\ndas in der angegriffenen Beurteilung zum Ausdruck kommende Werturteil\ntatsächlich diesem und nicht den Beurteilern zuzurechnen sei. Auch die vom\nErstbeurteiler geschilderte informative Beteiligung des EPHK I. führe nicht\nauf einen Fehler der Beurteilung, da es dem Erstbeurteiler nicht verwehrt sei,\nInformationen des EPHK I. über den Kläger einzuholen. Darüber hinaus habe der\nErstbeurteiler ausgeführt, EPHK I. habe keinen Einfluss auf die\nNotengestaltung genommen. Auch soweit der Erstbeurteiler ausweislich seiner\nStellungnahme vom 7. Februar 2015 und seinen Ausführungen in der mündlichen\nVerhandlung den Streit zwischen dem Kläger und dem Gruppenleiter Einreise, POK\nT. , für beurteilungsrelevant gehalten habe, könne eine Überschreitung des\nBeurteilungsspielraums nicht festgestellt werden. Dass es diesen Konflikt\ngegeben habe, stehe zwischen den Beteiligten nicht in Streit. Auch lasse sich\nden Darlegungen des Klägers nicht entnehmen, dass sein diesbezügliches\nVerhalten unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt ungeeignet gewesen sei, in\ndie Beurteilung einzufließen. Wenn der Kläger rüge, bestimmte Umstände hätten\nin die Beurteilung mit einfließen müssen, führe dies ebenfalls nicht auf einen\nBeurteilungsfehler. Zum einen sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte diese\nUmstände, beispielsweise die Pünktlichkeit des Klägers, übersehen habe.\nAußerdem liege es im sachgerechten Ermessen des Beurteilers, welche\nTätigkeiten und Leistungen er (ggfs. exemplarisch) in der Beurteilung\nausdrücklich erwähne. Dass der Beurteiler seinen dabei bestehenden Spielraum\nüberschritten habe, lege der Kläger nicht dar.\n\n12\n\nDas hiergegen erhobene Zulassungsvorbringen begründet keine ernstlichen\nZweifel.\n\n13\n\nDer Kläger rügt, die implizite Annahme des Verwaltungsgerichts, die erhebliche\nAbweichung der angegriffenen Beurteilung von der Vorbeurteilung um drei Noten\nsowie auch von der nachfolgenden Beurteilung um zwei Noten bedürfe keiner\nnäheren Begründung, sei unzutreffend. Dies geht jedoch bereits im\nAusgangspunkt fehl. Das Verwaltungsgericht hat gerade offengelassen, ob eine\nsolche Begründungspflicht besteht. Vielmehr hat es ausgeführt, dass die\nBeurteilung auch einer solchen Begründungspflicht - so sie überhaupt bestehen\nsollte - genüge.\n\n14\n\nDass die Begründung auch unter Berücksichtigung der schriftlichen\nStellungnahmen der Beurteiler und der Bekundungen des Erstbeurteilers in der\nmündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht den Anforderungen nicht\ngenügt, legt der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht hinreichend dar.\nDer Vortrag, er sei weiterhin der Auffassung, die Begründung biete keine\ngeeignete Grundlage dafür, ihn gegenüber der Vorbeurteilung um drei Noten\nschlechter zu beurteilen, wiederholt lediglich seine Rechtsauffassung, ohne\ndass er sich mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts inhaltlich\nauseinanderzusetzt.\n\n15\n\nAuch die folgenden Ausführungen des Klägers, die Begründung sei „inhaltlich\nwenig aussagekräftig und zudem in sich widersprüchlich“ lassen die Position\ndes Verwaltungsgerichts nicht ernstlich zweifelhaft erscheinen.\n\n16\n\nEntgegen der Auffassung des Klägers besteht kein Widerspruch zwischen dem\nersten Satz der Begründung, nach dem die Befähigungen des Klägers durchaus\neine durchschnittliche oder gar leicht überdurchschnittliche Beurteilung\nerwarten ließen, und dem dritten Satz der Begründung, nach dem der Einsatz der\nBefähigungen und Stärken des Klägers nach einem Wechsel des Arbeitsbereiches\nnicht mehr festgestellt werden könne. Diese Sätze verdeutlichen vielmehr, dass\nder Kläger das Potenzial seiner Befähigungen nach dem Wechsel des\nArbeitsbereiches nicht mehr abgerufen hat, wie auch der Erstbeurteiler in der\nmündlichen Verhandlung ausgeführt hat. Die genannten Sätze begründen daher,\nwarum auch in Anbetracht der Befähigung des Klägers die Gesamtnote 4 vergeben\nwurde.\n\n17\n\nDer Kläger legt ferner nicht dar, dass die Begründung nicht hinreichend\naussagekräftig ist. Insbesondere vor dem Hintergrund der schriftlichen\nStellungnahmen der Beurteiler und der Ausführungen des Erstbeurteilers in der\nmündlichen Verhandlung ist klar, dass mit dem letzten Satz der\nBeurteilungsbegründung der Rückgang der Aufgriffszahlen des Klägers nach dem\nWechsel des Arbeitsbereichs gemeint ist.\n\n18\n\nAuch mit der der Frage, ob die Leistungen in einem Zeitraum, der lediglich ein\nViertel des Beurteilungszeitraums ausmache, eine Herabsetzung der Gesamtnote\num zwei Noten rechtfertigen könne, wenn der Beamte in den übrigen drei\nVierteln des Beurteilungszeitraums durchschnittliche bis leicht\nüberdurchschnittliche Leistungen und Befähigungen gezeigt habe, legt der\nKläger nicht dar, dass die Beurteiler durch die Fokussierung auf das letzte\nViertel des Beurteilungszeitraums ihren Beurteilungsspielraum überschritten\nhaben. Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass der Kläger in der\nnachfolgenden Beurteilung die Gesamtnote sechs erreicht hat. Diese Beurteilung\nbezieht sich auf einen anderen Beurteilungszeitraum und daher auf später\nerbrachte Leistungen als diejenigen, die Gegenstand der streitgegenständlichen\nBeurteilung sind.\n\n19\n\nOhne Erfolg rügt der Kläger ferner, es sei nicht stichhaltig belegt, dass\nseine dienstlichen Leistungen im letzten Viertel des Beurteilungszeitraums\ndeutlich schwächer ausgefallen seien. Soweit der Kläger erneut auf die\nangeblich von ihm nach seinem Wechsel in die Gruppe „Einreise“ bearbeiteten\nsieben Vorgänge verweist, hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend unter\nBerücksichtigung der Erläuterungen des Erstbeurteilers in der mündlichen\nVerhandlung dargelegt, dass diese auch in der Zulassungsbegründung nicht näher\nerläuterten „Vorgänge“ – sollten sie überhaupt stattgefunden haben – nicht\ngleichbedeutend mit Aufgriffen gewesen sein müssen. Berücksichtigt man im\nÜbrigen, dass der Kläger während seiner Tätigkeit in der Gruppe „Ausreise“ 61\nAufgriffe zu verzeichnen hatte, liegt auf der Hand, dass lediglich sieben\n„Vorgänge“ während seiner Tätigkeit in der Gruppe „Einreise“ demgegenüber\neinen deutlichen Leistungsabfall darstellen. Dies gilt auch vor dem\nHintergrund, dass der Kläger im Beurteilungszeitraum in der Gruppe „Ausreise“\ndreimal solange tätig war wie in der Gruppe „Einreise“. Unabhängig von diesen\nquantitativen Unterschieden ist festzustellen, dass der Kläger auch eine\nqualitative Vergleichbarkeit dieser „Vorgänge“ mit Aufgriffen lediglich\nbehauptet, nicht aber dargelegt hat.\n\n20\n\nSoweit der Kläger ausführt, der Streit zwischen ihm und POK T. beruhe aufeiner\nProvokation des POK T. , legt er auch damit keinen Beurteilungsfehler dar. Das\nVerwaltungsgericht hat die Beurteilungsrelevanz nicht daraus abgeleitet, dass\nder Kläger den Streit provoziert hätte, sondern u. a. auf den Konflikt als\nsolchen abgestellt, der zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehe.\n\n21\n\nMit dem Hinweis auf die Beteiligung des EPHK I. an Beurteilungsgespräch legt\nder Kläger ebenfalls keinen Beurteilungsfehler dar. Das Zulassungsvorbringen\nbelegt nicht, dass EPHK I. über die Vermittlung eigener Erkenntnisse\nbetreffend den Kläger hinaus Einfluss auf das in der Beurteilung zum Ausdruck\nkommende Werturteil genommen hat.\n\n22\n\nSoweit der Kläger vorträgt, die Beurteiler hätten die Erläuterung von\nEinzelnoten verweigert, genügt die Zulassungsbegründung jedenfalls nicht den\nDarlegungsanforderungen nach § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO. In Anbetracht des\nUmstandes, dass der Kläger nach Aushändigung der Beurteilung schriftlich\nbestätigt hat, die Beurteilung sei ihm vom Erstbeurteiler sowie von Herrn EPHK\nI. erläutert worden, reicht der nicht näher substantiierte Vortrag des Klägers\nnicht aus, er habe „wiederholtdarum gebeten, ihm nicht nur die Gesamtnote zu\nerläutern, sondern darüber hinaus auch bestimmte Einzelnoten“. Weder legt der\nKläger dar, welche Einzelnote er erläutert haben wollte, noch führt er auf,\nwann und wie er um die Erläuterung gebeten haben will. Dies gilt umso mehr,\nals der Kläger selbst angibt, dass im Beurteilungsgespräch seine\nkrankheitsbedingten Fehlzeiten angesprochen worden sind, die Grundlage der\nBewertung des Leistungsmerkmals der körperlichen Leistung sind. Im Übrigen\nräumt er selbst ein, den Zweitbeurteiler nicht um Erläuterung der\nstreitgegenständlichen Regelbeurteilung sondern lediglich des Aktuellen\nLeistungsnachweises zum Stichtag 1. Oktober 2013 gebeten zu haben.\n\n23\n\nEine Zulassung der Berufung kommt auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung\n(§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Betracht.\n\n24\n\nEine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn\nsie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft,\nderen Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von\nBedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich\nsein wird, und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für\ndie einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur\nDarlegung des Zulassungsgrundes ist die Frage auszuformulieren und\nsubstantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und\nentscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den\nEinzelfall hinaus zugemessen wird.\n\n25\n\nVgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Februar 2018– 1 A 2517/16 –, juris, Rn. 32,\nund vom 13. Oktober 2011 – 1 A 1925/09 –, juris, Rn. 31, m. w. N.; ferner\nSeibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 127 und § 124a Rn.\n211 ff., m. w. N.\n\n26\n\nIn Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung\nder Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht vor. Der Kläger hat nicht\ndargelegt, dass den von ihm aufgeworfenen Fragen,\n\n27\n\n„ob es eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums darstellt, wenn allein\nder Umstand, dass im letzten Viertel des Beurteilungszeitraums die Zahl der\nAufgriffe abgenommen haben sollte, bei ausweislich der Beurteilungsbegründung\npositiver Zukunftsprognose, die sich in der nachfolgenden Beurteilung auch\nbestätigt hat, eine Herabsetzung der Gesamtnote um ein bis zwei Punkte\nrechtfertigen kann“, und\n\n28\n\nob „es eine Überschreitung des Beurteilungszeitraums (gemeint wohl:\nBeurteilungsspielraums) [darstellt], wenn vermeintlich schlechtere Leistungen\nzum Ende eines Beurteilungszeitraums vom Beurteiler zum Anlass genommen\nwerden, die Gesamtnote nicht nur in einem Verhältnis, welches der Dauer des\nZeitabschnitts entspricht, in dem der Beamte schlechtere Leistungen gezeigt\nhat, sondern insgesamt deutlich herabzusetzen und zwar trotz positiver\nZukunftsprognose“\n\n29\n\ngrundsätzliche Bedeutung zukommt, d. h. an ihrer Klärung ein über den\nvorliegenden Einzelfall hinausgehendes allgemeines Interesse besteht. In\nAnbetracht dessen, dass die vorgenannten Fragen an Umstände des vorliegenden\nEinzelfalls lediglich im Gewand allgemeiner Formulierungen (Zahl der\nAufgriffe, Leistungsabfall im letzten Viertel des Beurteilungszeitraums,\npositive Zukunftsprognose in der Beurteilungsbegründung) anknüpfen, genügt es\nfür Darlegung einer über den vorliegenden Einzelfall hinausgehenden Bedeutung\nnicht, schlicht zu behaupten, es werde kein Einzelfall sein, dass sich die\ndienstlichen Leistungen eines Beamten innerhalb eines längeren\nBeurteilungszeitraums ab einem bestimmten Zeitpunkt erheblich\nverschlechterten. Darüber hinaus dürften die Fragen auch einer grundsätzlichen\nKlärung nicht zugänglich sein, da für die Frage, ob der Beurteiler die Grenzen\nseines Beurteilungsspielraums überschritten hat, immer auch die übrigen\nEinzelfallumstände in den Blick zu nehmen sind.\n\n30\n\nDie Berufung kann auch nicht wegen eines sinngemäß geltend gemachten\nVerfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zugelassen werden. Nach dieser\nVorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des\nBerufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und\nvorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Damit sind Verstöße gegen\nVorschriften gemeint, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil und\ndie Art und Weise des Urteilserlasses regeln. Ein Verfahrensmangel ist nur\ndann ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich)\nbegründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert\ndargetan wird.\n\n31\n\nVgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2017– 5 B 10.17 –, juris, Rn. 19, m.\nw. N., und OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2019– 1 A 2216/18 –, juris, Rn.\n21.\n\n32\n\nDer Kläger macht als Verfahrensfehler eine mangelhafte Sachaufklärung geltend.\nDas Verwaltungsgericht habe die statistische Erhebung der Beklagten über die\nVorgangszahlen, Stand: 28. September 2013, sowie die Stellungnahme des\nZweitbeurteilers zum aktuellen Leistungsnachweis zum Stichtag 1. Oktober 2013\nbei der Beklagten anfordern müssen. Darüber hinaus habe das Gericht den\nZweitbeurteiler als Zeugen zum Umfang des Einflusses der krankheitsbedingten\nFehlzeiten des Klägers auf die Gesamtnote sowie zu seinen Aufgriffszahlen\nhören müssen.\n\n33\n\nDies führt hingegen nicht auf einen Aufklärungsmangel. Ein im Rahmen von § 124\nAbs. 2 Nr. 5 VwGO zu berücksichtigender Aufklärungsmangel kann bei anwaltlich\nvertretenen Beteiligten, die ausweislich des Protokolls der mündlichen\nVerhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt haben, nur dann\nangenommen werden, wenn sich die Beweiserhebung geradezu aufdrängt.\n\n34\n\nVgl. statt aller Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn.\n191, m. w. N.\n\n35\n\nEinen Beweisantrag hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausweislich\ndes Protokolls weder betreffend die statistische Erhebung der Beklagten über\ndie Vorgangszahlen, betreffend den Umfang des Einflusses der\nkrankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers auf die Gesamtnote noch betreffend\ndie Aufgriffszahlen des Klägers während seiner Tätigkeit in der Gruppe\n„Einreise“ gestellt. Zwar hat er in der mündlichen Verhandlung die mit\nSchriftsatz vom 24. April 2018 angekündigten Beweisanträge, gerichtet auf\nzeugenschaftliche Vernehmung des Zweitbeurteilers, gestellt. Der auf die\nFehlzeiten des Klägers abzielende Beweisantrag zu 1. sollte jedoch dem Beweis\nder Tatsache dienen,\n\n36\n\n„dass der Umstand, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in die\ndienstliche Regelbeurteilung des Klägers vom 29.10./11.12.2014\n(Beurteilungsstichtag 01.10.2014) eingeflossen sind und im Rahmen der\nNotengebung Berücksichtigung gefunden haben“.\n\n37\n\nSeinem Wortlaut nach bezog sich dieser Beweisantrag daher nicht auf den Umfang\ndes Einflusses der krankheitsbedingten Fehlzeiten auf die Gesamtnotenbildung.\nSelbst wenn der angekündigte Beweisantrag aufgrund des Vortrags des\nProzessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung dahingehend\nauszulegen sein sollte, dass auch der Umfang des Einflusses unter Beweis\ngestellt werden sollte, hat das Verwaltungsgericht diesen Beweisantrag\nrechtsfehlerfrei wegen fehlender Substantiierung abgelehnt. Anhaltspunkte, die\nZweifel an der Richtigkeit der Einlassung des Erstbeurteilers in der\nmündlichen Verhandlung, die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers seien\n„nicht Grund der Bewertung“ gewesen, wecken könnten, sind nicht ersichtlich.\n\n38\n\nAuch der Beweisantrag zu 2. bezog sich seinem Wortlaut nach nicht auf die\nAufgriffszahlen des Klägers während seiner Tätigkeit in der Gruppe „Einreise“,\nderen unterlassene Aufklärung der Kläger mit der Zulassungsbegründung rügt,\nsondern auf die Tatsache,\n\n39\n\n„dass die Aufgriffszahlen des Klägers im Vergleichszeitraum nicht\nunterdurchschnittlich waren“.\n\n40\n\nDass dem Verwaltungsgericht sich eine (weitere) Beweiserhebung betreffend die\nStatistik, den Umfang des Einflusses der krankheitsbedingten Fehlzeiten und\ndie Aufgriffszahlen aufdrängen musste, legt der Kläger in der\nZulassungsbegründung nicht dar. Dies ist nicht zuletzt aufgrund der\nEinlassungen des Erstbeurteilers in der mündlichen Verhandlung auch sonst\nnicht ersichtlich.\n\n41\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.\n\n42\n\nDie Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 und 3 GKG.\n\n43\n\nDieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1\nSatz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO\nunanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, § 124a Abs. 5\nSatz 4 VwGO.\n\n
326,275
ovgsl-2020-02-21-2-a-16819
938
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes
ovgsl
Saarland
Verwaltungsgerichtsbarkeit
2 A 168/19
2020-02-21
2020-02-29 11:01:48
2020-12-10 13:32:10
Beschluss
## Tenor\n\nDer Antrag der Klägerinnen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das\nZulassungsverfahren wird abgelehnt.\n\nDer Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des\nVerwaltungsgerichts des Saarlandes vom 2. April 2019 - 1 K 1421/17 - wird\nzurückgewiesen.\n\nDie Kosten des Zulassungsverfahrens tragen die Klägerinnen.\n\nDer Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 5.000 Euro\nfestgesetzt.\n\n## Gründe\n\n**I.**\n\nDie Klägerin zu 1) besucht das ...-Gymnasium in .... Die Klägerin zu 2) ist\nihre Mutter. Am 2.10.2015 veranstaltete die Schule ein Sportfest, während\ndessen die Klägerin zu 1) im Rahmen eines Wettlaufs zu Fall kam. Die Klägerin\nzu 1) setzte den Lauf fort und überquerte als Zweite die Ziellinie. Danach\nnahm sie an den weiteren Wettkämpfen dieses Tages - Weitsprung und Sprint –\nteil. Sie schloss den Wettkampf insgesamt als Jahrgangsbeste ab. Nachmittags\nveranlasste die Klägerin zu 2) eine Vorstellung der Klägerin zu 1) bei einem\nArzt, der eine Verordnung über eine Schmerzsalbe ausstellte. Anschließend nahm\ndie Klägerin zu 1) zwei Wochen nicht am Sportunterricht teil, wofür die\nKlägerin zu 2) ihr eine Entschuldigung schrieb. In der Folgezeit kam es zu\nMeinungsverschiedenheiten zwischen der Klägerin zu 2), dem Sportlehrer und dem\nSchulleiter über Hergang und Folgen des Sportunfalls. Am 4.12.2015, 8.2.2016\nund 8.3.2016 wandte sich die Klägerin zu 2) mit Dienstaufsichtsbeschwerden\ngegen den Schulleiter, den Klassenlehrer sowie den Sportlehrer, der maßgeblich\nin die Organisation und Durchführung der regelmäßig in der 7. Klasse\nstattfindenden Skilehrfahrt eingebunden ist, an den Beklagten. Dabei warf sie\ndem Lehrpersonal unterlassene Hilfeleistung, unangemessenes Verhalten und\nunzureichende Reaktion auf ein gegen die Klägerin zu 1) gerichtetes Mobbing\nvor. Mit Schreiben vom 15.7.2016 wurden die Dienstaufsichtsbeschwerden\nzurückgewiesen.\n\nAm 26.4.2017 wurde, nachdem für die Klassenstufe der Klägerin zu 1) die\nüblicherweise in der 7. Klasse stattfindende Skilehrfahrt auszufallen drohte,\nein Schreiben der Elternvertreter der Klassenstufe 6 vom 24.4.2017 an die\nSchülerinnen und Schüler der Klassenstufe 6 verteilt. Darin war u.a.\nausgeführt:\n\n> _„(...)__die Informationsveranstaltung zur Skilehrfahrt unserer Kinder_\n> _hätte eigentlich in der vergangenen Woche stattfinden sollen. Dies ist_\n> _nicht geschehen, da die Schulleitung sich gezwungen sieht, die_\n> _Veranstaltung im nächsten Jahr ausfallen lassen zu müssen.__Ausschlaggebend\n> war ein banaler Vorfall auf dem Sportfest im September 2015, bei dem ein\n> Elternteil im Nachgang mittels überzogener haltloser und massiver Vorwürfe\n> gegen das Schulpersonal vorgegangen ist._\n\n> _Leider ist die komplette Fachschaft Sport aufgrund dieser Vorkommnisse\n> nicht bereit, die Skilehrfahrt zu begleiten. Somit wird nach heutigem Stand\n> diese Fahrt für derzeit 145 Schüler unserer Jahrgangsstufe nicht\n> stattfinden._\n\n> _Die Reaktion der Lehrkräfte ist aus unserer Sicht völlig nachvollziehbar,\n> jedoch für die betroffenen Kinder mehr als ärgerlich_.\n\n> _Wir wollen mit unserem Schreiben verhindern, dass wegen des Fehlverhaltens\n> eines Elternteils ein ganzer Jahrgang benachteiligt wird (...)"_\n\nDiesem an die Eltern gerichteten Schreiben war ein an den Beklagten\nadressiertes vorformuliertes weiteres Schreiben beigefügt, das die Eltern\nunterzeichnen sollten und mit dem diese sich so für eine Durchführung der\nSkilehrfahrt einsetzten sollten. In diesem Schreiben heißt es:\n\n> _„Aus Gründen und Vorgängen, die für uns nicht verständlich und auch nicht\n> nachvollziehbar sind, soll diese Fahrt für die künftige Klasse 7 ausfallen._\n\n> _Der Grund hierfür resultiert aus dem im September 2015 stattgefundenen\n> Sportfest der damaligen Fünftklässler, der heutigen Jahrgangsstufe 6. Die\n> genauen Hintergründe sind uns nicht genauer bekannt. Allerdings ist ihr Haus\n> mit dem Vorgang bestens vertraut. Wir wissen mittlerweile, dass die\n> Fachschaft Sport aufgrund der Ereignisse aus nachvollziehbarem Eigenschutz\n> nicht bereit ist, die Fahrt zu betreuen. (...)"_\n\nVerteilt wurden die Schreiben durch die Lehrkräfte im Schulunterricht der\nKlassenstufe 6. Abgegeben werden konnten die an den Beklagten adressierten\nSchreiben bei der Schulsekretärin, die diese entgegen nahm und später\nweiterleitete. Mit Schreiben vom 6.6.2017 wandte sich der\nProzessbevollmächtigte der Klägerinnen an den Schulleiter und forderte diesen\nauf, bis zum 26.6.2017 eine vorgefertigte Richtigstellung zum Schreiben vom\n24.04.2017 zu verteilen und sich von diesem zu distanzieren. Dies lehnte der\nSchulleiter mit Schreiben vom 5.7.2017 ab.\n\nAm 11.9.2017 haben die Klägerinnen beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf\nGewährung von Prozesskostenhilfe für eine von ihnen beabsichtigte\nFeststellungsklage gestellt. Mit Beschluss vom 23.4.2018 hat das\nVerwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe\nzurückgewiesen. Mit Beschluss vom 5.9.2018 - 2 D 175/18 - hat das\nOberverwaltungsgericht des Saarlandes den Klägerinnen unter Abänderung des\nBeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23.4.2018 Prozesskostenhilfe\nbewilligt.\n\nDaraufhin haben die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 10.9.2018 mitgeteilt, dass\ndas Verfahren als Klage weitergeführt werden soll. Sie haben geltend gemacht,\ndurch die Schule in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung\ngemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt worden zu sein. Eine\nVerletzung des Grundrechts sei zunächst dadurch erfolgt, dass der Schulleiter\nden Elternvertretern der Klassenstufe 6 mitgeteilt habe, dass die Absage der\nSkilehrfahrt darauf zurückzuführen sei, dass im Nachgang zu einem aus seiner\nSicht harmlosen Sportunfall, der sich bei einem Sportfest ereignet habe,\neinige Kollegen mit Dienstaufsichtsbeschwerden aus dem Kreis der Eltern\nüberzogen worden seien. Da eine Dienstaufsichtsbeschwerde kein öffentlicher\nVorgang sei, sondern lediglich dem Beschwerten, dem Dienstherrn und der\nDienststelle bekannt gegeben werde, seien Dritte aufgrund des Datenschutzes\nnicht über die Verfahren zu informieren. Insoweit liege ein Verstoß gegen §\n20b Abs. 2 SchoG vor. Des Weiteren habe die Schule in das Recht auf\ninformationelle Selbstbestimmung eingegriffen, indem sie es zugelassen habe,\ndass das Schreiben der Elternvertreter vom 24.4.2017 über ihre Infrastruktur\nverteilt worden sei. In dem Schreiben sei konkret auf den Sportunfall der\nKlägerin zu 1) und die anschließende Auseinandersetzung mit den Lehrkräften\nsowie die Konsequenzen, die in der Schule gezogen worden seien, Bezug genommen\nworden. Da an dem genannten Sportfest keine anderen Sportunfälle passiert\nseien, sei ein Rückschluss auf die Klägerinnen auch ohne ausdrückliche\nNamensnennung ohne weiteres möglich gewesen.\n\nDie Klägerinnen haben beantragt,\n\n> > 1\\. festzustellen, dass die Mitwirkung der Lehrkräfte und des Sekretariats\n> des ...-Gymnasiums in ... bei der Verteilung und Einsammlung des Schreibens\n> der Elternsprecher der Klassenstufe 6 an das Ministerium für Bildung und\n> Kultur vom 24.4.2017 rechtswidrig war und die Klägerin zu 1) in ihrem\n> Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG\n> i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt,\n\n> > 2\\. festzustellen, dass es rechtswidrig war, dass die Schulleitung des\n> ...-Gymnasiums in ... die Elternvertreter der Klassenstufe 6 über die\n> Dienstaufsichtsbeschwerden bezüglich des Sportunfalls der Klägerin zu 1)\n> informiert hat und dies einen Verstoß gegen § 20b Abs. 2 SchoG darstellt,\n> der die Klägerin zu 2) in ihren Rechten verletzt.\n\nDas Verwaltungsgericht hat die Klage mit aufgrund der mündlichen Verhandlung\nvom 2.4.2019 ergangenem Urteil abgewiesen. In dem Urteil ist ausgeführt, die\nFeststellungsklage sei zulässig, aber unbegründet. Es sei davon auszugehen,\ndass der Antrag zu Ziffer 1 auf die Feststellung einer Rechtsverletzung der\nKlägerin zu 1) gerichtet sei, während mit dem Antrag zu Ziffer 2 eine\nRechtsverletzung der Klägerin 2) geltend gemacht werde. Weder habe die unter\nZiffer 1 bezeichnete Mitwirkung der Lehrer bzw. des Sekretariats des\nGymnasiums an der Verteilung bzw. Einsammlung der Schreiben der\nElternvertreter vom 24.4.2017 die Klägerin zu 1) in ihren Rechten verletzt\nnoch habe es die Klägerin zu 2) in ihren Rechten verletzt, dass der\nSchulleiter die Elternvertreter auf deren Nachfrage zu den Ursachen der Absage\nder Skilehrfahrt davon in Kenntnis gesetzt habe, dass nach einem Sportunfall\naus dem Kreis der Elternschaft mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Lehrer\nerhoben worden seien. Zur beanstandeten Mitwirkung der Lehrer bzw. des\nSekretariats des Gymnasiums an der Verteilung bzw. Einsammlung der Schreiben\nder Elternvertreter vom 24.4.2017 habe die Kammer bereits in dem im\nProzesskostenhilfeverfahren ergangenen Beschluss vom 23.4.2018 ausgeführt,\ndass die Elternvertretung, indem sie sich mit dem streitgegenständlichen\nSchreiben dafür eingesetzt hat, dass die seitens der Schule seit ca. 20 Jahren\nfür die jeweilige Klassenstufe 7 organisierte Skilehrfahrt auch für ihre\nKinder stattfinden kann, im Grundsatz in Wahrnehmung der Erziehungsinteressen\nder Eltern und damit im Rahmen ihrer Befugnisse gehandelt habe. Dass die\nSchule die Elternvertretung bei der Wahrnehmung der Erziehungsinteressen der\nEltern u.a. durch Hilfeleistungen bei der Übermittlung hierzu dienender\nInformationen unterstütze, sei im Regelfall sachgerecht und könne in\nEinzelfällen sogar geboten sein. Die am ...-Gymnasium übliche Praxis, das\nVerteilen von Schreiben der gewählten Elternvertretungen in den entsprechenden\nKlassen zu ermöglichen, ohne dass die Schulleitung dabei zum Inhalt Stellung\nnimmt, begegne von daher keinen grundsätzlichen rechtlichen Bedenken. Der\nkonkrete Inhalt des hier in Rede stehenden Schreibens der Elternvertretung\nhabe keinen Anlass geboten, von der üblichen Praxis abzuweichen. Persönliche\nDaten der Klägerinnen seien in den Schreiben nicht enthalten gewesen.\nInsbesondere hätten sie an keiner Stelle deren Namen oder ein sonstiges sie\nunmittelbar identifizierendes Merkmal enthalten. Vielmehr wären die Verfasser\nerkennbar um möglichst anonyme Formulierungen bemüht gewesen. Die\nElternvertreter hätten lediglich in anonymer Form den Grund für die Absage der\nSkilehrfahrt - soweit ihnen bekannt - mitgeteilt. Zwar möge es sein, dass für\nentsprechend informierte Eltern unter Umständen ein Rückschluss auf die\nKlägerinnen möglich gewesen sei. In den Schreiben angelegt sei ein solcher\nRückschluss allerdings nicht gewesen. Vielmehr wäre ein solcher allenfalls auf\ndie von den Klägerinnen geltend gemachte Singularität des auslösenden\nSportunfalls zurückzuführen, was aber nicht zur Folge habe, dass dieser bei\nder Erörterung der Absage der Skilehrfahrt keine Erwähnung finden dürfe.\nSelbst wenn man in dem Umstand, dass ein Rückschluss auf die Klägerinnen nicht\nvöllig auszuschließen gewesen sei, die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des\nallgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerinnen sehen würde, würde diese\nhinter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen seitens der\nElternvertreter zurücktreten. Informationen, die sich auf die Klägerin zu 1)\nbeziehen lassen, fänden sich in dem Schreiben - abgesehen von der Tatsache des\nSportunfalls - nicht. Herabwürdigende Wertungen zu deren Person seien nicht\neinmal ansatzweise erkennbar, so dass auch eine feststellungswürdige\nRechtsverletzung nicht ersichtlich sei. Ergänzend dazu ist in dem Urteil\nausgeführt, eine Verletzung des Rechts der Klägerin zu 1) auf informationelle\nSelbstbestimmung durch die Schule scheide schon deshalb aus, weil mit den\nSchreiben keine persönlichen Daten der Klägerin zu 1) weitergegeben worden\nseien und im Übrigen der Inhalt der Schreiben, der ausschließlich von den\nElternvertretern verfasst worden sei und den sich die Schule in keiner Form zu\nEigen gemacht habe, der Schule auch nicht zurechenbar sei. Selbst wenn man in\ndem Hinweis auf einen „banalen Vorfall auf dem Sportfest im September 2015“\neine Weitergabe personenbezogener Daten und eine - allenfalls geringfügige -\nBeeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu 1)\nsehen würde, würde diese hinter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter\nInteressen seitens der Elternvertreter zurücktreten. Die Elternvertreter bzw.\nEltern hätten im Rahmen des ihnen gemäß den §§ 36 und 38 SchumG zustehenden\nRechts auf Beteiligung an der Planung von Veranstaltungen der Schule, die der\nErweiterung des Unterrichtsangebots dienten, mit den Schreiben an das\nMinisterium zu erreichen versucht, dass die üblicherweise in der\nJahrgangsstufe 7 stattfindende Skilehrfahrt für die 145 Kinder des Jahrgangs\ndurchgeführt werde. Ungeachtet der Frage der Geeignetheit des gewählten\nMittels begegne es im Grundsatz keinen rechtlichen Bedenken, dass die Eltern\nihr Anliegen der Schulaufsichtsbehörde vorgetragen und in dem Bestreben, eine\nÄnderung der bisherigen Haltung der Schule zu erreichen, auch den Anlass für\ndas ausnahmsweise Unterbleiben der Skilehrfahrt in anonymer Form mitgeteilt\nhätten. Die Eltern hätten insoweit nicht zuletzt in Ausübung ihres\nElterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gehandelt. Gegenüber diesem\nberechtigten Interesse der Eltern trete das Geheimhaltungsinteresse der\nKlägerin zu 1), das sich mangels Erwähnung ihrer Person in den Schreiben\nlediglich auf den Sportunfall als solchen beziehen könne, zurück. Es sei nicht\nersichtlich, dass die Klägerin zu 1) gegenüber den Elternvertretern einen\nUnterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB hätte geltend machen\nkönnen. Daher könne auch in der Mitwirkung der Schule beim Verteilen und\nEinsammeln der Schreiben keine Rechtsverletzung der Klägerin zu 1) liegen.\nGrundsätzlich sei es rechtlich unbedenklich, wenn nicht im Einzelfall sogar\ngeboten, dass eine Schule mit ihrer Infrastruktur Elternvertreter bei der\nWahrnehmung deren berechtigten Interessen unterstützt. Daher sei es im\nGrundsatz nicht zu beanstanden, dass Elternvertretern gestattet wird, an die\nEltern gerichtete Schreiben in den Klassen verteilen zu lassen und\nRückmeldungen im Sekretariat abgegeben werden können. Hierbei handele es sich\nnach allgemeiner Erfahrung um alltägliche Vorgänge in Schulen. Auch habe der\nInhalt der Schreiben, den sich die Schule keineswegs allein schon durch die\nMitwirkung bei der Verteilung und dem Einsammeln zu Eigen gemacht habe,\njedenfalls soweit er die Klägerin zu 1) betreffe, keinen Anlass gegeben, im\nkonkreten Fall von der üblichen Praxis abzuweichen. Der Feststellungsantrag\ngemäß Ziffer 2 sei ebenfalls unbegründet. Mit diesem werde eine\nRechtsverletzung der Klägerin zu 2) geltend gemacht. Auch nach vertiefter\nPrüfung im Hauptsacheverfahren sei nicht feststellbar, dass die von den\nKlägerinnen monierten Angaben des Schulleiters gegenüber den Elternvertretern\ndie Klägerin zu 2) in ihren Rechten verletzt haben. Zunächst hätte der\nSchulleiter im Rahmen einer Gesamtelternversammlung unter dem TOP\n„Verschiedenes“ ohne nähere Einzelheiten lediglich mitgeteilt, dass die\nSkilehrfahrt im nächsten Jahr nicht stattfinden werde, da die Begleitung und\nAufsicht der Fahrt durch die Schule nicht organisiert werden könne. Erst\nnachdem er im Nachgang von einem Elternvertreter darüber informiert worden\nsei, dass Gerüchte über die Motive der Absage in Umlauf seien, habe er sich\nnach Rücksprache mit dem Schulelternsprecher veranlasst gesehen, auf die\nGründe der Absage weiter einzugehen und sodann den Elternvertretern in einem\nspäteren Gespräch mitgeteilt, dass ausgehend von einem seines Erachtens\nharmlosen Vorfall während einer sportlichen Veranstaltung der Klassenstufe 6,\ndie 2015 stattgefunden habe, gegen Kolleginnen und Kollegen aus dem Kreis der\nEltern Dienstaufsichtsbeschwerden erhoben worden seien. Darin sei keine\nVerletzung von § 20 b Abs. 2 Satz 3 SchoG zu sehen. Es sei lediglich in\nknapper, allgemein gehaltener Form die Ursache für die Absage der Skilehrfahrt\nmitgeteilt worden, ohne die Klägerinnen zu erwähnen. § 38 SchumG gebe der\nElternvertretung ein Beteiligungsrecht an der Planung von Veranstaltungen der\nSchule, die der Erweiterung des Unterrichtsangebots dienen. Bei der hier in\nRede stehenden Skilehrfahrt, die am ...-Gymnasium seit ca. 20 Jahren jeweils\nin der Klassenstufe 7 durchgeführt werde, handele es sich um eine solche der\nErweiterung des Unterrichtsangebots dienende Veranstaltung. Eltern und\nElternvertretung könnten die Erziehungsinteressen der Elternschaft aber nur\ndann wahrnehmen und sich sachgerecht äußern bzw. beteiligen, wenn sie die dazu\nerforderlichen Informationen erhalten. Im Falle eines ausnahmsweisen Verzichts\nauf eine langjährig tradierte Veranstaltung könne dazu auch eine Information\nüber die wesentlichen Gründe gehören. In diesem Rahmen müsse es grundsätzlich\nzulässig sein, auch Probleme zu thematisieren, die aus dem Verhalten einzelner\nEltern resultierten, wenn diese Auswirkungen auf einen ganzen Jahrgang hätten.\nDas Informationsinteresse der Elternvertreter sowie das Interesse des\nSchulleiters daran, den Elternvertretern zur Wahrung des Schulfriedens die\nMotive für die Absage der Lehrfahrt zumindest in den Grundzügen in anonymer\nForm darzulegen, würden im konkreten Fall das Interesse der Klägerin zu 2) an\neiner Geheimhaltung der - von ihr selbst geschaffenen - Tatsache der Erhebung\nmehrerer Dienstaufsichtsbeschwerden überwiegen. Sie sei insoweit analog § 1004\nAbs. 2 BGB zur Duldung verpflichtet gewesen. Die vorgenannten Äußerungen des\nSchulleiters hätten sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewegt und seien\nzur Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt gewesen. Soweit der\nSchulleiter angegeben habe, dass Dienstaufsichtsbeschwerden erhoben worden\nseien, handele es sich um eine bloße Wiedergabe zutreffender Tatsachen. Soweit\ner von einem seines Erachtens „harmlosen Vorfall“ beim Sportfest gesprochen\nhabe, beinhalte dies eine zumindest vertretbare Wertung. Ausgehend vom\nTatsachenvortrag der Beteiligten seien die Äußerungen des Schulleiters ohne\nbeleidigende Begriffe in sachlicher Form erfolgt und nicht etwa in Form einer\nbloßen Schmähkritik, die allein der Herabsetzung der Klägerinnen gedient\nhätte. Es sei weder vorgetragen noch sonst erkennbar, dass er polemische\nBegriffe gebraucht hätte. Mit den vorgenannten Äußerungen habe er nicht mehr\npreisgegeben, als dies nach den von der Klägerin zu 2) wesentlich mit zu\nverantwortenden Umständen gerechtfertigt gewesen sei. Etwaige Auswirkungen auf\nihr Ansehen habe die Klägerin zu 2) als Folge ihres eigenen Handels selbst zu\nverantworten. Im Übrigen habe diese selbst die Elternsprecher im September\n2016 - und damit vor den hier in Rede stehenden Vorgängen - per E-Mail\nnachrichtlich bereits über eine von ihr gegen die Vertrauenslehrerin erhobene\nDienstaufsichtsbeschwerde informiert. Auch ihr Vorbringen, in einer\nElternversammlung vom 19.9.2017 unter TOP 1 „Besonderheiten der Klassenstufe 7\nim Hinblick auf außerunterrichtliche Veranstaltungen“ seien seitens „der\nSchule“ die Namen der Klägerinnen bekannt gegeben worden, vermöge der Klage\nnicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Klägerin zu 1) habe in ihren Schriftsätzen\nnicht vorgetragen, dass es der Schulleiter (bzw. dessen Vertreter) war, der\ndie Namen genannt haben soll. Vielmehr sei nur unsubstantiiert die Rede davon,\ndass „die Schule“ die Namen genannt habe, ohne die handelnde Person näher zu\nbezeichnen. In der mündlichen Verhandlung habe die Klägerin diesen Vorgang\ndann auf einen Elternabend am 3.11.2017 datiert, ohne auch hier näher\ndarzulegen, wer ihren Namen genannt hat und was konkret gesagt worden sein\nsoll. Im Übrigen spreche nach dem Vorbringen der Beteiligten vieles dafür,\ndass zum Zeitpunkt der von der Klägerin zu 2) behaupteten Namensnennung – sei\nes nun am 19.9.2017 oder am 3.11.2017 - sich im Kreise der von der Absage der\nSkilehrfahrt betroffenen Schüler und Eltern ohnehin bereits herumgesprochen\nhabe, dass es sich bei dem in Rede stehenden Vorfall beim Sportfest 2015 um\nden Sturz der Klägerin zu 1) handelte und von daher deren Namen bereits\nbekannt war. Lediglich ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin zu\n2) sich ausweislich von ihr übermittelter E-Mails in der vorliegenden\nAngelegenheit im Herbst 2017 offensichtlich sogar an einen Reporter der\n...-Zeitung gewandt und somit selbst eine noch größere Öffentlichkeit gesucht\nhabe.\n\nDie Klägerinnen begehren die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil.\n\n**II.**\n\nDie von den Klägerinnen begehrte Prozesskostenhilfe für das\nZulassungsverfahren konnte wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht des\nZulassungsbegehrens nicht bewilligt werden (§§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO).\n\nDer Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung (§§ 124a Abs. 4, 124\nAbs. 1 VwGO) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 2.4.2019 - 1 K\n1421/17 - hat keinen Erfolg. Dem den gerichtlichen Prüfungsumfang mit Blick\nauf das Darlegungserfordernis (§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO)\nbegrenzenden Antragsvorbringen lässt sich ein Zulassungsgrund im Sinne des §\n124 Abs. 2 VwGO nicht entnehmen. Der Vortrag der Klägerinnen begründet weder\nden von ihnen behaupteten Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) noch\nbestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen\nEntscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).\n\nDer von den Klägerinnen geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§\n124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).\n\nDie Klägerinnen tragen vor, sie hätten das Verwaltungsgericht, nachdem sie\nschon in der Klageschrift mehrere Zeugen benannt hätten, im Vorfeld der\nmündlichen Verhandlung um Mitteilung gebeten, ob die Kammer beabsichtige\nZeugen zu laden. Daraufhin sei ihnen vom Verwaltungsgericht mitgeteilt worden,\ndass keine Zeugen geladen würden. Infolge dessen seien sie davon ausgegangen,\ndass keine Zeugen vernommen würden und hätten keine Zeugenbefragungen\nvorbereitet. Dies habe auch daran gelegen, dass die Vorsitzende fernmündlich\nmitgeteilt habe, dass eine gütliche Lösung angestrebt werde. Umso überraschter\nseien sie, die Klägerinnen, gewesen, als der Beklagte mit Zeugen erschienen\nsei. Korrekterweise hätte nach dem Scheitern der Einigungsbemühungen ein neuer\nTermin bestimmt werden müssen, in dessen Vorfeld mitgeteilt werde, welche\nBeweisthemen mit welchen Beweismitteln überprüft werden sollen. Dies hätte es\nihnen ermöglicht, sich auf Zeugenbefragungen vorzubereiten und gegebenenfalls\nergänzende Beweisanträge zu stellen.\n\nAus diesem Vorbringen lässt sich ein Verfahrensfehler nicht herleiten. Ein\nGericht verletzt seine Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO grundsätzlich\nnicht, wenn es den aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Sachverhalt\naufgrund der beigezogenen Verwaltungsvorgänge für aufgeklärt hält und von\neiner Beweiserhebung absieht. Die Gerichte sind nicht gehalten, von sich aus\nallen denkbaren Möglichkeiten der Beweiserhebung nachzugehen, wenn sich\nhierfür keine Anhaltspunkte ergeben, sich ihnen die Notwendigkeit weiterer\nAufklärung also nicht aufdrängen muss.(vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, §\n86 Rdnr. 12) Die letztgenannte Voraussetzung liegt hier nicht vor. Im Übrigen\nobliegt den Klägerinnen bei der Sachverhaltsermittlung eine\nMitwirkungspflicht, die sie vorliegend in zumutbarer Weise – nach dem\nScheitern der Vergleichsverhandlungen – durch Stellung eines Beweisantrages in\nder mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hätten wahrnehmen\nkönnen. Das ist hier ausweislich der Niederschrift von der mündlichen\nVerhandlung, bei welcher die Klägerinnen durch ihren Prozessbevollmächtigten\nvertreten waren, nicht geschehen. Die Rüge eines Verfahrensfehlers im\nBerufungszulassungsverfahren dient nicht dazu, in der ersten Instanz nicht\ngestellte Beweisanträge zu ersetzen. Bloße Ankündigungen von Beweisanträgen in\ndie mündliche Verhandlung vorbereitenden Schriftsätzen oder die Benennung von\nZeugen im Vorfeld der mündlichen Verhandlung sind insoweit nicht\nausreichend.(vgl. Beschluss des Senats vom 24.1.2011 – 2 A 82/10 –, juris)\n\nDie Klägerinnen können sich zur Begründung eines Verfahrensfehlers auch nicht\ndarauf berufen, dass der Schulleiter - als potentieller Zeuge - an den\nVergleichsverhandlungen teilgenommen habe und erst nach deren Scheitern die\ngerichtliche Feststellung erfolgt sei, dass dieser nicht Beteiligter sei. Der\nAnsicht der Klägerinnen, dies stelle eine „ _Verletzung des fairen\nVerfahrens“_ dar bzw. _„§ 96 VwGO als Norm zur Beweiserhebung“_ sei fehlerhaft\nangewandt worden, ist nicht zu folgen. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO erhebt das\nGericht Beweis in der mündlichen Verhandlung. Die Vorschrift soll\nsicherstellen, dass das Gericht seiner Entscheidung das in der jeweiligen\nprozessualen Situation geeignete und erforderliche Beweismittel zu Grunde\nlegt, um dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dem Gebot des fairen Verfahrens\nund insbesondere dem Recht der Verfahrensbeteiligten auf Beweisteilhabe\ngerecht zu werden. Die Sachaufklärung soll in einer Art und Weise durchgeführt\nwerden, die zu einer vollständigen und zutreffenden tatsächlichen\nEntscheidungsgrundlage führt und es zugleich jedem Verfahrensbeteiligten\nermöglicht, auf die Ermittlung des Sachverhalts Einfluss zu nehmen. Dagegen\nlässt sich dem Grundsatz der materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme\nnach der Rechtsprechung nicht ein abstrakter Vorrang bestimmter - etwa\nunmittelbarer oder "sachnäherer" - Beweismittel vor anderen - mittelbaren oder\nweniger "sachnahen" - entnehmen. Ebenso wenig lässt sich der Vorschrift\nentnehmen, mit welcher Intensität und Detailschärfe das Gericht den\nSachverhalt zu erforschen hat; diese Frage wird vielmehr von § 86 Abs. 1 VwGO\nbeantwortet.(vgl. BVerwG, Beschluss vom 3.1.2012 - 2 B 72/11 -, juris\n(m.w.N.)) Sofern die Klägerinnen der Ansicht waren, dass der Schulleiter im\nerstinstanzlichen Verfahren als Zeuge hätte vernommen werden sollen, hätten\nsie frühzeitig in der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Beweisantrag\nstellen oder jedenfalls darauf hinwirken können, dass er während der\nVergleichsverhandlungen den Sitzungssaal – wie die übrigen bereiten Zeugen –\nverlässt. Dass der Schulleiter in der mündlichen Verhandlung _„ohne\nsystematische Befragung als Beklagter agiert“_ und er sich, wie aus dem\nerstinstanzlichen Urteil (S.16) hervorgeht, zu bestimmten Fragen eingelassen\nhat, stellt ebenfalls keinen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens\ndar. Im Übrigen oblag es dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen, sofern\ner mit der Verhandlungsführung des Verwaltungsgerichts nicht einverstanden\ngewesen war, dies in der mündlichen Verhandlung zu rügen. Die Behauptung eines\nVerfahrensfehlers im Berufungszulassungsverfahren dient nicht dazu, ein\nsolches Versäumnis in der ersten Instanz zu ersetzen.\n\nAus der Antragsbegründung ergeben sich auch keine ernstlichen Zweifel an der\nRichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).\nSolche bestehen dann, wenn gegen deren Richtigkeit nach summarischer Prüfung\ngewichtige Anhaltspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein\neinzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit\nschlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird(vgl. OVG des Saarlandes,\nBeschluss vom 25.11.2015 - 1 A 385/14 - unter Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse\nvom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 - und vom 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -; juris).\nRichtigkeit im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO meint dabei die\nErgebnisrichtigkeit des Entscheidungstenors, nicht dagegen die (vollständige)\nRichtigkeit der dafür gegebenen Begründung.(vgl. BVerwG, Beschluss vom\n10.3.2004 - 7 AV 4/03 -; juris)\n\nDer Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Mitwirkung\nder Lehrer bzw. des Sekretariats des Gymnasiums an der Verteilung bzw.\nEinsammlung der Schreiben der Elternvertreter vom 24.4.2017 die Klägerin zu 1)\nnicht in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG\ni.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt hat. Sofern in der Zulassungsbegründung auf\ndie Formulierung in dem Prozesskostenhilfebeschluss des Senats vom 5.9.2018 -\n2 D 175/18 - Bezug genommen wird, wonach ein Eingriff in das aus dem\nallgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf informationelle\nSelbstbestimmung nicht von der Hand zu weisen ist, bezog sich dies auf den\nMaßstab im Prozesskostenhilfeverfahren, dessen Sinn es nicht ist, den\nRechtsstreit durch eine weitgehende rechtliche Vorausbeurteilung quasi\n„vorwegzunehmen“. Die Klägerinnen können sich auch nicht mit Erfolg darauf\nberufen, das Verwaltungsgericht habe § 38 SchumG eine _„verfassungsrechtlich\nnicht tragbare Bedeutung“_ beigemessen. Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SchumG dient\ndie Elternvertretung der Vertretung von Erziehungsinteressen der\nErziehungsberechtigten in der von ihren Kindern besuchten Schule und der\nBeteiligung an den schulischen Gremien. Sie ist an der Planung von\nVeranstaltungen der Schule, die der Erweiterung des Unterrichtsangebots\ndienen, zu beteiligen (§ 38 Abs. 1 Satz 2 SchumG). Dass die Skilehrfahrt eine\nsolche Erweiterung des Unterrichtsangebots darstellt, steht außer Zweifel.\nEntgegen der Ansicht der Klägerinnen ist eine Beteiligung der Elternvertretung\nnicht auf ein bloßes Anhörungsrecht beschränkt. Dem Wortlaut des § 38 Abs. 1\nSatz 2 SchumG lassen sich keine Anhaltspunkte für eine derartige Beschränkung\nentnehmen. Dergleichen lässt sich auch nicht aus Art 27 Abs. 2 SVerf\nherleiten, wonach das gesamte Schulwesen der Aufsicht des Staates untersteht.\nDass die Schule die Elternvertretung bei ihrer aufgabenbezogenen Tätigkeit, zu\nder auch das aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG abzuleitende Recht der\nElternvertretung gehört, ihre Erziehungsinteressen gegenüber der\nSchulaufsichtsbehörde geltend zu machen, unterstützt hat, begegnet ebenfalls\nkeinen rechtlichen Bedenken. Eine Unterstützung der Elternvertretung durch die\nSchule ist in § 40 Abs. 2 SchumG hinsichtlich der Überlassung eines Raums für\nSitzungen und des notwendigen Geschäftsbedarfs und der erforderlichen\nBüromittel sogar zwingend vorgesehen. Über diese Verpflichtung hinaus können\nweitere Unterstützungsmaßnahmen durch die Schule, insbesondere bei der hier in\nRede stehenden Verteilung von Schreiben der Elternvertretung an die Eltern, im\nEinzelfall sachgerecht und zulässig sein. Die Verteilung von Schreiben der\nElternvertretung in der Schule zur Weitergabe an die Eltern entspricht dem\nschulischen Alltag. Einen Grund dafür, dass diese Unterstützung im\nvorliegenden Fall zwingend hätte unterbleiben müssen, vermag der Senat nicht\nzu erkennen. Soweit die Klägerinnen in dem Zusammenhang auf die aus ihrer\nSicht gegebene Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung durch Vernehmung des\nSchulleiters und der Schulsekretärin abstellen, ist (erneut) darauf\nhinzuweisen, dass entsprechende Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung\nnicht gestellt worden sind. Der Senat teilt die Auffassung des\nVerwaltungsgerichts, dass in Ermangelung der Weitergabe persönlicher Daten der\nKlägerin zu 1) oder auf sie bezogener persönlicher Wertungen keine Verletzung\nihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt. Zu dem erwähnten\nBeteiligungsrecht der Elternvertretung gehört es sicher auch, dass der\nSchulleiter dieser gegenüber eine Begründung für den Ausfall der sonst\nregelmäßig stattfindenden Skilehrfahrt, hier durch den Hinweis auf den\nSportunfall, gegeben hat. Eine derartige Begründung war hier nicht zuletzt mit\nBlick auf die dem Schulleiter zur Kenntnis gebrachten Gerüchte über die Gründe\nfür die Absage der Skilehrfahrt, von der immerhin eine ganze Klassenstufe (145\nSchülerinnen und Schüler) betroffen war, zur Wahrung des Schulfriedens\nangezeigt. Es kann angesichts der konkreten Umstände nicht angenommen werden,\ndass die Elternschaft sich mit einem vagen Hinweis, dass die Skilehrfahrt\ndiesmal nicht stattfindet, weil die Schule mit den vorhandenen Lehrkräften die\nAufsichtsplicht nicht sicherstellen kann, zufrieden gegeben hätte. Dies wäre\ndaher kein gleichermaßen zur Wahrung bzw. Herstellung des Schulfriedens\ngeeignetes Mittel gewesen. Der in dem Zusammenhang von den Klägerinnen\ngegebene Hinweis auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfängt daher\nnicht. Selbst wenn durch die Bezugnahme auf einen _„banalen Sportunfall“_ in\ndem Schreiben der Elternvertreter vom 24.4.2017 ein Rückschluss auf die\nKlägerin zu 1) möglich gewesen sein sollte, hat ihr darauf bezogenes\nGeheinhaltungsinteresse hinter den berechtigten Interessen der hier\nbetroffenen (zahlreichen) Eltern zurückzustehen.\n\nAuch eine Verletzung der Klägerin zu 2) in ihren Rechten – durch die\nInformation der Elternvertreter der Klassenstufe 6 über die\nDienstaufsichtsbeschwerden anlässlich des Sportunfalls – liegt nicht vor.\nSoweit in der Zulassungsbegründung in Zweifel gezogen wird, dass diese\nInformation in anonymer Form erfolgt ist, wird kein Beleg dafür genannt. Ein\nVerstoß gegen § 20 Abs. 2 Satz 3 SchoG, nach dem die Übermittlung\npersonenbezogener Daten an Einzelpersonen ohne Einwilligung der betroffenen\nSchülerin oder des betroffenen Schülers nur zulässig ist, soweit dies zur\nErfüllung der Aufgabe der übermittelnden Schule erforderlich ist oder der\nEmpfänger ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der zu übermittelnden\nDaten glaubhaft macht, ist hier nicht ersichtlich. Die Klägerinnen sind auch\nbezüglich der Fragen, ob der Schulfriede bedroht war und ob ein zwingender\nGrund für die Information der Eltern über die Dienstaufsichtsbeschwerden\nbestand, der Ansicht, der Schulleiter hätte als Zeuge vernommen werden müssen.\nInsoweit wird wiederum auf die oben gemachten Ausführungen zur fehlenden\nStellung eines Beweisantrags Bezug genommen.\n\nInsgesamt ist daher dem Antragsvorbringen ein Zulassungsgrund im Sinne des §\n124 Abs. 2 VwGO nicht zu entnehmen.\n\n**III.**\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO, 100 ZPO.\n\nDie Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs.\n2, 47 GKG.\n\nDer Beschluss ist nicht anfechtbar.\n\n
326,329
lg-dortmund-2020-02-26-3-o-55819
806
Landgericht Dortmund
lg-dortmund
Dortmund
Nordrhein-Westfalen
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Landgericht
3 O 558/19
2020-02-26
2020-03-04 11:01:11
2020-12-10 13:32:18
Beschluss
ECLI:DE:LGDO:2020:0226.3O558.19.00
## Tenor\n\n**Der Streitwert wird auf 4.200,00 € festgesetzt.**\n\n \n1\n\n**Gründe:**\n\n2\n\nDie Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 9 S. 1 ZPO.\n\n3\n\nEntgegen der Ansicht der Klägervertreter auf S. 5 der Klageschrift sind für\ndie Streitwertbemessung die nach den drei Prämiensparverträgen geschuldeten\nJahresprämien (für den Vertrag vom 00.00.2003 mit den Endziffern "E01" bei\neiner monatlichen Sparrate von 50,00 € und einer Jahresprämie von 50 % ab dem\n15. Sparjahr: 50,00 €/Monat x 12 Monate ./. 2 = 300,00 €; für die beiden\nVerträge jeweils vom 00.00.2004 mit den Endziffern "E02" und "E03" bei\nmonatlichen Sparraten von jeweils 100,00 € und jeweils einer Jahresprämie von\nebenfalls 50 % ab dem 15. Sparjahr: 100,00 €/Monat x 12 Monate ./. 2 = 600,00\n€) nicht mit dem Faktor 11 - für die Sparjahre 15 bis einschließlich 25 - zu\nmultiplizieren. Es ist vielmehr für jeden Prämiensparvertrag vom 3,5-fachen\nJahresprämienbetrag auszugehen, wovon wiederum für den positiven\nFeststellungsantrag zu Ziff. 1. ein 20%-iger Abschlag vorzunehmen ist (vgl.\nOLG Dresden, Urt. v. 21.11.2019 - 8 U 1770/18 - BeckRS 2019, 32681, Rn. 65;\nBeschl. v. 22.05.2018 - 8 W 444/18 - abrufbar unter: www.justiz.sachsen.de,\nbestätigt durch: VerfGH Sachs, Beschl. v. 25.10.2018 - Vf. 62-IV-18 - BeckRS\n2018, 27264). Denn bei objektiver Betrachtung besteht das wirtschaftliche\nInteresse des Prämiensparers darin, weiterhin die nach derzeitigen Maßstäben -\ninsbesondere im Hinblick auf das momentan niedrige Zinsumfeld - attraktiven\nPrämien zu erhalten. Dies entspricht der zu Fällen der Kündigung von\nBausparverträgen durch Bausparkassen ergangenen Rechtsprechung des\nBundesgerichtshofes (vgl. Beschl. v. 21.02.2017 - XI ZR 88/16 - NJW 2017,\n2343; Beschl. v. 07.01.2020 - XI ZR 277/18 - BeckRS 2020, 436, Rn. 6) und auch\ndes Oberlandesgerichts Hamm (vgl. Urt. v. 22.06.2016 - 31 U 278/15 - BeckRS\n2016, 11412, Rn. 38; Beschl. v. 20.10.2015 - 31 W 74/15 - BeckRS 2015, 19967,\nRn. 1). Für den Streitfall ergibt dies einen Betrag von 4.200,00 €\n(Jahresprämien für alle drei Verträge i.H.v. insgesamt 1.500,00 € x 3,5 x\n0,8).\n\n4\n\nIm Hinblick auf den Antrag zu Ziff. 2. auf Verpflichtung der Beklagten zur\nFortsetzung der drei Prämiensparverträge zu den bisherigen Konditionen\nerfolgte keine Verdoppelung des Streitwerts, weil insoweit der weitergehende\nFeststellungsantrag zu Ziff. 1. wirtschaftlich auch diesen Antrag mit umfasst\n(vgl. OLG Dresden, Urt. v. 21.11.2019, ebda.).\n\n5\n\nDer Antrag zu Ziff. 3. auf Zahlung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten erhöhte\nden Streitwert gleichfalls nicht, da es sich insoweit um eine Nebenforderung\nim Sinne von § 4 Abs. 1, 2. Hs. ZPO handelt.\n\n
326,382
vg-aachen-2020-02-17-10-k-161518
840
Verwaltungsgericht Aachen
vg-aachen
Aachen
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
10 K 1615/18
2020-02-17
2020-03-06 11:00:52
2020-12-10 13:32:26
Gerichtsbescheid
ECLI:DE:VGAC:2020:0217.10K1615.18.00
## Tenor\n\nDie Kostenfestsetzung in der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 12. März 2018\nwird aufgehoben, soweit sie einen Betrag von 23,82 Euro übersteigt.\n\nIm Übrigen wird die Klage abgewiesen.\n\nDie Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.\n\nDer Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig\nvollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung\nin Höhe von 110 % des aufgrund des Gerichtsbescheids vollstreckbaren Betrages\nabwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von\n110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.\n\n \n1\n\n**T a t b e s t a n d:**\n\n2\n\nDie Klägerin begehrt die Aufhebung einer Anordnung des Beklagten zur Führung\neines Fahrtenbuchs für das von ihr gehaltene Fahrzeug mit dem amtlichen\nKennzeichen xx - xx 00. Mit diesem Fahrzeug wurde am 24. Oktober 2017 um 9.28\nUhr in U. , E. , eine Verkehrsordnungswidrigkeit durch Überschreitung der\nHöchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 27 km/h (nach Toleranzabzug) begangen.\n\n3\n\nDie zuständige Bußgeldbehörde des Kreises E1. übersandte der Klägerin am 14.\nNovember 2017 einen Zeugenfragebogen zu dem Verkehrsverstoß und hörte sie,\nnachdem sie sich hierzu nicht geäußert hatte, am 5. Dezember 2017 zu dem\nbeabsichtigten Erlass eines Bußgeldbescheides und der möglichen Anordnung\neiner Fahrtenbuchauflage an. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2017 beantragte der\nProzessbevollmächtigte der Klägerin daraufhin Akteneinsicht, welche am 20.\nDezember 2017 gewährt wurde. Mit Schreiben vom 12. Januar 2018 forderte die\nBußgeldstelle die Klägerin erneut auf, Angaben zum Fahrzeugführer zu machen.\nEine inhaltliche Stellungnahme der Klägerin erfolgte dem Akteninhalt nach\nnicht.\n\n4\n\nZwischenzeitlich hatte die Bußgeldstelle unter dem 20. Dezember 2017 beim\nzuständigen Einwohnermeldeamt die Personalausweis- und Passfotos der Klägerin\nangefordert und am 20. Dezember 2017 an das Ordnungsamt des F. Kreises und am\n12. Januar 2018 an den Beklagten ein Fahrer-Ermittlungsersuchen gerichtet.\n\n5\n\nNachdem der verantwortliche Fahrzeugführer nicht ermittelt werden konnte,\nstellte die Bußgeldstelle das Ordnungswidrigkeitenverfahren am 18. Januar 2018\nein.\n\n6\n\nNach vorheriger Anhörung ordnete der Beklagte daraufhin mit der vorliegend\nstreitgegenständlichen Ordnungsverfügung vom 12. März 2018, der Klägerin\nzugestellt am 15. März 2018, für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen xx\n- xx 00 für die Dauer von 9 Monaten die Führung eines Fahrtenbuchs an. Die\nVerpflichtung gelte für das genannte sowie für mögliche Nachfolge- und\nErsatzfahrzeuge. Außerdem setzte der Beklagte eine Verwaltungsgebühr von 105\nEuro fest und machte Zustellungsauslagen in Höhe von 2,32 Euro geltend. Zur\nBegründung verwies er darauf, dass der Verkehrsverstoß, der mit dem Fahrzeug\nder Klägerin begangen worden und mit einem Punkt in das Fahreignungsregister\neinzutragen gewesen sei, nicht habe aufgeklärt werden können. Die Feststellung\ndes verantwortlichen Fahrers sei nicht möglich gewesen, obwohl alle\nangemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen unternommen worden seien. Die\nKlägerin habe den verantwortlichen Fahrer nicht benannt. Vor diesem\nHintergrund sei die angeordnete Fahrtenbuchauflage gerechtfertigt.\n\n7\n\nDie Klägerin hat am 16. April 2018, einem Montag, Klage erhoben, zu deren\nBegründung sie darauf verweist, sie habe sich nicht der Mitwirkung an der\nAufklärung des Verkehrsverstoßes verweigert, sondern der Bußgeldstelle mit\nSchreiben vom 23. Januar 2018 dargelegt, dass sie das Fahrzeug nicht alleine\ngenutzt, sondern es allen Mitgliedern ihres Reitstalls kostenlos zur Verfügung\ngestellt habe. Die Fahrzeugschlüssel seien im Stall frei zugänglich gewesen.\nWeiter habe sie der Bußgeldstelle gegenüber erklärt, welcher Personenkreis\nZugang zu den Schlüsseln gehabt habe. Die auf dem Radarfoto erkennbare Person\nsei ihr nicht bekannt gewesen. Im Übrigen sei es dem Beklagten zumutbar\ngewesen sei, weitere Maßnahmen zur Ermittlung des Fahrzeugführers zu treffen.\nSo hätte er beispielsweise die von der Klägerin benannten Stallmieter befragen\nkönnen. Darüber hinaus sei die Fahrtenbuchauflage nicht mehr erforderlich, da\ndas Fahrzeug der Allgemeinheit nun nicht mehr zur Verfügung stehe.\n\n8\n\nDie Klägerin beantragt schriftsätzlich,\n\n9\n\nden Bescheid des Beklagten vom 12. März 2018 aufzuheben.\n\n10\n\nDer Beklagte beantragt schriftsätzlich,\n\n11\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n12\n\nZur Begründung seines Klageabweisungsantrags wiederholt und vertieft er die\nGründe des angefochtenen Bescheids. Ein Schreiben der Klägerin vom 23. Januar\n2018 sei ihm nicht bekannt, dieses sei nicht Gegenstand des\nVerwaltungsvorgangs.\n\n13\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den\nInhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten\nBezug genommen.\n\n14\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :**\n\n15\n\nDas Gericht kann gemäß § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch\nGerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten\ntatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und\ndie Beteiligten zu der Möglichkeit einer solchen Entscheidung gehört worden\nsind.\n\n16\n\nA. Die Klage hat lediglich im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie\nzwar zulässig, aber nicht begründet.\n\n17\n\nI. Die Fahrtenbuchauflage im angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 12. März\n2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113\nAbs. 1 VwGO.\n\n18\n\nGemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die nach Landesrecht zuständige Behörde\ngegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder\nkünftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn\ndie Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen\nVerkehrsvorschriften nicht möglich war.\n\n19\n\nDiese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.\n\n20\n\n1\\. Mit dem hier in Rede stehenden und von der Klägerin gehaltenen Fahrzeug\nmit dem amtlichen Kennzeichen xx - xx 00 wurde am 24. Oktober 2017 um 9.28 Uhr\nin U. , E. , gegen die dort mit Verkehrszeichen 274 i. V. m § 41 Abs. 1 StVO\nangeordnete Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h verstoßen durch deren\nÜberschreitung um 27 km/h (gemessene Geschwindigkeit toleranzbereinigt: 97\nkm/h). Dies ergibt sich aus den in der Verwaltungsakte enthaltenen\nAufzeichnungen der Geschwindigkeitsmessanlage. Anhaltspunkte dafür, dass die\nangezeigte Geschwindigkeitsübertretung nicht erfolgt ist oder durch ein\nanderes Fahrzeug begangen worden sein könnte, bestehen nicht.\n\n21\n\n2\\. Die Feststellung des Fahrzeugführers war ferner im Anschluss an diese\nZuwiderhandlung nicht binnen der dreimonatigen Verjährungsfrist (§ 26 Abs. 3\nStVG i. V. m. §§ 31 ff. OWiG) möglich.\n\n22\n\nDie tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Fahrtenbuchauflage sind\nregelmäßig dann erfüllt, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des\nEinzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen\nVerkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren\nMaßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich\ndanach, ob die Bußgeldbehörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr\nzur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen\ngetroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht\nwerden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Zu den danach angemessenen\nErmittlungsmaßnahmen gehört in erster Linie, dass der Fahrzeughalter möglichst\numgehend - im Regelfall innerhalb von zwei Wochen - von dem mit seinem\nFahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage,\nwer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann\nund der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine solche Benachrichtigung\nbegründet für den Halter eine Obliegenheit, zur Aufklärung des mit seinem\nFahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich\nund zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf\neinem vorgelegten Lichtbild erkannten Fahrer benennt oder - insbesondere etwa\nauch, wenn der Fahrer auf dem Foto nicht zu erkennen ist - zumindest den\nmöglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im\nKreis der Nutzungsberechtigten fördert. Art und Umfang der\nErmittlungstätigkeit der Bußgeldbehörde können sich im Weiteren an den\nErklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die\nMitwirkung an der Ermittlung der für den Verkehrsverstoß verantwortlichen\nPerson ab und liegen der Bußgeldbehörde auch sonst keine konkreten\nErmittlungsansätze vor, ist es dieser regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos\nzeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben.\n\n23\n\nVgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 10. September 2019 - 8 B 774/19 -, juris,\nRn. 3, und vom 15. Mai 2018 - 8 A 740/18 -, juris, Rn. 30 ff., m. w. N.; Dauer\nin: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Auflage 2019,\n§ 31a StVZO, Rn. 31, 33 ff., m. w. N.\n\n24\n\nAusgehend hiervon ist ein für die Nichtermittlung des Fahrzeugführers\nursächliches Ermittlungsdefizit der Behörde nicht ersichtlich.\n\n25\n\nDie hier zuständige Bußgeldbehörde des Kreises E1. hörte die Klägerin erstmals\nunter dem 14. November 2017 und erneut am 5. Dezember 2017 zu dem\nVerkehrsverstoß vom 24. Oktober 2017 an und gab ihr so wiederholt Gelegenheit\nzur Stellungnahme.\n\n26\n\nDie Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist ist für die fehlgeschlagene\nErmittlung des Verantwortlichen für den Verkehrsverstoß nicht ausschlaggebend\ngewesen. Auch nach Ablauf der oben genannten Zwei-Wochen-Frist besteht für den\nHalter die Obliegenheit, an der Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen\nVerkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist.\nDenn diese in der Rechtsprechung entwickelte Frist für die Benachrichtigung\ndes Fahrzeughalters ist keine starre Grenze und kein formales\nTatbestandsmerkmal. Sie dient vielmehr dazu sicherzustellen, dass der\njeweilige Fahrzeughalter die sein Fahrzeug betreffenden Vorgänge noch aus der\nErinnerung heraus zuverlässig beantworten kann und es ihm dann möglich ist,\nauf dieser Grundlage gegebenenfalls seine Verteidigung in dem\nOrdnungswidrigkeitenverfahren einzurichten. Eine verspätete Anhörung steht der\nAuferlegung einer Fahrtenbuchauflage daher dann nicht entgegen, wenn der\nFahrer nicht ermittelt werden kann, weil der Halter erkennbar nicht so weit\nmitwirkt, wie es ihm trotz des verstrichenen Zeitraums noch möglich und\nzumutbar ist.\n\n27\n\nVgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2017 - 8 B 1104/17 -, juris, Rn. 26,\nund Urteil vom 30. November 2005 - 8 A 280/05 -, juris, Rn. 29.\n\n28\n\nAußerdem gilt die Zwei-Wochen-Frist nicht für Fallgestaltungen, in denen auch\neine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt. Ihre\nNichteinhaltung ist überdies unschädlich, wenn feststeht, dass die\nRechtsverteidigung des Fahrzeughalters durch dessen verzögerte Anhörung nicht\nbeeinträchtigt worden ist.\n\n29\n\nVgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2017 - 8 B 1104/17 -, juris, Rn. 26.\n\n30\n\nNach diesen Grundsätzen ist vorliegend die geringfügige Überschreitung der\nZwei-Wochen-Frist durch die Zusendung des Zeugenfragebogens vom 14. November\n2017 als unschädlich anzusehen. Denn die Klägerin ist auch nach Zugang dieser\nAnhörung gänzlich untätig geblieben. Erst nach der Erinnerung des Beklagten\nmit dessen Schreiben vom 5. Dezember 2019 und nochmaliger Zusendung des\nBefragungsbogens beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin\nAkteneinsicht, ohne jedoch im Namen der Klägerin die erbetenen Angaben zu\nmachen.\n\n31\n\nDabei rechtfertigt die Stellung des Akteneinsichtsantrags zwar noch keinen\nRückschluss darauf, dass die Klägerin nicht bereit gewesen ist, an der\nAufklärung des Verkehrsverstoßes mitzuwirken. Denn ein Akteneinsichtsantrag\nist Teil der der Klägerin von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten\nMittel zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Rahmen des Bußgeldverfahrens. Die\nKlägerin hat jedoch auch nach Gewährung der Akteneinsicht nicht an der\nAufklärung des Verkehrsverstoßes mitgewirkt. Zur Überzeugung des Gerichts\nsteht aufgrund des Akteninhalts fest, dass die Klägerin keine weiteren Angaben\nzu der auf dem Radarfoto erkennbaren Person gemacht hat. Die von ihr\nbehaupteten Erklärungen und insbesondere Auskünfte zu einem möglichen\nNutzerkreis des Fahrzeugs, die sie in einem Schreiben vom 23. Januar 2018\ngemacht haben will, sind nicht Bestandteil der Verwaltungsakte des Beklagten.\nHierauf wurde die Klägerin durch gerichtliche Verfügung vom 21. August 2018\nhingewiesen. Eine Ablichtung eines Schreibens vom 23. Januar 2018 ist auch\nnach diesem Hinweis nicht zur Akte gereicht worden. Es ist deshalb davon\nauszugehen, dass die Bußgeldstelle das von der Klägerin angeführte Schreiben\ntatsächlich nicht erreicht hat. Sie durfte daher davon ausgehen, dass die\nKlägerin zur Mitarbeit an der Ermittlung des Fahrzeugführers nicht bereit war.\nUnabhängig davon wäre selbst dann, wenn die Klägerin gegenüber der\nErmittlungsbehörde (erst) am 23. Januar 2018 nähere Angaben zum möglichen\nNutzerkreis und zu potentiell in Frage kommenden Fahrzeugführern gemacht\nhätte, der noch zur Verfügung stehende Zeitraum bis zum Ablauf der\nVerjährungsfrist am 24. Januar 2018 für eine Ermittlung des verantwortlichen\nFahrzeugführers offenkundig nicht ausreichend gewesen.\n\n32\n\nUngeachtet der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft der Klägerin hat die\nErmittlungsbehörde zudem weitere Ermittlungsmaßnahmen ergriffen. Sie hat, wenn\nauch letztlich erfolglos, versucht, einen Lichtbildabgleich vorzunehmen und\nFahrer-Ermittlungsersuchen an das Ordnungsamt des F. -Kreises und an den\nBeklagten gerichtet. Ermittlungsdefizite sind vor diesem Hintergrund nicht zu\nerkennen.\n\n33\n\n3\\. Die Anordnung der Fahrtenbuchauflage ist im Übrigen auch nicht\nermessensfehlerhaft. Insbesondere ist die Auferlegung eines Fahrtenbuchs für\neine Dauer von 9 Monaten nicht unverhältnismäßig.\n\n34\n\nNach gefestigter höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung ist für die\nFrage der Verhältnismäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage und für die Einstufung\nder Schwere eines Verkehrsverstoßes auf das Punktesystem in der Anlage 13 zur\nFahrerlaubnis-Verordnung (FeV) zurückzugreifen. Dabei ist bereits ab einem\nPunkt und auch bei einer ersten derartigen Zuwiderhandlung von einem\nerheblichen Verstoß auszugehen.\n\n35\n\nVgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 9. September 1999 - 3 B 94.99 -, juris, Rn.\n2, und Urteil vom 17. Mai 1995 - 11 C 12.94 -, juris, Rn. 10; OVG NRW,\nBeschlüsse vom 15. März 2007 - 8 B 2746/06 -, juris, Rn. 20, m. w. N., und vom\n27. Juli 2006 - 8 B 1224/06 -, juris, Rn. 6.\n\n36\n\nAn dieser rechtlichen Wertung hat sich auch durch die zum 1. Mai 2014 in Kraft\ngetretene Neuordnung des bisherigen 18 - Punktesystems auf ein 8 -\nPunktesystem im Verkehrszentralregister bis zur Entziehung einer Fahrerlaubnis\ngemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG und der damit einhergehenden Änderung der\nAnlage 13 zu § 40 FeV nichts geändert.\n\n37\n\nVgl. etwa BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 - 3 C 13.14 -, Rn. 21 ff.; OVG NRW,\nBeschlüsse vom 21. März 2016 - 8 B 64/16 -, juris, Rn. 31 ff., und vom 13.\nJanuar 2016 - 8 A 1217/15 -, juris, Rn. 8 ff.\n\n38\n\nAusgehend davon hat der Beklagte zu Recht angenommen, dass es sich bei der\nzugrundeliegenden Tat vom 24. Oktober 2017 um einen erheblichen\nVerkehrsverstoß handelt, da nach dem Punktesystem eine Überschreitung der\nHöchstgeschwindigkeit um 27 km/h mit einem Punkt gemäß Ziffer 3.2.2 der Anlage\n13 zu § 40 FeV (i. V. m. Ziffer 11.3.5 der Tabelle 1c) des Anhangs zu Nr. 11\nder Anlage zur BKatVO) zu bewerten ist. Der begangene Verkehrsverstoß erweist\nsich damit als ausreichende Grundlage für die Anordnung einer\nFahrtenbuchauflage.\n\n39\n\nDass die Schlüssel für das Fahrzeug der Klägerin ihren eigenen Angaben zu\nFolge nun nicht mehr frei zugänglich sind, steht dem nicht entgegen. Es ist\ninsoweit nicht ermessensfehlerhaft, dass der Beklagte nicht lediglich eine\nFahrtenbuchauflage für den Wiederholungsfall angedroht hat. Auch die Dauer der\nangeordneten Fahrtenbuchauflage von 9 Monaten begegnet keinen Bedenken. Der\nBeklagte hat die Dauer der Fahrtenbuchauflage hinreichend begründet und ohne\nErmessensfehler auf die Schwere des Verkehrsverstoßes abgestellt, der in dem\ngenannten Punktesystem zum Ausdruck kommt. Die Dauer ist im Hinblick auf die\nPunktebewertung angemessen und stellt keine übermäßige Belastung dar. Die\nobergerichtliche Rechtsprechung hat etwa den Erlass einer 12-monatigen\nFahrtenbuchauflage bereits bei einem mit einem Punkt bewerteten und erstmalig\nbegangenen Verkehrsverstoß als verhältnismäßig angesehen.\n\n40\n\nVgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2018 - 8 B 233/18 -, juris, Rn. 9.\n\n41\n\nDie weiteren mit der Fahrtenbuchauflage in Zusammenhang stehenden Regelungen\nim streitgegenständlichen Bescheid (Ersatz- und Nachfolgefahrzeug, Vorlage des\nFahrtenbuchs) begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.\n\n42\n\nII. Die Klage ist jedoch teilweise begründet, soweit sich die Klägerin, die\nden Bescheid des Beklagten vom 12. März 2018 insgesamt angegriffen hat, gegen\ndie Kostenfestsetzung in diesem Bescheid wendet.\n\n43\n\n1\\. Die Festsetzung von Verwaltungsgebühren ist rechtswidrig, soweit sie einen\nBetrag von 21,50 Euro übersteigt.\n\n44\n\nRechtsgrundlage der Gebührenfestsetzung ist § 6a Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 StVG\ni. V. m. § 1 Abs. 1 GebOSt und dem Gebührentarif Nr. 252 der Anlage 1 zu § 1\nGebOSt. Die Gebühr Nr. 252 ist eine Rahmengebühr (21,50 Euro bis 200 Euro),\nderen Bemessung sich nach § 6 GebOSt i. V. m. § 9 Abs. 1 VwKostG richtet.\nDanach sind bei der Festsetzung der Gebühr im Einzelfall zu berücksichtigen\nerstens der mit der Amtshandlung verbundene Verwaltungsaufwand, soweit\nAufwendungen nicht als Auslagen gesondert berechnet werden, und zweitens die\nBedeutung, der wirtschaftliche Wert oder der sonstige Nutzen der Amtshandlung\nfür den Gebührenschuldner sowie dessen wirtschaftliche Verhältnisse. Bei\nbelastenden Maßnahmen darf die Behörde die Gebühr maßgeblich am\nVerwaltungsaufwand ausrichten.\n\n45\n\nVgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2007 - 8 B 2746/06 -, juris, Rn. 32, und\nvom 21. Dezember 2010 - 8 B 1626/10 -, juris, Rn. 17.\n\n46\n\nDie Bemessung der für die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage zu erhebenden\nVerwaltungsgebühr liegt, da es sich um eine Rahmengebühr handelt, im nur\neingeschränkt gerichtlich überprüfbaren Ermessen der Behörde. Dieses Ermessen\nkann die Behörde einzelfallbezogen oder - wofür hier nichts ersichtlich ist -\ntypisierend durch den Erlass von ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften\nausüben. In beiden Fällen hat das Gericht nur zu prüfen, ob das Ermessen\nüberhaupt ausgeübt worden ist, ob es dem Zweck der Ermächtigung entsprechend\nausgeübt worden ist und ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet\nsind (§ 114 Satz 1 VwGO).\n\n47\n\nVgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 8 B 1626/10 -, juris, Rn. 18.\n\n48\n\nEine Ausübung des Rahmenermessens ist immer dann notwendig, wenn - wie hier -\nnicht lediglich die Mindestgebühr festgesetzt wird.\n\n49\n\nVgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. März 2017 - 9 E 197/17 -, juris, Rn. 8, vom\n12. April 2017 - 9 B 384/17 -, juris, Rn. 7, und vom 12. April 2019 - 16 E\n322/18 -, juris, Rn. 4, jeweils m. w. N.\n\n50\n\nDie Gebühren erhebende Behörde hat dabei in Ausübung ihres Ermessens die vom\nGebührentatbestand erfassten Amtshandlungen innerhalb des vorgegebenen\nGebührenrahmens als einfache, mittlere oder aufwändige Fälle einzuordnen.\n\n51\n\nVgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. März 2017 - 9 E 197/17 -, juris, Rn. 10, und\nvom 12. April 2019 - 16 E 322/18 -, juris, Rn. 4.\n\n52\n\nAn einer diesen Anforderungen gerecht werdenden Ermessensausübung fehlt es\nvorliegend. Der Beklagte hat als „Gebühr-Nr. 252“ vielmehr lediglich den\nBetrag von 105 Euro festgesetzt („= 105,00 EUR“), ohne erkennbar zu machen,\ndass und mit welchen Erwägungen er von seinem Rahmenermessen Gebrauch macht.\nEs wird nicht einmal deutlich, dass der Beklagte überhaupt erkannt hat, dass\nes sich um eine Rahmengebühr handelt. Die festgesetzte Gebühr erweist sich\nangesichts dessen nach dem zuvor Gesagten als rechtswidrig, soweit sie über\ndie Mindestgebühr von 21,50 Euro hinausgeht.\n\n53\n\nVgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. März 2017 - 9 E 197/17 -, juris, Rn. 13, vom\n12. April 2017 - 9 B 384/17 -, juris, Rn. 9, und vom 12. April 2019 - 16 E\n322/18 -, juris, Rn. 3.\n\n54\n\n2\\. Die Festsetzung der entstandenen Auslagen in Höhe von 2,32 Euro ist\nhingegen nicht zu beanstanden.\n\n55\n\nSie beruht auf § 6a Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 StVG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1\nGebOSt. Nach dieser Vorschrift hat der Gebührenschuldner, soweit im\nGebührentarif nichts anderes bestimmt ist, Entgelte für Zustellungen durch die\nPost mit Zustellungsurkunde zu tragen. Rechtliche Bedenken sind insoweit weder\ngeltend gemacht noch sonst ersichtlich.\n\n56\n\nB. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO und\nberücksichtigt, dass der Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.\n\n57\n\nDie Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO\nin Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.\n\n
326,481
vg-dusseldorf-2020-02-21-6-k-148019
842
Verwaltungsgericht Düsseldorf
vg-dusseldorf
Düsseldorf
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
6 K 1480/19
2020-02-21
2020-03-11 11:00:57
2020-12-10 13:32:40
Urteil
ECLI:DE:VGD:2020:0221.6K1480.19.00
## Tenor\n\n**Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.**\n\n**Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die\nVollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht\nder Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.**\n\n \n1\n\n**Tatbestand:**\n\n2\n\nDer Kläger ist schwerbehindert. Mit Bescheid vom 28. September 2018 stellte\nder Beklagte fest, dass ab dem 00.0.2008 der Grad der Behinderung (GdB) des\nKlägers 100 beträgt und der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen des\nMerkzeichens G erfüllt. Der Bescheid beruht auf der gutachterlichen\nStellungnahme von Dr. med. U. vom 19. September 2018 (Beiakte Heft 2 Bl. 264).\nHierbei ergab sich das Folgende.\n\n3**Behinderung** | **Einzel-GdB** \n---|--- \nInsulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II | 30 \nPeriarthritis humeroscapularis rechts | 20 \nWirbelsäulensyndrom mit muskulärer Reizerscheinung | 10 \nAsthma bronchiale, obstruktive Lungenerkrankung | 30 \nPolyneuropathie, Krampfaderleiden, Durchblutungsstörungen der Beine, Ödembildung der Beine, Hüft- und Kniegelenksverschleiß | 20 \nAutoimmun-Thyroiditis | 10 \nErektile Dysfunktion | 10 \nHypertonus | 10 \nSchlafapnoesyndrom mit Notwendigkeit einer Überdruckbeatmung | 20 \nErschöpfungsdepression | 10 \nNierenfunktionsstörung | 100 \n4\n\nAm 16. Oktober 2018 stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf\nGewährung einer sog. Parkerleichterung („aG light“) nach § 46 Abs. 1 Nr. 11\nStVO. Die zuständige Abteilung Straßenverkehr beteiligte die für\nSchwerbehindertenangelegenheiten zuständige Abteilung. Diese teilte am 18.\nJanuar 2019 mit, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Erteilung einer\nParkerleichterung, wie sie sich aus den einschlägigen Erlassen ergäben, nicht\nerfülle.\n\n5\n\nMit Bescheid vom 5. Februar 2019 lehnte der Beklagte die Erteilung der\nParkerleichterung ab.\n\n6\n\nDer Kläger hat am 20. Februar 2019 Klage erhoben.\n\n7\n\nEr beruft sich in erster Linie auf sein Nierenleiden und seine\nDialysepflichtigkeit. Als Dialysepatient muss er mehrmals wöchentlich eine\nDialysepraxis aufsuchen. Er führt an, vor und nach der Dialyse geschwächt zu\nsein und sich nur mit Gehhilfen fortbewegen zu können.\n\n8\n\nDer Kläger beantragt sinngemäß,\n\n9\n\n**den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 20. Februar 2019 zu\nverpflichten, ihm die beantragte Parkerleichterung für Schwerbehinderte zu\nerteilen.**\n\n10\n\nDer Beklagte beantragt,\n\n11\n\n**die Klage abzuweisen.**\n\n12\n\n**Entscheidungsgründe**\n\n13\n\nDer Einzelrichter ist nach § 6 VwGO zur Entscheidung berufen. Er konnte mit\nEinverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 101\nAbs. 2 VwGO.\n\n14\n\nDie Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid des\nBeklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§\n113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil der Kläger weder Anspruch auf Erteilung der\nbeantragten Ausnahmegenehmigung noch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung\nbesitzt.\n\n15\n\n**1.** Als Rechtsgrundlage der begehrten Ausnahmegenehmigung kommt lediglich §\n46 Abs. 1 Nr. 11 StVO in Betracht. Danach können die Straßenverkehrsbehörden\nin bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller\nAusnahmen genehmigen von den Verboten und Beschränkungen, die durch\nVorschrift- und Richtzeichen, Verkehrseinrichtungen oder Anordnungen erlassen\nsind. Das in § 46 Abs. 1 Satz 1 StVO enthaltene Merkmal der Ausnahmesituation\nist nicht als eigenständige Tatbestandsvoraussetzung verselbständigt, sondern\nBestandteil der der Behörde obliegenden Ermessensentscheidung. Als\nErmessensentscheidung ist die Ablehnung der erstrebten Ausnahmegenehmigung\ngemäß § 114 VwGO nur einer eingeschränkten richterlichen Überprüfung\nzugänglich. Das Gericht prüft ausschließlich, ob die Behörde in Ausübung des\nihr eingeräumten Ermessens alle den Rechtsstreit kennzeichnenden Belange in\nihre Erwägung eingestellt hat, dabei von richtigen und vollständigen Tatsachen\nausgegangen ist, die Gewichtung dieser Belange der Sache angemessen erfolgt\nist und das Abwägungsergebnis zu vertreten ist, insbesondere nicht gegen\nhöherrangiges Recht verstößt.\n\n16\n\nVgl. OVG NRW, Urteil vom 23. August 2011 – 8 A 2247/10, juris, Rn. 24 ff.\nm.w.N.\n\n17\n\nDas Ermessen der Straßenverkehrsbehörde wird hinsichtlich der Erteilung einer\nbundesweit geltenden Parkerleichterung durch die Allgemeine\nVerwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO (VwV-StVO, BAnz 2009, S. 2050\nff.) gelenkt und gebunden. Die VwV-StVO enthält konkrete Vorgaben für die\nGewährung einer Parkerleichterung für Menschen mit Behinderung, denen das\nMerkzeichen "aG" (noch) nicht zuerkannt wurde. Hierzu gehört u.a., dass ihnen\ndie Merkzeichen G und B zuerkannt worden ist.\n\n18\n\nVgl. OVG NRW, Urteil vom 23. August 2011 - 8 A 2247/10 -, juris, Rdnr. 27.\n\n19\n\nNur in Nordrhein-Westfalen geltende Parkerleichterungen können nach dem Erlass\ndes für Verkehr zuständigen Landesministeriums vom 20. November 2015 – III B 3\n– 78-12/6 erteilt werden, wenn – unter ansonsten gleichlautenden\nVoraussetzungen – dem Schwerbehinderten nur das Merkzeichen G zuerkannt worden\nist.\n\n20\n\nSoweit es für die Entscheidung über die Ausnahmegenehmigung auf die\nFeststellung des (Gesamt-)Grades der Behinderung oder das Vorliegen bzw.\nNichtvorliegen von Merkzeichen ankommt, sind die Straßenverkehrsbehörden an\ndie Feststellungen der für Aufgaben des Schwerbehindertenrechts zuständigen\nBehörden (in Nordrhein-Westfalen die Kreise und kreisfreien Städte) gebunden.\nDas ergibt sich hier aus § 152 SGB IX. Danach dient der\nSchwerbehindertenausweis dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen\nund sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen zustehen. Sinn und Zweck\ndieser Regelung ist es, über das Vorliegen und den Grad der Behinderung sowie\nüber das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale in einem einheitlichen\nVerfahren zu entscheiden und durch die Ausstellung des\nSchwerbehindertenausweises sicherzustellen, dass der behinderte Mensch\ngegenüber jedermann die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Rechten\nund Vergünstigungen nachweisen kann.\n\n21\n\nBindungswirkung kommt dabei nicht nur den im Schwerbehindertenausweis\ndokumentierten positiven Feststellungen über gesundheitliche Merkmale im Sinne\ndes § 152 Abs. 4 SGB IX zu, sondern auch den negativen Feststellungen, dass\nsolche Merkmale nicht vorliegen.\n\n22\n\nEine über die Feststellungen des Schwerbehindertenausweises hinausgehende\nBindungswirkung besteht hingegen nicht. Die Straßenverkehrsbehörden sind\ninsbesondere nicht an die Stellungnahmen der Sozialbehörden gebunden, die\ndiese im Wege der Amtshilfe nach Aktenlage abgeben. Die Bindungswirkung des §\n152 SGB IX bezieht sich allein auf die in den Schwerbehindertenausweis\neinzutragenden Feststellungen, also das Vorliegen einer Behinderung und den\n(Gesamt-)Grad der Behinderung sowie die weiteren gesundheitlichen Merkmale,\nnicht auch auf sonstige Stellungnahmen der Sozialverwaltung zum Vorliegen\nbestimmter Krankheiten oder Funktionsbeeinträchtigungen.\n\n23\n\nEine Bindung an versorgungsbehördliche Stellungnahmen ergibt sich auch nicht\naus der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO.\n\n24\n\nVgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2018 – 8 A 2763/17, juris\nund Urteil vom 23. August 2011 – 8 A 2247/10, NWVBl. 2012, 117 = juris Rn. 80\nff.\n\n25\n\n**2.** Die von dem Beklagten getroffene Entscheidung ist ermessensfehlerfrei\nergangen. Der Kläger zählt nicht zu dem Personenkreis, der in der VwV-StVO zu\n§ 46 Abs. 1 Nr. 11 genannt ist (a). Atypische Besonderheiten, die ein\nAbweichen von den in der Verwaltungsvorschrift genannten Fallgruppen\nrechtfertigen könnten, liegen ebenfalls nicht vor (b).\n\n26\n\na) Zum Kreis der schwerbehinderten Personen, die regelmäßig für\nParkerleichterungen in Betracht kommen, gehören gemäß Nr. II der VwV-StVO zu §\n46 Abs. 1 Nr. 11 neben schwerbehinderten Menschen mit außergewöhnlicher\nGehbehinderung (Nr. II.1 und 2) und blinden Menschen (Nr. II.3a) auch\nschwerbehinderte Menschen mit beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder mit\nvergleichbaren Funktionseinschränkungen (Nr. II.3b), schwerbehinderte Menschen\nmit den Merkzeichen G und B und einem Grad der Behinderung von wenigstens 80\nallein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der\nLendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) (Nr.\nII.3c), schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem Grad\nder Behinderung von wenigstens 70 allein für Funktionsstörungen an den unteren\nGliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen\nauswirken) und gleichzeitig einem Grad der Behinderung von wenigstens 50 für\nFunktionsstörungen des Herzens oder der Atmungsorgane (Nr. II.3d),\nschwerbehinderte Menschen, die an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkrankt\nsind, wenn hierfür ein Grad der Behinderung von wenigstens 60 vorliegt (Nr.\nII.3e) sowie schwerbehinderte Menschen mit künstlichem Darmausgang und\nzugleich künstlicher Harnableitung, wenn hierfür ein Grad der Behinderung von\nwenigstens 70 vorliegt (Nr. II.3f).\n\n27\n\nDie Definition für den Personenkreis, dem das Merkzeichen "aG"\n(außergewöhnliche Gehbehinderung i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG i.V.m. § 45\nAbs. 1b Nr. 2 StVO) zuzuerkennen ist, ergibt sich aus der VwV-StVO zu § 46\nAbs. 1 Nr. 11, Nr. II.1, sowie gleichlautend aus Teil D Nr. 3 der Anlage zu §\n2 der Versorgungsmedizin-Verordnung. Als schwerbehinderte Menschen mit\naußergewöhnlicher Gehbehinderung sind demnach solche Personen anzusehen, die\nsich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur\nmit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu\nzählen Querschnittgelähmte, doppeloberschenkelamputierte,\ndoppelunterschenkelamputierte, hüftexartikulierte und einseitig\noberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein\nzu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich\nunterschenkel- und armamputiert sind sowie andere schwerbehinderte Menschen,\ndie nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen,\ndem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.\n\n28\n\nDas Merkzeichen "G" erhält gemäß [§ 229 Abs. 1 SGB\nIX](http://www.juris.de/jportal/portal/t/1f4f/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&${__hash__}38;showdoccase=1&${__hash__}38;js_peid=Trefferliste&${__hash__}38;documentnumber=1&${__hash__}38;numberofresults=3&${__hash__}38;fromdoctodoc=yes&${__hash__}38;doc.id=BJNR104700001BJNE014601308&${__hash__}38;doc.part=S&${__hash__}38;doc.price=0.0${__hash__}focuspoint),\nwer in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt\nist, d.h. wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere\nLeiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der\nOrientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne\nGefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag,\ndie üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke\nin diesem Sinne gilt gemäß Teil D Nr. 1 der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-\nVerordnung eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben\nStunde zurückgelegt wird.\n\n29\n\nZur Mitnahme einer Begleitperson – nachzuweisen durch das Merkzeichen "B" –\nsind gemäß [§ 229 Abs. 2 Satz 1 SGB\nIX](http://www.juris.de/jportal/portal/t/1f4f/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&${__hash__}38;showdoccase=1&${__hash__}38;js_peid=Trefferliste&${__hash__}38;documentnumber=1&${__hash__}38;numberofresults=3&${__hash__}38;fromdoctodoc=yes&${__hash__}38;doc.id=BJNR104700001BJNE014601308&${__hash__}38;doc.part=S&${__hash__}38;doc.price=0.0${__hash__}focuspoint)\nschwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen\nVerkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen\nsind. Nach Teil D Nr. 2 der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung wird\ndas Merkzeichen "B" erteilt, wenn schwerbehinderte Menschen, bei denen die\nVoraussetzungen für die Merkzeichen "G", "Gl" (Gehörlosigkeit im Sinne des\nTeil D Nr. 4 der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung) oder "H"\n(Hilflosigkeit im Sinne von § 33b Abs. 6 EStG) vorliegen, bei der Benutzung\nöffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und\nAussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sind oder\nwenn Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z.B. bei Sehbehinderung,\ngeistiger Behinderung) erforderlich sind. Die Berechtigung für eine ständige\nBegleitung ist anzunehmen bei Querschnittgelähmten, Ohnhändern, Blinden und\nSehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und\nAnfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der\nBewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist.\n\n30\n\nFür den von Nr. II.3c) und d) erfassten Personenkreis hat die Gruppe der\nQuerschnittgelähmten, Ohnhänder und Blinden keine eigenständige Bedeutung, da\ndiese Behinderungen bereits durch Nr. II.1 und Nr. II.3a) und b) der VwV-StVO\nzu § 46 Abs. 1 Nr. 11 erfasst werden; von Relevanz ist insofern die Gruppe der\nSehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und\nAnfallskranken.\n\n31\n\nErfasst sind demnach zwei Personenkreise. Gehbehinderungen ohne Hinzutreten\nweiterer Leiden reichen nach der Konzeption des Erlassgebers erst dann für die\nBewilligung von Parkerleichterungen aus, wenn die Schwelle für die Zuerkennung\ndes Merkzeichens "aG" überschritten ist. Ist eine Gehbehinderung nicht derart\nschwerwiegend, so wird die Bewilligung von Parkerleichterungen an das\nVorliegen weiterer gesundheitlicher Beeinträchtigungen – nämlich von\nSehbehinderungen, Hörbehinderungen, geistigen Behinderungen oder\nAnfallskrankheiten – geknüpft, die die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr\nerheblich beeinträchtigen. Diese abgestufte Regelung, nach der Gehbehinderten\nnur unter sehr engen Voraussetzungen eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird,\nist nicht zu beanstanden. Es entspricht dem Sinn und Zweck der\nAusnahmegenehmigung nach § 46 StVO, eine solche nur bei besonderer\nDringlichkeit unter strengen Anforderungen an den Nachweis der\nAusnahmevoraussetzungen zu erteilen.\n\n32\n\nBewusst vom anspruchsberechtigten Personenkreis der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1\nNr. 11 ausgenommen sind dagegen andere gehbehinderte Menschen, insbesondere\nsolche, denen nach der früher in Nordrhein-Westfalen geltenden Erlasslage eine\nAusnahmegenehmigung erteilt werden konnte, weil sie das Merkmal "aG" knapp\nverfehlt haben.\n\n33\n\nVgl. OVG NRW, Urteil vom 23. August 2011 - 8 A 2247/10 -, juris, Rdnr. 60 ff.\n\n34\n\nAusgehend hiervon gehört der Kläger nicht zu dem anspruchsberechtigten\nPersonenkreis. In seinem Schwerbehindertenausweis ist nicht, wie nach Nummern\nII.1 und 2 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 erforderlich, das Merkzeichen „aG“\neingetragen.\n\n35\n\nDer Kläger verfehlt von vornherein die Voraussetzungen für eine bundesweit\ngültige Parkerleichterung, weil ihm lediglich das Merkzeichen "G", nicht aber\ndas Merkzeichen "B" zuerkannt worden ist.\n\n36\n\nAuch die Voraussetzungen der Nummern II.3c) und 3d) der VwV-StVO zu § 46 Abs.\n1 Nr. 11 i. V. m. mit dem Erlass vom 10. November 2015 für eine lediglich in\nNordrhein-Westfalen gültige Parkerleichterung, wonach neben der Zuerkennung\ndes Merkzeichens „G“ ein Mindestgrad der Behinderung für einzelne\nFunktionsstörungen hinzukommen muss, sind nicht erfüllt.\n\n37\n\nDer Kläger ist zwar ein schwerbehinderter Mensch, dem das Merkzeichen G sowie\nein Grad der Behinderung (GdB) von 100 zuerkannt sind. Das genügt aber noch\nnicht. Denn allein für die Funktionseinschränkungen an den unteren Gliedmaßen\nund der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken,\nist ihm nur ein Grad von 20 – statt der nötigen 80 oder 70 mit\nZusatzbehinderungen – zuerkannt.\n\n38\n\nVerfahrensfehler sind nicht festzustellen. Der Beklagte hat insbesondere den\nerforderlichen (sozial-)ärztlichen Rat eingeholt.\n\n39\n\nAnhaltspunkte dafür, dass die gutachtliche Stellungnahmen offensichtlich auf\neiner unvollständigen Erfassung der vorhandenen Aktenlage oder aber einer\nwillkürlichen und deshalb nicht mehr nachzuvollziehenden Bewertung derselben\nberuhen und daher Anlass zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung außerhalb\nder besonders sach- und fachkundigen Versorgungsverwaltung geben könnte,\nliegen hier nicht vor.\n\n40\n\nb) Es bestehen beim Kläger auch ansonsten keine atypischen Besonderheiten, die\nein Abweichen von den Fallgruppen der Verwaltungsvorschrift rechtfertigen\nkönnten.\n\n41\n\nZwar regelt die VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 den Personenkreis, der für\nAusnahmegenehmigungen in Betracht kommt, nicht abschließend. Ermessenslenkende\nVerwaltungsvorschriften hindern die Behörde nämlich nicht generell, ihr\nErmessen in begründeten anders gelagerten Fällen abweichend auszuüben. Durch\nderartige Verwaltungsvorschriften wird vielmehr das gesetzlich eingeräumte\nErmessen abstrakt wahrgenommen und der Behörde zur Einzelfallentscheidung eine\nOrientierung gegeben. Es entspricht jedoch dem Sinn und Zweck einer\nErmessensermächtigung, dass die Ermessensausübung nicht nach einem starren\nSchema erfolgt.\n\n42\n\nVgl. [BVerwG, Beschluss vom 27. Dezember 1990 – 1 B\n162.90](http://www.juris.testa-\nde.net/jportal/portal/t/ysp/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&${__hash__}38;showdoccase=1&${__hash__}38;js_peid=Trefferliste&${__hash__}38;documentnumber=1&${__hash__}38;numberofresults=1&${__hash__}38;fromdoctodoc=yes&${__hash__}38;doc.id=WBRE310379503&${__hash__}38;doc.part=K&${__hash__}38;doc.price=0.0${__hash__}focuspoint)\n–, juris Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 13. März 2006 - 8 A 2345/05 -.\n\n43\n\nInsbesondere wenn sich ein Antragsteller auf eine nicht von den Fallgruppen\nder VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 erfasste Behinderung beruft, hat die\nStraßenverkehrsbehörde den ihr durch das Ermessen eingeräumten\nEntscheidungsspielraum wahrzunehmen; sie hat in besonders gelagerten\natypischen Fällen, die nicht in genereller Weise durch die\nVerwaltungsvorschriften vorentschieden sind, die ihr vom Gesetzgeber\naufgegebene Bewertung des Sachverhalts im Rahmen einer Einzelfallwürdigung\nvorzunehmen. Dazu gehört die Feststellung, ob sonstige besondere Umstände\nvorliegen, die bei einem wertenden Vergleich mit den in der\nVerwaltungsvorschrift angeführten Fallgruppen eine vergleichbare Entscheidung\nrechtfertigen. Es sind Fallgestaltungen möglich, die von den aufgezählten\nFallgruppen nicht erfasst werden und in denen physische oder auch psychische\nBeeinträchtigungen vorliegen, die in ihren Auswirkungen mit den von der\nVerwaltungsvorschrift erfassten Krankheiten und Behinderungen zu vergleichen\nsind\n\n44\n\nVgl. OVG NRW, Urteil vom 23. August 2011 – 8 A 2247/10, juris, Rn.. 60 ff, und\nBeschluss vom 13. März 2006 – 8 A 2345/05 –; Kammerurteil vom 24. März 2011 –\n6 K 3031/10,. juris.\n\n45\n\nIn diesen Fällen besteht keine Bindung an die in der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1\nNr. 11 genannten Fallgruppen, sondern die Straßenverkehrsbehörde muss eine auf\ndie konkreten Umstände des Einzelfalles bezogene Prüfung vornehmen, ob eine\nAusnahmegenehmigung erteilt werden kann.\n\n46\n\nAusgehend hiervon war der Beklagte in seiner Funktion als\nStraßenverkehrsbehörde nicht zu einer weitergehenden Prüfung der Leiden des\nKlägers gehalten. Die Behinderungen des Klägers betreffen in erster Linie\nEinschränkungen seines Allgemeinzustandes (Dialyse), die sich auch in der\nGehfähigkeit nach Dialyse niederschlagen. Diese Art der Beeinträchtigung ist\nvon der Verwaltungsvorschrift zwar nicht in einer einschlägigen Regelung\nerfasst. Sie begründet aber auch keinen Ausnahmefall.\n\n47\n\nDenn der Transport zur und von der Dialyse gehört zu den Leistungen, die die\ngesetzliche Krankenversicherung bezahlt (Krankenfahrt). Nach § 8 Abs. 2 i.V.m.\nAnlage II der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung\nvon Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92\nAbs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB V (Krankentransportrichtlinie) gehören\nDialysebehandlungen zur den Regelindikationen für Krankenfahrten.\n\n48\n\nSonstige Gründe, welche die gesundheitlichen Beeinträchtigungen als so\naußergewöhnlich erscheinen lassen, dass der Beklagte dem Kläger ausnahmsweise\neine Parkerleichterung erteilen müsste, sind weder vorgetragen noch sonst\nersichtlich.\n\n49\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die\nvorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711\nZPO.\n\n50\n\n**Rechtsmittelbelehrung:**\n\n51\n\nGegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des\nvollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39,\n40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die\nZulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene\nUrteil bezeichnen.\n\n52\n\nDer Antrag kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO\nund der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen\nRechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach\n(Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingereicht werden.\n\n53\n\nInnerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die\nGründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.\n\n54\n\nDie Berufung ist nur zuzulassen,\n\n55\n\n1\\. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,\n\n56\n\n2\\. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche\nSchwierigkeiten aufweist,\n\n57\n\n3\\. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,\n\n58\n\n4\\. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das\nLand Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen\nSenats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts\nabweicht und auf dieser Abweichung beruht oder\n\n59\n\n5\\. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender\nVerfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung\nberuhen kann.\n\n60\n\nDie Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden\nist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen\n(Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster)\nschriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und\nder ERVV einzureichen.\n\n61\n\nÜber den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-\nWestfalen.\n\n62\n\nIm Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten\ndurch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für\nProzesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten\nkönnen sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer\nstaatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der\nEuropäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den\neuropäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum\nRichteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die\nzusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen\ndes öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer\nöffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67\nAbs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum\nRechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2\nSatz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den\ndort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.\n\n63\n\nDie Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst\n1-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument\nbedarf es keiner Abschriften.\n\n64\n\n**Beschluss**\n\n65\n\n**Der Streitwert wird auf 500,- Euro festgesetzt.**\n\n66\n\n**Gründe:**\n\n67\n\nDie Streitwertsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Die Bedeutung der Sache ist\nnach der ständigen Rechtsprechung des in Streitwertfragen abschließend\nentscheidenden 8. Senats des OVG NRW mit 500,- EUR ausreichend bewertet.\n\n68\n\nVgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 21. Dezember 2018 – 8 A 2763/17, juris, und vom\n18. Januar 2011 – 8 E 23/11, NVwZ-RR 2011, 423.\n\n69\n\n**Rechtsmittelbelehrung:**\n\n70\n\nGegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des\nUrkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf\n(Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf)\nBeschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land\nNordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.\n\n71\n\nDie Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a\nVwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des\nelektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische\nBehördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu\nProtokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung\ngilt entsprechend.\n\n72\n\nDie Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten\neingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt\noder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später\nals einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch\ninnerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des\nFestsetzungsbeschlusses eingelegt werden.\n\n73\n\nDie Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes\n200,-- Euro nicht übersteigt.\n\n74\n\nDie Beschwerdeschrift soll möglichst 1-fach eingereicht werden. Im Fall der\nEinreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.\n\n75\n\nWar der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist\neinzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu\nentscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er\ndie Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses\neinlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft\nmacht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist\nangerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.\n\n
327,714
ovgsl-2020-04-29-2-b-13920
938
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes
ovgsl
Saarland
Verwaltungsgerichtsbarkeit
2 B 139/20
2020-04-29
2020-05-05 10:01:35
2020-12-10 13:33:07
Beschluss
## Tenor\n\nDer durch Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 22. April 2020\n– 6 L 351/20 – an das Oberverwaltungsgericht verwiesene Antrag wird verworfen.\n\nDie Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.\n\nDer Streitwert wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.\n\n## Gründe\n\n**I.**\n\nDer Antragsteller wendet sich gegen die im Zuge der sogenannten „Corona-Krise“\ndurch Rechtsverordnung des Antragsgegners vom 30.3.2020, zuletzt geändert\ndurch die Verordnung vom 16.4.2020, verfügten grundrechtsbeschränkenden\nMaßnahmen „zur Bekämpfung der Corona-Pandemie“ im Saarland (im Weiteren: CPV).\nDiese zu deren Eindämmung beziehungsweise zu einer Verlangsamung des durch das\nneuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 hervorgerufenen Infektionsgeschehens der auf\nder Grundlage der §§ 32, 28 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)(vgl. das\nGesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen\n(Infektionsschutzgesetz) vom 20.7.2000, zuletzt geändert durch das Gesetz vom\n27.3.2020, BGBl. I Seiten 587 ff.) ergangene Verordnung normiert unter anderem\nin § 1 CPV den Grundsatz der Reduzierung der physischen und „sozialen“\nKontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Haushalts\n„auf ein absolut nötiges Minimum“. Der § 2 CPV enthält ferner eine\nEinschränkung des Aufenthalts im öffentlichen Raum (§ 2 Abs. 1 CPV), verbietet\nunter anderem „Versammlungen und Ansammlungen“ (§ 2 Abs. 2 CPV) und erlaubt\nein „Verlassen der eigenen Wohnung“ nur bei Vorliegen „triftiger Gründe“ (§ 2\nAbs. 3 CPV). Gemäß dem § 14 Abs. 1 und 2 CPV können vorsätzliche oder\nfahrlässige Verstöße gegen die einzelnen Ge- oder Verbote der §§ 2 bis 13 CPV\nals Ordnungswidrigkeit mit Geldbußen bis zu 25.000,- EUR geahndet werden.\n\nMit Eingang beim Verwaltungsgericht am 31.3.2020 hat der Antragsteller eine\nausdrücklich als „Verfassungsbeschwerde“ bezeichnete „Beschwerde gegen die\nverlängerte Ausgangsbeschränkung“ erhoben. Er hat geltend gemacht, der „Bezug“\nauf das Infektionsschutzgesetz sei als unzureichend abzulehnen, da dieses\n„explizit für Kommunen und Einzelpersonen festgelegt“ worden sei, nicht aber\nfür die Bundesländer. Auch falle das Corona Virus nicht unter einzelne\nVorschriften des Gesetzes. Gleichzeitig müsse die Ausgangsbeschränkung\nunmittelbar nach Sicherstellung der Sicherheit durch unmittelbare\nSofortmaßnahmen aufgehoben werden. Diese Amtshandlung sei ein grober Verstoß\ngegen das Grundgesetz und die dort verankerten Freiheitsrechte des Einzelnen.\nDer Antragsgegner mache pauschal Straftaten daraus, ohne die Bedeutung des\nUnterschieds zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit zu würdigen. Verstöße\ngegen das Infektionsschutzgesetz seien allenfalls als Ordnungswidrigkeiten zu\nbetrachten.\n\nDer Antragsteller hat wörtlich beantragt,\n\n> > „ _1\\. Die Ausgangsbeschränkung ist verfassungswidrig._ \n> _2\\. Die Ausgangsbeschränkung ist sofort aufzuheben._ \n> _3\\. Gestellte Bußgeldbescheide sind zurückzunehmen.“_\n\nFür den Fall, dass das Gericht feststellen sollte, dass wider Erwarten eine\nkurzfristige Ausgangsbeschränkung durchaus legitim sein sollte, hat der der\nAntragsteller um folgende Feststellungen gebeten:\n\n> > _„1. Die Ausgangsbeschränkung darf eine Frist von insgesamt zwei Wochen\n> nicht überschreiten._ \n> _2\\. Im Notfall sollte eine Fristverlängerung von maximal einer weiteren\n> Woche gestattet sein._ \n> _3\\. Die Landesregierung muss aufzeigen, wie der Wunsch nach\n> gesundheitlicher Sicherheit und der Freiheit des Einzelnen miteinander zu\n> verknüpfen sind.“_\n\nDer Antragsgegner hat zur Sache Stellung genommen und die Zurückweisung des\nAntrags beantragt.\n\nNach einer unter dem 8.4.2020 erfolgten Anhörung, auf die der Antragsteller\nnicht reagiert hat, hat das Verwaltungsgericht den Rechtsbehelf als Antrag auf\nverwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz gegen die Verordnung zur Bekämpfung\nder Corona-Pandemie angesehen und die Sache zur Entscheidung an das\nOberverwaltungsgericht des Saarlandes verwiesen.\n\n**II.**\n\nDa sich die von dem Antragsteller beanstandeten Beschränkungen aus einer\nRechtsverordnung der Landesregierung ergeben, war das Rubrum auf der\nPassivseite wie geschehen zu korrigieren.\n\nDer Antrag muss erfolglos bleiben. Nach den im Beschluss des\nVerwaltungsgerichts genannten Bestimmungen in den §§ 47 Abs. 6 VwGO, 18 AGVwGO\nkann das Oberverwaltungsgericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine\neinstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr „schwerer Nachteile“ für\nden Antragsteller oder „aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten“ ist.\n\nOb diese Voraussetzungen vorliegen, muss hier nicht abschließend entschieden\nwerden. Nach dem § 67 Abs. 4 VwGO müssen sich Beteiligte vor dem\nOberverwaltungsgericht durch einen Rechtsanwalt oder durch eine sonstige nach\nMaßgabe des § 67 VwGO zur Vertretung berechtigte Person vertreten lassen. Das\ngilt bereits für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem\nOberverwaltungsgericht eingeleitet wird (vgl. § 67 Abs. 4 VwGO). Darauf hatte\nbereits das Verwaltungsgericht den Antragsteller in dem Anhörungsschreiben vom\n8.4.2020 ausdrücklich hingewiesen worden.\n\nDarauf wie auch auf die Anfrage des Senats vom 23.4.2020 hat der Antragsteller\nnicht reagiert. Da die nachträgliche Bestellung eines nach § 67 VwGO\nvertretungsberechtigten Bevollmächtigten trotz Hinweises auf die sich aus der\nSache ergebende besondere Dringlichkeit nicht erfolgt ist, ist der Antrag\nbereits unzulässig und zu verwerfen.\n\nDies gilt desungeachtet, soweit sich der Antragsteller gegen nicht näher\nbezeichnete „Bußgeldbescheide“ wendet. Ein solcher Antrag ist von vorneherein\nunstatthaft. Rechtsvorschriften rein ordnungswidrigkeitsrechtlichen Inhalts –\nwie hier § 14 CPV – können keiner Normenkontrolle im Verwaltungsrechtsweg\ngemäß § 47 Abs. 1 VwGO unterworfen werden und deshalb auch nicht Gegenstand\neiner einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO sein.(vgl. etwa BVerwG,\nBeschluss vom 27.7.1995 – 7 NB 1.95 –, DÖV 1996, 205) Gegen darauf gestützte\nBußgeldbescheide der Verwaltungsbehörden können allein die ordentlichen\nGerichte angerufen werden (§ 68 OWiG).\n\n**III.**\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 1 VwGO. Die\nStreitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr.\n2, 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an der Festsetzung in vergleichbaren\nRechtsschutzbegehren (vgl. den Beschluss des Senats vom 1.4.2020 – 2 C 108/20\n–). Da der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielt, ist\ndie Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage\nvon Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht\nangebracht.\n\nDer Beschluss ist nicht anfechtbar.\n\n
327,784
olgrost-2020-04-17-20-olgausl-620
483
Oberlandesgericht Rostock
olgrost
Mecklenburg-Vorpommern
Oberlandesgericht
20 OLGAusl 6/20
2020-04-17
2020-05-07 10:00:44
2020-12-10 13:33:18
Beschluss
#### Tenor\n\n \n\n \n\nDie gegen den Verfolgten am 12.03.2020 angeordnete vorläufige\nAuslieferungshaft dauert als Auslieferungshaft fort.\n\n#### Gründe\n\n \n\n \n\n**I.**\n\n1\n\n \n\nDer Senat hat mit Auslieferungshaftbefehl vom 12.03.2020, auf dessen Gründe\nBezug genommen wird, die vorläufige Auslieferungshaft gegen den am 10.03.2020\nin dieser Sache in Rostock festgenommen Verfolgten angeordnet, die seither in\nder Justizvollzugsanstalt Bützow vollzogen wird. Diese dient der Sicherung der\nAuslieferung des Verfolgten in die Republik Aserbaidschan zur Strafverfolgung\nwegen der ihm mit Haftbefehl des Bezirksgerichts Nasimi der Stadt\nBaku/Aserbaidschan vom 21.05.2019 - 4 (006)-284/2019 - zur Last gelegten\nStraftaten des ungesetzlichen Übertritts der staatlichen Grenzen der Republik\nAserbaidschan und der Verfälschung, ungesetzlichen Vorbereitung, des Verkaufs\noffizieller Dokumente, Siegel, Stempel, Formulare oder Benutzung von\nverfälschten Dokumenten.\n\n2\n\n \n\nDas Auslieferungsersuchen des Justizministeriums der Republik Aserbaidschan\nvom 19.03.2020 und die Auslieferungsunterlagen nebst Übersetzungen sind am\n09.04.2020 beim Auswärtigen Amt in Berlin eingegangen. Dies wurde durch das\nAuswärtige Amt mit E-Mail vom 16.04.2020 bestätigt. Auf die Kopien (Bd. II Bl.\n26 ff. d.A.) wird Bezug genommen.\n\n3\n\n \n\nDem Verfolgten wird von den aserbaidschanischen Behörden vorgeworfen, Ende\n2018 in Izmir/Türkei den auf den griechischen Staatsangehörigen ...\nausgestellten Reisepass mit der Nummer AN 3712805 für 3.000 USD an den\nPalästinenser ... verkauft zu haben, nachdem er in den Reisepass ein Foto des\n... eingeklebt habe, um für ihn Asyl in anderen Staaten als politischer\nFlüchtling zu organisieren, obwohl dafür keine Grundlage besteht. Der\nVerfolgte habe ihn angewiesen, die Grenze illegal zu überschreiten und sei mit\nihm am 30.12.2018 auf dem Luftweg mit Flug 076 von der Türkei nach\nAserbaidschan am internationalen Flughafen in Baku eingereist, wo ... sich bei\nder Grenzkontrolle unter Vorlage des gefälschten Reisepasses als ...\nauszugeben versucht habe und deshalb von den Grenzbeamten festgenommen worden\nsei. Der Verfolgte habe angegeben, dass er ... nicht kenne, und sei am\n31.12.2018 nach Istanbul/Türkei zurückgeflogen (Bl. 37, 41 d.A.).\n\n4\n\n \n\nDer Verfolgte hat sich bei seiner Anhörung gemäß § 22 IRG vor der\nErmittlungsrichterin des Amtsgerichts Rostock am 11.03.2020 mit seiner\nvereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt, auf die Beachtung des\nGrundsatzes der Spezialität aber nicht verzichtet.\n\n5\n\n \n\nEine Vernehmung des Verfolgten gemäß § 28 IRG kam wegen des bevorstehenden\nAblaufs der 40-Tage-Frist des Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk vor der\nFortdauerentscheidung nach § 16 Abs. 3 IRG nicht mehr in Betracht.\n\n \n\n**II.**\n\n6\n\n \n\nNach dem Eingang der Auslieferungsunterlagen war gemäß § 16 Abs. 3 IRG über\ndie Fortdauer der Haft zu entscheiden. Diese hat als Auslieferungshaft\nfortzudauern.\n\n7\n\n \n\n**1.** Die Auslieferung des Verfolgten wegen der ihm vorgeworfenen Tat\nerscheint weiterhin nicht als von vornherein unzulässig, § 15 Abs. 1 IRG.\n\n8\n\n \n\nDer Auslieferungsverkehr findet nach dem Europäischen\nAuslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) in Verbindung mit\ndem Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 und dem Dritten Zusatzprotokoll\nvom 10.11.2010 zu dem vorbezeichneten Übereinkommen statt.\n\n9\n\n \n\nDie Botschaft der Republik Aserbaidschan hat mit Verbalnote vom 06.04.2020 -\n69/6-7/20 - (Bd. II Bl. 26 d.A.) die nach Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk\nerforderlichen Auslieferungsunterlagen auf dem dafür vorgesehenen Geschäftsweg\nübersandt. Diese sind am 09.04.2020 beim Auswärtigen Amt in Berlin, mithin vor\nAblauf der 40-Tage-Frist des Art. 16 Abs. 4 EuAlÜBk, als der zur Entgegennahme\nzuständigen Stelle eingegangen (Bd. II Bl. 22 ff. d.A.), und von dort per\nE-Mail zu den Akten gereicht worden.\n\n10\n\n \n\nDem Auslieferungsersuchen ist der Haftbefehl des Bezirksgerichts Nasimi der\nStadt Baku/ Aserbaidschan vom 21.05.2019 - 4(006) - 284/2019 - (Bd. II Bl. 45\nf. d.A.; Übersetzung - Bd. II Bl. 40 ff. d.A.) wegen ungesetzlichen Übertritts\nder staatlichen Grenzen der Republik Aserbaidschan und der Verfälschung,\nungesetzlichen Vorbereitung, des Verkaufs offizieller Dokumente, Siegel,\nStempel, Formulare oder Benutzung von verfälschten Dokumenten beigefügt.\n\n11\n\n \n\nDass die der Verbalnote vom 06.04.2020 beigefügten Unterlagen lediglich in\nAusdrucken der in elektronischer Form übermittelten, eingescannten\nOriginaldokumente bestehen, während sich die Originale offenbar noch auf dem\nPostwege befinden, ist für die jetzt anstehende Senatsentscheidung\nunschädlich. Denn Telekopien (Fax) oder - wie hier - eingescannte Dokumente\nmit Reproduktionen der Originalunterschriften bzw. Beglaubigungsvermerke\nindizieren die Übereinstimmung mit den Originalunterlagen bzw. deren\nAuthentizität; durch sie wird das förmliche Auslieferungsersuchen und die es\ntragenden Urkunden in einer für die Haftentscheidung unter Berücksichtigung\nvon Haftzweck und diesbezüglichen Prüfungserfordernissen hinreichenden Weise\ndokumentiert. Den Anforderungen des Art. 12 Abs. 2 Buchst. a) EuAlÜbk ist\nentsprochen, wenn später die Originalunterlagen als Grundlage für die\nabschließende Zulässigkeitsentscheidung dem Senat vorliegen (vgl. dazu OLG\nKarlsruhe NJW 1996, 3426; Schomburg/Lagodny/Riegel/Trautmann, Internationale\nRechtshilfe in Strafsachen, 6. Auflage, EuAlÜbk Art.12 Rn. 6).\n\n12\n\n \n\nZwar fehlen dem übermittelten Ersuchen - ersichtlich durch ein Versehen beim\nAblichten - die Seiten 2 und 4 des Haftbefehls in aserbaidschanischer Sprache.\nDies erachtet der Senat indes als unschädlich, denn die für die Prüfung des\nSenats in erster Linie relevante beglaubigte Übersetzung des Haftbefehls ist\nvollständig. Zudem ergibt der Abgleich der vorab übermittelten Unterlagen mit\nden auf dem diplomatischen Weg zugesandten Teilen des Haftbefehls dessen\nAuthentizität.\n\n13\n\n \n\nDie erforderliche Darstellung der Handlungen, derentwegen um Auslieferung\nersucht wird, einschließlich Zeit und Ort ihrer Begehung sowie ihre rechtliche\nWürdigung unter Bezugnahme auf die anwendbaren Gesetzesbestimmungen ergibt\nsich aus dem Haftbefehl vom 21.05.2019 sowie den dem Ersuchen beigefügten\nBeschlüssen vom 01.01.2019 (Bd. II Bl. 33; Übersetzung - Bd. II Bl. 32 d.A.)\nund 08.04.2019 (Bd. II Bl. 36 d.A.; Übersetzung - Bd. II Bl. 37 f. d.A.). Eine\nAbschrift der anwendbaren Gesetzesbestimmungen (Bd. II Bl. 49 f. d.A.;\nÜbersetzung - Bd. II Bl. 47 f. d.A.) liegt ebenfalls vor. Auch die zur\nFeststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Verfolgten\nerforderlichen Angaben sind in dem Ersuchen und dessen Anlagen enthalten.\n\n14\n\n \n\nDie Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten ergibt\nsich aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EuAlÜbk in Verbindung mit den Artikeln 318.2 und\n320.1 des aserbaidschanischen Strafgesetzbuches einerseits, die eine\nFreiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorsehen, und nach sinngemäßer\nUmstellung des Sachverhalts als versuchtes Einschleusen von Ausländern gemäß §\n96 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3, § 95 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 des\nAufenthaltsgesetzes (AufenthG) i.V.m. §§ 22, 23 StGB und als Urkundenfälschung\ngemäß § 267 Abs. 1 StGB andererseits.\n\n15\n\n \n\nEin Bewilligungshindernis gemäß Art. 10 EuAlÜbk besteht nicht, weil\nVerfolgungsverjährung weder nach aserbaidschanischem noch nach deutschem Recht\neingetreten ist.\n\n16\n\n \n\nAnhaltspunkte für eine politische strafbare Handlung oder Verfolgung aus\npolitischen Gründen (Art. 3 EuAlÜbk) bestehen nicht.\n\n17\n\n \n\nSoweit die Haftbedingungen in Aserbaidschan einer Auslieferung entgegenstehen\nkönnten, haben die aserbaidschanischen Behörden bereits Zusicherungen\nabgegeben (Bd. II Bl. 29 d.A.). Darüber hinaus beabsichtigen sie, die mit\nVerbalnote des Auswärtigen Amtes vom 20.03.2020 (Bd. II Bl. 7 ff. d.A.) und\n02.04.2020 (Bd. II Bl. 12 ff. d.A.) verlangten ergänzenden Zusicherungen\nebenfalls abzugeben (Bd. II Bl. 17 ff. d.A.).\n\n18\n\n \n\nSonstige Bewilligungshindernisse oder Gründe, die gegen die Zulässigkeit der\nAuslieferung sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.\n\n19\n\n \n\n**2.** Auch die weiteren Voraussetzungen für die Anordnung und den weiteren\nVollzug der Auslieferungshaft liegen vor. Die Haft ist weiterhin erforderlich,\nweil die Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren\nentziehen wird. Er verfügt über keinen Inlandswohnsitz und hat sich auch bei\nZugrundelegung seiner eigenen Angaben als äußerst mobil erwiesen. Durch\nweniger einschneidende Maßnahmen nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG kann der Haftzweck\nnicht erreicht werden.\n\n20\n\n \n\nDer Senat geht davon aus, dass die bisher unterbliebene richterliche Anhörung\ndes Verfolgten nach § 28 IRG unverzüglich nach Erlass dieser Entscheidung\nerfolgen wird.\n\n
328,042
fg-munster-2020-04-27-8-k-720-kg
792
Finanzgericht Münster
fg-munster
Münster
Nordrhein-Westfalen
Finanzgerichtsbarkeit
8 K 7/20 Kg
2020-04-27
2020-05-15 10:01:13
2020-12-10 13:33:58
Urteil
ECLI:DE:FGMS:2020:0427.8K7.20KG.00
## Tenor\n\nDer Bescheid vom 19.04.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom\n09.10.2018 wird aufgehoben.\n\nDie Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.\n\nDas Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig\nvollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung\noder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden,\nsoweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages\nleistet.\n\n \n1\n\nTatbestand\n\n2\n\nDie Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der\nKindergeldfestsetzung für ein Kind, das im Streitzeitraum nur in den\nFerienzeiten in der Wohnung des Klägers und ansonsten mit seiner Mutter in der\nTürkei lebte und dort die Schule besuchte.\n\n3\n\nDer Kläger ist Vater der Kinder F. (geboren am ...03.204), T1. (geboren am\n...07.2007), P1. (geboren am ...09.2008) und T2. (geboren am ...09.2011) P.\nDer Kläger stammt gebürtig aus Y. in der Türkei. Seine Eltern sind bereits\nverstorben; seine Geschwister leben – wie er – in X. Der Kläger ist in X.\nInhaber eines Betriebs. Die Kindesmutter ist bulgarische Staatsangehörige und\nwar dort Teil der türkischstämmigen Minderheit. Ihre Eltern leben in\nBulgarien. Die Kinder lebten seit ihrer Geburt mit ihren Eltern in X.\n\n4\n\nIm September 2014 entschieden der Kläger und die Kindesmutter, dass die Kinder\nin Y. die Grundschule besuchen sollten. Die Kinder sollten zweisprachig\naufwachsen und auch die türkische Sprache lernen. Der Kläger mietete in Y.\neine Wohnung für die Kindesmutter und die Kinder. Der Kläger und die\nKindesmutter hatten auch die Unterbringung in einem Internat in Erwägung\ngezogen; die Kinder waren dafür aber zu jung. Die Familienwohnung in X.\nkündigte der Kläger und zog innerhalb X.s in eine kleinere und günstigere\nWohnung um. In der Wohnung waren für Aufenthalte der Kinder Etagenbetten\naufgestellt. Das Ehebett stand in einem auch als Büro genutzten Zimmer.\n\n5\n\nIn den folgenden Sommerferien kehrten die Kindesmutter und die Kinder nach X.\nzurück. Im Sommer 2015 holte der Kläger die Kindesmutter und die Kinder mit\ndem Auto zu Beginn der Sommerferien ab und brachte sie gegen Ende der\nSommerferien wieder zurück. In den Folgejahren erfolgte die Hin- und Rückreise\nmit dem Flugzeug: Die Kindesmutter und die Kinder flogen im Jahr 2016 am\n09.06. nach Deutschland und am 09.09 in die Türkei, im Jahr 2017 am 13.06.\nnach Deutschland und am 01.09. in die Türkei und im Jahr 2018 am 11.06. nach\nDeutschland und am 19.08. in die Türkei.\n\n6\n\nIm Jahr 2017 kündigte der Kläger diese Wohnung und mietete ab Oktober eine\nandere Wohnung mit mehr Zimmern in X. an.\n\n7\n\nAus den Auszügen aus dem Melderegister der Stadt X., die sich in den\nKindergeldakten befinden, ergeben sich folgende Daten:\n\n8\n\n[...]\n\n9\n\nIm Rahmen eines Datenabgleichs mit der Meldebehörde stellte die Beklagte fest,\ndass die Kinder F., T1., P1. und T2. im Zeitraum September 2014 bis September\n2015 nicht behördlich gemeldet waren, F. seit Februar 2017 nach unbekannt\nabgemeldet wurde und T1., T2. und P1. von März bis August 2017 nicht unter der\nAdresse des Klägers gemeldet waren.\n\n10\n\nMit Schreiben vom 10.10.2017 und vom 06.02.2018 forderte die Beklagte den\nKläger zur Stellungnahme auf. Nachdem dieser nicht reagierte, hob sie mit\nBescheid vom 19.04.2018 die Kindergeldfestsetzung für das Kind F. für den\nZeitraum Oktober 2014 bis Juni 2015 und von März 2017 bis September 2017 auf\nund forderte die Erstattung der überzahlten Beträge. Der Bescheid wurde damit\nbegründet, dass das Kind nicht im Haushalt des Klägers gelebt hätte. Für die\nanderen Kinder erging am Tag darauf ebenfalls ein Aufhebungsbescheid.\n\n11\n\nMit Schreiben vom 08.05.2018 teilte die Straf- und Bußgeldstelle der Beklagten\ndem Kläger mit, es werde ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren\neingeleitet; das Schreiben nahm auf die Bescheide vom 19. und 20.04.2018\nBezug. Mit Schreiben vom 24.05.2018 teilte der Kläger mit, er habe das\nSchreiben vom 08.05.2018, nicht aber die Bescheide vom 19. und 20.04.2018\nerhalten.\n\n12\n\nDie Bescheide wurden mit Schreiben vom 01.06.2018 erneut übersandt, nachdem\nvorsorglich eingelegte Einsprüche als unzulässig zurückgewiesen worden waren,\nweil die Bescheide nicht bekannt gegeben worden seien. Der Kläger legte am\n11.06.2018 erneut Einspruch gegen den Bescheid vom 19.04.2018 ein. Der\nEinspruch wurde nicht begründet, nachdem ein Antrag auf Akteneinsicht\nabgelehnt worden war. Mit Einspruchsentscheidung vom 09.10.2018 wurde der\nEinspruch mangels Begründung als unbegründet zurückgewiesen.\n\n13\n\nIm Rahmen des Verfahrens des Klägers hinsichtlich der Kinder T1., P1. und T2.\nfiel den Beteiligten aufgrund eines richterlichen Hinweises auf, dass keine\nKlage wegen des Kindes F. anhängig war. Der Kläger teilte mit, wegen des\nKindes F. keine Einspruchsentscheidung erhalten zu haben. Die\nEinspruchsentscheidung wurde mit Schreiben vom 04.12.2019 erneut\nbekanntgegeben, wobei die Beklagte darauf hinwies, dass nach Aktenlage die\nEinspruchsentscheidung vom 09.10.2018 bekannt gegeben worden sei, da kein\nPostrücklauf vorliege.\n\n14\n\nMit der am 02.01.2020 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter\nund beruft sich zu Begründung auf den Vortrag im Verfahren 8 K 3457/18 Kg. In\njenem Verfahren trägt der Kläger vor:\n\n15\n\nDie Abmeldung der Kindesmutter und der Kinder aus der Wohnung „B-Straße 02“\nsei wohl von Amts wegen erfolgt. Dies sei im Sommer 2017 bei einer\nAusweisbeantragung aufgefallen. Die (Neu‑)Anmeldung im August sei nicht unter\nder Adresse des Klägers erfolgt, weil er, der Kläger, zum Zeitpunkt der\nAusweisverlängerung seine alte Wohnung schon gekündigt habe (weshalb der\nVermieter keine Bescheinigung habe ausstellen wollen), die neue Wohnung aber\nnoch nicht bezogen habe. Die Adresse in der C-Straße sei die Adresse eines\nMoscheevereins. Der Moscheeverein verfüge über einige Zimmer zur Anmietung.\nTatsächlich hätten die Kindesmutter und die Kinder nach Oktober 2014 in\nseiner, des Klägers, Wohnung gewohnt, und zwar sowohl vor als auch nach dem\nUmzug im Jahr 2017. Die Kindesmutter und die drei Kinder hätten sich in der\nZeit ab Oktober 2014 in den schulfreien Sommermonaten in Deutschland\naufgehalten. Im Jahr 2015 habe der Aufenthalt von Ende Mai/Anfang Juni bis\nEnde August/Anfang September gedauert; die genauen Daten seien nicht mehr\nbekannt, weil er, der Kläger, seine Familie mit dem Auto aus der Türkei\nabgeholt und zurückgebracht habe.\n\n16\n\nDie Kinder hätten in beiden Wohnungen ein Kinderzimmer gehabt; ihre\npersönlichen Sachen wie Kleidung und Spielzeuge hätten sich in den Wohnungen\nbefunden. Auch das gesamte soziale Umfeld und ihre Freunde (Cousins und\nCousinen, Freunde aus dem Moscheeverein) seien in X. gewesen.\n\n17\n\nDer Umzug im Oktober 2017 sei erfolgt, damit er zwei Schlafzimmer für die\nKinder gehabt habe. Jetzt könnten seine beiden Mädchen und seine beiden Jungen\nin getrennten Zimmern schlafen.\n\n18\n\nAnlass für den Umzug in die Türkei seien mehrere Vorkommnisse in der Schule\nseines ältesten Sohnes gewesen. Dies seien u. a. die Zusammensetzung der\nKlassengemeinschaft und Prügeleien auf dem Schulhof sowie ein Elternsprechtag\ngewesen. Er hätte das Gefühl gehabt, dass seine Kinder auf der Schule eher\nrumänisch als deutsch lernten. Deshalb sollten sie wenigstens ihre\nMuttersprache korrekt lernen.\n\n19\n\nDer Kläger trägt in jenem Verfahren weiter vor, er habe einem Sachbearbeiter\nder Beklagten kurz vor dem Umzug der Kinder in die Türkei diesen Umzug\nmündlich an Amtsstelle mitgeteilt. Der Sachbearbeiter habe ihm mitgeteilt, er\nsei deutscher Staatsangehöriger und habe damit einen Rechtsanspruch auf\nZahlung des Kindergelds, auch wenn die Kinder in einem Land außerhalb der EU\ndie Schule besuchen würden.\n\n20\n\nDer Kläger beantragt,\n\n21\n\nden Bescheid vom 19.04.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom\n09.10.2018 aufzuheben.\n\n22\n\nDie Beklagte beantragt,\n\n23\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n24\n\nSie beruft sich ebenfalls auf ihre Ausführungen im Verfahren 8 K 3457/18 Kg.\nIn jenem Verfahren trägt die Beklagte vor:\n\n25\n\nIn sog. Schulausbildungs-Fällen minderjähriger Kinder genügten Ferien-\nAufenthalte von drei Monaten pro Jahr nicht, um eine Beibehaltung des\ninländischen Wohnsitzes rechtfertigen zu können.\n\n26\n\nAuf Nachfrage des Gerichts hat die Beklagte in jenem Verfahren mitgeteilt:\nHinweise auf mündliche Vorsprachen im Jahr 2014 seien nicht aktenkundig. Bei\neiner telefonischen Rücksprache mit dem ehemaligen Teamleiter Kindergeld in\n... habe dieser mitgeteilt, es seien nur noch die Dienstpläne für den\nKundenschalter in den Jahren 2018 und 2019 aufbewahrt. Er habe mitgeteilt, im\nJahr 2014 habe es ein rollierendes System der Besetzung des Kundenschalters\ngegeben.\n\n27\n\nIm Verfahren 8 K 3457/18 Kg hatte vor Klageerhebung ein Erörterungstermin\nstattgefunden, in dem die Beteiligten vereinbart hatten, auch im Verfahren\nhinsichtlich des Kindes F. auf mündliche Verhandlung zu verzichten. Nach\nKlageerhebung haben die Beteiligten diesen Verzicht schriftlich erklärt.\n\n28\n\nEntscheidungsgründe\n\n29\n\nDie Klage, über die der Einzelrichter mit Einverständnis der Beteiligten ohne\nmündliche Verhandlung entscheidet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –\nFGO), ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt der\nEinspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen\nRechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.\n\n30\n\nDer Klage steht nicht der Ablauf der Klagefrist entgegen. Die\nEinspruchsentscheidung ist dem Kläger erst durch das Schreiben vom 04.12.2019\nbekannt gegeben worden. Das Gericht konnte nicht feststellen, dass die\nEinspruchsentscheidung vom 09.10.2018 dem Kläger schon beim erstmaligen\nVersand zugegangen ist. Bestreitet ein Steuerpflichtiger, einen Verwaltungsakt\nüberhaupt bekommen zu haben, obliegt der Behörde der volle Beweis über den\nZugang. Ein Anscheinsbeweis greift nicht; der Zugang muss mittels allgemeiner\nBeweisregeln, insbesondere durch einen Indizienbeweis, nachgewiesen werden\n(Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 29.04.2009, X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777\nm.w.N.).\n\n31\n\nEin solcher Beweis ist im Streit nicht geführt worden. Die Beklagte führt\nlediglich aus, dass in der Akte kein Postrücklauf festgehalten sei. Es ist\naber offensichtlich, dass nicht in jedem Fall, in dem ein Brief nicht\nzugestellt wird, ein Postrücklauf erfolgt. Insbesondere ist auch kein Anlass\nersichtlich, warum ein Postrücklauf hätte erfolgen sollen. Die\nEinspruchsentscheidung wegen der Kinder T1., P1. und T2. vom gleichen Tag ist\nan die gleiche Adresse der Bevollmächtigten versandt worden und dort\nangekommen. Ein Adresswechsel hat nicht stattgefunden. Indizien, die das\nBestreiten des Zugangs als nicht glaubhaft erscheinen lassen, gibt es nicht.\nDas Gericht verkennt nicht, dass auch der Zugang der ursprünglichen Bescheide\nbestritten (und von der Beklagten anerkannt) wurde. Dies ist aber schon\ndeshalb nicht von Belang, weil die Einspruchsentscheidung nicht (wie die\nAufhebungsbescheide) an den Kläger, sondern an dessen Bevollmächtigte versandt\nwurde. Insofern ist der Zusammenhang zwischen den beiden Verwaltungsakten,\nderen Zugang bestritten wird, unterbrochen.\n\n32\n\nWeitere Zweifel an der Zulässigkeit der Klage bestehen nicht.\n\n33\n\nDer Kläger hat für den Streitzeitraum (Oktober 2014 bis Juni 2015 sowie März\nbis September 2017) einen Anspruch auf Kindergeld für das Kind F.\n\n34\n\nWie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, ist der Kläger\nanspruchsberechtigt im Sinne des § 62 Einkommensteuergesetz (EStG), weil er im\nInland seinen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 62 Abs. 1\nSatz 1 Nr. 1 EStG). Die Identifikation durch eine Steueridentifikationsnummer\nist nicht Voraussetzung der Anspruchsberechtigung, weil die gesetzliche\nRegelung in § 62 Abs. 1 Satz 2 nur für Kindergeldfestsetzungen nach dem\n31.12.2015 oder für Kindergeldfestsetzungen auf Anträge, die nach dem 31.\n12.2015 gestellt werden, gilt (§ 52 Abs. 49a Sätze 4 und 5 EStG).\n\n35\n\nDas Kind F. ist berücksichtigungsfähig im Sinne des § 63 EStG.\n\n36\n\nDas Kind ist ein leibliches Kind des Klägers, §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32\nAbs. 1 Nr. 1 EStG. Der Berücksichtigung steht auch nicht entgegen, dass das\nKind keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in\neinem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum\nAnwendung findet, hat (§ 63 Abs. 1 Satz 3 a.F., Satz 6 n.F. EStG). Denn das\nKind hat seinen Wohnsitz im Inland auch nach Aufnahme des Schulbesuchs in der\nTürkei beibehalten.\n\n37\n\nDie Frage, ob Kinder, die im Ausland die Schule besuchen, ihren\nInlandswohnsitz beibehalten, ist nach folgenden Grundsätzen zu beurteilen:\n\n38\n\nBei Kindern, die zum Zwecke der Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung\nauswärtig untergebracht sind, reicht es für einen Inlandswohnsitz nicht aus,\nwenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht (BFH,\nUrteil vom 25.09.2014, III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655). Bei\nSchulbesuchen im Ausland, die voraussichtlich länger als ein Jahr andauern\nwerden (zu Fällen voraussichtlicher Rückkehr innerhalb eines Jahres vgl. BFH,\nUrteil vom 25.09. 2014, III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655; BFH,\nUrteil vom 23.06.2015, III R 38/14, BFHE 250, 381, BStBl II 2016, 102), ist\nvielmehr anhand einer Mehrzahl von Anhaltspunkten zu entscheiden, ob der\ninländische Wohnsitz aufrechterhalten oder aufgegeben wurde. Unter diesen\nAnhaltspunkten kommt nach ständiger Rechtsprechung des BFH der Dauer und\nHäufigkeit der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu. Ein nur\ngelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer\nZeiträume zu Urlaubszwecken, Besuchszwecken oder familiären Zwecken, die nicht\neinem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, reicht nicht aus, um die\nBeibehaltung eines inländischen Wohnsitzes anzunehmen (BFH, Urteil vom 25.09.\n2014, III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655 m.w.N.). Jedenfalls im\nFall von Schul- oder sonstigen Ausbildungsaufenthalten erwachsener Kinder\nkommt es darauf an, ob die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im\nInland verbracht werden (BFH, Urteil vom 25.09. 2014, III R 10/14, BFHE 247,\n239, BStBl II 2015, 655 m.w.N.; einschränkend im Fall von minderjährigen\nKindern Hessisches FG, Urteil vom 16.08.2017, 2 K 775/16, juris; FG Hamburg,\nUrteil vom 05.07.2019, 6 K 215/18, juris). Dabei können außerhalb des\nkindergeldrechtlichen Streitzeitraums liegende tatsächliche Umstände\nberücksichtigt werden, da es sonst – trotz vergleichbarer\nSachverhaltskonstellationen – von den verfahrensmäßigen Zufälligkeiten\nabhinge, ob die Beibehaltung eines Wohnsitzes zu bejahen oder zu verneinen\nwäre (BFH, Urteil vom 23.06.2015, III R 38/14, BFHE 250, 381, BStBl II 2016,\n102). Daneben sind die voraussichtliche Dauer der auswärtigen Unterbringung,\ndie Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus\nauf der anderen Seite, der Zweck des Auslandsaufenthalts, die persönlichen\nBeziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort\nandererseits zu berücksichtigten (BFH, Urteil vom 25.09. 2014, III R 10/14,\nBFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, m.w.N.).\n\n39\n\nFolgende Gesichtspunkte sind für die Beurteilung regelmäßig nicht maßgeblich:\n\n40\n\n– die persönlichen oder finanziellen Beweggründe für fehlende oder nur kurze\nInlandsaufenthalte (BFH, Urteil vom 23.06.2015, III R 38/14, BFHE 250, 381,\nBStBl II 2016, 102; BFH, Urteil vom 25.09. 2014, III R 10/14, BFHE 247, 239,\nBStBl II 2015, 655;\n\n41\n\n– die Herkunft des Klägers und (indirekt) der Kinder (BFH, Urteil vom\n23.06.2015, III R 38/14, BFHE 250, 381, BStBl II 2016, 102) und die\nStaatsangehörigkeit der Familienmitglieder (BFH, Urteil vom 25.09. 2014, III R\n10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655);\n\n42\n\n– die Rückkehrabsicht (BFH, Urteil vom 25.09. 2014, III R 10/14, BFHE 247,\n239, BStBl II 2015, 655 m.w.N.), sofern nicht, wie oben dargelegt, von\nvorneherein kein Aufenthalt von mehr als einem Jahr geplant war;\n\n43\n\n– Aufenthalte der Eltern mit den Kindern außerhalb von Deutschland (BFH,\nUrteil vom 25.09. 2014, III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655);\n\n44\n\n– melderechtliche Umstände (BFH, Urteil vom 25.09. 2014, III R 10/14, BFHE\n247, 239, BStBl II 2015, 655);\n\n45\n\n– die Größe der zur Verfügung stehenden Wohnung im Inland, wenn diese nur für\nBesuchsaufenthalte genutzt wird (BFH, Beschl. vom 05.02.2004, VIII B 271/03,\njuris);\n\n46\n\n– die Verkleinerung der Wohnverhältnisse nach dem Umzug von\nFamilienmitgliedern in das Ausland, um Mietkosten zu sparen (Finanzgericht –\nFG – Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.07.2018, 3 K 3220/17, juris; BFH,\nUrteil vom 25.07.2019, III R 46/18, BFH/NV 2020, 208 m.w.N.).\n\n47\n\nMit Blick auf den Sonderfall, dass sich ein Elternteil mit im Ausland aufhält,\nhat der BFH entschieden, dass auch in diesen Fällen eine Gesamtbetrachtung\nerforderlich ist, weil Kinder weder automatisch sämtliche Wohnsitze ihrer\nEltern teilen noch ein Erfahrungssatz dahingehend besteht, dass ein Kind, das\nmit einem Elternteil im Ausland wohnt und dort zur Schule geht, immer nur\ndiesen einen Wohnsitz hat und keinen weiteren Wohnsitz der Eltern teilt (BFH,\nUrteil vom 25.07.2019, III R 46/18, BFH/NV 2020, 208 m.w.N.). Allerdings kann\nder Mit-Aufenthalt eines Elternteils gerade dazu führen, dass sich das Kinder\n(anders als bei der Unterbringung bei Verwandten) nicht längerfristig in die\ndortigen Lebensverhältnisse einlebt, sondern die familiäre Wohn- und\nLebensgemeinschaft zwischen Eltern und Kind für die Dauer der Ausbildung\ndurchgängig erhalten bleibt (BFH, Urteil vom 25.07.2019, III R 46/18, BFH/NV\n2020, 208).\n\n48\n\nBei einer Würdigung der Gesamtumstände ist das Gericht der Überzeugung, dass\nder inländische Wohnsitz der Kinder (und auch der Kindesmutter) beibehalten\nwurde.\n\n49\n\nDie Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte sind weder von vornherein zu\ngering, um eine Beibehaltung zu begründen, noch genügen sie für sich genommen,\num auf die Beibehaltung des Wohnsitzes schließen zu lassen. Sie liegen im Jahr\n2016 bei ca. drei Monaten, im Jahr 2017 bei ca. zwei Monaten und drei Wochen\nund im Jahr 2018 bei ca. zwei Monaten und einer Woche. Das Gericht – das, wie\ndie Beklagte, keine Anhaltspunkte dafür sieht, den Vortrag des Klägers, er\nhabe seine Familie im Jahr 2015 in den Sommerferien mit dem Auto aus der\nTürkei abgeholt und zu Schulanfang mit dem Auto zurückgebracht, dem Grunde\nnach anzuzweifeln – geht davon aus, dass die Familie im Jahr 2015 mindestens\nzwei Monate in X. war. Dabei berücksichtigt es die fehlende Angabe der genauen\nDaten der Fahrten, indem es die kürzeste Aufenthaltsdauer in den Folgejahren\nheranzieht und um eine Woche kürzt.\n\n50\n\nMit Blick auf den Umfang dieser Aufenthalte ist zwar der BFH im von der\nBeklagten angeführten Urteil vom 23.11.2000 (VI R 165/99, BStBI II 2001, 279)\nbei einem bei den Großeltern untergebrachten Kind, das sich weniger als drei\nMonate pro Jahr bei den Eltern aufhält, vom bloßen Besuchscharakter dieser\nAufenthalte ausgegangen. Auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BFH zu\nerwachsenen Kindern, bei den ein überwiegender Aufenthalt während der\nunterrichtsfreien Zeiten für ausreichend erachtet wird (BFH, Urteil vom 25.09.\n2014, III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655 m.w.N.; BFH, Urteil vom\n23.06.2015, III R 38/14, BFHE 250, 381, BStBl II 2016, 102), haben mehrere\nFinanzgerichte dreimonatige Ferienaufenthalte von minderjährigen Kindern, die\nansonsten bei den Großeltern untergebracht sind, nicht als hinreichend für die\nBeibehaltung des Inlandswohnsitzes angesehen (Hessisches FG, Urteil vom\n16.08.2017, 2 K 775/16, juris; FG Hamburg, Urteil vom 05.07.2019, 6 K 215/18,\njuris). Der Streitfall ist jedoch schon wegen des Mit-Aufenthalts der\nKindesmutter nicht vergleichbar mit Fällen der Unterbringung bei Verwandten\n(zur Differenzierung nach Fallgruppen ausführlich BFH, Urteil vom 23.11.2000,\nVI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294), zumal im vorliegenden Fall\ngerade nicht festgestellt werden konnte, dass sich die Kinder für einen\nZeitraum von neun Jahren im Ausland aufhalten sollen. Hinzu kommt, dass ein\nbloßer Besuchscharakter (jedenfalls auch) anhand anderer Indizien als der\nAufenthaltsdauer festgestellt werden muss.\n\n51\n\nUmgekehrt genügen die Aufenthalte nicht schon für sich genommen, um von einer\nBeibehaltung des Inlandswohnsitzes auszugehen. Denn der Aufenthalt von zwei\nbis drei Monaten pro Jahr lässt nicht für sich genommen den Schluss zu, dass\ndiesen Aufenthalten Wohncharakter zukommt. Vielmehr kommt nach Auffassung des\nGerichts bei der „grenzwertigen“ streitgegenständlichen Dauer und Häufigkeit\nder Aufenthalte den weiteren Anhaltspunkten eine größere Bedeutung zu.\n\n52\n\nGegen die Beibehaltung des Wohnsitzes sprechen insbesondere die Dauer des\nAuslandsaufenthalts (im Entscheidungszeitpunkt bereits mehr als fünf Jahre)\nsowie der Zweck des Aufenthalts, die türkische Sprache zu lernen, weil dies\nfür eine Lösung von der Verwurzelung im Inland spricht. Dem Umstand, dass der\nKläger nach dem Umzug der Kinder und Kindesmutter in die Türkei eine kleinere\nWohnung angemietet hat, misst das Gericht keine erhebliche Bedeutung bei (vgl.\nFG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.07.2018, 3 K 3220/17, und nachfolgend\nBFH, Urteil vom 25.07.2019, III R 46/18, BFH/NV 2020, 208). Dies gilt\ninsbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger umgekehrt angegeben hat,\nwegen des Alters seiner Kinder ab Oktober 2017 wieder eine größere Wohnung mit\ngetrennten Schlafzimmer für seine beiden Jungen und seine beiden Mädchen\nangemietet zu haben.\n\n53\n\nFür die Beibehaltung des Wohnsitzes spricht, dass sich die\nVerwandtschaftsbeziehungen der Familie, die für die zu Beginn des\nStreitzeitraums zwischen (gerade) drei und zehn Jahre alten Kinder des Klägers\nregelmäßig noch eine größere Bedeutung haben als für ältere Kinder, nach dem\nglaubhaften und unwidersprochenen Vortrag des Klägers vor allem in X.\nabspielen. Auch hat der Kläger glaubhaft und plausibel geschildert, dass die\nKinder zahlreiche weitere Kontakte pflegen und etwa mitgeteilt, dass er für\ndiese Zwecke ein Auto für die Kindesmutter bereithalte.\n\n54\n\nMaßgebliche Bedeutung misst das Gericht im Rahmen seiner Gesamtwürdigung dem\nUmstand bei, dass die Kindesmutter die Kinder in die Türkei begleitet hat.\nDiesen Umstand, der auch im erst nach dem Erörterungstermin im Verfahren 8 K\n3457/18 Kg veröffentlichten Urteil des BFH vom 16.07.2019 (III R 46/18, BFH/NV\n2020, 208) gewürdigt wird, hatte der Einzelrichter im Erörterungstermin\nvorläufig tendenziell dahingehend gewürdigt, dass dadurch die Beziehungen zum\nInland gelockert würden. Unter Aufgabe dieser Auffassung ist das Gericht nach\nabschließender Würdigung nunmehr der Ansicht, dass die familiäre Gemeinschaft\ntrotz des Schulbesuchs der Kinder in der Türkei aufrechterhalten wurde. Das\nGericht geht davon aus, dass bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten\nvermutet werden kann, dass diese einen gemeinsamen Familienwohnsitz haben\n(vgl. zum Wohnsitz von Ehegatten FG Hamburg, Urteil vom 12.04.2018, 1 K\n202/16, EFG 2018, 1079 m.w.N.). Da der Kläger das Familieneinkommen im Rahmen\neiner selbständigen Tätigkeit erwirtschaftet und schon aus diesem Grund nicht\nregelmäßig für längere Zeit in der Türkei sein kann, kommt nur die\nInlandswohnung als Familienwohnsitz in Betracht. Zugleich teilen minderjährige\nKinder grundsätzlich den Wohnsitz ihrer Eltern, auch wenn sie nicht gleichsam\nautomatisch sämtliche Wohnsitze ihrer Eltern teilen, wenn diese über mehrere\nWohnsitze verfügen (BFH, Urteil vom 07.04.2011, III R 77/09, BFH/NV 2011,\n1777). Im Streitfall haben die Kinder auch am Familienwohnsitz einen Wohnsitz.\nDenn anders als im Fall des Auslandsschulbesuchs mit Unterbringung bei\nVerwandten bleibt die familiäre Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft durch den\nMit-Aufenthalt der Kindesmutter grenzüberschreitend erhalten, sodass keine\nAusnahme vom Grundsatz zu machen ist, wonach Kinder den Wohnsitz ihrer Eltern\nteilen. Vor diesem Hintergrund haben die Aufenthalte im Inland nicht bloßen\nBesuchscharakter. Dies gilt umso mehr, als nach Angaben des Klägers weiterhin\nein intensiver Kontakt über die sozialen Medien zwischen dem Kläger und seiner\nFamilie gepflegt wird (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.07.2018, 3 K\n3220/17).\n\n55\n\nDarauf, ob der Aufhebungsbescheid auch wegen einer Verletzung von\nVertrauensschutzgrundsätzen rechtswidrig ist, kommt es nicht mehr an.\n\n56\n\nDie Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung\nüber die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V.\nm. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.\n\n57\n\n...\n\n
328,273
vg-aachen-2020-05-12-10-k-120819a
840
Verwaltungsgericht Aachen
vg-aachen
Aachen
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
10 K 1208/19.A
2020-05-12
2020-05-23 10:01:29
2020-12-10 13:34:35
Urteil
ECLI:DE:VGAC:2020:0512.10K1208.19A.00
## Tenor\n\nDie Ziffern 2. bis 4. des Bescheides des Bundesamts für Migration und\nFlüchtlinge vom 9. April 2019 werden mit Ausnahme der in Satz 4 der Ziffer 3.\ngetroffenen Feststellung, dass die Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden\ndürfen, aufgehoben.\n\nDie Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass für die Kläger ein\nAbschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands\nvorliegt.\n\nDie Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.\n\nDas Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.\nDie Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110\n% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die\nKläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu\nvollstreckenden Betrags leisten.\n\n \n1\n\n**T a t b e s t a n d**\n\n2\n\nDer am 23. Oktober 1991 in J. /T. geborene Kläger zu 1. und die am 12.\nNovember 1995 in J. /T. geborene Klägerin zu 2. sind verheiratet und Eltern\nder am 1. Januar 2015 in J. /T. geborenen Klägerin zu 3., des am 9. Januar\n2016 in J. /T. geborenen Klägers zu 4. sowie des am 26. Mai 2019 in der\nBundesrepublik Deutschland geborenen Kindes N. E. , der Klägerin im parallel\ngeführten Klageverfahren 10 K 2052/19.A. Die Kläger sind syrische\nStaatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Sie\nreisten eigenen Angaben zufolge am 27. Februar 2019 in die Bundesrepublik\nDeutschland ein und stellten am 18. März 2019 einen Asylantrag bei der\nBeklagten. Ausweislich einer Mitteilung des griechischen\nMigrationsministeriums wurde den Klägern am 27. Juli 2017 in Griechenland\ninternationaler Schutz gewährt.\n\n3\n\nIm Rahmen ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und\nFlüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 19. März 2019 gaben die Kläger zu 1.\nund 2. zur Begründung ihres Asylantrags im Wesentlichen an, das Leben in\nGriechenland sei nicht gut, es gebe keine Arbeit und keine Wohnungen, in denen\nsie leben könnten. Sie hätten auch keine Sprachkurse besuchen können und es\nhabe keine Schulen für ihre Kinder gegeben. In den Kindergarten seien sie nur\nein paar Tage gegangen.\n\n4\n\nMit Bescheid vom 9. April 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig\nab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7\nAufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2.), und forderte die Kläger unter Androhung\nder Abschiebung nach Griechenland oder in einen anderen Staat, in den sie\neinreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, auf, die\nBundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der\nEntscheidung zu verlassen (Ziffer 3.). Nach T. dürften die Kläger nicht\nabgeschoben werden (Ziffer 3. Satz 4). Das gesetzliche Einreise- und\nAufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf dreißig Monate ab dem\nTag der Abschiebung befristet (Ziffer 4.). Außerdem wurde die Vollziehung der\nAbschiebungsandrohung ausgesetzt (Ziffer 5.).\n\n5\n\nDie Kläger haben am 16. April 2019 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im\nWesentlichen ausführen, in Griechenland drohe ihnen eine menschenrechtswidrige\nBehandlung. Griechenland sei kein sicherer Staat für international\nSchutzberechtigte. Nach der Erkenntnislage sei vielmehr davon auszugehen, dass\nsich für die Kläger im Falle einer Rückführung nach Griechenland die Situation\neiner dauerhaften Existenzlosigkeit ergebe, gegen die seitens des griechischen\nStaates nichts unternommen werde. Die vorgeschriebene Gleichbehandlung von\ninternational Schutzberechtigten und griechischen Staatsangehörigen werde den\nSchutzberechtigten in der Praxis verwehrt, sie könnten die formal garantierten\nRechte nicht erlangen. Die Kläger erhielten bis zur Aufnahme einer\nErwerbstätigkeit in Griechenland keinen Steuerbescheid, somit auch keine\nSozialhilfe und damit kein Geld für die Anmietung einer Unterkunft und den\nErhalt eines Sprachkurses. Mangels hinreichender Sprachkenntnisse stünden sie\ndem griechischen Arbeitsmarkt aber auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung.\nStaatliche Unterstützungsleistungen erhielten sie nicht. Sie könnten schon\nnicht die insoweit erforderlichen legalen Voraufenthaltszeiten nachweisen, da\nsie sich im Ausland aufhielten. Im Ergebnis fehle ihnen daher der Zugang zu\nden Grundbedürfnissen „Brot, Bett und Seife“. Angesichts dessen sei für den\nFall einer Rückkehr nach Griechenland mit einer Verletzung von Art. 3 EMRK zu\nrechnen.\n\n6\n\nDie Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,\n\n7\n\ndie Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für\nMigration und Flüchtlinge vom 9. April 2019 zu verpflichten festzustellen,\ndass für sie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG\nhinsichtlich Griechenlands vorliegen.\n\n8\n\nDie Beklagte beantragt schriftsätzlich,\n\n9\n\ndie Klage abzuweisen.\n\n10\n\nZur Begründung ihres Klageabweisungsantrags bezieht sie sich auf den Inhalt\ndes angefochtenen Bescheids.\n\n11\n\nDie Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen\nVerhandlung verzichtet.\n\n12\n\nWegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt\nder Gerichtsakten dieses Verfahrens und des Verfahrens 10 K 2052/19.A sowie\nauf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamts Bezug genommen.\n\n13\n\n**E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e**\n\n14\n\nDie Klage, über die der Einzelrichter mit Einverständnis der Beteiligten ohne\nmündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Sie\nist zulässig und begründet.\n\n15\n\nA. Dabei ist die in Satz 4 der Ziffer 3. des angefochtenen Bescheids\ngetroffene Feststellung, dass die Kläger nicht nach T. abgeschoben werden\ndürfen, bei sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) von ihrem Klagebegehren nicht\numfasst, weil sie die Kläger ausschließlich begünstigt.\n\n16\n\nVgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 C 15.18 -, Buchholz 402.251\n§ 37 AsylG Nr. 1 = juris, Rn. 7; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 3. Februar 2020 -\n1 LB 24/19 -, juris, Rn. 75.\n\n17\n\nDie diese Feststellung gleichwohl ausnehmende Tenorierung dieses Urteils hat\nausschließlich klarstellenden Charakter.\n\n18\n\nVgl. Schl.-H. OVG, Beschluss vom 3. Februar 2020 - 1 LB 24/19 -, juris, Rn.\n75.\n\n19\n\nB. Der Bescheid des Bundesamts vom 9. April 2019 erweist sich im nach § 77\nAbs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im\nangefochtenen Umfang als rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten\n(§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf die\nbegehrte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung, dass für sie ein\nAbschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands\nvorliegt.\n\n20\n\nRechtsgrundlage der Entscheidung über die Feststellung von\nAbschiebungsverboten ist zunächst § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Danach ist in\nEntscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die\nVoraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen.\n\n21\n\nI. Den Asylantrag der Kläger hat das Bundesamt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG\nals unzulässig abgelehnt. Die entsprechende und auf die Schutzgewährung durch\ndie griechischen Asylbehörden am 27. Juli 2017 gestützte Entscheidung in\nZiffer 1. des Bescheids des Bundesamts vom 9. April 2019 ist bestandskräftig\ngeworden, weil die Kläger ihre Klage ausdrücklich nicht auf die\nUnzulässigkeitsentscheidung erstreckt haben.\n\n22\n\nDem steht nicht entgegen, dass der Europäische Gerichtshof zwischenzeitlich\nentschieden hat, dass die von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umgesetzte Regelung des\nArt. 33 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen\nParlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die\nZuerkennung und Aberkennung des Internationalen Schutzes (sog.\nVerfahrensrichtlinie) dahin auszulegen ist, dass dieser einem Mitgliedstaat\nverbietet, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis Gebrauch zu\nmachen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen,\nweil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits die\nFlüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz gewährt worden ist, wenn die\nLebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn\nder ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende\nBehandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta oder Art. 3 EMRK zu\nerfahren.\n\n23\n\nVgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed) -,\njuris, Rn. 43, sowie Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -,\njuris, Rn. 83 bis 94, und vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 81\nbis 97.\n\n24\n\nNach der Überzeugung der Kammer besteht für die Kläger aus den nachfolgend\nausgeführten Gründen für den Fall ihrer Rückkehr nach Griechenland zwar die\nernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der\nGrundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK. Der Asylantrag der Kläger durfte daher\ntrotz der erfolgten Schutzgewährung durch Griechenland nicht gemäß § 29 Abs. 1\nNr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden. Dies begründet aber allein die\nRechtswidrigkeit der Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids, berührt jedoch\nnicht ihre Wirksamkeit (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG). Anhaltspunkte für eine\nNichtigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung bestehen nicht (vgl. §§ 43 Abs. 3,\n44 VwVfG).\n\n25\n\nII. Es liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines\nAbschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands vor.\nDie in Ziffer 2. des Bescheids des Bundesamts getroffene gegenteilige\nFeststellung ist daher rechtswidrig.\n\n26\n\n1\\. Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden,\nsoweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze\nder Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung\nunzulässig ist. Art. 3 EMRK bestimmt, dass niemand der Folter oder\nunmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden\ndarf.\n\n27\n\nDer sog. Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erlaubt zwar regelmäßig die\nAnnahme, dass die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in der Lage\nsind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der in der Charta anerkannten\nGrundrechte zu bieten.\n\n28\n\nVgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn.\n83, und vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 80, m. w. N.\n\n29\n\nIm Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems muss daher die Vermutung\ngelten, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz\nbeantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den\nErfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt\ninsbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der\nVerfahrensrichtlinie, in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie\neingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen\nVertrauens zum Ausdruck kommt.\n\n30\n\nVgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn.\n85, und vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 82, m. w. N.\n\n31\n\nEs kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis\nauf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so\ndass eine ernsthafte Gefahr besteht, dass Personen, die internationalen Schutz\nbeantragen, in diesem Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit\nihren Grundrechten unvereinbar ist.\n\n32\n\nVgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn.\n86, und vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 83, m. w. N.\n\n33\n\nIn diesem Kontext ist es gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung,\nwährend des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die\nbetreffende Person einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine solche\nBehandlung zu erfahren.\n\n34\n\nVgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed) -,\njuris, Rn. 37, sowie Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -,\njuris, Rn. 87, und - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 88, m. w. N.\n\n35\n\nDaher ist das Gericht verpflichtet, auf der Grundlage objektiver,\nzuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick\nauf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte\nzu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte\nPersonengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen.\n\n36\n\nVgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed) -,\njuris, Rn. 38, sowie Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -,\njuris, Rn. 88, und - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 90, m. w. N.\n\n37\n\nSolche Schwachstellen müssen jedoch eine besonders hohe Schwelle der\nErheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Sie\nwäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur\nFolge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige\nPerson sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen\nin einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht\nerlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere,\nsich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre\nphysische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand\nder Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.\n\n38\n\nVgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed) -,\njuris, Rn. 39, sowie Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -,\njuris, Rn. 89 f., und - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 91 f., m. w. N.\n\n39\n\nDiese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke\nVerschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person\ngekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer\nmaterieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in\neiner solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen\noder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann.\n\n40\n\nVgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed) -,\njuris, Rn. 39, sowie Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -,\njuris, Rn. 91, und - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 93.\n\n41\n\nDass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der dem\nAntragsteller diesen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen\nMitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde\nLeistungen erhalten, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses\nMitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen,\ndass dieser Antragsteller dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine\ngegen Art. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung zu\nerfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller\naufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und\nseinen persönlichen Entscheidungen in der Situation extremer materieller Not\nbefände. Jedenfalls kann der bloße Umstand, dass in dem Mitgliedstaat, in dem\nder neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, die\nSozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in\ndem bereits internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaat, nicht die\nSchlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer\nÜberstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr\nausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK\nverstoßende Behandlung zu erfahren.\n\n42\n\nVgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn.\n93 f., und vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 97.\n\n43\n\nDas Fehlen familiärer Solidarität ist keine ausreichende Grundlage für die\nFeststellung einer Situation extremer materieller Not. Auch Mängel bei der\nDurchführung von Programmen zur Integration von Schutzberechtigten reichen für\neinen Verstoß gegen Art. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK nicht aus.\n\n44\n\nVgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540 und C-541/17 (Hamed) -,\njuris, Rn. 39, und Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 93\nf. und 96 f.\n\n45\n\nEin Verstoß liegt ausgehend hiervon erst dann vor, wenn die elementarsten\nBedürfnisse nicht befriedigt werden können, insbesondere eine Unterkunft zu\nfinden, sich zu ernähren und zu waschen („Bett, Brot, Seife“).\n\n46\n\nVgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 29\nff., 44 ff.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27. Mai 2019 - A 4 S 1329/19 -,\njuris, Rn. 5.\n\n47\n\nDer Verstoß muss zudem unabhängig vom Willen des Betroffenen drohen. Er liegt\ndaher nicht vor, wenn der Betroffene nicht den Versuch unternimmt, sich unter\nZuhilfenahme gegebener, wenn auch bescheidener Möglichkeiten und\ngegebenenfalls unter Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes eine\nExistenz im Abschiebezielstaat aufzubauen, wobei sich Schutzberechtigte auf\nden für Staatsangehörige des schutzgewährenden Staats vorhandenen\nLebensstandard verweisen lassen müssen - sog. Grundsatz der\nInländergleichbehandlung -.\n\n48\n\nVgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 47\nff.; Schl.-H. OVG, Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB 17/18 -, juris, Rn. 71,\n174 f.\n\n49\n\n2\\. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht den Klägern bei einer Rückkehr\nnach Griechenland zur Überzeugung der Kammer die ernsthafte Gefahr einer gegen\nArt. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden erniedrigenden\nBehandlung. Die Kammer ist davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass\ndie Kläger unter Berücksichtigung der Umstände ihres persönlichen Einzelfalls\nmit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren\npersönlichen Entscheidungen bei einer Rückkehr nach Griechenland in eine\nSituation extremer materieller Not geraten werden und ihre elementarsten\nBedürfnisse, insbesondere eine menschenwürdige Unterkunft zu finden, für einen\nlängeren Zeitraum nicht werden befriedigen können.\n\n50\n\na. Die Kammer geht nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung,\n\n51\n\nvgl. grundlegend VG Aachen, Urteile vom 16. März 2019 - 10 K 157/19.A -,\njuris, Rn. 60 ff., und vom 16. März 2019 - 10 K 875/19.A -, juris, Rn. 58 ff.,\nbeide m. w. N.,\n\n52\n\nauf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden und in das Verfahren\neingeführten Erkenntnismittel zu den Lebensbedingungen rückgeführter anerkannt\nSchutzberechtigter in Griechenland insoweit von Folgendem aus:\n\n53\n\naa. Die Rückführung eines Schutzstatusinhabers erfolgt regelmäßig auf das\ngriechische Festland, und zwar über die Flughäfen von Athen oder Thessaloniki.\nBei Ankunft werden dem rückgeführten Schutzberechtigten am Flughafen\nInformationen zur nächsten Ausländerbehörde gegeben, um dort ggf. seinen\nAufenthaltstitel verlängern zu lassen, und es wird ihm mitgeteilt, dass er\nsich beim Bürgerservice-Center (Kentro Exipiretisis Politon - KEP -) melden\nsoll. Zu weitergehenden Maßnahmen des griechischen Staates kommt es bei der\nUmsetzung einer Rückführung nicht.\n\n54\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 4. Dezember 2019 an das VG Berlin, S. 2\nf., vom 6. Dezember 2018 an das VG Stade, S. 8, und vom 26. September 2018 an\ndas VG Schwerin, S. 3.\n\n55\n\nDamit unterscheidet sich die Situation rückgeführter anerkannt\nSchutzberechtigter wesentlich von der Situation der Dublin-Rückkehrer, die\nnach Rückführung in das griechische Asylverfahren zurückkehren und laut Gesetz\n(Art. 17.1 L 4540/2018) grundsätzlich ein Recht auf angemessene Unterbringung\nhaben und regelmäßig im Camp Eleonas untergebracht und dort versorgt werden.\n\n56\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 4. Dezember 2019 an das VG Berlin, S. 4.\n\n57\n\nInternational Schutzberechtigte werden nach der Ankunft sich selbst\nüberlassen. Sie haben gemäß dem Präsidialdekret 141/2013 grundsätzlich unter\nden gleichen Voraussetzungen wie griechische Staatsbürger Zugang zu Bildung,\nzur Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung. Laut\nArt. 33 des Präsidialdekrets 141/2013 haben anerkannt Schutzberechtigte\nüberdies Zugang zu einer Unterbringung unter den gleichen Bedingungen wie\nDrittstaatsangehörige, die sich legal in Griechenland aufhalten. Rechtlich\ngilt damit das Prinzip der Inländergleichbehandlung.\n\n58\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte u. a. vom 4. Dezember 2019 an das VG Berlin,\nS. 3 f., vom 26. September 2018 an das VG Schwerin, S. 3 ff., und vom 26.\nSeptember 2018 an das VG Greifswald, S. 4; aida, Country Report: Greece,\nUpdate 2018 (März 2019), S. 185.\n\n59\n\nbb. Der Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft stellt sich nach der\nAuskunftslage als das zentrale Problem für rückgeführte anerkannt\nSchutzberechtigte dar.\n\n60\n\n1) In der Praxis existiert weder für griechische Staatsbürger noch für\nanerkannt Schutzberechtigte eine staatliche Unterstützung zur Zuweisung von\nWohnraum. Wohnraum ist grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmarkt zu\nbeschaffen.\n\n61\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte u. a. vom 4. Dezember 2019 an das VG Berlin,\nS. 3 f., und vom 6. Dezember 2018 an das VG Stade, S. 2.\n\n62\n\nEine private Anmietung von Wohnungen durch anerkannt Schutzberechtigte ist\njedoch durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder,\nhilfsweise Bekannte und Studenten, sowie gelegentlich auch durch Vorurteile\nerschwert.\n\n63\n\nVgl. Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 26. September 2018 an das VG\nSchwerin, S. 5, vom 11. Oktober 2017 an das VG Berlin, S. 5, und vom 22.\nAugust 2017 an das VG Hamburg, S. 5.\n\n64\n\n2) Der UNHCR führt in Griechenland das durch die EU finanzierte Hilfsprogramm\n„ESTIA“ (Emergency Support to Integration and Accommodation) durch. Dieses\numfasst insbesondere die Unterbringung von Asylsuchenden. Mit Stand vom 28.\nJanuar 2020 belief sich die Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden Plätze\ndieses Programms auf 22.029, von denen 21.432 (also ca. 97,3 %) tatsächlich\nbelegt waren, 15.091 durch Asylsuchende und 6.341 durch anerkannt\nSchutzberechtigte. Bezogen auf das griechische Festland, wohin bislang im\nAusland aufhältige anerkannt Schutzberechtigte regelmäßig rückgeführt werden,\nergab sich zu diesem Stichtag eine Kapazität von 20.312 Plätzen, von denen\n19.798 (also ca. 98,3 %) tatsächlich belegt waren.\n\n65\n\nVgl. ESTIA Accommodation Capacity Weekly Update, Stand: 28. Januar 2020.\n\n66\n\nDas Programm ist jedoch allein auf Asylsuchende ausgerichtet. Nach der\nAnerkennung des Schutzstatus werden die Betreffenden aufgefordert, die\nUnterkünfte zu verlassen.\n\n67\n\nVgl. u. a. Pro Asyl, „Anerkannte raus! In Griechenland müssen Geflüchtete ihre\nWohnungen zwangsräumen“, Bericht vom 18. April 2019; aida, Country Report:\nGreece, Update 2018 (März 2019), S. 186.\n\n68\n\nIn der Praxis können sie dort auf informeller Basis nach ihrer Anerkennung\nbislang zwar offenbar sechs bis maximal zwölf Monate weiter wohnen. Anerkannt\nSchutzberechtigte, die aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehren,\nerhalten jedoch im Rahmen des ESTIA - Programms keine Unterkunft.\n\n69\n\nVgl. Pro Asyl, „In Griechenland stehen abgeschobene anerkannte Flüchtlinge vor\ndem Nichts - eine Fallstudie“, Bericht vom 4. Januar 2019, S. 3, sowie\nStellungnahme zu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in\nGriechenland, Update vom 30. August 2018, S. 5; Auswärtiges Amt, Auskünfte vom\n23. August 2019 an das VG Potsdam, S. 2, und vom 4. Dezember 2019 an das VG\nBerlin, S. 6 (dazu, dass nach dem zum 1. Januar 2020 in Kraft getretenen neuen\nAsylgesetz die ESTIA-Unterkünfte künftig wohl sofort nach der Anerkennung\nverlassen werden müssen).\n\n70\n\n3) Zur Unterstützung der Integration anerkannt Schutzberechtigter in die\ngriechische Gesellschaft ist zum 1. Juni 2019 das durch die Europäische\nKommission finanzierte und von der IOM durchgeführte sog. „HELIOS 2 -\nProgramm“ (Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International\nProtection) gestartet. Es beinhaltet Integrationskurse,\nUnterstützungsleistungen bei der Suche nach einer Unterkunft, Hilfen zum\nErhalt oder zur Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit (Berufsberatung, Skills\nAssessment), Integrationsüberwachung und Sensibilisierung der\nGastgesellschaft. Zielgruppe des HELIOS 2 - Programms sind allerdings\nausschließlich die nach dem 1. Januar 2018 anerkannten Schutzberechtigten und\noffenbar auch in erster Linie diejenigen, die in einem offenen\nUnterbringungszentrum, Aufnahme- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel\ndes IOM - FILOXENIA - Projekts oder einer Unterkunft im Rahmen des ESTIA -\nProgramms untergebracht sind und aus dieser Unterbringungssituation in ein\nprivates Mietverhältnis überführt werden sollen, nicht zuletzt, um dort\ndringend benötigte freie Ressourcen für Asylsuchende zu schaffen. Im Rahmen\ndes HELIOS 2 - Programms wird den Teilnehmern keine Unterkunft zur Verfügung\ngestellt. Das Projekt bietet vielmehr - neben anderen Integrationshilfen - vor\nallem finanzielle Hilfen zur Anmietung eigenen Wohnraums. Die\nProjektteilnehmer erhalten Informationen und Unterstützung bei der\nWohnungssuche, eine allgemeine finanzielle Starthilfe in Höhe von 440 Euro für\nAlleinstehende und bis zu 1.490 Euro für Familien mit sechs oder mehr Personen\nsowie überdies einen monatlichen Zuschuss zu den Mietkosten von 162 Euro für\nAlleinstehende und bis zu 630 Euro für Familien mit sechs oder mehr Personen\nfür einen Zeitraum von sechs bis maximal zwölf Monaten. Erforderlich ist u. a.\ndie Vorlage eines über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten laufenden\nMietvertrags. Das Ende des Projekts ist für den 30. November 2020 vorgesehen.\n\n71\n\nVgl. im Einzelnen das „Project regulations handbook“ des HELIOS - 2 Programms;\nvgl. auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 23. August 2019 an das VG Potsdam, S.\n2 f.\n\n72\n\nAnerkannt Schutzberechtigte, die erst im Jahr 2020 nach Griechenland\nrückgeführt werden, haben jedoch aller Voraussicht nach keine Chance, an\ndiesem Programm noch teilzunehmen und eine finanzielle Unterstützung für die\nAnmietung einer Unterkunft zu erhalten. Denn ungeachtet der bereits\nbeschriebenen erheblichen Schwierigkeiten, denen insbesondere rückgeführte und\nregelmäßig die griechische Sprache nicht beherrschende anerkannt\nSchutzberechtigte bei dem Versuch der Anmietung privaten Wohnraums in\nGriechenland ohnehin begegnen, und ungeachtet der Frage, ob diese\nPersonengruppe überhaupt die materiellen Antragsvoraussetzungen des HELIOS 2 -\nProgramms erfüllt, dürften die formalen Antragsfristen für eine Teilnahme an\ndem bereits Ende November 2020 auslaufenden Programm zwischenzeitlich\nverstrichen bzw. für rückgeführte Schutzberechtigte nicht einzuhalten sein:\nVor dem 1. Januar 2018 anerkannte Schutzberechtigte sind von vornherein nicht\nantragsberechtigt. Schutzberechtigte, die ihren Schutzstatus nach dem 1.\nJanuar 2018 und vor dem 30. September 2019 erhalten haben, hätten sich für die\nTeilnahme an dem Programm spätestens bis zum 31. Januar 2020 registrieren\nlassen müssen. Schutzberechtigte, die ihren Status nach dem 1. Oktober 2019\nerhalten haben, konnten bzw. können sich lediglich bis zum letzten Tag des\nFolgemonats ihrer Anerkennung registrieren lassen. Diese Frist können\nSchutzberechtigte, die nach ihrer Anerkennung das Land verlassen und im\nAusland einen weiteren Asyl- oder Flüchtlingsschutzantrag gestellt haben,\nregelmäßig nicht einhalten.\n\n73\n\nVgl. auch zu den Antragsfristen das „Project regulations handbook“ des HELIOS\n- 2 Programms.\n\n74\n\n4) Eine Unterbringung rückgeführter anerkannt Schutzberechtigter in einem\nAufnahmelager ist ausgeschlossen, weil sich diese Einrichtungen ausschließlich\nan Asylsuchende richten. Asylsuchende, die in einem Aufnahmelager\nuntergebracht waren, konnten in der Vergangenheit ihren Aufenthalt dort nach\nihrer Anerkennung allenfalls für einen begrenzten Zeitraum verlängern. Ob dies\nangesichts des zunehmenden Drucks auf die griechischen Behörden, für die\nVielzahl der derzeit noch in völlig überfüllten Lagern und Hot Spots auf den\nInseln untergebrachten Asylsuchenden Unterbringungsmöglichkeiten auf dem\nFestland zu schaffen, künftig noch möglich sein wird, dürfte fraglich sein,\nkann aber vorliegend dahinstehen. Denn jedenfalls werden diese Unterkünfte\nrückgeführten anerkannt Schutzberechtigten nicht zur Verfügung stehen.\n\n75\n\nVgl. etwa Pro Asyl, „In Griechenland stehen abgeschobene anerkannte\nFlüchtlinge vor dem Nichts - eine Fallstudie“, Bericht vom 4. Januar 2019, S.\n3, sowie Stellungnahme zu den Lebensbedingungen international\nSchutzberechtigter in Griechenland vom 23. Juni 2017, S. 14.\n\n76\n\n5) Nichtregierungsorganisationen spielen angesichts fehlender staatlicher\nUnterstützung bei der Wohnungssuche anerkannt Schutzberechtigter daher eine\nwichtige Rolle. In Griechenland sind sowohl internationale als auch lokale\nHilfsorganisationen aktiv, die u. a. auch bei der Wohnungssuche helfen.\n\n77\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26. September 2018 an das VG Schwerin, S.\n2.\n\n78\n\nZur Vermeidung von Obdachlosigkeit gibt es in Athen und den unmittelbaren\nNachbarstädten wie Piräus eine Reihe von Obdachlosenunterkünften, die sowohl\nvon Nichtregierungsorganisationen als auch vom griechischen Staat betrieben\nwerden. Nach einer im Juli 2018 durchgeführten Erhebung von Pro Asyl waren die\nUnterkünfte allerdings meist voll belegt, führten Wartelisten und standen\nüberdies einem Großteil der rückgeführten anerkannt Schutzberechtigten aus\nrechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht zur Verfügung:\n\n79\n\n * 80\n\nDie Unterkunft von „KEELPNO“ (des griechischen Zentrums für\nKrankheitskontrolle und Prävention) ist nur für HIV-positive Obdachlose\nvorgesehen.\n\n81\n\n * 82\n\nDie Unterkunft der Stadt Piräus (35-40 Plätze für Erwachsene) steht\nFlüchtlingen nicht offen.\n\n83\n\n * 84\n\nDie Unterkunft des Roten Kreuzes für Familien (80 Plätze) ist seit Mai 2018\ngeschlossen und sollte bis August 2018 geräumt werden.\n\n85\n\n * 86\n\nDie kirchliche Unterkunft „Galini“ beherbergte im Juli 2018 zehn Personen und\nnahm auf unbestimmte Zeit aufgrund einer Sanierung des Gebäudes keine weiteren\nPersonen mehr auf.\n\n87\n\n * 88\n\nDer Schlafsaal der UNESCO (65 Plätze) war im Juli 2018 voll belegt und hatte\neine Warteliste von 20-30 Personen. Die maximale Aufenthaltsdauer beträgt\neinen Monat. Familien werden dort nicht aufgenommen. Ein Steuerbescheid und\nweitere Dokumente werden verlangt. Es gibt keine Dolmetscher. Flüchtlinge, die\nkein Griechisch oder Englisch sprechen, werden daher nicht aufgenommen.\n\n89\n\n * 90\n\nDer Schlafsaal der Ärzte der Welt (55 Plätze) war im Juli 2018 voll belegt und\nhatte eine Warteliste von 15 Personen. Unterkunft wird maximal 10-15 Tage und\nlediglich für die Nacht gewährt. Aufgenommen werden ausschließlich Personen,\ndie sich auf Griechisch oder Englisch verständigen können. Familien sind\nausgenommen.\n\n91\n\n * 92\n\nDie Unterkunft „Fivi“ (8-10 Plätze für Frauen oder Mütter mit Kindern) war im\nJuli 2018 voll belegt und hatte eine Warteliste von acht Personen. Das\nBeherrschen einer üblichen Sprache wie Griechisch oder Englisch wird verlangt.\n\n93\n\n * 94\n\nDie Unterkunft des Erzbistums (10 Plätze) war im Juli 2018 voll belegt. Sie\nnimmt Flüchtlinge nur auf, die eine übliche Sprache beherrschen. Dolmetscher\nwerden nicht gestellt.\n\n95\n\n * 96\n\nDie Unterkunft „EKKA“ (65 Plätze) nimmt nur Personen auf, die Englisch oder\nGriechisch beherrschen. Der Aufenthalt ist auf maximal 3 Monate begrenzt.\nFamilien werden nur ausnahmsweise aufgenommen.\n\n97\n\n * 98\n\nDie Unterkunft der „Sozialen Solidarität“ (100-150 Plätze) der Stadt Athen für\nobdachlose Männer und Frauen war im Juli 2018 mit 120 Personen belegt und\nhatte bereits eine Warteliste von zehn Personen. Ein Steuerbescheid ist für\ndie Aufnahme verpflichtend. Familien werden nicht aufgenommen.\n\n99\n\n * 100\n\nDas Soziale Zentrum für Erwachsene in Vouliagmeni (34 Plätze) war im Juli 2018\nmit 32 Erwachsenen voll belegt und hatte eine Warteliste von 4-5 Personen. Die\nUnterkunft beherbergt Familien nur in Ausnahmefällen und verlangt eine\naktuelle Steuerbescheinigung. Es wird kein Dolmetscher gestellt.\n\n101\n\nVgl. Pro Asyl, Stellungnahme zu den Lebensbedingungen international\nSchutzberechtigter in Griechenland vom 23. Juni 2017, S. 14 ff., sowie Update\nvom 30. August 2018, S. 6 ff.\n\n102\n\nDarüber hinaus werden aktuell verschiedene weitere Unterbringungsmöglichkeiten\ndurch Nichtregierungsorganisationen geboten:\n\n103\n\n * 104\n\nDas AVC - Greece Refugee Center stellt vulnerablen Familien Apartments zur\nVerfügung (Kapazität unbekannt).\n\n105\n\n * 106\n\nDie Caritas stellt im Rahmen des ESTIA - Programms Unterkünfte im „Neos Kosmos\nCommunity Shelter“ zur Verfügung. Dieses Programm richtet sich - wie\naufgezeigt - allein an Asylsuchende.\n\n107\n\n * 108\n\nDie Unterkünfte, die von der Organisation Metadrasi zur Verfügung gestellt\nwerden, stehen lediglich alleinstehenden Müttern mit Kleinkindern in Athen\nsowie unbegleiteten Minderjährigen zur Verfügung.\n\n109\n\n * 110\n\nDie Organisation SolidarityNow stellt im Rahmen des ESTIA - Programms weitere\nUnterkunftsmöglichkeiten zur Verfügung. Rückgeführte anerkannt\nSchutzberechtigte sind - wie aufgezeigt - hiervon ausgeschlossen.\n\n111\n\nVgl. die Nachweise in der in das Verfahren eingeführten Anfragebeantwortung\nder Informations- und Dokumentationsstelle des OVG NRW zu den\nLebensbedingungen für Personen mit internationalem Schutzstatus in\nGriechenland (Stand: 29.10.2019), S. 3 f.\n\n112\n\nWeitere Unterkünfte für bestimmte Zielgruppen werden nach der Auskunftslage\nwie folgt zur Verfügung gestellt:\n\n113\n\n * 114\n\nDie Organisation Perichoreses mietet vornehmlich für vulnerable Menschen aus\ndem Mittleren Osten sowie für lokale Familien in Not Wohnungen an.\n\n115\n\n * 116\n\nDie Organisation Ecological Movement Thessaloniki mietet Wohnungen für\nMenschen an, die sich im Prozess der Familienzusammenführung befinden.\n\n117\n\n * 118\n\nDie Organisation Za´atar stellt in ihrem Orange House in Athen bis zu 15\nMüttern mit ihren Kindern für 4-6 Monate eine Unterkunft zur Verfügung.\n\n119\n\n * 120\n\nDie Organisationen Society for the Care of Minors und The Smile of the Child\nbetreuen Heime für unbegleitete minderjährige Kinder und junge Erwachsene.\n\n121\n\nVgl. die Nachweise in der Aufstellung der Botschaft der Bundesrepublik\nDeutschland in Athen zu „Hilfsorganisationen - Hilfe für Flüchtlinge in\nGriechenland“ von Dezember 2019.\n\n122\n\nBei dieser Auskunftslage ist davon auszugehen, dass auch aktuell die\nbestehenden Möglichkeiten, auf dem griechischen Festland in staatlich oder von\nNichtregierungsorganisationen betriebenen Einrichtungen Unterkunft zu finden,\nfür einen Großteil der rückgeführten anerkannt Schutzberechtigten rechtlich\noder tatsächlich nicht zugänglich sind. Anhaltspunkte dafür, dass sich diese\näußerst schwierige Unterbringungssituation zwischenzeitlich entscheidend\nverbessert haben könnte, bestehen nicht. Nach wie vor wird die Zahl der\nUnterkünfte auch unter Berücksichtigung der von den\nNichtregierungsorganisationen zur Verfügung gestellten\nUnterbringungsmöglichkeiten übereinstimmend als nicht ausreichend bewertet.\n\n123\n\nVgl. Pro Asyl, „In Griechenland stehen abgeschobene anerkannte Flüchtlinge vor\ndem Nichts - eine Fallstudie“, Bericht vom 4. Januar 2019, S. 3; aida, Country\nReport: Greece, Update 2018 (März 2019), S. 185; Auswärtiges Amt, Auskünfte\nvom 1. Februar 2019 an das VG Chemnitz, S. 5 f., und vom 6. Dezember 2018 an\ndas VG Stade, S. 3.\n\n124\n\n6) Wie viele Menschen tatsächlich obdachlos sind, ist nicht bekannt.\nSchätzungen zufolge sollen es im Jahr 2019 allein im Athener Stadtzentrum noch\nca. 1.500 Menschen gewesen sein. Ein Großteil der Obdachlosen kommt nicht in\nNotunterkünften unter, sondern lebt auf der Straße, schläft bei extremer Kälte\nin beheizten Hallen oder Metrostationen in der Athener Innenstadt oder\nvielfach auch in verlassenen Gebäuden, die jedoch häufig ohne Zugang zu Wasser\nund Strom sind.\n\n125\n\nVgl. Pro Asyl, „Abschiebungen ins Nichts: Zur Situation von anerkannten\nFlüchtlingen in Griechenland“, Bericht vom 7. Januar 2019, und Stellungnahme\nzu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom\n23. Juni 2017, S. 3, 14 ff., 16 f., sowie Update vom 30. August 2018, S. 5;\nvgl. auch taz vom 1. August 2019 „Obdachlosigkeit in Griechenland“,\nGriechenland-Zeitung vom 12. Juli 2018 „Obdachlose: Im Durchschnitt männlich,\nbis 44 Jahre alt“ und fm.orf.at vom 4. Februar 2018 „Obdachlosigkeit in\nAthen“, alle im Internet abrufbar (abgerufen am 5. Mai 2020).\n\n126\n\nEs ist zu erwarten, dass sich diese ohnehin schon prekäre Situation nicht\nentspannen, sondern eher verschärfen wird, wenn die griechische Regierung ihr\nVorhaben umsetzt, im Laufe des Jahres rund 20.000 Asylsuchende von den völlig\nüberlasteten Inseln auf das Festland zu verbringen.\n\n127\n\nVgl. hierzu etwa Die Welt vom 3. November 2019 „Eine Reparatur des Türkei-\nDeals - die auch Deutschland entlastet“, Deutsche Welle vom 1. November 2019\n„Harte Zeiten für Asylbewerber in Griechenland“, Deutsche Welle vom 31.\nOktober 2019 „Lage von Migranten in Griechenland ´explosiv´“ und Handelsblatt\nvom 25. Oktober 2019 „Schärfere Asylgesetze - Griechenland will härter gegen\nAsylbewerber vorgehen“, alle im Internet abrufbar (abgerufen am 5. Mai 2020);\nvgl. zu dieser Einschätzung aktuell auch VG Minden, Urteile vom 6. Februar\n2020 - 12 K 491/19.A -, juris, Rn. 126 ff., sowie vom 6. Februar 2020 - 12 K\n492/19.A -, juris, Rn. 129 ff., und VG Magdeburg, Urteil vom 10. Oktober 2019\n- 6 A 390/19 -, juris, Rn. 39, jeweils m. w. N.\n\n128\n\nDass Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen nach Wahrnehmung des\nAuswärtigen Amtes dennoch (bislang) kein augenscheinliches Massenphänomen\ndarstellt, mag zwar auch darauf zurückzuführen sein, dass Flüchtlinge, denen\ndie Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende nicht (mehr) zur Verfügung\nstehen, teilweise „auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung\ninnerhalb der jeweiligen Landsmannschaft“ und hierdurch gebotene „informelle\nMöglichkeiten“ der Unterkunft (etwa in illegal besetzten Gebäuden, wie z. B.\nehemaligen Schulen, Hotels oder Krankenhäusern) zurückgreifen.\n\n129\n\nVgl. hierzu Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 6. Dezember 2018 an das VG Stade,\nS. 3, vom 26. September 2018 an das VG Greifswald, S. 6, und vom 22. August\n2017 an das VG Hamburg; vgl. insoweit auch VG Cottbus, Beschluss vom 10.\nFebruar 2020 - 5 L 581/18.A -, juris, Rn. 33 ff.\n\n130\n\n„Informelle Möglichkeiten“ der Unterkunft in verlassenen bzw. besetzten\nGebäuden sind allerdings nicht nur illegal, weswegen (nicht nur) rückgeführte\nanerkannt Schutzberechtigte hierauf nicht verwiesen werden können.\n\n131\n\nVgl. hierzu etwa VG Minden, Urteile vom 6. Februar 2020 - 12 K 491/19.A -,\njuris, Rn. 138, sowie vom 6. Februar 2020 - 12 K 492/19.A -, juris, Rn. 141;\nVG Meiningen, Urteil vom 28. Januar 2020 - 2 K 648/19 -, juris, Rn. 49; VG\nMagdeburg, Urteil vom 10. Oktober 2019 - 6 A 390/19 -, juris, Rn. 39; so wohl\nauch Schl.-H. OVG, Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB 17/18 -, juris, Rn.\n172.\n\n132\n\nDie Unterkünfte weisen häufig zudem menschenunwürdige Zustände auf, es fehlt\nein gesicherter Zugang zu sanitären Einrichtungen, zu Wasser und zu Strom. Die\nBewohner der Unterkünfte sind überdies zunehmend mit der Gefahr der Räumung\nder Gebäude konfrontiert.\n\n133\n\nVgl. Pro Asyl, „Abschiebungen ins Nichts: Zur Situation von anerkannten\nFlüchtlingen in Griechenland“, Bericht vom 7. Januar 2019, und Stellungnahme\nzu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom\n23. Juni 2017, S. 3, 14 ff., 16 f., und Update vom 30. August 2018, S. 5; vgl.\nauch Griechenlandsolidarität vom 26. August 2019 „Häuserräumungen in\nExarchia“, im Internet abrufbar (abgerufen am 5. Mai 2020).\n\n134\n\nDass massenhafte Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen bislang (noch)\nnicht zu beobachten ist, dürfte neben der beschriebenen „Flucht in die\nIllegalität“ überdies auch darauf zurückzuführen sein, dass zum einen die\ngroße Zahl der Asylsuchenden unter den Flüchtlingen in aller Regel in\nstaatlichen Aufnahmelagern oder Wohnungen des ESTIA - Programms untergebracht\nist und dort nach der Anerkennung - wie aufgezeigt - bislang für eine\nÜbergangszeit von sechs bis zwölf Monaten weiter „geduldet“ wurde, und dass\nzum anderen die vorliegend zu betrachtende Gruppe der rückgeführten anerkannt\nSchutzberechtigten, die dadurch, dass sie Griechenland vorübergehend verlassen\nhatten, besonderen Integrationsschwierigkeiten ausgesetzt sind,\n\n135\n\nvgl. etwa Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26. September 2018 an das VG Schwerin,\nS. 3,\n\n136\n\nbislang noch relativ klein ist. Denn die Zahl der Rückführungen nach\nGriechenland ist offenbar nach wie vor gering.\n\n137\n\nVgl. hierzu die Antwort der Bundesregierung vom 9. August 2019 auf die Kleine\nAnfrage u. a. der Fraktion DIE LINKE zu Abschiebungen und Ausreisen im ersten\nHalbjahr 2019, BT-Drucksache 19/12240, S. 3 (neben 7 Dublin-Überstellungen\ninsgesamt 70 „Abschiebungen“ im 1. Halbjahr 2019); vgl. auch Auswärtiges Amt,\nAuskünfte vom 1. Februar 2019 an das VG Chemnitz, S. 5 („geringe Fallzahlen“),\nvom 6. Dezember 2018 an das VG Stade, S. 9 (34 Rückführungen aus Deutschland\nim Zeitraum Januar bis September 2018 nach Angaben des BMI), vom 26. September\n2018 an das VG Schwerin, S. 2 (52 Rückführungen aus 5 europäischen Ländern,\ndavon 7 aus Deutschland, in der ersten Jahreshälfte 2018 nach Angaben der\ngriechischen Polizei), vom 7. Februar 2018 an das VG Köln, S. 3 („sehr wenige\nRückkehrer“) und vom 27. Dezember 2017 an das VG Leipzig, S. 3 („bislang\nwenige Rückkehrer“).\n\n138\n\nDieser Umstand verleiht auch den - wenigen - veröffentlichten\nFallschilderungen von rückgeführten anerkannt Schutzberechtigten,\n\n139\n\nvgl. Pro Asyl, „Abschiebungen ins Nichts: Zur Situation von anerkannten\nFlüchtlingen in Griechenland“, Bericht vom 7. Januar 2019, „In Griechenland\nstehen abgeschobene anerkannte Flüchtlinge vor dem Nichts - eine Fallstudie“,\nBericht vom 4. Januar 2019, und Stellungnahme zu den Lebensbedingungen\ninternational Schutzberechtigter in Griechenland vom 23. Juni 2017, S. 18 f.,\n\n140\n\neine hinreichende Aussagekraft, zumal anderslautende Erkenntnisse - etwa dahin\ngehend, dass rückgeführte anerkannt Schutzberechtigte regelmäßig mehrheitlich\nalsbald nach ihrer Rückführung legal untergebracht werden oder im Rahmen\nlandsmannschaftlicher Vernetzung eine menschenwürdige Unterkunft finden und\ndie wenigen veröffentlichten Gegenbeispiele angesichts dessen Ausnahmen\ndarstellen - gerade nicht veröffentlicht sind.\n\n141\n\na. A.: VG Cottbus, Beschluss vom 10. Februar 2020 - 5 L 581/18.A -, juris, Rn.\n34; Schl.-H. OVG, Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB 17/18 -, juris, Rn. 172\nund 182.\n\n142\n\nAusgehend von den unter den Ziffern 1) bis 6) dargestellten Auskünften und\nallgemein zugänglichen Nachrichten besteht für anerkannt Schutzberechtigte\nnach einer Rückführung nach Griechenland zur Überzeugung der Kammer mit\nbeachtlicher Wahrscheinlichkeit im Regelfall die ernsthafte Gefahr, dass sie\nunabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen für einen\nlängeren Zeitraum obdachlos werden oder unter menschenunwürdigen Bedingungen\nin verlassenen bzw. illegal besetzten Gebäuden, Hallen oder anderen\n„informellen“ Unterkünften leben müssen.\n\n143\n\ncc. Dieser Gefahr werden anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland\nrückgeführt werden, voraussichtlich nicht durch die Aufnahme bezahlter Arbeit,\nstaatliche Sozialleistungen, die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen oder\ndie Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes wirksam entgegenwirken\nkönnen.\n\n144\n\nVgl. VG Aachen, Urteile vom 16. März 2019 - 10 K 157/19.A -, juris, Rn. 132\nff., und vom 16. März 2019 - 10 K 875/19.A -, juris, Rn. 130 ff., beide m. w.\nN.\n\n145\n\n1) Die Sprachbarriere und die generell hohe Arbeitslosigkeit in Griechenland\nerschweren ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt. Griechenland verzeichnete im\nJanuar 2020 eine Arbeitslosenquote von 16,5 %. Dies bedeutet nach wie vor die\nhöchste Arbeitslosenquote in der Europäischen Union (Durchschnitt: 6,6 %).\nDurch die anhaltende Finanz- und Wirtschaftskrise haben sich die\nArbeitschancen, die in der Vergangenheit vor allem in den Branchen\nLandwirtschaft, Bauwesen, haushaltsnahe und sonstige Dienstleistungen\nbestanden, deutlich verschlechtert. Ohne griechische Sprachkenntnisse dürfte\nes auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass (auch) Schutzberechtigten\ngrundsätzlich eine erhebliche Eigeninitiative hinsichtlich der Sicherung ihres\nExistenzminimums abverlangt werden kann, nur schwer möglich sein, in\nGriechenland Arbeit zu finden.\n\n146\n\nVgl. hierzu die Darstellung von Statista, im Internet abrufbar unter:\nhttps://de.statista.com/statistik/daten/\nstudie/160142/umfrage/arbeitslosenquote-in-den-eu-laendern/ (abgerufen am 5.\nMai 2020); vgl. auch Pro Asyl, Bericht vom 4. Januar 2019 „In Griechenland\nstehen abgeschobene anerkannte Flüchtlinge vor dem Nichts - eine Fallstudie“,\nS. 5; Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 4. Dezember 2019 an das VG Berlin, S. 7,\nvom 26. September 2018 an das VG Schwerin, S. 3, und vom 26. September 2018 an\ndas VG Greifswald, S. 2, sowie die ausführlichen Darstellungen der nach wie\nvor desolaten wirtschaftlichen Situation Griechenlands durch das VG Magdeburg,\nUrteil vom 10. Oktober 2019 - 6 A 390/19 -, juris, Rn. 34 f., m. w. N., und\njüngst durch das VG Minden, Urteile vom 6. Februar 2020 - 12 K 491/19.A -,\njuris, Rn. 45 ff. und 111 ff., sowie vom 6. Februar 2020 - 12 K 492/19.A -,\njuris, Rn. 48 ff. und 114 ff.\n\n147\n\nMit Blick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auch auf Griechenland, die\nweitreichenden Betriebsschließungen und Ausgangssperren seit dem 23. März 2020\nund die nur schrittweisen Lockerungen seit dem 5. Mai 2020,\n\n148\n\nvgl. hierzu https://griechenland.diplo.de/gr-de/willkommen/corona/2311302, im\nInternet abrufbar (abgerufen am 5. Mai 2020),\n\n149\n\nist (auch) für Griechenland zu erwarten, dass sich die ohnehin schon\nhochproblematische wirtschaftliche Situation des Landes weiter verschlechtern\nund sich die Aussichtslosigkeit, als Ausländer ohne griechische\nSprachkenntnisse Arbeit zu finden, verstärken wird.\n\n150\n\nDie wenigen Flüchtlinge, die trotz der beschriebenen Schwierigkeiten Arbeit\nfinden, sind meist illegal beschäftigt.\n\n151\n\nVgl. aida, Country Report: Greece, Update 2018 (März 2019), S. 187 f.; Pro\nAsyl, Stellungnahme zu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter\nin Griechenland vom 23. Juni 2017, S. 3.\n\n152\n\nAuf illegale, unversicherte Arbeit in der Schattenwirtschaft, in der die\nständige Gefahr der Ausbeutung besteht, müssen sich anerkannt\nSchutzberechtigte jedoch nicht verweisen lassen.\n\n153\n\nVgl. hierzu etwa VG Minden, Urteile vom 6. Februar 2020 - 12 K 491/19.A -,\njuris, Rn. 135, sowie vom 6. Februar 2020 - 12 K 492/19.A -, juris, Rn. 138;\nVG Meiningen, Urteil vom 28. Januar 2020 - 2 K 648/19 -, juris, Rn. 49; VG\nOldenburg, Urteil vom 20. November 2019 - 11 A 265/19 -, juris, Rn. 37; VG\nMagdeburg, Urteil vom 10. Oktober 2019 - 6 A 390/19 -, juris, Rn. 39.\n\n154\n\n2) Aus dem Ausland rückgeführte anerkannt Schutzberechtigte haben keinen\nZugang zu staatlichen Sozialleistungen, die sie in die Lage versetzen könnten,\nihren Lebensunterhalt zu sichern und eine Wohnung anzumieten.\n\n155\n\nDas System der sozialen Grundsicherung sieht Geldleistungen (erste Säule)\nsowie Sachleistungen (zweite Säule) und Arbeitsvermittlung (dritte Säule) vor.\nDie erste Säule besteht aus einem Sozialgeld („KEA“) von 200 Euro pro\nEinzelperson. Dieser Betrag erhöht sich um 100 Euro je weitere erwachsene\nPerson und 50 Euro je weitere minderjährige Personen im Haushalt. Maximal wird\nein Sozialgeld i. H. v. 900 Euro pro Haushalt gezahlt. Die zweite Säule\nbesteht aus sozialen Hilfsprogrammen. Dazu gehören eine prioritäre\nUnterbringung in Kindertagesstätten und freie Schulmahlzeiten sowie\nSachleistungen, wie z. B. trockene Grundnahrungsmittel, Kleidung und\nHygieneartikel. Im Rahmen der dritten Säule stellt die griechische\nArbeitsagentur OAED seit Juni 2018 für alle anerkannt Schutzberechtigten eine\nArbeitslosenkarte aus. Diese berechtigt zur kostenlosen Nutzung des\nöffentlichen Nahverkehrs, zu kostenlosem Eintritt in Museen, sie enthält\nErmäßigungen für Gas-, Wasser- und Stromrechnungen und einige ermäßigte\nberufliche Fortbildungsmaßnahmen.\n\n156\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskunft u. a. vom 1. Februar 2019 an das VG Chemnitz,\nS. 3 ff.\n\n157\n\nVoraussetzung für den Bezug dieser staatlichen Sozialleistungen ist jedoch der\nNachweis eines dauerhaften (inzwischen) zweijährigen Mindestaufenthalts im\nInland durch die inländischen Steuererklärungen der beiden Vorjahre. Aus dem\nAusland zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte sind daher - ungeachtet der\nfür diese bestehenden Schwierigkeiten bei der Erlangung der zusätzlich\nerforderlichen Nachweise über die Unterbringung in einer Wohnung oder\nalternativ den Status als Obdachlose - bereits mangels des erforderlichen\nlegalen Voraufenthalts in Griechenland von einem Bezug regelmäßig\nausgeschlossen.\n\n158\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 4. Dezember 2019, S. 5 und 9; Pro Asyl,\nStellungnahme zu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in\nGriechenland, Update vom 30. August 2018, S. 4; vgl. zum vormals geltenden\nErfordernis eines mindestens _einjährigen_ legalen Inlandsaufenthalts:\nAuswärtiges Amt, Auskünfte u. a. vom 1. Februar 2019 an das VG Chemnitz, S. 5,\nund vom 6. Dezember 2018 an das VG Stade, S. 6 f.\n\n159\n\nIm Ergebnis das Gleiche gilt für die zum 1. Januar 2019 eingeführte\nwohnungsbezogene Sozialleistung, die ein monatliches Wohngeld von 70 Euro bzw.\nmaximal 210 Euro pro Haushalt umfasst. Voraussetzung hierfür ist ein\nfünfjähriger dauerhafter und legaler Aufenthalt in Griechenland, der von\nrückgeführten Schutzberechtigten regelmäßig selbst dann nicht nachzuweisen\nsein dürfte, wenn die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet wird.\n\n160\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 4. Dezember 2019, S. 5, vom 23. August\n2019 an das VG Potsdam, S. 2, vom 1. Februar 2019 an das VG Chemnitz, S. 2,\nund vom 6. Dezember 2018 an das VG Stade, S. 2.\n\n161\n\nFür rückgeführte anerkannt Schutzberechtigte ist überdies ein Neueintritt in\ndas EU-finanzierte Cash-Card-Programm, welches für eine Übergangszeit von 6\nbis 12 Monaten Geldleistungen gewährt (150 Euro für alleinreisende Männer pro\nMonat), nicht möglich.\n\n162\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 4. Dezember 2019, S. 6 f., und vom 6.\nDezember 2018 an das VG Stade, S. 10 f.; vgl. auch die Nachweise in der in das\nVerfahren eingeführten Anfragebeantwortung der Informations- und\nDokumentationsstelle des OVG NRW zu den Lebensbedingungen für Personen mit\ninternationalem Schutzstatus in Griechenland (Stand: 29.10.2019), S. 2 f.\n\n163\n\nArbeitslosenhilfe werden aus dem Ausland rückgeführte anerkannt\nSchutzberechtigte nicht erhalten, weil Voraussetzung hierfür u. a.\nVorversicherungszeiten sind, die von zurückkehrenden anerkannt\nSchutzberechtigten regelmäßig nicht erfüllt werden.\n\n164\n\nVgl. hierzu Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 1. Februar 2019 an das VG Chemnitz,\nS. 4, und vom 26. September 2018 an das VG Greifswald, S. 6.\n\n165\n\nEinem Anspruch auf Kindergeld steht schließlich ebenfalls entgegen, dass der\nEmpfänger in den letzten fünf Jahren fest und ohne Unterbrechung in\nGriechenland gelebt haben muss.\n\n166\n\nVgl. die Erläuterung der Europäischen Kommission zu „Griechenland -\nFamilienleistungen“, im Internet abrufbar unter:\nhttps://ec.europa.eu/social/main.jsp? catId=1112&langId;=de&intPageId;=4560\n(abgerufen am 5. Mai 2020).\n\n167\n\n3) Auch von Nichtregierungsorganisationen ist eine wirksame Hilfe bei der\nSuche nach einer menschenwürdigen Unterkunft nicht zu erwarten.\n\n168\n\nNichtregierungsorganisationen helfen u. a. bei Behördengängen, etwa bei der\nBeantragung von Sozialversicherungsnummer und Steuernummer, bieten Sprach- und\nIntegrationskurse an, unterstützen bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche,\ngeben Lebensmittel, Hygieneprodukte, Kleidung, Möbel und Haushaltsgegenstände\naus und verteilen kostenlose Mahlzeiten.\n\n169\n\nVgl. die Nachweise in der in das Verfahren eingeführten Anfragebeantwortung\nder Informations- und Dokumentationsstelle des OVG NRW zu den\nLebensbedingungen für Personen mit internationalem Schutzstatus in\nGriechenland (Stand: 29.10.2019), S. 3 ff.; vgl. auch Auswärtiges Amt,\nAuskünfte vom 6. Dezember 2018 an das VG Stade, S. 7 und 10 f., und vom 26.\nSeptember 2018 an das VG Schwerin, S. 2; Pro Asyl, Stellungnahme zu den\nLebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Update vom\n30. August 2018, S. 9.\n\n170\n\nInsoweit hat es seine Berechtigung, diese Hilfsmaßnahmen, die ergänzt werden\ndurch Hilfen der orthodoxen Kirche und der Zivilgesellschaft, als „elementares\nAuffangnetz gegen Hunger und Entbehrungen“ zu bezeichnen.\n\n171\n\nVgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26. September 2018 an das VG Schwerin, S.\n4; vgl. insoweit auch VG Cottbus, Beschluss vom 10. Februar 2020 - 5 L\n581/18.A -, juris, Rn. 24; VG Oldenburg, Urteil vom 20. November 2019 - 11 A\n265/19 -, juris, Rn. 29; Schl.-H. OVG, Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB\n17/18 -, juris, Rn. 139 ff., 141.\n\n172\n\nDiese Hilfen vermögen nach der Auskunftslage rückgeführte anerkannt\nSchutzberechtigte aber nicht in die Lage zu versetzen, eine menschenwürdige\nUnterkunft zu finden. Soweit Unterkunftsmöglichkeiten von\nNichtregierungsorganisationen überhaupt zur Verfügung gestellt werden und sich\nderen Hilfe nicht ohnehin lediglich auf eine Unterstützung bei der - in der\nRegel aussichtslosen - Wohnungssuche beschränkt, stehen die wenigen Plätze -\nwie im Einzelnen aufgezeigt - aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen\nlediglich einem sehr kleinen Teil der Schutzberechtigten zur Verfügung. Dem\nGroßteil der Schutzberechtigten, die weder Griechisch noch Englisch sprechen,\nsind sie im Regelfall verschlossen.\n\n173\n\n4) Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes verspricht ebenfalls\nkeinen wirksamen Schutz gegen die drohende länger andauernde Obdachlosigkeit\nund die in der Folge zu erwartende Verelendung. Dabei geht die Kammer davon\naus, dass Griechenland grundsätzlich ein funktionierendes Rechtssystem\naufweist.\n\n174\n\nVgl. die Einführung von Greek Law Digest, im Internet abrufbar unter:\nhttp://greeklawdigest.gr/topics/citizens-the-state/item/262-citizens-the-\nstate-introduction (abgerufen am 5. Mai 2020); vgl. auch USDOS vom 13. März\n2019, Country Report on Human Rigths Practices 2018: Greece, S. 6 f.\n\n175\n\nAllerdings dauern behördliche Verfahren und Gerichtsprozesse regelmäßig lange,\nnicht selten Jahre und sind zudem umständlich und nicht immer durchschaubar,\ninsbesondere für diejenigen, die mit Sprache und Rechtssystem nicht vertraut\nsind.\n\n176\n\nVgl. Pro Asyl, Stellungnahme zu den Lebensbedingungen international\nSchutzberechtigter in Griechenland vom 23. Juni 2017, S. 10; Auswärtiges Amt,\nAuskunft vom 26. September 2018 an das VG Schwerin, S. 6.\n\n177\n\nZwar bieten Nichtregierungsorganisationen auch insoweit Unterstützung und u.\na. kostenlose rechtliche Beratung und Dolmetscher- bzw. Übersetzungsdienste\nan.\n\n178\n\nVgl. die Nachweise in der in das Verfahren eingeführten Anfragebeantwortung\nder Informations- und Dokumentationsstelle des OVG NRW zu den\nLebensbedingungen für Personen mit internationalem Schutzstatus in\nGriechenland (Stand: 29.10.2019), S. 4; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26.\nSeptember 2018 an das VG Schwerin, S. 6.\n\n179\n\nEs bleibt jedoch bei dem grundlegenden Befund, wie er sich zur Überzeugung der\nKammer aus der Auswertung der Auskunftslage ergibt: Die Zahl der Unterkünfte\nist auch unter Berücksichtigung der von den Nichtregierungsorganisationen zur\nVerfügung gestellten Unterbringungsmöglichkeiten bei weitem nicht ausreichend.\nEine Unterbringung in einer der Unterkünfte nichtstaatlicher Organisationen\nund Einrichtungen lässt sich mit Hilfe staatlicher Gerichte nicht durchsetzen.\nDer gerichtlichen Durchsetzung einer Unterbringung in einer staatlichen\nObdachlosenunterkunft steht evident entgegen, dass es ohnehin kaum Plätze in\nden wenigen vorhandenen Unterkünften gibt, die zudem vollständig ausgelastet\nsind und bereits lange Wartelisten führen. Bei dieser Sachlage ist\nvernünftigerweise nicht zu erwarten, dass rückgeführte anerkannt\nSchutzberechtigte einen „Anspruch“, in einer staatlichen Obdachlosenunterkunft\nuntergebracht zu werden, überhaupt - und zudem zeitnah nach ihrer Ankunft auf\ndem griechischen Festland - werden durchsetzen können.\n\n180\n\na. A. offenbar Schl.-H. OVG, Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB 17/18 -,\njuris, Rn. 167 und 175, und Österreichisches BVwG, Erkenntnis vom 24. Juli\n2019 - W235 2216337-1 -, das insoweit (sogar) auf die mögliche Anrufung des\nEGMR verweist, S. 14, im Internet abrufbar im österreichischen\nRechtsinformationssystem RIS unter: https://www.ris.bka.gv.at/ Bvwg/\n(abgerufen am 5. Mai 2020).\n\n181\n\ndd. Gleichgültigkeit wird man dem griechischen Staat nicht vorwerfen können.\nDie aufgezeigten Unzulänglichkeiten der Lebensbedingungen für Flüchtlinge, im\nvorliegend relevanten Zusammenhang vor allem für anerkannt Schutzberechtigte,\nberuhen vielmehr offenkundig auf einer völligen Überforderung des griechischen\nStaats mit dem insbesondere seit 2015 fortdauernden Flüchtlingsstrom, der die\nKrisengebiete in T. und im Irak verlässt und sich über die Türkei nach\nGriechenland bewegt. Diese Überforderung, die trotz aller Anstrengungen des\ngriechischen Staats und der ins Leben gerufenen Hilfsprogramme des UNHCR und\nder IOM bis in die Gegenwart festzustellen ist, wirkt sich für die Betroffenen\nallerdings aus wie eine staatliche Gleichgültigkeit und ist daher für die\nFrage, ob zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland eine\nVerletzung von Art. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK droht, relevant.\n\n182\n\nee. Soweit in der Rechtsprechung schließlich vereinzelt eine Verletzung von\nArt. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK auch mit der Begründung\nabgelehnt worden ist, die aus Griechenland ausreisenden Schutzstatusinhaber\nhätten sich mit ihrer Ausreise freiwillig und bewusst ihres Unterkunfts- und\nSozialleistungsanspruchs begeben,\n\n183\n\nvgl. etwa VG Oldenburg, Urteil vom 20. November 2019 - 11 A 265/19 -, juris,\nRn. 23; Schl.-H. OVG, Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB 17/18 -, juris, Rn.\n116; VG Osnabrück, Urteil vom 2. September 2019 - 5 A 326/18 -, juris, Rn. 44,\n\n184\n\nsteht dies der Annahme einer erniedrigenden Behandlung nicht entgegen. Denn\nentscheidungserheblicher Zeitpunkt ist nach § 77 Abs. 1 AsylG der Zeitpunkt\nder letzten mündlichen Verhandlung. Droht in diesem Zeitpunkt dem\nAsylantragsteller im Fall einer Rückkehr in den Abschiebezielstaat eine\nerniedrigende Behandlung, sind die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen\nArt. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK erfüllt, und zwar unabhängig\ndavon, ob bei einem hypothetischen Kausalverlauf, namentlich bei einem\nVerbleib in Griechenland, die Lebensbedingungen besser gewesen wären und die\nSchwelle der Erheblichkeit für einen Verstoß noch nicht überschritten worden\nwäre.\n\n185\n\nVgl. VG Minden, Urteile vom 6. Februar 2020 - 12 K 491/19.A -, juris, Rn. 150,\nsowie vom 6. Februar 2020 - 12 K 492/19.A -, juris, Rn. 155; VG Meiningen,\nUrteil vom 28. Januar 2020 - 2 K 648/19 -, juris, Rn. 49; VG Magdeburg, Urteil\nvom 10. Oktober 2019 - 6 A 390/19 -, juris, Rn. 41.\n\n186\n\nb. Ausgehend von diesen Feststellungen zur allgemeinen Situation von\nrückgeführten anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland ist im Einzelfall\nder Kläger davon auszugehen, dass (auch) ihnen bei einer Rückführung nach\nGriechenland unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen\nmit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine länger andauernde Obdachlosigkeit\ndroht.\n\n187\n\nDabei ist allerdings nicht entscheidungserheblich, welche Behandlung die\nKläger bei ihrem zurückliegenden Aufenthalt in Griechenland erfahren haben, da\n- wie bereits dargelegt - auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch die Kammer\nabzustellen ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).\n\n188\n\nVgl. auch EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 88;\nOVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 52.\n\n189\n\nBei den Klägern handelt es sich um eine vierköpfige Familie mit zwei\nminderjährigen Kindern im Alter von vier und fünf Jahren. Zu der Familie\ngehört überdies die noch nicht ein Jahr alte Klägerin des parallel geführten\nVerfahrens 10 K 2052/19.A. Der 28-jährige Kläger zu 1. und die 24-jährige\nKlägerin zu 2. sind dem Akteninhalt nach zwar gesund und uneingeschränkt\nerwerbsfähig. Gleichwohl wird es den Klägern nach Überzeugung der Kammer (§\n108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) angesichts der unter a. im Einzelnen beschriebenen\nSchwierigkeiten und Unzulänglichkeiten der Aufnahmebedingungen in Griechenland\nnicht gelingen, alsbald nach ihrer Rückkehr eine menschenwürdige Unterkunft zu\nfinden und jedenfalls ihre elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) zu\nbefriedigen. Den Klägern drohen vielmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit\nVerelendung und für einen längeren Zeitraum ein Leben unter menschenunwürdigen\nBedingungen. Denn auch sie gehören zur Gruppe der zurückkehrenden anerkannt\nSchutzberechtigten, die weder eine realistische Chance haben, auf dem privaten\nWohnungsmarkt eine Wohnung zu finden noch in den vorhandenen Aufnahmelagern\noder in Unterkünften des ESTIA - Programms untergebracht zu werden.\nObdachlosenunterkünfte werden ihnen verschlossen sein, und zwar unabhängig\ndavon, ob sie von staatlicher Seite oder von Nichtregierungsorganisationen\ngetragen werden. Auch wenn einige Obdachlosenunterkünfte ausdrücklich\nvulnerablen Personen und Familien mit (Klein-)Kindern offenstehen, ist nach\nder Auskunftslage davon auszugehen, dass diese Unterkünfte bereits jetzt\nhoffnungslos überfüllt sind und Wartelisten führen. Dass die Familie alsbald\nnach ihrer Rückkehr in einer Obdachlosenunterkunft Zuflucht finden wird, ist\nvor diesem Hintergrund daher nicht beachtlich wahrscheinlich.\n\n190\n\nVgl. insoweit auch die Fallstudie einer Ende 2018 nach Griechenland\nzurückgekehrten und international schutzberechtigten vierköpfigen Familie von\nPro Asyl, „In Griechenland stehen abgeschobene anerkannte Flüchtlinge vor dem\nNichts - eine Fallstudie“, Bericht vom 4. Januar 2019.\n\n191\n\nEine Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zur Erlangung einer\nmenschenwürdigen Unterkunft erscheint angesichts der tatsächlichen Situation,\nalso der offenkundig fehlenden Kapazität, von vornherein aussichtslos. Die\nKläger werden ebenfalls keine Möglichkeit haben, staatliche Sozialleistungen\nwie das Sozialgeld KEA, Wohngeld oder Geldleistungen aus dem Cash-Card-\nProgramm zu erlangen, und auch keine Leistungen aus dem HELIOS 2 - Programm\nerhalten. Sie werden vielmehr nach ihrer Ankunft auf dem griechischen Festland\nvon den staatlichen Behörden alleingelassen und auf sich gestellt sein und\nunabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine\nSituation extremer materieller Not geraten.\n\n192\n\nDass die Kläger ausnahmsweise aufgrund ihrer persönlichen Umstände -\ninsbesondere ihres Alters, Geschlechts, Gesundheitszustands, ihrer\nVolkszugehörigkeit oder Ausbildung, ihres Vermögens oder familiärer oder\nfreundschaftlicher Verbindungen - befähigt sind, trotz der beschriebenen\nunzuträglichen Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Griechenland eine\nmenschenwürdige Unterkunft zu erlangen, ergibt sich aus dem Akteninhalt nicht.\nIm Rahmen der persönlichen Anhörung der Kläger zu 1. und 2. beim Bundesamt\nhaben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sie etwa (noch) über eine\nsoziale Vernetzung in Griechenland (landsmannschaftliches bzw. familiäres\nNetzwerk) verfügen, die eine Unterbringung bei Freunden, Verwandten etc.\nerwarten lässt. Auch haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass den\nKlägern finanzielle Mittel in einer Höhe zur Verfügung stehen, die ihnen die\nprivate Anmietung einer Wohnung in Griechenland ermöglichen werden, oder dass\ndie Kläger zu 1. und 2. über persönliche Fähigkeiten und/oder Sprachkenntnisse\nverfügen, die ihnen alsbald nach einer Rückkehr nach Griechenland\nausnahmsweise die Aufnahme einer Arbeit ermöglichen könnten, mit deren Hilfe\nsie sich eine menschenwürdige Existenz aufbauen könnte.\n\n193\n\nc. Der Feststellung, dass den Klägern im Falle ihrer Rückführung nach\nGriechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erniedrigende Behandlung\nim Sinne des Art. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK droht, steht\nschließlich nicht entgegen, dass das griechische Ministerium für\nMigrationspolitik mit Schreiben vom 8. Januar 2018 auf die rechtzeitige\nUmsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates\nvom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von\nDrittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf\ninternationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder\nfür Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Erhalt des zu\ngewährenden Schutzes (sog. Anerkennungsrichtlinie) hingewiesen und zugesichert\nhat, anerkannten Schutzberechtigten sämtliche ihnen aus dieser Richtlinie\nsowie der EMRK zustehenden Rechte zu gewähren.\n\n194\n\nEine zuvor beim Zielstaat der Rückführung eingeholte Zusicherung kann zwar\ngeeignet sein, im Einzelfall eine Verletzung von Art. 4 der Grundrechtecharta\nbzw. Art. 3 EMRK auszuschließen. Soll - wie hier - eine Familie mit\nminderjährigen Kindern zurückgeführt werden, dürfte sie sogar zwingend sein.\n\n195\n\nVgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 1380/19 -, InfAuslR 2020,\n39 ff. = juris, Rn. 20 ff., m. w. N.\n\n196\n\nErforderlich ist aber eine hinreichend konkretisierte und individualisierte\nZusicherung der zuständigen Behörden des Zielstaats.\n\n197\n\nVgl. etwa Bay. VGH, Beschluss vom 25. Juni 2019 - 20 ZB 19.31553 -, juris, Rn.\n20.\n\n198\n\nDiesen Anforderungen genügt die vorbenannte Zusicherung vom 8. Januar 2018\nnicht. Denn diese Erklärung ist ausgehend von der höchstrichterlichen\nRechtsprechung und der darin angesprochenen Annahme des Europäischen\nGerichtshofs für Menschenrechte, bei anerkannt Schutzberechtigten handele es\nsich ebenso wie bei Asylsuchenden um eine besonders verletzliche Gruppe, sowie\nvor dem Hintergrund, dass die von Art. 34 der Anerkennungsrichtlinie\nvorgeschriebenen Integrationsmaßnahmen in Griechenland nicht existierten,\n\n199\n\nvgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Juli 2018 - 2 BvR 714/18 -, NVwZ-RR 2019, 209\nff. = juris, Rn. 24 f.,\n\n200\n\nschon nicht als hinreichend konkrete Zusicherung Griechenlands anzusehen,\nzurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten könne wenigstens nur in der\nersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und\nsanitären Einrichtungen sichergestellt werden. Die Erklärung der griechischen\nBehörde beschränkt sich allein auf die Feststellung, dass die\nAnerkennungsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt worden sei und eine\nrichtlinienkonforme Behandlung der Rückkehrer, die internationalen Schutz\ngenössen, zugesichert werde. Damit wird letztlich nur auf die\nSelbstverständlichkeit hingewiesen, dass in Griechenland geltendes Recht zur\nAnwendung kommt.\n\n201\n\nVgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Januar 2020 - 11 A 2480/19.A -, juris, Rn.\n30, und vom 30. Januar 2020 - 11 A 4558/19.A -, juris, Rn. 14 ff.; Bay. VGH,\nBeschluss vom 25. Juni 2019 - 20 ZB 19.31553 -, juris, Rn. 20.\n\n202\n\nIII. Die unter Ziffer 3. des streitgegenständlichen Bescheids verfügte\nAndrohung der Abschiebung nach Griechenland ist - mit Ausnahme der nicht\nangefochtenen Feststellung in Satz 4, dass die Kläger nicht nach T.\nabgeschoben werden dürfen - aufzuheben. Gemäß § 35 AsylG droht das Bundesamt\ndem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher\nwar, wenn ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 4 AsylG vorliegt. Das\nBundesamt hat zwar in Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids - inzwischen\nbestandskräftig - die Unzulässigkeit des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2\nAsylG festgestellt. Voraussetzung für eine Abschiebungsandrohung ist aber nach\n§ 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG überdies, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5\nAufenthG nicht vorliegen. Dies ist hinsichtlich der Kläger jedoch - wie\nausgeführt - der Fall.\n\n203\n\nIV. Die in Ziffer 4. des Bundesamtsbescheids enthaltene Befristung des\nEinreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist nach alledem\ngegenstandslos geworden und ebenfalls aufzuheben (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).\n\n204\n\nC. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG. Die\nEntscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V.\nm. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.\n\n
328,304
ovgrlp-2020-05-07-7-b-1017820ovg
910
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
ovgrlp
Rheinland-Pfalz
Verwaltungsgerichtsbarkeit
7 B 10178/20.OVG
2020-05-07
2020-05-26 10:01:00
2020-12-10 13:34:40
Beschluss
ECLI:DE:OVGRLP:2020:0507.7B10178.20.00
#### Tenor\n\n \n\nDie Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts\nTrier vom 14. Januar 2020 wird zurückgewiesen.\n\n \n\nDer Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.\n\n \n\nDer Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00\n€ festgesetzt.\n\n#### Gründe\n\n \n\n1\n\n \n\nDie Beschwerde ist unbegründet.\n\n2\n\n \n\nDas Vorbringen in der Beschwerdebegründung, das der Senat allein\nberücksichtigen kann (§ 146 Abs. 4 Sätze 1, 3 und 6 VwGO), rechtfertigt keine\nAbänderung oder Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.\n\n3\n\n \n\nI. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, „den Antragsgegner zu verpflichten,\nim Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO bis zur Entscheidung in\nder Hauptsache eine Ausbildungsduldung nebst Beschäftigungserlaubnis gemäß §\n60a Abs. 1 Satz 4 AufenthG zu erteilen“ zu Recht abgelehnt, weil kein\nAnordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden ist. Es hat zutreffend\nfestgestellt, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach\nder zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Vorschrift des § 60c Abs. 1 Satz 1\nNr. 2 i.V.m. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG aus zwei voneinander unabhängigen\nGründen nicht besteht.\n\n4\n\n \n\nZum einen – so die Ausführungen im angefochtenen Beschluss – falle der\nAntragsteller schon nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Norm. Als\nabgelehnter Asylbewerber, der nunmehr erstmals eine Ausbildung aufzunehmen\nbeabsichtige, müsse er nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG im Besitz einer\nDuldung nach § 60a AufenthG sein. Dies sei indes nicht der Fall. Er könne sich\nhierbei auch nicht auf die Übergangsregelung des § 104 Abs. 17 AufenthG\nberufen, nach der bis zum 31. Dezember 2016 in das Bundesgebiet eingereiste\nAusländer vom Erfordernis der vorangegangenen Duldung ausgenommen seien. Er\nsei zwar erstmalig im August 2015 eingereist, habe sich nachfolgend allerdings\nim Sommer 2018 nach Frankreich abgesetzt und sei untergetaucht gewesen.\nDeshalb sei die daran anschließende und erst am 12. September 2018 vollzogene\nDublin-Rücküberstellung von Frankreich nach Deutschland als Ersteinreise in\ndiesem Sinne zu qualifizieren.\n\n5\n\n \n\nZum anderen sei die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 2 Nr. 5\nBuchst. c und d AufenthG ausgeschlossen, weil schon im Zeitpunkt der\nAntragstellung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorgestanden\nhätten.\n\n6\n\n \n\nDie hiergegen gerichteten Einwendungen im Beschwerdeverfahren greifen nicht\ndurch.\n\n7\n\n \n\n1\\. Als abgelehntem Asylbewerber, der nunmehr erstmals eine Berufsausbildung\naufnehmen will, kann dem Antragsteller eine Ausbildungsduldung nur erteilt\nwerden, wenn er im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist (§ 60c Abs. 1\nSatz 1 Nr. 2 AufenthG). Selbst dann wird aber die Ausbildungsduldung nicht\nerteilt, wenn der Ausländer bei Antragstellung noch nicht drei Monate im\nBesitz einer Duldung ist (§ 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). So liegt der Fall\nhier.\n\n8\n\n \n\nMit dem am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Gesetz über Duldung bei\nAusbildung und Beschäftigung vom 8. Juli 2019 (BGBl. I S. 1021 ff.) hat der\nGesetzgeber die bislang in § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG als besondere\nFallgruppe einer Duldung aus dringenden persönlichen Gründen geregelte\nAusbildungsduldung aus dem allgemeinen Duldungstatbestand in die neu\ngeschaffene Vorschrift des § 60c überführt. Hierbei unterscheidet § 60c Abs. 1\nSatz 1 AufenthG zwischen Ausländern, die bereits während des Asylverfahrens\nerlaubt eine Berufsausbildung aufgenommen haben (§ 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1\nAufenthG) und Ausländern, die erst im Status der Duldung eine Berufsausbildung\naufnehmen (§ 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), da daran nach § 60c Abs. 2\nAufenthG teilweise unterschiedliche Erteilungsvoraussetzungen anknüpfen. So\nwird Ausländern bei der Aufnahme einer Ausbildung im Status der Duldung eine\nAusbildungsduldung nicht erteilt, wenn der Ausländer bei Antragstellung noch\nnicht drei Monate im Besitz einer Duldung ist (§ 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).\nDer in diesem Ausschlussgrund festgelegte Zeitraum von drei Monaten soll den\nAusländerbehörden Gelegenheit geben, die Aufenthaltsbeendigung zu betreiben\nbzw. Maßnahmen zur Vorbereitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu ergreifen,\nwie zum Beispiel den Ausländer aufzufordern, sich einen Pass- oder Passersatz\nzu beschaffen (BT-Drucks. 19/8286, S. 15). Vor der Erteilung einer\nlangfristigen Duldung mit Bleibeperspektive soll die Möglichkeit\naufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichend geprüft werden können (vgl. zu\nalledem: Fehrenbacher, in: HTK-AuslR, Stand: Februar 2020, § 60c AufenthG, zu\nAbs. 1 – Voraussetzungen und Abs. 2 – Versagungsgründe).\n\n9\n\n \n\nDer Antragsteller ist nicht im Besitz einer Duldung. Ihm wurde seit seiner im\nSeptember 2018 vollzogenen Rücküberstellung keine Duldung mehr erteilt,\nnachdem er auch zuvor nach für ihn negativer Beendigung seines\nAsylklageverfahrens lediglich im Zeitraum vom 12. April bis 10. Juni 2018\ngeduldet worden war. Dem Antragsteller steht auch kein Rechtsanspruch auf\nvorübergehende Aussetzung seiner Abschiebung nach § 60a AufenthG zu, der schon\nseit drei Monaten besteht und der den Zeiten eines Duldungsbesitzes\ngleichzustellen sein könnte.\n\n10\n\n \n\na) Entgegen der Annahme in der Beschwerdebegründung steht dem Antragsteller\naufgrund der „Weisungslage“ in Rheinland-Pfalz zum Umgang mit abgelehnten\nafghanischen Asylbewerbern kein Duldungsanspruch nach § 60a AufenthG zu.\n\n11\n\n \n\nDer Antragsteller stützt seine Auffassung auf zwei Schreiben des rheinland-\npfälzischen Ministeriums für Familie, Frauen, Jugend, Integration und\nVerbraucherschutz (nachfolgend: MFFJIV) vom 7. Oktober 2016 und 7. Dezember\n2018 an die nachgeordneten Ausländerbehörden. In diesen wird im Wesentlichen\nausgeführt, dass Abschiebungen nur in begrenzten Einzelfällen und nach\nZustimmung des Ministeriums möglich seien. Zustimmungserklärungen würden „in\nAussicht gestellt“ bei afghanischen Staatsangehörigen, bei denen\nAusweisungsinteressen im Sinne des § 54 AufenthG vorlägen oder die darüber\nhinaus über Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen\nverfügten. Auch bei Personen, die wegen im Bundesgebiet begangener Straftaten\nverurteilt worden seien, werde – wie bisher auch – die Zustimmung im Regelfall\nbei einer Verurteilung zu Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder\nFreiheitsstrafen von mehr als 90 Tagen in Aussicht gestellt. Hieraus\nschlussfolgert der Antragsteller, dass die Abschiebung nach Afghanistan für\nAusländer, die nicht einer der in diesen Schreiben genannten Personengruppen\nzugeordnet werden könnten, grundsätzlich ausgeschlossen und zugleich aus\nrechtlichen Gründen unmöglich sei. Die im Wege von Verwaltungsvorschriften\ngetroffenen Anordnungen des Ministeriums bewirkten, dass ein Verstoß gegen\nArt. 3 Abs. 1 GG vorliege, wenn die Behörde von der mit diesen Schreiben\nvorgegebenen Verwaltungspraxis abweiche. Dies sei in seinem Fall anzunehmen.\nDa er im Strafverfahren mit Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8.\nDezember 2017 vom Tatvorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen\nterroristischen Vereinigung rechtskräftig freigesprochen sowie das in diesem\nZusammenhang nachfolgend geführte Ermittlungsverfahren wegen Vortäuschens\neiner Straftat von der Staatsanwaltschaft Trier nach § 170 Abs. 2 StPO\neingestellt worden sei und sich schließlich im mit Urteil des\nVerwaltungsgerichts Trier vom 10. April 2019 rechtskräftig beendeten Verfahren\nüber seinen Asylfolgeantrag gerade keine Anhaltspunkte für eine von ihm\nausgehende Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland ergeben hätten, liege ein\nAusweisungsinteresse, insbesondere nach den §§ 54 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 2\nAufenthG, bei ihm offensichtlich nicht vor.\n\n12\n\n \n\nDiese Überlegungen treffen in mehrfacher Hinsicht nicht zu. Der Antragsteller\nkann aus den vom MFFJIV als „Richtlinien“ bezeichneten und zuletzt mit dem\nvorerwähnten Schreiben vom 7. Dezember 2018 präzisierten Vorgaben zum Umgang\nmit abgelehnten afghanischen Asylbewerbern keinen Anspruch auf Aussetzung\nseiner Abschiebung nach § 60a AufenthG ableiten.\n\n13\n\n \n\nEin Aussetzungsanspruch folgt insbesondere nicht aus § 60a Abs. 1 Satz 1\nAufenthG, da ein Abschiebestopp nach dieser Vorschrift – anders als in der\nVergangenheit – von der obersten Landesbehörde aktuell nicht angeordnet worden\nist. Der ausweislich des in der Ausländerakte befindlichen Schreibens des\nMFFJIV vom 28. Juli 2014 am selben Tage bis zum 27. Januar 2015 angeordnete\nAbschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vgl. hierzu Bl. 168 d. VA)\nwurde nachfolgend nicht weiter verlängert (vgl. hierzu das Folgeschreiben des\nMFFJIV vom 26. Januar 2015, abrufbar unter: https://www.ini-\nmigration.de/rechtsgrundlagen.html).\n\n14\n\n \n\nDie Abschiebung des Antragstellers ist im Hinblick auf die vom MFFJIV\ngetroffenen Regelungen auch nicht nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG\nauszusetzen, weil die Abschiebung insoweit weder aus tatsächlichen noch aus\nrechtlichen Gründen unmöglich ist. Aus diesen verwaltungsinternen Regelungen\nzum Umgang mit abgelehnten afghanischen Asylbewerbern kann allenfalls ein aus\nArt. 3 GG in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung resultierender\nAnspruch begründet werden, nicht vor Erteilung der Zustimmung seitens des\nFachministeriums abgeschoben zu werden (vgl. zu ähnlich gefassten\n„Vollzugshinweisen“ des bayerischen Fachministeriums für ausreisepflichtige\niranische Staatsangehörige, die im Asylverfahren eine Konversion zum\nChristentum geltend machen: BayVGH, Beschluss vom 8. November 2019 – 10 CE\n19.1517 –, juris, Rn. 14). Rechtlich gehindert, die Abschiebung durchzuführen,\nist die Ausländerbehörde dadurch aber nicht. Selbst bei einer fehlenden\nZustimmung liegt kein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis und erst recht\nkein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vor, weil die Frage, ob vor der\nEinleitung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eine nochmalige\nverwaltungsinterne Überprüfung einer die Gewährung von Flüchtlingsschutz\nablehnenden Entscheidung erfolgt, nichts mit den Verhältnissen im Zielstaat zu\ntun hat (vgl. erneut: BayVGH, Beschluss vom 8. November 2019 – 10 CE 19.1517 –\na.a.O.).\n\n15\n\n \n\nIm vorliegenden Fall liegt ohnehin die Zustimmung des Fachministeriums vor.\nDer in der Beschwerdebegründung aufgestellten und an den Antragsgegner\ngerichteten Forderung, entsprechend den Vorgaben der internen\nHandlungsanweisungen zu handeln, ist der Antragsgegner damit gerade\nnachgekommen.\n\n16\n\n \n\nDas MFFJIV hat die vom Antragsgegner mit Schreiben vom 26. März 2018 erbetene\nZustimmung zur Rückführung des Antragstellers am 24. April 2018 nach dem\nrechtskräftigen Freispruch des Antragstellers im Strafverfahren erteilt (vgl.\nBl. 229-230 d. VA). Es hat hierzu ausgeführt, die Sachverhaltsprüfung in der\nFachabteilung des Ministeriums habe ergeben, dass bei dem Betroffenen ein\nschweres Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG vorliege und zudem nicht\nabschließend auszuschließen sei, dass von ihm weiterhin eine Gefahr ausgehe.\n\n17\n\n \n\nEs ist auch nicht im Ansatz etwas dafür erkennbar, dass das Ministerium – so\ndie Behauptung in der Beschwerdebegründung – an dieser Erklärung nach dem vor\ndem Verwaltungsgericht Trier geführten und mit Urteil vom 10. April 2019\nbeendeten Klageverfahren über den Asylfolgeantrag des Antragstellers nicht\nweiter festhalten könnte. Das Gegenteil ist der Fall, was sich eindrücklich\nbeispielsweise aus einer E-Mail des Ministeriums an den Antragsgegner vom 7.\nOktober 2019 entnehmen lässt, in welcher der Antragsgegner gebeten wird, den\nHaftantrag bzgl. des Antragstellers zu aktualisieren (vgl. Bl. 1120 d. VA).\n\n18\n\n \n\nIm Übrigen – ohne dass es aus den vorgenannten Gründen hierauf im vorliegenden\nEilrechtsschutzverfahren noch entscheidungserheblich ankommt – ist die\nBewertung des Ministeriums, im Fall des Antragstellers ein schweres\nAusweisungsinteresse im Sinne des § 54 AufenthG anzunehmen, zutreffend. Er ist\ndamit ohnehin dem Personenkreis zuzurechnen, für den nach den zuletzt mit\nSchreiben des Ministeriums vom 7. Dezember 2018 präzisierten Kriterien\ngegenüber den nachgeordneten Ausländerbehörden eine Zustimmung zur Abschiebung\nnach Afghanistan durch das Fachministerium in Aussicht gestellt worden ist.\n\n19\n\n \n\nBeim Antragsteller liegt jedenfalls ein schweres Ausweisungsinteresse nach §\n54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor. Hiernach wiegt das Ausweisungsinteresse unter\nanderem dann schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur geringfügigen Verstoß\ngegen Rechtsvorschriften begangen hat. Dies ist vorliegend der Fall.\n\n20\n\n \n\nDer Antragsteller hat entweder die ihm im Strafverfahren zur Last gelegten\nStraftaten begangen, nämlich sich in zwei rechtlich selbständigen Fällen als\nMitglied an einer terroristischen Vereinigung (den Taliban) im Ausland\nbeteiligt, jeweils tateinheitlich hierzu über Kriegswaffen ohne Erlaubnis die\ntatsächliche Gewalt ausgeübt, und dazu in einem Fall tateinheitlich\nvorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat\n– einem aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch begangenen Mord – Hilfe\ngeleistet (§§ 129a, 129b, 211, 27 StGB sowie § 22a KrWaffKontrG). Oder aber er\nhat in schwerwiegender Weise gegen § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB verstoßen und die\nvon ihm in seinen Bundesamtsanhörungen und anschließenden\nBeschuldigtenvernehmungen beschriebenen Straftaten vorgetäuscht, so wie es ihm\nim bei der Staatsanwaltschaft Trier unter dem Aktenzeichen 8033 Js 11398/18\ngeführten Ermittlungsverfahren zur Last gelegt worden war. Dass das\nStrafverfahren mit einem Freispruch endete und auch das Ermittlungsverfahren\nwegen Vortäuschens einer Straftat schon von der Staatsanwaltschaft mit\nVerfügung vom 18. Dezember 2019 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, ist\nhierbei unerheblich. Denn beide Verfahrensbeendigungen erfolgten aus\ntatsächlichen Gründen, weil nach Ausschöpfung aller Beweis- und\nErkenntnismittel die notwendige Überzeugungsgewissheit für die Richtigkeit der\nallein auf die Angaben des Antragstellers beruhenden Angaben nicht gewonnen\nwerden konnte. Mit der damit nicht weiter aufklärbaren Handlungsalternativität\n– entweder war die Selbstbezichtigung hinsichtlich der auch im Strafverfahren\nzugrunde gelegten Tatvorwürfe zutreffend oder der Antragsteller hat diese\ndetaillierten Schilderungen aus rein asyltaktischen Gründen frei erfunden –\nsteht zugleich sicher fest, dass der Antragsteller jedenfalls einen von\nmehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen erfüllt hat (vgl.\ngrundlegend zur im Strafrecht in so einem Fall grundsätzlich möglichen\nVerurteilung nach der dem Strafverfahrensrecht zuzuordnenden\nEntscheidungsregel der „ungleichartigen Wahlfeststellung“: BVerfG, Beschluss\nvom 5. Juli 2019 – 2 BvR 167/18 –, juris). Dass eine strafrechtliche\nVerurteilung im Wege der ungleichartigen Wahlfeststellung vorliegend\ntatsächlich nicht erfolgt ist und mangels „rechtsethischer“ und\n„psychologischer“ Gleichwertigkeit der jeweils alternativ verwirklichten\nStraftatbestände wohl auch nicht möglich gewesen wäre (vgl. zu diesen –\nweiteren – Verurteilungsvoraussetzungen im Strafverfahren erneut: BVerfG,\nBeschluss vom 5. Juli 2019 – 2 BvR 167/18 –, juris, Rn. 30 und 38), steht der\nBerücksichtigung dieses Verhaltens des Antragstellers im ausländerrechtlichen\nVerfahren nicht entgegen. Ist der Rechtsverstoß im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9\nAufenthG – wie hier – eine Straftat, so ist es nicht notwendig, dass der\nAusländer verurteilt worden ist. Für den Verstoß gegen Rechtsvorschriften ist\nallein die objektive Rechtswidrigkeit ausreichend (vgl. Neidhardt, in: HTK-\nAuslR, Stand: Januar 2016, § 54 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 9, Ziffer 2.1 m.w.N.).\n\n21\n\n \n\nb) Der Versagungsgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG wird auch nicht durch\ndie erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemachten allgemeinen\nDuldungsgründe der rechtlichen Unmöglichkeit wegen einer behaupteten\nReiseunfähigkeit sowie der tatsächlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung nach\nAfghanistan wegen der aktuellen Coronavirus-Pandemie beseitigt. Dies gilt\nschon allein deshalb, weil ein auf diese beiden Umstände zurückzuführender\nAnspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG\njeweils noch keine drei Monate bestünde.\n\n22\n\n \n\nDie mit der Beschwerdebegründung vom 20. Februar 2020 erstmals behauptete und\nim Übrigen nicht hinreichend glaubhaft gemachte Reiseunfähigkeit aufgrund\neiner Suizidgefährdung soll im Zusammenhang mit einem deswegen notwendigen\nPsychiatrieaufenthalt des Antragstellers im Zeitraum vom 21. Februar bis zum\n18. März 2020 stehen. Im Hinblick auf die aktuelle Situation anlässlich der\nCoronavirus-Pandemie bezieht sich der Antragsteller auf einen Schriftsatz des\nRegierungspräsidiums Karlsruhe vom 20. März 2020, wonach das\nBundesinnenministerium dieses am selben Tag darüber informiert habe, dass die\nafghanischen Behörden Abschiebungen bis auf weiteres ausgesetzt hätten. Die\ndiesem Schriftsatz ergänzend beigefügte Presseberichterstattung über eine vom\nBundesinnenministerium bestätigte Aussetzung von Abschiebungen nach\nAfghanistan datiert vom 30. März 2020.\n\n23\n\n \n\nc) Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zutreffend festgestellt, dass\nsich der Antragsteller nicht auf die in § 104 Abs. 17 AufenthG getroffene\nÜbergangsregelung berufen kann, wonach der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2\nNr. 2 AufenthG nicht gilt, wenn die Einreise in das Bundesgebiet bis zum 31.\nDezember 2016 erfolgt ist und die Berufsausbildung vor dem 2. Oktober 2020\nbegonnen wird. Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann nicht auf seine\nerstmalige Einreise in das Bundesgebiet abgestellt werden. Vielmehr ist der\nAntragsteller an einem nicht mehr näher feststellbaren Tag im Zeitraum vom 11.\nMai 2018 – einer der Aktenlage noch entnehmbaren Vorsprache bei einem Autohaus\n(vgl. Bl. 235-236 d. VA) – bis Anfang Juni 2018 nach Frankreich ausgereist.\nDort hat er am 5. Juni 2018 unter falschen Personalien einen Asylantrag\ngestellt, nachdem er im Übrigen schon zuvor im Strafverfahren ein von seinen\nim deutschen Asylverfahren ursprünglich mitgeteilten Personalien abweichendes,\njüngeres Geburtsdatum angegeben hatte. Dieses Verhalten – die Ausreise mit\nanschließender Asylantragstellung in Frankreich unter Verwendung von\nAliaspersonalien – kann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als nur\n„kurzzeitiges“ oder „vorübergehendes“ Verlassen des Bundesgebiets bewertet\nwerden, welches bei Bestimmung des nach § 104 Abs. 17 AufenthG maßgeblichen\nEinreisedatums außer Betracht bleiben könnte (vgl. hierzu auch § 51 Abs. 1 Nr.\n6 AufenthG, wonach selbst ein Aufenthaltstitel erlischt, wenn ein Ausländer\naus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist).\n\n24\n\n \n\n2\\. Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend angenommen, dass der Erteilung\neiner Ausbildungsduldung der Versagungsgrund der konkret bevorstehenden\nMaßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. c und d\nAufenthG entgegensteht.\n\n25\n\n \n\nSchon der erste Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung vom 7. Dezember\n2018 konnte nicht zum Erfolg führen, weil der Antragsgegner bis zu diesem\nZeitpunkt bereits (mehrere) konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung des\nAntragstellers getroffen hatte. Das Verwaltungsgericht Trier hat daher schon\ndiesen ersten Antrag zu Recht mit (rechtskräftigem) Eilrechtsbeschluss vom 15.\nMärz 2019 – 11 L 947/19.TR – abgelehnt und hierbei im Einzelnen aufgeführt,\nwelche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vom Antragsgegner eingeleitet worden\nwaren, die einem Ausbildungsduldungsanspruch entgegenstanden. Insbesondere die\nin dem Beschluss genannten Abschiebeversuche, die Inhaftnahme des\nAntragstellers nach seiner Rücküberstellung aus Frankreich sowie die Erfassung\nim so genannten „Rückführer-Pool“ und die damit einhergehende fortlaufende\nEinbuchung in Flüge nach Afghanistan sind auch nach Neufassung dieses\nAusschlussgrundes in der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung des § 60c\nAbs. 2 Nr. 5 AufenthG ohne Zweifel als hinreichend konkrete Maßnahmen zur\nAufenthaltsbeendigung zu bewerten.\n\n26\n\n \n\nAn dieser Situation hat sich auch im Hinblick auf den erneuten, im August 2019\ngestellten Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nichts verändert.\nDies hat bereits das Verwaltungsgericht im Einzelnen und mit in jeder Hinsicht\nzutreffender Begründung dargelegt. Auf die entsprechenden Ausführungen im\nangefochtenen Beschluss, denen sich der Senat inhaltlich vollumfänglich\nanschließt, wird deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.\n\n27\n\n \n\nEntgegen dem Einwand in der Beschwerdebegründung konnte der Antragsgegner auch\nschon bei den im Jahre 2018 nach Beendigung des Asylklageverfahrens und nach\nVorliegen der Zustimmungserklärung des MFFJIV eingeleiteten Maßnahmen zur\nAufenthaltsbeendigung davon ausgehen, dass eine Abschiebung des Antragstellers\nin einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit diesen\nMaßnahmen möglich sei. Der hiergegen unter Verweis auf einen Beschluss des\nBayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2018 – 10 CE 18.1598 –\n(juris) vorgebrachte Einwand, dass der Antragsgegner seinerzeit – und nach\nAuffassung des Antragstellers wohl auch noch heute – nicht hätte davon\nausgehen können, dass und gegebenenfalls wann die Abschiebung des\nAntragstellers tatsächlich durchgeführt werden könnte, trifft nicht zu.\n\n28\n\n \n\nIm Fall des Antragstellers hat das zuständige Fachministerium seine Zustimmung\nzur Abschiebung schon im April 2018 ausdrücklich erteilt. Weitere Umstände,\ndie einer zwangsweisen Rückführung des Antragstellers ab diesem Zeitpunkt\nentgegenstanden und zugleich sämtliche hierauf bezogenen Maßnahmen der\nAusländerbehörde als von vornherein „überflüssig“ hätten erscheinen lassen\nkönnen, sind nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen\nunter Ziffer 1 Buchst. a verwiesen, wonach dem Antragsteller aufgrund der zur\nRückführung von abgelehnten afghanischen Asylbewerbern in Rheinland-Pfalz\ngetroffenen Regelungen gerade kein Duldungsanspruch nach § 60a AufenthG\nzusteht. Die in der Beschwerdebegründung zitierten Ausführungen aus dem\nBeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2018 – 10\nCE 18.1598 –betreffen auch in zeitlicher Hinsicht eine abweichende Situation,\nda sich diese ausschließlich auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen beziehen, die\nim Zeitraum von August 2017 bis Anfang Juni 2018 getroffen worden waren. In\ndiesem Zeitraum hatte das Bayerische Staatsministerium des Innern unter\nBezugnahme auf eine Verständigung des Bundesministers des Innern und des\nAuswärtigen die Rückführung von afghanischen Staatsangehörigen durch die vom\nBund organisierten Sammelabschiebungen auf der Basis einer zuvor erfolgten\nEinzelfallprüfung auf die Personengruppen Straftäter, Gefährder und\nhartnäckige Identitätsverweigerer beschränkt; eigene Abschiebungsmaßnahmen\nwurden durch den Freistaat Bayern in diesem Zeitraum nicht durchgeführt (vgl.\nBeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2018 – 10\nCE 18.1598 – juris, Rn. 15 sowie den dort zitierten weiteren Beschluss des\nBayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Januar 2018 – 19 CE 18.51 –,\njuris, Rn. 28 ff.). Aus dieser besonderen Situation in der Vergangenheit und\nderen Bewertung für den Freistaat Bayern lassen sich für den hier zur\nEntscheidung anstehenden Sachverhalt keine Rückschlüsse ziehen.\n\n29\n\n \n\nII. Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren einen allgemeinen\nDuldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit der „Weisungslage“ in\nRheinland-Pfalz, der behaupteten Reiseunfähigkeit und der aktuellen\n„Covid-19-Situation“ geltend macht und damit der Sache nach den Erlass einer\nentsprechenden einstweiligen Anordnung beantragt, führt auch dies nicht zum\nErfolg seiner Beschwerde. Anders als im Klageverfahren hat er seinen\nerstinstanzlichen Eilantrag – im Beschwerdeverfahren hat er keinen Antrag mehr\ngestellt – ausdrücklich darauf beschränkt, ihm eine Ausbildungsduldung zu\nerteilen (vgl. Bl. 2 GA). Im Anschluss daran hat deswegen auch das\nVerwaltungsgericht nur über einen auf eine Duldung zu Ausbildungszwecken\nbeschränkten Antrag entschieden und nur einen Anspruch auf Erteilung einer\nDuldung nach § 60c i.V.m. § 60a Abs. 2 AufenthG (sog. Ausbildungsduldung)\ngeprüft. Der Austausch bzw. die Erweiterung des Antragsgrundes, der mit einer\nwesentlichen Änderung der zu prüfenden rechtlichen Gesichtspunkte einhergeht,\nstellt eine im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO unzulässige\nAntragsänderung dar (vgl. zu einer identischen Situation, dem Übergang von\neiner begehrten Ausbildungsduldung zu einem allgemeinen Aussetzungsanspruch\nnach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG: Beschluss des Senats vom 5. Januar 2017 – 7\nB 11589/16.OVG –, juris, Rn. 10). Gründe, die ausnahmsweise die Zulässigkeit\neiner Antragsänderung im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO\nrechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.\n\n30\n\n \n\nIm Hinblick auf einen Duldungsanspruch wegen einer Reiseunfähigkeit und/oder\nder aktuellen Rückkehrsituation im Zusammenhang mit der aktuellen Coronavirus-\nPandemie würde es im Übrigen am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis zum\nErlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO fehlen.\nVor Stellung eines Eilantrags auf vorläufige Erteilung einer Duldung ist\nzunächst bei der Ausländerbehörde eine Duldung zu beantragen (vgl.\nDittrich/Breckwoldt, in: HTK-AuslR, Stand: September 2019, § 60a AufenthG,\nvorläufiger Rechtsschutz auf Erlass einer Duldung, 5.1 – Antragserfordernis,\nm.w.N.). Dies ist vorliegend indes nicht geschehen.\n\n31\n\n \n\nHinsichtlich einer einstweiligen Anordnung auf vorübergehende Aussetzung der\nAbschiebung aufgrund der in Rheinland-Pfalz zum Umgang mit abgelehnten\nafghanischen Asylbewerbern getroffenen Regelungen stünde dem Antragsteller\nohnehin in der Sache kein Anordnungsanspruch zur Seite (vgl. hierzu erneut\noben Ziffer 1 Buchst. a).\n\n32\n\n \n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.\n\n33\n\n \n\nDie Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 52 Abs. 2, § 53\nAbs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die\nVerwaltungsgerichtsbarkeit (LKRZ 2014, 169 ff.).\n\n
328,436
ag-munchen-2020-05-15-473-c-429019
208
Amtsgericht München
ag-munchen
München
Bayern
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Amtsgericht
473 C 4290/19
2020-05-15
2020-05-29 10:01:32
2020-12-10 13:35:00
Endurteil
## Tenor\n\n1.\n\n1\\. Das Versäumnisurteil vom 10.01.2020, Az. 473 C 4290/19 bleibt\naufrechterhalten.\n\n2\\. Die Klagepartei hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.\n\n3\\. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung\nder Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des\nUrteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der\nVollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.\n\n## Tatbestand\n\nDie Klägerin nimmt den Beklagten auf Räumung und Herausgabe einer Wohnung nach\neiner ordentlichen Verwertungskündigung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB in\nAnspruch.\n\nMit schriftlichem Mietvertrag vom 16.01.2002 mieteten die Beklagten vom\nRechtsvorgänger des Klägers die 4-Zimmer-Wohnung im Anwesen an.\n\nMit Schreiben vom 05.02.2019 kündigte die Klagepartei das\nstreitgegenständliche Mietobjekt ordentlich als Verwertungskündigung zum\nnächstmöglichen Termin (zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Kündigung\nvom 05.02.2019, vorgelegt als Anlage K2, Bezug genommen). Die\nVerwertungskündigung war auf den beabsichtigten Abriss des Anwesens und auf\ndie geplante Errichtung eines Neubaus gestützt worden (zu den Einzelheiten\nwird auf das Kündigungsschreiben vom 05.02.2019 Bezug genommen). Mit\nSchriftsatzkündigung vom 07.03.2019 sprach die Klagepartei erneut eine\nVerwertungskündigung aus (zu den weiteren Einzelheiten wird auf die\nKlageschrift vom 07.03.2019 Bezug genommen). Mit Schriftsatz vom 12.07.2019\nsprach die Klagepartei eine weitere Verwertungskündigung aus (zu den weiteren\nEinzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 12.07.2019 Bezug genommen).\n\nEine Genehmigung der Stadt M. zur Zweckentfremdung durch Abbruch des Anwesens\nlag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 15.05.2020 nicht vor.\n\nDer Kläger trägt vor, er sei aktivlegitimiert, da zum einen Eigentümer und im\nÜbrigen soweit erforderlich, entsprechend bevollmächtigt (zu den weiteren\nEinzelheiten wird auf den Schriftsatz vim 12.07.2019 Bezug genommen). Der\nKläger trägt weiter vor, zuletzt hätten die Beklagten eine monatliche Miete in\nHöhe von insgesamt 2.065 € geschuldet, die sich aus einer Grundmiete in Höhe\nvon 1.450,00 € und einer Vorauszahlung auf die Betriebskosten in Höhe von\n265,00 € und einer Vorauszahlung auf die Heizkosten in Höhe 85,00 € sowie\neinem Garagenstellplatz in Höhe von 265,00 € zusammengesetzt hätte (zu den\nweiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift vom 07.03.2019 Bezug\ngenommen). Der Kläger trägt vor, die beabsichtigte Verwertung sei angemessen\nund unbedingt erforderlich. Diese Verwertung lasse sich ohne die Beendigung\ndes Mietverhältnisses nicht verwirklichen, da das Gebäude dann nicht\nabgerissen werden könne. Das Objekt würde auch, so der Kläger, schon längere\nZeit keine kostendeckende Rendite mehr erwirtschaften. Der Kläger vertritt\nzudem die Rechtsansicht, das Bestehen einer Zweckentfremdungsgenehmigung bei\nZugang der Kündigung sei für die Wirksamkeit der Kündigung nicht erforderlich.\nIhm, dem Kläger, sei mit Blick auf die Eigentumsgarantie ein anerkennenswertes\nInteresse daran nicht abzusprechen, eine angesichts des sanierungsbedürftigen\nGebäudezustandes bereits gebotene nachhaltige Verbesserung oder dauerhafte\nErneuerung seines Eigentums alsbald und nicht erst bei vollständigem Verbrauch\nder Bausubstanz zu realisieren. Die Fachgerichte hätten einen solchen\nEntschluss von Verfassungswegen zu respektieren, eine Interessenabwägung sei,\nso der Kläger, zu seinen Gunsten vorzunehmen (zu den weiteren Einzelheiten\nwird auf die Klageschrift vom 07.03.2019 Bezug genommen).\n\nMit Versäumnisurteil vom 10.01.2020, zugestellt am 21.01.2020, wurde die Klage\nbei Säumnis des Klägers abgewiesen.\n\nAm 01.02.2020 hat der Kläger hiergegen Einspruch eingelegt.\n\nDer Kläger beantragt zu erkennen:\n\n1\\. Das Versäumnisurteil vom 10.01.2020 wird aufgehoben.\n\n2\\. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die von ihnen\ninnegehaltene Wohnung des Klägers im Anwesen 8. M., H.straße 21, bestehend aus\n4 Zimmern, Küche, Bad/WC und Kelleranteil zu räumen und an den Kläger\nherauszugeben.\n\nDie Beklagten beantragen,\n\nDas Versäumnisurteil vom 10.01.2020 bleibt aufrechterhalten.\n\nDie Beklagten tragen vor, der Mietzins habe sich zuletzt inklusive Betriebs-\nund Heizkosten auf 1.690,00 € zzgl. Garage belaufen. Die Beklagte tragen\nweiter vor, alle drei Kündigungen seien unwirksam, da es an einer wirksamen\nBevollmächtigung gefehlt habe (zu den weiteren Einzelheiten wird auf die\nKlageerwiderung vom 25.04.2019 sowie auf den Schriftsatz vom 30.07.2019 Bezug\ngenommen). Zudem seien alle Kündigungen schon deshalb unwirksam, da die\nerforderliche Zweckentfremdungsgenehmigung der Stadt M. nicht erteilt worden\nsei. Die Zweckentfremdungsgenehmigung habe anders als die Baugenehmigung\nmieterschützenden Charakter. Anders als die Baugenehmigung stehe die\nZweckentfremdungsgenehmigung im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen\nVerwaltungsbehörde und werde im Falle des Abbruches nur unter Auflagen\nerteilt. Es wäre unangemessen, so die Beklagten, wenn der Mieter den\npersönlichen und finanziellen Aufwand der Wohnungssuche und des Umzugs auf\nsich nehmen müsse, ohne die Gewissheit zu haben, dass die geplante Baumaßnahme\nüberhaupt durchgeführt werden könne (zu den weiteren Einzelheiten wird auf die\nKlageerwiderung vom 25.04.2019 Bezug genommen). Im Übrigen würden sie, die\nBeklagten, bestreiten, dass das Objekt schon länger keine kostendeckende\nRendite mehr erwirtschafte und eine Sanierung der Bausubstanz nicht mehr\nrentabel oder teilweise nicht möglich sei (zu den weiteren Einzelheiten wird\nauf die Klageerwiderung vom 25.03.2019 sowie auf den Schriftsatz vom\n10.05.2019 Bezug genommen).\n\nIm Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Schriftsätze der\nParteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 10.01.2020\nund vom 15.05.2020 sowie auf die übrigen Aktenbestandteile Bezug genommen.\n\n## Gründe\n\nI.\n\nDer Einspruch ist form- und fristgerecht i.S.v. §§ 339 f. ZPO mit der Folge\ndes § 342 ZPO eingelegt worden.\n\nII.\n\nDas Versäumnisurteil ist aufrechtzuerhalten, § 343 S. 1 ZPO.\n\nEs entspricht der Sach- und Rechtslage.\n\nDie klägerseits zum örtlich und sachlich zuständigen Amtsgericht München\nerhobene Klage ist zulässig aber unbegründet.\n\n1\\. Ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe nach § 546 Abs. 1 BGB besteht\nnicht. Das Mietverhältnis ist weder durch die ausgesprochene Kündigung vom\n05.02.2019 noch durch die Schriftsatzkündigungen vom 07.03.2019 und 12.07.2020\nbeendet worden. Auf die Frage der wirksamen Bevollmächtigung auf Klägerseite\nbei den ersten beiden Kündigungen kommt es nicht an, da diese jedenfalls bei\nAusspruch der letzten vorlag. Alle drei Verwertungskündigungen nach § 573 Abs.\n2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 BGB sind bereits aufgrund desselben Umstandes unwirksam,\ndenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungen war unstreitig keine Genehmigung\nnach Art. 2 BayZwEwG vom 10.12.2007 i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 5, § 5 der Satzung\nder Landeshauptstadt M. über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum\n(ZeS) vom 15.12.2017 erteilt. Die Zweckentfremdungsgenehmigung lag vielmehr\nunstreitig zum Schluss der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2020 noch immer\nnicht vor.\n\n2\\. Die ausgesprochene Kündigungen sind unwirksam. Die von der Klagepartei\nunter Hinweis auf das Urteils des Landgerichts Mannheim vom 16.01.2004, Az. 4\nS 100/03 (NZM 2004, 256) geführte Argumentation, wonach die Wirksamkeit einer\nVerwertungskündigung nicht davon abhänge, ob bereits baurechtliche oder\nsonstige erforderliche öffentlich-rechtliche Genehmigungen beantragt seien\noder gar vorlägen, überzeugt nicht. Im Einzelnen:\n\nDie weit überwiegende Ansicht in Literatur und Rspr. erachtet es als\nWirksamkeitsvoraussetzung einer Verwertungskündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3\ni.V.m. Abs. 1 BGB, dass die Zweckentfremdungsgenehmigung jedenfalls im\nZeitpunkt des Zugangs der Kündigung tatsächlich vorgelegen hat. Streit besteht\ndagegen vor allem hinsichtlich der Frage, ob im Kündigungsschreiben auf die\nZweckentfremdungsgenehmigung ausdrücklich Bezug genommen werden muss. Letztere\nFrage ist vorliegend nicht relevant, da weder zum Zeitpunkt der\nKündigungserklärung noch zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine\nZweckentfremdungsgenehmigung vorlag, auf welche die Klagepartei in dem\nKündigungsschreiben hätte Bezug nehmen können. Eine Verpflichtung des\nVermieters, im Kündigungsschreiben darauf hinzuweisen, dass er bislang keine\nGenehmigung für die von ihm geplante Nutzung beantragt hat, ist dagegen nicht\ngeschuldet (Häublein, NZM 2011, 668, 671). Dahinstehen kann auch, ob das\nErfordernis einer Zweckentfremdungsgenehmigung dogmatisch bei der materiellen\nRechtmäßigkeit der Kündigung zu verorten ist oder einen Einwand des\nRechtsmissbrauchs nach § 242 BGB darstellt.\n\na) Nach der Entscheidung des LG Mannheim vom 16. 1. 2004, Az. 4 S 100/03 (NZM\n2004, 256), soll es ausreichen, wenn die Zweckentfremdungsgenehmigung während\ndes Laufs der Kündigungsfrist erteilt worden sei und jedenfalls zum Datum der\nWirksamkeit der Kündigung vorliege (vgl. auch BeckOGK/Geib, Stand: 1.4.2020,\nBGB § 573 Rn. 114). Das Landgericht Mannheim führt in seiner Entscheidung aus,\ndass seinem Wortlaut nach § 573 BGB keine Genehmigung fordere. Außerdem würde,\nso das Landgericht Mannheim, der Vermieter, der in Fällen der vorliegenden Art\ni.d.R. zuvor geprüft habe, ob er seine Absichten auch verwirklichen könne, dem\nMieter zu verstehen geben, dass die im Kündigungsschreiben genannten Absichten\nauch tatsächlich zu verwirklichen seien. Wenn dem der Mieter nicht traue, dann\nliege es an ihm, daraus die Konsequenzen zu ziehen und sich darüber Gewissheit\nzu verschaffen (NZM 2004, 256, 257). Im Übrigen zieht das LG Mannheim vor\nallem auch praktische Erwägungen für seine Ansicht heran: So seien angesichts\nder Länge der Kündigungsfristen ohne weiteres Fälle denkbar, in denen es nicht\nangezeigt sei, bereits zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung die öffentlich-\nrechtliche Genehmigung einzuholen, weil diese befristet und bis zum Ablauf der\nKündigungsfrist erloschen sein könne. Darüber hinaus würde sich eine solche\nGenehmigung als überflüssig herausstellen, wenn das Mietverhältnis auf Grund\neines Fortsetzungsverlangens des Mieters verlängert werde, weil dann die Pläne\nder Vermieter nicht oder jedenfalls erst viel später verwirklicht werden\nkönnen. Die für die Genehmigung angefallenen Gebühren seien dann vergeblich\naufgewandt, so dass das Argument des Verbots der Vorratskündigung hier gerade\nnicht trage (NZM 2004, 256, 257).\n\nIm Anschluss an diese Entscheidung und an einen vom Kläger zitierten\nRechtsentscheid des BayOLG vom 31.08.1993 - REMiet 2/93 (NJW-RR 1994, 78ff.),\nder sich allerdings mit der Baugenehmigung und nur mittelbar mit der\nZweckentfremdungsgenehmigung befasst, ist der Kläger der Auffassung, dass es\nnicht darauf ankomme, ob die formalen Voraussetzungen für den Beginn der\nArbeiten (Abbruch und Neubau) bereits im Zeitpunkt des Zugangs der\nKündigungserklärung vorlägen, sondern darauf, ob im Zeitpunkt des Zugangs der\nKündigungserklärung mit einiger Sicherheit festgestellt werden könne, dass der\nVermieter die beabsichtigte Verwertung im Zeitpunkt der Beendigung des\nMietverhältnisses durch die Kündigung alsbald verwirklichen könne und auch\nverwirklichen wolle. Ob eine solche Erwartung gerechtfertigt sei, sei Tatfrage\nund könne nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles geprüft werden.\n\nSelbst wenn man diese Ansicht teilen würde, hat der Kläger durch den Verlauf\ndes Verfahrens seit Ausspruch der Kündigungen gezeigt, dass seine\nbeabsichtigte Verwertung nicht alsbald zu verwirklichen war: Die erste\nVerwertungskündigung erfolgte im Februar 2019, die zweite Verwertungskündigung\nmit der Klageschrift im März 2019. Im Mai 2020 lagen noch immer keine\nZweckentfremdungsgenehmigung und auch noch keine Baugenehmigung vor. Im\nkonkreten Einzelfall kann seitens des Gerichts nicht festgestellt werden, dass\nbei Zugang der Kündigungen eine alsbaldige Verwertung bei Beendigung des\nMietverhältnisses vorlag. Es stellt sich vielmehr für das Gericht so dar, dass\ngleichsam als Vorratskündigungen Verwertungskündigungen ausgesprochen wurden\nund dann nach Anberaumung des ersten Verhandlungstermines am 20.09.2019 so\nlange Verlegungsanträge gestellt wurden, bis das Gericht erstmals am\n10.01.2020 verhandeln konnte. Bei diesem Termin ließ der Kläger ein\nVersäumnisurteil gegen sich ergehen. Auch der Einspruchstermin am 15.05.2020\nkonnte erst nach mehrmaligen Verlegungsgesuchen der Klagepartei stattfinden.\n\nSelbst nach der Mindermeinung liegen die Voraussetzungen einer wirksamen\nVerwertungskündigung hier nicht vor.\n\nb) Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur hält es im\nAnschluss an den Rechtsentscheid des OLG Hamburg vom 23.03.1981 (WuM 1981,\n155) dagegen für zwingend erforderlich, dass die Zweckentfremdungsgenehmigung,\nanders als die Baugenehmigung, jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der\nKündigung tatsächlich vorgelegen hat (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl.\n2019, BGB § 573 Rn. 153; Cramer, Mietrecht 2019, Kap. H Rn. 180 m.w.N.; BeckOK\nMietR/Siegmund, 19. Ed. 1.3.2020, BGB § 573 Rn. 58, 59; NK-BGB/Werner Hinz, 3.\nAufl. 2016, BGB § 573 Rn. 78; LG München II, Urt. v. 29.09.1994 - 8 S 2264/94,\nWuM 1997, 115; AG München, Urt. V. 18.11.2013 - 463 C 9569/13, ZMR 2014, 553;\nAG Hamburg Urt. V. 29.08.2013, Az. 44 C 20/13 -juris; zum Ganzen auch\nBub/Treier-Fleindl, Handbuch der Geschäftsraummiete, 5. Aufl. 2019, § 573 Rn.\n16). Das Gericht folgt dieser Auffassung. Die Einwände des Klägers zur\nEigentumsgarantie überzeugen nicht. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hat\nder Vermieter zu achten. Das Erfordernis der Zweckentfremdungsgenehmigung als\nWirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung bei Zugang der Erklärung birgt keinen\nderart erheblichen Nachteil für den Vermieter, dass er vor dem Hintergrund des\nArt. 14 Abs. 2 GG nicht hinzunehmen wäre.\n\nAuszugehen ist vom Sinn und Zweck des Zweckentfremdungsrechts. Die\nZweckentfremdungsgenehmigung hat, anders als die Baugenehmigung, nach ihrer\nZielsetzung mieterschützenden Charakter. Die Baugenehmigung soll dagegen\nlediglich sicherstellen, dass das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Baunormen\nentspricht (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 153).\nAußerdem dient das Zweckentfremdungsrecht einem\nwohnraumbewirtschaftungspolitischen Zweck, weil es einer Verringerung des\nWohnungsangebots durch Nutzung von Wohnraum als Geschäftsraum entgegenwirkt\n(dazu Häublein, NZM 2011,668, 669). Während das öffentliche\nZweckentfremdungsrecht den Erhalt von Wohnraum als Zielsetzung hat, schützen\ndie §§ 573 ff BGB vor der Beendigung eines konkreten Mietverhältnisses\n(Häublein, NZM 2011, 668, 669). Wenn sich nun aufgrund einer\nNutzungsuntersagung der angegebene Nutzungswunsch des Vermieters nicht\nrealisieren lässt, kann ihm auch kein Vorrang vor dem Bestandsinteresse des\nMieters zukommen, denn einer Nutzung, die nach dem öffentlichen Recht\nunzulässig ist, steht das öffentliche Recht entgegen und gerade nicht das\nbestehende Mietverhältnis. Liegt die Sachlage so, dass die angegebene Nutzung\njedenfalls gegenwärtig nicht zu realisieren ist, handelt es sich um eine\nfiktive Nutzungsabsicht, und die hierauf gestützte Kündigung wäre als\nVorratskündigung unzulässig (vgl. Häublein, NZM 2011, 668, 670). Würde man dem\nVermieter die Kündigung und gegebenenfalls die Räumung bereits vor\nAntragstellung bzw. im laufenden Genehmigungsverfahren gestatten, würde die\nGefahr bestehen, dass das Mietobjekt jedenfalls während des Antragsverfahrens\nleer stehen würde. Dies aber ginge mit dem Zweckentfremdungsrecht nicht\nkonform. Im Übrigen kann der Vermieter den Zeitpunkt der Beantragung einer\nerforderlichen Genehmigung steuern und diesen rechtzeitig stellen. Es wäre\nunbillig, dem Mieter gleichsam auf Verdacht die Wohnung zu nehmen, obwohl es\nallein der Vermieter in der Hand hat, ob er von der Möglichkeit einer\nvorherigen Antragstellung Gebrauch macht (Häublein, NZM 2011, 668, 670).\nZutreffend erachtet Häublein die Auffassung des LG Mannheim als lebensfremd in\nBezug auf den Umstand, dass der Vermieter die Kündigung nur erkläre, wenn er\ndie Realisierbarkeit des Nutzungswunsches geprüft habe.\n\nEs ist, wie auch im vorliegenden Fall offensichtlich, zu diesem Zeitpunkt\nüberhaupt nicht transparent, ob die Behörde die Genehmigung erteilen oder\nverweigern wird. Ist der Mieter aber dennoch ausgezogen und wird später keine\nGenehmigung erteilt, sind Fakten geschaffen, die allein dem Vermieter nützen;\ndies bietet Anreize für Kündigungen ins Blaue hinein (Häublein, NZM 2011, 668,\n670). Diese Erwägungen führen zurück auf den Sinn und Zweck des\nZweckentfremdungsrechts und auf die Sozialbindung des Eigentums. Auch das\nLandgericht München II hat dies in seiner Entscheidung vom 29.09.1994 bereits\nplastisch ausgedrückt, wenn es formuliert, dass die Erteilung der\nZweckentfremdungsgenehmigung im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen\nVerwaltungsbehörde stehe und im Falle des Abbruchs in der Regel nur unter\nAuflagen erteilt werde. Ein Vermieter könne erst nach der Erteilung der\nZweckentfremdungsgenehmigung und Kenntniserlangung von den Auflagen letztlich\nentscheiden, ob er das geplante Bauvorhaben durchführen könne und ob die\nDurchführung für ihn bei Berücksichtigung der Auflagen noch wirtschaftlich\nsinnvoll sei (LG München II, Urt. v. 29.09.1994, Az. 8 S 2264/94, WuM 1997,\n115).\n\nWenn aber erst mit Erteilung der Zweckentfremdungsgenehmigung und\nKenntniserlangung eventueller Auflagen feststehe, ob der Vermieter das\ngeplante Bauvorhaben durchführen kann und ob die Durchführung für ihn bei\nBerücksichtigung der Auflagen noch wirtschaftlich sinnvoll ist, dann gebietet\nes die Sozialbindung des Eigentums vor der Kenntniserlangung dieser Umstände\nkeine Verwertungskündigung rechtswirksam aussprechen zu können.\n\nDas LG München I hat sich kürzlich mittelbar ebenfalls mit dieser Problematik\nauseinandergesetzt, als es zum Erfordernis einer denkmalschutzrechtlichen\nAbrissgenehmigung, als weiterer Fallgruppe des Problemkreises\nVerwertungskündigung, Stellung bezogen hat. In dieser Entscheidung überträgt\ndas LG München I die Überlegungen zur Zweckentfremdungsgenehmigung teilweise\nauf die denkmalschutzrechtliche Abrissgenehmigung und erklärt das Vorliegen\neiner denkmalschutzrechtlichen Abrissgenehmigung zum Zeitpunkt des Ausspruchs\nder Kündigung zur Wirksamkeitsvoraussetzung, da auch die\ndenkmalschutzrechtliche Abrissgenehmigung ebenso wie die\nZweckentfremdungsgenehmigung (und jeweils anders als die bloße Baugenehmigung)\nmieterschützenden Charakter haben. Ohne die Notwendigkeit des Vorliegens einer\ndenkmalschutzrechtlichen Abrissgenehmigung im Zeitpunkt des Ausspruchs der\nKündigung ergebe sich ein erhebliches Missbrauchspotential und es widerspreche\nauch der Sozialbindung des Eigentums (vgl. LG München Beschluss vom 21.09.2016\nund v. 17.11.2016 - 14 S 9176/16). Dieser Umstand verbindet\nZweckentfremdungsgenehmigung und denkmalschutzrechtliche Abrissgenehmigung,\nund grenzt diese von der normalen Baugenehmigung ab.\n\nDa die Zweckentfremdungsgenehmigung vorliegend schon zu keinem Zeitpunkt\nvorlag, deren Erfordernis bei Zugang der Kündigung aber auch\nverfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, sind die Kündigungen unwirksam,\nund die Klage war daher abzuweisen.\n\nII.\n\nDie Kostenfolge beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.\n\nIII.\n\nDer Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7,\n711 ZPO.\n\nIV.\n\nBezüglich der Streitwertfestsetzung verbleibt es bei dem Beschluss vom\n10.01.2020 (Bl. 156 d.A.).\n\n
329,838
vghbw-2020-06-30-1-s-271219
161
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
vghbw
Baden-Württemberg
Verwaltungsgerichtsbarkeit
1 S 2712/19
2020-06-30
2020-07-23 10:01:08
2020-12-10 13:35:58
Urteil
## Tenor\n\nAuf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts\nKarlsruhe vom 13. August 2018 - 10 K 5761/16 - geändert. Der Bescheid der\nBeklagten vom 05.04.2016 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Rastatt\nvom 28.09.2016 werden aufgehoben, soweit die Klägerin zum Ersatz von mehr als\n87,50 EUR Feuerwehrkosten herangezogen wird. Im Übrigen wird die Klage\nabgewiesen.\n\nDie Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin in beiden Rechtszügen jeweils zu\neinem Drittel und die Beklagte zu zwei Dritteln.\n\nDie Revision wird nicht zugelassen.\n\n## Tatbestand\n\n| | \n--- \n| 1 \n--- \n| Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu Feuerwehrkosten in Höhe\nvon 275,-- EUR. \n--- \n| 2 \n--- \n| Am 15.07.2015 kam die Klägerin mit ihrem Pkw auf einer Kreisstraße im\nGemeindegebiet der Beklagten gegen 22:00 Uhr nach rechts von der Fahrbahn ab.\nSie rollte über eine Böschung und einen Radweg und kam auf einem Feld zum\nStehen. Um 22:07 Uhr alarmierte ein hinter ihr fahrender Zeuge über die\nNotrufnummer 110 das Führungs- und Lagezentrum (FLZ) des Polizeipräsidiums\nOffenburg, das noch um 22:07 Uhr die Integrierte Leitstelle Mittelbaden (ILS)\nüber einen „Verkehrsunfall, Person eingeklemmt“ unterrichtete. Diese Meldung\nwurde ebenfalls um 22:07 Uhr an den Rettungsdienst sowie die Feuerwehr der\nBeklagten mit dem Einsatzstichwort „technische Rettung, Verkehrsunfall mit\nPKW(,) Person eingeklemmt“ weitergeleitet. \n--- \n| 3 \n--- \n| Die Feuerwehr traf ab 22:13 Uhr mit vier Einsatzfahrzeugen - einem\nLöschfahrzeug (HLF20 mit 9 Mann Besatzung), einem Staffellöschfahrzeug (STLF\nmit 5 Mann), einem Mannschaftstransportwagen (MTW mit 3 Mann) und einem um\n22:18 Uhr folgenden Rüstwagen (RW mit 3 Mann) - am Unfallort ein. Die Klägerin\nhatte ihr Fahrzeug inzwischen verlassen und wurde vom Rettungsdienst wegen\neiner leichten Schädelprellung betreut. Die Feuerwehr stellte bis 22:18 Uhr\nfest, dass keine Gefahr für Leib oder Leben bestand, zog das verunfallte\nFahrzeug anschließend aus dem Feld und kehrte anschließend gegen 22:50 Uhr\nzurück. Der ebenfalls alarmierte Polizeivollzugsdienst hielt fest, der Vorfall\nsei von zwei Zeugen beobachtet worden, die angegeben hätten, die Klägerin sei\nzuvor ohne Licht in Schlangenlinien gefahren. Eine Blutuntersuchung ergab\nspäter eine Blutalkoholkonzentration von 1,71 Promille. \n--- \n| 4 \n--- \n| Mit Bescheid vom 07.10.2015 zog die Beklagte die Klägerin zunächst zum\nKostenersatz in Höhe von 615,-- EUR heran. Zur Begründung führte sie aus, die\nKlägerin sei nach § 34 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 bis 3 FwG\nkostenersatzpflichtig. Der Einsatz sei durch den Betrieb ihres Fahrzeugs\nverursacht worden und die Leistungen der Feuerwehr seien durch das Verhalten\nder Klägerin erforderlich gemacht und außerdem in ihrem Interesse erbracht\nworden. Für die Leistungen würden Beträge aufgrund der „Satzung (...) über die\n‚Erhebung des Kostenersatzes für die Leistungen der Feuerwehr der Gemeinde\nDurmersheim‘ vom 5.12.2001“ wie folgt in Rechnung gestellt: \n--- \n--- \n| 5 \n--- \n| \n--- \n| **Pos.** \n--- \n| **Bezeichnung** \n--- \n| **Anz.** \n--- \n| **Einh.** \n--- \n| **Einzelpreis** \n--- \n| **Gesamtpreis** \n--- \n| 1 \n--- \n| Löschfahrzeug (HLF20) \n--- \n| 1 \n--- \n| Std. \n--- \n| 90,00 EUR \n--- \n| 90,00 EUR \n--- \n| 2 \n--- \n| Staffellöschfahrzeug (STLF) Würmersheim \n--- \n| 1 \n--- \n| Std. \n--- \n| 75,00 EUR \n--- \n| 75,00 EUR \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| 4 \n--- \n| Rüstwagen (RW 2) \n--- \n| 1 \n--- \n| Std. \n--- \n| 100,00 EUR \n--- \n| 100,00 EUR \n--- \n| ... \n--- \n| | | | \n| 8 \n--- \n| Mannschaftstransportwagen \n--- \n| 1 \n--- \n| Std. \n--- \n| 20,00 EUR \n--- \n| 20,00 EUR \n--- \n| ... \n--- \n| | | | \n| 12 \n--- \n| Personalkosten \n--- \n| 22 \n--- \n| 1 Std \n--- \n| 15,00 EUR \n--- \n| 330,00 EUR \n--- \n| | | | | \n| | | | | **Endbetrag** : \n--- \n| 615,00 EUR \n--- \n--- \n| 6 \n--- \n| Dem Posten „Personalkosten“ lag die Annahme zugrunde, dass neben der 20 Mann\numfassenden Besatzung der genannten Einsatzfahrzeuge zwei weitere Personen in\nder Feuerwehreinsatzzentrale (FEZ) tätig waren. \n--- \n| 7 \n--- \n| Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie machte unter\nanderem geltend, die von der Polizei geäußerte Vermutung einer\nAlkoholbeeinflussung habe sich als unzutreffend erwiesen. Es sei ein Tier auf\ndie Fahrbahn gerannt. Der Feuerwehreinsatz sei unnötig gewesen und durch eine\nFalschmeldung oder den Falschalarm eines durchgeknallten Mitarbeiters der ILZ\nverursacht worden. Sie sei sofort aus dem PKW ausgestiegen. Es habe keine\nAnhaltspunkte dafür gegeben, dass jemand festgeklemmt gewesen sei. Zeugen\nhätten der Notrufzentrale auch mitgeteilt, dass niemand mehr im Fahrzeug\ngewesen sei. \n--- \n| 8 \n--- \n| Mit Urteil vom ... - ... - verurteilte das Amtsgericht ... die Klägerin\nwegen des Vorfalls vom 15.07.2015 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu\neiner Freiheitsstrafe von 3 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das\nUrteil erlangte im Januar 2016 Rechtskraft. \n--- \n| 9 \n--- \n| Im Februar 2016 teilte das Landratsamt Rastatt der Beklagten im\nWiderspruchsverfahren sinngemäß mit, die Klägerin könne zwar dem Grunde nach,\nallerdings nicht für den Teil des Einsatzes zu den Kosten herangezogen werden,\nder die Bergung ihres Pkw betroffen habe. Die Lageerkundung sei um 22:18 Uhr\nabgeschlossen gewesen und ab dann habe festgestanden, dass keine Gefahren\n(mehr) bestanden hätten. Die vorherige Fahrt zum Einsatzort, die Lageerkundung\nund die Rückfahrt seien dagegen kostenersatzfähig. \n--- \n| 10 \n--- \n| Die Beklagte half dem Widerspruch der Klägerin daraufhin teilweise ab. Mit\nÄnderungskostenbescheid vom 05.04.2016 zog sie die Klägerin zum Kostenersatz\nin Höhe von 275,-- EUR wie folgt heran: \n--- \n--- \n| 11 \n--- \n| \n--- \n| **Pos.** \n--- \n| **Bezeichnung** \n--- \n| **Anz.** \n--- \n| **Einh.** \n--- \n| **Einzelpreis** \n--- \n| **Gesamtpreis** \n--- \n| 1 \n--- \n| Löschfahrzeug (HLF20) \n--- \n| 0,50 \n--- \n| Std. \n--- \n| 90,00 EUR \n--- \n| 45,00 EUR \n--- \n| 2 \n--- \n| Staffellöschfahrzeug (STLF) Würmersheim \n--- \n| 0,50 \n--- \n| Std. \n--- \n| 75,00 EUR \n--- \n| 37,50 EUR \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| 4 \n--- \n| Rüstwagen (RW 2) \n--- \n| 0,50 \n--- \n| Std. \n--- \n| 100,00 EUR \n--- \n| 50,00 EUR \n--- \n| ... \n--- \n| | | | \n| 12 \n--- \n| Personalkosten \n--- \n| 19 \n--- \n| 0,50 Std \n--- \n| 15,00 EUR \n--- \n| 142,50 EUR \n--- \n| | | | | \n| | | | | **Endbetrag** : \n--- \n| 275,00 EUR \n--- \n--- \n| 12 \n--- \n| Zur Begründung der Neuberechnung führte die Beklagte aus, sie habe zum einen\ndie abgerechnete Einsatzzeit jeweils halbiert, weil sie den auf die Bergung\ndes Fahrzeuges fallenden, etwa eine Viertelstunde dauernden Einsatzteil nicht\nmehr berücksichtige. Außerdem lasse sie den Einsatz des\nMannschaftstransportwagens außen vor, weil dieser nach der maßgeblichen Alarm-\nund Ausrückeordnung Durmersheim-Würmersheim (AAO) nicht zu alarmieren gewesen\nsei (gemeint: weil diese AAO die für ein Ausrücken in Betracht kommenden\nFahrzeuge abhängig vom Einsatzstichwort festlegt und bei dem Stichwort\n„Technische Rettung 2“ das genannte Fahrzeug [MTW „Durmersheim 2/19“] nicht\nvorsieht, vgl. Bl. 131 d. VG-Akte). Abgerechnet werde daher allein der Einsatz\nder Fahrzeuge „Durmersheim 1/46, Löschgruppenfahrzeug“, „Durmersheim 2/20\n(gemeint wohl: 2/40), Staffellöschfahrzeug“ sowie „Durmersheim 1/52,\nRüstwagen“ mit den dann verbleibenden 19 Personen. \n--- \n| 13 \n--- \n| Auch gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Diesen wies\ndas Landratsamt Rastatt mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2016 zurück. \n--- \n| 14 \n--- \n| Die Klägerin hat am 27.10.2016 Klage erhoben und sich gegen die\nKostenheranziehung dem Grunde und der Höhe nach gewandt. Der Grund für den\nFeuerwehreinsatz sei nicht in ihrem Verhalten zu suchen, sondern liege in der\nmangelhaften und rechtswidrigen Organisationsstruktur sowie dem Verhalten der\nhandelnden Personen bei der Polizei (gemeint: im FLZ) und der ILS, die das\nLeben der Bürger mehr gefährde als jede Terrororganisation. Jedenfalls der\nPolizei sei innerhalb der ersten Minute nach dem Unfall bekannt gewesen, dass\nein Einsatz zum Zweck der Befreiung aus dem PKW absolut nicht erforderlich\ngewesen sei, weshalb der Anruf bei der ILS rechtswidrig erfolgt und diese auf\nabenteuerlich falsche Art und Weise eingewiesen worden sei. Im\nWiderspruchsbescheid habe man ihr mitgeteilt, dass die Bandaufzeichnungen der\ndamaligen Gespräche bereits gelöscht worden seien. Das liege im alleinigen\nVerantwortungsbereich der Beklagten, sei skandalös und führe dazu, dass auch\ndem Gericht die erforderlichen Beweismittel fehlten. Es sei auch nicht zu\nerwarten, dass von den am Unfallort anwesenden Zeugen über den Vorfall vom\n15.07.2015, der nur wenige Minuten gedauert habe und bei dem die Zeugen\naufgeregt gewesen seien, noch sachgerechte Auskünfte zu erhalten wären.\nAußerdem sei zu beachten, dass in der im Ausgangsbescheid genannten Satzung\nder Beklagten nur eines der drei in dem Bescheid abgerechneten Fahrzeuge\naufgeführt sei. Deshalb dürfe allenfalls ein Fahrzeug mit entsprechend weniger\nPersonalkosten berechnet werden. \n--- \n| 15 \n--- \n| Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren\naufgefordert, die von ihr in dem Bescheid vom 05.04.2016 so bezeichnete\n„Satzung (...) über die ‚Erhebung des Kostenersatzes für die Leistungen der\nFeuerwehr der Gemeinde Durmersheim‘ vom 5.12.2001“ vorzulegen. Die Beklagte\nhat mit Schriftsatz vom 19.07.2018 erklärt, diese Satzung nunmehr zu\nübersenden. Tatsächlich hat sie lediglich einen Auszug der am 05.12.2001\nbeschlossenen „Satzung zur Anpassung örtlicher Satzungen an den Euro“\nvorgelegt. Artikel 13 dieser Anpassungssatzung bestimmt, dass das\n„Kostenverzeichnis über die Erhebung des Kostenersatzes für Leistungen der\nfreiwilligen Feuerwehr der Gemeinde Durmersheim vom 09.11.1994, zuletzt\ngeändert am 11.09.1996“, (auszugsweise) wie folgt geändert werde: \n--- \n--- \n| 16 \n--- \n| \n--- \n| **„II. Einsatz von Fahrzeugen** \n--- \n| \n| 1\\. Löschfahrzeug (TLF 16) \n--- \n| Euro \n--- \n| 190,00 pro Stunde \n--- \n| 2\\. Löschfahrzeug (LF 8) \n--- \n| Euro \n--- \n| 175,00 pro Stunde \n--- \n| 3\\. Drehleiter (DLK) \n--- \n| Euro \n--- \n| 125,00 pro Stunde \n--- \n| 4\\. Rüstwagen (RW 2) \n--- \n| Euro \n--- \n| 100,00 pro Stunde \n--- \n| 5\\. Löschfahrzeug (LF 16) \n--- \n| Euro \n--- \n| 100,00 pro Stunde \n--- \n| 6\\. Einsatzleitwagen (ELW 1) \n--- \n| Euro \n--- \n| 120,00 pro Stunde \n--- \n| 7\\. Mannschaftstransportwagen (MTW) \n--- \n| Euro \n--- \n| 140,00 pro Stunde“ \n--- \n--- \n| 17 \n--- \n| Mit Urteil vom 13.08.2018 - 10 K 5761/16 - hat das Verwaltungsgericht die\nKlage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt,\nRechtsgrundlage für die Inanspruchnahme der Klägerin sei § 34 des\nFeuerwehrgesetzes in der Fassung vom 02.03.2010, die bis zum 29.12.2015 (und\ndamit am Einsatztag) gültig gewesen sei (im Folgenden: FwG a.F.). Die Beklagte\nhabe die Klägerin gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und\n§ 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 3 FwG a.F. dem Grunde nach zum\nKostenersatz heranziehen dürfen. Die Feuerwehr habe im Sinne von § 34 Abs. 1\ni.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FwG a.F. „zur Rettung eines Menschen aus\nlebensbedrohlicher Lage“ agiert. Diese Vorschriften erfassten auch\nAnscheinsgefahren. Eine solche Anscheinsgefahr und nicht lediglich eine\nScheingefahr sei hier gegeben gewesen. Die Beklagte habe aufgrund der\nAlarmierung mit dem Stichwort „Technische Rettung 2 - VU mit PKW Person\n(eingeklemmt)“ davon ausgehen müssen, dass Gefahr in Verzug und ein sofortiges\nAusrücken erforderlich sei. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten hätten ihr damals\nnicht zur Verfügung gestanden und den Zweck der Alarmierung gefährdet. Das\nstelle die Klägerin auch nicht in Frage. Sie berufe sich vielmehr darauf, dass\nauf der Kostenebene (Sekundärebene) die Voraussetzungen für ihre\nInanspruchnahme nicht vorgelegen hätten, weil einer der Zeugen bei einem\nseiner Anrufe - sie trage insoweit widersprüchlich vor - telefonisch\nrechtzeitig mitgeteilt habe, dass ein Einsatz der Feuerwehr nicht erforderlich\ngewesen sei. Das überzeuge jedoch nicht. Aus den Akten ergebe sich, dass das\nFLZ erklärt habe, dass ein Anrufer „erst zu einem späteren Zeitpunkt“\nmitgeteilt habe, dass niemand eingeklemmt sei. Die Aufnahme des Anrufs des\nZeugen über die Notrufnummer 110 und der Anruf vom FLZ an die ILZ stehe dem\nGericht nicht mehr zur Verfügung, weil diese Anrufe inzwischen gelöscht seien.\nDem Einwand der Klägerin, die Beklagte habe dadurch die Beweisführung\nvereitelt, folge das Gericht nicht. Es habe bereits Zweifel, ob sich die\nbeklagte Gemeinde etwaige Fehler in der Kommunikation zwischen dem FLZ und der\nILS, die jeweils nicht von ihr getragen würden, zurechnen lassen müsse. Dies\nkönne aber offenbleiben, weil die Anrufe zurecht gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 PolG\nbzw. § 35 Abs. 5 bis 7 FwG a.F. gelöscht worden seien. Insbesondere sei die\nsich aus § 35 Abs. 7 FwG a.F. ergebende Regelspeicherfrist von sechs Monaten\nabgelaufen, ohne dass sich die Klägerin bis dahin an die ILS gewandt habe. Die\nBeklagte habe auch keinen Anlass gehabt, sich selbst an die ILS zu wenden.\nDenn die Klägerin habe gegenüber der Beklagten bis zum Ablauf dieser Frist\nnicht substantiiert dargelegt, dass ex ante betrachtet keine Gefahr bestanden\nhabe, sondern vor allem geltend gemacht, dass die Vermutung einer\nAlkoholbeeinflussung unzutreffend gewesen sei. Der Einsatz der Feuerwehr sei\nauch im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FwG a.F. „durch den Betrieb eines\nKraftfahrzeugs“ bedingt gewesen. Aus der ex ante-Perspektive sei die Leistung\nferner entsprechend § 34 Abs. 3 Nr. 3 FwG a.F. „im Interesse der Klägerin“\nerbracht worden. Gegen die Höhe der Inanspruchnahme bestünden ebenfalls keine\nBedenken. Der Einwand der Klägerin, in der Satzung der Beklagten über die\nErhebung des Kostenersatzes für die Leistungen der Feuerwehr der Gemeinde\nDurmersheim sei nur eines von drei Feuerwehrfahrzeugen mit den entsprechenden\nKosten aufgeführt, sei für das Gericht nicht nachvollziehbar. In der ihm\nvorliegenden Satzung seien alle eingesetzten und abgerechneten Fahrzeuge\neinzeln aufgelistet. \n--- \n| 18 \n--- \n| Auf Antrag der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 10.10.2019 - 1 S\n2150/18 - die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen. \n--- \n| 19 \n--- \n| In dem Berufungsverfahren hat die Beklagte erstmals ihre „Satzung über die\nErhebung des Kostenersatzes für Leistungen der Feuerwehr der Gemeinde\nDurmersheim“ vom 09.11.1994 nebst Kostenverzeichnis (im Folgenden: KostVerz),\nihre Satzung zur Änderung jener Satzung vom 11.09.1996 sowie ihre „Satzung zur\nAnpassung örtlicher Satzungen an den Euro (Euro-Anpassungs-Satzung)“ vom\n05.12.2001 vorgelegt. Die Satzung vom 09.11.1994 in der Fassung vom 05.12.2001\nwar im Dezember 2015 (und ist weiterhin) in Kraft (im Folgenden: FwKostS). \n--- \n| 20 \n--- \n| Zu Begründung ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, von den im\nangefochtenen Bescheid genannten drei Fahrzeugen entspreche nur eines, der\n„Rüstwagen (RW 2)“, dieser Satzung der Beklagten. Das von ihr darüber hinaus\nabgerechnete „Löschfahrzeug HLF20“ und das „Staffellöschfahrzeug STLF“ würden\ndagegen in der Satzung nicht genannt. Der Einwand der Beklagten, in ihrer\nSatzung sei bestimmt, dass die Kosten für den Ersatz von Fahrzeugen, die im\nKostenverzeichnis zur Satzung nicht enthalten seien, durch einen „Vergleich\nmit ähnlichen Fahrzeugen“ zu ermitteln seien, genüge dem Bestimmtheitsgebot\ndes Art. 20 Abs. 3 GG nicht. Denn es sei auch durch Auslegung nicht zu\nermitteln, wann das Tatbestandsmerkmal „vergleichbare Ähnlichkeit“ erfüllt\nsei. Deshalb seien die zwei betroffenen Fahrzeuge nicht abrechnungsfähig.\nUnabhängig davon könnten nicht 19, sondern allenfalls 5 bis 6 Personen\nabgerechnet werden. \n--- \n| 21 \n--- \n| Die Klägerin beantragt, \n--- \n| 22 \n--- \n| das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13.08.2018 - 10 K 5761/16 -\nzu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 05.04.2016 sowie den\nWiderspruchsbescheid des Landratsamts Rastatt vom 28.09.2016 aufzuheben. \n--- \n| 23 \n--- \n| Die Beklagte beantragt, \n--- \n| 24 \n--- \n| die Berufung zurückzuweisen. \n--- \n| 25 \n--- \n| Sie macht geltend, es sei richtig, dass das eingesetzte Löschfahrzeug (HLF\n20) und das Staffellöschfahrzeug (STLF 10/6) als solche nicht im\nKostenverzeichnis aufgeführt seien, weil dieses noch von Vorgängermodellen und\nsomit von älteren Fahrzeugen ausgehe. Für solche Fälle sei aber in Art. 1 Nr.\n4 Abs. 2 FwKostS geregelt, dass die „Kosten für den Einsatz oder die\nBereitstellung von Fahrzeugen (...), die im Kostenverzeichnis nicht enthalten\nsind, (...) durch Vergleich mit ähnlichen Fahrzeugen (...) ermittelt (werden).\nKann keine Zuordnung vorgenommen werden, werden die Kosten gesondert ermittelt\nund festgesetzt.“ Das eingesetzte Hilfeleistungslöschgruppenfahrzeug (HLF20)\nsei technisch und kostenmäßig vergleichbar mit dem im Kostenverzeichnis\naufgeführten Löschfahrzeug (TLF16). Gleiches gelte für das verwendete\nStaffellöschfahrzeug (STLF 10/6) im Vergleich zu dem im Kostenverzeichnis\naufgeführten Löschfahrzeug (LF8). Das ergebe sich aus der folgenden vom\nKommandanten der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten erstellten\nGegenüberstellung: \n--- \n![](http://lrbw.juris.de/grafiken/juris/jure200010114/bild1.jpg) \n--- \n| 26 \n--- \n| Außerdem habe die Beklagte die in Ansatz gebrachten Kostensätze von 75,--\nEUR bzw. 90,-- EUR sehr moderat bemessen. Das zeige der Vergleich mit den\nStundensätzen in der heute geltenden, auf der Grundlage von § 34 Abs. 8 FwG in\nder Fassung vom 17.12.2015 (FwG n.F.) erlassenen Verordnung des\nInnenministeriums über den Kostenersatz für Einsätze der Feuerwehr (Verordnung\nKostenersatz Feuerwehr - VOKeFw) vom 18.03.2016. Diese sehe für ein mittleres\nLöschfahrzeug (MLF), wie das STLF 10/6 eines sei, einen Stundensatz von 83,--\nEUR, für das HLF 20 einen Stundensatz von 184,-- EUR und für einen Rüstwagen\neinen Stundensatz von 187,-- EUR vor. \n--- \n| 27 \n--- \n| Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die\nVerwaltungsakte der Beklagten und die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen\nverwiesen. \n--- \n \n## Entscheidungsgründe\n\n| | \n--- \n| 28 \n--- \n| Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige\nBerufung ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu\nUnrecht in vollem Umfang abgewiesen. \n--- \nI. \n--- \n| 29 \n--- \n| Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten\nvom 05.04.2016 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Rastatt vom\n28.09.2016 sind rechtswidrig, soweit die Klägerin darin zum Ersatz von mehr\nals 87,50 EUR Feuerwehrkosten herangezogen wird, und verletzen sie insoweit in\nihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). \n--- \n| 30 \n--- \n| 1\\. Maßgeblich für den Erfolg einer Anfechtungsklage gegen einen Bescheid\nüber die Erhebung von Feuerwehrkosten ist grundsätzlich die Sach- und\nRechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, d.h. in der Regel\ndes Widerspruchsbescheids (vgl. Senat, Urt. v. 16.11.2017 - 1 S 2136/17 -\nVBlBW 2018, 287; Beschl. v. 16.11.2010 - 1 S 2402/09 - BWGZ 2010; allg. dazu\nBVerwG, Urt. v. 11.07.2011 - 8 C 12.10 - juris). Im danach hier maßgeblichen\nZeitpunkt am 29.09.2016 war zwar bereits das Gesetz zur Änderung des\nFeuerwehrgesetzes, des Gesetzes über die Ladenöffnungszeiten in Baden-\nWürttemberg und des Landeskatastrophenschutzgesetzes vom 17.12.2015 (GBl. S.\n1184) in Kraft getreten. Da sich dieses allerdings keine Rückwirkung beimaß,\nwar für die Frage, ob die Klägerin für den Vorfall vom 15.07.2015 zum\nFeuerwehrkostenersatz herangezogen werden konnte, das Feuerwehrgesetz in der\nbis dahin geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Feuerwehrgesetzes\nvom 10.11.2009 (GBl. S. 633), unter dem 02.03.2010 neu bekannt gemacht am\n09.04.2010 (GBl. S. 333), maßgeblich (FwG a.F.). Hiervon sind bereits das\nLandratsamt in seinem Widerspruchsbescheid und das Verwaltungsgericht in dem\nangefochtenen Urteil zutreffend ausgegangen. \n--- \n| 31 \n--- \n| 2\\. Als Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zum Kostenersatz\nkommt demnach § 34 FwG a.F. in Betracht. Die sich aus dieser Vorschrift\nergebenden Tatbestandsvoraussetzungen für eine Heranziehung der Klägerin zu\nden Kosten für den Feuerwehreinsatz vom 15.07.2015 sind erfüllt (a). Die\nBeklagte hat aber das ihr hinsichtlich der Kostenhöhe zustehende Ermessen\nfehlerhaft - auf der Grundlage von teils nicht einschlägigen und teils\nunwirksamen Satzungsbestimmungen - ausgeübt (b). \n--- \n| 32 \n--- \n| a) Die Voraussetzungen für eine Heranziehung der Klägerin zu den\nFeuerwehreinsatzkosten liegen - was zwischen den Beteiligten im\nBerufungsverfahren zuletzt auch nicht mehr im Streit stand - vor. Der Einsatz\nvom 15.07.2015 war gemäß § 34 Abs. 1 FwG a.F. kostenersatzfähig (aa) und die\nKlägerin ist dem Grunde nach gemäß § 34 Abs. 3 FwG a.F. kostenersatzpflichtig\n(bb). \n--- \n| 33 \n--- \n| aa) Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 FwG a.F. sind Einsätze der Gemeindefeuerwehr\nnach § 2 Abs. 1 FwG a.F. unentgeltlich, soweit nicht in Satz 2 etwas anderes\nbestimmt ist. Gemäß Satz 2 verlangen die Träger der Gemeindefeuerwehr\nKostenersatz (u.a.), wenn die Gefahr oder der Schaden vorsätzlich oder grob\nfahrlässig verursacht wurde (Nr. 1) oder wenn der Einsatz durch den Betrieb\nvon Kraftfahrzeugen, Anhängerfahrzeugen, Schienen-, Luft- oder\nWasserfahrzeugen verursacht wurde (Nr. 2). Die sich hieraus ergebenden\nVoraussetzungen sind im Ergebnis erfüllt. Die Feuerwehr der Beklagten war am\n15.07.2015 „nach § 2 Abs. 1 (FwG a.F.)“ tätig (1). Der Einsatz fiel zwar -\nentgegen der Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts - nicht\nunter den Kostentatbestand aus Nr. 2 des § 34 Abs. 1 Satz 2 FwG a.F. (2), aber\nunter denjenigen aus Nr. 1 dieser Vorschrift (3). \n--- \n| 34 \n--- \n| (1) Die Feuerwehr der Beklagten war am 15.07.2015 zur Erfüllung einer sog.\nPflichtaufgabe nach § 2 Abs. 1 FwG a.F. - und nicht etwa zur Erfüllung einer\nsog. Kann-Aufgaben im Sinne von § 2 Abs. 2 FwG a.F. - tätig (s. näher zu\ndieser Unterscheidung Senat, Urt. v. 16.11.2017, a.a.O.). \n--- \n| 35 \n--- \n| Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 FwG a.F. hat die Feuerwehr zur Rettung von Menschen\nund Tieren aus lebensbedrohlichen Lagen technische Hilfe zu leisten. Im\nvorliegenden Fall lag zwar am 15.07.2015 im Zeitpunkt der Alarmierung der\nFeuerwehr und bei deren Einsatz objektiv betrachtet keine lebensbedrohliche\nLage - insbesondere nicht für die Klägerin - vor. Maßgeblich ist aber insoweit\ndie im Gefahrenabwehrrecht auf der sog. Primärebene allgemein gebotene ex\nante-Sicht (vgl. Senat, Urt. v. 16.11.2017, a.a.O., v. 13.04.2011 - 1 S\n2535/10 - VBlBW 2011, 391, und v. 20.03.2003 - 1 S 397/01 - juris, und v.\n08.06.1998 - 1 S 1390/97 - VBlBW 1998, 431; allg. zum Polizeirecht Senat, Urt.\nv. 30.11.2010 - 1 S 1120/10 - VBlBW 2011, 153). Für die Prüfung, zu welchem\nZweck eine Feuerwehr tätig wurde und ob ihr Vorgehen rechtmäßig war, ist\ndanach auf den Sach- und Kenntnisstand im Zeitpunkt des behördlichen Handelns,\nd.h. bei Feuerwehreinsätzen auf den Zeitpunkt der Alarmierung der Feuerwehr,\nabzustellen (vgl. Senat, Urt. v. 16.11.2017, a.a.O., und v. 13.04.2011,\na.a.O., v. 21.11.2008, a.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.; ebenso zu § 2 Abs. 2\nFwG 2009 Senat, Urt. v. 20.03.2013 - 1 S 397/01 - juris; Hildinger/Rosenauer,\nFeuerwehrgesetz Bad.-Württ., 4. Aufl., § 34 Rn. 4). \n--- \n| 36 \n--- \n| Diese Alarmierung erfolgte im vorliegenden Fall am 15.07.2015 um 22:07 Uhr.\nZu diesem Zeitpunkt, war, was ausreicht (vgl. Senat, Urt. v. Urt. v.\n16.11.2017, a.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.), der begründete Verdacht einer\nlebensbedrohlichen Lage gegeben. Denn die Feuerwehr der Beklagten wurde von\nder zuständigen Rettungsleitstelle ILS Mittelbaden unter dem Stichwort\n„technische Rettung, Verkehrsunfall mit PKW(,) Person eingeklemmt“ alarmiert.\nNichts anderes ergibt sich, wenn neben dem Kenntnisstand der alarmierten\nFeuerwehr derjenige der Leitstelle berücksichtigt wird (vgl. Senat, Urt. v.\n21.11.2008, a.a.O., und Urt. v. 22.01.2004, a.a.O.). Denn auch die ILS\nMittelbaden konnte aufgrund der Mitteilung des FLZ des Polizeipräsidiums\nOffenburg um 22:07 Uhr annehmen, dass eine lebensbedrohliche Lage für einen\nnach der Mitteilung eingeklemmten Fahrzeuginsassen bestand. Dies gilt umso\nmehr, als den Leitstellen regelmäßig - und so auch hier - keine weiteren\nErmittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und die Anforderungen an die\nprognostische Beurteilung, ob eine lebensbedrohliche Lage vorliegt, auf der\nPrimärebene angesichts des Zwecks des § 2 Abs. 1 FwG, eine effektive\nGefahrenabwehr zu gewährleisten, nicht überspannt werden dürfen (vgl. Senat,\nUrt. v. 16.11.2017, a.a.O., und v. 20.03.2002, a.a.O.). \n--- \n| 37 \n--- \n| Die von der Klägerin dagegen erstinstanzlich erhobenen - im\nBerufungsverfahren ohnehin nicht mehr aufgegriffenen - Einwände sind\nunbegründet. Soweit sie sinngemäß geltend gemacht hat, die ILS habe sich wie\neine „Terrororganisation“ verhalten, weil ein „durchgeknallter“ Mitarbeiter\nder ILS der Beklagten eine Meldung über eine eingeklemmte Person gemacht habe,\ndie nicht der Sachverhaltsdarstellung entsprochen habe, die zuvor das FLZ der\nILS gegenüber mitgeteilt habe, besteht für diese ins Blaue hinein aufgestellte\nBehauptung kein Anhaltspunkt. Der am 15.07.2017 im FLZ tätig gewesene\nPolizeivollzugsbeamte, Polizeikommissar ..., der die Meldung an die ILS\nweitergeleitet hatte, hat im Gegenteil auf Nachfrage bestätigt, dass er der\nILS als Einsatzgrund „Verkehrsunfall, Person eingeklemmt“ genannt habe (vgl.\nGesprächsnotiz vom 09.02.2016, Bl. 27 d. Verw.-Akte). Ebenfalls haltlos ist\ndie Andeutung der Klägerin, das FLZ habe möglicherweise seinerseits eine\nMeldung an die ILZ weitergegeben, die nicht dem über die Nummer 110 bei dem\nFLZ eingehenden Notruf entsprochen haben könnte. Es besteht kein Anhaltspunkt\nfür die Annahme, dass das FLZ den Inhalt des bei ihm über die Nummer 110\neingehenden Notrufs verfälschend weitergegeben und von einer eingeklemmten\nPerson gesprochen haben könnte, obwohl der Notanrufer dies nicht selbst\nerwähnt hat. Der genannte Polizeibeamte hat im Gegenteil ausdrücklich erklärt,\ndass erst zu einem späteren Zeitpunkt ein Anrufer von der „...“ (d.h. von dem\nmit dem Rettungsdienst beauftragten Unternehmen, vgl. www....-...) von vor Ort\nmitgeteilt habe, dass (doch) keine Person eingeklemmt sei (vgl. Gesprächsnotiz\nvom 09.02.2016, a.a.O.). Aus demselben Grund ist der Einwand der Klägerin\nnicht glaubhaft, der Polizei sei „in der ersten Minute“ von einem der Zeugen\nmitgeteilt worden, dass keine Gefahr bestehe. Gegen die Richtigkeit dieser\nersichtlich ebenfalls ins Blaue hinein aufgestellten Behauptung der Klägerin\nspricht zusätzlich der detaillierte Alarmbericht der ILS vom 15.07.2020. Darin\nsind alle im Zusammenhang mit der Alarmierung getätigten Anrufe sekundengenau\nerfasst und wurde vermerkt, dass der Einsatz mit der Übergabe des Pkw an die\nPolizei um 22:42 beendet worden sei. Der Bericht bietet keinen Hinweis darauf,\ndass in der Zeit der Alarmierung der Feuerwehr um 22:07 Uhr bis zum Abschluss\nder von ihr vorgenommenen Lageerkundung um 22:18 Uhr bei dem FLZ oder der ILS\nein Anruf eingegangen sein könnte, in dem das Vorliegen einer Gefahr in Abrede\ngestellt worden wäre (vgl. Alarmbericht vom 15.07.2015, Bl. 41 ff. d.\nVerw.-Akte). \n--- \n| 38 \n--- \n| (2) Der damit vorliegende Einsatz der Feuerwehr nach § 2 Abs. 1 FwG a.F. ist\nallerdings nicht - wie die Beklagte und das Verwaltungsgericht (jeweils ohne\nnähere Prüfung) meinen - gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 FwG a.F. kostenersatzfähig. \n--- \n| 39 \n--- \n| Nach dieser Vorschrift verlangen die Träger der Gemeindefeuerwehr\nKostenersatz, wenn der Einsatz „durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen“\nverursacht wurde. Eine solche Verursachung liegt nur vor, wenn durch den\nBetrieb eines Kraftfahrzeugs im ersten Glied der Kausalkette objektiv eine\nGefahr bzw. Störung im Sinne des § 2 Abs. 1 FwG a.F. und deshalb im zweiten\nSchritt ein objektiv erforderlicher Feuerwehreinsatz verursacht wurde. Bei\nobjektiv nicht erforderlichen Feuerwehreinsätzen - insbesondere zur Bekämpfung\nvon Anscheinsgefahren - ist dieser verschuldensunabhängige\nGefährdungshaftungstatbestand hingegen nicht erfüllt (vgl. ausf. dazu Senat,\nUrt. v. 16.11.2017, a.a.O.). So liegt der Fall hier. Denn objektiv betrachtet\nlag am 15.07.2015 im Zeitpunkt der Alarmierung der Feuerwehr und bei deren\nEinsatz keine lebensbedrohliche Lage - insbesondere nicht für die Klägerin -\nvor (vgl. oben (1)). \n--- \n| 40 \n--- \n| (3) Der Einsatz der Feuerwehr der Beklagten ist aber gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1\nFwG a.F. kostenersatzfähig. Nach dieser Vorschrift verlangen die Träger der\nGemeindefeuerwehr Kostenersatz, wenn die Gefahr oder der Schaden (a)\nvorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde (b). Diese Voraussetzungen\nsind hier erfüllt. \n--- \n| 41 \n--- \n| (a) Eine „Gefahr“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FwG a.F. lag bei dem\nEinsatz vor. Dass sich die ex ante gerechtfertigte Annahme einer\nlebensbedrohlichen Lage ex post betrachtet als objektiv unzutreffend erwiesen\nhat, steht der Annahme einer „Gefahr“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1\nFwG a.F. nicht entgegen. Denn ein Kostenersatzanspruch nach dieser Vorschrift\nkommt - anders als ein solcher nach § 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FwG a.F. (s. oben\n(2)) - auch in Fällen in Betracht, in denen der Kostenverursacher lediglich\nden Anschein eines Schadenfeuers hervorruft (Senat, Urt. v. 16.11.2017,\na.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.). Das folgt bereits aus dem Wortlaut der\nNorm, der mit den Tatbestandsmerkmalen „Verursacher“, „Gefahr“ und „Schaden“\nersichtlich an die Begrifflichkeiten des allgemeinen Polizeirechts anknüpft,\ndas die Verantwortlichkeit des Anscheinsstörers kennt (Senat, Urt. v.\n16.11.2017, a.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.). Eine solche Anscheinsgefahr -\nund nicht lediglich eine Scheingefahr (Putativgefahr) - war hier gegeben. Denn\ndie Feuerwehr der Beklagten hat nach dem oben (unter (1)) Gesagten im\nZeitpunkt ihres Tätigwerdens aufgrund hinreichender tatsächlicher\nAnhaltspunkte und vom Standpunkt eines fähigen, besonnenen und sachkundigen\nAmtswalters aus betrachtet das Vorliegen einer Gefahr in der Gestalt einer\nlebensbedrohlichen Lage für Fahrzeuginsassen zu Recht bejaht (vgl. zur\nAbgrenzung von Anscheins- und Putativgefahr auch VGH Bad.-Württ., Urt. v.\n10.05.1990 - 5 S 1842/89 - NVwZ-RR 1991, 24). \n--- \n| 42 \n--- \n| (b) Die Klägerin hat diese Anscheinsgefahr auch grob fahrlässig verursacht. \n--- \n| 43 \n--- \n| Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch\nsubjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche\nMaß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Grob fahrlässig handelt demnach,\nwer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt\nund dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz\nnahe liegen und im gegebenen Fall jedem hätten einleuchten müssen (vgl. Senat,\nUrt. v. 16.11.2017, a.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.: „Vorwurf besonders\nschwerer Pflichtverletzung“). Ob Fahrlässigkeit als einfach oder grob zu\nbewerten ist, hängt vom Ergebnis der Abwägung aller objektiven und subjektiven\nTatumstände im Einzelfall ab und entzieht sich deshalb weitgehend einer\nAnwendung fester Regeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.08.2008 - 2 A 8.07 - juris;\nSenat, Urt. v. 07.10.2014 - 1 S 1327/13 - VBlBW 2015, 207;\nHildinger/Rosenauer, a.a.O., § 34 Rn. 12; jeweils m.w.N.). \n--- \n| 44 \n--- \n| An diesen Maßstäben gemessen hat die Klägerin die Anscheinsgefahr am Abend\ndes 15.07.2017 grob fahrlässig verursacht. Ihr Verhalten stellte sich in\nobjektiver Hinsicht als grob verkehrswidrig dar. Denn sie hat ihr Fahrzeug an\ndiesem Abend unter erheblichen Alkoholeinfluss geführt und ist von der\nFahrbahn einer Kreisstraße über den Randstreifen, eine Böschung und einen\nFahrradweg hinweg auf ein Feld abgekommen. Ihr Verhalten war auch in\nsubjektiver Hinsicht in besonders schwerem Maße sorgfaltswidrig. Sie war\nbereits im Jahr 2012 nach einer Fahrt mit einer Blutalkoholkonzentration mit\n1,96 Promille wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe\nvon 35 Tagessätzen verurteilt worden (vgl. AG ..., Urt. v. ... - ... -,\nVerw.-Akte Bd. 2 [unpagniert]). Einem Verkehrsteilnehmer in dieser Situation\nhätte es ohne weiteres einleuchten müssen, dass er nicht - wie am 15.07.2015\ngeschehen - erneut unter erheblichem Alkoholeinfluss mit einer\nBlutalkoholkonzentration von nun 1,71 Promille mit einem Pkw am Straßenverkehr\nteilnehmen durfte. \n--- \n| 45 \n--- \n| Die Klägerin kann dem nicht ihren erstinstanzlichen - im Berufungsverfahren\nohnehin nicht mehr aufgegriffenen - Einwand entgegensetzen, sie sei einem Tier\nausgewichen (gemeint wohl: und nur deshalb von der Fahrbahn abgekommen). Es\nbestehen bereits keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Behauptung zutrifft.\nDie der Klägerin nachfolgenden Fahrer haben der Polizei gegenüber von keinem\nTier berichtet. Unabhängig davon würde der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit\nselbst dann nicht entfallen, wenn die Behauptung der Klägerin zutreffen\nsollte. Denn auch dann besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass ihre\nerhebliche Alkoholisierung maßgeblich dazu beigetragen hat, dass sie auf die\nVerkehrssituation nicht angemessen reagieren konnte und von der Fahrbahn\nabgekommen ist. Das gilt - ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich\nankäme - umso mehr, als beide von der Polizei vernommenen Zeugen bekundet\nhaben, die Klägerin sei ohne Licht und in Schlangenlinien gefahren. \n--- \n| 46 \n--- \n| Ebenfalls keine andere Beurteilung rechtfertigt der Vortrag der Klägerin in\ndem 2015 geführten Strafverfahren, sie habe eigentlich aus der Bar, in der sie\ndie alkoholischen Getränke konsumiert habe, abgeholt werden sollen und sei nur\ndeshalb doch mit dem eigenen Pkw alkoholisiert gefahren, weil ihr Vater\nangerufen und mitgeteilt habe, dass er gestürzt sei und es ihm nicht gut gehe.\nDieses Vorbringen vermag die Klägerin - auch als wahr unterstellt - schon\ndeshalb nicht maßgeblich zu entlasten, weil sie den Bekannten, der sie nach\nihrem Vortrag hätte abholen sollen, auch hätte kontaktieren können, um sich zu\nihrem Vater fahren zu lassen. Unabhängig davon wäre für die nach eigenen\nAngaben kurze Strecke auch die Fahrt mit einem Taxi möglich gewesen (vgl. AG\n..., Urt. v. ..., a.a.O.). \n--- \n| 47 \n--- \n| bb) Für den mithin gemäß § 34 Abs. 1 FwG a.F. kostenersatzfähigen Einsatz\nvom 15.07.2015 ist die Klägerin auch dem Grunde nach gemäß § 34 Abs. 3 FwG\na.F. kostenersatzpflichtig. \n--- \n| 48 \n--- \n| Nach Nr. 3 des § 34 Abs. 3 FwG a.F. ist derjenige kostenersatzpflichtig, „in\ndessen Interesse die Leistung erbracht wurde“. Dieses Merkmal ist erfüllt,\nwenn das Handeln der Feuerwehr für den in Anspruch Genommenen objektiv\nnützlich ist (vgl. Senat, Urt. v. 09.09.2013 - 1 S 1077/13 - juris, und vom\n17.05.2010 - 1 S 2441/09 -, VBlBW 2010, 474). Es bedarf keiner Entscheidung,\nob - wie die Beklagte und das Verwaltungsgericht meinen - dieser Tatbestand\nerfüllt ist, weil das Ausrücken der Feuerwehr ex ante betrachtet für die\nKlägerin nützlich war, oder ob dem entgegensteht, dass die Leistung ex post\nbetrachtet nicht in ihrem Interesse lag (für das zuletzt genannte\nNormverständnis wohl Surwald/Ernst, Feuerwehrgesetz für Baden-Württemberg, 8.\nAufl., § 34 Rn. 40). \n--- \n| 49 \n--- \n| Denn jedenfalls ist der Tatbestand der Nr. 1 des § 34 Abs. 3 FwG a.F.\nerfüllt. Danach ist derjenige kostenersatzpflichtig, dessen Verhalten die\nLeistung erforderlich gemacht hat, wobei § 6 Abs. 2 und 3 PolG entsprechend\ngilt. Der so umschriebene Begriff des Kostenverursachers im Sinne des § 34\nAbs. 3 Nr. 1 FwG a.F. ist mit dem des Verhaltensstörers im Sinne von § 6 Abs.\n1 PolG gleichzusetzen (Senat, Urt. v. 07.12.1992 - 1 S 1079/92 - NJW 1993,\n1543). Demnach ist, unabhängig von einem Verschulden, derjenige als\nKostenverursacher anzusehen, dessen Verhalten die Störung bzw. das\nSchadensereignis unmittelbar herbeigeführt hat (vgl. Senat, Urt. v.\n07.12.1992, a.a.O.). Hiervon ausgehend ist die Klägerin kostenersatzpflichtig.\nDenn sie hat den Unfall vom 15.07.2015 unmittelbar herbeigeführt und ist in\nBezug auf die damit geschaffene (Anscheins-)Gefahr Verhaltensstörerin. \n--- \n| 50 \n--- \n| b) Die Beklagte hat jedoch ihr Ermessen fehlerhaft - auf der Grundlage von\nteils nicht einschlägigen sowie teils unwirksamen Satzungsbestimmungen und\ndamit zugleich unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) -\nausgeübt. \n--- \n| 51 \n--- \n| aa) Die Beklagte hatte über die Frage, in welcher Höhe sie die Klägerin zum\nKostenersatz heranzieht, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden,\nund war dabei grundsätzlich an ihre „Satzung über die Erhebung des\nKostenersatzes für Leistungen der Feuerwehr der Gemeinde Durmersheim“ und\nderen Kostenverzeichnis in der Fassung vom 05.12.2001 gebunden. \n--- \n| 52 \n--- \n| Nach § 34 Abs. 4 FwG a.F. soll Ersatz der Kosten nicht verlangt werden,\nsoweit dies eine unbillige Härte wäre oder im öffentlichen Interesse liegt.\nSind die Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestands - wie hier - nicht\nerfüllt, steht der Gemeinde in den Fällen des - wie hier - § 34 Abs. 1 FwG\na.F. für die Entscheidung der Frage, ob sie Kostenersatz verlangt, kein\nErmessen (Entschließungsermessen) zu (vgl. Senat, Urt. v. 13.04.2011, a.a.O.,\nzu § 34 Abs. 2 FwG n.F.; zur nach altem Recht [§ 36 FwG 1987] enthaltenen\nUnterscheidung zwischen Ist- und Kann-Tatbeständen Senat, Urt. v. 09.08.2001 -\n1 S 523/01 - m.w.N.). In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens hat die Gemeinde\nallerdings in jedem Fall zu entscheiden, von wem sie Kostenersatz fordert\n(Auswahlermessen) und in welcher Höhe ein Kostenpflichtiger zum Kostenersatz\nherangezogen wird (vgl. insoweit auch zu § 34 Abs. 2 FwG a.F. und dessen\nVorgängerbestimmungen Senat, Urt. v. 09.08.2001, a.a.O., v. 08.06.1998,\na.a.O., v. 18.11.1991 - 1 S 269/91 -, DÖV 1992, 267 und v. 07.12.1992 - 1 S\n2079/92 -, NJW 1993, 1543). \n--- \n| 53 \n--- \n| Nach dem auch im vorliegenden Fall noch einschlägigen § 34 Abs. 5 FwG a.F.,\nder zur Kostenhöhe lediglich eine Obergrenze normierte („höchstens“), konnten\ndie Kosten dabei entweder in tatsächlicher Höhe berechnet werden. Die Gemeinde\nkonnte aber auch durch eine Satzung (§ 4 i.V.m. § 10 GemO) zur Gewährleistung\ndes Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Transparenz des Verwaltungshandelns\neine bestimmte Ermessensausübung festschreiben (vgl. Senat, Urt. v.\n09.08.2001, a.a.O., und v. 08.06.1998, a.a.O.). Durch Satzung konnten\ninsbesondere Pauschalsätze für den Kostenersatz festgelegt werden (§ 34 Abs. 5\nSatz 4 FwG a.F.; zur Vorgängerregelung des § 36 Abs. 2 FwG 1987 bereits ebenso\nSenat, Urt. v. 08.06.1998, a.a.O.). Auf diese Weise konnte der dem Träger der\nFeuerwehr eingeräumte Ermessensspielraum durch für ihn dann verbindliche\nVorgaben durch Satzung konkretisiert werden (vgl. Senat, Urt. v. 30.11.2010,\na.a.O., und v. 08.06.1998, a.a.O., jeweils zu § 36 Abs. 2 FwG 1986; s. zum\nErmessen hinsichtlich der Kostenhöhe auch Senat, Urt. v. 09.08.2001 - 1 S\n523/01 - m.w.N.). Zu beachten war bei der Ermessensausübung außerdem der\nVerhältnismäßigkeitsgrundsatz, der es in Einzelfällen insbesondere gebieten\nkonnte, den Kostenersatz zu reduzieren, wenn der Feuerwehreinsatz im\nEinzelfall nicht nach der jeweils einschlägigen Ausrückeordnung durchgeführt\nwurde oder sich aus anderen Gründen als überdimensioniert erwies (vgl.\nSurwald/Ernst, a.a.O., § 34 Rn. 47, 57). \n--- \n| 54 \n--- \n| Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte bei der ihr obliegenden\nErmessenentscheidung, in welcher Höhe sie die dafür allein in Betracht\nkommende Klägerin zum Kostenersatz heranzieht, an ihre „Satzung über die\nErhebung des Kostenersatzes für Leistungen der Feuerwehr der Gemeinde\nDurmersheim“ und deren Kostenverzeichnis in der Fassung vom 05.12.2001\ngebunden. \n--- \n| 55 \n--- \n| bb) Davon ausgehend hat die Beklagte ihr Ermessen in dem angefochtenen\nBescheid rechtsfehlerhaft ausgeübt. Denn sie hat bei ihrer Entscheidung teils\nnicht einschlägige sowie teils unwirksame Satzungsbestimmungen angewandt und\nmit diesem Verstoß gegen ihre ermessenslenkende Satzung zugleich den\nallgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. Denn zwei der drei\nvon ihr abgerechneten Fahrzeuge werden in dem Kostenverzeichnis ihrer Satzung\nnicht genannt (1). Die von ihr nachgeschobenen Vorschriften über die Anwendung\ndes Kostenverzeichnisses auf „ähnliche Fahrzeuge“ sind unwirksam und wären\nunabhängig davon nicht einschlägig (2). Auch eine analoge Anwendung der\nKostenbestimmungen kommt nicht in Betracht (3). \n--- \n| 56 \n--- \n| (1) Zwei der drei von der Beklagten abgerechneten Fahrzeuge werden in dem\nKostenverzeichnis ihrer Satzung nicht genannt, weshalb die darauf aufbauende\nErmessensausübung insoweit unter Rechtsfehlern leidet. \n--- \n| 57 \n--- \n| Nach § 1 Abs. 1 FwKostS verlangt die Beklagte für Leistungen ihrer\nGemeindefeuerwehr, soweit diese nicht nach dem Feuerwehrgesetz unentgeltlich\nsind, im gesetzlichen Rahmen Ersatz der entstandenen Kosten. Nach § 2 Abs. 1\nFwKostS ergibt sich die Höhe des Kostenersatzes aus dem „Verzeichnis über\nKostenersätze“, das Bestandteil der Satzung ist. Nach Art. 1, Abschnitt\nKostentarif, Nr. 1 dieses Verzeichnisses setzen sich die Kosten zusammen aus\nden Personal-, Fahrzeug-, Geräte-, Verbrauchsmaterialien- und sonstigen\nKosten. Nach Art. 1, Abschnitt Kostenverzeichnis, betragen die „Kostenersätze“\nin der zuletzt geltenden Fassung vom 05.12.2001 für den \n--- \n--- \n| 58 \n--- \n| \n--- \n| **„II. Einsatz von Fahrzeugen** \n--- \n| \n| 1\\. Löschfahrzeug (TLF 16) \n--- \n| Euro \n--- \n| 190,00 pro Stunde \n--- \n| 2\\. Löschfahrzeug (LF 8) \n--- \n| Euro \n--- \n| 175,00 pro Stunde \n--- \n| 3\\. Drehleiter (DLK) \n--- \n| Euro \n--- \n| 125,00 pro Stunde \n--- \n| 4\\. Rüstwagen (RW 2) \n--- \n| Euro \n--- \n| 100,00 pro Stunde \n--- \n| 5\\. Löschfahrzeug (LF 16) \n--- \n| Euro \n--- \n| 100,00 pro Stunde \n--- \n| 6\\. Einsatzleitwagen (ELW 1) \n--- \n| Euro \n--- \n| 120,00 pro Stunde \n--- \n| 7\\. Mannschaftstransportwagen (MTW) \n--- \n| Euro \n--- \n| 140,00 pro Stunde“ \n--- \n--- \n| 59 \n--- \n| Auf diese von der Beklagten in dem Kostenbescheid vom 05.04.2016\nherangezogene Satzungsbestimmungen hat die Beklagten die Ermessensausübung in\ndem angefochtenen Bescheid gestützt, in dem Kosten für den Einsatz der\nFahrzeuge „Durmersheim 1/46, Löschgruppenfahrzeug“, „Durmersheim 2/20,\nStaffellöschfahrzeug“ sowie „Durmersheim 1/52, Rüstwagen“ wie folgt\nabgerechnet wurden: \n--- \n--- \n| 60 \n--- \n| \n--- \n| **Pos.** \n--- \n| **Bezeichnung** \n--- \n| **Anz.** \n--- \n| **Einh.** \n--- \n| **Einzelpreis** \n--- \n| **Gesamtpreis** \n--- \n| 1 \n--- \n| Löschfahrzeug (HLF20) \n--- \n| 0,50 \n--- \n| Std. \n--- \n| 90,00 EUR \n--- \n| 45,00 EUR \n--- \n| 2 \n--- \n| Staffellöschfahrzeug (STLF) Würmersheim \n--- \n| 0,50 \n--- \n| Std. \n--- \n| 75,00 EUR \n--- \n| 37,50 EUR \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| 4 \n--- \n| Rüstwagen (RW 2) \n--- \n| 0,50 \n--- \n| Std. \n--- \n| 100,00 EUR \n--- \n| 50,00 EUR \n--- \n| ... \n--- \n| | | | \n| 12 \n--- \n| Personalkosten \n--- \n| 19 \n--- \n| 0,50 Std \n--- \n| 15,00 EUR \n--- \n| 142,50 EUR \n--- \n| | | | | \n| | | | | **Endbetrag** : \n--- \n| 275,00 EUR \n--- \n--- \n| 61 \n--- \n| Von den im angefochtenen Kostenbescheid genannten Fahrzeugen entspricht\neines - der „Rüstwagen (RW 2)“ - den satzungsrechtlichen Bezeichnungen. Die\nzwei anderen im Bescheid genannten Fahrzeugtypen - das „Löschfahrzeug (HLF20)“\nund das „Staffellöschfahrzeug (STLF)“, bei dem es sich ausweislich des\nEinsatzberichts vom 15.07.2015 um ein „STLF 10/6“ gehandelt hatte - werden in\nder Satzung hingegen nicht ausdrücklich genannt. \n--- \n| 62 \n--- \n| Dieser Befund ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die Beklagte in der\nSatzung mit Begriffen wie „LF 8“ und „TLF 16“ - die aus der ursprünglichen und\nseither nie geänderten Fassung der Satzung vom 09.11.1994 stammen -\nersichtlich auf Bezeichnungen zurückgegriffen hat, die zur Typisierung von\nteils nach der DIN 14530 a.F. normierten Löschfahrzeugen verwendet wurden. Die\nin der Satzung genannten Bezeichnungen - insbesondere „TLF 16“ und „LF 8“ -\nsind allerdings in mehrfacher Hinsicht überholt, da sie außer Kraft gesetzte\nDIN-Bestimmungen betreffen. Sie beziehen sich zudem überwiegend auf ältere\nFahrzeuge (vgl. etwa DIN-Normenausschuss Feuerwehrwesen - FNFW -,\n„Feuerwehrfahrzeug-Typenliste der gängigsten genormten Fahrzeuge“, 22.\nüberarbeitete Fassung vom 24.04.2018, abrufbar unter\nhttps://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/fnfw; ferner\nLandesfeuerwehrschule Baden-Württemberg, „Übersicht über Daten und wesentliche\nTeile der feuerwehrtechnischen Beladung von Löschfahrzeugen“, 2012, S. 3 und\n4, jeweils Fn. 1; abrufbar unter www.lfs-bw.de). Diese veralteten\nsatzungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale erfassen die von der Beklagten am\n15.07.2015 konkret eingesetzten Fahrzeugtypen „HLF20“ und „STLF [10/6]“ nicht\nunmittelbar (vgl. bereits im Zulassungsverfahren Senat, Beschl. v. 10.10.2019,\na.a.O.). Das räumt die Beklagte auch selbst ein. Soweit sie ihre\nErmessensausübung in dem angefochtenen Bescheid dennoch auf diese\nSatzungsbestimmungen gestützt hat, war die Ermessensausübung mangels\nEinschlägigkeit der Bestimmungen rechtsfehlerhaft. \n--- \n| 63 \n--- \n| (2) Die von der Beklagten erstmals im Zulassungsverfahren nachgeschobenen\nVorschriften über die Anwendung des Kostenverzeichnisses auf „ähnliche\nFahrzeuge“ sind unwirksam und wären unabhängig davon nicht einschlägig. \n--- \n| 64 \n--- \n| Die Beklagte verweist insoweit auf Art. 1, Abschnitt Kostentarif, Nr. 4 Abs.\n2 und 3 KostVerz. Darin ist bestimmt, dass die „Kosten für den Einsatz oder\ndie Bereitstellung von Fahrzeugen (...), die im Kostenverzeichnis nicht\nenthalten sind, (...) durch Vergleich mit ähnlichen Fahrzeugen (...) ermittelt\n(werden). Kann keine Zuordnung vorgenommen werden, werden die Kosten gesondert\nermittelt und festgesetzt.“ \n--- \n| 65 \n--- \n| Dem Verweis auf diese Satzungsbestimmung steht zwar nicht schon entgegen,\ndass diese Bestimmungen in dem angefochtenen Bescheid nicht genannt werden und\ndie Beklagte erstmals im Zulassungsverfahren darauf abgestellt hat. Denn es\nhandelt sich dabei um eine verwaltungsprozessrechtlich noch zulässige\nErgänzung ihrer Ermessenserwägungen (vgl. § 114 Satz 2 VwGO). \n--- \n| 66 \n--- \n| Der nachgeschobene Verweis auf die genannten Satzungsbestimmungen führt aber\ndeshalb nicht weiter, weil diese unwirksam sind. Sie genügen den Anforderungen\ndes rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots nicht. \n--- \n| 67 \n--- \n| Das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Gebot der\nBestimmtheit von Normen verlangt, dass Rechtsvorschriften so gefasst sein\nmüssen, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so\nkonkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag (vgl.\nBVerfG, Urt. v. 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150; Beschl. v.\n12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - BVerfGE 21, 73, v. 07.07.1971 - 1 BvR 775/66 -\nBVerfGE 31, 255, v. 09.04.2003 - 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 - BVerfGE 108, 52,\nund v. 03.03.2004 - 1 BvF 3/92 - BVerfGE 110, 33, jeweils m.w.N.; Senat,\nBeschl. v. 05.06.2020 - 1 S 1623/20 und Urt. v. 16.08.2018 - 1 S 625/18 -\njuris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.11.2017 - 9 S 1145/16 - JuS 2018, 402, und\nv. 22.02.2017 - 5 S 1044/15 - juris). Dieses Gebot zwingt den Normgeber zwar\nnicht, jeden Tatbestand mit genau erfassbaren Maßstäben bis ins Einzelne zu\numschreiben. Generalklauseln und unbestimmte, der Ausfüllung bedürftige\nBegriffe sind schon deshalb grundsätzlich zulässig, weil sich die Vielfalt der\nVerwaltungsaufgaben nicht immer in klar umrissene Begriffe einfangen lässt.\nDer Normgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie\ndies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht\nauf den Normzweck möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer\nVorschrift dabei noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit; es kann\nnicht erwartet werden, dass jeder Zweifel ausgeschlossen wird. Es ist Aufgabe\nder Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären und die Entscheidung des\nNormgebers - gegebenenfalls mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden - zu\nkonkretisieren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.06.1977 - 2 BvR 308/77 - BVerf-GE\n45, 363, v. 03.06.1992 - 2 BvR 1041/88, 78/89 -, BVerfGE 86, 288, und v.\n11.07.2013 - 2 BvR 2302/11 - BVerfGE 134, 33; BayVerfGH, Entscheidung v.\n22.06.2010 - Vf. 15-VII-09 juris; Senat, Senat, Urt. v. 16.08.2018, a.a.O.,\nund v. 22.04.2002 - 1 S 1667/00 - VBlBW 2002, 423). Verfahren und gerichtliche\nKontrolle sind geeignet, mögliche Nachteile der Unbestimmtheit der\nRechtsvorschrift bis zu einem gewissen Grade auszugleichen (vgl. BVerfG,\nBeschl. v. 12.01.1967 und v. 07.07.1971, jeweils a.a.O., sowie Urt. v.\n18.07.1972 - 1 BvL 32/70, 25/71 - BVerfGE 33, 303; Senat, Urt. v. 16.08.2018,\na.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.11.2017, a.a.O.). In jedem Fall müssen\nsich aber aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung objektive\nKriterien gewinnen lassen, die eine willkürliche Handhabung der Norm durch die\nfür die Vollziehung zuständigen Behörden ausschließen (vgl. BVerwG, Urt. v.\n12.07.2006 - 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222; Beschl. v. 10.04.2000 - 11 B 61.99\n- juris; Senat, Beschl. v. 05.06.2020, a.a.O., und Urt. v. 22.04.2002, a.a.O.,\nv. 16.10.2001 - 1 S 2346/00 - VBlBW 2002, 292, sowie v. 18.08.1992 - 1 S\n2550/91 - VBlBW 1993, 99). \n--- \n| 68 \n--- \n| Der Grad der von Verfassungs wegen geforderten Bestimmtheit einer Norm hängt\ndabei sowohl von der Eigenart des geregelten Sachverhalts und den jeweiligen\n(Grundrechts-)Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen als auch von der\nArt und Intensität des zugelassenen behördlichen Eingriffs ab (BVerwG, Urt. v.\n27.06.2013 - 3 C 7.12 - NdsVBl 2014, 44). Je schwerwiegender die Auswirkungen\neiner Regelung sind und je intensiver der Grundrechtseingriff ist, desto\ngenauer müssen die Vorgaben des Normgebers sein (BVerfG, Beschl. v.\n03.06.1992, a.a.O., v. 09.08.1995 - 1 BvR 2263/94 u.a. - BVerfGE 93, 213, v.\n22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - BVerfGE 102, 254, v. 05.02.2004 - 2 BvR\n2029/01 - BVerfGE 109, 133, und v 03.03.2004, a. a. O.; VGH Bad.-Württ., Urt.\nv. 22.11.2017, a.a.O.). Handelt es sich beispielsweise um eine Rechtsgrundlage\nfür eine Gebührenerhebung, muss diese so gefasst sein, dass der (künftige)\nGebührenschuldner erkennen kann, für welche öffentliche Leistung die Gebühr\nerhoben wird und welchen Zweck der Normgeber mit der Gebührenerhebung verfolgt\n(vgl. BVerfG, Urt. v. 19.03.2003 - 2 BvL 9 bis 12/98 - BVerfGE 108, 1; BVerwG,\nUrt. v. 01.09.2009 - 6 C 30.08 - NVwZ-RR 2010, 146; Senat, Urt. v. 16.08.2018,\na.a.O.). Auch im Bereich des Abgabenrechts nimmt die Auslegungsbedürftigkeit\neiner Regelung derselben zwar noch nicht die verfassungsrechtlich gebotene\nBestimmtheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.03.1967 - 1 BvR 334/61 - BVerfGE 21,\n209, v. 18.05.1988 - 2 BvR 579/84 - BVerfGE 78, 205 und v. 09.11.1988 - 1 BvR\n243/86 - BVerfGE 79, 106). In jedem Fall muss der Gebührenpflichtige aber den\nGegenstand und den Zweck der Gebührenerhebung erkennen können. Die\nwillkürfreie Handhabung eines Gebührentatbestandes ist durch nachträgliche\nAuslegung nur dann gewährleistet, wenn ein Gebührenschuldner mit seiner\nHeranziehung rechnen musste, weil dies in Anwendung juristischer Methoden ein\nvertretbares Auslegungsergebnis darstellt (BVerwG, Urt. v. 01.09.2009, a.a.O.,\nund v. 12.07.2006 - 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222; OVG Bremen, Urt. v.\n05.02.2018 - 2 LC 139/17 - NordÖR 2018, 157; Senat, Urt. v. 16.08.2018,\na.a.O.). \n--- \n| 69 \n--- \n| An diesen Maßstäben gemessen genügen die zitierten Bestimmungen in Art. 1,\nAbschnitt Kostentarif, Nr. 4 Abs. 2 KostVerz dem rechtsstaatlichen\nBestimmtheitsgebot nicht. Denn die Bestimmung, dass die „Kosten für den\nEinsatz oder die Bereitstellung von Fahrzeugen (...), die im Kostenverzeichnis\nnicht enthalten sind, (...) durch Vergleich mit ähnlichen Fahrzeugen (...)\nermittelt (werden)“, versetzt die Normadressaten nicht in die Lage zu\nerkennen, für welchen konkreten Leistungsgegenstand - also für welches\nFahrzeug - sie zu Kosten herangezogen werden können. Die Satzungsbestimmung\nist daher auch nicht dazu geeignet, eine willkürliche Handhabung der Norm\ndurch die für die Vollziehung zuständigen Behörden auszuschließen. \n--- \n| 70 \n--- \n| Im Wege der Auslegung ist insbesondere nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit\nzu ermitteln, unter welchen Voraussetzungen der Satzungsgeber zwei Fahrzeuge\nals „ähnlich“ ansieht und nach welchen Maßstäben die „Ähnlichkeit“ ein solches\nAusmaß annimmt, dass und nach welchen Kostentatbeständen aus dem\nGebührenverzeichnis eine Heranziehung zu welcher Kostenhöhe gerechtfertigt\nsein soll. Der Wortlaut des Art. 1, Abschnitt Kostentarif, Nr. 4 Abs. 2\nKostVerz selbst bietet dafür keine Maßstäbe. Auch die systematische Auslegung\nder Vorschrift führt nicht weiter. In dem Kostenverzeichnis sind zwar\nFahrzeuggattungen bezeichnet („Löschfahrzeug“ usw.). Diese Bezeichnungen\nwerden aber um konkrete Typenbezeichnungen („LF 8“, „TLF 16“ usw.) ergänzt,\ndie den 1994 noch geltenden, später aber außer Kraft getretenen DIN-\nBestimmungen (DIN 14530 a.F.) für ältere Fahrzeuge entnommen wurden und daher\ngerade keinen Aufschluss darüber geben, welche neuen Fahrzeuge eine\nausreichende „Ähnlichkeit“ damit aufweisen sollen. Für einen Normadressaten\nwäre ein auf DIN-Vorschriften basierender „Ähnlichkeitsvergleich“ unabhängig\ndavon auch deshalb zu unbestimmt, weil die DIN-Bestimmungen grundsätzlich -\nwie auch hier - nicht veröffentlicht und nur kostenpflichtig zu erwerben sind\n(auch das Innenministerium als Verordnungsgeber der heute maßgeblichen\n„Verordnung Kostenersatz Feuerwehr“ vom 18.03.2016 ist ersichtlich davon\nausgegangen, dass es für einen „Ähnlichkeitsvergleich“ einer Benennung von\nkonkreten Maßstäben in der diesen Vergleich anordnenden Rechtsvorschrift\nselbst bedarf. Denn § 1 Abs. 2 VOKwFw lautet: „Die [Stundensätze für\nFahrzeuge] nach Absatz 1 gelten auch für Feuerwehrfahrzeuge, die mit den dort\nGenannten in ihrem taktischen Einsatzwert, ihrer zulässigen Gesamtmasse und\nihrer technischen Beladung vergleichbar sind.“ Im Maßstab wohl ähnlich\nHessVGH, Beschl. v. 18.07.2017 - 5 A 2811/16-Z - HGZ 2018, 226: Dass in der\nFeuerwehrgebührenordnung eine veraltete Fahrzeugbezeichnung verwendet werde,\nführe dann nicht zu einer Unwirksamkeit dieser Satzung, wenn „eindeutig ist“,\nwelcher Einsatzfahrzeugtyp nunmehr gemeint sei.). \n--- \n| 71 \n--- \n| Der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren bestätigt zusätzlich, dass\ndie genannten Satzungsbestimmungen in Art. 1, Abschnitt Kostentarif, Nr. 4\nAbs. 2 KostVerz zu unbestimmt sind und keine Gewähr dafür bieten, dass sie\nwillkürfrei angewandt werden. Die Beklagte hat auch auf den dahingehenden\nEinwand des Klägervertreters im Zulassungs- und im schriftlichen\nvorbereitenden Verfahren hin nicht präzise erläutert, nach welchen Maßstäben\nsie eine „Ähnlichkeit“ feststellt. Sie hat sich stattdessen im vorbereitenden\nVerfahren auf den vagen Vortrag beschränkt, die von ihr gegenübergestellten\nFahrzeuge aus dem angefochtenen Bescheid einerseits und der Satzung\nandererseits seien „technisch und kostenmäßig vergleichbar“ (Schriftsatz vom\n21.11.2019, S. 4 = Bl. 113 der Senatsakte), ohne substantiiert darzulegen,\nweshalb dies konkret der Fall sein soll. \n--- \n| 72 \n--- \n| Unabhängig davon ist der Regelungsgehalt der Satzungsbestimmung in Art. 1,\nAbschnitt Kostentarif, Nr. 4 Abs. 2 KostVerz mit dem von der Beklagten in der\nmündlichen Verhandlung hervorgehobenen Verweis auf einen „kostenmäßigen\nVergleich“ auch inhaltlich nicht hinreichend klar zu bestimmen. Aus dem\ngesetzlichen Normzusammenhang der Satzung mit den Grundvorschriften zur\nKostenbemessung in § 34 Abs. 5 FwG a.F. - welche die Obergrenze der\nberücksichtigungsfähigen Kosten definieren und unter anderem auf die „nach\nbetriebswirtschaftlichen Grundsätzen insgesamt ansatzfähigen Kosten“ abstellen\n- lässt sich zwar im Wege der gesetzessystematischen Auslegung entnehmen, dass\nes grundsätzlich vertretbar wäre, in einer Satzung für die Beantwortung der\nFrage, ob zwei Fahrzeuge im Sinne der Satzung „ähnlich“ sind, auch\nKostengesichtspunkte zu berücksichtigen. Die Satzung der Beklagten lässt aber\nbereits nicht erkennen, ob der Satzungsgeber im vorliegenden Einzelfall\nüberhaupt auf dieses Kriterium abstellen wollte. Ebenso unklar bleibt, ob\ndieses Kriterium allein oder nur zusammen mit anderen Kriterien - wie etwa dem\nEinsatzzweck oder der Fahrzeugausstattung (vgl. dementsprechend heute § 1 Abs.\n2 VOKwFw: Vergleich nach dem „taktischen Einsatzwert, ihrer zulässigen\nGesamtmasse und ihrer technischen Beladung“) - und gegebenenfalls mit welcher\nGewichtung für den „Ähnlichkeitsvergleich“ ausschlaggebend sein soll. \n--- \n| 73 \n--- \n| Unabhängig davon wären die Satzungsbestimmungen in Art. 1, Abschnitt\nKostentarif, Nr. 4 Abs. 2 KostVerz selbst dann zu unbestimmt, wenn - wie die\nBeklagte zuletzt vorgetragen hat - angenommen würde, dass die dortigen\nVorschriften auf einen Vergleich (allein) der Anschaffungskosten zielen. Denn\ndie Satzung richtet sich nicht etwa allein an im Bereich des Feuerwehrwesens\ntätige und hierauf spezialisierte Normadressaten, sondern potenziell an\njedermann. Ein nicht in diesem Sinne spezialisierter Normadressat könnte aber\nnicht mit zumutbarem Zeit- und Kostenaufwand ermitteln, welche\nAnschaffungskosten für - teils sehr, hier bis zu 20 Jahre (1994/2015) - alte\nFahrzeuge einerseits und neue Fahrzeuge andererseits anfallen. Er könnte der\nSatzung zudem nicht entnehmen, welcher Zeitwert gegebenenfalls in Ansatz zu\nbringen sein soll. Unabhängig davon bliebe weiter unklar, bis zu welchen\n„Preis-“ oder sonstigen Kostenunterschieden der Satzungsgeber Fahrzeuge mit\nunterschiedlichen Anschaffungskosten und Zeitwerten noch als hinreichend\n„ähnlich“ ansehen würde. \n--- \n| 74 \n--- \n| Selbst wenn man dem nicht folgen und die zitierten Satzungsbestimmungen für\ngrundsätzlich anwendbar halten und mit dem Vortrag der Beklagten dahin\nauslegen würde, dass Fahrzeuge dann im Sinne von Art. 1, Abschnitt\nKostentarif, Nr. 4 Abs. 2 KostVerz ähnlich sind, wenn sie „technisch und\nkostenmäßig vergleichbar“ sind, würde der Verweis darauf im vorliegenden\nVerfahren nicht weiterführen. Denn aus der von der Beklagten vorgelegten, im\nTatbestand wiedergegebenen Gegenüberstellung ergibt sich, dass die Fahrzeuge,\ndie sie als „ähnlich“ ansieht, tatsächlich jedenfalls erhebliche technische\nUnterschiede aufweisen. So ist das „LF8“ auf 9 Mann Besatzung ausgelegt, das\nvon ihr als „ähnlich“ gegenübergestellte „STLF 10/6“ hingegen auf 6 Mann.\nDenselben Unterschied weisen die von ihr verglichenen Fahrzeuge „TLF 16/25“\nund „HLF20“ auf, bei denen hinzukommt, dass diese mit einer unterschiedlichen\nBeladung für die technische Hilfe ausgerüstet sind. \n--- \n| 75 \n--- \n| (3) Eine analoge Anwendung der Kostentatbestände aus dem Kostenverzeichnis\nauf die dort nicht aufgeführten, aber tatsächlich eingesetzten Fahrzeuge kommt\nebenfalls nicht in Betracht. Es fehlt bereits an der für eine Analogie\nerforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Denn der Satzungsgeber hat sich\nausweislich der detaillierten Fahrzeug- und Typenbezeichnung in der Satzung\neingehend mit der Frage befasst, welche Fahrzeuge er für die Festsetzung der\nKostenhöhe berücksichtigen will, und zudem eine eigene Regelung für nicht\nausdrücklich aufgeführte Fahrzeuge geschaffen. \n--- \n| 76 \n--- \n| cc) Nach dem zuvor Gesagten hat die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft, weil\nunter Heranziehung von teils nicht einschlägigen und teils unwirksamen\nermessenslenkenden Satzungsbestimmungen und damit zugleich unter Verstoß gegen\nden Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ausgeübt. \n--- \n| 77 \n--- \n| Das hat zur Folge, dass der angefochtene Bescheid materiell rechtswidrig\nist, soweit die Beklagte die Klägerin darin zur Heranziehung von Kosten für\ndie Fahrzeuge „Löschfahrzeug (HLF20)“ (45,-- EUR) und das\n„Staffellöschfahrzeug (STLF)“ (37,50 EUR) herangezogen hat. \n--- \n| 78 \n--- \n| Der genannte Fehler führt allerdings nicht dazu, dass die angefochtenen\nBescheide deshalb in vollem Umfang aufzuheben sind. \n--- \n| 79 \n--- \n| Grundsätzlich führt ein rechtlich erheblicher Ermessensfehler im Sinne von §\n114 Satz 1 VwGO, § 40 LVwVfG zwar zur Aufhebung des betroffenen\nVerwaltungsakts (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 114 Rn. 196;\nRiese, in: Schoch u.a., VwGO, 37. Erg.-Lfg., § 114 Rn. 72). Das gilt\nallerdings ausnahmsweise dann nicht, wenn ausgeschlossen werden kann, dass\nsich die als rechtsfehlerhaft herausgestellten Erwägungen im konkreten\nEinzelfall auf die Entscheidung ausgewirkt haben können, wenn mit anderem\nWorten der Ermessensfehler nicht kausal für die Entscheidung war (vgl. Wolff,\na.a.O., Rn. 198; W.-R. Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., §\n114 Rn. 6a; jeweils m.w.N.). Im vorliegenden Fall kann ausgeschlossen werden,\ndass sich der Ermessensfehler auf die Entscheidung der Beklagten ausgewirkt\nhat, die Klägerin zu den Kosten für den „Rüstwagen (RW 2)“ (50,-- EUR)\nheranzuziehen. Denn dieses Fahrzeug ist in ihrer Satzung genannt und es ist\ndavon auszugehen, dass die nach ihrem Satzungsrecht grundsätzlich zur\nKosterhebung (vgl. § 1 Abs. 1 FwKostS) und nach dem Gesetzesrecht zu einer\nsparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung (vgl. § 77 Abs. 2 GemO) sowie\nzu einer gleichheitskonformen Verwaltungspraxis (Art. 3 Abs. 1 GG)\nverpflichtete Beklagte das nach ihrem Satzungsrecht rechtmäßig abrechenbare\nFahrzeug auch dann abgerechnet hätte, wenn sie erkannt hätte, dass andere\nFahrzeuge nicht abrechnungsfähig waren. Ebenfalls ausgeschlossen werden kann\naus denselben Gründen, dass der Fehler für die Entscheidung der Beklagten\nkausal war, die Klägerin zu den Kosten für das Personal heranzuziehen, das auf\ndiesem Rüstwagen (3 Mann) sowie in der Feuerwehreinsatzzentrale (2 Mann) tätig\nwar. Dies zugrunde gelegt, sind die angefochtenen Bescheide nicht aufzuheben,\nsoweit sie sich noch auf die Kosten für den Einsatz des Rüstwagens in Höhe von\n50,-- EUR („RW 2“ für 0,5 Std. bei einem Stundenpreis von 100,-- EUR) sowie\nauf die Kosten für den Einsatz von 5 Mann in Höhe von 37,50 EUR (5 x 0,5\nStunden bei einem Stundenpreis von 15,-- EUR = 37,50 EUR), insgesamt mithin\nauf eine Kostenforderung in Höhe von 87,50 EUR (50,-- EUR zzgl. 37,50 EUR)\nbeziehen. \n--- \n| 80 \n--- \n| Nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann allerdings, dass sich\nder Ermessensfehler der Beklagten auch auf die Abrechnung des Personals der\nnicht anrechnungsfähigen Fahrzeuge (14 Mann auf den Fahrzeugen „HLF 20“ und\n„STLF“) ausgewirkt hat. Die Beklagte kann dem nicht mit Erfolg entgegenhalten,\nanders als der zum Einsatz gekommene Mannschaftstransportwagen seien die\nFahrzeuge „HLF 20“ und „STLF“ in ihrer Alarm- und Ausrückeordnung bei dem hier\nin Rede stehenden Einsatzstichwort („Technische Rettung 2 - VU mit PKW -\nPerson eingeklemmt“) genannt, weshalb sie deren Personal mit Sicherheit auch\ndann abgerechnet hätte, wenn sie erkannt hätten, dass die Fahrzeuge nicht\nabrechnungsfähig sind. Einem solchen Schluss steht bereits entgegen, dass die\nFahrzeuge selbst in ihrer Satzung nicht erwähnt sind. Hinzu kommt, dass weder\nin der Satzung noch in der Alarm- und Ausrückeordnung unter dem genannten\nEinsatzstichwort hinreichend deutlich angegeben ist, mit welchem Personal die\nFahrzeuge ausrücken. Bei diesem Sachstand würde der Senat die Grenzen einer\nErmessenskontrolle (§ 114 Satz 1 VwGO) überschreiten und unzulässigerweise\nsein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Beklagten setzen, wenn\ner unterstellen würde, dass und in welchem Umfang sie das Personal der\nFahrzeuge auch ohne diese selbst sicher abgerechnet hätte. \n--- \n| 81 \n--- \n| Nach alledem ergibt sich, dass die angefochtenen Bescheide aufzuheben sind,\nsoweit die Klägerin zum Ersatz von mehr als 87,50 EUR herangezogen wird. \n--- \nII. \n--- \n| 82 \n--- \n| Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. \n--- \nIII. \n--- \n| 83 \n--- \n| Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2\nVwGO gegeben ist. \n--- \n| 84 \n--- \n| **Beschluss vom 30. Juni 2020** \n--- \n| 85 \n--- \n| Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47\nAbs. 1, § 52 Abs. 3 GKG auf 275,-- EUR festgesetzt. \n--- \n| 86 \n--- \n| Dieser Beschluss ist unanfechtbar. \n--- \n \n## Gründe\n\n| | \n--- \n| 28 \n--- \n| Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige\nBerufung ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu\nUnrecht in vollem Umfang abgewiesen. \n--- \nI. \n--- \n| 29 \n--- \n| Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten\nvom 05.04.2016 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Rastatt vom\n28.09.2016 sind rechtswidrig, soweit die Klägerin darin zum Ersatz von mehr\nals 87,50 EUR Feuerwehrkosten herangezogen wird, und verletzen sie insoweit in\nihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). \n--- \n| 30 \n--- \n| 1\\. Maßgeblich für den Erfolg einer Anfechtungsklage gegen einen Bescheid\nüber die Erhebung von Feuerwehrkosten ist grundsätzlich die Sach- und\nRechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, d.h. in der Regel\ndes Widerspruchsbescheids (vgl. Senat, Urt. v. 16.11.2017 - 1 S 2136/17 -\nVBlBW 2018, 287; Beschl. v. 16.11.2010 - 1 S 2402/09 - BWGZ 2010; allg. dazu\nBVerwG, Urt. v. 11.07.2011 - 8 C 12.10 - juris). Im danach hier maßgeblichen\nZeitpunkt am 29.09.2016 war zwar bereits das Gesetz zur Änderung des\nFeuerwehrgesetzes, des Gesetzes über die Ladenöffnungszeiten in Baden-\nWürttemberg und des Landeskatastrophenschutzgesetzes vom 17.12.2015 (GBl. S.\n1184) in Kraft getreten. Da sich dieses allerdings keine Rückwirkung beimaß,\nwar für die Frage, ob die Klägerin für den Vorfall vom 15.07.2015 zum\nFeuerwehrkostenersatz herangezogen werden konnte, das Feuerwehrgesetz in der\nbis dahin geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Feuerwehrgesetzes\nvom 10.11.2009 (GBl. S. 633), unter dem 02.03.2010 neu bekannt gemacht am\n09.04.2010 (GBl. S. 333), maßgeblich (FwG a.F.). Hiervon sind bereits das\nLandratsamt in seinem Widerspruchsbescheid und das Verwaltungsgericht in dem\nangefochtenen Urteil zutreffend ausgegangen. \n--- \n| 31 \n--- \n| 2\\. Als Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zum Kostenersatz\nkommt demnach § 34 FwG a.F. in Betracht. Die sich aus dieser Vorschrift\nergebenden Tatbestandsvoraussetzungen für eine Heranziehung der Klägerin zu\nden Kosten für den Feuerwehreinsatz vom 15.07.2015 sind erfüllt (a). Die\nBeklagte hat aber das ihr hinsichtlich der Kostenhöhe zustehende Ermessen\nfehlerhaft - auf der Grundlage von teils nicht einschlägigen und teils\nunwirksamen Satzungsbestimmungen - ausgeübt (b). \n--- \n| 32 \n--- \n| a) Die Voraussetzungen für eine Heranziehung der Klägerin zu den\nFeuerwehreinsatzkosten liegen - was zwischen den Beteiligten im\nBerufungsverfahren zuletzt auch nicht mehr im Streit stand - vor. Der Einsatz\nvom 15.07.2015 war gemäß § 34 Abs. 1 FwG a.F. kostenersatzfähig (aa) und die\nKlägerin ist dem Grunde nach gemäß § 34 Abs. 3 FwG a.F. kostenersatzpflichtig\n(bb). \n--- \n| 33 \n--- \n| aa) Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 FwG a.F. sind Einsätze der Gemeindefeuerwehr\nnach § 2 Abs. 1 FwG a.F. unentgeltlich, soweit nicht in Satz 2 etwas anderes\nbestimmt ist. Gemäß Satz 2 verlangen die Träger der Gemeindefeuerwehr\nKostenersatz (u.a.), wenn die Gefahr oder der Schaden vorsätzlich oder grob\nfahrlässig verursacht wurde (Nr. 1) oder wenn der Einsatz durch den Betrieb\nvon Kraftfahrzeugen, Anhängerfahrzeugen, Schienen-, Luft- oder\nWasserfahrzeugen verursacht wurde (Nr. 2). Die sich hieraus ergebenden\nVoraussetzungen sind im Ergebnis erfüllt. Die Feuerwehr der Beklagten war am\n15.07.2015 „nach § 2 Abs. 1 (FwG a.F.)“ tätig (1). Der Einsatz fiel zwar -\nentgegen der Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts - nicht\nunter den Kostentatbestand aus Nr. 2 des § 34 Abs. 1 Satz 2 FwG a.F. (2), aber\nunter denjenigen aus Nr. 1 dieser Vorschrift (3). \n--- \n| 34 \n--- \n| (1) Die Feuerwehr der Beklagten war am 15.07.2015 zur Erfüllung einer sog.\nPflichtaufgabe nach § 2 Abs. 1 FwG a.F. - und nicht etwa zur Erfüllung einer\nsog. Kann-Aufgaben im Sinne von § 2 Abs. 2 FwG a.F. - tätig (s. näher zu\ndieser Unterscheidung Senat, Urt. v. 16.11.2017, a.a.O.). \n--- \n| 35 \n--- \n| Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 FwG a.F. hat die Feuerwehr zur Rettung von Menschen\nund Tieren aus lebensbedrohlichen Lagen technische Hilfe zu leisten. Im\nvorliegenden Fall lag zwar am 15.07.2015 im Zeitpunkt der Alarmierung der\nFeuerwehr und bei deren Einsatz objektiv betrachtet keine lebensbedrohliche\nLage - insbesondere nicht für die Klägerin - vor. Maßgeblich ist aber insoweit\ndie im Gefahrenabwehrrecht auf der sog. Primärebene allgemein gebotene ex\nante-Sicht (vgl. Senat, Urt. v. 16.11.2017, a.a.O., v. 13.04.2011 - 1 S\n2535/10 - VBlBW 2011, 391, und v. 20.03.2003 - 1 S 397/01 - juris, und v.\n08.06.1998 - 1 S 1390/97 - VBlBW 1998, 431; allg. zum Polizeirecht Senat, Urt.\nv. 30.11.2010 - 1 S 1120/10 - VBlBW 2011, 153). Für die Prüfung, zu welchem\nZweck eine Feuerwehr tätig wurde und ob ihr Vorgehen rechtmäßig war, ist\ndanach auf den Sach- und Kenntnisstand im Zeitpunkt des behördlichen Handelns,\nd.h. bei Feuerwehreinsätzen auf den Zeitpunkt der Alarmierung der Feuerwehr,\nabzustellen (vgl. Senat, Urt. v. 16.11.2017, a.a.O., und v. 13.04.2011,\na.a.O., v. 21.11.2008, a.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.; ebenso zu § 2 Abs. 2\nFwG 2009 Senat, Urt. v. 20.03.2013 - 1 S 397/01 - juris; Hildinger/Rosenauer,\nFeuerwehrgesetz Bad.-Württ., 4. Aufl., § 34 Rn. 4). \n--- \n| 36 \n--- \n| Diese Alarmierung erfolgte im vorliegenden Fall am 15.07.2015 um 22:07 Uhr.\nZu diesem Zeitpunkt, war, was ausreicht (vgl. Senat, Urt. v. Urt. v.\n16.11.2017, a.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.), der begründete Verdacht einer\nlebensbedrohlichen Lage gegeben. Denn die Feuerwehr der Beklagten wurde von\nder zuständigen Rettungsleitstelle ILS Mittelbaden unter dem Stichwort\n„technische Rettung, Verkehrsunfall mit PKW(,) Person eingeklemmt“ alarmiert.\nNichts anderes ergibt sich, wenn neben dem Kenntnisstand der alarmierten\nFeuerwehr derjenige der Leitstelle berücksichtigt wird (vgl. Senat, Urt. v.\n21.11.2008, a.a.O., und Urt. v. 22.01.2004, a.a.O.). Denn auch die ILS\nMittelbaden konnte aufgrund der Mitteilung des FLZ des Polizeipräsidiums\nOffenburg um 22:07 Uhr annehmen, dass eine lebensbedrohliche Lage für einen\nnach der Mitteilung eingeklemmten Fahrzeuginsassen bestand. Dies gilt umso\nmehr, als den Leitstellen regelmäßig - und so auch hier - keine weiteren\nErmittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und die Anforderungen an die\nprognostische Beurteilung, ob eine lebensbedrohliche Lage vorliegt, auf der\nPrimärebene angesichts des Zwecks des § 2 Abs. 1 FwG, eine effektive\nGefahrenabwehr zu gewährleisten, nicht überspannt werden dürfen (vgl. Senat,\nUrt. v. 16.11.2017, a.a.O., und v. 20.03.2002, a.a.O.). \n--- \n| 37 \n--- \n| Die von der Klägerin dagegen erstinstanzlich erhobenen - im\nBerufungsverfahren ohnehin nicht mehr aufgegriffenen - Einwände sind\nunbegründet. Soweit sie sinngemäß geltend gemacht hat, die ILS habe sich wie\neine „Terrororganisation“ verhalten, weil ein „durchgeknallter“ Mitarbeiter\nder ILS der Beklagten eine Meldung über eine eingeklemmte Person gemacht habe,\ndie nicht der Sachverhaltsdarstellung entsprochen habe, die zuvor das FLZ der\nILS gegenüber mitgeteilt habe, besteht für diese ins Blaue hinein aufgestellte\nBehauptung kein Anhaltspunkt. Der am 15.07.2017 im FLZ tätig gewesene\nPolizeivollzugsbeamte, Polizeikommissar ..., der die Meldung an die ILS\nweitergeleitet hatte, hat im Gegenteil auf Nachfrage bestätigt, dass er der\nILS als Einsatzgrund „Verkehrsunfall, Person eingeklemmt“ genannt habe (vgl.\nGesprächsnotiz vom 09.02.2016, Bl. 27 d. Verw.-Akte). Ebenfalls haltlos ist\ndie Andeutung der Klägerin, das FLZ habe möglicherweise seinerseits eine\nMeldung an die ILZ weitergegeben, die nicht dem über die Nummer 110 bei dem\nFLZ eingehenden Notruf entsprochen haben könnte. Es besteht kein Anhaltspunkt\nfür die Annahme, dass das FLZ den Inhalt des bei ihm über die Nummer 110\neingehenden Notrufs verfälschend weitergegeben und von einer eingeklemmten\nPerson gesprochen haben könnte, obwohl der Notanrufer dies nicht selbst\nerwähnt hat. Der genannte Polizeibeamte hat im Gegenteil ausdrücklich erklärt,\ndass erst zu einem späteren Zeitpunkt ein Anrufer von der „...“ (d.h. von dem\nmit dem Rettungsdienst beauftragten Unternehmen, vgl. www....-...) von vor Ort\nmitgeteilt habe, dass (doch) keine Person eingeklemmt sei (vgl. Gesprächsnotiz\nvom 09.02.2016, a.a.O.). Aus demselben Grund ist der Einwand der Klägerin\nnicht glaubhaft, der Polizei sei „in der ersten Minute“ von einem der Zeugen\nmitgeteilt worden, dass keine Gefahr bestehe. Gegen die Richtigkeit dieser\nersichtlich ebenfalls ins Blaue hinein aufgestellten Behauptung der Klägerin\nspricht zusätzlich der detaillierte Alarmbericht der ILS vom 15.07.2020. Darin\nsind alle im Zusammenhang mit der Alarmierung getätigten Anrufe sekundengenau\nerfasst und wurde vermerkt, dass der Einsatz mit der Übergabe des Pkw an die\nPolizei um 22:42 beendet worden sei. Der Bericht bietet keinen Hinweis darauf,\ndass in der Zeit der Alarmierung der Feuerwehr um 22:07 Uhr bis zum Abschluss\nder von ihr vorgenommenen Lageerkundung um 22:18 Uhr bei dem FLZ oder der ILS\nein Anruf eingegangen sein könnte, in dem das Vorliegen einer Gefahr in Abrede\ngestellt worden wäre (vgl. Alarmbericht vom 15.07.2015, Bl. 41 ff. d.\nVerw.-Akte). \n--- \n| 38 \n--- \n| (2) Der damit vorliegende Einsatz der Feuerwehr nach § 2 Abs. 1 FwG a.F. ist\nallerdings nicht - wie die Beklagte und das Verwaltungsgericht (jeweils ohne\nnähere Prüfung) meinen - gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 FwG a.F. kostenersatzfähig. \n--- \n| 39 \n--- \n| Nach dieser Vorschrift verlangen die Träger der Gemeindefeuerwehr\nKostenersatz, wenn der Einsatz „durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen“\nverursacht wurde. Eine solche Verursachung liegt nur vor, wenn durch den\nBetrieb eines Kraftfahrzeugs im ersten Glied der Kausalkette objektiv eine\nGefahr bzw. Störung im Sinne des § 2 Abs. 1 FwG a.F. und deshalb im zweiten\nSchritt ein objektiv erforderlicher Feuerwehreinsatz verursacht wurde. Bei\nobjektiv nicht erforderlichen Feuerwehreinsätzen - insbesondere zur Bekämpfung\nvon Anscheinsgefahren - ist dieser verschuldensunabhängige\nGefährdungshaftungstatbestand hingegen nicht erfüllt (vgl. ausf. dazu Senat,\nUrt. v. 16.11.2017, a.a.O.). So liegt der Fall hier. Denn objektiv betrachtet\nlag am 15.07.2015 im Zeitpunkt der Alarmierung der Feuerwehr und bei deren\nEinsatz keine lebensbedrohliche Lage - insbesondere nicht für die Klägerin -\nvor (vgl. oben (1)). \n--- \n| 40 \n--- \n| (3) Der Einsatz der Feuerwehr der Beklagten ist aber gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1\nFwG a.F. kostenersatzfähig. Nach dieser Vorschrift verlangen die Träger der\nGemeindefeuerwehr Kostenersatz, wenn die Gefahr oder der Schaden (a)\nvorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde (b). Diese Voraussetzungen\nsind hier erfüllt. \n--- \n| 41 \n--- \n| (a) Eine „Gefahr“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FwG a.F. lag bei dem\nEinsatz vor. Dass sich die ex ante gerechtfertigte Annahme einer\nlebensbedrohlichen Lage ex post betrachtet als objektiv unzutreffend erwiesen\nhat, steht der Annahme einer „Gefahr“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1\nFwG a.F. nicht entgegen. Denn ein Kostenersatzanspruch nach dieser Vorschrift\nkommt - anders als ein solcher nach § 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FwG a.F. (s. oben\n(2)) - auch in Fällen in Betracht, in denen der Kostenverursacher lediglich\nden Anschein eines Schadenfeuers hervorruft (Senat, Urt. v. 16.11.2017,\na.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.). Das folgt bereits aus dem Wortlaut der\nNorm, der mit den Tatbestandsmerkmalen „Verursacher“, „Gefahr“ und „Schaden“\nersichtlich an die Begrifflichkeiten des allgemeinen Polizeirechts anknüpft,\ndas die Verantwortlichkeit des Anscheinsstörers kennt (Senat, Urt. v.\n16.11.2017, a.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.). Eine solche Anscheinsgefahr -\nund nicht lediglich eine Scheingefahr (Putativgefahr) - war hier gegeben. Denn\ndie Feuerwehr der Beklagten hat nach dem oben (unter (1)) Gesagten im\nZeitpunkt ihres Tätigwerdens aufgrund hinreichender tatsächlicher\nAnhaltspunkte und vom Standpunkt eines fähigen, besonnenen und sachkundigen\nAmtswalters aus betrachtet das Vorliegen einer Gefahr in der Gestalt einer\nlebensbedrohlichen Lage für Fahrzeuginsassen zu Recht bejaht (vgl. zur\nAbgrenzung von Anscheins- und Putativgefahr auch VGH Bad.-Württ., Urt. v.\n10.05.1990 - 5 S 1842/89 - NVwZ-RR 1991, 24). \n--- \n| 42 \n--- \n| (b) Die Klägerin hat diese Anscheinsgefahr auch grob fahrlässig verursacht. \n--- \n| 43 \n--- \n| Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch\nsubjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche\nMaß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Grob fahrlässig handelt demnach,\nwer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt\nund dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz\nnahe liegen und im gegebenen Fall jedem hätten einleuchten müssen (vgl. Senat,\nUrt. v. 16.11.2017, a.a.O., und v. 22.01.2004, a.a.O.: „Vorwurf besonders\nschwerer Pflichtverletzung“). Ob Fahrlässigkeit als einfach oder grob zu\nbewerten ist, hängt vom Ergebnis der Abwägung aller objektiven und subjektiven\nTatumstände im Einzelfall ab und entzieht sich deshalb weitgehend einer\nAnwendung fester Regeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.08.2008 - 2 A 8.07 - juris;\nSenat, Urt. v. 07.10.2014 - 1 S 1327/13 - VBlBW 2015, 207;\nHildinger/Rosenauer, a.a.O., § 34 Rn. 12; jeweils m.w.N.). \n--- \n| 44 \n--- \n| An diesen Maßstäben gemessen hat die Klägerin die Anscheinsgefahr am Abend\ndes 15.07.2017 grob fahrlässig verursacht. Ihr Verhalten stellte sich in\nobjektiver Hinsicht als grob verkehrswidrig dar. Denn sie hat ihr Fahrzeug an\ndiesem Abend unter erheblichen Alkoholeinfluss geführt und ist von der\nFahrbahn einer Kreisstraße über den Randstreifen, eine Böschung und einen\nFahrradweg hinweg auf ein Feld abgekommen. Ihr Verhalten war auch in\nsubjektiver Hinsicht in besonders schwerem Maße sorgfaltswidrig. Sie war\nbereits im Jahr 2012 nach einer Fahrt mit einer Blutalkoholkonzentration mit\n1,96 Promille wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe\nvon 35 Tagessätzen verurteilt worden (vgl. AG ..., Urt. v. ... - ... -,\nVerw.-Akte Bd. 2 [unpagniert]). Einem Verkehrsteilnehmer in dieser Situation\nhätte es ohne weiteres einleuchten müssen, dass er nicht - wie am 15.07.2015\ngeschehen - erneut unter erheblichem Alkoholeinfluss mit einer\nBlutalkoholkonzentration von nun 1,71 Promille mit einem Pkw am Straßenverkehr\nteilnehmen durfte. \n--- \n| 45 \n--- \n| Die Klägerin kann dem nicht ihren erstinstanzlichen - im Berufungsverfahren\nohnehin nicht mehr aufgegriffenen - Einwand entgegensetzen, sie sei einem Tier\nausgewichen (gemeint wohl: und nur deshalb von der Fahrbahn abgekommen). Es\nbestehen bereits keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Behauptung zutrifft.\nDie der Klägerin nachfolgenden Fahrer haben der Polizei gegenüber von keinem\nTier berichtet. Unabhängig davon würde der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit\nselbst dann nicht entfallen, wenn die Behauptung der Klägerin zutreffen\nsollte. Denn auch dann besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass ihre\nerhebliche Alkoholisierung maßgeblich dazu beigetragen hat, dass sie auf die\nVerkehrssituation nicht angemessen reagieren konnte und von der Fahrbahn\nabgekommen ist. Das gilt - ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich\nankäme - umso mehr, als beide von der Polizei vernommenen Zeugen bekundet\nhaben, die Klägerin sei ohne Licht und in Schlangenlinien gefahren. \n--- \n| 46 \n--- \n| Ebenfalls keine andere Beurteilung rechtfertigt der Vortrag der Klägerin in\ndem 2015 geführten Strafverfahren, sie habe eigentlich aus der Bar, in der sie\ndie alkoholischen Getränke konsumiert habe, abgeholt werden sollen und sei nur\ndeshalb doch mit dem eigenen Pkw alkoholisiert gefahren, weil ihr Vater\nangerufen und mitgeteilt habe, dass er gestürzt sei und es ihm nicht gut gehe.\nDieses Vorbringen vermag die Klägerin - auch als wahr unterstellt - schon\ndeshalb nicht maßgeblich zu entlasten, weil sie den Bekannten, der sie nach\nihrem Vortrag hätte abholen sollen, auch hätte kontaktieren können, um sich zu\nihrem Vater fahren zu lassen. Unabhängig davon wäre für die nach eigenen\nAngaben kurze Strecke auch die Fahrt mit einem Taxi möglich gewesen (vgl. AG\n..., Urt. v. ..., a.a.O.). \n--- \n| 47 \n--- \n| bb) Für den mithin gemäß § 34 Abs. 1 FwG a.F. kostenersatzfähigen Einsatz\nvom 15.07.2015 ist die Klägerin auch dem Grunde nach gemäß § 34 Abs. 3 FwG\na.F. kostenersatzpflichtig. \n--- \n| 48 \n--- \n| Nach Nr. 3 des § 34 Abs. 3 FwG a.F. ist derjenige kostenersatzpflichtig, „in\ndessen Interesse die Leistung erbracht wurde“. Dieses Merkmal ist erfüllt,\nwenn das Handeln der Feuerwehr für den in Anspruch Genommenen objektiv\nnützlich ist (vgl. Senat, Urt. v. 09.09.2013 - 1 S 1077/13 - juris, und vom\n17.05.2010 - 1 S 2441/09 -, VBlBW 2010, 474). Es bedarf keiner Entscheidung,\nob - wie die Beklagte und das Verwaltungsgericht meinen - dieser Tatbestand\nerfüllt ist, weil das Ausrücken der Feuerwehr ex ante betrachtet für die\nKlägerin nützlich war, oder ob dem entgegensteht, dass die Leistung ex post\nbetrachtet nicht in ihrem Interesse lag (für das zuletzt genannte\nNormverständnis wohl Surwald/Ernst, Feuerwehrgesetz für Baden-Württemberg, 8.\nAufl., § 34 Rn. 40). \n--- \n| 49 \n--- \n| Denn jedenfalls ist der Tatbestand der Nr. 1 des § 34 Abs. 3 FwG a.F.\nerfüllt. Danach ist derjenige kostenersatzpflichtig, dessen Verhalten die\nLeistung erforderlich gemacht hat, wobei § 6 Abs. 2 und 3 PolG entsprechend\ngilt. Der so umschriebene Begriff des Kostenverursachers im Sinne des § 34\nAbs. 3 Nr. 1 FwG a.F. ist mit dem des Verhaltensstörers im Sinne von § 6 Abs.\n1 PolG gleichzusetzen (Senat, Urt. v. 07.12.1992 - 1 S 1079/92 - NJW 1993,\n1543). Demnach ist, unabhängig von einem Verschulden, derjenige als\nKostenverursacher anzusehen, dessen Verhalten die Störung bzw. das\nSchadensereignis unmittelbar herbeigeführt hat (vgl. Senat, Urt. v.\n07.12.1992, a.a.O.). Hiervon ausgehend ist die Klägerin kostenersatzpflichtig.\nDenn sie hat den Unfall vom 15.07.2015 unmittelbar herbeigeführt und ist in\nBezug auf die damit geschaffene (Anscheins-)Gefahr Verhaltensstörerin. \n--- \n| 50 \n--- \n| b) Die Beklagte hat jedoch ihr Ermessen fehlerhaft - auf der Grundlage von\nteils nicht einschlägigen sowie teils unwirksamen Satzungsbestimmungen und\ndamit zugleich unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) -\nausgeübt. \n--- \n| 51 \n--- \n| aa) Die Beklagte hatte über die Frage, in welcher Höhe sie die Klägerin zum\nKostenersatz heranzieht, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden,\nund war dabei grundsätzlich an ihre „Satzung über die Erhebung des\nKostenersatzes für Leistungen der Feuerwehr der Gemeinde Durmersheim“ und\nderen Kostenverzeichnis in der Fassung vom 05.12.2001 gebunden. \n--- \n| 52 \n--- \n| Nach § 34 Abs. 4 FwG a.F. soll Ersatz der Kosten nicht verlangt werden,\nsoweit dies eine unbillige Härte wäre oder im öffentlichen Interesse liegt.\nSind die Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestands - wie hier - nicht\nerfüllt, steht der Gemeinde in den Fällen des - wie hier - § 34 Abs. 1 FwG\na.F. für die Entscheidung der Frage, ob sie Kostenersatz verlangt, kein\nErmessen (Entschließungsermessen) zu (vgl. Senat, Urt. v. 13.04.2011, a.a.O.,\nzu § 34 Abs. 2 FwG n.F.; zur nach altem Recht [§ 36 FwG 1987] enthaltenen\nUnterscheidung zwischen Ist- und Kann-Tatbeständen Senat, Urt. v. 09.08.2001 -\n1 S 523/01 - m.w.N.). In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens hat die Gemeinde\nallerdings in jedem Fall zu entscheiden, von wem sie Kostenersatz fordert\n(Auswahlermessen) und in welcher Höhe ein Kostenpflichtiger zum Kostenersatz\nherangezogen wird (vgl. insoweit auch zu § 34 Abs. 2 FwG a.F. und dessen\nVorgängerbestimmungen Senat, Urt. v. 09.08.2001, a.a.O., v. 08.06.1998,\na.a.O., v. 18.11.1991 - 1 S 269/91 -, DÖV 1992, 267 und v. 07.12.1992 - 1 S\n2079/92 -, NJW 1993, 1543). \n--- \n| 53 \n--- \n| Nach dem auch im vorliegenden Fall noch einschlägigen § 34 Abs. 5 FwG a.F.,\nder zur Kostenhöhe lediglich eine Obergrenze normierte („höchstens“), konnten\ndie Kosten dabei entweder in tatsächlicher Höhe berechnet werden. Die Gemeinde\nkonnte aber auch durch eine Satzung (§ 4 i.V.m. § 10 GemO) zur Gewährleistung\ndes Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Transparenz des Verwaltungshandelns\neine bestimmte Ermessensausübung festschreiben (vgl. Senat, Urt. v.\n09.08.2001, a.a.O., und v. 08.06.1998, a.a.O.). Durch Satzung konnten\ninsbesondere Pauschalsätze für den Kostenersatz festgelegt werden (§ 34 Abs. 5\nSatz 4 FwG a.F.; zur Vorgängerregelung des § 36 Abs. 2 FwG 1987 bereits ebenso\nSenat, Urt. v. 08.06.1998, a.a.O.). Auf diese Weise konnte der dem Träger der\nFeuerwehr eingeräumte Ermessensspielraum durch für ihn dann verbindliche\nVorgaben durch Satzung konkretisiert werden (vgl. Senat, Urt. v. 30.11.2010,\na.a.O., und v. 08.06.1998, a.a.O., jeweils zu § 36 Abs. 2 FwG 1986; s. zum\nErmessen hinsichtlich der Kostenhöhe auch Senat, Urt. v. 09.08.2001 - 1 S\n523/01 - m.w.N.). Zu beachten war bei der Ermessensausübung außerdem der\nVerhältnismäßigkeitsgrundsatz, der es in Einzelfällen insbesondere gebieten\nkonnte, den Kostenersatz zu reduzieren, wenn der Feuerwehreinsatz im\nEinzelfall nicht nach der jeweils einschlägigen Ausrückeordnung durchgeführt\nwurde oder sich aus anderen Gründen als überdimensioniert erwies (vgl.\nSurwald/Ernst, a.a.O., § 34 Rn. 47, 57). \n--- \n| 54 \n--- \n| Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte bei der ihr obliegenden\nErmessenentscheidung, in welcher Höhe sie die dafür allein in Betracht\nkommende Klägerin zum Kostenersatz heranzieht, an ihre „Satzung über die\nErhebung des Kostenersatzes für Leistungen der Feuerwehr der Gemeinde\nDurmersheim“ und deren Kostenverzeichnis in der Fassung vom 05.12.2001\ngebunden. \n--- \n| 55 \n--- \n| bb) Davon ausgehend hat die Beklagte ihr Ermessen in dem angefochtenen\nBescheid rechtsfehlerhaft ausgeübt. Denn sie hat bei ihrer Entscheidung teils\nnicht einschlägige sowie teils unwirksame Satzungsbestimmungen angewandt und\nmit diesem Verstoß gegen ihre ermessenslenkende Satzung zugleich den\nallgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. Denn zwei der drei\nvon ihr abgerechneten Fahrzeuge werden in dem Kostenverzeichnis ihrer Satzung\nnicht genannt (1). Die von ihr nachgeschobenen Vorschriften über die Anwendung\ndes Kostenverzeichnisses auf „ähnliche Fahrzeuge“ sind unwirksam und wären\nunabhängig davon nicht einschlägig (2). Auch eine analoge Anwendung der\nKostenbestimmungen kommt nicht in Betracht (3). \n--- \n| 56 \n--- \n| (1) Zwei der drei von der Beklagten abgerechneten Fahrzeuge werden in dem\nKostenverzeichnis ihrer Satzung nicht genannt, weshalb die darauf aufbauende\nErmessensausübung insoweit unter Rechtsfehlern leidet. \n--- \n| 57 \n--- \n| Nach § 1 Abs. 1 FwKostS verlangt die Beklagte für Leistungen ihrer\nGemeindefeuerwehr, soweit diese nicht nach dem Feuerwehrgesetz unentgeltlich\nsind, im gesetzlichen Rahmen Ersatz der entstandenen Kosten. Nach § 2 Abs. 1\nFwKostS ergibt sich die Höhe des Kostenersatzes aus dem „Verzeichnis über\nKostenersätze“, das Bestandteil der Satzung ist. Nach Art. 1, Abschnitt\nKostentarif, Nr. 1 dieses Verzeichnisses setzen sich die Kosten zusammen aus\nden Personal-, Fahrzeug-, Geräte-, Verbrauchsmaterialien- und sonstigen\nKosten. Nach Art. 1, Abschnitt Kostenverzeichnis, betragen die „Kostenersätze“\nin der zuletzt geltenden Fassung vom 05.12.2001 für den \n--- \n--- \n| 58 \n--- \n| \n--- \n| **„II. Einsatz von Fahrzeugen** \n--- \n| \n| 1\\. Löschfahrzeug (TLF 16) \n--- \n| Euro \n--- \n| 190,00 pro Stunde \n--- \n| 2\\. Löschfahrzeug (LF 8) \n--- \n| Euro \n--- \n| 175,00 pro Stunde \n--- \n| 3\\. Drehleiter (DLK) \n--- \n| Euro \n--- \n| 125,00 pro Stunde \n--- \n| 4\\. Rüstwagen (RW 2) \n--- \n| Euro \n--- \n| 100,00 pro Stunde \n--- \n| 5\\. Löschfahrzeug (LF 16) \n--- \n| Euro \n--- \n| 100,00 pro Stunde \n--- \n| 6\\. Einsatzleitwagen (ELW 1) \n--- \n| Euro \n--- \n| 120,00 pro Stunde \n--- \n| 7\\. Mannschaftstransportwagen (MTW) \n--- \n| Euro \n--- \n| 140,00 pro Stunde“ \n--- \n--- \n| 59 \n--- \n| Auf diese von der Beklagten in dem Kostenbescheid vom 05.04.2016\nherangezogene Satzungsbestimmungen hat die Beklagten die Ermessensausübung in\ndem angefochtenen Bescheid gestützt, in dem Kosten für den Einsatz der\nFahrzeuge „Durmersheim 1/46, Löschgruppenfahrzeug“, „Durmersheim 2/20,\nStaffellöschfahrzeug“ sowie „Durmersheim 1/52, Rüstwagen“ wie folgt\nabgerechnet wurden: \n--- \n--- \n| 60 \n--- \n| \n--- \n| **Pos.** \n--- \n| **Bezeichnung** \n--- \n| **Anz.** \n--- \n| **Einh.** \n--- \n| **Einzelpreis** \n--- \n| **Gesamtpreis** \n--- \n| 1 \n--- \n| Löschfahrzeug (HLF20) \n--- \n| 0,50 \n--- \n| Std. \n--- \n| 90,00 EUR \n--- \n| 45,00 EUR \n--- \n| 2 \n--- \n| Staffellöschfahrzeug (STLF) Würmersheim \n--- \n| 0,50 \n--- \n| Std. \n--- \n| 75,00 EUR \n--- \n| 37,50 EUR \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| ... \n--- \n| 4 \n--- \n| Rüstwagen (RW 2) \n--- \n| 0,50 \n--- \n| Std. \n--- \n| 100,00 EUR \n--- \n| 50,00 EUR \n--- \n| ... \n--- \n| | | | \n| 12 \n--- \n| Personalkosten \n--- \n| 19 \n--- \n| 0,50 Std \n--- \n| 15,00 EUR \n--- \n| 142,50 EUR \n--- \n| | | | | \n| | | | | **Endbetrag** : \n--- \n| 275,00 EUR \n--- \n--- \n| 61 \n--- \n| Von den im angefochtenen Kostenbescheid genannten Fahrzeugen entspricht\neines - der „Rüstwagen (RW 2)“ - den satzungsrechtlichen Bezeichnungen. Die\nzwei anderen im Bescheid genannten Fahrzeugtypen - das „Löschfahrzeug (HLF20)“\nund das „Staffellöschfahrzeug (STLF)“, bei dem es sich ausweislich des\nEinsatzberichts vom 15.07.2015 um ein „STLF 10/6“ gehandelt hatte - werden in\nder Satzung hingegen nicht ausdrücklich genannt. \n--- \n| 62 \n--- \n| Dieser Befund ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die Beklagte in der\nSatzung mit Begriffen wie „LF 8“ und „TLF 16“ - die aus der ursprünglichen und\nseither nie geänderten Fassung der Satzung vom 09.11.1994 stammen -\nersichtlich auf Bezeichnungen zurückgegriffen hat, die zur Typisierung von\nteils nach der DIN 14530 a.F. normierten Löschfahrzeugen verwendet wurden. Die\nin der Satzung genannten Bezeichnungen - insbesondere „TLF 16“ und „LF 8“ -\nsind allerdings in mehrfacher Hinsicht überholt, da sie außer Kraft gesetzte\nDIN-Bestimmungen betreffen. Sie beziehen sich zudem überwiegend auf ältere\nFahrzeuge (vgl. etwa DIN-Normenausschuss Feuerwehrwesen - FNFW -,\n„Feuerwehrfahrzeug-Typenliste der gängigsten genormten Fahrzeuge“, 22.\nüberarbeitete Fassung vom 24.04.2018, abrufbar unter\nhttps://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/fnfw; ferner\nLandesfeuerwehrschule Baden-Württemberg, „Übersicht über Daten und wesentliche\nTeile der feuerwehrtechnischen Beladung von Löschfahrzeugen“, 2012, S. 3 und\n4, jeweils Fn. 1; abrufbar unter www.lfs-bw.de). Diese veralteten\nsatzungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale erfassen die von der Beklagten am\n15.07.2015 konkret eingesetzten Fahrzeugtypen „HLF20“ und „STLF [10/6]“ nicht\nunmittelbar (vgl. bereits im Zulassungsverfahren Senat, Beschl. v. 10.10.2019,\na.a.O.). Das räumt die Beklagte auch selbst ein. Soweit sie ihre\nErmessensausübung in dem angefochtenen Bescheid dennoch auf diese\nSatzungsbestimmungen gestützt hat, war die Ermessensausübung mangels\nEinschlägigkeit der Bestimmungen rechtsfehlerhaft. \n--- \n| 63 \n--- \n| (2) Die von der Beklagten erstmals im Zulassungsverfahren nachgeschobenen\nVorschriften über die Anwendung des Kostenverzeichnisses auf „ähnliche\nFahrzeuge“ sind unwirksam und wären unabhängig davon nicht einschlägig. \n--- \n| 64 \n--- \n| Die Beklagte verweist insoweit auf Art. 1, Abschnitt Kostentarif, Nr. 4 Abs.\n2 und 3 KostVerz. Darin ist bestimmt, dass die „Kosten für den Einsatz oder\ndie Bereitstellung von Fahrzeugen (...), die im Kostenverzeichnis nicht\nenthalten sind, (...) durch Vergleich mit ähnlichen Fahrzeugen (...) ermittelt\n(werden). Kann keine Zuordnung vorgenommen werden, werden die Kosten gesondert\nermittelt und festgesetzt.“ \n--- \n| 65 \n--- \n| Dem Verweis auf diese Satzungsbestimmung steht zwar nicht schon entgegen,\ndass diese Bestimmungen in dem angefochtenen Bescheid nicht genannt werden und\ndie Beklagte erstmals im Zulassungsverfahren darauf abgestellt hat. Denn es\nhandelt sich dabei um eine verwaltungsprozessrechtlich noch zulässige\nErgänzung ihrer Ermessenserwägungen (vgl. § 114 Satz 2 VwGO). \n--- \n| 66 \n--- \n| Der nachgeschobene Verweis auf die genannten Satzungsbestimmungen führt aber\ndeshalb nicht weiter, weil diese unwirksam sind. Sie genügen den Anforderungen\ndes rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots nicht. \n--- \n| 67 \n--- \n| Das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Gebot der\nBestimmtheit von Normen verlangt, dass Rechtsvorschriften so gefasst sein\nmüssen, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so\nkonkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag (vgl.\nBVerfG, Urt. v. 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150; Beschl. v.\n12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - BVerfGE 21, 73, v. 07.07.1971 - 1 BvR 775/66 -\nBVerfGE 31, 255, v. 09.04.2003 - 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 - BVerfGE 108, 52,\nund v. 03.03.2004 - 1 BvF 3/92 - BVerfGE 110, 33, jeweils m.w.N.; Senat,\nBeschl. v. 05.06.2020 - 1 S 1623/20 und Urt. v. 16.08.2018 - 1 S 625/18 -\njuris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.11.2017 - 9 S 1145/16 - JuS 2018, 402, und\nv. 22.02.2017 - 5 S 1044/15 - juris). Dieses Gebot zwingt den Normgeber zwar\nnicht, jeden Tatbestand mit genau erfassbaren Maßstäben bis ins Einzelne zu\numschreiben. Generalklauseln und unbestimmte, der Ausfüllung bedürftige\nBegriffe sind schon deshalb grundsätzlich zulässig, weil sich die Vielfalt der\nVerwaltungsaufgaben nicht immer in klar umrissene Begriffe einfangen lässt.\nDer Normgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie\ndies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht\nauf den Normzweck möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer\nVorschrift dabei noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit; es kann\nnicht erwartet werden, dass jeder Zweifel ausgeschlossen wird. Es ist Aufgabe\nder Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären und die Entscheidung des\nNormgebers - gegebenenfalls mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden - zu\nkonkretisieren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.06.1977 - 2 BvR 308/77 - BVerf-GE\n45, 363, v. 03.06.1992 - 2 BvR 1041/88, 78/89 -, BVerfGE 86, 288, und v.\n11.07.2013 - 2 BvR 2302/11 - BVerfGE 134, 33; BayVerfGH, Entscheidung v.\n22.06.2010 - Vf. 15-VII-09 juris; Senat, Senat, Urt. v. 16.08.2018, a.a.O.,\nund v. 22.04.2002 - 1 S 1667/00 - VBlBW 2002, 423). Verfahren und gerichtliche\nKontrolle sind geeignet, mögliche Nachteile der Unbestimmtheit der\nRechtsvorschrift bis zu einem gewissen Grade auszugleichen (vgl. BVerfG,\nBeschl. v. 12.01.1967 und v. 07.07.1971, jeweils a.a.O., sowie Urt. v.\n18.07.1972 - 1 BvL 32/70, 25/71 - BVerfGE 33, 303; Senat, Urt. v. 16.08.2018,\na.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.11.2017, a.a.O.). In jedem Fall müssen\nsich aber aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung objektive\nKriterien gewinnen lassen, die eine willkürliche Handhabung der Norm durch die\nfür die Vollziehung zuständigen Behörden ausschließen (vgl. BVerwG, Urt. v.\n12.07.2006 - 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222; Beschl. v. 10.04.2000 - 11 B 61.99\n- juris; Senat, Beschl. v. 05.06.2020, a.a.O., und Urt. v. 22.04.2002, a.a.O.,\nv. 16.10.2001 - 1 S 2346/00 - VBlBW 2002, 292, sowie v. 18.08.1992 - 1 S\n2550/91 - VBlBW 1993, 99). \n--- \n| 68 \n--- \n| Der Grad der von Verfassungs wegen geforderten Bestimmtheit einer Norm hängt\ndabei sowohl von der Eigenart des geregelten Sachverhalts und den jeweiligen\n(Grundrechts-)Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen als auch von der\nArt und Intensität des zugelassenen behördlichen Eingriffs ab (BVerwG, Urt. v.\n27.06.2013 - 3 C 7.12 - NdsVBl 2014, 44). Je schwerwiegender die Auswirkungen\neiner Regelung sind und je intensiver der Grundrechtseingriff ist, desto\ngenauer müssen die Vorgaben des Normgebers sein (BVerfG, Beschl. v.\n03.06.1992, a.a.O., v. 09.08.1995 - 1 BvR 2263/94 u.a. - BVerfGE 93, 213, v.\n22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - BVerfGE 102, 254, v. 05.02.2004 - 2 BvR\n2029/01 - BVerfGE 109, 133, und v 03.03.2004, a. a. O.; VGH Bad.-Württ., Urt.\nv. 22.11.2017, a.a.O.). Handelt es sich beispielsweise um eine Rechtsgrundlage\nfür eine Gebührenerhebung, muss diese so gefasst sein, dass der (künftige)\nGebührenschuldner erkennen kann, für welche öffentliche Leistung die Gebühr\nerhoben wird und welchen Zweck der Normgeber mit der Gebührenerhebung verfolgt\n(vgl. BVerfG, Urt. v. 19.03.2003 - 2 BvL 9 bis 12/98 - BVerfGE 108, 1; BVerwG,\nUrt. v. 01.09.2009 - 6 C 30.08 - NVwZ-RR 2010, 146; Senat, Urt. v. 16.08.2018,\na.a.O.). Auch im Bereich des Abgabenrechts nimmt die Auslegungsbedürftigkeit\neiner Regelung derselben zwar noch nicht die verfassungsrechtlich gebotene\nBestimmtheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.03.1967 - 1 BvR 334/61 - BVerfGE 21,\n209, v. 18.05.1988 - 2 BvR 579/84 - BVerfGE 78, 205 und v. 09.11.1988 - 1 BvR\n243/86 - BVerfGE 79, 106). In jedem Fall muss der Gebührenpflichtige aber den\nGegenstand und den Zweck der Gebührenerhebung erkennen können. Die\nwillkürfreie Handhabung eines Gebührentatbestandes ist durch nachträgliche\nAuslegung nur dann gewährleistet, wenn ein Gebührenschuldner mit seiner\nHeranziehung rechnen musste, weil dies in Anwendung juristischer Methoden ein\nvertretbares Auslegungsergebnis darstellt (BVerwG, Urt. v. 01.09.2009, a.a.O.,\nund v. 12.07.2006 - 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222; OVG Bremen, Urt. v.\n05.02.2018 - 2 LC 139/17 - NordÖR 2018, 157; Senat, Urt. v. 16.08.2018,\na.a.O.). \n--- \n| 69 \n--- \n| An diesen Maßstäben gemessen genügen die zitierten Bestimmungen in Art. 1,\nAbschnitt Kostentarif, Nr. 4 Abs. 2 KostVerz dem rechtsstaatlichen\nBestimmtheitsgebot nicht. Denn die Bestimmung, dass die „Kosten für den\nEinsatz oder die Bereitstellung von Fahrzeugen (...), die im Kostenverzeichnis\nnicht enthalten sind, (...) durch Vergleich mit ähnlichen Fahrzeugen (...)\nermittelt (werden)“, versetzt die Normadressaten nicht in die Lage zu\nerkennen, für welchen konkreten Leistungsgegenstand - also für welches\nFahrzeug - sie zu Kosten herangezogen werden können. Die Satzungsbestimmung\nist daher auch nicht dazu geeignet, eine willkürliche Handhabung der Norm\ndurch die für die Vollziehung zuständigen Behörden auszuschließen. \n--- \n| 70 \n--- \n| Im Wege der Auslegung ist insbesondere nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit\nzu ermitteln, unter welchen Voraussetzungen der Satzungsgeber zwei Fahrzeuge\nals „ähnlich“ ansieht und nach welchen Maßstäben die „Ähnlichkeit“ ein solches\nAusmaß annimmt, dass und nach welchen Kostentatbeständen aus dem\nGebührenverzeichnis eine Heranziehung zu welcher Kostenhöhe gerechtfertigt\nsein soll. Der Wortlaut des Art. 1, Abschnitt Kostentarif, Nr. 4 Abs. 2\nKostVerz selbst bietet dafür keine Maßstäbe. Auch die systematische Auslegung\nder Vorschrift führt nicht weiter. In dem Kostenverzeichnis sind zwar\nFahrzeuggattungen bezeichnet („Löschfahrzeug“ usw.). Diese Bezeichnungen\nwerden aber um konkrete Typenbezeichnungen („LF 8“, „TLF 16“ usw.) ergänzt,\ndie den 1994 noch geltenden, später aber außer Kraft getretenen DIN-\nBestimmungen (DIN 14530 a.F.) für ältere Fahrzeuge entnommen wurden und daher\ngerade keinen Aufschluss darüber geben, welche neuen Fahrzeuge eine\nausreichende „Ähnlichkeit“ damit aufweisen sollen. Für einen Normadressaten\nwäre ein auf DIN-Vorschriften basierender „Ähnlichkeitsvergleich“ unabhängig\ndavon auch deshalb zu unbestimmt, weil die DIN-Bestimmungen grundsätzlich -\nwie auch hier - nicht veröffentlicht und nur kostenpflichtig zu erwerben sind\n(auch das Innenministerium als Verordnungsgeber der heute maßgeblichen\n„Verordnung Kostenersatz Feuerwehr“ vom 18.03.2016 ist ersichtlich davon\nausgegangen, dass es für einen „Ähnlichkeitsvergleich“ einer Benennung von\nkonkreten Maßstäben in der diesen Vergleich anordnenden Rechtsvorschrift\nselbst bedarf. Denn § 1 Abs. 2 VOKwFw lautet: „Die [Stundensätze für\nFahrzeuge] nach Absatz 1 gelten auch für Feuerwehrfahrzeuge, die mit den dort\nGenannten in ihrem taktischen Einsatzwert, ihrer zulässigen Gesamtmasse und\nihrer technischen Beladung vergleichbar sind.“ Im Maßstab wohl ähnlich\nHessVGH, Beschl. v. 18.07.2017 - 5 A 2811/16-Z - HGZ 2018, 226: Dass in der\nFeuerwehrgebührenordnung eine veraltete Fahrzeugbezeichnung verwendet werde,\nführe dann nicht zu einer Unwirksamkeit dieser Satzung, wenn „eindeutig ist“,\nwelcher Einsatzfahrzeugtyp nunmehr gemeint sei.). \n--- \n| 71 \n--- \n| Der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren bestätigt zusätzlich, dass\ndie genannten Satzungsbestimmungen in Art. 1, Abschnitt Kostentarif, Nr. 4\nAbs. 2 KostVerz zu unbestimmt sind und keine Gewähr dafür bieten, dass sie\nwillkürfrei angewandt werden. Die Beklagte hat auch auf den dahingehenden\nEinwand des Klägervertreters im Zulassungs- und im schriftlichen\nvorbereitenden Verfahren hin nicht präzise erläutert, nach welchen Maßstäben\nsie eine „Ähnlichkeit“ feststellt. Sie hat sich stattdessen im vorbereitenden\nVerfahren auf den vagen Vortrag beschränkt, die von ihr gegenübergestellten\nFahrzeuge aus dem angefochtenen Bescheid einerseits und der Satzung\nandererseits seien „technisch und kostenmäßig vergleichbar“ (Schriftsatz vom\n21.11.2019, S. 4 = Bl. 113 der Senatsakte), ohne substantiiert darzulegen,\nweshalb dies konkret der Fall sein soll. \n--- \n| 72 \n--- \n| Unabhängig davon ist der Regelungsgehalt der Satzungsbestimmung in Art. 1,\nAbschnitt Kostentarif, Nr. 4 Abs. 2 KostVerz mit dem von der Beklagten in der\nmündlichen Verhandlung hervorgehobenen Verweis auf einen „kostenmäßigen\nVergleich“ auch inhaltlich nicht hinreichend klar zu bestimmen. Aus dem\ngesetzlichen Normzusammenhang der Satzung mit den Grundvorschriften zur\nKostenbemessung in § 34 Abs. 5 FwG a.F. - welche die Obergrenze der\nberücksichtigungsfähigen Kosten definieren und unter anderem auf die „nach\nbetriebswirtschaftlichen Grundsätzen insgesamt ansatzfähigen Kosten“ abstellen\n- lässt sich zwar im Wege der gesetzessystematischen Auslegung entnehmen, dass\nes grundsätzlich vertretbar wäre, in einer Satzung für die Beantwortung der\nFrage, ob zwei Fahrzeuge im Sinne der Satzung „ähnlich“ sind, auch\nKostengesichtspunkte zu berücksichtigen. Die Satzung der Beklagten lässt aber\nbereits nicht erkennen, ob der Satzungsgeber im vorliegenden Einzelfall\nüberhaupt auf dieses Kriterium abstellen wollte. Ebenso unklar bleibt, ob\ndieses Kriterium allein oder nur zusammen mit anderen Kriterien - wie etwa dem\nEinsatzzweck oder der Fahrzeugausstattung (vgl. dementsprechend heute § 1 Abs.\n2 VOKwFw: Vergleich nach dem „taktischen Einsatzwert, ihrer zulässigen\nGesamtmasse und ihrer technischen Beladung“) - und gegebenenfalls mit welcher\nGewichtung für den „Ähnlichkeitsvergleich“ ausschlaggebend sein soll. \n--- \n| 73 \n--- \n| Unabhängig davon wären die Satzungsbestimmungen in Art. 1, Abschnitt\nKostentarif, Nr. 4 Abs. 2 KostVerz selbst dann zu unbestimmt, wenn - wie die\nBeklagte zuletzt vorgetragen hat - angenommen würde, dass die dortigen\nVorschriften auf einen Vergleich (allein) der Anschaffungskosten zielen. Denn\ndie Satzung richtet sich nicht etwa allein an im Bereich des Feuerwehrwesens\ntätige und hierauf spezialisierte Normadressaten, sondern potenziell an\njedermann. Ein nicht in diesem Sinne spezialisierter Normadressat könnte aber\nnicht mit zumutbarem Zeit- und Kostenaufwand ermitteln, welche\nAnschaffungskosten für - teils sehr, hier bis zu 20 Jahre (1994/2015) - alte\nFahrzeuge einerseits und neue Fahrzeuge andererseits anfallen. Er könnte der\nSatzung zudem nicht entnehmen, welcher Zeitwert gegebenenfalls in Ansatz zu\nbringen sein soll. Unabhängig davon bliebe weiter unklar, bis zu welchen\n„Preis-“ oder sonstigen Kostenunterschieden der Satzungsgeber Fahrzeuge mit\nunterschiedlichen Anschaffungskosten und Zeitwerten noch als hinreichend\n„ähnlich“ ansehen würde. \n--- \n| 74 \n--- \n| Selbst wenn man dem nicht folgen und die zitierten Satzungsbestimmungen für\ngrundsätzlich anwendbar halten und mit dem Vortrag der Beklagten dahin\nauslegen würde, dass Fahrzeuge dann im Sinne von Art. 1, Abschnitt\nKostentarif, Nr. 4 Abs. 2 KostVerz ähnlich sind, wenn sie „technisch und\nkostenmäßig vergleichbar“ sind, würde der Verweis darauf im vorliegenden\nVerfahren nicht weiterführen. Denn aus der von der Beklagten vorgelegten, im\nTatbestand wiedergegebenen Gegenüberstellung ergibt sich, dass die Fahrzeuge,\ndie sie als „ähnlich“ ansieht, tatsächlich jedenfalls erhebliche technische\nUnterschiede aufweisen. So ist das „LF8“ auf 9 Mann Besatzung ausgelegt, das\nvon ihr als „ähnlich“ gegenübergestellte „STLF 10/6“ hingegen auf 6 Mann.\nDenselben Unterschied weisen die von ihr verglichenen Fahrzeuge „TLF 16/25“\nund „HLF20“ auf, bei denen hinzukommt, dass diese mit einer unterschiedlichen\nBeladung für die technische Hilfe ausgerüstet sind. \n--- \n| 75 \n--- \n| (3) Eine analoge Anwendung der Kostentatbestände aus dem Kostenverzeichnis\nauf die dort nicht aufgeführten, aber tatsächlich eingesetzten Fahrzeuge kommt\nebenfalls nicht in Betracht. Es fehlt bereits an der für eine Analogie\nerforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Denn der Satzungsgeber hat sich\nausweislich der detaillierten Fahrzeug- und Typenbezeichnung in der Satzung\neingehend mit der Frage befasst, welche Fahrzeuge er für die Festsetzung der\nKostenhöhe berücksichtigen will, und zudem eine eigene Regelung für nicht\nausdrücklich aufgeführte Fahrzeuge geschaffen. \n--- \n| 76 \n--- \n| cc) Nach dem zuvor Gesagten hat die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft, weil\nunter Heranziehung von teils nicht einschlägigen und teils unwirksamen\nermessenslenkenden Satzungsbestimmungen und damit zugleich unter Verstoß gegen\nden Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ausgeübt. \n--- \n| 77 \n--- \n| Das hat zur Folge, dass der angefochtene Bescheid materiell rechtswidrig\nist, soweit die Beklagte die Klägerin darin zur Heranziehung von Kosten für\ndie Fahrzeuge „Löschfahrzeug (HLF20)“ (45,-- EUR) und das\n„Staffellöschfahrzeug (STLF)“ (37,50 EUR) herangezogen hat. \n--- \n| 78 \n--- \n| Der genannte Fehler führt allerdings nicht dazu, dass die angefochtenen\nBescheide deshalb in vollem Umfang aufzuheben sind. \n--- \n| 79 \n--- \n| Grundsätzlich führt ein rechtlich erheblicher Ermessensfehler im Sinne von §\n114 Satz 1 VwGO, § 40 LVwVfG zwar zur Aufhebung des betroffenen\nVerwaltungsakts (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 114 Rn. 196;\nRiese, in: Schoch u.a., VwGO, 37. Erg.-Lfg., § 114 Rn. 72). Das gilt\nallerdings ausnahmsweise dann nicht, wenn ausgeschlossen werden kann, dass\nsich die als rechtsfehlerhaft herausgestellten Erwägungen im konkreten\nEinzelfall auf die Entscheidung ausgewirkt haben können, wenn mit anderem\nWorten der Ermessensfehler nicht kausal für die Entscheidung war (vgl. Wolff,\na.a.O., Rn. 198; W.-R. Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., §\n114 Rn. 6a; jeweils m.w.N.). Im vorliegenden Fall kann ausgeschlossen werden,\ndass sich der Ermessensfehler auf die Entscheidung der Beklagten ausgewirkt\nhat, die Klägerin zu den Kosten für den „Rüstwagen (RW 2)“ (50,-- EUR)\nheranzuziehen. Denn dieses Fahrzeug ist in ihrer Satzung genannt und es ist\ndavon auszugehen, dass die nach ihrem Satzungsrecht grundsätzlich zur\nKosterhebung (vgl. § 1 Abs. 1 FwKostS) und nach dem Gesetzesrecht zu einer\nsparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung (vgl. § 77 Abs. 2 GemO) sowie\nzu einer gleichheitskonformen Verwaltungspraxis (Art. 3 Abs. 1 GG)\nverpflichtete Beklagte das nach ihrem Satzungsrecht rechtmäßig abrechenbare\nFahrzeug auch dann abgerechnet hätte, wenn sie erkannt hätte, dass andere\nFahrzeuge nicht abrechnungsfähig waren. Ebenfalls ausgeschlossen werden kann\naus denselben Gründen, dass der Fehler für die Entscheidung der Beklagten\nkausal war, die Klägerin zu den Kosten für das Personal heranzuziehen, das auf\ndiesem Rüstwagen (3 Mann) sowie in der Feuerwehreinsatzzentrale (2 Mann) tätig\nwar. Dies zugrunde gelegt, sind die angefochtenen Bescheide nicht aufzuheben,\nsoweit sie sich noch auf die Kosten für den Einsatz des Rüstwagens in Höhe von\n50,-- EUR („RW 2“ für 0,5 Std. bei einem Stundenpreis von 100,-- EUR) sowie\nauf die Kosten für den Einsatz von 5 Mann in Höhe von 37,50 EUR (5 x 0,5\nStunden bei einem Stundenpreis von 15,-- EUR = 37,50 EUR), insgesamt mithin\nauf eine Kostenforderung in Höhe von 87,50 EUR (50,-- EUR zzgl. 37,50 EUR)\nbeziehen. \n--- \n| 80 \n--- \n| Nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann allerdings, dass sich\nder Ermessensfehler der Beklagten auch auf die Abrechnung des Personals der\nnicht anrechnungsfähigen Fahrzeuge (14 Mann auf den Fahrzeugen „HLF 20“ und\n„STLF“) ausgewirkt hat. Die Beklagte kann dem nicht mit Erfolg entgegenhalten,\nanders als der zum Einsatz gekommene Mannschaftstransportwagen seien die\nFahrzeuge „HLF 20“ und „STLF“ in ihrer Alarm- und Ausrückeordnung bei dem hier\nin Rede stehenden Einsatzstichwort („Technische Rettung 2 - VU mit PKW -\nPerson eingeklemmt“) genannt, weshalb sie deren Personal mit Sicherheit auch\ndann abgerechnet hätte, wenn sie erkannt hätten, dass die Fahrzeuge nicht\nabrechnungsfähig sind. Einem solchen Schluss steht bereits entgegen, dass die\nFahrzeuge selbst in ihrer Satzung nicht erwähnt sind. Hinzu kommt, dass weder\nin der Satzung noch in der Alarm- und Ausrückeordnung unter dem genannten\nEinsatzstichwort hinreichend deutlich angegeben ist, mit welchem Personal die\nFahrzeuge ausrücken. Bei diesem Sachstand würde der Senat die Grenzen einer\nErmessenskontrolle (§ 114 Satz 1 VwGO) überschreiten und unzulässigerweise\nsein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Beklagten setzen, wenn\ner unterstellen würde, dass und in welchem Umfang sie das Personal der\nFahrzeuge auch ohne diese selbst sicher abgerechnet hätte. \n--- \n| 81 \n--- \n| Nach alledem ergibt sich, dass die angefochtenen Bescheide aufzuheben sind,\nsoweit die Klägerin zum Ersatz von mehr als 87,50 EUR herangezogen wird. \n--- \nII. \n--- \n| 82 \n--- \n| Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. \n--- \nIII. \n--- \n| 83 \n--- \n| Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2\nVwGO gegeben ist. \n--- \n| 84 \n--- \n| **Beschluss vom 30. Juni 2020** \n--- \n| 85 \n--- \n| Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47\nAbs. 1, § 52 Abs. 3 GKG auf 275,-- EUR festgesetzt. \n--- \n| 86 \n--- \n| Dieser Beschluss ist unanfechtbar. \n---\n\n
329,961
olgstut-2020-07-15-20-u-4719
147
Oberlandesgericht Stuttgart
olgstut
Baden-Württemberg
Oberlandesgericht
20 U 47/19
2020-07-15
2020-07-25 10:01:07
2020-12-10 13:36:17
Urteil
## Tenor\n\n1\\. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Tübingen\nvom 16.09.2019, Az. 20 O 71/18, abgeändert:\n\n> Es wird festgestellt, dass die Klägerin zum Anlegerbeirat der Beklagten\n> gewählt wurde.\n\n2\\. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.\n\n3\\. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die\nVollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %\ndes vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der\nVollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden\nBetrags leistet.\n\n4\\. Die Revision wird nicht zugelassen.\n\n5\\. Der Streitwert wird auf 20.000 EUR festgesetzt.\n\n## Gründe\n\n| | \n--- \nI. \n--- \n| 1 \n--- \n| Die Klägerin verfolgt einen Antrag auf Feststellung gegen die Beklagte, dass\nsie in deren Anlegerbeirat gewählt wurde. \n--- \n| 2 \n--- \n| Für die Sachverhaltsdarstellung wird auf den Tatbestand des\nlandgerichtlichen Urteils verwiesen. \n--- \n| 3 \n--- \n| Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die\nFeststellungsklage sei statthaft. Als festzustellendes Rechtsverhältnis im\nSinne des § 256 ZPO sei der Gesellschafterbeschluss vom 19.06.2018 anzusehen.\nDas Feststellungsinteresse der Klägerin ergebe sich aus ihrer\nGesellschafterstellung. Als Treugeberin sei die Klägerin nach dem\nGesellschaftsvertrag wie eine Kommanditistin der Beklagten zu behandeln. Die\nKlage sei zu Recht gegen die Gesellschaft gerichtet worden, da dies im\nGesellschaftsvertrag so vorgesehen sei. Die Klage sei aber unbegründet. Die\nKlägerin sei mit dem Gesellschafterbeschluss vom 19.06.2018 nicht wirksam als\nAnlegerbeirätin bestellt worden, da die Wahl einer juristischen Person als\nBeirat der Beklagten analog § 153 Abs. 3 S. 2, § 18 Abs. 2 S. 4 KAGB, § 100\nAbs. 1 S. 1 AktG unzulässig sei. Unmittelbar sei § 100 Abs. 1 S. 1 AktG auf\ndie Beklagte allerdings nicht anwendbar. Auch die Verweisung in § 153 Abs. 3\nS. 2, § 18 Abs. 2 S. 4 KAGB auf § 100 Abs. 1 S. 1 AktG sei nicht unmittelbar\nanwendbar. § 153 Abs. 3 S. 2, § 18 Abs. 2 S. 4 KAGB, § 100 Abs. 1 S. 1 AktG\nseien auf den von einer extern verwalteten Investmentkommanditgesellschaft\ngebildeten Beirat aber entsprechend anzuwenden. Eine planwidrige\nRegelungslücke liege vor, da es bei der extern verwalteten\nInvestmentkommanditgesellschaft an einer § 153 Abs. 3 KAGB entsprechenden\nRegelung fehle. Aus dem Wortlaut des § 153 Abs. 3 S. 1 KAGB könne nicht auf\nden Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, die Besetzung eines\nfakultativen Beirats bei der [extern] verwalteten\nInvestmentkommanditgesellschaft richte sich ausschließlich nach den Regelungen\ndes Handelsrechts und sei der freien Disposition der Gesellschafter\nüberlassen. Bei der extern verwalteten Investment-KG habe der Gesetzgeber kein\nRegelungsbedürfnis gesehen, da die Anlegerinteressen bei dieser ausreichend\ndurch die Kontrollorgane der externen Kapitalverwaltungsgesellschaft gewahrt\nwürden. Der Gesetzgeber habe es nicht vorgesehen, dass die Gesellschafter\neiner extern verwalteten Investment-KG einen Beirat einsetzten, obwohl ein\nsolcher bei der KVG gemäß § 18 KAGB obligatorisch sei. Eine für die analoge\nAnwendung erforderliche vergleichbare Interessenlage liege vor. Es entspreche\nden Interessen der Anleger, dass sich die Zusammensetzung des Beirats nach den\ngleichen Maßstäben richte, wie bei der intern verwalteten Investment-KG. Auch\nder fakultative Beirat bei der extern verwalteten Investment-KG übe eine auf\ndas Interesse der Anleger ausgerichtete Kontrollfunktion aus. Zwar erstrecke\nsich diese im Vergleich zur intern verwalteten Investment-KG wegen der\nÜbertragung der Verwaltung auf die KVG nicht auf alle Tätigkeitsbereiche der\nFondsgesellschaft. Im Kern sei die Kontrollfunktion des Beirats aber auch bei\nder extern verwalteten Investment-KG darauf gerichtet, dass insbesondere die\nGeschäftsführung der Fondsgesellschaft die Anlegerinteressen beachte. Die\nKontrollfunktion des Beirats komme in der Regelung des § 20 Abs. 1 des\nGesellschaftsvertrags (im Folgenden: GesV) zum Ausdruck, wonach der Beirat\n„zur Überwachung, Beratung und Unterstützung“ eingesetzt werde. Diene der\nBeirat der Kontrolle der Fondsgesellschaft, habe er auch bei externer\nVerwaltung der Fondsgesellschaft aus Mitgliedern zu bestehen, die wegen ihrer\nPersönlichkeit und Sachkunde Gewähr dafür böten, dass die Interessen der\nAnleger gewahrt würden. Dass die Kontrollfunktion des Beirats nur bei\nbesonderen persönlichen Anforderungen zu gewährleisten sei, bringe § 153 Abs.\n3 S. 3 KAGB im Besonderen zum Ausdruck. Wenn bei der extern verwalteten\nInvestment-KG ein Beirat mit Kontrollfunktionen eingesetzt werde, müsse wie\nbei der intern verwalteten Investment-KG oder der externen KVG der Beirat in\nder Lage sein, die Interessen der Anleger zu wahren. Ob die Wahl einer\njuristischen Person als Beirätin der Beklagten mit den Regelungen des\nGesellschaftsvertrags im Einklang stehe, könne offenbleiben. Wenn die\nVorschriften der § 153 Abs. 3 S. 2, § 18 Abs. 2 S. 4 KAGB, § 100 Abs. 1 S. 1\nAktG entsprechend anzuwenden seien, könnten sich die Gesellschafter im\nGesellschaftsvertrag nicht abweichend darauf verständigen, dass der Beirat mit\neiner juristischen Person besetzt werden könne. Gegen dieses Ergebnis spreche\nnicht, dass die Gesellschafterstellung bei der Beklagten juristischen Personen\noffenstehe. Die Mitgliedschaft in der Fondsgesellschaft qualifiziere nicht\nohne Weiteres zur Mitgliedschaft in einem Beirat. Die Ungleichbehandlung der\nGesellschafter hinsichtlich der Möglichkeit, Beiratsmitglied zu werden, sei\nvom Gesetzgeber vorgesehen und deshalb gerechtfertigt. Im Übrigen stehe es der\njuristischen Person offen, eine natürliche Person ihres Vertrauens zur Wahl\nals Beiratsmitglied vorzuschlagen. \n--- \n| 4 \n--- \n| Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsantrag\nvollumfänglich weiter. Das Landgericht habe materielles und prozessuales Recht\nfehlerhaft angewandt. Im Ausgangspunkt habe es zutreffend festgestellt, dass\nnach § 153 Abs. 3 S. 1 KAGB lediglich eine intern verwaltete\nInvestmentkommanditgesellschaft einen Beirat zu bilden habe, und dass es für\neine extern verwaltete Investmentkommanditgesellschaft an einer vergleichbaren\nRegelung fehle. Die extern verwaltete Investment-KG sei eine klassische HGB-KG\nmit delegierter zivilrechtlicher Geschäftsbesorgung und Geschäftsführung. Der\nGesetzgeber des KAGB habe bewusst und mit gutem Grund den Anwendungsbereich\ndes § 153 Abs. 3 S. 1 KAGB auf intern verwaltete Investment-KGs beschränkt.\nDass der Gesetzgeber bewusst sprachlich klar und differenziert gehandelt habe,\nergebe der Blick auf § 153 Abs. 1 KAGB, der nicht zwischen intern und extern\nverwalteten Investment-KG unterscheide. Die Interessenlage bei der extern\nverwalteten Investment-KG sei mit derjenigen bei der intern verwalteten auch\nnicht vergleichbar. Wegen der Vielzahl an zivil- und aufsichtsrechtlichen\nPflichten und der damit einhergehenden Kosten seien in der Praxis nur große\nVermögen intern verwaltete Investment-KGs. Publikumsinvestment-KGs, wie die\nvorliegende, hätten ihre wesentlichen Aufgaben an externe Dienstleister\nausgelagert. Die Kommanditgesellschaft und ihr Beirat sollten mit der\nGesamtheit der Gesellschafter auch die Möglichkeit haben, über die Kündigung\nund den Neuabschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrags mit einer anderen KVG\nzu entscheiden. Für die weitere Begründung wird auf den\nBerufungsbegründungsschriftsatz vom 16.01.2020 (GA 140 ff.) Bezug genommen. \n--- \n| 5 \n--- \n| **Die Klägerin beantragt:** \n--- \n| 6 \n--- \n| **Das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 16.09.2019, Az. 20 O 71/18, wird\naufgehoben und abgeändert wie folgt:** \n--- \n| 7 \n--- \n| **Es wird festgestellt, dass die X AG aus LI- Vaduz zum Anlegerbeirat der Y\nGmbH & Co. geschlossene Investment KG aus ... gewählt wurde.** \n--- \n| 8 \n--- \n| **Hilfsweise:** \n--- \n| 9 \n--- \n| **Das angefochtene Urteil des Landgerichts Tübingen vom 16.09.2019, Az. 20 O\n71/18, wird aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung\nan das Landgericht Tübingen zurückverwiesen.** \n--- \n| 10 \n--- \n| **Die Beklagte beantragt,** \n--- \n| 11 \n--- \n| **die Berufung zurückzuweisen.** \n--- \n| 12 \n--- \n| Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Wegen ihres weiteren\nVortrags wird auf die Berufungserwiderung vom 24.04.2020 (GA 165 ff.)\nverwiesen. \n--- \nII. \n--- \n| 13 \n--- \n| Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Die Klage ist zulässig und begründet. \n--- \n| 14 \n--- \n| 1\\. Die Feststellungsklage betreffend die Mitgliedschaft der Klägerin im\nAnlegerbeirat der Beklagten ist zulässig. \n--- \n| 15 \n--- \n| a) Bei der Mitgliedschaft der Klägerin im Anlegerbeirat der Beklagten\nhandelt es sich um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von §\n256 Abs. 1 ZPO. \n--- \n| 16 \n--- \n| Ein Rechtsverhältnis ist die aus einem konkreten Lebenssachverhalt\nresultierende Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder Sache, die\nein subjektives Recht enthält oder aus der ein solches Recht entspringen kann.\nNur das Rechtsverhältnis selbst kann Gegenstand der Feststellung sein, nicht\nbloße Vorfragen, wohl aber einzelne auf einem umfassenderen Rechtsverhältnis\nberuhende Rechte oder Pflichten (BGH, Urt. v. 09.05.2019, VII ZR 154/18, Rn.\n26, juris; BGH, Urt. v. 22.01.2015, VII ZR 353/12, Rn. 17 m.w.N., juris). \n--- \n| 17 \n--- \n| Die Mitgliedschaft der Klägerin im Anlegerbeirat der Beklagten berechtigte\nsie zur Mitwirkung in diesem Gremium, dessen Funktion in der Überwachung,\nBeratung und Unterstützung der Beklagten besteht (§ 20 Abs. 1 GesV). Sie\nbegründet ein subjektives Recht der Klägerin, so dass ein feststellungsfähiges\nRechtsverhältnis gegeben ist. Auf die Gesellschafterstellung der Klägerin\nkommt es hierfür nicht an. Nachdem die Mitgliedschaft der Klägerin im\nAnlegerbeirat der Beklagten davon abhängt, ob sie wirksam gewählt wurde, ist\nmittelbar auch die Wirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses vom 19.06.2018\nGegenstand des Feststellungsantrags. \n--- \n| 18 \n--- \n| b) Die Klägerin hat ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung des\nBestehens des Rechtsverhältnisses. \n--- \n| 19 \n--- \n| Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein rechtliches\nInteresse an einer alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens\neines Rechtsverhältnisses gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtsposition des\nKlägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und das erstrebte\nUrteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Eine solche Gefährdung liegt\nim Fall der positiven Feststellungsklage in der Regel schon darin, dass der\nBeklagte das Recht des Klägers ernstlich bestreitet (BGH, Urt. v. 25.04.2018,\nVIII ZR 176/17, Rn. 18, juris; BGH, Urt. v. 25.07.2017, II ZR 235/15, Rn. 16,\njuris). \n--- \n| 20 \n--- \n| Nachdem die Beklagte die Mitgliedschaft der Klägerin in ihrem Anlegerbeirat\nernstlich bestreitet, ist ein Feststellungsinteresse der Klägerin zu bejahen. \n--- \n| 21 \n--- \n| c) Die Klägerin hat die Klage zu Recht gegen die Beklagte gerichtet, da\ndiese ihre Mitgliedschaft in dem Anlegerbeirat bestreitet. Dafür, dass die\nBeklagte die richtige Klagegegnerin ist, spricht ferner § 25 Abs. 7 GesV.\nDanach sind fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse durch Klage gegen die\nGesellschaft anzufechten. \n--- \n| 22 \n--- \n| 2\\. Die Klage ist auch begründet. \n--- \n| 23 \n--- \n| a) Der Wirksamkeit der Wahl der Klägerin zum Anlegerbeirat stehen § 153 Abs.\n3 S. 2, § 18 Abs. 2 S. 4 KAGB, § 100 Abs. 1 S. 1 AktG, nach denen nur\nnatürliche Personen als Mitglieder des Aufsichtsrats oder Beirats in Betracht\nkommen, nicht entgegen. Denn § 153 Abs. 3 KAGB gilt nur für die intern\nverwaltete geschlossene Publikums-Investmentkommanditgesellschaft (im\nFolgenden auch: [Publikums-]InvKG). Auf die extern verwaltete InvKG ist die\nVorschrift weder unmittelbar noch analog anwendbar. Der unmittelbaren\nAnwendung der Vorschrift auf die extern verwaltete InvKG steht der klare\nWortlaut entgegen. Für eine Analogie fehlt es an der erforderlichen\nplanwidrigen Regelungslücke. \n--- \n| 24 \n--- \n| Eine Analogie setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke\naufweist und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit\nmit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass\nangenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei\nder er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem\nErlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen\nAbwägungsergebnis gekommen (BGH, Vers.urt. v. 19.11.2019, II ZR 233/18, Rn. 19\nm.w.N., juris; BGH, Urt. v. 03.02.2015, II ZR 105/13, Rn. 11, juris). \n--- \n| 25 \n--- \n| In Bezug auf den Beirat einer extern verwalteten InvKG und die an eine\nMitgliedschaft in diesem Beirat zu stellenden persönlichen Anforderungen hat\nder Gesetzgeber ein Regelungsbedürfnis nicht gesehen. Es fehlt damit bereits\nan einer planwidrigen Regelungslücke. Die Argumentation des Landgerichts, das\neine planwidrige Regelungslücke bejaht, obwohl es erkennt, dass der\nGesetzgeber in Bezug auf die extern verwaltete InvKG kein Regelungsbedürfnis\ngesehen hat (LGU S. 8), ist nicht tragfähig. \n--- \n| 26 \n--- \n| Die Verwaltung erfolgt bei der extern verwalteten InvKG durch eine externe\nKapitalverwaltungsgesellschaft (im Folgenden auch: KVG), bei der gemäß § 18\nAbs. 2 KAGB ein Aufsichtsrat oder Beirat zu bilden ist. Die externe KVG wird\nvon dem Investmentvermögen oder im Namen des Investmentvermögens bestellt und\nist auf Grund dieser Bestellung für die Verwaltung des Investmentvermögens\nverantwortlich (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 KAGB). Bei der Einführung von § 153 Abs. 3\nKAGB hat sich der Gesetzgeber hierauf bezogen (vgl. Begr. RegE v. 06.02.2013\nzu § 153 Abs. 3 KAGB, BT-Drs. 17/12294, S. 251). Mit der Regelung sollte die\nintern verwaltete, geschlossene Publikumsinvestment-KG aus Gründen des\nAnlegerschutzes der extern verwalteten, geschlossenen Publikumsinvestment-KG\ngleichgestellt werden (EBJS-_Paefgen_ , KAGB, 4. Aufl. 2020, § 153 Rn. 2,\nbeck-online). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber für die extern verwaltete\nInvKG kein Regelungsbedürfnis angenommen und die Einrichtung eines Beirats\ninsoweit jedenfalls nicht für zwingend hielt. \n--- \n| 27 \n--- \n| Ein zwingendes Bedürfnis für die Einrichtung eines solchen Gremiums, wie es\n§ 153 Abs. 3 KAGB voraussetzt, ist bei der extern verwalteten InvKG auch nicht\nerkennbar. Dem Anlegerschutz ist bereits durch den bei der KVG gemäß § 18 Abs.\n2 KAGB zu bestellenden Aufsichtsrat oder Beirat hinreichend Rechnung getragen.\nDie Einrichtung eines Beirats richtet sich bei der extern verwalteten InvKG\nnach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regeln (Emde/Dornseifer/Dreibus-\n_Schott_ , KAGB, 2. Aufl. 2019, § 153 Rn. 22, beck-online). Deren subsidiäre\nAnwendbarkeit auf geschlossene InvKG ergibt sich aus § 149 Abs. 1 KAGB. \n--- \n| 28 \n--- \n| b) Der bei der Beklagten in § 20 GesV vorgesehene Anlegerbeirat ist\nzulässig. \n--- \n| 29 \n--- \n| Die Einrichtung eines fakultativen Beirats wird bei Kommanditgesellschaften,\ninsbesondere Publikums-KG, zu denen auch extern verwaltete InvKG zählen,\nallgemein für zulässig erachtet (vgl. BGH, Urt. v. 22.10.1979, II ZR 151/77,\nWM 1979, 1425, Rn. 13, juris; Baumbach/Hopt-_Roth_ , HGB, 39. Aufl. 2020, Anh.\n§ 177a Rn. 31, beck-online; Reichert- _Reichert/Ullrich_ , GmbH & Co. KG, 7.\nAufl. 2015, § 19 Rn. 42). \n--- \n| 30 \n--- \n| c) Bei der extern verwalteten InvKG können nach zutreffender Ansicht\njuristische Personen als Mitglieder eines fakultativen Beirats jedenfalls dann\nbestellt werden, wenn die Satzung der Gesellschaft dies zulässt. \n--- \n| 31 \n--- \n| aa) Regelungen für einen fakultativen Aufsichtsrat/Beirat finden sich in §\n52 Abs. 1 GmbHG. Danach ist auf einen vom Gesellschaftsvertrag der GmbH\nvorgesehenen Aufsichtsrat insbesondere § 100 Abs. 1 AktG entsprechend\nanzuwenden, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist.\nNach § 100 Abs. 1 S. 1 AktG kann Mitglied des Aufsichtsrats nur eine\nnatürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. \n--- \n| 32 \n--- \n| Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung kommen als Mitglieder\nfakultativer Aufsichtsräte oder Beiräte nur natürliche, unbeschränkt\ngeschäftsfähige Personen in Betracht, ohne dass die Satzung hiervon abweichen\nkönne (Rowedder/Schmidt-Leithoff/_Schnorbus_ , GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 52 Rn.\n12, beck-online; Lutter/Hommelhoff-_Hommelhoff_ , GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 52\nRn. 11, juris; UHL-_Heermann_ , GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 52 Rn. 30; Scholz-\n_Schneider/Seyfarth_ , GmbHG, 12. Aufl. 2018, 2020, 11. Aufl. 2014, 2015, § 52\nRn. 215, juris; BeckOK-_Jaeger_ , GmbHG, 41. Ed. 01.11.2019, § 52 Rn. 8;\n_Lutter/Krieger/ Verse_ , Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl.\n2014, § 16 Rn. 1191, beck-online). Zur Begründung wird teilweise auf einen\nsich aus § 6 Abs. 2 S. 1 GmbHG, § 76 Abs. 3 S. 1 AktG ergebenden, generell\ngeltenden Grundsatz des Körperschaftsrechts verwiesen, wonach Organmitglieder\nnur natürliche Personen sein könnten (UHL-_Heermann_ , a.a.O., § 52 Rn. 30). \n--- \n| 33 \n--- \n| Nach der Gegenansicht kann die Satzung für den fakultativen Aufsichtsrat\noder Beirat erlauben, dass juristische Personen Mitglieder werden dürfen, die\ndann durch ihre gesetzlichen Vertreter handeln (MüKoGmbHG-_Spindler_ , 3.\nAufl. 2019, § 52 Rn. 135, beck-online; Baum- bach/Hueck-_Zöllner/Noack_ ,\nGmbHG, 22. Aufl. 2019, § 52 Rn. 34, beck-online; MHLS-_Giedinghagen_ , GmbHG,\n3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 56, beck-online; Reichert-_Reichert/Ullrich_ , a.a.O.,\n§ 19 Rn. 99; wohl auch BGH, Urt. v. 22.10.1984, II ZR 2/84, MDR 1985, 555, Rn.\n13, juris; das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehrend _Mutter_ , in: MHdB GesR\nII, 5. Aufl. 2019, § 8 Rn. 53, beck-online). \n--- \n| 34 \n--- \n| bb) Die erstgenannte Auffassung vermag jedenfalls für die\nKommanditgesellschaft nicht zu überzeugen. Denn die allgemein anerkannte\nRechtsform der GmbH & Co. KG zeigt, dass das Organ des Geschäftsführers von\neiner juristischen Person, insbesondere einer GmbH, vertreten durch ihre(n)\nGeschäftsführer, übernommen werden kann. Für geschlossene Investment-KG ergibt\nsich dies auch aus § 153 Abs. 1 S. 2 KAGB. Wenn eine juristische Person aber\nalleiniges Geschäftsführungsorgan einer KG sein kann, dann spricht das dafür,\ndass sie erst recht Mitglied des fakultativen Beirats der Gesellschaft sein\nkann. Denn die persönliche Verantwortlichkeit des Geschäftsführungsorgans ist\nmindestens genauso wichtig wie diejenige des Überwachungsorgans. Hinreichende\nGründe, die gegen die grundsätzliche Zulassung juristischer Personen als\nMitglieder des fakultativen Beirats einer KG sprechen könnten, sind nicht\nersichtlich. \n--- \n| 35 \n--- \n| Wenngleich die Aufgaben des Beirats bei der Beklagten formal denjenigen\neines Aufsichtsrats im Sinne von § 100 AktG ähneln, ist die Übertragung der an\nein Aufsichtsratsmitglied zu stellenden persönlichen Anforderungen auf die\nMitglieder des fakultativen Beirats einer extern verwalteten InvKG nicht\ngeboten. § 100 Abs. 1 S. 1 AktG bezweckt die persönliche Verantwortlichkeit\nund Amtswahrnehmung des Aufsichtsratsmitglieds (Spindler/Stilz-_Spindler_ ,\nAktG, 4. Aufl. 2019, § 100 Rn. 10, beck-online; vgl. auch Hüffer/Koch-_Koch_ ,\nAktG, 14. Aufl. 2020, § 100 Rn. 3, beck-online). Bei der extern verwalteten\nInvestment-KG wird der Kern der Geschäftsführungstätigkeit von einer externen\nKapitalverwaltungsgesellschaft, hier der A GmbH, wahrgenommen. Bei dieser\nschreiben § 18 Abs. 2 KAGB, § 100 Abs. 1 AktG einen aus natürlichen Personen\nbestehenden Beirat zwingend vor. Für die der extern verwalteten InvKG selbst\nverbleibenden Geschäftsführungsaufgaben ist die persönliche Verantwortlichkeit\nund Amtswahrnehmung der Beiratsmitglieder im Vergleich dazu von\nuntergeordneter Bedeutung. \n--- \n| 36 \n--- \n| Auch in anderen europäischen Rechtsordnungen können juristische Personen im\nÜbrigen Organmitglieder juristischer Personen sein (vgl. Art. 47 Abs. 1 S. 1\nSE-VO). \n--- \n| 37 \n--- \n| Die Frage, ob entsprechend dem sich aus § 52 Abs. 1 GmbHG, § 100 Abs. 1 S. 1\nAktG ergebenden Rechtsgedanken für die Zulassung juristischer Personen als\nBeiratsmitglieder eine entsprechende Satzungsregelung zu fordern ist (vgl. die\nvorgenannten Zitate zur Gegenansicht; a.A. _Mutter_ , in: MHdB GesR II, § 8\nRn. 53), kann vorliegend dahingestellt bleiben. \n--- \n| 38 \n--- \n| cc) Für die Zulassung juristischer Personen als Beiratsmitglieder ergeben\nsich aus der Satzung der Beklagten keine Anhaltspunkte. \n--- \n| 39 \n--- \n| Der Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft, wie der Beklagten, ist\nobjektiv auszulegen (vgl. BGH, Urt. v. 11.09.2018, II ZR 307/16, Rn. 17,\njuris; BGH, Urt. v. 11.01.2011, II ZR 187/09, Rn. 12, juris; BGH, Urt. v.\n19.03.2007, II ZR 73/06, Rn. 18, juris). \n--- \n| 40 \n--- \n| Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten enthält keine ausdrückliche Regelung\nüber die persönlichen Anforderungen an die Mitgliedschaft im Anlegerbeirat.\nNach § 20 Abs. 1 S. 2 GesV wird der Beirat „aus der Mitte der\nGesellschafterversammlung“ gewählt. Nachdem in der Gesellschafterversammlung\nnur natürliche Personen anwesend sein können, könnte dies gegen die\nWählbarkeit juristischer Personen sprechen. Andererseits kann die Formulierung\nauch im Sinne aller Gesellschafter verstanden werden, die in der\nGesellschafterversammlung entweder selbst anwesend oder vertreten sind (vgl. §\n22 Abs. 3 S. 1 GesV). In diesem Falle wären auch juristische Personen erfasst.\nDie Regelung des § 20 Abs. 1 S. 6 GesV, wonach Mitglieder des Anlegerbeirats\nnicht als Geschäfts-/ Vertriebspartner der ... Unternehmensgruppe tätig sein\nund keine Mehrfachstellung durch weitere Mandate als Anlegerbeirat innerhalb\nder ... Unternehmensgruppe innehaben sollen, ist in Bezug auf die Eignung\njuristischer Personen als Mitglieder des Anlegerbeirats ebenfalls nicht\naussagekräftig. \n--- \n| 41 \n--- \n| d) Der einstimmige Gesellschafterbeschluss, mit dem die Klägerin als\nAnlegerbeirat der Beklagten bestellt wurde, steht einer Zulassung juristischer\nPersonen als Anlegerbeirat im Gesellschaftsvertrag gleich. Denn mit der für\nÄnderungen des Gesellschaftsvertrags erforderlichen Mehrheit können sich die\nGesellschafter über (fehlende) gesellschaftsvertragliche Regelungen\nhinwegsetzen (vgl. BGH, Urt. v. 01.12.1969, II ZR 224/67, Rn. 39, 41, juris).\nDas für Änderungen des Gesellschaftsvertrags erforderliche Quorum von 75 % der\nabgegebenen Stimmen (§ 24 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 GesV) ist vorliegend nicht nur\nerreicht, sondern mit der erzielten Einstimmigkeit sogar überschritten.\nNachdem die gesellschaftsvertragliche Regelung auf die abgegebenen Stimmen\nabstellt, kommt es nicht darauf an, ob die Gesellschafter in der\nGesellschafterversammlung vollständig vertreten waren. \n--- \n| 42 \n--- \n| e) Da die Wahl juristischer Personen als Mitglieder in den fakultativen\nBeirat einer extern verwalteten Investment-KG nicht gegen zwingende\ngesetzliche Vorschriften verstößt, ist die Wahl nicht nichtig. Die Beklagte\nkann sich auch deshalb nicht auf die Unwirksamkeit der Wahl der Klägerin zum\nAnlegerbeirat berufen, da der Gesellschafterbeschluss vom 19.06.2018 nicht\n(fristgemäß) angefochten wurde. \n--- \n| 43 \n--- \n| Fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse sind bei Personengesellschaften\ngrundsätzlich nichtig (vgl. Baumbach/Hopt-_Roth_ , HGB 39. Aufl. 2020, § 119\nRn. 31, beck-online; _Lutz_ , Gesellschafterstreit, 5. Aufl. 2017, Rn. 608).\nWenn der Gesellschaftsvertrag aber das kapitalgesellschaftsrechtliche\nKlagesystem übernommen hat, muss innerhalb der gesellschaftsvertraglich\nbestimmten Frist, die nicht kürzer als ein Monat sein darf (§ 246 Abs. 1\nAktG), Klage erhoben werden (vgl. Baumbach/Hopt-_Roth_ , a.a.O., § 119 Rn.\n32). \n--- \n| 44 \n--- \n| Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten hat in § 25 Abs. 7 GesV das\nkapitalgesellschaftsrechtliche Klagesystem übernommen. Der\nGesellschafterbeschluss hätte deshalb innerhalb der von § 25 Abs. 7 GesV\nbestimmten einmonatigen Klagefrist angefochten werden müssen. \n--- \n| 45 \n--- \n| f) Ihre in der Berufungserwiderung vertretene Auffassung, es handele sich\nbei ihr um einen „Altfonds“, hat die Beklagte nicht näher begründet.\nInsbesondere hat sie ein vor dem Datum der Unterzeichnung des\nGesellschaftsvertrags am 21.04.2015 (Anlage K4, GA 21 ff.) liegendes\nGründungsdatum nicht dargelegt. Dafür, dass die Beklagte den Vorschriften des\nKAGB nicht unterliegt, bestehen unter Berücksichtigung des Vortrags der\nParteien keine hinreichenden Anhaltspunkte. \n--- \n| 46 \n--- \n| 3\\. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Ausspruch\nüber die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in § 708 Nr.\n10, § 711, § 709 S. 2 ZPO. \n--- \n| 47 \n--- \n| 4\\. Die Revision war nicht zuzulassen. Insbesondere die Voraussetzungen der\nRevisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 543 Abs. 2 S.\n1 Nr. 1 ZPO) oder zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1\nZPO) liegen nicht vor. \n--- \n| 48 \n--- \n| a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache, wenn sie eine\nentscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage\naufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann.\nKlärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage insbesondere dann, wenn sie vom\nBundesgerichtshof bisher nicht entschieden worden ist und von einigen\nOberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn dazu in der\nLiteratur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (BGH, Beschl. v.\n26.09.2018, XII ZA 10/18, Rn. 3, juris; vgl. auch BGH, Beschl. v. 21.11.2017,\nVIII ZR 28/17, Rn. 6, juris). \n--- \n| 49 \n--- \n| Die Frage, ob juristische Personen die an Mitglieder des fakultativen\nBeirats einer extern verwalteten InvKG zu stellenden persönlichen\nAnforderungen erfüllen, ist vorliegend entscheidungserheblich und auch\nklärungsfähig. Sie ist aber derzeit nicht klärungsbedürftig, da sie in der\nobergerichtlichen Rechtsprechung bislang nicht entschieden wurde und in der\nLiteratur nicht unmittelbar diskutiert wird. Für die Auslegung des nicht\nunmittelbar anwendbaren § 52 Abs. 1 GmbHG ist die Entscheidung allenfalls\nmittelbar relevant. \n--- \n| 50 \n--- \n| b) Zur Fortbildung des Rechts ist die Revision zuzulassen, wenn der\nEinzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von\nGesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen\noder Gesetzeslücken auszufüllen (vgl. Musielak/Voit-_Ball_ , ZPO, 17. Aufl.\n2020, § 543 Rn. 7, beck-online). Dafür, dass die aufgeworfene Rechtsfrage über\nden Einzelfall hinaus relevant ist, liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte\nvor. Dagegen spricht, dass die konkrete Rechtsfrage weder in der\nRechtsprechung noch in der Literatur erörtert wird. Für die Aufstellung von\nLeitsätzen besteht daher keine Veranlassung. Auch eine Gesetzeslücke liegt\nnicht vor. \n---\n\n
330,129
ovgnrw-2020-07-28-13-b-67520ne
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
13 B 675/20.NE
2020-07-28
2020-08-01 10:01:24
2020-12-10 13:36:42
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2020:0728.13B675.20NE.00
## Tenor\n\nDer Antrag wird abgelehnt.\n\nDer Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.\n\nDer Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.\n\n \n\n# Gründe:\n\n1\n\nDer in einer nordrhein-westfälischen Gemeinde wohnende Antragsteller wendet\nsich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die im Zuge der\nBekämpfung der Corona-Pandemie verordnete Verpflichtung, in bestimmten\nsozialen Situationen eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen.\n\n2\n\n§ 2 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-\nCoV-2 (Coronaschutzverordnung - CoronaSchVO) vom 1. Juli 2020 (GV. NRW. S.\n456b), zuletzt geändert durch Verordnung vom 13. Juli 2020 (GV. NRW. S. 698),\nlautet wie folgt:\n\n3\n\n§ 2Abstandsgebot, Mund-Nase-Bedeckung\n\n4\n\n(1) Außerhalb der nach § 1 zulässigen Gruppen ist im öffentlichen Raum zu\nallen anderen Personen grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 Metern\neinzuhalten, soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.\n\n5\n\n(2) Wenn die Einhaltung des Mindestabstands aus medizinischen, rechtlichen,\nethischen oder baulichen Gründen nicht möglich ist, wird das Tragen einer\ntextilen Mund-Nase-Bedeckung (zum Beispiel Alltagsmaske, Schal, Tuch)\nempfohlen. Die vorstehenden Regelungen gelten nicht, wenn Einsatzsituationen\nvon Sicherheitsbehörden, Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz eine\nUnterschreitung des Mindestabstands erforderlich machen.\n\n6\n\n(3) Inhaber, Leiter und Beschäftigte sowie Kunden, Nutzer und Patienten sind\nzum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung im Sinne von Absatz 2 Satz 1 verpflichtet\n\n7\n\n1\\. in geschlossenen Räumlichkeiten bei Konzerten und Aufführungen außer am\nSitzplatz,\n\n8\n\n1a. in geschlossenen Räumlichkeiten von sonstigen Veranstaltungen und\nVersammlungen nach § 13 Absatz 1 und 2,\n\n9\n\n1b. in geschlossenen Räumlichkeiten von Museen, Ausstellungen, Galerien,\nSchlössern, Burgen, Gedenkstätten und ähnlichen Einrichtungen,\n\n10\n\n2\\. in geschlossenen Räumlichkeiten von Tierparks, Zoologischen und\nBotanischen Gärten sowie von Garten- und Landschaftsparks,\n\n11\n\n2a. in Innenbereichen von Ausflugsschiffen, Kutschen, historischen Eisenbahnen\nund ähnlichen Einrichtungen,\n\n12\n\n3\\. beim praktischen Fahrunterricht und der Fahrprüfung,\n\n13\n\n4\\. in Verkaufsstellen und Handelsgeschäften, auf Wochenmärkten, auf\nsämtlichen Allgemeinflächen von Einkaufszentren, „Shopping Malls“, „Factory\nOutlets“ und vergleichbaren Einrichtungen sowie in Wettvermittlungsstellen,\n\n14\n\n5\\. auf Messen und Kongressen außer am Sitzplatz,\n\n15\n\n6\\. in sämtlichen Verkaufs- und Ausstellungsräumen von Handwerkern und\nDienstleistern sowie bei der Erbringung und Inanspruchnahme von Handwerks- und\nDienstleistungen, die ohne Einhaltung eines Sicherheitsabstands von 1,5 Metern\nzum Kunden erbracht werden,\n\n16\n\n7\\. in geschlossenen Räumlichkeiten von gastronomischen Einrichtungen außer am\nSitzplatz,\n\n17\n\n8\\. in Arztpraxen und ähnlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens,\n\n18\n\n9\\. bei der Nutzung von Beförderungsleistungen des Personenverkehrs und seiner\nEinrichtungen sowie\n\n19\n\n10\\. in Warteschlangen vor den vorgenannten Einrichtungen.\n\n20\n\nDies gilt nicht für Kinder bis zum Schuleintritt und Personen, die aus\nmedizinischen Gründen keine Mund-Nase-Bedeckung tragen können. Die\nVerpflichtung nach Satz 1 kann für Inhaber, Leiter und Beschäftigte durch\ngleich wirksame Schutzmaßnahmen (Abtrennung des Arbeitsplatzes durch Glas,\nPlexiglas o.ä.), hilfsweise - falls das dauerhafte Tragen einer textilen Mund-\nNase-Bedeckung zu Beeinträchtigungen führt – durch das Tragen eines das\nGesicht vollständig bedeckenden Visiers ersetzt werden. Die Mund-Nase-\nBedeckung kann vorübergehend abgelegt werden, wenn das zur Ermöglichung einer\nDienstleistung oder ärztlichen Behandlung oder aus anderen Gründen (z.B.\nKommunikation mit einem gehörlosen oder schwerhörigen Menschen, zur Einnahme\nvon Speisen und Getränken in Zügen des Personenverkehrs) zwingend erforderlich\nist. Personen, die eine Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung\nnicht beachten, sind von der Nutzung der betroffenen Angebote, Einrichtungen\nund Dienstleistungen durch die für das Angebot, die Einrichtung oder\nDienstleistung verantwortlichen Personen auszuschließen.\n\n21\n\n(4) Die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Absatz 1 des\nInfektionsschutzgesetzes zuständigen Behörden können für bestimmte Bereiche\ndes öffentlichen Raums, in denen das Abstandsgebot nicht sicher eingehalten\nwerden kann, aufgrund örtlicher Erfordernisse (räumliche Situation, lokales\nInfektionsgeschehen usw.) die Geltung der vorstehenden Regelungen zusätzlich\nanordnen.\n\n22\n\nDer Antragsteller hat am 29. April 2020 einen Antrag auf Erlass einer\nnormbezogenen einstweiligen Anordnung gestellt.\n\n23\n\nZur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Für die Verpflichtung zum\nTragen einer Mund-Nase-Bedeckung fehle es bereits an einer\nErmächtigungsgrundlage, weil die infektionsschutzrechtliche Generalklausel nur\nden Erlass von Schutzmaßnahmen gegenüber sog. Störern erlaube. Die Maßnahme\nsei auch unverhältnismäßig. Alltagsmasken seien ungeeignet,\nAnsteckungsgefahren zu minimieren oder auszuschließen, da sie die Viren\nhustender Menschen nicht aufhalten könnten. Auch sei zu befürchten, dass die\nMaske dazu führe, dass Abstände nicht mehr eingehalten würden, sie nicht\nrichtig getragen werde oder durch eine fehlerhafte Anwendung das eigene\nInfektionsrisiko steige. Gesundheitsgefahren entstünden auch dadurch, dass die\nauf dem Markt angebotenen Masken mit Chemikalien belastet seien. Überdies\nbeschränke die Mund-Nase-Bedeckung die soziale Interaktion erheblich.\n\n24\n\nDer Antragsteller beantragt sinngemäß,\n\n25\n\nim Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug von § 2 Abs. 3 Satz 1\nCoronaSchVO bis zu einer Entscheidung über einen noch zu erhebenden\nNormenkontrollantrag auszusetzen.\n\n26\n\nDer Antragsgegner verteidigt die angegriffene Regelung und beantragt,\n\n27\n\nden Antrag abzulehnen.\n\n28\n\nII.\n\n29\n\nDer Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - der sich nach\nverständiger Würdigung des Antragsvorbringens gegen die aktuelle Fassung der\nCoronaschutzverordnung richtet - hat keinen Erfolg. Der gemäß § 47 Abs. 6,\nAbs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 109a JustG NRW statthafte und auch im Übrigen\nzulässige Antrag ist unbegründet. Die vom Antragsteller begehrte einstweilige\nAnordnung ist nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen\nGründen dringend geboten (§ 47 Abs. 6 VwGO). Ein - noch zu erhebender -\nNormenkontrollantrag in der Hauptsache bliebe voraussichtlich ohne Erfolg,\nweil sich der angegriffene § 2 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO bei einer wegen der\nEilbedürftigkeit der Entscheidung nur möglichen summarischen Prüfung\nvoraussichtlich als rechtmäßig erweist (1.). Auch unter Berücksichtigung\netwaig verbleibender Unsicherheiten bei der rechtlichen Bewertung erscheint\neine Außervollzugssetzung der streitgegenständlichen Norm nicht dringend\ngeboten (2.).\n\n30\n\nVgl. zu den Entscheidungsmaßstäben BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2015 ‑ 4\nVR 5.14 ‑, juris, Rn. 12; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. April 2019 ‑ 13 B\n398/20.NE ‑, juris, Rn. 32, und vom 26. August 2019 - 4 B 1019/19.NE ‑, juris,\nRn. 12; Nds. OVG, Beschluss vom 17. Februar 2020 ‑ 2 MN 379/19 ‑, juris, Rn.\n24, m. w. N.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395.\n\n31\n\n1\\. Rechtsgrundlage für § 2 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO ist § 32 Satz 1 und 2 i.\nV. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020\n(BGBl. I 587). Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt,\nunter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG\nmaßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote\nzur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen\nkönnen gemäß § 32 Satz 2 IfSG die Ermächtigung zum Erlass von\nRechtsverordnungen nach Satz 1 der Vorschrift durch Rechtsverordnung auf\nandere Stellen übertragen. Werden Kranke, Krankheitsverdächtige,\nAnsteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass\nein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft\ndie zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG die notwendigen\nSchutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit\nund solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten\nerforderlich ist.\n\n32\n\na. § 2 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO findet in § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1\nSatz 1 Halbsatz 1 IfSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage. Der Senat hat\nbereits mit Beschluss vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris,\n\n33\n\nvgl. ferner Senatsbeschlüsse vom 15. April 2020- 13 B 440/20.NE -, juris, Rn.\n46, sowie vom 16. April 2020 - 13 B 452/20.NE -, juris, Rn. 33 ff., und - 13 B\n471/20.NE -, juris, Rn. 34 ff.,\n\n34\n\nauf den er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, entschieden, dass\ndie Verordnungsermächtigung hinsichtlich der Regelungen der\nCoronaschutzverordnung voraussichtlich den verfassungsrechtlichen\nBestimmtheitsanforderungen genügt (juris, Rn. 37 ff.) und etwaige\nverfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes\njedenfalls im vorliegenden Pandemiefall nicht durchgreifen (juris, Rn. 50\nff.).\n\n35\n\nb. An der formellen Rechtmäßigkeit des § 2 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO bestehen\nkeine Bedenken. Die Verpflichtung, in bestimmten sozialen Situationen eine\nMund-Nase-Bedeckung zu tragen, erweist sich voraussichtlich auch als materiell\nrechtmäßig.\n\n36\n\naa. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die durch Rechtsverordnung\nnormierte streitgegenständliche Regelung nach § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1\nSatz 1 Halbsatz 1 IfSG liegen voraussichtlich vor.\n\n37\n\nVgl. dazu bereits Senatsbeschlüsse vom 30. April 2020 - 13 B 539/20.NE -,\njuris, Rn. 23 ff., und vom 19. Mai 2020 - 13 B 557/20.NE -, juris, Rn. 51 ff.\n\n38\n\nFür die Anordnung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen ist es nach § 28 Abs.\n1 Satz 1 IfSG erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine übertragbare\nKrankheit aufgetreten ist, deren Weiterverbreitung verhindert werden soll. Das\nist vorliegend der Fall, da in allen Bundesländern der Bundesrepublik\nDeutschland, auch in Nordrhein-Westfalen, eine Vielzahl von Infektionsfällen\nmit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 bestätigt wurden.\n\n39\n\nVgl. Robert Koch-Institut, COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit,\nabrufbar unter:\nhttps://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html,\nStand: 28. Juli 2020, vgl. auch Dashboard der Landesregierung Nordrhein-\nWestfalen zur Corona-Pandemie, abrufbar unter:\nhttps://www.giscloud.nrw.de/corona-dashboard.html.\n\n40\n\nEs bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken gegen die Bestimmtheit der\nRegelung. Der Begriff der textilen Mund-Nase-Bedeckung, der durch die in § 2\nAbs. 2 Satz 1 CoronaSchVO benannten Beispiele Alltagsmaske, Schal und Tuch\nkonkretisiert wird, erfasst jede Form einer textilen Barriere, und zwar\nunabhängig von einer Kennzeichnung oder zertifizierten Schutzkategorie.\n\n41\n\nDie in § 2 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO normierte Verpflichtung, unter bestimmten\nBedingungen eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, stellt auch eine\nSchutzmaßnahme i. S. d. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dar.\n\n42\n\nVgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2020 - 13 B 539/20.NE -, juris, Rn. 25 ff.\n\n43\n\nbb. Es spricht weiter Überwiegendes dafür, dass der Verordnungsgeber auf der\nRechtsfolgenseite von dem ihm zukommenden Verordnungsermessen in rechtmäßiger\nWeise Gebrauch gemacht hat, soweit er unter den in § 2 Abs. 3 CoronaSchVO\nkonkretisierten Voraussetzungen zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung\nverpflichtet.\n\n44\n\n(1) Unzweifelhaft können Schutzmaßnahmen nicht nur gegenüber Kranken,\nKrankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern (sog.\n„Störer“) erlassen werden, sondern auch gegenüber der Allgemeinheit oder\n(sonstigen) Dritten (sog. „Nichtstörer“), wenn ein Tätigwerden allein\ngegenüber „Störern“ eine effektive Gefahrenabwehr nicht gewährleistet,\nbeispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen.\n\n45\n\nVgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, juris, Rn. 26, unter\nHinweis auf BT-Drs. 8/2468, S. 27; Senatsbeschlüsse vom 6. April 2020 - 13 B\n398/20.NE -, juris, Rn. 70, sowie vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -,\njuris, Rn. 82 ff.; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 23. März 2020 - OVG 11 S\n12/20 -, juris, Rn. 8; Nds. OVG, Beschluss vom 29. Mai 2020 - 13 MN 185/20 -,\njuris, Rn. 24.\n\n46\n\nSo verhält es sich hier schon deshalb, weil aus tatsächlichen Gründen vielfach\ngar nicht klar ist, ob eine Person „Störer“ oder „Nichtstörer“ ist. Nach\naktuellem Erkenntnisstand kann nämlich eine Übertragung des Virus durch eine\ninfizierte Person schon bis zu drei Tage vor Symptombeginn oder auch bei einem\nasymptomatischen Verlauf der Erkrankung, den der Betroffene selbst gar nicht\nwahrgenommen hat, stattfinden. Es reicht mithin nicht aus, im Zusammenhang mit\nbevölkerungsbezogenen Maßnahmen, die darauf abzielen, infektionsrelevante\nsoziale Kontakte zu unterbinden oder zumindest zu beschränken, allein „Störer“\nin die Pflicht zu nehmen.\n\n47\n\nVgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2020 - 13 B 539/20.NE -, juris, Rn. 30 f.;\nRixen, Gesundheitsschutz in der Coronavirus-Krise - Die (Neu-) Regelungen des\nInfektionsschutzgesetzes, in: NJW 2020, 1097 (1101).\n\n48\n\n(2) Auch Art und Umfang der hier in Rede stehenden Verpflichtung sind nicht\nerkennbar ermessensfehlerhaft. § 2 Abs. 3 CoronaSchVO genügt voraussichtlich\ndem in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zum Ausdruck kommenden Gebot strikter\nVerhältnismäßigkeit.\n\n49\n\nDie Verpflichtung, in bestimmten sozialen Situationen eine Mund-Nase-Bedeckung\nzu tragen, dient dem legitimen Zweck, die Weiterverbreitung des SARS-\nCoV-2-Virus einzudämmen. Der Verordnungsgeber darf noch immer davon ausgehen,\ndass die Corona-Pandemie eine ernstzunehmende Gefahrensituation begründet, die\nstaatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die\nSchutzpflicht des Staates für Leib und Gesundheit der Bevölkerung weiterhin\ngebietet.\n\n50\n\nVgl. zu dieser Schutzpflicht BVerfG, Urteil vom 28. Januar 1992 - 1 BvR\n1025/82 u. a. -, juris, Rn. 69, m. w. N.\n\n51\n\nAuch wenn sich das Infektionsgeschehen aufgrund der ergriffenen Maßnahmen in\nletzter Zeit verlangsamt hat und insbesondere die Anzahl der festgestellten\nNeuinfektionen rückläufig ist, besteht die Gefahr der Verbreitung der\nInfektion und daran anknüpfend einer Überlastung des Gesundheitswesens mit\ngravierenden Folgen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung fort. Nach\nden maßgeblichen Feststellungen des Robert Koch-Instituts handelt es sich\nimmer noch um eine sehr dynamische Situation. Die Gefährdung für die\nBevölkerung wird deshalb nach wie vor als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen\nsogar als sehr hoch. Dabei variiert die Gefährdung von Region zu Region. Die\nBelastung für das Gesundheitswesen hängt maßgeblich von der regionalen\nVerbreitung der Infektion, den vorhandenen Behandlungskapazitäten und den\neingeleiteten Gegenmaßnahmen wie Isolierung, Quarantäne und physischer\nDistanzierung ab. Sie ist aktuell in weiten Teilen Deutschlands gering, kann\naber örtlich hoch sein.\n\n52\n\nVgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-\nKrankheit-2019 (COVID-19), Aktualisierter Stand für Deutschland, abrufbar\nunter:\nhttps://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html,\nStand: 27. Juli 2020.\n\n53\n\nAngesichts dessen ist es nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber die\nseit dem sogenannten Shutdown zugelassenen Lockerungen schrittweise und unter\nBeachtung der weiteren Entwicklung des Infektionsgeschehens vollzieht, um die\nerrungenen Erfolge - mit nicht absehbaren wirtschaftlichen und sozialen Folgen\n- nicht wieder zu verspielen.\n\n54\n\nVgl. dazu die Pressemitteilung der Landesregierung vom 6. Mai 2020,\nMinisterpräsident Armin Laschet stellt Nordrhein-Westfalen-Plan vor, abrufbar\nunter: https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/ministerpraesident-armin-\nlaschet-stellt-nordrhein-westfalen-plan -vor.\n\n55\n\nDabei ist ihm wegen der Fragilität der Lage und wegen der fortbestehenden\ntatsächlichen Ungewissheiten nach wie vor eine Einschätzungsprärogative im\nHinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen, soweit und solange sich nicht\nandere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend\ndarstellen.\n\n56\n\nSo im Einzelnen z. B. bereits die Senatsbeschlüsse vom 29. April 2020 - 13 B\n512/20.NE -, juris, Rn. 44 ff., und vom 19. Mai 2020 - 13 B 557/20.NE -,\njuris, Rn. 71 ff.; siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. Mai 2020 - 1 BvR\n1021/20 -, juris, Rn. 10; VerfGH Saarl., Beschluss vom 28. April 2020 - Lv\n7/20 -, juris, Rn. 32.\n\n57\n\nNach dieser Maßgabe dürfte sich die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-\nBedeckung als geeignet zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks erweisen, die\nAnsteckungsgefahr trotz der stufenweisen (Wiederer-)Öffnung nahezu aller\nBereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens weiterhin\neinzudämmen.\n\n58\n\nDabei ist ein Mittel bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der\ngewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es ist nicht erforderlich, dass der\nErfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird oder jedenfalls\nerreichbar ist; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt.\n\n59\n\nVgl. BVerfG, Beschluss vom 10. April 1997 - 2 BvL 45/92 -, juris, Rn. 61, m.\nw. N.\n\n60\n\nDass der Verordnungsgeber die Grenzen seines Einschätzungsspielraums\nüberschritten haben könnte, ist nicht festzustellen. Die streitgegenständliche\nRegelung beruht im Wesentlichen auf der Grundannahme, dass sich das\nCoronavirus nach derzeitigen Erkenntnissen bei direkten persönlichen Kontakten\nim Wege einer Tröpfcheninfektion oder über Aerosole, bestehend aus kleinsten\nTröpfchenkernen, die längere Zeit in der Umgebungsluft schweben und sich z. B.\nin Innenräumen anreichern und größere Distanzen überwinden können, besonders\nleicht von Mensch zu Mensch verbreitet. Grundsätzlich ist die\nWahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber Tröpfchen und Aerosolen im\nUmkreis von 1 bis 2 Metern um eine infizierte Person herum erhöht.\n\n61\n\nVgl. Robert Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-\nKrankheit-2019 (COVID-19), Übertragungswege, abrufbar unter:\nhttps://www.rki.de/DE/ Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.\nhtml#doc13776792bodyText1, Stand: 24. Juli 2020.\n\n62\n\nZwar dürfte der wissenschaftliche Diskurs über die Eignung sog. Behelfsmasken\nals Mittel zur Verringerung der Infektionszahlen bisher nicht abgeschlossen\nsein. Nach den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts, denen der\nVerordnungsgeber gefolgt ist, ist bei dem derzeitigem Erkenntnisstand aber\ndavon auszugehen, dass auch privat hergestellte textile Mund-Nase-Bedeckungen\neine (wenn auch im Vergleich zu einem chirurgischen Mund-Nasen-Schutz\ngeringere) Filterwirkung auf feine Tröpfchen und Partikel entfalten können,\ndie als Fremdschutz zu einer Reduzierung der Ausscheidung von Atemwegsviren\nüber die Ausatemluft führen kann. Hierdurch erscheint es wiederum möglich,\ndass ihr Tragen einen Beitrag zur weiteren Verlangsamung der Ausbreitung des\nvon Mensch zu Mensch übertragbaren Coronavirus leistet.\n\n63\n\nVgl. Robert Koch-Institut, Antworten auf häufig gestellte Fragen zum\nCoronavirus SARS-CoV-2 / Krankheit COVID-19, Was ist beim Tragen einer Mund-\nNasen-Bedeckung in der Öffentlichkeit zu beachten?, abrufbar unter:\nhttps://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html?nn=13490888, Stand: 15\nJuli 2020, und Epidemiologisches Bulletin 19/2020, Mund-Nasen-Bedeckung im\nöffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von\nCOVID-19, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/\nContent/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20_MNB.pdf?__blob=publicationFile,\nStand: 3. Update vom 7. Mai 2020; vgl. auch WHO, Q&A;: Masks and COVID-19,\nWhat is WHO’s view on masks?, abrufbar unter:\nhttps://www.who.int/emergencies/diseases/ novel-coronavirus-2019/question-and-\nanswers-hub/ q-a-detail/q-a-on-covid-19-and-masks, Stand: 7. Juni 2020;\nTagesschau, Coronavirus - Studie bestätigt Schutzwirkung von Masken, 8. Juni\n2020, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/corona-masken-schutz-\nstudie-101.html; Bay. VGH, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 20 NE 20.1477 -,\njuris, Rn. 16 ff.; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 6. Juli 2020 - 6 B 10669/20 -,\njuris, Rn. 30; Thür. OVG, Beschluss vom 3. Juli 2020 - 3 EN 391/20 -, juris,\nRn. 66 ff.\n\n64\n\nDiese Beurteilung wird nicht durch den Umstand in Frage gestellt, dass das\nRobert Koch-Institut zu Beginn der Pandemie noch keine allgemeine Empfehlung\nzum Tragen einer Maske abgegeben und mitgeteilt hatte, es gebe keine\nhinreichende Evidenz dafür, dass der Mund-Nase-Schutz das Risiko einer\nAnsteckung für eine gesunde Person, die ihn trage, signifikant verringere.\nDiese Einschätzung über die Schutzwirkung sog. Behelfsmasken steht zu der\njetzigen Empfehlung nicht im Widerspruch, die anders als zunächst den Fokus\nnicht in erster Linie auf den Aspekt des Eigenschutzes richtet, sondern\nvorrangig den Gesichtspunkt des Fremdschutzes in den Blick nimmt. Die\nNeubewertung von Schutzmaßnahmen, auch unter Berücksichtigung neuer\nErkenntnisse über das Virus, ist notwendiger Bestandteil eines\nwissenschaftlichen Diskurses.\n\n65\n\nVgl. dazu den Senatsbeschluss vom 19. Mai 2020 - 13 B 557/20.NE -, juris, Rn.\n92 f., m. w. N.\n\n66\n\nDer Einschätzung des Robert Koch-Instituts steht auch nicht entgegen, dass es\nunter der Vielzahl wissenschaftlicher Meinungen andere Stimmen gibt, die die\nWirksamkeit einer einfachen Mund-Nase-Bedeckung gänzlich verneinen. Der\nVerordnungsgeber verletzt seinen Einschätzungsspielraum grundsätzlich nicht\ndadurch, dass er bei mehreren vertretbaren Auffassungen einer den Vorzug gibt,\nsolange er dabei nicht feststehende, hiermit nicht vereinbare Tatsachen\nignoriert.\n\n67\n\nVgl. so schon den Senatsbeschluss vom 30. April 2020 - 13 B 539/20.NE -,\njuris, Rn. 45 f., m. w. N.\n\n68\n\nIm Übrigen ist anerkannt, dass der Einschätzung des Robert Koch-Instituts nach\ndem in den einschlägigen Regelungen im Infektionsschutzgesetz (vgl. § 4 Abs. 1\nSatz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG) zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers\nim Bereich des Infektionsschutzes besonderes Gewicht zukommt.\n\n69\n\nVgl. Senatsbeschluss vom 6. April 2020 ‑ 13 B 398/20.NE ‑, juris, Rn. 76 f.,\nm. w. N.\n\n70\n\nEs ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht ersichtlich, dass Gefahren, die\ndurch eine nicht sachgerechte Anwendung der Mund-Nase-Bedeckung im Einzelfall,\n\n71\n\nvgl. dazu Robert Koch-Institut, Epidemiologisches Bulletin 19/2020, Mund-\nNasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der\nÜbertragungen von COVID-19, abrufbar unter:\nhttps://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20_MNB.pdf?blob=publicationFile,\nStand: 3. Update vom 7. Mai 2020,\n\n72\n\nentstehen können, die Eignung der sog. Maskenpflicht in Gänze in Frage\nstellen. Es ist schon zweifelhaft, ob Gefahren durch eine nicht sachgerechte\nAnwendung ernsthaft zu befürchten sind, da diese unschwer möglich ist. Leicht\nzugängliche Hilfestellung bieten zudem zahlreiche Institutionen, aber auch der\nAntragsgegner auf seiner Internetseite an. Diese enthalten Anleitungen zur\nBenutzung und Reinigung der Alltagsmasken und den Hinweis, dass die Maske\ngewechselt werden soll, wenn sie durch Atemluft feucht geworden ist.\n\n73\n\nVgl. MAGS NRW, Sonderseite des Gesundheitsministeriums zum Coronavirus in\nNordrhein-Westfalen, Informationen zum Mund-Nasen-Schutz in Leichter Sprache,\nabrufbar unter: https://www.mags.nrw/coronavirus, letztes Update: 15. Juli\n2020.\n\n74\n\nAuf etwaige Risiken hat der Verordnungsgeber damit ausreichend reagiert.\n\n75\n\nVgl. bereits Senatsbeschluss vom 19. Mai 2020 - 13 B 557/20.NE -, juris, Rn.\n100 f., m. w. N.\n\n76\n\nFerner geht der Senat unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage\ndavon aus, dass die Mund-Nase-Bedeckung keine allgemeinen Gesundheitsgefahren\nfür den Träger hervorruft. Insbesondere ist dem Antragsteller nicht in der\nAuffassung zu folgen, dass sich solche aus der möglichen Schadstoffbelastung\nder für die Herstellung der Masken verwendeten Textilien ergeben, da insoweit\ndieselben rechtlichen Vorgaben gelten wie bei anderen Kleidungsstücken, und es\ndiesem im Übrigen frei steht, unter den vorhandenen (schadstofffreien) Masken\nzu wählen. Auch die Befürchtung des Antragstellers, insbesondere Kinder würden\ntraumatisiert, wenn ihre Kontaktpersonen in den in der Verordnung\nbeschriebenen Situationen (vorübergehend) eine Mund-Nase-Bedeckung trügen,\nteilt der Senat selbst für den Fall nicht, dass ihnen ihr Zweck nicht\nverständlich gemacht werden kann. Angesichts der anhaltenden Berichterstattung\nin den Medien zum Schutzzweck der Mund-Nase-Bedeckung ist auch nicht davon\nauszugehen, dass diese den Träger in eine „trügerische Sicherheit“ wiegt,\nvielmehr dürfte allgemein bekannt sein, dass weitere Schutzvorkehrungen, wie\netwa die Einhaltung des Sicherheitsabstands, durch das Tragen der Maske nicht\nobsolet werden.\n\n77\n\nDie Maßnahme dürfte auch erforderlich sein. Untersuchungen zeigen, wie bereits\nerwähnt, dass ein hoher Anteil von Übertragungen asymptomatisch bzw.\npräsymptomatisch und unbemerkt erfolgt, sodass diese durch eine\nVerhaltensänderung des Betroffenen (wie eine Selbstquarantäne) nicht\nverhindert werden können.\n\n78\n\nVgl. Robert Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-\nKrankheit-2019 (COVID-19), Übertragung durch asymptomatische/präsymptomatische\nund symptomatische Infizierte, abrufbar unter:\nhttps://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_\nCoronavirus/Steckbrief.html#doc13776792body Text23, Stand: 24. Juli 2020.\n\n79\n\nÜberdies geht die schrittweise Aufhebung von Schutzmaßnahmen, wie sich in den\nletzten Wochen gezeigt hat, mit einem Anstieg an persönlichen und sozialen\nKontakten einher. Deshalb ist es aller Voraussicht nach unbedenklich, wenn der\nVerordnungsgeber angesichts dessen davon ausgeht, dass die unbemerkte\nÜbertragung von infektiösen Tröpfchen im öffentlichen Raum, wo mehrere\nMenschen zusammentreffen und der physische Abstand von mindestens 1,5 m (vgl.\n§ 2 Abs. 1 CoronaSchVO) nicht immer eingehalten werden kann (z. B. beim\nEinkaufen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln), allein durch\nkontaktbeschränkende Maßnahmen nicht hinreichend zu vermeiden ist, sondern es\nflankierend zusätzlich des Tragens einer Mund-Nase-Bedeckung bedarf.\n\n80\n\nVgl. noch einmal Robert Koch-Institut, Antworten auf häufig gestellte Fragen\nzum Coronavirus SARS-CoV-2 / Krankheit COVID-19, Was ist beim Tragen einer\nMund-Nasen-Bedeckung in der Öffentlichkeit zu beachten?, abrufbar unter:\nhttps://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html?nn=13490888, Stand: 15\nJuli 2020; Bay. VGH, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 20 NE 20.1477 -, juris, Rn.\n18; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 6. Juli 2020 - 6 B 10669/20 -, juris, Rn. 28\nff.\n\n81\n\nSchließlich ist die streitgegenständliche Regelung unter Abwägung der\ngegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen derzeit auch noch angemessen.\nInsoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es das einzig objektiv richtige\nangemessene Abwägungsergebnis nicht gibt. Dies gilt schon deshalb, weil der\nAbwägungsentscheidung des Verordnungsgebers eine von zahlreichen Unbekannten\ngekennzeichnete und stetig fortschreitende wissenschaftliche Erkenntnislage zu\nGrunde liegt, Folgen von bereits erfolgten Lockerungen der Schutzmaßnahmen\nerst mit Zeitverzögerungen ersichtlich werden und die einzelnen\nSchutzmaßnahmen ohnehin nicht isoliert betrachtet werden können, sondern Teil\neines Gesamtpakets zur Reduzierung der Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus\nsind. Lockerungen an einer Stelle können deswegen Beschränkungen an anderer\nStelle zur Folge haben und umgekehrt. Hinzu tritt, dass der Verordnungsgeber\nbei seiner Entscheidung neben dem infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrad des\njeweils zu regelnden Lebensbereichs auch alle sonstigen relevanten Belange\netwa medizinischer, psychologischer, sozialer oder wirtschaftlicher Art zu\nbewerten und gewichten hat.\n\n82\n\nAusgehend hiervon steht der beabsichtigte Verordnungszweck nicht außer\nVerhältnis zu der Schwere des Eingriffs. Die Maßnahme führt zwar unverkennbar\nzu Beschränkungen des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2\nAbs. 1 GG) und gegebenenfalls des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2\nAbs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Diese Rechte gelten jedoch nicht\nunbeschränkt, sondern unterliegen einem Gesetzesvorbehalt und treten hier im\nErgebnis angesichts der drohenden Überforderung des Gesundheitswesens\ngegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leben und Gesundheit\n(Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zurück. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass § 2\nAbs. 3 Satz 1 CoronaSchVO keine generelle Maskenpflicht im öffentlichen Raum\nvorsieht, sondern die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung\nräumlich und zeitlich auf bestimmte soziale Situationen beschränkt. Auch wird\nnicht das Tragen eines chirurgischen Mund-Nasen-Schutzes oder einer sog.\npartikelfiltrierenden Halbmaske verlangt, sondern lediglich einer einfachen\nBedeckung, wie sie zum Beispiel eine Alltagsmaske, ein Schal oder ein Tuch\ndarstellen (§ 2 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO). Diese\nBedeckungen sind üblicherweise in jedem Haushalt vorhanden oder können selbst\nhergestellt bzw. im örtlichen Handel kostengünstig erworben werden.\nAbgemildert wird die Pflicht zudem durch die Ausnahmebestimmung in § 2 Abs. 3\nSatz 2 CoronaSchVO für Kinder bis zum Schuleintritt und für Personen, die aus\nmedizinischen Gründen keine Mund-Nase-Bedeckung tragen können. Dass die\ndadurch ggf. entstehende Notwendigkeit für den Betroffenen, die in seiner\nPerson begründete Ausnahme durch Vorlage einer ‑ allgemein gehaltenen,\nlediglich den Umstand als solchen attestierenden ‑ ärztlichen Bescheinigung\nnachzuweisen ist, eine Stigmatisierung hervorruft, erkennt der Senat nicht.\nÜberdies kann die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung für\nBeschäftigte durch gleich wirksame Schutzmaßnahmen, wie einer Abtrennung durch\neine Glasscheibe oder das Tragen eines das Gesicht vollständig bedeckenden\nVisiers, ersetzt werden, sodass auch diese nicht während der gesamten\nArbeitszeit die mit der Maske einhergehenden subjektiven Unannehmlichkeiten\nhinnehmen müssen (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 3 CoronaSchVO). § 2 Abs. 3 Satz 4\nCoronaSchVO bestimmt zudem, dass die Mund-Nase-Bedeckung vorübergehend\nabgelegt werden kann, wenn das zur Ermöglichung einer Dienstleistung oder\närztlichen Behandlung oder aus anderen Gründen (z. B. Kommunikation mit einem\ngehörlosen oder schwerhörigen Menschen, zur Einnahme von Speisen und Getränken\nin Zügen des Personennahverkehrs) zwingend erforderlich ist.\n\n83\n\nHinzu kommt, dass die Verordnung in ihrer zeitlichen Geltung nach wie vor eng\nbefristet ist und aktuell bis zum 11. August 2020 gilt. Damit ist jedenfalls\nsichergestellt, dass die streitgegenständliche Coronaschutzverordnung unter\nBerücksichtigung neuer Erkenntnisse und Entwicklungen, insbesondere mit Blick\nauf die schrittweisen und versetzt vorgenommenen Lockerungen, fortgeschrieben\nwerden muss.\n\n84\n\n2\\. Der Erlass einer normbezogenen einstweiligen Anordnung erscheint auch\nunter Berücksichtigung etwaig verbleibender Unsicherheiten bei der rechtlichen\nBewertung der aus § 2 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO folgenden Verpflichtung in\nbestimmten sozialen Situationen eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, nicht zur\nAbwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten.\nDie mit dem weiteren Vollzug der Regelung einhergehende Beschränkung ist\nangesichts ihrer weiterhin zeitlich eng befristeten Geltungsdauer sowie der\ndargelegten Erfolgsaussichten des - noch zu erhebenden -\nNormenkontrollantrags, insbesondere unter Beachtung der im Rahmen der\nVerhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommenen Abwägung der betroffenen\nRechtsgüter, zumutbar.\n\n85\n\nDie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung\nberuht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Da die angegriffene Regelung\nmit Ablauf des 11. August 2020 außer Kraft tritt, zielt der Antrag inhaltlich\nauf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Reduzierung des\nAuffangstreitwerts für das Eilverfahren nicht veranlasst ist.\n\n86\n\nDieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66\nAbs. 3 Satz 3 GKG).\n\n
330,135
ovgnrw-2020-07-24-19-e-14920
823
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
ovgnrw
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
19 E 149/20
2020-07-24
2020-08-01 10:01:26
2020-12-10 13:36:43
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2020:0724.19E149.20.00
## Tenor\n\nDie Beschwerde wird zurückgewiesen.\n\nDer Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche\nKosten werden nicht erstattet.\n\n \n1\n\nGründe:\n\n2\n\nDer Senat entscheidet über die Beschwerde durch den Berichterstatter, weil\nsich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2, 3 VwGO).\n\n3\n\nDie Beschwerde hat keinen Erfolg. Ob sie gemäß § 146 Abs. 2 VwGO in der seit\ndem 1. Januar 2014 geltenden Fassung des Art. 12 Nr. 1 des Gesetzes zur\nÄnderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013\n(BGBl. I S. 3533) überhaupt statthaft ist, lässt der Senat hierbei offen.\n\n4\n\nNach der vorgenannten Vorschrift können Beschlüsse über die Ablehnung der\nProzesskostenhilfe nicht (mehr) mit der Beschwerde angefochten werden, wenn\ndas Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen\nVoraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint hat. Dieser\nRechtsmittelausschluss erfasst auch Fälle, in denen das Gericht die\nProzesskostenhilfe versagt hat, weil der Antragsteller die zur Prüfung der\npersönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe\nerforderlichen Unterlagen nicht oder nicht vollständig vorgelegt hat.\n\n5\n\nOVG NRW, Beschlüsse vom 31. Januar 2019 ‑ 19 E 1082/18 ‑, S. 2, vom 9.\nSeptember 2014 ‑ 14 E 891/14 ‑, juris, Rn. 2 ff.; OVG Berlin-Bbg., Beschlüsse\nvom 10. Oktober 2015 ‑ OVG 5 M 52.14 u. a. ‑, juris, Rn. 1, und vom 3.\nNovember 2014 ‑ OVG 12 M 53.14 ‑, NVwZ-RR 2015, 320, juris, Rn. 2.\n\n6\n\nAusweislich der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu dieser\nRegelung sollte die Ablehnung der Prozesskostenhilfe nämlich nur noch dann\nbeschwerdefähig sein, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache vom Gericht\nverneint wurden.\n\n7\n\nBT-Drucks. 17/11472 vom 14. November 2012, S. 48 f.\n\n8\n\nDies ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat die Versagung der\nProzesskostenhilfe darauf gestützt, dass die Antragsteller vor der das\nerstinstanzliche Eilverfahren abschließenden Entscheidung vom 23. August 2019\nkeine hinreichenden Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen\nVerhältnissen gemacht hätten (S. 2 f. des hier angegriffenen Beschlusses vom\n5. September 2019).\n\n9\n\nAllerdings dürfte dem Beschwerdeausschluss nach Sinn und Zweck (auch) die\nErwägung zugrunde liegen, dass der Antragsteller bei einer nur auf die\nVerneinung der wirtschaftlichen Voraussetzungen gestützten Versagung einen\nerneuten Prozesskostenhilfeantrag stellen und damit, soweit möglich, die\nDarlegung seiner Bedürftigkeit nachholen kann.\n\n10\n\nVgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 6. Dezember 2019 ‑ 5 E 975/19 ‑, S. 3.\n\n11\n\nDiese Möglichkeit besteht indes nicht, wenn es ‑ wie hier ‑ um eine\nBewilligung von Prozesskostenhilfe für einen bereits abgeschlossenen Rechtszug\ngeht. In einem solchen Fall kommt eine nachträgliche Bewilligung von\nProzesskostenhilfe nicht in Betracht, wenn die persönlichen und\nwirtschaftlichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Abgabe einer\nverfahrensbeendenden Erklärung oder des Ergehens der den Rechtszug\nabschließenden Entscheidung des Gerichts nicht ordnungsgemäß dargelegt waren.\n\n12\n\nOVG NRW, Beschluss vom 12. Oktober 2018 ‑ 12 E 765/17 ‑, juris, Rn. 3 ff., m.\nw. N.\n\n13\n\nOb in einem solchen Fall der Beschwerdeausschluss zur Anwendung kommen kann,\nkann hier allerdings dahinstehen.\n\n14\n\nEbenso offengelassen in OVG NRW, Beschluss vom 27. April 2020 ‑ 12 E 121/19 ‑,\nS. 2 ff.\n\n15\n\nDenn das Verwaltungsgericht ist ‑ bezogen auf den Zeitpunkt seines\ninstanzabschließenden Beschlusses vom 23. August 2019 ‑ jedenfalls insoweit\nzutreffend von einer Unvollständigkeit der im Prozesskostenhilfeverfahren\ngemachten Angaben ausgegangen, als mit der vorgelegten formularmäßigen\nErklärung vom 21. August 2019 im Abschnitt C auf eine gesetzliche\nUnterhaltspflicht der leiblichen Mutter des Antragstellers, Frau B. I. ,\nhingewiesen wurde, jedoch keine Angaben zu deren persönlichen und\nwirtschaftlichen Verhältnissen gemacht wurden.\n\n16\n\nKommt ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch des Prozesskostenhilfe begehrenden\nAntragstellers gegen seine Eltern in Betracht, wird dem Antragsteller sowohl\ndurch das Prozesskostenhilfeformular selbst (Abschnitt C) als auch durch die\nin der Prozesskostenhilfeformularverordnung vom 6. Januar 2014 (BGBl. I S. 34)\nvorgesehenen Ausfüllhinweise vor Augen geführt, dass es zusätzlicher Angaben\nüber die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der\nunterhaltsverpflichteten Personen bedarf. In einem solchen Fall ist jedenfalls\nbei einem ‑ wie hier ‑ schon im Zeitpunkt der Antragstellung anwaltlich\nvertretenen Beteiligten ohne gesonderten gerichtlichen Hinweis zu erwarten,\ndass diese zusätzlichen Angaben gemacht werden oder, falls dies nicht möglich\nsein sollte, konkrete Hinderungsgründe mitgeteilt werden.\n\n17\n\nOVG NRW, Beschluss vom 27. April 2020, a. a. O., S. 4.\n\n18\n\nDaran fehlte es hier. Eine eigene formularmäßige Prozesskostenhilfeerklärung\nder Mutter des Antragstellers lag dem Verwaltungsgericht nicht vor, als es\ndurch Beschluss vom 23. August 2019 über den Eilantrag des Antragstellers und\nseiner erstinstanzlich als weitere Antragstellerin beteiligten Mutter\nentschied. Erst im Beschwerdeverfahren 19 B 1227/19 ist die ebenfalls auf den\n23. August 2019 datierte Prozesskostenhilfeerklärung der Frau B. I. mit\nSchriftsatz vom 19. September 2019 eingereicht worden. Die im Zeitpunkt der\nBeschlussfassung des Verwaltungsgerichts fehlenden Angaben zu den persönlichen\nund wirtschaftlichen Verhältnissen der leiblichen Mutter des Antragstellers\nwaren auch nicht entbehrlich mit Rücksicht auf Erkenntnisse, die sich aus dem\nsonstigen Akteninhalt ergaben. Weder aus der Gerichtsakte noch aus dem\nbeigezogenen Verwaltungsvorgang war eindeutig darauf zu schließen, dass ein\nUnterhaltsanspruch des Antragstellers gegen seine Mutter nicht bestand oder\njedenfalls nicht zeitnah durchsetzbar war. Dazu hat der Antragsteller erst mit\nseiner Beschwerdeschrift vom 23. September 2019 vorgetragen.\n\n19\n\nDie Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V.\nm. Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.\n\n20\n\nDieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).\n\n
330,266
vg-munster-2020-07-23-1-l-59820
846
Verwaltungsgericht Münster
vg-munster
Münster
Nordrhein-Westfalen
Verwaltungsgerichtsbarkeit
1 L 598/20
2020-07-23
2020-08-06 10:01:02
2020-12-10 13:36:59
Beschluss
ECLI:DE:VGMS:2020:0723.1L598.20.00
## Tenor\n\nDer Antrag wird abgelehnt.\n\nDer Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.\n\nDer Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.\n\n \n1\n\n**G r ü n d e**\n\n2\n\nA. Der Antrag des Antragstellers,\n\n3\n\ndie Antragsgegnerin einstweilen zu verpflichten, ihm den „Großen Saal“ des\nBürgerzentrums „T. “ (T. , 00000 O. -B. ) am 00.00.000 in der Zeit von 15.00\nUhr bis 21.00 Uhr für eine Aufstellungsversammlung nach den allgemeinen für\ndie Vergabe geltenden Bestimmungen zur Verfügung zu stellen,\n\n4\n\nhat keinen Erfolg.\n\n5\n\nDer zulässige Antrag ist unbegründet.\n\n6\n\nGemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung\nzur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges\nRechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher\nNachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen\nnötig erscheint. Dies setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO\nvoraus, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch (ein subjektiv\nöffentliches Recht auf das begehrte Verwaltungshandeln) und einen\nAnordnungsgrund (die besondere Eilbedürftigkeit) glaubhaft macht. Ist der\nAntrag wie im vorliegenden Fall auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet,\nsind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch\nerhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung\nkommt dann nur in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der\nHauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten\nist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung\nschwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren\nErfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten.\n\n7\n\nVgl. z.B. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2018 - 13 B 1583/17 -, juris, Rn. 2,\nm.w.N.\n\n8\n\nDer Antragsteller hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft\ngemacht. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen\nsummarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat der Antragsteller keinen\nAnspruch darauf, dass die Antragsgegnerin ihm den „Großen Saal“ des\nBürgerzentrums „T. “ am 00.00.0000 in der Zeit von 15 Uhr bis 21 Uhr für die\nDurchführung einer Aufstellungsversammlung nach § 17 KWahlG NRW zur Verfügung\nstellt.\n\n9\n\nEin solcher Anspruch ergibt sich weder aus § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 GO NRW\n(I.), noch aus § 6 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 KrO NRW (II.), noch aus dem\nallgemeinen parteienrechtlichen Gleichbehandlungsgebot gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1\nParteiG i.V.m. Art. 3 Abs. 1, Art. 21 GG (III.). Der Antragsteller hat auch\nkeinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags (IV.).\n\n10\n\nI. Der von dem Antragsteller geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus §\n8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 GO NRW.\n\n11\n\nGemäß § 8 Abs. 2 GO NRW sind alle Einwohner einer Gemeinde im Rahmen des\ngeltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu\nbenutzen, und verpflichtet, die Lasten zu tragen, die sich aus ihrer\nZugehörigkeit zu der Gemeinde ergeben. Gemäß § 8 Abs. 4 GO NRW gilt dies für\njuristische Personen und Personenvereinigungen entsprechend.\n\n12\n\nDiese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragsteller zählt im\nvorliegenden Fall jedenfalls nicht zu dem Kreis der anspruchsberechtigten\n(natürlichen oder juristischen) Personen bzw. Personenvereinigungen. Zu diesem\nzählen neben den Gemeindeeinwohnern auch juristische Personen und\nPersonenvereinigungen.\n\n13\n\nDemnach steht der Benutzungsanspruch aus § 8 Abs. 2 GO NRW grundsätzlich auch\nParteiverbänden zu. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Parteiverband\nseinen Sitz im jeweiligen Gemeindegebiet hat.\n\n14\n\nVgl. z.B. Peters, in: Dietlein/Heusch, BeckOK Kommunalrecht Nordrhein-\nWestfalen, 12. Edition, Stand: 1. Juni 2020, § 8 GO NRW, Rn. 49; Venherm, in:\nKleerbaum/Palmen, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, Kommentar für die\nkommunale Praxis, 2. Auflage 2013, § 8 GO NRW, Nr. 3.\n\n15\n\nDies ist bei dem Antragsteller nicht der Fall. Ausweislich seiner Satzung hat\ner seinen Sitz in D. (vgl. § 1 Nr. 2 Satz 1 der Satzung des Antragstellers).\n\n16\n\nII. Der von dem Antragsteller geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht\naus § 6 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 KrO NRW. Nach dieser Vorschrift sind alle\nEinwohner eines Kreises im Rahmen des geltenden Rechts dazu berechtigt, die\nöffentlichen Einrichtungen des Kreises zu benutzen, und verpflichtet, die\nLasten zu tragen, die sich aus ihrer Zugehörigkeit zum Kreis ergeben. Gemäß §\n6 Abs. 4 KrO NRW gilt dies für juristische Personen und Personenvereinigungen\nentsprechend. Bei dem „Großen Saal“ des Bürgerzentrums „T. “ handelt es sich\njedoch nicht um eine öffentliche Einrichtung des Kreises D. , sondern um eine\nEinrichtung der Gemeinde O. .\n\n17\n\nIII. Der Antragsteller kann den geltend gemachten Anspruch ferner nicht aus\ndem allgemeinen parteienrechtlichen Gleichbehandlungsgebot, welches aus § 5\nAbs. 1 Satz 1 ParteiG i.V.m. Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Art. 21 GG folgt,\nherleiten.\n\n18\n\nDas allgemeine parteienrechtliche Gleichbehandlungsgebot gebietet es, dass bei\nder Gestattung der Nutzung öffentlicher Einrichtungen – unabhängig von deren\nöffentlich-rechtlicher Widmung – alle politischen Parteien gleich behandelt\nwerden. Das Recht auf Chancengleichheit der Parteien ist verletzt, wenn ein\nTräger öffentlicher Gewalt die Nutzung einer öffentlichen Einrichtung einer\nPartei verweigert, obwohl er sie anderen Parteien einräumt oder eingeräumt\nhat.\n\n19\n\nVgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 26. August 2016 - 2 BvQ 46/16 -, juris Rn.\n7, und vom 7. März 2007 - 2 BvR 447/07 -, juris, Rn. 3; VGH Baden-Württemberg,\nBeschluss vom 16. Oktober 2014 - 1 S 1855/14 -, juris, Rn. 11 f.; OVG\nNiedersachsen, Beschluss vom 14. April 2011 - 10 ME 47/11 -, juris, Rn. 30;\nBayerischer VGH, Beschlüsse vom 29. April 2010 - 4 CE 10.835 -, juris, Rn. 20,\nund vom 13. Juni 2008 - 4 CE 08.726 -, juris, Rn. 10; OVG Thüringen, Beschluss\nvom 16. September 2008 - 2 EO 490/08 -, juris, Rn. 30.\n\n20\n\nDer Antragsteller trägt insofern vor, die Antragsgegnerin habe den\nbetreffenden Saal in der Vergangenheit wiederholt für Parteiveranstaltungen\nzur Verfügung gestellt und verweigere dies nunmehr hiervon abweichend im\nvorliegenden Fall.\n\n21\n\nHieraus folgt jedoch aus den nachstehenden Erwägungen kein Verstoß gegen das\nallgemeine parteienrechtliche Gleichbehandlungsgebot.\n\n22\n\nDabei ist es unerheblich, ob die Überlassung der gemeindeeigenen\nRäumlichkeiten an Parteien in der Vergangenheit auch in Vorwahlzeiten (d.h.\nsechs Monate vor einer bevorstehenden Wahl) oder nur zu sonstigen Zeitpunkten\nim Jahr erfolgt ist. Durch den Erlass der Richtlinie für die Nutzung von\nLiegenschaften und Räumen der Gemeinde O. vom 27. März 2020 (vgl. Blatt 66 f.\nder Akte; im Folgenden: Richtlinie) hat die Antragsgegnerin jedenfalls ab dem\nZeitpunkt des Erlasses der Richtlinie für die Zukunft neue Maßstäbe für die\nZurverfügungstellung gemeindeeigener Räumlichkeiten an Parteien in\nVorwahlzeiten aufgestellt. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie ist\nParteien und mitgliedschaftlich organisierten Gruppen von Wahlberechtigten die\nNutzung von Liegenschaften und Räumen, die der Gemeinde O. oder einem ihrer\nRechtsträger gehören oder die sie gemietet oder gepachtet hat, für\nVeranstaltungen gleich welcher Art in den letzten sechs Monaten vor einer Wahl\nuntersagt.\n\n23\n\nDie darin liegende Änderung der Verwaltungspraxis ist zulässig. Einem Träger\nöffentlicher Gewalt steht es grundsätzlich frei, seine Vergabepraxis aus\nwichtigem Grund für die Zukunft zu ändern, solange vor der Änderung der\nVergabepraxis gestellte Anträge noch auf der Grundlage der bisherigen Praxis\nbearbeitet werden.\n\n24\n\nVgl. z.B. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. November 2011 - OVG 3a B 4.11\n-, juris, Rn. 35, m.w.N.\n\n25\n\nDiese Voraussetzungen sind hier gegeben. Insbesondere erfolgte der Erlass der\nRichtlinie bereits am 27. März 2020 und damit in angemessenem zeitlichem\nAbstand zu den bevorstehenden Kommunalwahlen am 13. September 2020, sodass die\nAntragsgegnerin durch den Erlass nicht in einen bereits begonnenen Wahlkampf\neingegriffen hat. Ein wichtiger Grund für die Änderung ist in dem Bestreben\nder Antragsgegnerin zu sehen, durch die Regelung jeglichen Eindruck einer\nparteipolitischen Stellungnahme oder Bevorzugung einer Partei oder\nWählergruppe seitens der Antragsgegnerin fortan zu vermeiden.\n\n26\n\nIm Hinblick auf einen etwaigen Verstoß gegen das parteienrechtliche\nGleichbehandlungsgebot sind vor diesem Hintergrund nur solche\nVergabeentscheidungen vergleichsrelevant, die die Antragsgegnerin nach Erlass\nder Richtlinie am 27. März 2020 getroffen hat. Aus den Ausführungen der\nAntragsgegnerin (Blatt 3 des Schriftsatzes vom 17. Juli 2020 (gemeint wohl:\nvom 21. Juli 2020)) ergibt sich, dass seit Erlass der Richtlinie in dem dort\ngeregelten Zeitraum kommunale Räume nicht durch Parteien genutzt wurden bzw.\neine Nutzung nach Antrag nicht zugelassen wurde. Dass diese Angabe\nunzutreffend sein könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.\n\n27\n\nBei dieser Sachlage besteht nicht nur kein Anspruch des Antragstellers auf\nNutzung des „Großen Saals“ des Bürgerzentrums „T. “. Eine entsprechende\nÜberlassung könnte vielmehr zu einer nicht gerechtfertigten Privilegierung des\nAntragstellers gegenüber den anderen politischen Parteien führen.\n\n28\n\nEntgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Änderung der\nVerwaltungspraxis durch die Richtlinie vom 27. März 2020 auch ihrer\nZweckrichtung nach rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin ist\nnicht generell verpflichtet, Räumlichkeiten an politische Parteien, etwa für\nWahlkampfzwecke, zu überlassen. Sie muss lediglich das Gebot der\nGleichbehandlung der politischen Parteien beachten, wenn sie diesen\nRäumlichkeiten zur Verfügung stellt. Schließt sie – wie hier geschehen –\nsämtliche Parteien, Wählergemeinschaften und Wahlbewerber gleichermaßen (für\neinen bestimmten Zeitraum) von der Nutzung ihrer Räumlichkeiten aus, bestehen\nhiergegen keine rechtlichen Bedenken.\n\n29\n\nVgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 12. August 2011 - 2 L 126.11 -, juris, Rn.\n8.\n\n30\n\nDie vorliegende Konstellation wird von den Regelungen der Richtlinie und der\nentsprechenden Änderung der Verwaltungspraxis auch inhaltlich erfasst. Es\nkommt entgegen der Ansicht des Antragstellers in diesem Zusammenhang nicht\ndarauf an, ob man die Richtlinie – entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut – auch\ndahingehend verstehen könnte, dass parteiinterne Aufstellungsveranstaltungen\nnicht von dem Anwendungsbereich erfasst sind. Maßgeblich ist insofern allein\ndas in ihrer tatsächlichen Verwaltungspraxis zum Ausdruck kommende Verständnis\nder Antragsgegnerin.\n\n31\n\nIV. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie\nNeubescheidung seines Antrags.\n\n32\n\nIm Rahmen eines Antrags auf widmungsüberschreitende Sondernutzung besteht\nregelmäßig ein aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem jeweils betroffenen Grundrecht\nhergeleiteter Anspruch des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie\nEntscheidung über den Antrag.\n\n33\n\nVgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 7 C 34.91 -, juris, Rn.\n15; VG Hamburg, Urteil vom 30. November 2011 - 17 K 361/11 -, juris, Rn. 74\nff.\n\n34\n\nUngeachtet der Fragen, ob die von dem Antragsteller begehrte Nutzungsform als\nwidmungsüberschreitende Sondernutzung anzusehen ist, und ob die Überlassung zu\neiner nicht gerechtfertigten Privilegierung führen würde, sind Ermessensfehler\nder Antragsgegnerin jedenfalls nicht ersichtlich.\n\n35\n\nErmessensfehler ergeben sich insbesondere nicht im Hinblick auf die Hinweise\ndes Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen zu den Auswirkungen\nder Coronakrise auf die Durchführung der Kommunalwahlen 2020 vom 20. Mai 2020\n(vgl. Bl. 20 ff. der Akte). Aus den von dem Antragsteller zitierten Passagen\n(vgl. insofern Ziffer 2 des Erlasses) ergibt sich, dass die Gemeinden die\nEinhaltung der Vorschriften der Coronaschutzverordnung im Rahmen von\nAufstellungsversammlungen nach § 17 KWahlG NRW durch das Angebot geeigneter\nRäumlichkeiten unterstützen sollten. Zudem sei bei der Vergabe gemeindlicher\nRäumlichkeiten von Bedeutung, dass die Räumlichkeiten nicht für\nWahlkampfveranstaltungen, sondern für Aufstellungsversammlungen als gesetzlich\ngefordertem Bestandteil eines demokratischen Wahlverfahrens zur Verfügung\ngestellt werden sollen.\n\n36\n\nDiese Hinweise des Innenministeriums stellen bereits ihrem Wortlaut nach (vgl.\netwa: „sollten …unterstützen“) keine zwingenden Anweisungen an die Kommunen\ndar. Daher war die Antragsgegnerin berechtigt, im Rahmen ihrer\nErmessensentscheidung neben den genannten Hinweisen des Innenministeriums\nweitere Aspekte (wie u.a. die Entwicklung des Corona-Infektionsgeschehens und\ndie damit bestehenden Möglichkeiten des Ausweichens auf andere Räumlichkeiten,\ndie Vorgaben der gemeindeinternen Richtlinie und die Gleichbehandlung mit\nanderen Parteien und Wählergruppen) zu berücksichtigen.\n\n37\n\nAuch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsgegnerin die\nBedeutung der Parteien im Gefüge des demokratischen Prozesses und das Gewicht\ndes Art. 21 GG verkannt hätte. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass\ndem Antragsteller ohne die Inanspruchnahme der Räumlichkeiten der\nAntragsgegnerin eine Teilnahme am demokratischen Prozess schlechthin nicht\nmöglich wäre.\n\n38\n\nB. Über den Hilfsantrag des Antragstellers,\n\n39\n\ndie Antragsgegnerin einstweilen zu verpflichten, dem Antragsteller\nvollständige Auskunft darüber zu erteilen, wann welche Räumlichkeiten der\nAntragsgegnerin ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bis zum 26.\nJuli 2020 zur Verfügung stehen,\n\n40\n\nwar nicht zu entscheiden, da die von dem Antragsteller hierfür aufgestellte\nBedingung nicht vorliegt. Der Antrag ist ersichtlich für den Fall gestellt\nworden, dass ein dem Antragsteller grundsätzlich zustehender Anspruch auf\nÜberlassung gemeindeeigener Räumlichkeiten konkret im „Großen Saal“ des „T. “\nmangels dort vorhandener Kapazitäten nicht realisierbar ist (vgl. Ziffer 2.4\ndes Schriftsatzes des Antragstellers vom 20. Juli 2020, Blatt 9 der Akte).\nDiese Bedingungen liegen nicht vor. Dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller\ndie Räumlichkeiten nicht zur Verfügung stellen muss, beruht nicht auf einer\nvorrangigen anderweitigen Vergabe, sondern allein darauf, dass ein\nentsprechender Anspruch des Antragstellers dem Grunde nach nicht besteht.\n\n41\n\nC. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die\nStreitwertfestsetzung richtet sich nach §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und\nberücksichtigt den vorläufigen Charakter dieses Verfahrens.\n\n
330,328
vg-wurzburg-2020-07-29-w-4-s-20918
291
Verwaltungsgericht Würzburg
vg-wurzburg
Würzburg
Bayern
Verwaltungsgerichtsbarkeit
W 4 S 20.918
2020-07-29
2020-08-07 10:01:09
2020-12-10 13:37:07
Beschluss
## Tenor\n\nI. Der Antrag wird abgelehnt.\n\nII. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu\ntragen, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.\n\nIII. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.\n\n## Gründe\n\nI.\n\nDie Antragsteller wenden sich gegen eine für das Nachbargrundstück erteilte\nBaugenehmigung zum Neubau eines Feuerwehrhauses.\n\nDie Antragsteller sind Eigentümer diverser Grundstücke in der Nähe des\nBaugrundstücks. Sie bewohnen insbesondere das auf dem Grundstück Fl.Nr. 1152/5\nder Gemarkung R* … sich befindliche Wohnhaus.\n\nMit Bescheid vom 16. Januar 2020 genehmigte das Landratsamt Aschaffenburg dem\nBeigeladenen den Neubau eines Feuerwehrhauses F* …R* … auf den Fl.Nrn. 1096/2,\n1096/1, 1097, 1096, 1098 jeweils der Gemarkung R* … Mit Schriftsatz vom 19.\nFebruar 2020 ließen die Antragsteller Klage gegen den Genehmigungsbescheid des\nLandratsamts Aschaffenburg vom 16. Januar 2020 erheben, über die bisher noch\nnicht entschieden ist (W 4 K 20.335).\n\nWeiterhin ließen sie im vorliegenden Verfahren mit Schriftsatz vom 16. Juli\n2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht am 17. Juli 2020 beantragen,\n\ndie aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom 19. Februar 2020\ngegen den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 16.\nJanuar 2020 anzuordnen.\n\nZur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller zu 1) eine\nLandwirtschaft betreibe. Das Baugrundstück befinde sich noch im Außenbereich.\nEin Bebauungsplan sei in Aufstellung. Obwohl dieser noch nicht in Kraft sei,\nhabe das Landratsamt unter Verweis auf § 33 BauGB eine Baugenehmigung erteilt.\nEs liege aber offensichtlich noch keine Planreife vor. Da ein\nNormenkontrollantrag erst gestellt werden könne, wenn der Bebauungsplan in\nKraft gesetzt worden sei, habe das Verwaltungsgericht im Falle einer\nAnfechtung einer auf § 33 BauGB gestützten Baugenehmigung eine Inzident-\nKontrolle des noch nicht in Kraft gesetzten Plans vorzunehmen. Vorliegend sei\neine gerechte Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB nicht vorgenommen worden. Im\nÜbrigen werde gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen. Man könne sich\nleicht vorstellen, welche Auswirkungen Sirenen und Blaulicht auf die\nTierhaltung der Antragsteller hätten. Im Übrigen werde auf die\nStrahlenbelastung durch den sogenannten TETRA-Funk hingewiesen.\n\nDer Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 23. Juli 2020\n\nden Antrag abzulehnen.\n\nZur Begründung wurde ausgeführt, dass nachbarschützende Vorschriften nicht\nverletzt seien, auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme liege nicht\nvor. Hinsichtlich möglicher Beeinträchtigungen durch erhebliche Immissionen\naufgrund des Betriebs des Feuerwehrhauses werde auf die Auflagen im\nstreitgegenständlichen Bescheid und die Schallimmissionsprognose des\nIngenieurbüros W. vom 20. Februar 2019 hingewiesen. Dieses komme zu dem\nErgebnis, dass bei einem Regelbetrieb des Feuerwehrhauses eine\nBeeinträchtigung der Antragsteller nicht in Betracht komme. Bei den zugrunde\ngelegten Nutzungsansätzen würden die Immissionsrichtwerte der TA-Lärm tagsüber\nan allen Immissionsorten um mindestens 3 dB(A) unterschritten. Eine\nBeeinträchtigung aufgrund einer Strahlenbelastung einer Funkanlage des\nFeuerwehrhauses sei ebenfalls nicht erkennbar.\n\nDer Beigeladene beantragte mit Schriftsatz vom 22. Juli 2020\n\nden Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuweisen.\n\nZur Begründung führte er aus, dass Planreife sehr wohl vorliege. Was die\nImmissionen betreffe, werde auf das Gutachten W. vom 20. Februar 2019\nhingewiesen.\n\nWegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten\nBehördenakten Bezug genommen.\n\nII.\n\nDer Antrag der Antragsteller als Eigentümer des Grundstücks mit der Fl.Nr.\n1152/5 Gemarkung R* … gemäß § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO\ni.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ist zulässig aber unbegründet und hat daher keinen\nErfolg. Die angefochtene Baugenehmigung vom 16. Januar 2020 verletzt bei\nsummarischer Prüfung keine nachbarschützenden Vorschriften der Antragsteller,\ndie im Prüfumfang der Baugenehmigung enthalten sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1\nVwGO), Art. 59 Satz 1 BayBO).\n\n1\\. Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die\nbauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt\nein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende\nBaugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß\n§ 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1\nVwGO die gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der\nAnfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine\neigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind\n- die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die\nfür die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Dabei stehen sich\ndas Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der\nBaugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig\ngegenüber. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des\nRechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen.\nFällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die\nangefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem\nNachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig\nauszusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.1991 - 1 CS 91.439 - juris). Hat dagegen\ndie Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg,\nso ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten der Antragsteller\nausfallenden Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes\nInteresse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten\nBaugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26. Juli 2011 - 14 CS 11.535 - juris). Sind\nschließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für\nund gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v.\n26.7.2011, a.a.O.).\n\nEin Dritter kann eine Baugenehmigung mit dem Ziel der Aufhebung nur dann\nerfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind,\ndie auch dem nachbarlichen Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dritte\nkönnen sich gegen eine Baugenehmigung mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen,\nwenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese\nRechtswidrigkeit auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem\nSchutz des betroffenen Nachbarn zu dienen bestimmt sind, weil dieser in\nqualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen\nRecht betroffen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 - 4\nC 5.87 - juris; BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris, jeweils\nm.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur\ndann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die\nRechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im\nBaugenehmigungsverfahren überhaupt zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v.\n24.3.2009, a.a.O., Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende\nVorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die\nBaugenehmigung insoweit keine Regelungen und ist der Nachbar darauf zu\nverweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf\nbauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen\n(vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 - 4 B 244.96 - juris; BayVGH, B.v. 14.10.2008 - 2\nCS 08.2132 - juris).\n\n2\\. Dies zugrunde gelegt, wird die Klage der Antragsteller nach summarischer\nÜberprüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben. Sie erweist sich\nvoraussichtlich zwar als zulässig, aber als unbegründet. Die angefochtene\nBaugenehmigung vom 16. Januar 2020, mit der das Landratsamt Aschaffenburg dem\nBeigeladenen den Neubau eines Feuerwehrhauses genehmigt hat, verletzt keine\nnachbarschützenden Vorschriften, die im Prüfumfang der Baugenehmigung\nenthalten sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 59 Satz 1 BayBO).\n\na) Soweit die Antragsteller vorliegend zunächst rügen, dass das Landratsamt\nAschaffenburg trotz fehlender materieller Planreife aufgrund ersichtlicher\nMängel im Abwägungsvorgang (§ 1 Abs. 7 BauGB) dem Beigeladenen eine\nBaugenehmigung nach § 33 BauGB erteilt habe, vermögen sie damit nicht\ndurchzudringen. Denn eine Baugenehmigung, die gemäß § 33 BauGB im Vorgriff auf\neinen künftigen Bebauungsplan erteilt worden ist, ist auf die Klage eines\nNachbarn nicht schon deshalb aufzuheben, weil es an der materiellen Planreife\nfehlt. Erfolg hat eine Nachbarklage vielmehr nur dann, wenn das Vorhaben gegen\nnachbarschützende Vorschriften eventuell eines Vorgängerbebauungsplans\nverstößt bzw. sich bei einer gebotenen Beurteilung nach §§ 34 und 35 BauGB als\nrücksichtslos gegenüber dem Nachbarn erweist (vgl. VGH Mannheim, U.v.\n29.10.2003 - 5 S 138/03 - juris).\n\nEtwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des\nAntragstellervertreters, ein Normenkontrollantrag könne erst gestellt werden,\nwenn der Bebauungsplan in Kraft gesetzt worden sei, was zur Folge habe, dass\ndas Verwaltungsgericht im Fall der Anfechtung einer auf § 33 BauGB gestützten\nBaugenehmigung eine Inzident-Kontrolle des noch nicht in Kraft gesetzten Plans\nvorzunehmen habe. Bei dieser Argumentation wird verkannt, dass es im\nBaugenehmigungsverfahren für einen allgemeinen Planabwägungsanspruch keinerlei\ngesetzliche Grundlage gibt. Das Abwägungsgebot ist gemäß § 1 Abs. 7 BauGB bei\nder Aufstellung von Bauleitplänen zu beachten und gilt darüber hinaus\ngrundsätzlich auch bei anderen Planungen. Das subjektive Recht aller\nPlanbetroffenen ist auf eine gerechte Berücksichtigung ihrer Interessen im\nRahmen einer Bauleitplanung gerichtet. Wird dieses Abwägungsgebot verletzt, so\nist der Plan grundsätzlich nichtig. Damit hat es jedoch sein Bewenden. Auf die\nAufstellung eines neuen, das Abwägungsgebot eventuell beachtenden\nBebauungsplans besteht hingegen kein Anspruch (§ 2 Abs. 3 BauGB). Erst recht\nkann niemand - auch der Nachbar nicht - verlangen, dass einem Dritten eine\nBaugenehmigung nur nach einer korrekten Abwägungsentscheidung erteilt wird.\nZwar ist dem Antragstellervertreter beizupflichten, dass ein\nNormenkontrollantrag hinsichtlich eines Bebauungsplans schon dann Erfolg hat,\nwenn der Antrag zulässig ist, weil der Antragsteller einen Nachteil erleidet\n(§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO), und der Plan rechtswidrig ist (§ 47 Abs. 6 Satz 2\nVwGO). Insoweit trifft es zu, dass der Bürger in einem Normenkontrollverfahren\ndurchaus eine Verletzung des Abwägungsgebots auch dann geltend machen kann,\nwenn er nicht durch eine einem Dritten erteilte Baugenehmigung in seinem Recht\nverletzt ist. Das ist aber eine Folge der unterschiedlichen Voraussetzungen\nfür die Anfechtungsklage und für den Normenkontrollantrag. Richtig ist ferner\nder Vortrag des Antragstellervertreters, dass sich der Bürger erst dann mit\neinem Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan wenden kann, wenn dieser\nin Kraft getreten ist. Insoweit mag der dem Bürger zur Verfügung stehende\nfaktische Rechtsschutz im Einzelfall zwar gemindert sein, wenn die\nBaugenehmigungsbehörde schon vor in Kraft treten des Bebauungsplans eine\nBaugenehmigung nach § 33 BauGB erteilt. Das ändert aber nichts daran, dass die\nNachbarklage nur bei einer Verletzung einer nachbarschützenden Norm Erfolg\nhaben kann, wie oben ausgeführt. Die unterschiedliche Weite des Rechtsschutzes\ndurch das Normenkontrollverfahren und durch die öffentlich-rechtliche\nNachbarklage führt nicht dazu, dass für die Anfechtungsklage einer nach § 33\nBauGB erteilten Baugenehmigung die Grundsätze des Normenkontrollverfahrens zu\nübernehmen sind. Solange also die Baugenehmigung nicht gegen eine besondere\nnachbarschützende Vorschrift verstößt, hat der Nachbar, hier also die\nAntragsteller, wie jeder andere Bürger auch, keinen Rechtsanspruch darauf,\ndass die Verwaltungsbehörde rechtmäßig handelt. Die VwGO schließt eine\nPopularklage grundsätzlich aus. Was die Antragsteller letztendlich erreichen\nwollen, ist wohl die Aufrechterhaltung der - ihren Interessen entsprechenden -\nbestehenden planungsrechtlichen Rechtslage oder die Aufstellung eines neuen,\nebenfalls ihren Interessen dienenden Bebauungsplans. Auf beides haben sie aber\nkeinen Rechtsanspruch. Vor allem aber können diese Interessen nicht im Wege\neiner Nachbarklage durchgesetzt werden, wenn die dem Beigeladenen erteilte\nBaugenehmigung keine nachbarschützenden Vorschriften verletzt.\n\nb) Nachdem vorliegend für die Kammer nicht erkennbar ist und im Übrigen von\nden Antragstellern auch nicht substantiiert vorgetragen wird, dass die\nstreitgegenständliche Baugenehmigung gegen künftige Festsetzungen des\nBebauungsplans „…-West“ verstößt, wobei diesen Regelungen eine\nnachbarschützende Wirkung zukommen müsste, ist demnach vorliegend allein\nentscheidungserheblich, ob sich das Vorhaben den Antragstellern gegenüber als\nrücksichtslos erweist. Unabhängig von der Frage, ob man dieses Gebot der\nRücksichtnahme nunmehr in § 15 BauNVO oder aber in § 35 BauGB verankert, ist\neine bauliche Anlage im Einzelfall unzulässig, wenn von ihr Belästigungen oder\nStörungen ausgehen können, die für den Nachbarn unter Berücksichtigung des\nCharakters der näheren Umgebung die Grenze der Zumutbarkeit überschreiten,\noder wenn das Vorhaben selbst solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt\nist. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung, die die jeweiligen Umstände\ndes Einzelfalls berücksichtigt, ist ausschlaggebend, was dem Rücksichtnahme-\nBerechtigten, aber auch was dem Rücksichtnahme-Verpflichteten in der\njeweiligen Grundstückssituation zumutbar ist. Je empfindlicher und\nschutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme zugute\nkommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und\nunabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger\nbraucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v.\n25.2.1977, Az. IV C 22.75, Rn. 22 - juris).\n\nUnter Berücksichtigung dessen sind unzumutbare Lärmimmissionen, wie von den\nAntragstellern behauptet, auf das Grundstück der Antragsteller von dem\nstreitgegenständlichen Bauvorhaben nicht zu erwarten. Das für die Kammer\nnachvollziehbare und überzeugende Gutachten des Ingenieurbüros W. vom 20.\nFebruar 2019 kommt im Hinblick auf die Schallimmissionsprognose zu dem\nErgebnis, dass bei einem Regelbetrieb des Feuerwehrhauses eine\nBeeinträchtigung der Antragsteller nicht in Betracht kommt. Bei den zugrunde\ngelegten Nutzungsansätzen würden die Immissionsrichtwerte der TA-Lärm tagsüber\nan allen Immissionsorten um mindestens 3 dB(A) unterschritten. Die\nAntragsteller haben diese Feststellungen nicht substantiiert bestritten. Hinzu\nkommt, was die Einsatzfahrten unter Alarmbedingungen mit Tonsignal angeht,\ndass aufgrund der besonderen Funktion der freiwilligen Feuerwehr zur\nÜberzeugung der Kammer von einer gesteigerten Sozialadäquanz der durch sie\nverursachten Betriebsgeräusche, gerade bei Alarmausfahrten, ausgegangen werden\nmuss.\n\nDas Gebot der Rücksichtnahme wird entgegen dem Vortrag des\nAntragstellervertreters auch nicht beeinträchtigt aufgrund der\nStrahlenbelastung der Funkanlage des Feuerwehrhauses, zumal der Vortrag\ninsoweit viel zu unsubstantiiert ist. Zu Recht weist der Antragsgegner im\nÜbrigen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Voraussetzung für die\nInbetriebnahme von Antennenmasten, die dem Digitalfunk der BOS dienen, gemäß §\n4 BEMFV eine gültige Standortbescheinigung vorliegen muss. Diese wird von der\nBundesnetzagentur gemäß § 5 Abs. 2 BEMFV erteilt. Im Erteilungsverfahren\nermittelt die Bundesnetzagentur auf der Grundlage der systembezogenen\nSicherheitsabstände unter Einbeziehung der relevanten Funkstärken von\numliegenden ortsfesten Funkanlagen den Grenzwert nach § 3 BEMFV, der auf die\nin der 26. BImSchV festgesetzten Grenzwerte verweist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BEMFV)\nund damit den erforderlichen standortbezogenen Sicherheitsabstand. Die\nBaugenehmigung wird hiervon allerdings nicht berührt.\n\n3\\. Es ist auch nicht erkennbar und wird von den Antragstellern nicht\nvorgetragen, dass das Bauvorhaben gegen nachbarschützende\nbauordnungsrechtliche Vorschriften verstößt.\n\n4\\. Aus diesen Gründen war der Antrag abzulehnen. Die Kostenentscheidung folgt\naus § 154 Abs. 1 VwGO. Da der Beigeladene einen Antrag gestellt hat,\nentspricht es der Billigkeit, dass die Antragsteller auch dessen entstandenen\naußergerichtlichen Aufwendungen zu tragen haben.\n\nDer Streitwert wurde gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG festgesetzt. Nach\nden Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist\nfür Nachbarklagen ein Streitwert von bis zu 15.000,00 EUR anzusetzen (Ziffer\nII.9.7.1), der vorliegend im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu\nhalbieren war (Ziffer II.1.5).\n\n